Читать книгу: «Die Bruderschaft des Baums», страница 5

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Von Rannold und Tonnir bekam er fast nichts zu sehen. Diese leckten ihre Wunden, und wenn er einen der beiden traf, gingen sie wortlos aneinander vorbei und warfen sich nur böse Blicke zu.

Was Hanrek richtig Spaß machte, waren die Übungsstunden bei der Bruderschaft. Die Übungsstunden fanden, auch wenn es langsam kalt wurde, im Garten der Bruderschaft auf einem Areal mit festgetretenem Lehm statt, direkt in Reichweite des toten Baums. Die Unterlage aus Lehm kam Hanrek natürlich sehr entgegen, da sie ermöglichte, dass er seine Gabe einsetzen konnte. Das verhalf ihm dazu, dass er mit seinem Können wiederum einen guten Sprung nach vorne tat. Für die Brüder diente der Kampf nicht dazu jemanden anzugreifen oder sich zu verteidigen sondern lediglich als Mittel um die eigene Mitte zu finden, damit sie besser meditieren konnten.

Er freundete sich mit einem gleichaltrigen Jungen namens Jorgen an und dieser erläuterte ihm, was die Bruderschaft tat und warum sie es tat.

„Die Bruderschaft des Baums gibt es aufgrund der Prophezeiung des Baums. Vor ungefähr 800 Jahren hat der damalige König bei einer Reise durchs Land auch die Stadt Haffkef besucht, und als er den Baum sah, machte er eine Prophezeiung.“

Jorgen sprach die folgenden Worte mit feierlicher Miene und fast wie ein Gebet.

„Jahrhunderte wird es dauern, da wird ein junger Mann diesen toten Baum durch seine geistige Stärke wieder zum Wachsen bringen. Dann steht das Schicksal des Königreichs auf des Messers Schneide. Dieser junge Mann wird das Schicksal des Königreichs entweder zum Guten oder zum Schlechten wenden. Er wird Ruhm erlangen und ein Held sein oder zusammen mit dem Königreich namenlos untergehen.“

Dann fuhr er mit seinen Erläuterungen fort.

„Damals wurde die Bruderschaft des Baums gegründet. Es kann ihr nur beitreten, wer mindestens fünfzehn Jahre alt und männlich ist. Und wenn man älter als einundzwanzig Jahre ist, muss man sie wieder verlassen. In diesen Jahren versuchen wir, durch Meditation die Prophezeiung zu erfüllen und den toten Baum wieder zum Wachsen zu bringen. Und derjenige, der es irgendwann schaffen wird, den werden wir als den obersten Bruder ehren und ihm bei seiner schweren Aufgabe mit allen Mitteln unterstützen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie dieser Baum wieder wachsen soll, wo er doch schon seit mindestens 800 Jahren tot ist.“, sagte Hanrek.

„So wie du denken viele. Deshalb wird die Zahl der aktiven Brüder auch immer kleiner. Einst waren es Hunderte, heute sind wir gerade mal noch zwanzig.“, antwortete Jorgen.

„Was passiert mit denen, die die Bruderschaft verlassen müssen?“, fragte Hanrek.

„Da ihre Chance vertan ist, den Baum wieder zum Wachsen zu bringen, dürfen sie keine aktiven Brüder mehr sein. Sie werden feierlich verabschiedet, bleiben aber ihr Leben lang der Bruderschaft verpflichtet. Das heißt, sie gehören dann zur Armee der Bruderschaft und die wird dem obersten Bruder für seine Aufgabe ebenfalls zur Verfügung stehen. Wir alle bekommen beim Eintreten in die Bruderschaft auf den Rücken der linken Hand das Symbol des Baums eintätowiert. Und wenn der oberste Bruder ruft, werden alle kommen, egal wo sie sind und was sie gerade tun.“

„Lucek hat mir erzählt, dass es ein Gesetz des Königs gibt, das dafür sorgt, dass ihr mit Geld versorgt werdet.“, bemerkte Hanrek.

