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Die Bruderschaft des Baums

Es war eine größere Gruppe Menschen, die da am Dorfplatz stand und Miria und Hanrek verabschiedeten, als es schließlich Zeit war nach Haffkef aufzubrechen. Der Weg in die Stadt war nicht weit und sowohl Miria als auch Hanrek waren schon mehrfach dort gewesen. Diesmal hatte die Reise in die Stadt etwas Neues und Endgültiges.

Drei Tage vorher war Lucek mit seinen beiden Gehilfen wieder nach Hallkel gekommen. Er hatte die letzten beiden Tage die Geschäfte eines Steuereintreibers abgewickelt und für den heutigen Morgen hatte er zum Aufbruch gemahnt.

Er war sofort einverstanden gewesen, als Klaudia gefragt hatte, ob Lucek ihre Tochter Miria in die Stadt mitnehmen könnte.

Hanrek hatte sein Bündel geschnürt und seinen Stab in der Hand. Er hatte in sein Bündel einen kleinen Vorrat an Holzmehl vom Heronussbaum eingepackt, quasi als Geldersatz, da ihm seine Eltern nicht viel an Münzen mitgeben konnten. Den Rest des Mehls hatte er, wie es auch seine Eltern getan hatten, im Vorratskeller sicher vergraben.

Er lehnte ab, als Lucek ihm anbot, dass einer der beiden Gehilfen sein Bündel aufs Pferd nehmen könnte. Lieber hatte er sein Bündel selbst zur Hand und all zu schwer war es auch nicht. Außerdem war er das Wandern gewöhnt. Es war auch nur ungefähr ein Tagesmarsch bis Haffkef. Wenn sie sich also anstrengen würden, würden sie es bis heute Abend schaffen und die kommende Nacht schon in Haffkef verbringen. Miria hatte ihr Bündel dankbar abgegeben. Es war jetzt hinter dem Sattel von Rannold festgeschnallt.

Nicht ohne Tränen der beiden Mütter verabschiedeten sich Miria und Hanrek von ihren Familien und Freunden, ehe sie sich in der kleinen Gruppe auf den Weg machten.

Das Wetter war angenehm für eine Wanderung. Die Luft war, obwohl der Winter vor der Tür stand, ungewöhnlich mild, sodass Hanrek schon bald sein Wams auszog und auf sein Bündel band und den Kragen seines Hemds aufschnürte. Miria ging neben ihm und plapperte auf ihn ein. Man merkte ihr die Aufregung deutlich an.

Ihre drei Reisebegleiter waren, da sie ihre Pferde in einem starken Schritt gehen ließen, ein gutes Stück voraus. Das war Hanrek nur recht so. Er mochte die beiden Gehilfen Rannold und Tonnir nicht. Sein Gefühl riet ihm, mit den beiden vorsichtig zu sein. Im Dorf hatte er sie die letzten beiden Tage fast nicht gesehen, aber jedes Mal, wenn er ihnen begegnet war, hatten sie gleich begonnen, ihn hämisch aufzuziehen.

„Ach, da kommt ja Hanrek, der Drachentöter unser neuer Lehrlingsdiener ...“, „Wo ist denn deine Drachenlanze, Drachentöter“, „Hast du heute schon genug vom Drachentöten-Spielen“, „Erde, Feuer, Wasser, Stein ...“, und einige Sprüche mehr bekam er zu hören.

Hanrek war solcherlei Sprüche ja gewohnt. Was ihn bei den Sprüchen der beiden Gehilfen störte, war die Häme, die man darin hörte. Es wurde Hanrek klar, dass er mit diesen beiden noch seine Freude haben würde.

Was Hanrek auch nicht gefallen hatte, waren die Blicke gewesen, die sie Miria zugeworfen hatten. Rannold hatte als Miria vorbeigegangen war, Tonnir angestoßen, eine anzügliche Geste hinter ihrem Rücken gemacht und schamlos gegrinst. Bei ihr hatten sie keine Bemerkungen gemacht aber das lag wahrscheinlich eher daran, dass Lucek in Hörweite war.

Um die Mittagszeit, Hanreks Magen hatte schon vernehmlich geknurrt, sah er, wie Lucek, sein Pferd in einen leichten Trab versetzte und schnell um die nächste Biegung des Weges verschwand. Die beiden anderen hielten ihre Pferde an. Hanrek und Miria hatten die beiden schnell eingeholt.

