Читать книгу: «Die Bruderschaft des Baums», страница 2

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Hanrek nahm sich das zu Herzen und übte so oft er konnte. Immer dann, wenn er seine Pflichten im Haus, Stall und auf den Feldern erfüllt hatte, nahm er seinen Stab und ging zum Üben auf eine nahe gelegene aber einsame Lichtung im Wald. Im Unterschied zu den gemeinsamen Übungsstunden hatte er bei seinen eigenen Übungseinheiten den Waldboden unter sich und konnte dadurch die Gabe einsetzen. Der Stab, den er dadurch erspüren konnte, wurde damit fast zu einem weiteren Körperteil. Mühelos gingen ihm deshalb die Bewegungen in Fleisch und Blut über. Das Gefühl für Bewegung und Stab ging ihm nach einer Weile auch in den gemeinsamen Übungsstunden auf Stein nicht verloren, sodass er schnell seinen Freunden voraus war. Da er schneller lernte als die anderen, zeigte Spartak ihm früher als den anderen neue schwerere Übungen. Auch diese lernte er sehr schnell.

Immer größer wurde der Abstand zu seinen Freunden und immer schwerere Aufgaben forderte Hanrek von Spartak, sodass dieser am Ende einer Übungsstunde im Sommer Hanrek anerkennend anlächelte und sagte.

„So Hanrek. Ich kann dir jetzt nichts Neues mehr beibringen. Du kannst alles, was ich kann und mehr. Und ich halte mich für einen guten Stockkämpfer.“

Das Urteil des Ausbilders wurde auch an den Tischen in der Dorfschenke diskutiert. Mehr als einmal kam Pirion abends mit stolz geschwellter Brust nach einem Bier aus der Schenke nach Hause, nachdem ihm seine Freunde anerkennend auf die Schulter geklopft hatten und ihm zu seinem Sohn gratuliert hatten.

Seine Eltern Zaras und Pirion merkten, dass sich Hanrek nach etwas mehr Freiraum und Freiheit sehnte und so entbanden sie ihn, nachdem im Sommer die Last der Arbeit nicht mehr ganz so drückend war, für einzelne halbe Tage von seinen Pflichten, die er immer gewissenhaft und gründlich erledigte. An diesen Tagen stand er morgens noch früher auf und eilte sich bei seinen Aufgaben, sodass er um die Mittagszeit fertig war. Dann packte er sich schnell etwas Proviant ein, schnappte sich seinen Stab und machte sich auf zu langen Wanderungen, in denen er bis zu den Ausläufern des nahen Gebirges kam.

Hanrek merkte, dass sich die Gabe langsam veränderte. Bisher hatte er sie empfunden wie ein Zuhörer, wie ein Aufwachender, der morgens im Halbschlaf den vielstimmigen melodischen Morgengesang der Vögel hört, ihn in seinen Traum einwebt und daraus für den Rest des Tages Kraft tankt. Nun fühlte er sich plötzlich in der Lage, dem harmonischen Gesang der Natur einzelne leise und zarte Töne hinzuzufügen. Leise, zart und vorsichtig mussten die Töne hinzugefügt werden, damit sie die Gesamtharmonie nicht zu stark veränderten oder sie gar für eine gewisse Zeit in einen Missklang verwandelten. Er unterstützte hier einen verkümmerten Grashalm beim Kampf um etwas mehr Licht. Er half dort einem Schmetterling, der es nicht schaffte, beim Schlüpfen seinen Kokon abzustreifen. Hanrek wusste, dass die Natur seiner Hilfe nicht bedurfte, aber, da sie wohl dosiert war, schadete sie auch nicht.

***

Hanrek döste vor sich hin. Er war an der entferntesten Stelle seiner Wanderung angekommen, und bevor er den Rückweg antreten wollte, ruhte er sich an einen Baum gelehnt noch etwas aus. Die Augen hatte er geschlossen und er ließ die Gabe schweifen. Er hatte seine Freude daran, eine Biene zu verfolgen, die an einer Blume eine Blüte nach der anderen anflog und dort nach Nektar saugte. Immer dann, wenn sie eine Blüte verließ und dadurch der Kontakt zu ihr abriss, versucht Hanrek zu erraten, auf welcher Blüte sie als nächstes landen würde. Hanrek war eins mit der Natur und er fokussierte sich ganz auf die nahen Blumen.

