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Kapitel 7

Margarethe

Jacob schaute aus seinem Korb auf, legte die Ohren nach vorn und deutete ein Bellen an. Margret saß in ihrem Schaukelstuhl und stickte. Sie war nicht weit gekommen. Immer wieder griff sie nach dem Taschentuch und hinderte die Tränen daran, auf die Handarbeit zu tropfen. Sie dachte an den Brief. Auf dem Sterbebett war dem alten Dickkopf vermutlich eingefallen, dass er eine verstoßene Tochter am anderen Ende der Welt hatte. Wenn es ihn im Leben nicht geschert hatte, wie es ihr ergangen war, was hatte er ihr im Tod dann zu sagen?

„Tante Margret! Möchtest du sehen, was ich mir in Falmouth gekauft habe?“ Kriemhild kam über die Veranda herein und stockte. „Du weinst?“

Sie lief auf sie zu, ließ die Tragetasche der Boutique zu Boden sinken und hockte sich neben den Schaukelstuhl. Margret zwang sich zu einem Lächeln.

„Ach, eine dumme Allergie … Vermutlich Pollen.“

„Du bist eine ziemlich schlechte Lügnerin, also versuch es erst gar nicht.“ Ihre Nichte umarmte sie. „Du weinst meinetwegen, hab ich Recht? Ich habe dich an ihn erinnert.“

„Es ist wegen deines Großvaters“, gestand sie.

„Willst du mir davon erzählen?“

Margret zuckte mit den Schultern und legte die Stickerei beiseite.

„Hat Elisabeth denn nie mit dir darüber gesprochen?“

„Nicht wirklich. Ma sagte nur, dass er dich rausgeschmissen hat wegen der Sache mit John.“

Margret nickte und Kriemhild nahm auf einem der Sessel Platz.

„Das ist nur der kleinste Teil der Wahrheit“, begann sie und holte tief Luft. „Warum nicht? Vielleicht solltest du die Geschichte hören.“

Ihr Blick ging in weite Ferne. Tränen benetzten ihre Erinnerungen. Und doch war es, als wäre es gestern gewesen, als wäre die Zeit stehengeblieben.

„Weißt du, Kind, ich war gerade mal dreizehn, als im Oktober ‘58 die General G.M. Randall in Bremerhaven einlief, um neue US-Truppen an Land zu setzen. Vater hatte es mir streng verboten, aber ich stand doch heimlich in der Menschenmenge – mit hochroten Wangen – und bejubelte Elvis, der als Wehrpflichtiger von Bord ging.“ Margret lächelte, als die Bilder ihrer Jugend in ihr hochkamen. „Nie werde ich diesen Tag vergessen können!“

Kriemhild lauschte ihr gebannt. Margret griff nach ihrem Taschentuch. Und während sie erzählte, spürte sie wieder dasselbe Kribbeln in ihrem Körper, das sie schon damals gespürt hatte; als sie ihn zum ersten Mal gesehen und sofort gewusst hatte, dass er der Richtige war.

„Zwei Jahre später lief John mit einem dieser Schiffe ein. Weniger bedeutend für die Welt, aber für ihn und mich der Anfang eines neuen Lebens … Ja, das waren große Zeiten. Inmitten des Kalten Krieges, der Afrikanischen Unabhängigkeitskriege gegen ihre Kolonialmächte, Deutschland strebte wirtschaftlich auf … Geschichte, die du sicher aus der Schulzeit kennst.“

„Ich hatte keine Ahnung, dass du so jung warst, als ihr euch kennengelernt habt“, rief Kriemhild. „Was hat Großvater denn dazu gesagt?“

Margret lachte schmerzhaft. „Er hatte keine Ahnung! John und ich trafen uns zunächst heimlich … in der Kaserne … Wann immer ich mich aus der Nähstube schleichen konnte, war ich bei ihm. Ich sehe es noch ganz deutlich vor mir, wie ich auf seinem Schoß saß, dicht gedrängt um ein kleines Radiogerät mit seinen Kameraden. Wir verfolgten die Präsidentschaftswahlen in ihrer Heimat. Du hättest ihren Jubel hören müssen, als John F. Kennedy gegen Richard Nixon die überraschende Mehrheit erlangte.“

„Was ist dann geschehen? Wie ist Großvater dahintergekommen?“

„Ach, Kind …“ Margret schüttelte den Kopf und rang lange Zeit mit sich selbst, bevor sie mit bebender Stimme weitersprach. „Es geschah etwas, das uns früher oder später überführt hätte … Ich … wurde schwanger.“ Sie tupfte eine Träne von ihrer Wange und ihre Stimme versagte.