Hanrek spürte die Spannung in der Luft. Seine Gabe benötigte er nicht, um festzustellen, dass die beiden Unruhestifter etwas ausgeheckt hatten. Und wie erwartet fing Rannold sofort an, als sie in Reichweite waren.

Er schnappte sich Mirias Bündel, das hinter seinem Sattel befestigt gewesen war.

„Wollen mal sehen, was so ein Bauernmädchen so mit nimmt, wenn sie einen Ausflug in die große Stadt macht.“, und begann es zu durchwühlen.

Miria stürzte auf ihn los.

„Du Bastard. Nimm deine dreckigen Hände von meinen Sachen.“

Darauf hatte Tonnir nur gewartet. Er trieb sein Pferd an und lenkte es hinter Miria, sodass diese zwischen den beiden Pferden eingeklemmt war. Er umklammerte sie von hinten und zog die um sich tretende Miria hoch, sodass sie vor ihm auf dem Pferd zum Sitzen kam. Während er sie weiter fest umklammerte, Miria hatte keine Chance sich aus dem Griff zu befreien, versuchte er ihr mit den Händen unter die Bluse zu fahren, was Miria verzweifelt versuchte zu verhindern. Das Ganze war so schnell gegangen, dass Hanrek keine Möglichkeit gehabt hatte, Miria zu helfen.

Hanrek preschte vor, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten und ging damit Rannold in die gestellte Falle.

Rannold hatte sein Pferd in der Zwischenzeit um Tonnirs Pferd herumgelenkt und als Hanrek, der ganz auf Tonnir konzentriert war, an Rannold vorbei wollte, ließ der seinen Kampfstab, den er hinter seinem Pferd verborgen gehalten hatte, nach oben schnellen. Er erwischte Hanrek voll am Kinn. Als Hanrek einige Augenblicke später wieder zu sich kam, fand er sich auf dem Rücken liegend im Gras wieder.

Rannold war in der Zwischenzeit abgestiegen und grinste ihn hämisch an.

„Bist du müde, weil du es dir im Gras gemütlich gemacht hast? Dabei ist Lucek doch extra vorausgeritten, um für uns ein schönes Plätzchen zum Ausruhen zu suchen.“

Dann lachte er über seinen Witz.

Hanrek tastete, ob er seinen Stab noch hatte und als er ihn neben sich bemerkte, packte er ihn so fest, dass ihm die Hand weh tat. Er ließ seine Gabe fließen und Kämpfer und Stab waren eine Einheit. Er begann noch im Liegen seine erste Attacke auf Rannold. Mit dieser schnellen Attacke hatte Rannold zwar nicht gerechnet, aber seine Reflexe waren gut genug, um Hanreks Attacke mühelos abzuwehren. Für seine unbeherrschte Attacke bekam Hanrek prompt die Quittung in Form eines Schlags quer über den Rücken. Ein Schlag, wie ihn Hanrek schon häufig beim Üben abbekommen hatte. Der Schlag schmerzte zwar aber er tat vor allem seiner Ehre weh.

„Ho, ho. Jetzt sehen wir heute sogar noch einen richtigen Drachentöter kämpfen.“, machte er sich weiter über Hanrek lustig.

Auch jetzt verzichtete Hanrek auf ein vorsichtiges Abtasten des Gegners, wie er es bei Spartak gelernt hatte. Die ersten rasend schnell und wild vorgetragenen Schläge von Hanrek wehrte Rannold noch ab, aber dann hatte er keine Chance mehr. Einen klassischen Angriff von oben brach Hanrek ab, ließ den Stab durch seine Finger nach unten durchgleiten und griff stattdessen von unten an. Rannold wehrte im letzten Moment ab, war aber nicht schnell genug, um die sich daraus entwickelnde Schlagfolge zu meistern. Erst brach Hanrek ihm den Zeigefinger der rechten Hand. Rannold ließ seinen Stab fallen. Damit war die Abwehr von Rannold gebrochen. Augenblicke später verpasste ihm Hanrek in spielerisch aussehenden fließenden Bewegungen satte Schläge auf das linke Auge, das rechte Ohr und die beiden Kniescheiben, ehe er ihm schließlich die Beine weg zog. Dort blieb Rannold wahrscheinlich ohnmächtig liegen.

Hanrek nahm sich nicht die Zeit, das zu prüfen, keiner der Schläge war wirklich gefährlich gewesen. Stattdessen spurtete er zu Tonnir, der immer noch mit der um sich schlagenden und tretenden Miria beschäftigt war, und hatte deshalb nicht auf den Kampf zwischen Rannold und Hanrek achten können.

