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Kriemhild reichte ihr ein Taschentuch. Jacob tapste auf die Veranda und nahm auf Margrets Zehenspitzen Platz. Der treue Freund!

„Weine nicht, Tante. Ich bin mir sicher, dass Sue darüber sehr traurig wäre.“

„Schon gut, Liebes. Du hast Recht. Ich habe schon zu viel geweint, seitdem du hier bist.“ Sie fand ein schwaches Lachen. „Sicher habe ich dich mit meinem Geheule ein für alle Male vergrault.“

„Unsinn! Es ist gut, dass du es mir erzählt hast. Ich danke dir. So lebt die Erinnerung an euer Kind weiter.“

Kapitel 17

Jason

Die dämliche Party war der größte Flop, seit Beginn der Beachpartys überhaupt gewesen! Zum ersten Mal in seinem Leben musste er sich eingestehen, dass James Recht gehabt hatte. Er hatte gesagt, das mit dem Drink wäre keine gute Idee. Und auch nicht, die Rothaarige gleich am ersten Abend flachzulegen.

Natürlich würde er das vor James nie zugeben. Zu allem Überfluss hatte er einen Flunken im Gesicht, der bei jeder Grimasse schmerzte. Blau und so geschwollen, dass seine Augen Mühe hatten, dran vorbeizuschauen. Nur wegen der Tussi! Er hätte jede haben können. Aber er wollte eben immer das, was nicht einfach zu haben war. Um sich selbst zu beweisen, dass er gut war. Und das war er! Er war der Beste!

Jason zog an seiner Zigarette und versuchte, den Schmerz in seinem Gesicht mit Alkohol zu betäuben. So schnell würde er nicht aufgeben. Er wollte die Kleine noch immer. Vielleicht mehr als zuvor. Wenn doch wenigstens der Beau abgesoffen wäre! Wie um alles in der Welt hatte der es überhaupt angestellt, sie da rauszuholen? Jedenfalls standen Sams Karten nun höher bei ihr.

Jason lachte verachtend. Weiber! Die ganze Romantikkacke von wegen Leben retten und all das! Aber er musste sich dringend einen Plan zurechtlegen. Er war unten durch bei ihr, soviel stand fest.

Plötzlich riss James ihn aus den Gedanken. „Was meinst du, Jason, sollten wir eine Wiedergutmachungsparty am Pier steigen lassen? Mit freien Getränken für die ersten fünfzig Leute oder so?“

„Sicher. Coole Idee, Jamie. Hast du so viel Kohle? Oder pumpst du deinen Alten an?“

„Da geht sicher was. Also, ja oder nein? Die Saison muss jedenfalls gerettet werden.“

Darin war James erste Sahne! Vielleicht hatte er ja eine geniale Idee auf Lager, wie er die Rothaarige wieder besänftigen konnte.

„Klar, Mann! Du planst das schon. Sag mir, wenn es soweit ist. Aber gib meinem Zinken ein paar Tage, um zu heilen.“

Kapitel 18

Kriemhild

Die Sonne ging über der Buzzards Bay unter. Kriemhild lief am Strand entlang, begleitet von Margrets Geschichte. Fast sah sie, wie Sues kleine Fußspuren sich neben ihren in den weichen Sand schmiegten. Konnte es Schlimmeres geben, als das eigene Baby sterben zu sehen?

Ihre Wehmut wandelte sich in Sehnsucht, als sie sich dabei ertappte, wie sie immer wieder zu den Dünen hinüber blickte. Vor allem zu der Stelle, an der Samuel sonst saß. Zu ihrer Enttäuschung hielt er sein Versprechen, dass sie ihn nie wiedersehen würde, nachdem sie ihm in der Sache mit seinem Vater beigestanden hatte. Sam blieb ihr ein einziges Rätsel. Sie rief sich die Szene mit Amy in Erinnerung. Seine Schwester hatte sich ihr an dem Tag weder vorgestellt, noch irgendwas gesagt. Oder litt Sushi-Sam an Verfolgungswahn? Ein zweiter Justus?

„Hallo, Kate!“

Kriemhild fuhr herum. Jemand rannte auf sie zu. Barfuß – wie sie selbst. Im Dämmerlicht erkannte sie Brooke.