„Ja.“, bestätigte Jorgen, „das Gesetz ist schon sehr alt und oft bestand die Gefahr, dass das Gesetz von Königen aufgehoben wird. Aber wir hatten in Kiroloom schon immer einflussreiche Brüder, die es geschafft haben, das zu verhindern. Wir hoffen, dass das Gesetz auch in Zukunft bestehen bleibt.“

Nach zwei Wochen kam wie erwartet der Lehrling aus Hattkel. Er war ein langer Schlacks mit einem freundlichen Gesicht. Sein Name war Binno. Wie Lucek vermutet hatte, verstanden sich die beiden auf Anhieb sehr gut. Hanrek führte Binno herum, zeigte ihm alles, warnte ihn vor den beiden Gehilfen und stellte ihm alle anderen Personen des Haushalts vor. Die Arbeit, die Hanrek bisher schon viel Spaß gemacht hatte, machte jetzt noch mehr Spaß, da er einen Kumpan hatte, mit dem er sie gemeinsam tun konnte. Sie lachten viel und gingen öfter gemeinsam in die Stadt, wenn sie Zeit dazu fanden. Häufig schlossen sich ihnen auch der Stallbursche Mico und der Bruder Jorgen an.

Für eine Gruppe von vier halbwüchsigen jungen Männern bot die Stadt viele Abenteuer. Hanrek stellte fest, dass es Mico faustdick hinter den Ohren hatte. Der Stallbursche kannte sich gut in der Stadt aus und zwar auch in Gegenden, in denen er sich nicht hätte auskennen sollen. Immer dann, wenn Mico die Führung übernahm, kamen sie in so manche düster wirkende Schenke, in denen das Bier billig war aber schal schmeckte und in denen dafür umso kräftiger gespielt wurde. Gerne setzte er dann auch einige Kupferlinge und manchmal gewann er sogar.

Eines Abends hatte Mico wieder einmal die Führung übernommen. Er hatte sie zu einer windschiefen Hütte gebracht und fröhlich mehrere windige Gesellen begrüßt, die ihn alle zu kennen schienen. In einer Ecke war ein munteres Kartenspiel im Gange. Zielsicher ging Mico zu dem Tisch und fragte, ob er mitspielen dürfe. Gerne wurde er in der Runde aufgenommen. Hanrek und die beiden anderen wurden gefragt, ob sie nicht auch mit tun wollten, sie lehnten aber dankend ab. Sie zogen sich stattdessen Stühle heran, bestellten sich jeder ein Bier und begannen sich zu unterhalten. Nur hin und wieder warfen sie einen Blick auf die Kartenspieler. Vor Mico häufte sich so nach und nach ein immer größer werdender Berg Münzen. Man merkte ihm an, dass er in guter Stimmung war. Die drei bestellten sich jeder ein zweites Bier. In der Hütte brummte es vor Geschrei, Lachen und Gesang.

Plötzlich ging alles sehr schnell. Am Kartentisch wurden Stühle umgestoßen, es flogen Gläser und Münzen auf den Boden und es begann eine wilde Rauferei zwischen einem der Spieler und Mico. Der breitschultrige Gegner Micos war um einiges älter und ein wahrer Hüne, der ihn mindestens um einen Kopf überragte. Er schaffte es Mico in eine Ecke zu drängen und ihn mit beiden Armen zu umklammern, sodass dieser sich nicht mehr rühren konnte. Mico holte kräftig aus und trat ihm mit der Stiefelspitze gegen das Schienbein. Aufheulend knickte der Getroffene ein, verlor das Gleichgewicht und zusammen krachten sie auf den Boden. Der Hüne lockerte dabei seinen Griff und Mico schaffte es fast, sich aus der Umklammerung zu lösen. Er holte Schwung mit dem Kopf und donnerte dem Hünen seine Stirn direkt auf die Nase. Damit hatte er sich genug Raum und Zeit verschafft, um aufzuspringen und etwas Distanz zwischen sich und den Hünen zu bekommen. Dieser kam brüllen vor Wut und aus der Nase blutend wieder auf die Beine, holte aus um Mico einen Kinnhaken zu verpassen. Doch Mico war schneller. Als der Schlag kam, duckte er sich, schlüpfte wieselflink an dem Hünen vorbei und rammte ihm den Ellenbogen mit voller Wucht in die Nieren. Vor Schmerz schrie der Hüne auf und ging zu Boden, wo er sich um Luft ringend wälzte.

Mico ging seelenruhig zum Spielertisch, warf den anderen Spielern einen feindseligen Blick zu, las die Münzen auf, von denen er annahm, dass sie ihm gehörten, warf dem Wirt eine Krone zu, die dieser geschickt mit einer Hand auffing, und nickte dann seinen Freunden zu.

„Lasst uns gehen.“

Die drei machten, dass sie Mico aus der Hütte folgten, bevor jemand auf die Idee kam, sie aufzuhalten.