Beim wild um sich Treten traf Miria immer wieder Tonnirs Pferd, das nicht wusste, wie ihm geschah. Um den Tritten zu entgehen, drehte es sich und machte mehrmals große Sätze nach vorne, um dann wieder abrupt zu stoppen, und warf damit die beiden Kämpfenden auf dem Pferd hin und her. Die Bewegungen des Pferds bewirkten, dass Miria immer wieder die Hände frei bekam, die sie dann benutzte, um Tonnir das Gesicht zu zerkratzen und sich in seine Haare zu krallen.

Tonnir hatte alle Hände voll zu tun und versuchte verzweifelt, Herr der Lage zu bleiben. Als Hanrek die beiden endlich erreichte, genügte ein satter präziser Stockschlag Hanreks von hinten auf den Kopf, um Tonnir wie einen Mehlsack nach hinten vom Pferd kippen zu lassen.

Tonnir merkte, da er ohnmächtig war, gar nicht mehr, dass er die schreiende Miria mit sich zog. Das Knacken, als Mirias Sturz von Tonnirs Körper aufgefangen wurde, klang ziemlich scheußlich und deutete auf mindestens eine gebrochene Rippe hin. Einen Moment lang war Miria die Luft weggeblieben, dann schlug sie noch immer von den Armen des Ohnmächtigen umschlungen wild um sich. Sie kämpfte sich aus dessen Armen und im Aufstehen verpasste Miria ihm noch mit einem kräftigen Schwung ihres Ellenbogens einen Schlag aufs linke Auge. Hanrek war sich sicher, dass Tonnir die nächste Zeit immer dann an Miria denken würde, wenn er sich im Spiegel betrachten würde.

Vor Wut kochend kam Miria hoch und fuhr Hanrek an.

„Warum hat das so lange gedauert, bis du diesem dreckigen Bastard eins verpasst hast.“

Hanrek stotterte etwas perplex eine fadenscheinige Entschuldigung von schmerzenden Beulen an Kinn und Hinterkopf. Als er aber kurz darauf mit seiner Gabe nach Miria spürte, merkte er, dass sie zu Tode verängstigt und gedemütigt war und die Wut nur dazu diente, die Angst und die Demütigung zu verbergen.

„Miria,“, sagte er leise, „ich bin mir sicher, diese beiden werden dir nichts mehr tun. Dafür sorge ich.“

Dabei nahm er sie sachte in den Arm und sprach mit leisen tröstenden Worten auf sie ein.

Einen Moment lang befürchtete Hanrek, dass sie auch auf ihn einschlagen würde aber dann merkte er, wie sie begann sich zu entspannen und mit der Entspannung kamen die Tränen. Eine ganze Weile standen sie so, bis sie von einem Stöhnen gestört wurden.

Tonnir kam zu sich, drehte sich zur Seite und erbrach sich.

Hanrek begann, sich die Schäden anzusehen. Er selbst hatte ein dickes Ei am Kinn von Rannolds Stab und sein ganzer Kiefer schmerzte. Eine empfindliche Beule am Hinterkopf hatte er dort, wo er bei dem anschließenden Sturz auf den Rücken aufgekommen war.

Miria schien keine körperlichen Schäden davon getragen zu haben. Ihre Verletzungen waren seelischer Natur. Aber nachdem sie ihre Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte, die Tränen weggewischt hatte und sie ihre Sachen, die aus ihrem von Rannold achtlos weggeworfenen Bündel gefallen waren, eingesammelt hatte, merkte man ihr zumindest körperlich nicht mehr an, dass ihr gerade übel mitgespielt worden war und sie außerdem vom Pferd gefallen war.

Die Pferde waren nirgends zu sehen. Eine kurze Prüfung mit der Gabe sagte ihm, dass sie kurz hinter der nächsten Wegbiegung angehalten hatten und friedlich am Wegrand grasten.

Hanrek bat Miria.

„Kannst du bitte die Pferde zurückholen. Ich bin sicher, dass sie nicht weit den Weg entlang gelaufen sind.“

Er wollte die Gabe nicht dadurch verraten, dass er zu viel wusste.

„Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um unsere beiden Freunde.“

Widerwillig murrend ging Miria los.

„Sollen diese Bastarde sich doch selbst um ihre Pferde kümmern. Sie hätten es nicht besser verdient, wenn sie den ganzen Weg nach Haffkef laufen müssten ...“

Dann war Miria außer Hörweite, aber Hanrek war sich sicher, dass auch die Pferde noch einiges über ihre Reiter zu hören bekämen. Er war sich außerdem sicher, dass keiner der beiden in der Lage sein würde, nach Haffkef zu laufen.

