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Kapitel 21

Kriemhild

Justus’ Anruf raubte ihr eine komplette Woche des Sommerurlaubs. Die Erinnerungen an seine kranken Aktionen kamen fast täglich neu in ihr hoch und bereiteten ihr schlaflose Nächte. Was würde sie daheim erwarten? Die Hoffnung, er würde sie vergessen, war vollends verschwunden. Kriemhild dachte an den Tag zurück, als ihre Mutter und sie beschlossen hatten, dass sie nach Falmouth kommen sollte, um Abstand zu schaffen. Nein, so konnte das nichts werden. Verunsichert schaute sie aufs Meer hinaus. Ihr Leben stand noch immer Kopf. Soviel also zum Thema Abschalten …

Kriemhild suchte nach Ablenkung, traf sich mit Brooke oder ging mit Tante Margret shoppen.

Einmal hatte sie Jason auf der Veranda ihres Nachbarhauses gesehen. Seine Nase schien gut zu heilen. Er hatte breit gelacht, als er sie bemerkte. Kriemhild hatte weggeschaut. Laut Brooke planten er und James eine Wiedergutmachungsparty am Pier. Diesmal ohne sie! Während sie so nachdachte, kam sie dahinter, dass es abgesehen von James, Jason oder Justus noch eine weitere Sache gab, die sie zunehmend beschäftigte. Samuel.

Alles, was ihn betraf, erschien ihr wie ein unwirklicher Traum. Als wäre er nichts weiter gewesen, als die Ausgeburt ihrer ausschweifenden Fantasie. Die Idee einer perfekten Figur in ihrem Leben. Seit sie bei ihm zu Hause gewesen war, hatte sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Er saß weder in den Dünen, noch fuhr sein dunkler Jeep durch die Straßen. Der Platz in den Sandbergen blieb weiterhin leer. Sam war wie vom Erdboden verschlungen.

Das allein wäre nicht einmal schlimm gewesen. Die Tatsache aber, dass es Kriemhild auffiel, gab ihr zu denken. Sam beschäftigte sie in letzter Zeit ziemlich oft. Zu oft.

Zunächst waren es nur seine Augen gewesen, die sie in ihren Bann gezogen hatten; mittlerweile tat es sein ganzes Wesen. Die Art, wie er sich bewegte oder wie er sprach. Seine Nähe, die ihr jedes Mal eine elektrisierende Gänsehaut über den Rücken jagte. Das alles zog sie mehr und mehr in eine Abhängigkeit, die ihr schmerzte. Eine fremde Macht nahm Kriemhild die Zügel aus den Händen und sie war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren.

All ihre Aufmerksamkeit galt Samuel. Je rarer er sich machte, desto intensiver spürte sie seine Anwesenheit. Sie redete sich ein, dass nur das schlechte Gewissen sie plage, ihm endlich für ihre Rettung zu danken.

An einem Abend lief sie wie so oft am Strand entlang. Die Sonne stand eine Handbreit über dem Wasser. Tante Margret hatte Jacob hinter ihr hergeschickt. Es beruhigte die alte Dame, wenn Jake auf Kriemhild aufpasste, wie Margret es nannte. Er tollte durch die Wellen und brachte Kriemhild bereitwillig das Stöckchen zurück, das sie ins Wasser geworfen hatte.

Plötzlich hörte sie Schritte und hoffte für eine Sekunde, dass es Sam wäre, der dort über den Strand lief. Doch es waren nicht seine Schritte.

Es war Jason, der grinsend auf sie zukam. Das glimmende Ende seiner Zigarette leuchtete auf, als er daran zog. Noch ehe er Kriemhild erreicht hatte, warf er die Fluppe in die Wellen.

Sie drehte sich enttäuscht um und ging zurück in die Richtung, in der das Haus der Gilberts lag.

„Hey, warte mal, Kate“, rief Jason ihr nach. Seine Stimme klang schüchtern, vielleicht sogar versöhnlich. Sie zwang sich, einen Moment lang stehenzubleiben.

„Was willst du, Jay? Ich hab keine Lust auf ein Gespräch mit Leuten wie dir.“

Er versenkte die Hände in den Taschen seiner Caprihose.