Kriemhild hockte bewegungslos auf dem Sofa und schwieg. Doch ihre Blicke verrieten den Kummer. Nach einiger Zeit fuhr Margret fort. Die Bilder in ihrem Kopf schmerzten.

„Vater wartete mit dem Rohrstock in der Tür. Mutter und Elisabeth weinten in der Küche … Vielleicht hoffte er, ich würde den unehelichen Bastard – wie er das Kind nannte – durch die Schläge verlieren. Doch den Gefallen tat ich ihm nicht. Dann schmiss er mich raus. Vermutlich hatte der Krieg ihm den Rest gegeben. Elisabeth schrie mir nach … dass sie mich liebe und mich besuchen wolle … John verließ die Armee und auf dringendes Anraten seiner Eltern hin heirateten wir. Wie sonst hätte eine minderjährige, schwangere Deutsche in die USA einreisen sollen?“

Kriemhild war leichenblass. „Und Johns Eltern? Haben sie dich … einfach so akzeptiert?“

„Nein, Liebes, wo denkst du hin? Doch ihnen blieb nach außen hin keine Wahl. Sein Vater war einer der besten Ärzte Neuenglands. Damals herrschten andere Zeiten … Man wollte mit aller Macht den Schein wahren. Vielleicht war das mein Glück. Deutschland habe ich seither nicht wieder betreten – außer zur Silberhochzeit deiner Eltern.“

Margret weinte und wollte mit zittriger Stimme fortfahren: „Unser Kind, das sehr bald zur Welt kommen sollte …“

„Nein!“, rief Kriemhild und fiel ihr um den Hals. „Hör auf! Ich will nicht, dass du noch mehr leidest. Erzähl es mir ein anderes Mal.“

„Der Brief … Bitte, ich will ihn sehen. Es ist an der Zeit, endlich damit abzuschließen. Würdest du ihn mir geben?“

„Bist du sicher? Sollten wir nicht auf John warten? Wo steckt er eigentlich?“

Margret wischte sich durch die Augen. „Es kann spät werden. Er besucht einen alten Freund in Hyannis. Bitte, ich denke, ich bin jetzt bereit, ihn zu lesen.“

„Wie du meinst. Ich hole ihn.“

Margret hielt ihn lange in Händen und drehte den verschlossenen Umschlag umher. Kalter Pfeifentabak haftete am Papier, aber nur in ihren Erinnerungen an Vater.

Sie rang ganze zwanzig Minuten lang mit sich selbst. Dann öffnete sie mit zittrigen Fingern das Couvert. Nichts war zu hören, außer dem Rascheln des Briefbogens, als sie ihn auseinanderfaltete. Kriemhild stand in der Küche an einen Schrank gelehnt und beobachtete sie besorgt. Margrets Weinkrampf von zuvor hatte nachgelassen. Langsam überflogen ihre feuchten Augen die dunkel geschwungenen Zeilen. Sie zeugten noch immer vom willensstarken Charakter des Schreibers. Ein starker Geist im schwachen Körper.

Zwischendrin hielt Margret inne und tupfte sich Tränen aus den Augen, um weiterlesen zu können. Ihr Atem ging schwer und sie schüttelte den Kopf. Ungläubig, enttäuscht. Dann legte sie das Papier auf den kleinen Tisch, direkt neben ihre Handarbeit.