Er wandte sich Rannold zu, der mittlerweile zu sich gekommen war aber zusammengerollt auf der Seite lag. Als er näher kam, schaute der ihn mit einem glasigen Auge an. Das andere Auge war so dick zugeschwollen, dass er wahrscheinlich wochenlang nur mit einem Auge sehen würde. Aus dem getroffenen Ohr floss ein dünner Faden Blut.

Hanrek stieß ihn mit seinem Stab an.

„Kannst du mich hören?“

Rannold nickte langsam und fast nicht wahrnehmbar.

„Gut. Versuch aufzustehen.“

Ohne Widerrede quälte sich Rannold in eine sitzende Position.

„Ich glaube nicht, dass ich stehen kann“, sagte Rannold stockend, „etwas ist mit meinen Knien. Sie tun furchtbar weh.“

Demnach war Rannold nach dem Schlag aufs Ohr schon weggetreten gewesen und er hatte den letzten Schlag auf die Kniescheiben nicht mehr mitbekommen.

Als Miria mit den Pferden zurück war, bat Hanrek sie auf einem Pferd allein vorauszureiten, um Lucek zu holen. Alleine würde er die Spitzbuben nicht auf die Pferde bekommen und auf Miria Hilfe brauchte er dabei nicht zu hoffen. Er selbst hatte dazu auch keine Lust.

Miria nutzte die Zeit, in der sie zusammen mit Lucek zurück ritt, um ihm zu erzählen, was seine beiden Gehilfen getan hatten und wie es ihnen ergangen war. Hanrek hatte das vermutet und erwartete einen zornigen Lucek.

Lucek war nicht zornig. Er bestand nur noch aus Zorn.

„Keine fünf Minuten kann ich euch alleine lassen, ohne dass ihr euch benehmt wie Strauchdiebe. Belästigt ein Mädchen, dass mir ihre Mutter anvertraut hat, in dem Glauben, dass sie so auf dem Weg nach Haffkef sicher ist.“, brüllte er sie an.

Lucek zerrte Rannold mit brutaler Gewalt auf die Beine und achtete dabei nicht auf dessen gebrochenen Finger. Rannold kam wimmernd hoch, um sofort wieder umzufallen. Ausgerechnet auf seine schmerzenden Knie.

Auch Stunden später hatte Lucek seinen Zorn noch nicht überwunden und war kaum ansprechbar.

Trotzdem wagte es Hanrek, während er neben seinem neuen Meister herlief, ihn zaghaft anzusprechen: „Lucek.“

„Hm.“, kam die brummbärige Antwort von Lucek, was wohl soviel heißen sollte wie: „Was gibt's?“

„Wo werde ich denn in deinem Haus untergebracht? Wo werde ich schlafen?“

Lucek drehte sich zu Hanrek um und schaute ihn direkt an. Verstehen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

„Nach dieser Sache sicher nicht in dem gleichen Raum wie die beiden Kranken, die da hinten auf ihren Pferden wimmern. In Hattkel habe ich auf meiner Rundreise noch einen weiteren Lehrling gefunden. Der kommt in ungefähr zwei Wochen nach Haffkef. Sein Vater bringt ihn. Er ist so alt wie du. Ihr werdet euch gut verstehen, da bin ich mir sicher. Vorausgesetzt du schlägst ihn nicht gleich zusammen, wie die beiden Strauchdiebe da.“, Luceks Züge deuteten trotz seiner Wut fast so etwas wie ein Lächeln an.

„Ihr werdet euch ein Zimmer teilen. Das andere Zimmer teilen sich Rannold und Tonnir.“, dabei sprach er die Namen der älteren Gehilfen aus, als ob er Galle im Mund hätte.

„Im Übrigen werde ich dafür sorgen, dass sie dich in Ruhe lassen. Wenn sie die Lektion, die du ihnen beigebracht hast, noch nicht gelernt haben, werde ich sie ihnen noch mal beibringen.“

Obwohl die eigentlich geplante Mittagspause ausgefallen war, kam die Reisegruppe erst sehr spät in Haffkef an. Sie trennten sich. Hanrek begleitete Miria zu ihrer Tante, die überrascht und hoch erfreut war, ihre Nichte zu sehen. Hanrek verabschiedete sich, nachdem er Miria versprochen hatte, sie regelmäßig zu besuchen und machte sich auf den Weg zu seinem neuen Heim.