„Schon klar. Nur ‘ne Minute“, stammelte er. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Wegen der Sache, die da neulich passiert ist … am Pier, du weißt schon … Es tut mir leid, ich war ein Volltrottel.“

Sie schaute ihn ungläubig an. Zu Typen wie ihm passte keine Entschuldigung jener Art.

„Du warst einer?“

„Okay, ich bin einer. Das alles ist ein bisschen mies gelaufen, geb ich zu.“

Mies gelaufen?“ Kriemhild war fassungslos. „Was genau meinst du denn? Dass ich den Drink mit dem Betäubungsmittel nicht schnell genug ausgetrunken habe? Dass ich den Sturz ins Meer überlebt habe? Oder, dass Sam mich gerettet hat?“

„Komm schon, Kate! Das ist nicht fair. Wir machen alle mal ‘nen Fehler, wenn unsere Sicht durch … sagen wir mal ‘ne heiße Schnitte getrübt ist. Ich hab mich doch schon entschuldigt.“

Jacob lief bellend auf ihn zu und schüttelte sein nasses Fell direkt neben Jason aus, als hätte er verstanden, dass der Typ sie nervte.

„Komm, verzieh dich, Töle“, maulte er und schob den Hund mit der Fußspitze zurück. Kriemhild winkte ab.

„Weißt du was, Jason? Such dir einfach ‘ne andere Schnitte. An mir beißt du dir nur die Zähne aus.“

Lediglich sein Lachen erhielt die selbstverliebte Fassade in seinen Zügen aufrecht.

„Schade, ich dachte, wir könnten Freunde werden. Du scheinst ‘ne coole Socke zu sein.“

„Tatsächlich? Du hättest diese coole Socke fast umgebracht, schon vergessen? Nicht gerade die feine Art, sich Freunde zu machen. Sei froh, dass ich dich nicht angezeigt habe, und jetzt verzieh dich.“

Jacob rannte erneut auf ihn los und bellte. Jason fuhr sich scheinbar enttäuscht durch die Locken und gab fürs Erste auf. Margret konnte stolz sein auf ihren Labrador.

Kapitel 22

Jason

Er lief über den Strand zurück und trat wütend vor eine Krabbe. Sie zog die Scheren klirrend zusammen und flog im hohen Bogen in die Wellen. Miststück.

Jason schlug sich den Dreck von der Hose. Erst am Morgen hatte er sie neu gekauft, in der dämlichen Boutique, bei einer noch dämlicheren Verkäuferin, die glaubte, die Nähmaschine erfunden zu haben. Und der Köter hatte alles vollgespritzt. Und wofür? Für nichts! Der zickigen Rothaarigen in den Hintern zu kriechen, einen auf Frauenversteher zu machen – wie James ihm geraten hatte – brachte sowieso nix.

Er wusste, was Frauen wollten. Und das war sicher nicht die Weichei-Version!

Vielleicht hätte er mit seinem heißen Wagen vorfahren und sie aus dem Haus hupen sollen. Das hätte die Wogen schon geglättet. Eine geschmeidige Tour durch die Dünen im Sonnenuntergang. Vielleicht ‘ne Nummer am einsamen Strand. Darauf standen die Weiber.

Aber Kate war es offenbar nicht wert, in seiner edlen Karosse Platz zu nehmen. Pah!

Wieso um alles in der Welt übte die Rothaarige eine so große Anziehungskraft auf ihn aus?

Er könnte doch jede haben! Irgendwie verließ ihn das Gefühl nicht, dass sie auf Sushi-Sam stand. Wenn der Penner sie am Pier nicht gestört hätte, dann wäre alles anders gelaufen. Dann hätte der Drink gewirkt und die Kleine hätte erkannt, was für ein Hammerkerl er war!

Im Strandhaus brannte Licht. Jason sprang auf die Veranda. James konnte sich warm anziehen, soviel stand fest. Wenn der nicht bald mit ‘ner vernünftigen Lösung herausrückte, konnte er den Sommer im stickigen New York verbringen!