Was ihn warnte und hochschrecken ließ, war daher nicht seine Gabe sondern ein Zweig, der in der verträumten Ruhe so laut knackte wie ein Peitschenknall. Momente später hatte sich Hanrek einen Überblick verschafft.

Es handelte sich um eine große Zahl Männer, alle wie Jäger angezogen aber bewaffnet wie Krieger, die im Abstand von fünfzig Schritt zueinander in einer Reihe hintereinander direkt an ihm vorbei gingen. Sie gingen entspannt und doch konzentriert nach allen Seiten Ausschau haltend an ihm vorbei. Die Stelle, an der Hanrek saß, war von ihrer Position eigentlich gut einsehbar. Dass sie ihn noch nicht entdeckt hatten, lag wahrscheinlich einzig und allein daran, dass er sich die ganze Zeit nicht bewegt hatte und das wollte er auch weiterhin nicht tun, solange diese Männer in der Nähe waren.

Hanrek hatte keine Ahnung, wer diese Männer waren, sie sahen irgendwie fremdländisch aus und sehr kriegerisch. Sie machten ihm Angst. Waren dies Räuber, gab es vielleicht doch Räuber hier in der Gegend. Nein, entschied sich Hanrek, wie Räuber sahen sie nicht aus. Dafür waren sie zu gut gekleidet. Räuber stellte sich Hanrek irgendwie zerlumpter vor. Diese Männer sahen sehr diszipliniert aus, wie sie da an ihm vorbeizogen.

Und dann geschah es. Einer der Männer drehte seinen Kopf in seine Richtung und sah ihm direkt ins Gesicht. Der Mann war genauso erschrocken wie Hanrek, aber das währte nur einen kurzen Moment, denn dann stieß er ein lautes Kommando aus. Hanrek wartete nicht darauf, was daraufhin passieren würde, sondern er griff sich sein Bündel und seinen Stab und verschwand in die Büsche.

Er rannte so schnell er konnte. Mithilfe seiner Gabe stellte er fest, dass sie ihn verfolgten. Sie schwärmten aus, einige hatten ihre Schwerter gezogen und andere hatten ihre Bögen bereit gemacht.

Was wollten diese Männer von ihm? Er war ein armer Wanderer. Er hatte kein Geld bei sich, außer seinem Messer und seinem Bogen hatte er keine Waffen, er hatte nicht einmal Essen, das sie ihm abnehmen konnten. Hanrek lief. Es war ihm egal, was sie von ihm wollten. Er wusste nur eines. Er hatte große Angst vor ihnen.

Sie waren gut durchtrainiert und Hanrek schaffte es nicht, sie abzuschütteln. Er versuchte Haken zu schlagen aber wahrscheinlich machte er zu viel Lärm, sodass sie genau wussten, wo das Wild war, dass sie erlegen wollten.

Ranken zerrten an seinen Kleidern, dünne Äste schlugen ihm ins Gesicht und hinterließen dort rote Striemen. Hanrek spürt die Schmerzen nicht, er dachte nur an Flucht, er wusste, er musste diesen Männern entkommen. Er wusste instinktiv, hier ging es um sein Leben.

Sein Atem ging stoßweise, seine Seite stach. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Einer der Männer kam ihm immer näher, andere fielen dagegen zurück, ja es waren sogar die meisten, zu denen er den Abstand erheblich vergrößern konnte. Jetzt blieben sogar einige stehen und gaben die Verfolgung auf, doch der, der ihm am nächsten war, war nicht darunter, dieser holte im Gegenteil immer weiter auf. Die ursprünglichen fünfzig Schritt Vorsprung waren auf zwanzig Schritt geschrumpft. Die Angst und die Verzweiflung gaben Hanrek neue Kraft. Er lief und lief. Wenn er sich umdrehte, konnte er seinen Verfolger sehen. Leichtfüßig und mit federndem Schritt lief dieser und wich dabei elegant den Ästen aus, die durch Hanreks Flucht hin und her schwangen. Hanrek wurde klar, dass er diesem Läufer nicht entkommen würde. Verzweifelt sah er sich nach Rettung um, aber er wusste nicht, nach was er eigentlich suchen sollte. Fieberhaft erkundete er die Gegend vor sich mit der Gabe. Doch was würde ihm helfen.

Plötzlich wusste er, was er zu tun hatte. Er musste sich seinem Gegner stellen aber einen offenen Kampf konnte er nicht riskieren. Es gab noch andere Verfolger, die zwar zurückgefallen waren, die aber sehr schnell aufholen würden, wenn er sich zu einem fairen Kampf stellen würde.