Er wurde von einem jungen Stallburschen empfangen. Hanrek stellte sich ihm als der neue Lehrling des Steuereintreibers vor. Sie verstanden sich auf Anhieb. Mico, so hieß der Stallbursche, führte ihn zu seinem Zimmer und wünschte ihm eine gute Nacht. Ehe er ihn alleine ließ, richtete er ihm von Lucek aus, dass er morgen früh frei hätte, sich aber nach dem Mittagessen in seinem Arbeitszimmer einfinden sollte. Die Kerze ließ er ihm da.

Obwohl er sehr müde war, dauerte es lange, bis Hanrek Schlaf fand.

Er wachte früh in der ungewohnten Umgebung auf. Er blieb noch eine ganze Weile mit geschlossenen Augen liegen und lauschte den Geräuschen des erwachenden Hauses. Dann stand er auf und ging auf Erkundungstour.

In der Dunkelheit hatte er bei seiner Ankunft nur sehr wenig von dem Haus gesehen. Jetzt stellte er fest, dass es sich bei dem Haus des Steuereintreibers um ein dreistöckiges Gebäude handelte, das als Nebengebäude zusätzlich einen Stall hatte. Im ersten Stock befanden sich die Küche, der Essraum und einige Lagerräume sowie das Arbeitszimmer von Lucek. Über eine Treppe kam man in das nächste Stockwerk. Hier war er selbst untergebracht und glücklicherweise am anderen Ende des Gangs und damit weit entfernt die beiden Gehilfen. Auch der Meister hatte hier seinen Schlafraum. Es gab außerdem einen Wasch- und einen Schwitzraum. Ging man die Treppe weiter hinauf, gab es unter dem Dach einige weitere kleine Kammern für die Bediensteten. Mico war hier untergebracht aber auch der Koch Zollan.

Der Koch war ein altes, kleines, verschrumpeltes Männlein. Seine munteren Augen standen nie still sondern sie waren immer auf der Suche nach etwas Lustigem, über das er lachen konnte. Und das tat er viel und oft.

„So, so.“, begrüßte er Hanrek mit einem verschmitzten Lächeln um den Mund, als dieser die Küche betrat.

„Du bist also Hanrek, der Drachentöter, der neue Lehrling, in den unser Meister so vernarrt ist. Und wie ich mitbekommen habe, hast du deine ersten beiden Drachen schon erlegt.“

Und schon lachte er los.

Ungefragt goss er Hanrek eine große Tasse Sud ein und sich selbst aus einer Kanne vom Herd ein übel riechendes Gebräu in eine ebenso große Tasse. Dann begann er genüsslich, an seiner Tasse zu schlürfen.

„Und welche Variante der Geschichte von gestern hast du gehört?“, fragte Hanrek.

„Oh.“, lachte Zollan keckernd.

„Es hat sich niemand bequemt mir eine Geschichte zu erzählen, auch wenn ich gerne Geschichten höre. Aber man schnappt so dies und das auf. Es wurde gestern Abend noch ein Heiler gerufen, der sich die beiden Tunichtgute angesehen hat. Der Abzugsschacht vom Herd führt genau an dem Raum der beiden vorbei. Nicht dass ich gelauscht hätte, aber einige Brocken des Gesprächs habe ich schon mitbekommen.“

Hanrek war sich sicher, dass Zollan gelauscht hatte, behielt das aber für sich.

Zollan fuhr fort.

„Ganz besonders gut habe ich den Meister verstanden. Er sprach ganz im Gegensatz zu sonst recht laut. Es war sozusagen klar und deutlich zu verstehen, was er sagte und ich bin mir ziemlich sicher, dass Rannold und Tonnir ihn auch verstanden haben.“

Erneut kam eine keckernde Lachsalve als Untermalung des Gesagten.

„Ich würde mich aber freuen, wenn ich die gestrige Geschichte, wie du sie genannt hast, aus erster Hand hören könnte.“, dabei grinste er Hanrek so verschmitzt und drollig an, dass Hanrek sich bereit erklärte, die gestrige Geschichte zu erzählen. Dabei achtete er darauf, dass er nicht zu nah am Abzugsschacht des Herds saß, denn was in die eine Richtung funktionierte, konnte auch in die andere Richtung funktionieren.