„Geht es dir gut?“ Das Mädchen kam näher. Margrets Blick fixierte einen Punkt draußen am Horizont, ohne etwas wahrzunehmen. Sie nickte. Kriemhild nahm ihre kalten Hände und strich zärtlich darüber. Margret flüsterte: „Aber keine Entschuldigung der Welt ersetzt ein Gespräch zwischen Vater und Tochter. Das hat er versäumt und ich weiß nicht, ob ich ihm vergeben kann.“

„Gib dir Zeit. Vielleicht kannst du es irgendwann.“

„Vielleicht. Wenn du uns in deine Gebete einschließt.“

„Das werde ich.“

Ein Klingeln riss Margret aus den schwermütigen Gedanken. Kriemhilds Handy, es lag auf der Anrichte. Erschrocken fuhr das Mädchen herum und starrte auf das Display, ohne sich zu rühren.

„Willst du nicht rangehen, Liebes?“

Kriemhild hielt noch immer Margrets Hände. Sie schüttelte den Kopf. Ihr blasses Gesicht war von Angst gezeichnet. „Es … es ist Justus.“

„Er ist hartnäckig“, stellte Margret fest.

„Was soll ich tun, Tante?“

„Na was schon? Drück ihn weg.“

„Ihn wegdrücken? Du … bist cool für dein Alter!“

Margret prustete vor Lachen und schlang die Arme um Kriemhilds Taille.

„Und jetzt zeig mir, was du dir in der Stadt gekauft hast. Wir wollen nicht länger Trübsal blasen.“

Das Mädchen warf die roten Strähnen aus der Stirn und bekam etwas mehr Farbe auf die blassen Wangen. Sie schaltete ihr Handy ab und schnappte nach der Tüte aus Claire’s Boutique.

„Du hast Recht, lass uns an schöne Dinge denken. Aber bitte schimpf nicht mit mir. Wenn du wüsstest, dass ich mit Brooke Delaware shoppen war, würdest du verstehen, wie schwierig es war, überhaupt ein Stück Stoff an meine Haut zu lassen …“

Brooke Delaware? Ha! Diese Quasselstrippe? Dann hast du also eine Freundin gefunden?“

„Naja, die Definition Freundin ist nicht ganz zutreffend. Aber für den Sommer werde ich gut mit ihr auskommen. Stell dir vor, sie hat mich sofort zur Beachparty heute Abend am Pier eingeladen. Sie ist ganz anders als meine Freundin Sara. Pass auf.“ Sie griff in die Tüte und zog einen khakifarbenen Bikini heraus. „Dazu habe ich einen hübschen Stufenrock in Creme gefunden, und einen Strohhut. Was meinst du? Ich war noch nie auf einer Beachparty …“

Margret musterte die Stoffe und zog eine Braue hoch. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Ich dachte, du seist hier, um Justus zu vergessen? Nun, ich fürchte, in diesen Kleidern wirst du mindestens drei Neue seiner Art anlocken.“

„Vielleicht hast du Recht. Darauf kann ich im Moment wirklich verzichten.“ Sie warf die Klamotten zurück in die Tüte. „Also bleibe ich bei dir. Wir schauen einen schnulzigen Film, essen Eiscreme und hoffen auf eine Speckrolle, die sämtliche Justusse der Welt vergrault.“

„Du tust mir gut, mein Kind. Ich habe lange nicht mehr so gelacht! Geh nur und amüsier dich. Du hast viel durchgemacht in letzter Zeit. Aber eines noch: Sei vorsichtig am Strand, du weißt schon, ich mache mir Sorgen. Und damit meine ich nicht die Jungs.“

„Ich weiß“, Kriemhild lächelte. „Aber keine Angst, ich meide das Wasser. Ich stelle allenfalls mal einen Zeh in die Wellen.“

Kapitel 8

Jason

Am selben Nachmittag hing er lässig draußen auf dem Geländer der Veranda und zog an seiner Zigarette. James – den Volltrottel – hatte er noch einmal in die Stadt geschickt, um die letzten organisatorischen Sachen am Pier abzuchecken. Dazu war er gut genug. Das hatte er drauf. Für alles andere – die wichtigen Dinge – fehlte ihm irgendwie der Grips. Vor allem, was Weiber anging. Wenn Jason ihm nicht hin und wieder eine klarmachte, würde er gar nichts hinkriegen. Eine wie Brooke, die passte zu ihm. Er selbst würde sich um die Rothaarige kümmern, die war schließlich zwei Hausnummern zu groß für James.