„Hi!“ Kriemhild hieß die Ablenkung willkommen.

„Wie geht es dir? Oh mein Gott, tut es gut, dich leibhaftig und lebendig wiederzusehen! Obschon ich ja zugeben muss, dass ich auf der Party am Pier mächtig eifersüchtig war und mir vielleicht für den Bruchteil einer Sekunde gewünscht habe, du wärest tot, nur damit ich auch eine Chance bei den Jungs hätte. Verzeih mir, ich weiß, ich bin ein Esel!“

„Was tust du um diese Zeit am Strand, Brooke?”

„Ich hatte gehofft, dich hier zu treffen, um ehrlich zu sein. Ich musste den ganzen Tag in der Pension meiner Eltern aushelfen. Erwähnte ich schon, dass Ferien sind? Jedenfalls habe ich mich eben aus dem Staub gemacht. Ich musste dich unbedingt sprechen. Bitte verzeih mir, dass ich dich mit Jason allein gelassen habe. Es war falsch. Ich hätte mir denken können, was er vorhat. Bitte, vergibst du mir?“

Brooke hatte denselben bettelnden Blick wie Jacob bei Tisch. Kriemhild musste lachen und fiel ihr in die Arme.

„Oh, das heißt ja, hab ich Recht? Ja, du vergibst mir? Das ist gut, dann habe ich meine Freundin also nicht verloren.“

„Sei nicht immer so melodramatisch, Brooke! Natürlich war es nicht deine Schuld, was passiert ist. Sag mal, hast du Lust, morgen mit meinem Onkel, meiner Tante und mir rüber nach Martha’s Vineyard zu fahren? Sie wollen mir die Gegend zeigen.“

„Was? Ehrlich? Selbstverständlich komme ich mit! Danke für die Einladung. Das wird ein Tag, den du so schnell nicht vergessen wirst, glaub mir. Und jetzt will ich wissen, wie das mit Sushi-Sam war, als er dich aus dem Meer gerettet hat. Alles. Und vergiss ja die kleinen Details nicht. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oh, das ist ja wie im Film! Irgendwie romantisch, findest du nicht?“

Kriemhild schmunzelte.

„Nun ja, es war … essentiell. Was soll ich sagen? Ohne ihn wäre ich wohl nicht mehr hier.“

Essentiell? So nennst du es? Wie hast du ihm gedankt?“

„Tja, so richtig eigentlich noch nicht. Wie dankt man denn jemandem, der einem das Leben gerettet hat? Das ist schließlich kein alltäglicher Zustand.“

„Richtig. Ich habe keinen Schimmer. Vielleicht solltest du ihn heiraten. So ist es meistens im Film.“

„Danke, Brooke. Diesen Rat werde ich mir nicht zu Herzen nehmen. So, wie er sich mir gegenüber verhält, wäre es eher eine Strafe für ihn als ein Dank.“

Es wurde dunkler. Ein wunderschöner Mond ging auf und warf einen silbrigen Schein über die Wellen.

„Kate, ich muss heim. Wir sehen uns morgen. Danke, dass ihr mich mitnehmen wollt. Du wirst den Vineyard lieben!“

„Da bin ich mir sicher. Mach’s gut!“

Der nächste Tag begann früh. John wollte die Fähre um neun nehmen. Kriemhild hatte ziemlich schlecht geschlafen und zweifelte an der Idee, das Eiland zu besuchen. Einmal mehr lief der schreckliche Film vor ihren Augen ab. Sie bekam Schweißausbrüche und ihr Herz raste wie verrückt. Um sich zu beruhigen, schloss sie die Augen und atmete tief durch.

Das Erlebnis vom Pier hatte neues Öl auf ein altes Feuer gegossen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre ertrunken. Wenn Sam nicht … Samuel. Kriemhild lief ans Fenster und schaute in die Dünen. Er war nicht da. War es die Tatsache seiner Abwesenheit, die ihr den rastlosen, inneren Schmerz einpflanzte?

„Kriemhild, bist du wach?“ Jemand klopfte an ihre Tür. Schnell schob sie den Gedanken an Sam beiseite.