Kurz darauf setzte er seinen Rundgang fort und kam in den Hof des Hauses. Dort blieb er erst einmal mit offenem Mund stehen. Der Hof war rechteckig und mit Steinplatten ausgelegt. In einer Ecke war ein Geräteschuppen und in der anderen Ecke ein kleines Kräuterbeet. In der Mitte befand sich ein Brunnen. Der Hof war von einer halbhohen Mauer umgeben, die Hanrek bis zur Brust ging.

Aber es war nichts im Hof gewesen, was Hanrek so überrascht hatte, sondern was dahinter lag. Direkt an den Hof des Steuereintreibers grenzte ein weiterer Hof oder besser gesagt ein Garten. Und in der Mitte des Gartens stand ein Heronussbaum. Das Besondere an diesem Baum war jedoch, und Hanrek prüfte das mit seiner Gabe, nachdem er einen schnellen Schritt ins Kräuterbeet getan hatte, dass er tot war. In dem gegenüberliegenden Garten stand ein riesiges fast weißes Gerippe von einem Heronussbaum.

Tiefe Trauer überkam Hanrek, als er den toten Baum sah. Wie alt musste dieser Baum gewesen sein, bevor er gestorben war? Wie lange stand dieses Gerippe schon so da, wie Hanrek es jetzt sah? Ein Denkmal eines großartigen und langen Baumlebens.

Noch etwas Besonderes gab es an diesem Baum zu sehen. Und das war etwas, was Hanrek nie erwartet hätte, jemals bei einem Heronussbaum zu sehen. Er war von oben bis unten gespalten. Ein Blitzschlag? Eine andere Erklärung bot sich Hanrek nicht. Er nahm sich vor, weitere Erkundigungen über diesen Baum und seine Geschichte einzuholen.

Als er mit der Erkundungstour im Haus fertig war, beschloss er den Kreis etwas zu erweitern und die Stadt zu erkunden. Dafür hatte er noch genügend Zeit bis zum Mittagessen.

Als Hanrek an der Küche vorbei kam, rief ihn Zollan hinein. Zollan hatte vermutet, dass Hanrek in die Stadt gehen wollte, und bat ihn, einige Besorgungen auf dem Markt für ihn zu machen. Da Hanrek einwilligte, gab er ihm eine kleine Geldbörse, die Hanrek sicher in seinen Kleidern verstaute, und erklärte ihm schließlich, an welchem Marktstand er welche Dinge erstehen sollte. Die Liste war nicht sonderlich lang und sie gab Hanrek ein Ziel, das er schon von früheren Besuchen in der Stadt kannte. Früher war er ein paar Mal mit seinem Vater nach Haffkef gefahren, um auf dem Markt verschiedene Lebensmittel zu verkaufen. Daher wusste er, wie die Geschäfte auf dem Markt liefen.

Wie jedes Mal, wenn er bisher in die Stadt Haffkef gekommen war, fand er die Stadt laut und voll, aber es gab auch jede Menge zu sehen. Auf dem Weg zum Markt kam er durch ein Viertel mit vielen Läden und Handwerkern. Er wusste nicht ob es so hieß aber er taufte es für sich das Händlerviertel. Von Uhrenmachern über Schmuckgeschäfte, Stoffmachern, Schneidereien, Waffenmachern, Steinmetzen, Hufschmieden, Bäckereien, Metzgereien, Schreinereien, Barbieren, Steingutbrennereien und vielen anderen Läden mehr, war alles zu finden.

An so mancher Auslage blieb Hanrek stehen und bestaunte Dinge, die er in seinem Heimatdorf selten oder nie zu sehen bekam.

Was er immer erschreckend und doch auch faszinierend fand, war, dass so viele Menschen unterwegs waren und er niemanden kannte. Hanrek kannte in Hallkel jeden. Auch im Nachbardorf Hannkel kannte er die meisten. Er hatte dort sogar einige Verwandte.

An dem Laden eines Instrumentenbauers blieb er lange stehen, schaute sich alle Instrumente an, ließ sich das eine oder andere Instrument erklären und entdeckte schließlich eine kleine Flöte aus ganz hellem Holz. Das Holz hatte fast die gleiche Farbe wie sein Stab, als dieser noch ungefärbt war. Auch diese Flöte ließ er sich vorspielen und der Klang faszinierte ihn.

Er fragte den Verkäufer.

„Ist diese Flöte aus Heronussbaum, weil sie so hell ist?“

Der Verkäufer brach in schallendes Gelächter aus.

