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Kapitel 10

Samuel

Wo sonst hätte er sich an dem Abend aufhalten sollen, um sie abzufangen, ohne dabei ihre Aufmerksamkeit zu erregen? Seinen Platz in den Dünen würde er jedenfalls vermissen. Irgendwann, in weiß Gott wie vielen Jahren. Er wusste, dass es falsch war dort zu sein, auch ohne Amys Drohungen. Samuel schwor sich, auf Abstand zu bleiben. Vielleicht stellte Kate sich ja nicht ganz so dumm an, wie er befürchtete, und blieb ihrerseits auf Abstand zu dem triebgestörten Jason. Aber wer wusste das schon?

Samuel verstand nicht, was die Mädchen an einem Typen wie Jay fanden. Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, um über die menschliche Psyche zu grübeln. Er würde sie ohnehin nie verstehen.

Dann sah er sie. Brooke wich keinen Zentimeter von ihrer Seite. Sie liefen über den Strand, Richtung Pier. Sein Herzschlag verriet ihm, dass es längst zu spät war. Sein Herzschlag und der Gedanke, wie es wäre, wenn er doch nicht zurückgehen würde. Das machte ihm Angst. Die schlimmste anzunehmende Katastrophe trat also ein. Er war dabei, sich in sie zu verlieben.

Seufzend schüttelte er den Kopf. Nein! Wenn der Abend vorbei war, würde er sie nie wiedersehen. Er durfte sie nie wiedersehen.

Samuel stand auf, nahm die Sandalen und schlug sich den Sand von den Klamotten. Während er den Mädchen unauffällig folgte, kniff er die Augen zusammen, um Kates Anblick in sich aufzunehmen. Kein Zweifel. So ein wunderschönes Geschöpf hatte er nie zuvor gesehen. Weder hier, noch dort unten. Und er hatte viele schöne Wesen gesehen.

Das wilde, rote Haar wurde von einem Strohhut mit breiter Krempe gebändigt. Der dunkelgrüne Bikini wirkte wie eine zweite Haut. Sie hatte Geschmack, soviel stand fest. Was den cremefarbenen Rock anging, den würde Jason ihr allein mit seinen Blicken vom Leib reißen. Sam wurde übel beim Gedanken daran. Wenn er sie nur warnen könnte! Stattdessen musste er auf ihren Menschenverstand hoffen, und darauf, dass sie sich selbst und ihn nicht in Gefahr brachte. Shit! Was tat er da eigentlich?

Je näher sie dem Pier kamen, desto lauter wurde die Musik. Samuel verzog das Gesicht vor Schmerz. Viel näher durfte er nicht herangehen, wenn er seinem Gehörsinn nicht schaden wollte. Doch darauf nahm die Rothaarige leider keine Rücksicht.

Sie trafen auf eine Gruppe Jugendlicher und es schien, als würden sie erst mal dort stehenbleiben. Sam hockte sich wieder in eine Düne und wartete. Wenn alles so blieb, war der Tag gerettet. Doch es blieb nicht so. Wenig später erschien der Sunnyboy und umgarnte seine Beute. Sein charmantes Lächeln war so verführerisch wie das Licht des Anglerfisches. Bis er zubiss.

Samuel bemerkte, dass Kate sich tatsächlich mit Jason von der Gruppe absetzte. Er hatte sie überschätzt. Langsam erhob er sich. Die aufsteigende Wut auf Jason verhalf ihm, den Schmerz in den Ohren zu ertragen. Er folgte ihnen unbemerkt. Auf dem Pier tummelten sich so viele Menschen, dass er gar nicht auffiel. Als er das Pult des DJs passierte, presste er sich die Fingerspitzen in die Ohren. Ihm wurde schwindelig. Nicht mehr viel und er hätte sich übergeben.

Leider verlor er dabei Jason und das Mädchen aus den Augen. Irgendwann lichtete sich das Chaos jedoch wieder. Je weiter er aufs Meer zuging, desto weniger Leute begegneten ihm. Es dauerte nicht lange, bis er sie wiedergefunden hatte. Jason gab Kate etwas von seinem Drink und Sam bemühte sich, das Gespräch zu belauschen. Sie erreichten das Ende des Stegs, wo der Sunnyboy Verstärkung bekam. Irgendwas stimmte nicht mit Kate. Sie schwankte und taumelte hin und her, während die Gruppe sie umzingelte.