„Ja, Onkel John, ich komme gleich.“

Ein schmaler Streifen am Horizont – Martha’s Vineyard – lag höhnisch im Ozean. Fünfunddreißig Minuten auf einer Fähre! Ein halbes Leben für ein Trauma. Tante Margret trat lautlos herein und legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Wie geht es dir, Kind?“

„Es geht. Danke.“ Kriemhilds Blick ruhte auf der Landzunge im Meer.

„Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass wir beide schlechte Lügner sind?“

„Du hast Recht, Tante. Um ehrlich zu sein, wenn ich an die Fähre denke kommen alle Erinnerungen an damals hoch. Vielleicht sollte ich besser hierbleiben.“

Margret lächelte und strich ihr über den Kopf.

„Willst du dich nicht endlich einmal deinen Ängsten stellen? Es ist so lange her und du hattest keine Schuld an dem, was passiert ist. Dein Vater würde wollen, dass du wieder hinausfährst. Er hat das Meer so geliebt.“

„Ja, das hat er. Er hat es so geliebt, dass er vergaß, wie unberechenbar es ist.“

Eine Träne trat in ihre Augen. Leise wischte sie sie fort.

„Komm, Kriemhild. Ich koche dir einen Beruhigungstee und dann fahrt ihr gemeinsam rüber. Glaub mir, es wird dir drüben auf der Insel gefallen. Und deine Freundin ist schließlich auch dabei.“

Die Island Queen lag schaukelnd im Hafen. Jeder Schritt, der sie ihr näher brachte, beschleunigte Kriemhilds Herzschlag. Onkel John besorgte die Fahrkarten und Brooke bemühte sich, ihr Wortpensum für den Tag einzuhalten. Zum ersten Mal war Kriemhild ihr sogar dankbar dafür.

„Hab ich schon gesagt, wie nett es ist, dass ihr mich mitnehmt? Nicht, dass ich noch nie zuvor auf dem Vineyard war, aber man sieht jedes Mal neue aufregende Dinge und fragt sich dann verblüfft: Waren die letztes Mal auch schon da? Ist es nicht herrliches Wetter? Schon richtig warm. Ich freu mich auf den Sommer! Wo ist eigentlich deine Tante? Wollte sie nicht mitkommen?“

Kriemhild nickte, ohne das feindselig wirkende Boot aus den Augen zu lassen.

„Sie ist daheimgeblieben, um eine kranke Freundin zu besuchen.“

„Ah, da vorne kommt dein Onkel. Los, wir gehen aufs Schiff. Zum Glück sind nicht allzu viele Touristen hier. Apropos Touristen. Gestern sind fünf Engländer angereist. Trockene Leute, sag ich dir. Eigentlich hätte ich in der Pension aushelfen müssen, aber ich habe meinen Eltern von deiner Einladung erzählt und betont, wie unhöflich es wäre, sie abzulehnen.“

Die Hälfte ihrer Worte prallte einfach an Kriemhild ab. Ihre zitternden Hände ballten sich zu Fäusten. Alles in ihr schrie nach Flucht.

„Bist du okay? Du siehst irgendwie blass aus.“ Brooke legte ihr den Arm um die Schulter und musterte die panischen Züge.

„Geht schon. Mir wird nur immer übel auf dem Wasser.“

„Seekrank, verstehe. Dazu kenne ich auch eine Story.“

Sie erzählte von einer High-School-Bekanntschaft, die sich ständig übergeben hatte, als sie mit einer Fähre unterwegs waren. Genau das, was man in so einer Situation hören wollte. Onkel John lächelte mitfühlend, nahm Kriemhilds Hand und half ihr die schmale Treppe hinauf. Jeder Mann mittleren Alters hatte das Aussehen ihres Vaters. Mit ratternden Motoren setzte sich das Schiff in Bewegung. Jeder Schlag der Schraube traf Kriemhilds Magengrube und all ihre Glieder erstarrten.

Sie verließen den Hafen von Falmouth. Kurz darauf begann eines der Crewmitglieder mit der Durchsage von Informationen über die Insel.