Kapitel 23

Samuel

Er wusste schon lange, dass nie der Hauch einer Chance bestanden hatte, ihr zu widerstehen. Seit der ersten Sekunde, als er sie dort unten am Strand bemerkt hatte, war er ihr mit Haut und Haaren verfallen; ob Mensch oder nicht. Jene erste Begegnung hatte sich in sein Herz gebrannt. Sam schloss die Augen und sah Kriemhild wieder vor sich; wie sie durch die Brandung spazierte und ihr Blick dabei voller Sehnsucht über das Meer geschaut hatte. Sie war anders als jedes Mädchen, das er kannte. Ein ruhender Pol in sich, der trotz allem vor Leben und Leidenschaft sprühte. Es gab nicht viele Menschen, von denen er behauptet hätte, dass sie die Welt sahen. Doch Kriemhild sah sie; sah die Schönheit der Natur, die Ruhe und das Flüstern der Wellen, sah das Lichtspiel der Sonne, wenn sie auf- oder unterging. All ihre Sinne waren ausgelegt auf das, wozu sie geschaffen waren: Kleine Wunder zu entdecken und sie dankbar und voller Ehrfurcht in sich aufzunehmen.

Das alles hatte er in der kurzen Zeit an ihr bemerkt, in der wenigen Zeit, die er bisher mit ihr verbracht hatte und die sich mit jeder Sekunde angefühlt hatte wie eine Ewigkeit.

Und dennoch musste Samuel sich über ein paar Dinge klarwerden. Wer hätte gedacht, dass er sich je verlieben würde? Noch dazu in eine von denen! Aber wie würde Jason wohl sagen?

Man will immer genau das, was man nicht haben kann.

Doch in Samuels Fall war der Satz nicht ganz korrekt. Er wollte Kriemhild nicht, weil er sie nicht haben durfte. Er wollte sie um ihrer Selbstwillen.

Sam hatte ihr versprochen, sie nie wiederzusehen. Daran musste er sich halten. Doch mit jedem Tag, der verstrich, spürte er sie stärker in seinem Kopf. Sie war dort. Sie suchte nach ihm. Erst leise, dass er dachte, er bilde sich alles nur ein. Dann nahm die Verbindung zu. Er spürte sie so stark, dass es beinahe schmerzte. Und es war nicht er, der das Band aufnahm. Samuel zog sich zurück, um abzuwarten, was geschehen würde. Vielleicht hoffte er darauf, dass sie ihn vergaß. Dann würde nur eine Wunde in seinem Herzen hinterbleiben, nicht aber in ihrem. Damit könnte er leben.

Doch sie vergaß ihn nicht. Nach etwa einer Woche schmerzte sein Kopf so stark, dass er es nicht mehr aushielt. Er musste Gewissheit haben. Er musste sie sehen, um zu wissen, was sie fühlte, und er musste sie sehen, ohne, dass sie bemerkte, dass es tatsächlich geschah.

Lange zweifelte er an der Methode; sie war nicht wirklich legal. Aber ihm blieb keine Wahl, es gab zu viel, das ihn momentan beschäftigte. Vielleicht würde sich die Sache endlich aufklären und sein Kopf würde freier werden.

Samuel wartete ab, bis er allein war. Seine Eltern und Amy waren so mit der bevorstehenden Hochzeit beschäftigt, dass sie es nicht einmal bemerken würden. Oder sie würden denken, er sei auf der Jagd.

Er ging hinaus zu den Klippen und schaute in die Wellen, die sich am Fuß des Felsen kräuselten. Die Sonne stand nicht mehr allzu hoch am Himmel; in ein paar Stunden würde sie in den Fluten versinken. Bis dahin musste er zurück sein. Die Frage war, ob seine Beine mitspielten. Samuel war so oft von dort oben gesprungen, doch an dem Tag sah er hinab und wusste, dass es nicht nur die zwanzig Meter Steilklippe waren, die ihn von dem trennten, wonach er suchen musste.

Er schloss die Augen und sog die salzige Brise ein, das leise Säuseln, das ihn mehr und mehr einlullte. Ein unbändiges Verlangen ging seinen Sprüngen voraus. Ein Verlangen, seiner wahren Natur nachzugeben und sich in das Element einzufügen, für das er geschaffen war.