Hanrek suchte die Gegend ab, suchte nach einer Stelle, die ihn retten würde und dann entdeckte er sie. Er schlug einen Haken und rannte auf die Stelle zu. Es war eine Hecke aus Schlingpflanzen, die mehrere Bäume überwuchert und die Räume zwischen den Bäumen wie einen Vorhang vollständig ausgefüllt hatte. Die Hecke sah fast aus wie eine grüne Wand, sie war aber durchlässig.

Hanrek brach durch die Hecke hindurch. Wie er gehofft hatte, schwangen die herunterhängenden Äste der Schlingpflanzen zurück und bildeten hinter ihm erneut eine scheinbar undurchdringliche Wand. Hanrek blieb schwer keuchend und mit hoch rotem Kopf stehen und ging direkt hinter der Hecke in Stellung. Die Schlingpflanzen verdeckten ihn vollständig und damit waren sie perfekt für seinen Hinterhalt. Nur Momente später brach der Mann kraftvoll wie ein Wildschwein an fast der gleichen Stelle wie Hanrek durch die Hecke. Die Arme und Hände hielt er zum Schutz vor den Ranken vor sein Gesicht.

Hanrek zögerte nicht. Er packte seinen Stab mit fester Hand und donnerte ihn seinem Verfolger auf den Hinterkopf. Ohne einen Laut von sich zu geben, ging der Mann ohnmächtig zu Boden und rührte sich nicht mehr.

Hanrek gönnte sich noch einige erleichterte tiefe Atemzüge, bevor er verdeckt durch die Hecke seine Flucht fortsetzte. Der Vorsprung zu den restlichen Verfolgern war nach wie vor groß und jetzt war es ein Leichtes, die restlichen Verfolger abzuschütteln.

Körperlich und geistig völlig erschöpft kam Hanrek in Hallkel an, und nachdem sich die Nachricht von seinem Abenteuer im Wald herumgesprochen hatte, gab es natürlich im ganzen Dorf kein anderes Gesprächsthema mehr. Hanrek wurde lang und ausführlich befragt und danach wurde die Dorfwehr in Bereitschaft versetzt. Auch die Nachbardörfer wurden informiert. Vierzehn Tage lang wurden Wachen aufgestellt und die Dorfwehr patrouillierte ums Dorf aber nichts geschah und allmählich beruhigte man sich wieder und die Sache geriet langsam in Vergessenheit.

In der Folgezeit unternahm Hanrek keine größeren Wanderungen mehr, davon hatte er erst einmal genug. Er konnte den Vorfall nicht so schnell vergessen. Stattdessen machte er lieber kürzere Ausflüge in den nahen Wald. Meistens suchte er sich eine Waldlichtung und übte dort mit seinem Stab, manchmal war ihm aber auch mehr nach Bogenschießen zumute.

Mehr als einmal hatte er dabei das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden. Er suchte die ganze Gegend mit seiner Gabe ab, konnte aber niemanden entdecken und trotzdem ließ das Gefühl nicht nach. Es kribbelte ihn am ganzen Körper und ganz besonders an einer Stelle zwischen den Schulterblättern, genau dort, wo die Hand nicht mehr hinreichte, um sich zu kratzen. Hanrek hatte auch das Gefühl verfolgt zu werden, ständig drehte er sich nach Verfolgern um, um dann festzustellen, dass niemand da war, der ihn verfolgte. Dabei konnte er mithilfe der Gabe rundum die Gegend auf mögliche Verfolger prüfen und tat es auch. Und trotzdem.

Er schämte sich davon seinen Eltern zu erzählen und nach einer Weile tat er es als Spinnerei ab, die ihn als eine Folge des Ereignisses mit den fremden Männern im Wald anhing.

Erst nach Monaten war auch für Hanrek so viel Gras über die Sache gewachsen, dass er wieder eine größere Wanderung unternahm. Hanrek schlug dieses Mal eine andere Richtung ein als in seinen früheren Wanderungen. Er orientierte sich mehr in Richtung Fluss und er war dort weit in den Wald vorgedrungen.

Er hatte sich der Gabe weit geöffnet und genoss das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, das sich ergab, wenn ihm die Sonnenstrahlen mal direkt ins Gesicht fielen und mal von den Ästen und dem Blätterwerk der Bäume aufgehalten wurden.