„Das ist nicht so wichtig“, meinte Brooke. „Ich kann dir nachher die wirklich interessanten Dinge erzählen, von denen dieser Fuzzi sicher keinen Schimmer hat. Wusstest du zum Beispiel, dass drüben Der weiße Hai und eine Folge der Gilmore Girls gedreht wurden? Oh, ich liebe die Gilmore Girls! Übrigens: Die Insel verdankt ihren Namen ihrem Entdecker. Er ging 1602 an Land und fand so viel wilden Wein vor, dass er sie gleich seiner Tochter Martha widmete. Wer weiß, vielleicht war Martha ja eine kleine Schnapsdrossel?“

Brooke kicherte spitzbübisch, bevor sie fortfuhr: „Tja, was gibt es noch zu erzählen? Letzten Sommer waren die Obamas hier. Sie mieteten sich ein zwölf Hektar großes Grundstück, dessen Kosten bei etwa 50 000 Dollar pro Woche lagen. Ist das nicht wahnsinnig viel Geld?“

Onkel John lachte leise. Scheinbar dachte er nicht mal daran, Brooke zu widersprechen.

Die Fähre überquerte das Wasser – dank Brookes Geplapper – ohne, dass Kriemhild ihre Ängste richtig ausleben konnte. Trotzdem wagte sie keinen Blick hinab in die Flut. Dort hätte sie vermutlich nichts weiter gesehen als das sterbende Gesicht ihres Vaters.

„Schau mal, dort drüben ist schon Vineyard Haven Harbour.“

Sie folgte Brookes Fingerzeig und fand einen kleinen weißen Leuchtturm, umgeben von rotgedeckten Häuschen. Erleichtert atmete sie auf. Ein idyllischer Anblick.

Die Island Queen ratterte durch eine kleine Bucht, rechts und links von ihr weiße Sandstrände, auf denen die typischen Häuser standen. Die weißen Sprossenfenster blickten sehnsüchtig aufs Meer hinaus, als warteten sie auf die Rückkehr verschollener Seefahrer. Sie hatten die Fahrt überstanden!

Im Hafen selbst lagen unzählige Segelboote und kleine Yachten vor Anker, die Kriemhild allesamt an ihren Vater erinnerten. Nie wieder, hatte sie sich geschworen. Ein Seufzer entfuhr ihren Lippen.

„Siehst du, du hast es überlebt. Er wäre stolz auf dich, was ich übrigens auch bin.“ Onkel John lächelte, was seine Falten noch freundlicher erscheinen ließ.

„Ja, vielleicht wäre er das“, gab Kriemhild zurück. „Danke.“

Es gab so viel zu berichten, als sie am Nachmittag voller Eindrücke zurückkehrten. Margret hörte geduldig zu. Ihre Tante hatte ihnen einen wunderbaren Picknickkorb mitgegeben. Obwohl die vielen Dinge darin vorzüglich geschmeckt hatten, hatten John und Brooke Kriemhild in Oaks Bluff zum Hummeressen eingeladen, nachdem sie unzählige, malerische Orte des Eilands aufgesucht hatten.

„Vielen Dank, Onkel John! Ihr habt mir einen wunderschönen Tag bereitet. Die kitschig bunten Methodistenhäuser … All diese herrlichen Wälder und wilden Strände! Schade, dass du nicht mitgekommen bist, Tante.“

John lächelte. „Es freut mich, dass es dir so gut gefallen hat. Das wurde auch mal Zeit, nach allem, was du hier bisher erlebt hast.“

„Ich bin stolz auf dich, Kriemhild.“ Margret tätschelte ihr die Wangen. „Heute Morgen hatte ich einen Moment lang meine Zweifel, ob du tatsächlich auf diese Fähre steigst. Auch mein Tag war schön. Wisst ihr, Catherine hat sich sehr über meinen Besuch gefreut. Hat der Picknickkorb geschmeckt?“

„Was für eine Frage, Tante! Du bist einfach unschlagbar. Fast wie Brookes Mundwerk!“

Das Klingeln des Telefons unterbrach ihr Gespräch und Margret blickte auf.