„Nein. Wenn ich hier eine Flöte aus Heronussbaum hätte, würde ich sie verkaufen und mir dann ein Haus in Ventef kaufen. Nichts für ungut, mein Junge. Ist nicht böse gemeint, wenn ich lache. Eine Flöte aus Heronuss. Das wäre was. Man sagt einer Flöte aus Heronuss nach, dass sie magische Kräfte hat. Ich selbst habe aber weder eine gehört noch gesehen. Wenn du mal eine hörst, kannst du mir ja dann Bescheid geben.“, und dabei lachte er noch mal ausgiebig.

Das vertrieb Hanrek aus seinem Laden.

Als er an einem Laden mit exotischen Tieren vorbei kam, sprach ihn der Ladenbesitzer an.

„He Junge. Willst du einen Affen kaufen? Er kostet nicht viel.“

Hanrek blieb stehen. In dem Laden gab es mehrere kleine Äffchen, außerdem Vögel und einige Tiere, die Hanrek noch nie gesehen hatte. Es war ein ziemlicher Lärm in dem Laden.

„Was würde denn einer kosten?“, fragte Hanrek.

„5 Kronen.“

Das war eine Menge Geld.

Wenn jemand im Königreich Kronen sagte, meinte er Silberkronen. Eine Silberkrone war so viel wert wie Hundert Kupferlinge und Hundert Silberkronen gaben eine Goldkrone. Aber eine Goldkrone hatte Hanrek noch nie gesehen. In Hallkel war keiner reich, und wenn einer eine Goldkrone besaß, dann zeigt er sie sicher nicht herum.

Zollan hatte Hanrek einen Geldbeutel mit zwanzig Kupferlingen mitgegeben. Damit würde er alle Einkäufe erledigen können und würde noch Geld übrig behalten. Als Hanrek an das Geld und die Einkäufe dachte, die er noch zu erledigen hatte, hatte er es auf einmal eilig. Er hatte zu lange herum getrödelt und jetzt würde er es wahrscheinlich gerade noch so bis zum Mittagessen schaffen, aber nur wenn er sich sehr beeilte. Er ließ ohne ein Wort den Ladenbesitzer stehen und ging schnell in Richtung Markt.

Verärgert rief ihm der Ladenbesitzer nach.

„Du hättest ja wenigstens versuchen können zu handeln, du Bastard.“

Hanrek beachtete sein Rufen nicht und eilte weiter. Er wollte nicht schon beim ersten Mal zu spät sein oder Zollan die versprochenen Dinge nicht mitbringen. Schnell kaufte er die Sachen ein und schaffte es dann gerade noch rechtzeitig, bis zum Mittagessen zurück zu sein.

Nach dem Mittagessen, das aus einem würzigen wohlschmeckenden Eintopf bestand, fand sich Hanrek wie gewünscht im Arbeitszimmer von Lucek ein. Der Raum war funktionell und weitgehend schmucklos eingerichtet. Die Ausstattung bestand aus einem Schreibtisch in der einen Ecke, einigen Stühlen in der anderen Ecke und Büchern und gestapelten Akten in Regalen an den Wänden.

Lucek kam gleich zur Sache, und erläuterte Hanrek, wie sein Tagesablauf in der nächsten Zeit aussehen würde.

„Sobald der andere Lehrling aus Hattkel eingetroffen ist, bekommt ihr morgens zusammen Unterricht bei einem Lehrer, den ich ins Haus bestellt habe. Den genauen Lehr- und Zeitplan bekommt ihr dann vom Lehrer. Bis aber der Lehrling da ist, hilfst du mir morgens im Arbeitszimmer beim Akten Aufräumen und Sortieren. Durch das Erdbeben sind viele Akten komplett verloren gegangen, einige konnten aus den Trümmern gerettet werden. Sauber gemacht haben wir sie schon aber sie müssen neu sortiert werden. Viele Akten sind miteinander vermischt worden. Vielleicht können wir aus den vorhandenen Akten auch Teile der verloren gegangenen Akten rekonstruieren. Wenn nicht, müssen diese neu angelegt werden. Es gibt jede Menge zu tun und jedes Mal, wenn ich mich damit beschäftige, wird der Berg Arbeit größer anstatt kleiner.“

„Nachmittags bekommt ihr dann zweimal in der Woche Kampfunterricht. Für zwei Lehrlinge wollte ich keinen eigenen Ausbilder einstellen. Deshalb habe ich mich mit der Bruderschaft des Baums geeinigt, dass ihr dort mit trainieren dürft.“, fuhr Lucek fort.