„Mann, das war aber eine üble Schlägerei.“, sagte Jorgen.

„Na ja. So schlimm war sie nun auch wieder nicht. Ich habe ja noch nicht einmal meine Messer einsetzen müssen.“, sagte Mico und bückte sich, um aus seinem rechten Stiefelschaft ein langes dünnes Messer zu ziehen. Sofort ließ er es wieder zurück gleiten.

„Warum habt ihr euch überhaupt geschlagen?“, fragte Hanrek.

„Er hat behauptet ich spiele falsch.“

„Und hast du?“, fragte Hanrek.

Mico grinste.

„Wenn ich nicht falsch gespielt habe, ist ja wohl klar, dass ich mich schlagen muss, um zu zeigen, dass ich unschuldig bin und er mich mit seiner Frage beleidigt hat. Und wenn ich falsch gespielt habe, kann ich das ja wohl schlecht zugeben, also muss ich so tun, als ob er mich beleidigt hätte. Nach so einer dummen Behauptung muss es also zwangsläufig zu einem Kampf kommen.“

Mit diesen Worten drückte sich Mico um eine ehrliche Antwort, was darauf schließen ließ, dass er tatsächlich falsch gespielt hatte.

Nach diesem Erlebnis gingen sie zwar weiterhin gerne mit Mico in die Stadt, sie achteten aber immer darauf, dass nicht er sondern einer der anderen die Führung übernahm.

Nachdem jetzt Binno angekommen war, hatte auch die Zeit begonnen, in der sie morgens gemeinsam von einem Lehrer Unterricht bekamen. Der Lehrer hatte die Aufgabe ihnen alles beizubringen, was sie als Gehilfen eines Steuereintreibers benötigen würden.

Er hieß Fisilio und war noch recht jung. Er kam aus Kiroloom und hatte sich entschlossen, das ganze Königreich zu bereisen. Auf dieser Reise war er auch in den nördlichen Teil des Königreichs gekommen. Nun brauchte er Geld, um seine Reise fortsetzen zu können.

Er unterrichtete sie auf interessante und natürliche Weise. Beide Lehrlinge hatten große Freude seinem Unterricht zu folgen und lernten spielend.

Neben dem eigentlichen Lernstoff fand Fisilio immer wieder Zeit, ihnen von seinen Reisen zu erzählen. Er erzählte ihnen auch viel über Kiroloom und den König.

„Sag mal Fisilio. Was hat es eigentlich mit dem goldenen Drachenei in Kiroloom auf sich?“, fragte Hanrek in einer Unterrichtsstunde, als Fisilio wieder einmal über seine Heimatstadt Kiroloom berichtete.

„Das Drachenei, das ist eine geheimnisvolle Sache.“, freute sich Fisilio wie immer, wenn einer der Lehrlinge ihm eine interessierte Frage stellte, insbesondere dann, wenn diese Frage ihm daraufhin gestattete, eine interessante Geschichte zu erzählen.

„Ob der Gegenstand, der als Drachenei bezeichnet wird, tatsächlich ein Drachenei ist, oder einfach nur ein eiförmig geformter Goldklumpen, schon das kann oder will einem niemand genau erzählen. Bei dem Drachenei, bezeichnen wir es trotzdem so, handelt es sich wahrscheinlich um den bestbewachten Gegenstand im Königreich.“, begann er seine Erläuterungen.

„Es wird rund um die Uhr von einer ganzen Kringe Soldaten bewacht. Und das sind Elitesoldaten, die normalerweise dazu da sind, den König zu beschützen. Es wird in einem eigens dafür reservierten Raum der Schatzkammer gelagert. Gesehen hat das Drachenei kaum je einer, weil es nicht öffentlich zur Schau gestellt wird. Und ihr wisst, wie das mit solchen Dingen ist, um die viele Geheimnisse gemacht werden. Es ranken sich schnell Legenden um solche Gegenstände und sie sind in den Geschichten doppelt so groß, doppelt so schwer oder doppelt so hoch, wie sie eigentlich in Wirklichkeit sind, da jeder, der die Geschichte hört und weitererzählt, ein Stück dazu dichtet. Was man weiß ist, dass sich das Drachenei in einer Steintruhe befindet. Manche sagen, dass es darin aufbewahrt wird, weil es so hell glänzt, dass man davon blind wird, wenn man es ansieht. Andere sagen, dass es dort aufbewahrt wird, damit es seine Farbe behält und um es vor der Alterung zu schützen, wie man es auch bei anderen Kunstschätzen tut. Was der wirkliche Grund ist, weiß ich nicht, und vielleicht hat man es auch einfach vergessen. Jedenfalls ist das goldene Drachenei sehr sehr alt und von unschätzbarem Wert und so mancher Kunstsammler würde eine riesige Menge Goldkronen dafür bezahlen, um es in seine Sammlung aufnehmen zu können. Aber das Drachenei wird nicht verkauft, sondern es gehört zum Kronschatz. Trotzdem wurde schon oft versucht, das Drachenei zu stehlen. Und ihr wisst, dass auf Bestehlen des Königs die Höchststrafe steht.“