Dieser Widerling! Sam ahnte, was dort abging. Seine Faust kribbelte beim Gedanken daran, sie in Jasons Gesicht zu parken.

„Lass mich los! Mir geht es nicht besonders. Außerdem kann ich nicht schwimmen.“

Ihre Stimme klang schwach, gebrechlich. Jason zog sie zu sich hinab auf den Boden. Samuel wartete gar nicht erst darauf, dass der Typ anfing, sie zu begrapschen. Er legte einen Schritt zu und kam gerade rechtzeitig, um mit anzusehen, wie Kate kopfüber unter dem Geländer des Piers hing. Jason packte sie unter den Armen und fing sie im letzten Moment auf, nachdem sie im Handgerangel weggerutscht war.

Sie sagte, sie kann nicht schwimmen!“, zischte Sam.

Jason schaute erschrocken auf.

„Jungs? Kann sich einer von euch dran erinnern, Sushi bestellt zu haben?“

Die anderen lachten, fletschten kampfeslustig die Zähne und verschränkten die Arme vor der Brust.

Ich jedenfalls nicht. Und jetzt verzieh dich, Sam.“

Kate hing noch immer benommen unter dem Geländer und faselte wirres Zeug.

„Hast du nicht gehört? Du sollst Leine ziehen, Beau! Sonst muss ich dieses hübsche Mädchen loslassen, um dir höchstpersönlich Beine zu machen!“

Samuel kochte vor Wut. Er machte einen Schritt auf Jason zu, doch die anderen versperrten ihm den Weg. Er brauchte nicht mehr als zwei heftige Schläge mit der Rechten, bis die Wachhunde rücklings fluchend auf die Bohlen knallten. Damit hatte Jason nicht gerechnet und Sam las aus seinen Gedanken, dass er kurz überlegte, wie er unversehrt aus der Sache rauskommen und seinem Rivalen gleichzeitig größtmöglichen Schmerz zufügen könnte. Eine Sekunde später zog er die Hand unter Kates Rücken weg, woraufhin sie vom Pier rutschte und mit einem Platschen in den Wellen versank.

Ups.“ Jason tat unschuldig.

Samuel stürzte sich brüllend auf ihn und verpasste ihm einen Haken, der seine Nase brach. Mit dem nächsten Satz stand er auf dem Holzgeländer, setzte zum Sprung an und tauchte kopfüber in die Flut. So ein Idiot!

Das Wasser musste für das Mädchen eisig sein. Dort unten gurgelte eine heftige Strömung; die einsetzende Ebbe zog alles noch weiter hinaus in den Ozean. Die Sicht war durch die Dämmerung und den aufwirbelnden Sand stark beschränkt. Doch Samuel benötigte seine Augen nicht, um zu wissen, wo Kate steckte. Selbst wenn sie schwimmen könnte, dort unten hätte sie nicht den Hauch einer Chance gehabt. Jason hätte sie umgebracht und dafür würde er büßen!

Er tauchte hinab, bis er ihren schlaffen Körper in etwa vier Metern Tiefe entdeckte. Sie trieb gefährlich nahe an den Pfählen des Piers, gegen die die Wellen sie sehr bald schwemmen würden. Sofort schlang er einen Arm um ihre Taille, tauchte unter dem Steg hindurch auf die andere Seite und brachte sie an die Oberfläche. Sie atmete nicht, doch er wusste, dass es ihr gutging, solange sie in seiner Nähe war. Er schwamm Richtung Strand, der gute 120 Meter weit entfernt war, und überlegte, wohin er sie tragen sollte, damit die Partygäste nichts bemerkten. Wenige Minuten später zog er Kate aus der Brandung, nahm sie auf die Arme und lief im Schutz der Dunkelheit in die Dünen, wo er sie vorsichtig in den Sand bettete. Dort war er sicher. Er legte sich neben sie, strich die salzigen Haare aus ihrer Stirn und klatschte die blassen Wangen. „Na los, komm schon!“