„Bruderschaft des Baums. Was ist das?“, fragte Hanrek.

„Wenn du in unseren Hof gehst, siehst du das Gebäude gegenüber. Vielleicht hast du es ja schon gesehen. Dort hat die Bruderschaft des Baums ihren Sitz. Sie verehren den toten Heronussbaum in ihrem Garten oder so etwas Ähnliches. Die Bruderschaft geht auf irgendein altes Gesetz eines lange verstorbenen Königs zurück. Die Bruderschaft bekommt sogar von den Steuergeldern, die wir eintreiben einen gehörigen Batzen ab. Wenn du mich fragst, gehört das Gesetz abgeschafft. Aber wenigstens muss ich für eure Teilnahme an der Kampfausbildung nichts extra bezahlen, da wir die Kerle ja sowieso durchfüttern.“, erklärte Lucek.

Hanrek erinnerte sich seiner Absicht, sich nach dem toten Baum zu erkundigen und er fand das war eine günstige Gelegenheit damit anzufangen.

„Weißt du etwas über diesen toten Baum? Wie lange ist er schon tot? Warum ist er gespalten?“

Lucek schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung, keine Ahnung und keine Ahnung, um deine drei Fragen zu beantworten. Warum interessiert dich der Baum? Willst du dir etwa einen Ast abbrechen? Das vergiss gleich wieder. Sich einen Ast von einem Heronussbaum abbrechen zu wollen ist genauso schwer, wie das goldene Drachenei in Kiroloom stehlen zu wollen.“

Hanrek hatte noch nie von einem goldenen Drachenei in Kiroloom gehört, aber er wollte nicht nachfragen.

„Nun, wo war ich stehen geblieben. Ja, eigentlich war die Kampfausbildung von Rannold und Tonnir schon zu Ende. Aber ich habe mich entschlossen, dass sie, sobald sie dazu wieder in der Lage sind, noch mal mittrainieren sollen. Nachdem sie sich gestern ziemlich blamiert haben und zu zweit keine Chance gegen dich hatten, tut ihnen das sicher gut. Die Bruderschaft zählt ungefähr zwanzig Brüder. Dann seid ihr eine große Gruppe und habt damit viele wechselnde Gegner. Ich weiß nicht viel von der Bruderschaft, aber zumindest so viel weiß ich, dass die interne Hierarchie streng nach Alter geregelt ist. Der älteste Bruder hat bei allem das Sagen. Ist der älteste Bruder nicht da, dann bestimmt der Zweitälteste und so weiter. Übrigens bitte achte bei den Kampfübungen darauf, dass du nicht auf Rannold und Tonnir triffst. Ich will nicht schon wieder Schwerverletzte in meinem Haus.“

„Die anderen vier Tage in der Woche helft ihr mir bei verschiedenen Dingen. Wir haben zweimal in der Woche Sprechstunde hier im Haus. Die wird zwar noch nicht so gut angenommen, wie ich mir das wünsche aber das wird schon werden. Es gibt Tage, an denen ich die Handwerker und Ladenbesitzer in der Stadt besuche. Zweimal im Jahr, aber das hast du ja mitbekommen, statte ich den Dörfern einen Besuch ab. Es muss außerdem das Kassenbuch geführt werden. Um die Weiterleitung der eingetriebenen Steuern müssen wir uns kümmern und vieles mehr.“

Lucek erläuterte noch viele Details, ehe er von seinem Stuhl aufstand und sagte.

„Ich habe jetzt gleich einen Termin beim Tef und muss los. Du beginnst deine Arbeit damit, dass du dir die Akten hier drüben anschaust. Die sind schon sortiert und sollten stimmen.“

Lucek deutete auf einen kleinen Berg Akten in einem der Regale.

„Versuch das System zu begreifen, wie sie geordnet sind. Dort drüben sind die unsortierten Akten.“

Lucek deutete auf einen viel größeren Berg in einem anderen Regal.

„Schau, ob du schon was vorsortieren kannst. Aber vermische bitte die unsortierten nicht mit den sortierten. Wie wir da vorgehen, darüber reden wir noch mal.“

Und damit ging er aus dem Raum und überließ Hanrek seiner Arbeit.

In den nächsten Tagen wühlte sich Hanrek mehr und mehr durch die Akten und beschäftigte sich so intensiv damit, dass er schon nachts anfing, davon zu träumen. Es war keine Arbeit, die wirklich Spaß machte, aber Hanrek arrangierte sich mit ihr.

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