„John, würdest du bitte rangehen? Es schellt schon wieder.“

Er nickte und erhob sich, bevor Tante Margret fortfuhr. „Das Mundwerk hat die Delaware von ihrer Mutter, wenn du mich fragst. Ich wette, sie hat dich gut abgelenkt, was die Überfahrt angeht, Liebes.“

„Oh ja! Dank ihrem Geplapper ging alles recht schnell und schmerzlos.“

„Kriemhild?“, rief John aus dem Flur. „Hier ist ein Gespräch für dich, aus Deutschland.”

„Für mich? Ist es etwa Ma?“ Sie sprang aus dem Sessel und lief zu ihm hinüber. „Nein. Wenn ich es richtig verstanden habe, eine Sara.“ Voller Freude riss sie ihm den Hörer aus den Händen.

„Sara! Schön, dass du anrufst!”

„Hi, Kriemhild! Ich wollte mich für die Postkarte bedanken.“ Die Stimme ihrer besten Freundin klang so nah und so vertraut.

„Oh, ist sie schon angekommen? Wie geht es dir, Sara? Schade, dass du nicht hier sein kannst. Du würdest es lieben! Stell dir vor, wir haben den Tag auf Martha’s Vineyard verbracht!“

„Hör zu, Kriemhild …“ Etwas Bedrückendes lag in ihren Worten. „Hier ist jemand, der dich sprechen will. Es … es tut mir leid. Ich wollte das alles nicht aber … er hat gedroht, diese Sache mit Martin vor meinen Eltern auffliegen zu lassen, du weißt schon … Sorry, Süße.“

Ein plötzlich auftretendes Zittern schüttelte den Telefonhörer. Die Freude über Saras Anruf verwandelte sich in einen beklemmenden Schmerz, der Kriemhild die Luft abschnürte.

„Bitte, rede mit ihm, hörst du? Er besteht darauf“, flehte Sara.

Martin! Wieso hatte sie auch mit ihrem Lehrer geknutscht und sich dabei von Justus erwischen lassen? Es folgte ein Rascheln in der Leitung, dann hörte Kriemhild Justus’ Atem ganz dicht an ihrem Ohr. Er klang erregt. Der reinste Albtraum. Sie stand dort wie gelähmt und das Blut gefror in ihren Adern.

„Hallo, Schätzchen“, flüsterte er. „Wieso reagierst du nicht auf meine Kurzmitteilungen? Hast du dein Handy nicht dabei?“

„Hallo, Justus.“ Sie bemühte sich, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Ich habe … mein Handy ist verloren gegangen.“

„Oh, das tut mir leid. Wo steckst du? Ich muss unbedingt mit dir reden. Ist es wahr, dass du in den Staaten bist?“

Er kontrollierte sie noch immer. Es war sinnlos, zu lügen.

„Ich besuche meine Verwandten. Was willst du, Justus? Ich wüsste nicht, was es zwischen uns zu sagen gibt.“

Er lachte leise. Das grausame, irre Lachen überzog Kriemhilds Arme mit einer Gänsehaut.

„Jetzt bist du mutig, weil du weit genug von mir weg bist“, flüsterte er. „Weißt du, ich vermisse dich. Deinen Geruch, deine Augen, deine weiche Stimme. Was machen die Jungs so in Boston? Pass auf, dass dich niemand anfasst, sonst bekommt er es mit mir zu tun. Ich hoffe, du weißt das.“

Ihre Hand zitterte so stark, dass sie Mühe hatte, den Hörer nicht fallen zu lassen.

Lass mich in Ruhe! Kapiert? Es geht dich einen Dreck an, mit wem ich mich treffe! Wir sind nicht zusammen! Um genau zu sein, waren wir es nie! Also ruf mich nie wieder an und vor allem: Lass Sara in Frieden! Sie hat mit der Sache nichts zu tun.“

„Ja, die kleine, unschuldige Sara. Vergiss mich nicht, Kriemhild. Du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken. Ich weiß, dass du mich liebst. Du liebst mich und deine Spielchen treiben mich langsam in den Wahnsinn. Lass mich nicht zu lange warten, Schätzchen.“

Ein letztes begehrendes Schnaufen, dann das Hupen in der Leitung. Kriemhilds Knie gaben nach und sie folgte dem Hörer auf den Boden.

„Um Himmels Willen! Was ist denn hier passiert?“ Margret stürzte in den Flur.