Samuel hob ihren Kopf und war beruhigt, ihren Herzschlag zu hören. „Los, Kate, genug geschlafen!“

Ihr Körper war eisig, die Fingerspitzen blau vor Kälte. Er legte sich näher an sie, um ihr von seiner Wärme abzugeben, und rieb ihre Arme und Beine. „Hey, aufwachen! Ich hab keine Ahnung, wie lange ich für uns beide atmen kann.“

Das hatte er in der Tat nicht. Seine Sinne überraschten ihn immer wieder aufs Neue, was ihre Funktionen in der Menschenwelt anging. Vermutlich lag es an der seltsamen Verbindung zwischen ihr und ihm. Dann war also doch was dran an den Mythologien, was Rettungen aus dem Ozean betraf.

Endlich öffnete sie die Augen. Kate erlitt einen heftigen Hustenanfall, bevor sie einen Schwall Wasser spuckte. Samuel atmete erleichtert auf, sie setzte sich hin und rang nach Luft. Immer wieder hustete sie Wasser. Er legte seine Hand auf ihren Rücken und lächelte.

„Sehr gut, nur weiter so. Das hört sich besser an als dein Schweigen.“

Sie wehrte ihn ab, während ihre Stimme bebte. „Fass mich nicht an! Was … ist passiert? Wo … bin ich?“

„Ganz ruhig, alles in Ordnung.“

„Ich war auf dem Pier … mit Jason. Ich … erinnere mich nicht, was dann geschah.“

Wieder schüttelte sie ein Hustenanfall. Samuels Wut entfachte erneut. Er dachte an den Idioten Jason und an das, was er mit ihr vorgehabt hatte. „Du bist ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Aber jetzt ist alles gut.“

Er beherrschte sich, den Zorn in seiner Stimme zu zügeln.

„Ich bin … ins Wasser gefallen?“ Sie schaute schockiert. „Hast du … Hast du mich rausgezogen?“

„Du wirst hier noch erfrieren. Am besten bringe ich dich nach Hause.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, erhob er sich, nahm sie hoch und trug sie in Richtung der Strandhäuser. „Warte! Ich kann selbst laufen.“

Sofort ließ er sie hinunter. Kate machte ein paar Schritte und brach zusammen. Gleich darauf war sie wieder in seinem Arm.

„So viel dazu.“

„Ich kann nicht nach Hause! Nicht in diesem Zustand! Tante Margret würde einen Herzinfarkt bekommen vor Schreck!“

Samuel blieb stehen. „Da drüben parkt mein Wagen. Ich habe ein paar warme Decken im Kofferraum.“

Er setzte sie vorsichtig auf den Beifahrersitz. Sie schloss ihre Augen und stöhnte, während sie sich den Kopf hielt. Sämtliche Gliedmaßen zitterten. Ihr Atem ging noch immer schwer und röchelnd. Samuel schaute an ihr hinab.

„Darf ich?“ Er deutete auf den Rock, der triefnass war, bevor er ihn mit einem schnellen Handgriff auszog und in den hinteren Teil des Wagens warf. Er ging zum Kofferraum und holte die Wolldecken hervor, die er immer dabeihatte. Die Winter in Massachusetts konnten sehr hart sein.

Mit aller Macht zwang er sich stark zu bleiben, als er sie in die Decken wickelte. Bis zum Hals. Dann schloss er die Tür und setzte sich auf den Fahrersitz. Kate zitterte noch immer.

„Gleich wird’s besser.“

Er überlegte, ob er eine Runde fahren sollte, damit die Heizung ansprang. Je länger ihr Zittern anhielt, desto länger würde sie in seinem Wagen hocken. Das alles gefiel ihm ganz und gar nicht. Das war so nicht geplant gewesen. Er wollte sie so schnell wie möglich zu Hause abliefern, um sich dann für den Rest des Sommers irgendwo zu verstecken. Sie stöhnte wieder und warf den Kopf herum.