Er zog ein letztes Mal an der Kippe, warf sie zu Boden und zertrat den Glimmstängel. Erst am Morgen hatten sie das Strandhaus seiner Eltern bezogen und schon sah es aus, als hätten dort zehn Obdachlose einen ganzen Monat verbracht. Die meisten anderen Häuser standen noch leer – die Leute reisten frühestens kommende Woche an. Doch für ihn startete die Saison an dem Tag. Schließlich war Anfang Juni!

Jason schaute hinab zum Strand und bekam große Augen. Da war die Kleine ja! Mit ‘ner Tüte voll Shoppingzeug. Er stützte sich auf das Holzgeländer und beobachtete sie. Kein Zweifel, die suchte nur nach ‘nem Typ wie ihm! Sie kannte sich mit Autos aus, was bedeutete, dass sie auch scharf auf eine Spritztour durch die Dünen war.

Es gab kein Mädchen nördlich von Philadelphia und südlich von Boston, das nicht auf seine Karre abfuhr.

Dann traf ihn beinahe der Schlag. Die Kleine ging auf das Haus der Gilberts zu! Wenn das hieß, dass sie keine fünfzig Meter weit entfernt von ihm wohnte, könnte er nachts den einen oder anderen Rundgang wagen. Er grinste. In weniger als zwei Stunden stieg die Party. Jason hatte vor, die Wette nicht nur zu halten, sondern sie noch am gleichen Abend zu gewinnen.

Zum Pier hin beleuchteten Fackeln einen Weg. Die Musik passte; sie dröhnte ihm entgegen, als er den Wagen parkte. Hoffentlich hatte James nochmal mit dem Officer gesprochen. Zu dumm nur, dass in der Gegend alles kontrolliert wurde. Das einzig Gute an der Sache war, dass er Anfang des Jahres seinen Einundzwanzigsten gefeiert hatte. Da konnte er sich endlich offiziell einen kippen, ohne dafür einkassiert zu werden.

Der DJ stand in der Mitte des Piers, eine angesagte Socke aus Manhattan. Discolights und Lampions sorgten für Stimmung. Jason sah viele Mädchen, die er noch vom letzten Sommer kannte, und bei der einen oder anderen war er sicher, dass er sie auch in dem Jahr wieder mit ins Strandhaus nehmen würde.

„Da bist du ja, Mann!“ Er klopfte James auf die Schulter und suchte gleichzeitig nach der Rothaarigen. „Und, alles klar?“

„Klar, Jason. Ich hab dem Barkeeper ‘ne Flasche von dem Zeug untergejubelt, das du besorgt hast. Alles easy. Deine Braut ist aber noch nicht in Sichtweite. Du bist sicher, dass sie kommt?“

„Die kommt, darauf kannst du einen lassen.“

Er zündete sich eine Zigarette an und blies den blauen Dunst aufs Meer hinaus.

„Entschuldigen Sie bitte. Sind Sie die Verantwortlichen für diese Party?“

Jason drehte den Kopf zur Seite und schaute einen uniformierten Polizisten an. So ein Idiot! James hatte es also tatsächlich verpennt.