Samuel setzte zum Sprung an und trat wenige Sekunden später senkrecht in die Flut. Das Wasser schlug über seinem Körper zusammen. Es belebte seine Lungen; der Geschmack des Ozeans kehrte in all seine Sinne zurück. Das Geräusch unter dem Meer, das ertönte, wenn Wellen gegen den Fels donnerten, befreite seine Gedanken. Er liebte das Gefühl grenzenloser Freiheit. Dort unten war er wirklich frei. Er glitt in die Tiefe hinab, nahe am Grund entlang, der sich unter dem Strom der Gezeiten bis hin zum Graben wellte wie das Wattenmeer. Samuel tauchte durch bunte, sonnendurchflutete Riffe und das kristallene Wasser ermöglichte ihm weite Sicht. Er wusste, wo er zu suchen hatte.

Er ließ den Graben hinter sich. Den klaffenden Abgrund, der hinab in die schwarze Seele der Tiefsee fiel. Weit draußen auf dem Ozean begegnete er einer Gruppe von Blauwalen. Ihre riesigen Leiber wiegten in den Wellen auf und ab. Sie zogen singend und schnarrend an ihm vorüber und für einen Moment lang hielt er inne, um dem alten Lied zu lauschen. Den Geschichten über ihre langen Wanderungen. Melancholische Melodien über ihr Verderben durch den Walfang. Ihr vibrierender Gesang erfüllte jedes Spektrum seines Gehörs; Höhen und Tiefen. Ein faszinierendes Konzert, das kein Instrument der Menschen nachmachen konnte. Wie Sam solche Dinge an der Oberfläche vermisste!

Dann tauchte er tief hinab in ein Labyrinth aus Lavagestein, vorbei an karger Landschaft. Algen streiften seinen Körper. Ein Rochen schwebte über den sandigen Untergrund und wirbelte Millionen kleiner Körnchen auf.

Nicht mehr lange und Samuel hätte die Stelle erreicht, an der die blauen Muscheln wuchsen. Wenn seine Beine ihn nur schneller voran bringen könnten! Ihm blieb nicht viel Zeit bis zum Einbruch der Nacht. Er hatte nur die eine Chance und wenn er versagte, müsste er einen ganzen Monat lang warten, bis zum nächsten Neumond. Denn nur wenn sie bei Neumond geerntet wurden, öffneten sich die Muscheln und ließen ihren kostbaren Schatz im glitzernden Eisblau erstrahlen. Nur dann waren die Früchte reif und genießbar.

Endlich machte Sam sie in der Tiefe aus. Sie wucherten an einer korallenbewachsenen Felswand. Er pflückte ein Dutzend der Muscheln und verstaute sie in einem Beutel aus Seegras, während ihre Schalen aneinander klirrten. Sam musste sie nur noch an einem sicheren Ort verstecken, an dem sein Dad sie nicht finden würde. Doch das war das kleinste Problem.

Wenn er die Perlen erst herausgenommen und geschluckt hätte, würde er über die mentale Brücke einen Zugang zu Kriemhild bekommen. Sie würde denken, es sei nur ein Traum.

Er dagegen hätte endlich Gewissheit.

Kapitel 24

Kriemhild

„Sag mal, hast du Lust, mit Kelly, Jen und mir ein bisschen abzuhängen? Wir wollen ins Judy’s. Das ist die Location für angesagte Musik und coole Drinks. Mein Dad sagt, weil ich heute so gut mitgearbeitet habe, gibt er mir ein extra Trinkgeld. Erwähnte ich schon, dass er mich dafür bezahlt, dass ich in der Pension aushelfe? Sozusagen als Ferienjob. Ist ‘ne ganz gute Sache. Nur das Bettenbeziehen ist ganz schön eklig, sag ich dir. Was die Leute so alles liegen lassen … vielleicht sollte ich mal ein paar Bilder davon bei Facebook posten. Dann könnten alle abstimmen und die zehn ekligsten Shots nominieren. Was sagst du dazu? Kate? Hörst du mir überhaupt zu?“ Brooke textete und textete, ohne auch nur einmal Luft zu holen. Kriemhild hatte nach dem dritten Satz abgeschaltet. Ihre Freundin rollte mit den Augen. „Ich fragte eben, ob du mit zum Mond fliegst.“ „Klar, warum nicht?“ Enttäuscht schlug sie Kriemhild auf die Schulter.