„Alles okay?“

„Es dreht sich … Mir ist so übel.“

Samuel lachte verächtlich. „Das muss an diesem Zeug liegen, das er dir in den Drink gemischt hat. Ein Gutes hat die Sache ja: Du wirst dich morgen an nichts mehr erinnern.“

Vielleicht sollte er sich auch eine Dosis abholen, um sie zu vergessen?

„Was für ein Zeug denn?“

„Na, was denkst du wohl? Das, was ihm ein paar nette Stunden mit dir ermöglichen sollte. Oder hast du dich nicht gefragt, wieso er nichts von dem Drink probiert hat?“

„Ich glaube, ich muss mich übergeben.“

Dann verlor sie für kurze Zeit das Bewusstsein. Samuel fuhr sich durch die Haare. Wenn Dad von der Sache Wind bekam, dann Gnade ihm Gott. Er stieg aus und lief ein Stück durch die Dünen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es noch vor Mitternacht war. Er beschloss, zum Roadhouse zu laufen, das weiter vorn an der Straße lag. Vielleicht konnte er einen heißen Kaffee oder Tee auftreiben, um dem Aufwärmungsprozess von Kate ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

„Und? Ist das gut?“

Sie nippte an dem Kaffee und nickte. „Das ist mehr als gut. Danke! Erzähl mir nochmal … wieso bin ich hier?“

Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Weißt du, Kate, das sollten wir vielleicht ein anderes Mal besprechen. Wenn du wieder ganz bei dir bist.“

„Ich heiße nicht Kate“, lallte sie.

Was?“

„Ich heiße nicht Kate.“

Samuel schaute irritiert. „Sondern?“

„Kriemhild. Irre, was?“

Kriemhild? Was ist denn das für ein Name?“ „Ein schrecklicher! Ich hasse ihn!“ Ihr Heulen ließ daran keinen Zweifel. „So? Woher stammt er denn?“ „Aus Deutschland. Ich bin aus Deutschland. Mitsamt meinem schrecklichen Namen.“

Er lachte. Nicht mehr lange und er würde in ihrer Gegenwart durchdrehen.

„Halb so wild. Ich heiße auch nicht Samuel.“

„Ich weiß. Sie nennen dich alle Sushi-Sam. Wieso eigentlich?“ Auch das war nicht sein Name.

„Sollen sie mich doch nennen, wie sie wollen. Es interessiert mich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich gern Fisch esse.“

Kriemhild leerte den Becher und stellte ihn auf die Ablage. Er schaute sie an und verfolgte jede einzelne Geste. Eine Sache konnte er sich absolut nicht erklären, darum fragte er: „Wieso kannst du nicht schwimmen?“

Sie erwiderte seinen Blick und er wusste, dass das die Sache nicht einfacher machte. Im Gegenteil.

„Frag mich bitte nicht. Die Geschichte ist noch schrecklicher als mein Name. Mir ist warm. Ich denke, du kannst mich jetzt heimbringen.“

Kapitel 11

Jason

Kurz zuvor.

Er schrie auf vor Schmerz, als das Knacken seines Nasenbeins durch seinen Kopf hallte. Sushi-Sam stand längst auf dem Geländer und setzte zum Sprung an. Der elende Penner! Sollte er doch einen auf Baywatch machen! Bei dem Wellengang würden sie ohnehin beide absaufen.

Jason setzte sich auf und stöhnte. Sein Kopf hämmerte. Er fasste sich übers Gesicht und bemerkte das ausströmende Blut. Die Nase war fürs Erste hin. So ein Mist! Er schaute sich um und entdeckte James und Matthew, die neben ihm auf dem Pier hockten und sich die Köpfe hielten. Sie hatten den Freak total unterschätzt.

„Ihr Vollidioten!“, schrie er sie an. „Kommt zu zweit nicht mal gegen diesen Vogel an!“

„Hey, Jason, du hast doch gesehen, wie der uns umgenietet hat.“

„Lass das peinliche Gejammer, James! Wir brauchen einen Plan. Los, ruf die Bullen!“

„Die Bullen?“, rief sein Kumpel entsetzt.