„Ja, der bin ich. Jason McAlloy. Stimmt irgendwas nicht, Officer?“

„Bisher ist jedenfalls nichts passiert. Ich wollte Sie nur noch einmal auf die üblichen Gesetze aufmerksam machen. Sie kennen die Bestimmungen, was Alkohol und Drogen angeht?“

„Sicher. Hat mein Kollege James Sie nicht informiert wegen der Party?“

Kapitel 9

Kriemhild

„Oh mein Gott! Oh mein Gott! Ich denke, ich muss nochmal nach Hause und mich komplett umstylen. Hast du kurz Zeit? Kommst du mit? Wieso musstest du hier ausgerechnet im Sommer aufschlagen? An Halloween ist auch viel los. Oder an Thanksgiving. Der Sommer wird meiner Meinung nach ohnehin überbewertet. Was tu ich jetzt also mit dir? Lass dich ansehen!“

Brooke nahm sie bei den Händen und schwenkte ihre Arme umher. Ihr Geplapper verunsicherte Kriemhild noch stärker, als sie ohnehin schon war. Sie kam sich tierisch albern vor in ihrem Aufzug. „Du hast Recht. Ich sollte mich besser umziehen. Eine Jeans tut’s auch.“

„Was? Darling, eine Jeans? Woher kommst du noch gleich? Vom Mond? Du bist das heißeste Ding, das hier weit und breit herumläuft. Und darauf solltest du stolz sein! Wieso hat Gott mir diesen Körper nicht geschenkt? Ich wüsste genau, wie ich ihn einzusetzen hätte! Los, komm, wir sind eh zu spät. Aber hey, du hast mir wirklich noch nicht gesagt, woher du kommst.“

„Aus Bremerhaven“, erwähnte Kriemhild beiläufig.

Bremerhaven? Wo liegt das, in Kalifornien? Wahnsinn, ein Mädchen von der Westküste! Dafür bist du ziemlich blass, findest du nicht?“

„Brooke, Bremerhaven liegt an der Nordküste. Und zwar von Deutschland.“

Das Mundwerk ihrer neuen Freundin stand mal für fünf Sekunden lang still.

Deutschland? Verstehe. Europa. Ich dachte immer, Europäer seien blond und blauäugig?“

„Tja. Man lernt immer dazu.“

Brooke zog sie aus dem Haus. Kriemhild setzte ihren Strohhut auf und schob den Rock weiter runter. Er reichte nicht mal bis zu den Knien. Darin lag sicher ihr Unwohlsein. Tante Margret stand mit verschränkten Armen auf der Veranda, zwinkerte ihr zu und lächelte. So schlimm konnte es also nicht sein.

Brooke trug ihre Haare offen. Ihr gelber Bikini strahlte geradezu auf ihrer knackig braunen Haut. Wie unterschiedlich wir doch sind, dachte Kriemhild, als sie sie musterte. Allein optisch passten sie überhaupt nicht zusammen. Wenn Sara nur dagewesen wäre …

„Also. Ich werde dich jetzt mal aufklären, was unsere Beachpartys angeht. Ich bin sicher, dass du noch nie Vergleichbares erlebt hast. Unten am Pier treffen wir auf Kelly, Bonnie und Jen. Nenn sie bloß nicht Jennifer! Es könnte sonst durchaus passieren, dass sie einen hysterischen Anfall bekommt. Obwohl, lass uns abwarten, wie die Jungs drauf sind. Wenn es dazu kommen sollte – was ich natürlich nicht hoffe – dass sie sich den gleichen angelt wie ich, dann darfst du sie Jennifer nennen. Wie alt bist du? Einundzwanzig? Wenn nicht, ist Alkohol tabu. Ich weiß zwar nicht, wie das bei euch in Europa geregelt ist, aber … Vergiss es. So, wie du aussiehst, wird niemand nach deinem Alter fragen.“ Kriemhilds Ohren schmerzten, als sie den Pier erreichten. Das war schlimmer als die Gilmore Girls. Vor ihnen stand eine Gruppe Mädels. Kelly, Bonnie und Jen. Sie begrüßten sie mit einem Lipgloss-„Hi“ und Kriemhild wünschte, ein Loch im Boden würde sich auftun und sie verschlingen. Irgendwie fühlte sie sich fehl am Platz.

„Das ist Kate“, begann Brooke. „Sieht sie nicht hammermäßig aus? Sie kommt aus Europa, daher ihre blasse Haut. Aber unser Sommer wird sich dieses Problems annehmen. Hab ich Recht, Mädels?“

Die stylischen Girls musterten sie. Vielleicht hätte Kriemhild sich wohler gefühlt, wenn sie nicht noch oberflächlicher gewesen wären als Brooke. Einen Augenblick lang stellte sie sich vor, wie es wäre, die große Blonde Jennifer zu nennen.