„Du hast mir gar nicht zugehört! Was ist los mit dir? Als wir uns kennenlernten, warst du alles andere als so ‘ne Schlaftablette!“

„Tut mir leid, Brooke. Ich war gerade woanders mit meinen Gedanken. Wohin wolltest du mit Kelly?“

Brooke startete einen neuen Monolog und Kriemhild riss sich wirklich zusammen, um ihr zu folgen. Woran hatte sie gedacht, als ihre Freundin ihre Abwesenheit bemerkte? Die Sache mit Samuel entwickelte sich langsam zu einem ernsthaften Problem.

„… Also, Kate, bist du dabei?“

„Sicher. Wann geht’s los?“

Erst in dem Moment bemerkte sie das Handy an Brookes Ohr. Ihre Freundin starrte sie mit aufgerissenen Augen an und schrie euphorisch in die Muschel.

„Kelly! Kate ist dabei! Sie wagt sich tatsächlich nochmal auf die Beachparty! Wer hätte das gedacht?“

„Sie wagt sich wo hin?“ Kriemhild traute ihren Ohren nicht.

„Kelly? Ich rufe dich später zurück, okay?“ Ein Piepen beendete das Gespräch. „Und du sagst mir jetzt, was mit dir los ist, klar, Süße?“

„Das wüsste ich auch gern, Brooke. Tut mir leid. Ich bin entsetzlich müde. Am besten, wir reden morgen.“

Kriemhild hauchte ihr einen Kuss auf und verabschiedete sich.

Ihr Leben nahm eine unkontrollierbare Wende und die machte ihr Angst. Keine Angst im Sinne von Justus-Angst. Vielleicht positiver, weniger bedrohlich.

Sie lief über den Strand zurück nach Hause und schaute sich immer wieder um. Das Gefühl, jemand – oder der etwas – würde ihr folgen, verließ sie nicht. Doch Kriemhild sah niemanden. Ihre Schläfen pochten und ihr Kopf fühlte sich an, als würde jemand darin stecken. Doch das war unmöglich. Trotzdem war er bei ihr. Samuel. Eine unsichtbare, schmerzende Gegenwart.

Die Tatsache, dass er sie mied schmerzte. Seine Abwesenheit in den Dünen schmerzte. Ein quälender Schmerz, der sie den ganzen Tag über begleitete.

In der Ferne erkannte sie das Haus der Gilberts. Kriemhild lächelte dankbar, als ein vierbeiniger Freund ihr entgegenlief, um ihr beizustehen. Er stupste sie mit seiner feuchten Nase an und bellte, stellte immer wieder die Ohren auf und blickte in die Dünen. Kriemhild klopfte seine Flanke und streichelte das seidige Fell.

„Du vermisst ihn auch, nicht wahr, Jacob?“

Kurz vor Sonnenuntergang verließ sie noch einmal die Veranda und setzte sich hinab an den Strand. Die Abendstimmungen über dem Meer hatten in Falmouth etwas Mystisches. Kriemhild genoss die Stille, das leise Rauschen der Wellen. Jacob lag drinnen friedlich in seinem Korb und ließ sich von Margret die Ohren kraulen.

Die weichen Wogen spülten feinen Sand über Kriemhilds bloße Füße. Möwen hockten einbeinig dösend im Schlick. Sie schaute auf den Horizont, der pastellfarben und Goldgelb erstrahlte.

Merkwürdig, zum ersten Mal – seit dreizehn Jahren – hatte Kriemhild das Gefühl, mit dem Meer versöhnt zu sein. Sie hasste es nicht; stattdessen wirkte es seltsam vertraut. Friedlich.

Dann stand jemand neben ihr. Völlig lautlos war er herangetreten, ohne, dass sie es bemerkt hatte. Sie blickte auf und ein Kribbeln ging durch ihre Glieder; es war Samuel. Er sah müde aus und irgendwie erschöpft. Im Dämmerlicht waren seine Augen fast schwarz. Lächelnd schaute er zu ihr hinab.