„Ja, Mann, die Bullen! Oder hast du was mit den Ohren?“

Kapitel 12

Kriemhild

„Wie aufmerksam von dem Jungen, dich heimzufahren. Hat dir die Party denn gefallen?“

Tante Margret nahm einen Schluck Kaffee und musterte sie aus den Augenwinkeln.

Die Party. Seltsam. Obwohl Samuel ihr versichert hatte, dass sie sich an nichts erinnern würde, sah Kriemhild alles klar vor Augen. Vor allem die Szene in seinem Wagen. Sie war ihr in ganz besonderer Erinnerung. Er hatte sie aus dem Ozean gefischt, was ihr zu denken gab. Samuel schuldete ihr ein paar Antworten.

„Ja, sehr aufmerksam. Du hättest aber nicht auf mich warten müssen.“

„Natürlich musste ich das. Ich bin deine Tante und wenn dir hier etwas zustößt, würde deine Ma es mir nie verzeihen. Und ich mir auch nicht. Noch ein Brötchen, Liebes?“

„Danke. Das deutsche Frühstück hast du dir offenbar beibehalten.“

Margret nickte. „Offenbar. John hat es zu lieben gelernt. Dieses Fastfood kann einem auch wirklich auf den Magen schlagen.“

Im selben Moment betrat ihr Onkel das Esszimmer über die Veranda. Er sah etwas blass aus und zögerte, bevor er das Wort ergriff.

„Kriemhild, da draußen ist jemand für dich.“

„Für mich?“

Er nickte, nahm den Sonnenhut vom Kopf, den er bei der Gartenarbeit immer trug, und drehte ihn nervös in den Händen umher.

„Ja. Es ist dieser … Dawson-Junge, der immer drüben in den Dünen sitzt. Er steht unten am Strand mit … einem Police Officer. Sie wollen mit dir reden, über die Tasche, die du vermisst.“

„Meine Tasche?“

Margret griff erschrocken nach ihrer Hand. „Du vermisst eine Tasche? Davon hast du gar nichts erzählt. Waren Wertgegenstände drin? Bist du etwa beklaut worden?“

Kriemhilds Stimme versagte. An die Tasche hatte sie gar nicht mehr gedacht. Sie musste sie im Meer verloren haben. Schweigend erhob sie sich und ging an John vorbei hinaus auf die Veranda. Samuel stand neben einem Officer und wirkte ziemlich durcheinander.

„Was ist hier los, Sam? Ich habe meine Tasche nicht als vermisst gemeldet. Ich verstehe das alles nicht.“

Aus irgendeinem Grund wich er ihrem Blick aus.

„Guten Morgen, Ma’am, verzeihen Sie die Störung. Mein Name ist Officer David Cooper, Falmouth Police Department.” Er hielt ihr eine silberne Dienstmarke hin und sie kam sich vor wie in einer der amerikanischen Krimiserien. „Es handelt sich hier nicht um eine Tasche, die als vermisst gemeldet wurde, sondern um eine junge Frau.“

Ein flaues Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Endlich schaute Sam in ihre Richtung, wenn auch nicht in ihre Augen. Er raufte sich die Haare. „Ich habe ihm schon gesagt, dass hier niemand vermisst wird. Aber er muss das abchecken, wenn du verstehst, was ich meine. Die Sache mit der Tasche habe ich vorgeschoben, um deinem Onkel keinen Schrecken einzujagen.“

Was? Wer kommt darauf, irgendjemand würde vermisst? Officer, ich verstehe nicht ganz, was hier eigentlich los ist.“

„Sehen Sie, gestern Abend fand eine Strandparty am Pier statt. Gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig ging in der Zentrale ein Anruf ein. Jemand berichtete von einer Schlägerei, in die Mister Dawson verwickelt gewesen sein soll. Dabei soll ein junges Mädchen – deren Beschreibung eindeutig auf Sie zutrifft – über das Sicherheitsgeländer des Piers gestoßen worden sein. Daraufhin wurde die Party polizeilich beendet und ein Taucherteam suchte die halbe Nacht erfolglos nach der jungen Frau.“

Kriemhild wurde schwindelig. Ihr Puls überschlug sich beinahe. Die Aktion konnte sie unmöglich vor Onkel John und Tante Margret geheim halten.