„Aber Hanrek, ich glaube nicht, dass du Angst haben musst, dass aus dem Drachenei tatsächlich einmal ein Drache schlüpft, den du dann töten musst.“, beendete er das Thema mit einem Augenzwinkern in Richtung Hanrek.

Schuldbewusst erinnerte sich Hanrek nach vier Wochen, dass er Miria versprochen hatte, sie regelmäßig zu besuchen. Die ersten vier Wochen waren so arbeits- und erlebnisreich gewesen, dass er es tagsüber nicht geschafft hatte, sie zu besuchen.

Bei der nächsten Gelegenheit, die es ihm ermöglichte, ging er in das Händlerviertel und erstand für einige wenige Kupferlinge ein schönes Paar Ohrringe, das er Miria als kleines Geschenk mitbringen wollte. Dann machte er sich auf den Weg zum Haus von Mirias Tante.

Miria machte ihm sofort Vorhaltungen, dass er sich so lange nicht hatte sehen lassen. Sie freute sich aber sehr über das kleine Geschenk und war sofort besänftigt.

Sie bekam von ihrer Tante ein paar Stunden frei und die beiden zogen los für einen Spaziergang. Miria plapperte munter drauflos und berichtete über ihr neues Zuhause, ihre Arbeit und was sie hier alles Tolles gelernt hatte. Auch Hanrek berichtete, was er die letzten vier Wochen erlebt hatte.

Dann fragte Hanrek sie.

„Miria, hast du manchmal Heimweh nach Hallkel?“

Miria drehte sich um und sah ihn nachdenklich an.

Dann sagte sie leise.

„Ja. Meine Mutter vermisse ich sehr. Ich vermisse auch, die Ruhe, die man in Hallkel manchmal hat. Ich habe einen Lieblingsplatz in unserem Garten hinter dem Haus. Dort konnte ich mich im Sommer abends stundenlang hinsetzen und war ungestört und dort habe ich den Vögeln gelauscht.“

Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort.

„Hier haben wir keinen Garten, und wenn ich mich ans Fenster setze, und versuche den Vögeln zu lauschen, dann gibt es einfach keine Ruhe. Ein Karren fährt vorbei, ein Kunde streitet sich mit dem Verkäufer gegenüber, es gibt immer ein Geräusch, das einen ablenkt und stört. Wobei im Moment ist es sowieso zu kalt, um sich ans Fenster zu setzen. Hast du gemerkt, heute Morgen hat es schon geschneit und meine Tante und ich wir haben uns entschlossen noch mehr Holz für den Winter zu kaufen. Wir glauben nämlich, dass es ein sehr kalter Winter wird. Unser Nachbar meint, dass es ein milder Winter wird, weil die Apfelblüte dieses Jahr so spät war. Das halte ich für kompletten Blödsinn.“

Und damit war Miria erneut ins Plappern gekommen. Hanrek schmunzelte in sich hinein. Es war nicht immer so gewesen, dass sie sich so ungezwungen und einfach hatten unterhalten können.

Der Winter kam dieses Jahr zwar spät, aber dann umso heftiger. Es fielen Unmengen von Schnee. Hanrek und Binno, die sich um das Schneeschippen kümmern mussten, konnten die weiße Masse schon nicht mehr sehen. Anders als in ihren Dörfern, in denen das Dorfleben im Winter fast vollständig zum Erliegen kam, ging das Leben in der Stadt weiter. Der Markt fand nicht mehr im Freien sondern in den Markthallen statt und das Angebot war natürlich wesentlich begrenzter.

Das Training in der Bruderschaft fand jetzt doch nicht mehr im Freien statt, da dafür einfach zu viel Schnee lag. Tonnir nahm mittlerweile an den Übungen teil, da seine Rippen geheilt waren, Rannold konnte aber aufgrund seiner Kniebeschwerden weiterhin nicht teilnehmen. Der Heiler äußerte die Vermutung, dass er dauerhaft links ein wenig Humpeln würde.