„Okay, was geht ab?“ Bonnie schaute neugierig in die Runde. „Ich würde sagen, ich besorge uns ein paar Drinks?“

„Hey, Kate, was willst du trinken? Bonnie hat einen Ausweis dabei. Sie bekommt alles, was dein Herz begehrt.“

„Für mich vielleicht später. Danke.“

Bonnie rollte mit den Augen, bevor ihr Pferdeschwanz fast in Kriemhilds Gesicht klatschte. Die Musik dröhnte über den Pier und eine riesige Schlange tanzender Jugendlicher bewegte sich in die Mitte des Stegs.

„Hallo, ihr Süßen!“ Jason drängte sich dreist zwischen die Mädchen und alle grinsten ihn an. Kriemhild schaute weg. Ihr war klar gewesen, dass sie James und ihm dort begegnen würde, aber das machte die Sache nicht angenehmer. Nachdem er sich den Begrüßungs-Lipgloss seiner Fangemeinde von der Wange gewischt hatte, kam er zu ihr.

„Welch übergroße Freude, dich wiederzusehen. Hast du Lust auf einen Tauschhandel? Deinen Namen gegen einen Drink?“

„Danke. Ich bin nicht durstig.“

„Hey, Jason! Ihr Name ist Kate. Bekomme ich jetzt den Drink?“

„Tut mir leid, Brooke. Dir hätte ich ein anderes Angebot gemacht.“

Kriemhild drehte sich zur Seite und schaute aufs Meer hinaus. Die Sonne stand über der Bay. Nicht mehr lange und sie würde untergehen.

Vielleicht sollte ich daheim sein, bevor es dunkel wird?, dachte sie. Es war keine gute Idee gewesen, herzukommen.

„Wie gefällt euch denn dieser ultimative Eröffnungsgig?“ Jason stand mit geschwollener Brust vor seinen Anhängerinnen.

„Es ist der Wahnsinn! Wie jedes Jahr, Jay!“

„Danke, Kelly. Du solltest abwarten, bis wir die Leuchtraketen und das Feuerwerk abschießen.“

Brooke stupste Kriemhild an. „Hey, hast du das gehört? Ein Feuerwerk! Ich kann’s kaum erwarten.“

„Brooke, darf ich deine Kate entführen? Sicher hat sie den Pier noch gar nicht richtig gesehen.“

Etwas beleidigt nickte sie auf seine Frage hin und zuckte mit den Schultern. Brooke gefiel anscheinend nicht, dass Jason sie kaum eines Blickes würdigte. Er fing eine Haarsträhne aus Kriemhilds Pony und legte sie hinter ihr Ohr. Sie wich zurück.

„Kommst du? Wenn du willst, gehe ich das Stück mit dir. Der Pier ist etwa 150 Meter lang. Dort hinten hat man einen ausgezeichneten Blick rüber nach Martha’s Vineyard.“

Sie wollte nein sagen, als ihr Handy piepte. Eine weitere Nachricht von Justus.

Es war falsch, meinen Anruf zu unterdrücken. Ich weiß, dass du weg bist. Aber egal wo, ich finde dich, verlass dich drauf. Ich weiß zufällig, dass du mich liebst.

„Weißt du was, Jason? Ich würde den Pier sehr gern sehen.“ Sie verstaute das Telefon in ihrer Tasche und schob sich hinter ihm her durch die Massen.

Er trug eine kunterbunte Caprihose und ein fast komplett aufgeknöpftes weißes Hemd, um seine riesigen Tattoos geltend zu machen. Seine muskulösen Oberarme und das straffe Sixpack verrieten, dass Jason viel Zeit in hartes Training investierte. Doch all das imponierte Kriemhild nicht wirklich.