Plötzlich spürte Hanrek über die Gabe eine Präsenz, die er vorher noch nie wahrgenommen hatte. Alarmiert blieb er stehen. Er konzentrierte sich und stellte fest, aus welcher Richtung die Empfindungen kamen. Dann wandte er sich in diese Richtung und ging zielsicher aber langsam und vorsichtig darauf zu. Die Präsenz war stark. Sie vermittelte Hanrek ein Gefühl von väterlicher Kraft und Stärke. Wenn er sie hätte beschreiben müssen, hätte er sie als königlich bezeichnet.

Er kam auf eine Lichtung und da stand er. Ein Heronussbaum. Hanrek hatte schon viel über diese Bäume gehört, aber dies war der erste, den er sah. Der Baum war riesig und seine ausladenden Äste reichten weit bis in die Lichtung hinein. Er wurde von der Sonne beschienen und seine sanft schaukelnden Blätter funkelten wie Gold. Hanrek blieb bewundernd am Rand der Lichtung stehen, genoss den Anblick und gab sich der Ruhe und dem Frieden hin, die der Baum ausstrahlte.

Der Heronussbaum war sehr selten im Königreich. Alles an dem Baum war wertvoll. Aus der harten dicken Rinde, die der Baum alle paar Jahre in Teilen abwarf, konnte man Holzschalen und Teller fertigen. Ihre glatt polierte Oberfläche schimmerte samtig und silbrig.

„Wer einen kompletten Satz Teller und Schüsseln aus Herorinde besitzt, kann auch den König zum Essen einladen.“, lautete ein Sprichwort im Königreich.

Das Holz des Heronussbaums bestand aus zwei Teilen, der äußeren weicheren Schale und dem harten Kernholz. Die Bezeichnung weiche Schale war eigentlich falsch, denn sie vermittelte den Eindruck, dass das Holz weich war. Die weichere Schale war härter als alle anderen Holzarten, die man kannte. Eine Säge oder Axt wurde schon an der weichen Schale sehr schnell stumpf, wenn man versuchte diesen Baum zu fällen. Man konnte einen Heronussbaum nicht fällen. Das Kernholz des Baumes war so hart, dass eine Axt eher zerbrach, als dass sie dem Baum eine merkliche Kerbe zugefügt hätte. Auch Feuer konnten dem Heronussbaum wenig schaden. Die Rinde und die Blätter konnten zwar einfach verbrannt werden. Bei der Schale tat man sich schon schwerer und das harte Kernholz war nicht brennbar. Dabei waren sowohl das Holz der Schale als auch das Kernholz sehr leicht. Wenn man das Holz der Schale zu Pulver zerrieb, war es für Heiler sehr wertvoll. Sie verwendeten es in kleinen Dosen in ihren Heiltränken. Es verbreitete einen unvergleichlichen Wohlgeruch, wenn man nur eine winzige Menge des pulverisierten Holzes verbrannte. Und schließlich war da die Heronuss, die Frucht des Baums. Heronussbäume trugen nur sehr unregelmäßig Früchte und dann auch nie mehr als 10 Früchte auf einmal. Man konnte die Früchte zwar pflücken, aber nur wenn sie vom Baum gefallen waren, waren die Früchte in der Lage zu keimen. Der Baum trug seine Früchte oft bis zu 3 Jahre, bevor sie reif waren und herunter fielen. Auch keimten die Früchte nicht in unmittelbarer Nähe eines anderen Heronussbaums.

„Eine ganze Reihe von Gründen, warum dieser Baum so selten vorkommt.“, hatte Zacharia der Dorfgelehrte gesagt, von dem Hanrek alles erfahren hatte, was er über den Baum wusste.

Was Zacharia ihm aber nicht sagen konnte, war, wie man das harte Kernholz bearbeiten konnte.

„Wenn weder Säge, Axt noch Feuer dem Holz etwas anhaben können, wie kann man dann Gegenstände aus ihm fertigen, eine Schale, ein Schmuckstück oder etwas anderes?“, hatte er im Unterricht gefragt.

„Das mein Junge“, hatte der Dorfgelehrte geantwortet, „ist das Geheimnis der Handwerker von Fissool. Diese Handwerker sind dazu in der Lage, aber sie hüten das Geheimnis wie ihre Augäpfel. Das Geheimnis wird von Generation zu Generation weitergegeben aber es darf nie die Handwerkerzunft in Fissool verlassen.“

Zuletzt hatte Zacharia beschrieben, dass die Nuss ungefähr walnussgroß sei und heruntergefallene Früchte gern von Feldmäusen „gestohlen“ werden.