Die Stimmung zwischen den Lehrlingen und den Gehilfen war eisig. Binno hatte sich natürlich auf die Seite von Hanrek geschlagen. Lucek war über die Situation nicht glücklich, konnte und wollte aber auch nichts tun, solange sie sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlugen und die Feindschaft sich darauf beschränkte, dass es kleine Wortgefechte und Reibereien gab. Mit ihren Akten kamen sie langsam aber kontinuierlich voran. Mit Miria traf er sich regelmäßig und manchmal nahm er zu den Treffen auch Binno mit. Die abendlichen Touren mit Binno, Jorgen und Mico schliefen in dieser extrem kalten Zeit fast ein. Das Leben hatte sich für Hanrek und Binno eingespielt und wurde fast schon zur Routine.

Irgendwann begann der Schnee zu schmelzen und der Frühling brach an. Lucek nutzte die Gelegenheit, um zu einer seiner Rundreisen auf die Dörfer aufzubrechen. Dazu nahm er Tonnir und Binno mit. Die beiden anderen sollten sich um die Angelegenheiten im Haus kümmern. Rannold um die Sprechstunden und Hanrek um die Akten.

Eines Morgens kam Hanrek in die Küche und fand dort Rannold vor, wie er sich gerade wieder an den Tisch setzte, an dem meist schnell und kurz gefrühstückt wurde. Sonst war niemand im Raum. Rannold schaute nur kurz auf und tat dann betont unbeteiligt. Hanrek wurde stutzig. So kannte er Rannold gar nicht. Dass er nicht grüßte, war normal. Aber sonst hatte er für Hanrek immer einen provozierenden Spruch auf Lager. Gut, heute eben nicht. Nun vielleicht gab er es ja langsam auf ihn immer provozieren zu wollen.

Einen Augenblick später wusste Hanrek, dass er sich getäuscht hatte. Als er die alte eiserne Kanne, die immer mit fertigem Kräutersud auf dem Herd stand, in die Hand nahm, um sich einen Sud einzuschenken, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Mit einem Aufschrei ließ er die Kanne fallen. Der heiße Sud spritzte in alle Richtungen.

Gar nicht überrascht sah Rannold ihn an und fragte unschuldig.

„Hast du dich verbrannt? Du musst das nächste Mal besser aufpassen.“

Als Hanrek laut fluchend die schmerzende Innenfläche seiner Hand betrachtete, sah er, dass die ganze Innenfläche der Hand verbrannt war. Dort wo sich am Griff der alten Sudkanne ein Muster befunden hatte, gruben sich besonders hässliche Brandwunden tief ein. Es roch nach verbranntem Fleisch. Rannolds Werk.

Eilig ging er zu dem Eimer mit Wasser, der immer zum Schutz gegen Feuer neben dem Herd bereitstand, um seine Hand darin zu kühlen. Der Eimer war leer. Auch das war Rannolds Werk, da war sich Hanrek sicher.

Hektisch rannte er auf den Hof, um aus dem Brunnen Wasser zu ziehen. Ungewöhnlicherweise war die Kette von der Kurbel abgerollt, der Eimer hing demzufolge unten im Wasser. Mühsam und unbeholfen drehte Hanrek mit der gesunden Hand an der Kurbel. Das Gewicht des Eimers war ungewöhnlich schwer. Es dauerte endlos, bis der Haken endlich oben am Anschlag blockierte. Doch was an dem Haken hing war nicht der Eimer sondern ein großer Ast von einem Baum. Einen Moment lang starrte Hanrek fassungslos auf das Holz bis er begriff, dass auch dies Rannolds Werk war. Er ließ die Kurbel los und der große Ast rauschte wieder nach unten, wo er mit einem großen Platsch auf die Wasseroberfläche aufschlug. In seiner Not sprang Hanrek schließlich über die Mauer in den Garten der Bruderschaft, um dort irgendwo Kühlung für seine Hand zu finden.

Bei der Bruderschaft störte er die Morgenmeditation der Brüder, was ihm böse Blicke und einige tadelnde Worte einbrachte. Jorgen begriff als erster, was Hanrek mit seinem Gestammel wollte und führte ihn schnell in die Küche. Dort endlich bekam er die benötigte Kühlung.