„Justus. Es war Justus. Er hat mir gedroht.“ Kriemhilds Stimme war nur ein Flüstern. „Er hat Sara gezwungen, hier anzurufen und … er hat mir gedroht.“

„Komm her, alles ist gut. Es war nur ein Anruf, weiter nichts. Er kann dir nichts tun, Liebes.“ Margret nahm sie in die Arme und strich ihr über die Haare.

Kapitel 19

Margarethe

„Sie ist endlich eingeschlafen“, sagte sie und stellte sich zu John ans Fenster, nachdem sie die Treppe hinuntergekommen war. Das Telefonat hatte das arme Mädchen völlig verunsichert. Fassungslos schüttelte Margret den Kopf. „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass er es fertigbringt und hier anruft.“

„Nein, mein Herz, das hätte ich auch nicht.“ Ihr Mann schaute in die dämmrige Dünenlandschaft. „Vielleicht sollten wir Elisabeth benachrichtigen?“

„Sinnlos, John. Soweit ich weiß, verfügt dieser Justus über eine polizeiliche Auflage, die ihm untersagt, sich ihr zu nähern. Von Telefonaten steht da sicher nichts drin. Und Betty würde sich nur unnötige Sorgen machen.“

Er nickte und atmete hörbar aus. Mit dem Kinn deutete er hinaus in die Sandberge.

„Ist dir aufgefallen, dass dieser Dawson-Junge sich lange nicht auf seinem Platz blicken lassen hat?“

„Was willst du damit sagen?“, fragte Margret irritiert.

„Keine Ahnung, ob es was zu bedeuten hat. Ich habe mich gerade nur gefragt, ob es was mit Kriemhild zu tun haben könnte.“

„Mit Kriemhild? Du meinst …?“

„Ich meine gar nichts. Nur so ein Gedanke. Übrigens habe ich heute Morgen deine Freundin Catherine auf dem Fischmarkt getroffen. Sie erfreut sich bester Gesundheit und lässt dich schön grüßen.“

Margret errötete und schaute zu Boden. John hob ihr Kinn an und schmunzelte.

„Willst du mir nicht sagen, wo du heute warst, mein unverbesserliches Herz?“

„Ich habe Kriemhild die Geschichte von unsrer kleinen Sue erzählt. Allerdings nicht, dass es der Vineyard war, wo sie geboren wurde.“ Margret hatte die Insel seit der Geburt nie wieder betreten. „Verzeih mir die kleine Flunkerei. Ich wollte sie nicht noch mehr mit der Sache belasten. Sie hat es sich ohnehin sehr zu Herzen genommen.“

„Und wo warst du nun?“

„Ich habe tatsächlich einen Krankenbesuch gemacht. Ich war bei Pastor Jonas. Er ist letzten Monat fünfundneunzig geworden und es steht schlecht um sein Herz. Erinnerst du dich, er war damals immer für uns da. Sue war seine erste Beerdigung in der neuen Gemeinde. Er hat sich für die Umbettung eingesetzt, als wir dieses Haus kauften. Das werde ich nie vergessen. Ich hoffe, er findet bald seinen Frieden und muss nicht lange leiden. Das hat er nicht verdient.“

Kapitel 20

Justus

Einige Monate zuvor.

Es geschah auf der Vorabiparty. Er wusste es einfach; nie zuvor in seinem Leben war er sich einer Sache sicherer gewesen. Kriemhild liebte ihn. Und weil ihre Gefühle so machtvoll waren, wusste sie nicht, wie sie sie kontrollieren, geschweige denn äußern sollte.

Den ganzen Abend über stand sie mit Sara und den anderen Mädels an der Tanzfläche. Immer wieder trafen ihre Blicke auf ihn, schüchterne Blicke. Er lächelte zurück, sie kicherte. Ihr Anblick ließ sein Herz höherschlagen. An jenem Abend sah sie besonders entzückend aus. Der kurze Rock, das schwarze, enganliegende Oberteil, die roten Haare zu zwei langen Zöpfen geflochten. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Immer wieder musste er an ihre erste Begegnung zurückdenken, als sie ihn vor der Klasse gerettet hatte.