„Geht es dir gut? Willst du dich einen Moment lang setzen?“ Sam schaute besorgt. Ihm war ihr Schock offenbar nicht entgangen.

„Alles in Ordnung. Ich bin nur etwas erschrocken über die Sache.“

„Ma’am? Verzeihen Sie, aber ich muss Sie ein paar Dinge fragen. Waren Sie gestern auf dieser Party?“

„Ja. Und wie Sie sehen, bin ich am Leben und wohlauf.“

„Dann stimmt es also nicht, dass Sie ins Meer gestoßen wurden?“

„Ich wurde nicht gestoßen. Ich bin auf dem Pier ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Mister Dawson zog mich sofort heraus und wir verließen die Party. Wer der drei anderen hat mich denn als vermisst gemeldet?“

Samuel fuhr sich wieder durch die Haare. Kriemhild verstand nicht, aus welchem Grund er das immer tat. Wieso war er so nervös?

„Der Anruf ging anonym ein. Wissen Sie vielleicht mehr über diese Schlägerei?“

Sie schaute zu Sam hinüber. Er hatte keinen Namen preisgegeben.

„Allerdings. Die drei Jungs sind die Einzigen, die dafür in Frage kommen. Dieser Jason, James und ein Freund der beiden, dessen Namen ich nicht kenne. Officer, ich denke, einer der Jungs hat mir was in meinen Drink gemixt. Zur Schlägerei kam es, weil Mister Dawson mir helfen wollte.“

Samuel sah sie so wütend an, als würde er ihr jeden Moment an den Hals springen.

„Mister Dawson? Würden Sie das bestätigen?“

Er schnaubte verächtlich. Dann nickte er. Officer Cooper machte einige Notizen auf seinem Schreibblock.

„Ma’am, wenn Sie sagen, jemand habe Ihnen etwas in den Drink gemischt, gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie von dem illegalen Betäubungsmittel GHB sprechen? Sie erheben da schwere Anschuldigungen. Möchten Sie Strafanzeige erstatten?“

Samuel drehte sich weg und atmete tief durch. Sein Verhalten irritierte Kriemhild zunehmend.

„Wenn es so wäre, könnte man dieses Mittel in meinem Blut noch nachweisen?“

Der Officer warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Schwer zu sagen. Ich denke, eher nicht.“

„Dann möchte ich gern von einer Strafanzeige absehen.“

„Vielen Dank, Ma’am. Ich habe vorerst genug gehört. Ich würde Sie dann um Ihren Namen und die Anschrift bitten, nur fürs Protokoll, Sie verstehen. Falls Sie doch über eine Anzeige nachdenken, kommen Sie einfach aufs Department.“

„Natürlich. Ich danke Ihnen. Tut mir leid für die Unannehmlichkeiten.“

Er lächelte. „Das ist mein Job, Ma’am, und ich bin sehr erleichtert, dass Sie wohlauf sind und wir nicht mehr damit rechnen müssen, dass in den nächsten Tagen eine Leiche an den Strand gespült wird.“

Der Gedanke daran jagte Kriemhild eine Gänsehaut über den Rücken.

Samuel wartete, bis der Officer außer Sichtweite war. Dann packte er sie hart am Arm und verschaffte seinem Ärger Luft.

„Musstest du unbedingt die Namen dieser Typen verraten? Du weißt anscheinend gar nichts über sie!“

Sie schüttelte ihn ab und wich einen Schritt zurück. Dort, wo er ihren Arm gepackt hatte, brannte ihre Haut. Seine Augen blitzten in der Sonne.