„Stellt euch vor, was es für den Besitzer eines Heronussbaums heißt, wenn er 3 Jahre lang auf das Herabfallen der Nuss wartet und er dann feststellen muss, dass die Nuss zwar endlich heruntergefallen ist, dass aber eine freche Feldmaus nachts die kostbare Frucht als Wintervorrat in ihren Bau geschleppt hat. Daher werden in der Nähe des Baums immer viele Katzen gehalten.“

An all das musste Hanrek denken, als er verträumt an der Lichtung stand. Langsam und ehrfürchtig ging er auf den Baum zu. Als er nur noch ein paar Schritte vom Stamm entfernt war, sah er, wie auf der anderen Seite des Stamms ein Rabe mit seinem scharfen Schnabel etwas bearbeitete, das er mit seinen Krallen festhielt.

Mit einer Vorahnung eilte Hanrek auf den Vogel zu, der krächzend davon hüpfte und beleidigt seinen Schatz im Stich ließ.

Staunend betrachtete Hanrek, was der Rabe bearbeitete hatte.

Es war tatsächlich eine Heronuss.

Hanrek kramte in seinem Bündel und warf dem Raben einen Bissen von seinem Essen hin. Der Rabe stürzte sich auf den Ersatz für die Nuss und war besänftigt.

Eine Weile bestaunte Hanrek noch den Schatz, bevor er die Heronuss äußerst sorgsam in seinem Bündel verstaute.

Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, da fiel sein Blick auf einen Ast, der unter dem Baum im Gras lag.

„Donnerwetter ...“, entfuhr es Hanrek, „... heute habe ich aber Glück.“

Im Gras lag tatsächlich ein armdicker langer gerader Ast vom Heronussbaum. Die Blätter am Ast waren schon lange verdorrt aber dem Holz selbst merkte man nicht an, wie lange es schon im Gras gelegen hatte. Hanrek vermutete, dass ein Blitz in den Baum eingeschlagen hatte und dabei der Ast abgebrochen war. Er fand das war die einzig logische Erklärung. Er untersuchte den Ast und erkannte an der Bruchstelle tatsächlich eine Art Brandspur.

Als Hanrek nach einer Weile die Lichtung verließ, ließ er die Gabe fließen und versuchte dem Baum seinen Dank für Nuss und Ast zu vermitteln. Fast kam er sich dabei vor, wie ein kleiner Junge, der sich artig bei seinem Großvater für ein kostbares Geschenk bedankt. Zappelig und aufgeregt, weil er das Geschenk am liebsten gleich ausprobieren will und verlegen vor der Präsenz und Autorität des Großvaters. Der Eindruck verstärkte sich noch, als er das Gefühl hatte, dass ihm der Baum huldvoll zusprach.

Erregt kam er spät am Abend nach Hause. Als er seinen Eltern von den gefundenen Schätzen erzählte, übertrug sich die Aufregung auf die ganze Familie. Man beschloss, gleich am nächsten Tag über die weitere Verwendung von Ast und Nuss zu reden.

„Ich könnte die Nuss im Garten einpflanzen.“, schlug Hanrek vor.

Alle stimmten sofort zu.

„Bleibt nur die Frage wo.“, meinte Pirion.

„Am besten direkt in der Mitte, da hat er den meisten Platz.“

Auch dieser Vorschlag von Hanrek wurde angenommen.

Die Frage mit der Nuss war also schnell geklärt. Über den Ast diskutierten sie länger. Schließlich einigten sie sich darauf, dass sie sich vom Dorfschreiner Till Werkzeug leihen wollten. Anschließend wollten sie das Holz der Schale zerkleinern und dann zu Pulver zermahlen. Für das Mahlen wollten sie den Müller Smit um seine Unterstützung bitten. Was sie mit dem harten Kern machen würden, ließen sie sich offen, da sie noch nicht wussten, wie dieser aussehen würde.

Pirion und Hanrek suchten zuerst den Schreiner auf. Der erklärte sich gerne bereit, das gewünschte Werkzeug zur Verfügung zu stellen.

„Wenn ihr beim Schälen Hilfe braucht, ihr wisst ja, wo ich zu finden bin“, bot Till seine Hilfe an.

Es war harte Arbeit. Nach zwei Tagen hatte Hanrek das Holz der Schale vom Kern getrennt. Einen weiteren Tag benötigte er, um das Holz möglichst gut zu zerkleinern.