Rannold hatte die erste Gelegenheit, die sich ergeben hatte, genutzt, um sich hinterhältig an Hanrek zu rächen. Er hatte den Griff der Sudkanne so lange in der Glut erhitzt, bis dieser kurz vor dem Glühen war. Als er hörte, dass Hanrek gleich in die Küche kommen würde, hatte er die Kanne vorsichtig, damit er sich die Finger nicht verbrannte, wieder auf den Herd gestellt, wo sie üblicherweise den ganzen Morgen für das Frühstück stand. Jeder konnte sich dann, wann immer er wollte, einen Sud eingießen. Genau das hatte Hanrek tun wollen und nun saß er mit einer verbrannten Hand in der Küche der Bruderschaft.

Der Koch der Bruderschaft versorgte die hässlichen Wunden mit einem dicken Salbenverband und riet ihm, einen Heiler aufzusuchen.

Der gleiche Heiler, der auch Rannold und Tonnir nach ihrer Auseinandersetzung mit Hanrek versorgt hatte, kümmerte sich noch vor der Mittagszeit um die Hand von Hanrek. Der Heiler war sich sicher, dass Hanrek die Hand wieder würde ganz normal gebrauchen können, aber es würde eine Weile dauern und es würden einige hässliche Narben zurückbleiben. Er machte ihm genau wie der Koch zuvor einen dicken Salbenverband, gab ihm einen Tiegel mit Salbe mit und beschrieb ihm, wie er die Hand behandeln sollte.

Die Folge der Brandwunde war, dass Hanrek die nächsten Wochen nicht arbeiten konnte. Nach seinem Einzelunterricht morgens bei Fisilio, Binno war mit Lucek und Tonnir noch unterwegs, nahm er sich den Nachmittag frei. Er setzte sich in den Hof ins Kräuterbeet und ruhte sich aus. Er nutzte die Zeit, um viele Bücher aus Luceks Bibliothek zu lesen.

Nachdem er jetzt fast schon ein halbes Jahr in Haffkef war, kam er erst jetzt einmal dazu, zu beobachten, wie die Bruderschaft meditierte. Die Brüder kamen in einer langen Schlange feierlich und mit gemessenem Schritt aus dem Haus, umrundeten den toten Baum einige Male und setzten sich dann in Meditationshaltung um den Baum. Mit geschlossenen Augen meditierten sie den ganzen Nachmittag und standen dann plötzlich wie auf ein geheimes Kommando hin gleichzeitig wieder auf. Genauso wie sie gekommen waren, gingen sie auch wieder in einer langen Schlange zurück ins Haus. Dabei wurde die ganze Zeit kein einziges Wort gesprochen. Hanrek war ehrlich beeindruckt.

Beim zweiten Mal, als er die Prozedur sah, fühlte er sich animiert, ebenfalls die Augen zu schließen und zu meditieren, was bei Hanrek hieß, dass er die Gabe fließen ließ und sich ihr ganz hingab.

Er hatte in der Zeit, in der er in Haffkef war, selten Zeit gefunden, sich der Gabe hinzugeben, da der Takt in der Stadt einfach anders schlug als im Dorf. Die Benutzung der Gabe hatte wie immer zur Folge, dass er sich entspannte und Frieden fand. Er begann die Nutzung der Gabe im Kräuterbeet und dehnte sie nach und nach aus bis über den ganzen Garten der Bruderschaft. Auch den toten Baum sparte er nicht aus, sondern erforschte ihn in allen Einzelheiten. Er konnte die glatte Oberfläche des Kerns fühlen, als würde er mit seinen Fingern darüber streichen. Er untersuchte auch die zerfaserten und rauen Stellen, an denen der Baum gespalten war. Jeden einzelnen Zentimeter des Spalts untersuchte er fast zärtlich. Dann fuhr er mit der Gabe die Wurzeln entlang.

Die dünnsten Teile der Wurzeln waren über die Jahrhunderte in der Erde zersetzt worden, aber die etwas gröberen Teile der Wurzeln, die aus Kernholz bestanden, waren erhalten und das seit weit über 800 Jahren. Die Wurzeln reichten sehr tief in die Erde. Er fühlte bis in die kleinsten erhaltenen Fasern hinunter und darüber hinaus.