„Ach, nein? Vielleicht weiß ich nichts über sie, allerdings habe ich genug mitbekommen, um zu wissen, wie kriminell sie sind! Warum schützt du sie? Hast du etwa Angst vor ihnen? Sie hätten mich beinahe umgebracht, schon vergessen?“

„Nein, das habe ich nicht vergessen! Und es wäre besser, wenn du niemals erfährst, was ich deinetwegen riskiert habe. Was diese Typen angeht, ihre Väter sind sozusagen das New Yorker Gesetz! Sei froh, dass du von dieser Anzeige abgesehen hast, sonst hättest du sehr bald einen Prozess am Hals, den du in hundert Jahren nicht gewinnen würdest. Die sind eine Nummer zu groß für dich. Leute wie uns zerquetschen die zu Staub, verstehst du das?“ „Wer hätte denn ahnen können, dass sie mich gleich als vermisst melden und dich im Zug der Schlägerei erwähnen? Dass dieser Officer hier aufkreuzt, hat mich völlig überrascht. Und im Übrigen hat dich niemand gebeten, mich zu retten. Es tut mir leid, dass du meinetwegen etwas riskieren musstest.“

Samuel drehte sich weg und rang nach Fassung. Er wich ihrem Blick aus und sprach so leise, dass sie fast nichts verstand.

„Mir tut es nicht leid. Ich würde es jederzeit wieder tun. Jedoch solltest du mich nie mehr zwingen, Dinge zu sagen – zu denken – die etwas auslösen könnten, was ohnehin unmöglich ist. Es wäre zu viel der Erklärungen, du würdest es nicht verstehen. Bitte frag nicht, wieso mein Vater dich sehen will. Noch heute.“

Wie bitte?“

„Mein Wagen steht dort drüben. Ich warte auf dich. Lass dir Zeit, deine Tante hat unseren Streit mitbekommen und will sicher wissen, was los ist.“

Was redest du da?“

Kriemhild sah sich um und suchte nach Tante Margret. Sie war nirgends zu finden. Wie kam er darauf, dass sie alles mitbekommen hatte? Als sie ihn fragen wollte, war er bereits auf dem Weg zu seinem Wagen.

Ihre Tante stand an der Wand hinter der Verandatür. Von draußen war sie unmöglich zu sehen, von ihrer Position aus konnte sie jedoch jedes Wort verstehen, das unten gesprochen wurde. Woher wusste Sam davon?

Sie fiel Kriemhild in die Arme, als sie eintrat. „Kind, ist alles in Ordnung mit dir? Ich habe ein wenig von eurem Streit mitbekommen. Was ist denn nur passiert? Was wollte der Officer?“

Margrets Augen waren angsterfüllt. John betrat das Wohnzimmer und schaute fragend.

„Beruhigt euch erst mal. Das alles ist ein Missverständnis. Jemand hat mich auf der Party als vermisst gemeldet, weil ich ausgerutscht und beinahe ins Meer gefallen bin. Samuel hat mich aufgefangen, dabei habe ich meine Tasche verloren. Und soll ich euch was sagen? Mein Handy war drin. Damit habe ich endlich Ruhe vor Justus.“

Die Tatsache beruhigte selbst Kriemhild. Tante Margret und Onkel John atmeten erleichtert auf. Wieso hätte sie ihre Verwandten unnötig in Angst und Schrecken versetzen sollen? Die Wahrheit hätte sie nur beunruhigt.

„Worüber habt ihr gestritten?“ Margret hielt Kriemhilds Hände.

„Eine kleine Meinungsverschiedenheit. Ich fahre kurz mit Samuel in die Stadt, wenn ihr einverstanden seid.“

Ihre Verwandten wechselten einen schnellen Blick. John räusperte sich.

„Sicher. Wir wollten morgen mit der Fähre rüber nach Martha’s Vineyard. Vielleicht fragst du ihn, ob er uns begleiten möchte?“

„Nein, Onkel. Das ist keine gute Idee. Ich will nicht, dass er mitkommt.“

Sie hatte nicht die Spur einer Ahnung, wieso Mister Dawson sie sehen wollte. Irgendwas sagte ihr, dass das nichts Gutes bedeutete. Samuel jedenfalls schien der Gedanke nicht zu gefallen. Kriemhild dachte, es sei vielleicht besser, sich etwas Seriöses anzuziehen und ihre Haare zu machen. Also lief sie die Treppe hinauf und wühlte in ihren Kleidern. Brooke hatte erwähnt, seine Leute wären auf ihrem Gebiet weltbekannte Meeresbiologen. Vermutlich hochgestochene Freak-Eltern, die in ihrer Villa hockten und staubige Bücher über den Ozean wälzten. Dabei aßen sie Sushi.