Für Hanrek war der Kern des Astes eine große Überraschung und eine große Freude. Als er Stück für Stück die Schale abschälte, kam ein langer heller Stab zum Vorschein. Der Stab war an dem einen Ende durch den Blitzschlag ganz gerade. Am anderen Ende, das entsprach der Stelle, wo der Ast in kleinere Äste verzweigt war, war er abgerundet. Der ganze Stab war bis auf eine kleine Erhebung an einer Stelle in der Mitte vollkommen glatt. Es war ein perfekter Stab für den Kampf.

Auch der Müller Smit erklärte sich bereit zu helfen.

„Hm.“, brummte er, als Hanrek mit dem Holz der Schale kam.

„Dann versuchen wir mal unser Glück.“

Diese Arbeit fand Hanrek wesentlich angenehmer. Einen ganzen Tag ließ der Müller die Mühlsteine angetrieben durch den Dorfbach auf dem Holz kreisen. Dann war er mit dem Ergebnis zufrieden.

„Bring mir morgen davon meinen Anteil, was immer ihr für angemessen haltet.“, brummte Smit in seinen Bart, als er ihm den Ledersack mit dem Holzmehl überreichte.

Ehrfürchtig saß die ganze Familie um den Küchentisch, auf den sie den Ledersack gestellt hatten.

„Ein wertvoller Schatz, der da auf dem Tisch steht.“, wiederholte Pirion zum wohl dritten Mal.

„Nun gut.“, holte Zaras tief Luft.

„Wie teilen wir ihn auf?“

Sie verständigten sich darauf, dass die Familie die Hälfte des Holzes behalten sollte. Von der anderen Hälfte zweigten sie etwas für Till, etwas für Smit und etwas für die Heilerin Kissas ab. Den Rest dieser Hälfte durfte Hanrek alleine behalten. Kissas war immer auf der Suche nach Heilkräutern und mit dem Überlassen des Holzes taten sie für das ganze Dorf eine gute Tat.

„So. Und jetzt müssen wir entscheiden, was mit dem Kern passieren soll.“

Pirion deutete auf den Kern des Astes, der fast nachlässig in der Ecke der Kammer an der Wand lehnte.

„Holst du ihn bitte her und legst ihn auf den Tisch, Hanrek.“

Folgsam stand Hanrek von seinem Stuhl auf, griff nach dem Kern und legte ihn behutsam in die Mitte des Tischs.

„Ich glaube mit dem musst du nicht ganz so sorgsam umgehen. Der bekommt nicht mal eine Schramme, wenn Tarpon unser Ackergaul mit seinen schweren Hufeisen darauf herumtrampelt.“, lachte Pirion.

Hanrek hatte vor der Unterredung seine Mutter beiseite genommen und ihr blumig seine Wünsche bezüglich des Kerns erzählt.

Seine Mutter hatte sich alles ruhig angehört und am Ende einfach gesagt.

„Wir werden sehen, Hanrek.“

Hanrek befürchtete das Schlimmste. Eigentlich hatte er doch den Ast gefunden. Seine Eltern mussten doch einsehen, dass ihm der Stab zustand. Er hatte doch schon die kostbare Heronuss und die ebenfalls wertvolle Schale in den Dienst der Familie gestellt.

In einem unbeobachteten Moment hatte er den Kern zärtlich in die Hand genommen und ihn dann ein paar Mal wie einen Kampfstab geschwungen. Er lag herrlich in der Hand, so leicht, so griffig. Sie konnten doch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, den Kern für etwas anderes zu verwenden, ihn am Ende in Stücke schneiden zu lassen von diesen Leuten in Fissool. Wie würde er dort überhaupt hinkommen, was würde das kosten? Aber nichts von alledem sagte er nun. Er würde nicht auf seinem Recht bestehen, sondern sich dem Urteil der Eltern beugen. Er vermutete, dass der Stab ein Vermögen wert war. Dieses Geld konnten seine Eltern insbesondere nach dem Erdbeben gut gebrauchen.

Seine Eltern schauten sich lange an. Seine Mutter nickte seinem Vater fast unmerklich zu. Sie hatten lange über den Stab diskutiert und die Entscheidung war ihnen nicht leicht gefallen.

„Hm.“, sagte Pirion nach einer Weile.