Langsam schob er sich durch die tanzende Menge zu ihr, das Bierglas in der Hand, um sich Mut anzutrinken. Er wollte stark sein, für sie. Damit sie sich endlich ihre Gefühle eingestand. Noch am selben Abend würde er ihr sagen, dass er ihre Liebe erwiderte.

„Hallo, Mädels.“ Er ging in die Offensive.

Sie drehten sich kichernd weg. Kriemhild hatte ihre Freundinnen vermutlich eingeweiht. Sie alle wollten die Romanze hautnah miterleben.

„Hast du Lust mit mir zu tanzen, Kriemhild?“, fragte er geradeheraus.

Sie flüsterte Sara etwas zu, sicher ein süßes Geheimnis. Dann nickte sie und folgte seiner Aufforderung. Sara rollte mit den Augen. Doch das interessierte ihn nicht. Er sah nur sie. Kriemhild hatte seinen Tanz angenommen und das machte ihn zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Party.

Erst tanzten sie weit auseinander, jeder für sich. Dann ging er näher ran, drücke sie unwillkürlich in die Menge, bis sie so nah an seinem Körper tanzte, dass er ihren Atem auf seiner Haut spürte. Sie hatte schon etwas getrunken; ihr Blick war glasig. Er sah sie an und bewunderte, wie ihr perfekter Körper sich zur Musik bewegte. Justus legte seine Arme um ihre Taille. Sie schob ihn weg; vermutlich ging ihr das zu schnell. Er lächelte und flüsterte in ihr Ohr. „Verstehe, Schätzchen.“

Sie rief ein lautes „Was?“ in die dröhnende Musik. Seine Kopfbewegung lud sie ein, ihm zu folgen. Draußen vor der Halle wären sie ungestört.

Es war eine sternklare Nacht. Silbriges Licht legte sich wie ein Schleier auf Kriemhilds blasse Haut. Wenn er sie erst geküsst hätte, würde sie das Feuer seiner Liebe verstehen. Er würde ihre Zurückhaltung keinen Tag länger ertragen.

„Puh, da drinnen tanzt der Bär!“ Sie lachte. Er stellte sich direkt vor sie und schob sie gegen die Betonwand der Halle. Ihr Geruch betörte ihn.

„Was willst du, Justus? Was soll das hier?“

Wieder suchten seine Hände nach ihrer Taille.

„Warum quälst du mich, Kriemhild?“, fragte er und seine Augen brannten. „Es ist an der Zeit, mit den Spielchen aufzuhören, Schätzchen. Meinst du nicht auch?“

Sie versuchte, seine Hände fortzuschieben, doch er ließ es nicht zu. Sie tat das, um sicherzugehen, dass er sie wirklich fest im Arm hielt. Justus wusste, wie sie tickte.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst! Und jetzt nimm deine Hände da weg, Justus!“

„Nein, ich halte dich. Glaub es ruhig. Du hast es verdient, dass ich dir meine Liebe gestehe. Hab keine Angst. Ich weiß doch längst, was du fühlst.“

Er kam näher, drückte seinen Körper gegen ihren und küsste ihren Hals. Sie stieß ihn zurück.

Bist du bescheuert? Lass mich los!“

„Komm schon! Gib endlich zu, dass du mich liebst! Ich werde dich vor deinen Freundinnen nicht blamieren, versprochen.“

Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küsste ihre Wangen, die weichen Lippen. Daraufhin trat sie mit voller Wucht gegen sein Schienbein. Ihre Leidenschaft entflammte ihn noch stärker. Als er nicht von ihr abließ, biss Kriemhild ihm auf die Lippe. Das war zu viel!

„Autsch!“, schrie er und wich einen Schritt zurück.

„Bist du total durch geknallt, Justus?“ Ihre Augen blitzten wütend. „Was soll der Mist? Mach das nie wieder, verstanden?“

Sie fuhr sich angeekelt mit dem Handrücken über den Mund. Kriemhild wollte an ihm vorbei, zurück in die Halle, doch er hielt sie am Arm fest.

Du hast mich gebissen!“ „Und? Du hast mich geküsst! Jetzt lass mich los, oder ich schreie.“

Er stieß sie zurück an die Hallenwand. Sie schlug um sich, doch er war stärker.