Sie wählte die dunkelgrünen Sandaletten mit Absatz, einen knielangen beigefarbenen Rock und ein khakifarbenes Trägershirt. Wer wusste schon, worauf Meeresbiologen standen? Und wieso um alles in der Welt wollte sie ihnen gefallen? Kriemhild kannte die Leute nicht mal.

„Nett, dass du gekommen bist.“

Sam besaß die unfreundliche Angewohnheit, sie mit seinen Blicken zu ignorieren, während er sprach. Er ließ den Wagen an und fuhr die Straße hinab. Seine Nähe brannte auf Kriemhilds Haut wie Salzwasser, das in eine Wunde spülte.

„Was soll das? Ich meine, was tu ich hier? Wieso will dein Vater mich sehen? Denkt er etwa, wir wären … ein Paar?“

Denk nicht mal an sowas, verstanden?“, fuhr er sie barsch an. „Heute Morgen kam dieser Bulle und schellte an der Tür. Mein Dad öffnete und erfuhr, dass ich wegen eines Mädchens in eine Schlägerei verwickelt war. Du hast keine Ahnung, wie er getobt hat. Jetzt will er sehen, wer es wert war, dass ich mich um sie prügel.“ Sie schaute ihn mit großen, ungläubigen Augen an.

„Das ist nicht wahr, oder? Willst du mich auf den Arm nehmen? Wie alt bist du? Zwölf? Ich komme mir ziemlich bescheuert vor, um ehrlich zu sein!“

„Ich habe dir gesagt, du sollst nicht fragen. Du würdest es nicht verstehen. Also belass es einfach dabei. Sei nett zu ihm, sag hallo und dann bringe ich dich wieder heim.“

„Samuel, ich bin kein Zootier, das man sich einfach so anschaut! Das alles ist ein schlechter Witz!“

Das verstehst du nicht!“

„So, wie ich nicht verstehe, wie du mich bei dem Wellengang gestern retten konntest? In 150 Metern Entfernung vom Strand? Im Dunkeln? Oder so, wie ich nicht verstehe, woher du wusstest, dass Tante Margret hinter der Wand steht und unseren Streit belauscht?“

Er schüttelte den Kopf und lachte leise. „Ich habe einige Jahre lang als Rettungsschwimmer gearbeitet. Und dass deine Tante lauschen würde, hättest du dir selbst denken können, nachdem ein Officer in ihrem Garten aufgetaucht ist.“

„Würdest du da vorne bitte anhalten? Ich muss Brooke benachrichtigen, bevor sie überall von meinem Verschwinden erzählt. Und dann möchte ich gern wieder nach Hause.“

„Das ist nicht nötig. Brooke hat die Party verlassen, nachdem du mit Jason abgezogen bist. Sie war eifersüchtig. Wenn sie von dem Vorfall erfahren hat, dann sicher nicht aus erster Hand.“

Fassungslos lauschte sie seinen Worten. „Woher willst du das alles wissen? Dass sie eifersüchtig war? Und die Party verlassen hat? Hast du mit ihr gesprochen?“

Er schaltete einen Gang runter. Sie bogen in ein Dünental.

„Dort drüben ist unser Haus.“

Zum ersten Mal, seit Kriemhild im Wagen saß, schaute er ihr direkt in die Augen. Sein Blick war flehend, fast ängstlich. Und er durchdrang sie bis ins Mark. Ihre Hand umklammerte den Türgriff, um den Opalen standzuhalten.

„Kriemhild, ich verspreche dir, dass du mich nie wiedersehen wirst, wenn du mich jetzt nicht im Stich lässt. Bitte, frag ihn nichts. Das würde alles nur noch schlimmer machen.“

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9783738004298
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