„Ich habe Zacharia den Kern gezeigt und er schätzt, …“, Pirion stockte und zögerte das Ganze in die Länge, doch dann grinste er seinen Sohn spitzbübisch an „… dass Hanreks Kampfstab so viel wert sein könnte wie das ganze Dorf zusammen.“

Im ersten Moment wollte es Hanrek nicht gelingen zu verstehen, was sein Vater da gesagt hatte. Dann schlug er eine Hand vor den Mund.

Stonek grinste und sagte altklug.

„Jetzt hat Hanrek der Drachentöter einen legendären Kampfstab.“

So oft er konnte, verfolgte Hanrek in den nächsten Tagen mit seiner Gabe, wie die frisch eingepflanzte Nuss keimte. Schon nach wenigen Tagen zeigte sich der erste zarte Spross, der wie ein sehr kleiner Maulwurf die Erde vor sich herschiebt, einen kleinen Hügel aufwirft und dann den Kopf aus dem Hügel streckt.

Dann plötzlich war die Zeit für eigene Vergnügungen vorbei. Die Zeit der Ernte war da und für alle im Dorf gab es nur noch dieses Thema. Von früh bis spät waren alle verfügbaren Kräfte auf den Feldern. Man hatte vorher im Dorfrat einen Plan ausgearbeitet, in welcher Reihenfolge man die Felder abernten wollte. Und wie jedes Jahr kam immer alles ganz anders. Achsen von großen Karren brachen, Werkzeuge zerbrachen, Kinder wurden krank und mussten von ihren Müttern gepflegt werden, Brände brachen aus und das Wetter tat natürlich nie das, was es nach dem Plan des Dorfrats hätte tun sollen. Die Liste der Katastrophen war endlos. Alles in allem eine ganz normale Ernte.

Aber nicht für Hanrek. Sein Vater hatte ihm ein paar Tage vor der Ernte eine Sense in die Hand gedrückt und ihm gezeigt, wie man damit umgeht. Die erste Erfahrung, die Hanrek dabei gesammelt hatte, war die, dass er beim Sensen die Gabe besser nicht benutzte. Die dauernden gewaltsamen Eingriffe bei Gras und Getreide waren wirklich sehr unangenehm.

Hanrek hatte sich also wie jeder andere Schnitter vor einem Getreidefeld eingereiht und gemeinsam arbeiteten sie sich in das Feld hinein.

Was anfangs wie leichte Arbeit gewirkt hatte, wurde, je länger sie dauerte, zur reinsten Qual. Die Blasen an den Händen wurden erst riesig, dann blutunterlaufen bis sie letztlich zu Stellen an den Händen wurden, in die bei jedem neuen Streich heißes Blei gegossen wurde. Die ständige Drehbewegung sorgte dafür, dass ihm die Wirbelsäule und die ganzen Beine schmerzten. Wenn er sich abends ins Bett legte, konnte er trotz seiner Müdigkeit vor Schmerzen nicht einschlafen. Dann dachte er an Miria.

Durch eine glückliche Fügung war Miria dazu eingeteilt, hinter ihm das geschnittene Getreide zu Garben zu binden. Hanrek hatte sein Hemd abgelegt und arbeitete mit nacktem Oberkörper und kam sich dabei sehr männlich vor. Doch Hanrek tat sich nach wie vor schwer bei der Unterhaltung mit Miria und auch Miria schien nicht ganz unbefangen, daher unterhielten sich die beiden nur einsilbig und verkrampft.

Doch genauso wie die körperlichen Schmerzen eines Morgens bei Hanrek besser waren - die Muskulatur entkrampfte sich, auf den Blasen bildete sich dicker Schorf und schließlich ebenso dicke Schwielen - genauso entspannte sich die Situation zwischen Miria und Hanrek. Ausschlaggebend hierfür war ein Apfel mit dem dazugehörigen Wurm.

Die ganze Gruppe machte eine kurze Pause und Hanrek setzte sich unter den Schatten eines Apfelbaums. In dem Moment, in dem er sich entspannt mit dem Rücken an den Stamm lehnte, fiel ihm von oben ein großer Apfel auf den Kopf. Miria brach daraufhin in schallendes Gelächter aus. Gar kein Halten gab es mehr, als Hanrek ganz verdutzt den Apfel in die Hand genommen hatte und ein Wurm den Kopf aus dem Apfel gestreckt hatte. Er wand sich torkelnd aus dem Fruchtfleisch und machte den Eindruck, als hätte er zu tief ins Bierglas geschaut. Sie lachten beide, bis sie nicht mehr konnten.