„Darf ich?“

Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er sich an ihre Seite in die Wellen. Er schaute auf den Horizont wie sie zuvor. Die Begegnung mit ihm traf Kriemhild völlig unvorbereitet. Nie hätte sie mit ihm gerechnet, nicht zu dem Zeitpunkt und nicht auf solche Weise.

„Was tust du hier?“, fragte sie überrascht. Er zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß, ich sollte nicht hier sein. Aber ich habe es nicht länger ausgehalten.“

„Was meinst du? Ausgehalten?“

„Ich bin hier, weil ich den Eindruck hatte, du wolltest mir etwas sagen.“

Sein Blick blieb starr auf den Horizont gerichtet und Samuels Art fesselte Kriemhild. Er war so zurückhaltend und drängte sich ihr gleichzeitig auf angenehme Weise auf.

„Dir etwas sagen? Ja, vielleicht wollte ich das.“

„Dann tu es. Mir bleibt nicht viel Zeit.“

Die Sonne versank im Westen. Obwohl ihre Schultern sich nicht berührten, spürte Kriemhild seine Wärme auf ihrer Haut.

„Weißt du, Sam, ich wollte mich schon die ganze Zeit über bei dir bedanken. Für das, was du am Pier getan hast.“

„Es gibt Dinge, die muss man nicht aussprechen. Du hast mir deinen Dank erwiesen, indem du meine Familie ertragen hast.“

„Dass du mich gerettet hast, Samuel … würde mich weniger verwirren, wenn ich wüsste, dass du es aus reinem Pflichtbewusstsein getan hast.“

Er lachte leise.

„Da muss ich dich enttäuschen. Die Sache mit den Rettungsschwimmern hatte nichts damit zu tun.“

„Dann hast du es getan … weil?“

Endlich drehte er den Kopf herum und schaute Kriemhild an. Ihre Blicke verschmolzen miteinander und sie war fest entschlossen, ihnen standzuhalten. Samuel nahm eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und legte sie hinter ihr Ohr. Seine Berührung elektrisierte sie wie tausend brennende Nadeln.

„Kriemhild, es ist besser, wenn du den Grund nicht erfährst. Wenn das alles war, was du zu sagen hattest, dann muss ich jetzt gehen.“

Er stand auf und wandte sich ab. Ihr Herz pochte.

„Samuel?“

Ein letztes Mal sah er sie an und beinahe hätte ihre Stimme versagt.

„Ich … habe in den Dünen nach dir gesucht.“

„Ich weiß.“ Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, dann verschwand er. Doch etwas ließ er in ihr zurück. Etwas, das tief in ihr keimte. Tausend Worte hätten es nicht eingefangen.

Kriemhild erwachte und schrak hoch. Draußen herrschte finstere Nacht, nur die Sterne leuchteten über dem Ozean. Leises Wellenrauschen war alles, was zu hören war. Ein Windhauch bewegte den schweren Vorhang am Fenster. Irritiert fuhr Kriemhild sich durch die Haare. Erst am selben Abend war ihr der Hund am Strand entgegengelaufen, auf dem Rückweg von Brooke. Gleich darauf hatte sie Onkel John und Tante Margret eine gute Nacht gewünscht und war schlafen gegangen.

Konnte es möglich sein, dass die Begegnung mit Samuel nur ein Traum gewesen war?

Noch immer spürte Kriemhild das Kribbeln an der Wange, dort, wo er ihr die Haarsträhne hinters Ohr gelegt hatte. Noch immer spürte sie seine Anwesenheit. So nahe, dass es ihr vorkam, als stände er direkt neben ihrem Bett. Das war unmöglich! Sie schaltete das Licht ein und schaute auf die Uhr. Kurz nach zwei. Etwas brannte in ihr und es fühlte sich an wie der Schmerz, den eine Feuerqualle auf der Haut hinterließ. Wie Sehnsucht nach etwas, oder jemandem. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, würde sie meinen, sie hätte sich in Samuel verliebt. Am Strand. Aber das alles war nie passiert.

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