Die Sache mit Justus machte ihr mehr zu schaffen, als sie zugeben wollte. Ein Kloß in ihrem Hals ließ sich einfach nicht hinunterschlucken. Sie zwängten sich durch die tanzende Menge, die das Holz des Piers zum Knarren brachte. Gleich hinter dem DJ war eine Cocktailbar. Ein riesiger Typ reichte Jason im Vorbeigehen einen Becher mit einem Getränk.

„Hey, Joe, hast was gut bei mir!“, rief er grinsend.

Nach etwa hundert Metern endeten die Partystände, die sich auf den Anfang und die Mitte des Stegs konzentrierten. Sie ließen das wilde Gedränge hinter sich. Jason zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bot sie Kriemhild an. Sie ignorierte ihn, aber er nahm sich eine und zündete sie an, während er sie aus den Augenwinkeln musterte.

„Was für Tugenden hast du sonst noch?“

Dieser dämliche Justus!, dachte sie. Wieso bildete er sich ein, sie würde ihn lieben?

Ein paar knutschende Jugendliche kamen ihnen entgegen, aber sonst war dort kaum jemand.

Die Wellen trugen kleine Schaumkronen. Nicht gerade das ideale Strandwetter, wie Kriemhild fand. Jason legte seinen Arm um ihre Schulter. Sie schüttelte ihn ab.

„Hey, werd mal locker, Kate. Vielleicht ‘nen Schluck Cola?“ Er blies ihr den Rauch seiner Kippe ins Gesicht. Ohne ihn anzusehen, nahm sie den Becher aus seiner Hand und trank. Zwei ziemlich große Schlucke. Es schmeckte scheußlich.

„Na siehst du, geht doch. Das mit heute Morgen tut mir übrigens leid. Wir wollten dir auf der Straße keine Angst einjagen.“

„Habt ihr auch nicht.“

„Was ich dir noch sagen wollte, du siehst echt heiß aus. Ich wette, am ganzen Strand bis runter nach Woods Hole gibt es kein Mädchen, das es mit dir aufnehmen kann.“

Ob Justus Sara so lange unter Druck setzen würde, bis sie ihm verriet, wo sie sich aufhielt?

Am Ende des Piers tauchten James und ein dritter Junge auf, dem Kriemhild bis dahin nicht begegnet war. Sie standen mit den Händen in den Taschen da und schauten sie an, als warteten sie auf etwas. „Hier, trink noch was, ich mag nicht mehr.“

Sie nahm ein paar Schlucke und schmiss den halbvollen Becher ins Meer, was sonst gar nicht ihre Art war. Jason reagierte ziemlich verärgert und pöbelte sie gleich an.

„Du willst mir doch nicht erzählen, dass du dich für Umweltschutz interessierst?“, antwortete Kriemhild. Urplötzlich machte sich Übelkeit in ihrem Magen breit. Sie hatte bereits zu viel Zeit mit ihm vergeudet. Von Martha’s Vineyard war auch nichts zu sehen. Es war zu diesig. Sie erreichten das Ende des Stegs. Die Sonne versank eben im Westen, es wurde windig und sie fröstelte.

Ein plötzlicher Schwindel ließ sie taumeln, als sie sich umdrehte, um zurückzugehen.

„Wo willst du denn hin?“ Jason hielt ihren Arm fest, während James und der andere näher kamen. Sie stießen ihre Schultern gegeneinander und lachten.

„Ich hatte gehofft, du kommst eine Runde mit mir schwimmen, Katie?“

Jason zog Kriemhild an sich. Seine Stimme hallte blechern in ihr nach. Ihr war übel.

„Lass mich los!“ Die Worte fielen lallend von ihren Lippen. „Mir geht es nicht besonders. Außerdem kann ich nicht schwimmen.“

Sie griff nach dem Holzgeländer, um nicht umzufallen. Was geschah mit ihr?

„Setz dich her zu mir. Du solltest dich ein wenig ausruhen.“

Jason zog sie hinab auf die Holzbohlen, während sie versuchte, mit aller Kraft stehen zu bleiben. Ihre Knie waren aus Gummi. Vor Kriemhilds Augen begann sich alles zu drehen.

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