Den Apfel zerschnitt Hanrek geschickt mit seinem Messer in drei Teile. Den einen Teil gab er Miria, den zweiten Teil behielt er und den dritten faulen Teil setzte er behutsam mit dem Wurm beiseite. Der Apfel war süß und der Saft lief ihnen an den Seiten der Mundwinkel hinunter. Danach waren sie beide in der Lage, entspannter miteinander umzugehen.

„Halt, nicht“, rief Miria laut.

Hanrek, der mitten in der Bewegung war, fuhr zusammen aber schaffte es, die Bewegung abzubrechen.

Diesmal waren sie beim Heu machen und Miria belud den Heuwagen mit dem Gras, das Hanrek vor ihr mit der Sense schnitt.

„Ich glaube, ich habe einen Hasen im Heu gesehen.“

Hanrek prüfte kurz die Gegend vor sich. Er stoppte den Fluss der Gabe sofort wieder. Miria hatte recht. Da saß unmittelbar vor ihm zusammen geduckt und sehr gut getarnt ein junger Hase im hohen Gras.

Ganz vorsichtig beugte er sich herunter und nahm das Langohr sachte auf den Arm. Das Herz des Häschens raste und es zitterte am ganzen Leib.

„Wenn du nicht gerufen hättest, hätte ich ihn getötet.“, sagte Hanrek bestürzt zu Miria.

„Ich danke dir.“

Einen Moment lang sah Miria Hanrek auf eigentümliche Weise an. So hatte sie ihn noch nie angesehen. Dann sagte sie leise, um den Hasen nicht noch mehr zu ängstigen.

„Setz' ihn da drüben am Waldrand auf den Boden. Dort wird ihm nichts geschehen.“

Zusammen gingen sie eng über das Häschen gebeugt zum Wald. Dort setzte Hanrek das zitternde kleine Häufchen Fell auf den Boden. Wie der Blitz und im Zickzack flitzte der junge Hase davon, sodass er in wenigen Augenblicken verschwunden war. Sie schauten ihm trotzdem noch einige Momente hinterher. Verstohlen schaute Hanrek zu Miria hinüber. Er wollte etwas besonderes sagen und er hätte gerne ihre Hand in seine genommen. Aber seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet und als er auf seine Hände hinunter sah, merkte er, dass sie von der Arbeit ganz schmutzig waren. Und dann strich sich Miria eine Strähne ihres Haars nach hinten, seufzte, drehte sich vom Waldrand weg und der vertraute Moment war vorüber.

So schnell, wie die Ernte über das Dorf hereingebrochen war, so schnell war sie auch wieder beendet. Natürlich gab es im Nachgang und als Vorbereitung auf den Winter immer noch sehr viel Arbeit. Die Arbeit in einem Bauerndorf endete nie. Aber zumindest gestanden Pirion und Zaras Hanrek wieder ab und zu einige freie Zeit für sich selbst zu. Es war wenig genug, und da die Tage kürzer wurden, wurde das wenige an Zeit noch einmal verkürzt.

Hanrek nutzte die Zeit, um seinen Stab auf seiner abgelegenen Lichtung gebührend einzuweihen. Der Stab war himmlisch und es war eine Wonne, mit ihm die Übungen zu machen.

Nach einer dieser Übungseinheiten schlenderte Hanrek verschwitzt in Richtung Dorf. Als er die Straße vom Dorf nach Haffkef kreuzte, erspürte er, dass aus Richtung der Stadt noch verborgen durch die nächste Biegung eine Gruppe von drei Reitern kam. Sie ließen ihre Pferde im Schritt gehen. Im ersten Moment dachte Hanrek wieder an sein Erlebnis mit den Männern im Wald. Daher blieb er zunächst verborgen von Büschen am Wegrand stehen und wartete auf die Gruppe.

Als sie näher kamen, erkannte Hanrek, dass einer der Reiter die Abzeichen für den Steuereintreiber des Königs trug. Über die Gabe erspürt Hanrek, dass bei dem Pferd des Mannes vorne rechts ein Stein unter dem Hufeisen eingeklemmt war. Das Tier hatte schon ganz leicht angefangen diesen Fuß zu schonen und in nicht all zu langer Zeit würde es deutliche Beschwerden haben.

Die anderen beiden Reiter waren wohl Gehilfen. Der Steuereintreiber war ein großer breitschultriger Mann, mit markanten Gesichtszügen, die aber nicht unfreundlich wirkten. Sein Haar war glatt nach hinten zu einem Zopf gekämmt.

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9783847633525
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