„Du wirst mich nie wieder beißen, verstanden? Das tut man nicht, wenn man sich liebt.“

Ich liebe dich aber nicht!

Ihre Worte verhallten ungehört im Wind. Er weigerte sich, sie zu hören, oder ihnen zu glauben. Vielleicht war Frank hinter ihr her? Vielleicht drohte er ihr, sich nicht auf Justus einzulassen? Wie schrecklich! Voller Zärtlichkeit strich er eine Haarsträhne aus ihrer Stirn. Ihre roten Haare hatten sich in seinen Kopf gebrannt.

„Ruhig, mein Schätzchen. Ich tu dir nichts. Was auch immer Frank gesagt hat, glaub ihm nicht. Er kann uns nichts verbieten.“

Dann küsste er ihre Stirn und die glühenden Wangen. Sie riss sich los und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Er schrie auf.

„Entweder hast du zu viel getrunken, oder du bist krank, Justus!“

Sie rannte so schnell, dass er ihren Arm nicht mehr zu packen bekam. Hatte sie ihn tatsächlich krank genannt? Seine Miene versteinerte. Er war nicht krank. Sein Vater, ja, der war krank. Aber er nicht! Das würde er nicht auf sich sitzen lassen! Wie konnte sie ihn mit ihm vergleichen!

In der Schule ging sie ihm aus dem Weg. Sie war nie mehr allein unterwegs. Justus saß oft in seinem Wagen und beobachtete sie, wenn sie das Haus verließ. Da war kein anderer Junge. Es gab niemanden. Wieso also gestand sie sich nicht ein, dass sie ihn liebte? Er verstand die Welt nicht mehr.

Dann endlich stand sie eines Abends allein an der Bushaltestelle. Es war dunkel. Das war der Moment, auf den er gewartet hatte. Er stieg aus und ging zu ihr. Fast würde er sagen, dass sie erschrak, als sie ihn kommen sah. Justus lachte. Wieso sollte sie sich vor ihm fürchten? Sie waren doch beinahe ein Paar!

„Hallo, Kriemhild. Habe ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht.“

„Was willst du? Lass mich in Ruhe!“

Ihre Bissigkeit kam daher, weil er versagt hatte. Er musste seinen Mann stehen, das spürte er. Sie wollte erobert werden.

„Tut mir leid, dass wir uns neulich auf der Party missverstanden haben. Ich weiß jetzt, was du willst.”

Missverstanden? Was war denn daran misszuverstehen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Das habe ich auch nicht verstanden. Du siehst übrigens umwerfend aus.“

Seine Augen glänzten. Er kam näher und wollte ihr Haar berühren. Sich wich zurück.

„Justus, zieh Leine! Es reicht, kapier endlich, dass ich nichts von dir will!“

„Weißt du, was ich will? Ich will dich! Jeden Tag, jede Nacht will ich bei dir sein. Mein Wagen steht da drüben. Soll ich dich irgendwo hinfahren? Du könntest das Fahrtgeld sparen.“ Sie wich noch einen Schritt zurück. Seine Anwesenheit machte sie nervös, und das ließ sein Herz höherschlagen.

„Nein, danke! Ich bevorzuge den Bus!“

Das war sein Moment. Er musste sie davon überzeugen, wie ernst es ihm war. Sicher glaubte sie eher seinen Taten als seinen Worten. Justus sprang sie an. Sie fiel rücklings auf den Bürgersteig und schrie. Er lag auf ihr und küsste sie überall. Sie musste doch endlich verstehen, dass er sie liebte!

„Siehst du, es ist mir ernst! Sag, dass du mich auch willst! Sag es!“

Er bemerkte den Bus, der fast da war, seufzte, sprang auf und lief zu seinem Wagen.

Kriemhild blieb zurück. Sie tat ihm leid. Vermutlich hatte er sie verletzt. Wie gern hätte er sie mitgenommen. Er sah noch, wie der Busfahrer ausstieg und sie fragte, ob sie Hilfe brauche. Dann gab er Gas.

Zwei Tage später hatte er eine Vorladung von der Polizei in seinem Briefkasten. Justus verstand gar nichts mehr.

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