Doch plötzlich stockte er. Er prüfte noch einmal. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Tief unter dem Wurzelwerk des Baums lagerte eine Heronuss. Er wusste sofort, dass es eine Heronuss war, da er ja im letzten Sommer selbst eine gefunden und eingepflanzt hatte. Ja er hatte sie sogar beim Wachsen unterstützt. Vor hunderten von Jahren musste irgendein längst gestorbenes und vergessenes Tier die Nuss in seinen Bau getragen haben. Der Fund erfüllte Hanrek mit Freude.

In den nächsten Tagen verbrachte Hanrek jede freie Minute im Kräuterbeet. Bis spät in die Nacht saß er dort, wenn möglich.

Die anderen Bewohner des Hauses begannen sich Sorgen zu machen, da sich Hanrek in ihren Augen doch etwas seltsam benahm. Sie vermuteten, dass ihn der Anschlag von Rannold aus der Bahn geworfen hatte und sie hofften, dass Lucek bald zurückkommen würde.

Der Einzige, der sich das natürlich nicht wünschte, war Rannold. Er wusste nicht, dass Hanrek beschlossen hatte, den Vorfall Lucek gegenüber nicht zu erwähnen. Hanrek hatte auch die anderen Bewohner des Hauses beiseite genommen und sie gebeten, Rannolds Hinterhältigkeit unerwähnt zu lassen. Mico hatte über Hanreks heldenhafte Einstellung gelacht, hatte aber versprochen, dass er dicht hielt.

Zollan hatte nur mit der Schulter gezuckt und gesagt. „Wenn du das so willst und für richtig hältst. Bitte.“

Hanrek hatte aber auch mitbekommen, dass Zollan Rannold kurz nach dem Vorfall beiseite genommen hatte und ihm klar gemacht hatte, dass die Küche sein Hoheitsbereich war und er solche Vorfälle in seiner Küche nicht noch einmal dulden würde.

Was Hanrek betraf, war er ganz und gar nicht aus der Bahn geworfen, wenn man davon absah, dass er die rechte Hand noch schonen musste und sie kaum gebrauchen konnte, war er im Gegenteil voller Energie und Tatendrang.

Hanrek hatte, wie er fand, eine äußerst sinnvolle Tätigkeit gefunden, in der er aber keine Hände brauchte.

Wenn er in dem Kräuterbeet saß, ließ er die Gabe fließen und versuchte die Heronuss zum Wachsen zu animieren. Eine schwere Aufgabe, da eine Heronuss bekanntlich nicht in unmittelbarer Nähe eines Heronussbaums keimte. Wieder und wieder versuchte er, den nötigen Wachstumsimpuls auszulösen. Die Nuss wollte jedoch nicht keimen. Es half auch nichts, dass Hanrek vor nicht all zu langer Zeit einer Heronuss beim Keimen und Wachsen geholfen hatte und damit wusste, wie sich das anfühlte und wie er die Nuss unterstützen konnte.

Hanrek hatte natürlich als Erstes geprüft, ob noch Leben in ihr war. Dies war nicht das Problem. Er erwog, die Nuss einfach auszugraben. Diese Idee verwarf er wieder. Erstens hätte er dazu die Bruderschaft bewegen müssen, dass er in ihrem Garten graben durfte und dies in unmittelbarer Nähe und gar unter ihrem heiligen Baum. Das war einfach unvorstellbar. Die Bruderschaft hätte das nie erlaubt. Zweitens hätte das Loch sehr tief sein müssen, und Hanrek wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte.

Dann überlegte er, ob er die Wurzel eines anderen Baums dazu bewegen könnte, in die Richtung der Nuss zu wachsen und sie vor sich her an die Oberfläche zu schieben. Auch das verwarf er, da es im Garten und auch in der näheren Umgebung nur Sträucher und keine Bäume gab. Ein neu gepflanzter Baum würde ein ganzes Menschenleben brauchen, um nur annähernd die Größe zu erreichen, die er hier benötigte. Die Nuss lag außerdem nicht frei unter den Wurzeln, sondern war teilweise davon eingeschlossen. Es blieb also nur die Möglichkeit, die Nuss doch zum Keimen zu bringen.

Dann kam Lucek mit Gehilfe und Lehrling von seiner Rundreise zurück und Hanrek hatte erst einmal keine Gelegenheit mehr sich in das Kräuterbeet zu setzen und zu meditieren. Lucek hatte Arbeit mitgebracht. Hanrek schilderte ihm sein Missgeschick mit der Kanne und stellte es so dar, als ob er selbst schuld gewesen wäre.

Lucek nahm natürlich Rücksicht auf seine verbrannte Hand, fand aber haufenweise Arbeit für ihn. Er nahm ihn viel auf Besuche mit in die Stadt und fand auch sonst viele Dinge, die man mit nur einer Hand tun konnte, sodass Hanrek die nächste Zeit kaum einmal dazu kam, sich mit der Nuss zu beschäftigen.

Hanrek erzählte Binno natürlich die Wahrheit über seine verbrannte Hand. Er tat das vor allem, um diesen vor ähnlichen Missgeschicken mit den beiden Gehilfen zu schützen. Er bat aber auch, ihn Lucek gegenüber nichts zu erwähnen. Warum es ihm so wichtig war, dass der Vorfall eine Sache zwischen Rannold und ihm blieb, wusste er nicht. Es fühlte sich einfach richtig an und deshalb tat er es.

Einige Wochen später war seine Hand wieder so weit geheilt, dass er den Verband abnehmen konnte. Die Fingerspitzen waren wieder vollständig geheilt. Die Handinnenfläche hatte dagegen eine tiefe rote Brandnarbe. Das Muster des Griffs der Kanne hatte sich hier tief eingegraben. Nach weiteren zwei Wochen konnte Hanrek die Hand wieder benutzen wie zuvor.

Der Frühling wich dem Sommer und Hanrek, der nun bereits 16 Jahre alt war, beschloss Lucek zu bitten ihm ein paar Tage frei zu geben, damit er seine Familie in Hallkel besuchen konnte. Lucek willigte ein, gab ihm eine Woche frei und daraufhin fragte Hanrek Miria, ob sie mitgehen wollte und könnte. Gewollt hätte sie schon, es gab aber in der Schneiderei zu viel Arbeit, sodass ihre Tante nicht einwilligte. Hanrek versprach Grüße auszurichten und machte sich mit einem kleinen Bündel auf den Weg in sein Heimatdorf.

Als er am späten Nachmittag an seinem Elternhaus ankam, wurde er von seiner Mutter freudestrahlend begrüßt. Sein Vater und sein Bruder waren auf dem Feld. Seine Mutter begann sofort, ihm eine seiner Lieblingsspeisen zu kochen. Sie hatte Mühe, die Freudentränen zurückzuhalten, hieß ihn sich an den Tisch zu setzen und begann ihm eine Frage nach der anderen zu stellen, so schnell hintereinander, dass er mit der Beantwortung nicht nach kam. Als es schon dunkelte, kamen die beiden anderen Familienmitglieder nach Hause, während Hanrek immer noch am Tisch saß und Rede und Antwort stand. Damit wurde es jetzt auch nicht besser. Jetzt musste er zu den Fragen seiner Mutter, zusätzlich noch die Fragen von Vater und Bruder beantworten. Sie stellten die gleichen Fragen noch einmal, die er seiner Mutter bereits beantwortet hatte. Es wurde spät in der Nacht, bis er schließlich ins Bett fiel.

Die nächsten Tage verliefen ereignis- und abwechslungsreich. Er machte Besuche bei Nachbarn und Freunden, richtete Grüße von Miria aus, es wurden Neuigkeiten und Geschichten ausgetauscht und er half natürlich seiner Familie in Haus, Garten und auf dem Feld. Er merkte erst jetzt so richtig, dass ihm diese Arbeit gefehlt hatte.

„Was hast du denn für eine Narbe an der Hand?“, fragte ihn sein Bruder eines Nachmittags, als sie gemeinsam im Stall Werkzeuge putzten.

„Das ist eine eher unerfreuliche Geschichte. Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich schon auf dem Weg nach Haffkef mit den beiden Gehilfen geschlagen habe. Die Narbe habe ich als kleines Zeichen dafür bekommen, dass sie das nicht vergessen haben.“

Und dann erzählte Hanrek Stonek die ganze Geschichte mit der Sudkanne.

„Lass mal sehen.“, bat Stonek. Er betrachtete sie eingehend.

„Hm. Sie sieht aus wie ein Baum. Passt zu dir, da du Bäume ja so liebst.“

Hanrek sah erst seinen Bruder und dann seine Hand verblüfft an.

„Du hast recht, wenn man sich das als den Stamm denkt ...“, Hanrek deutete auf die dickste Linie in der Mitte der Handfläche, „... und diese Linien als die Äste ...“, dabei fuhr er mehrere etwas dünnere Linien entlang, die von der dicken Linie abgingen, „... dann kann man darin wirklich einen Baum sehen.“

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