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Читать книгу: «Der Junge mit dem Feueramulett: Die Höhle der Drachen», страница 3

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»Verstehe schon. Wenn du den Rat von einem alten Torak haben willst: Schnapp sie dir, Tiger.«

Kard verstand gar nichts mehr. Was soll ich mir schnappen? Und was bitte schön ist ein Tiger? Er schaute Tsarkoik mit offenem Mund an.

»Und, ist es bald heiß genug?«

Worauf bitte schön will Tsarkoik jetzt hinaus? Dann verstand Kard. Stimmt, die Esse. Die brauchte eine gewisse Temperatur.

»Bei Wallas hat es immer zwei bis drei Stunden gedauert.«

»Yo, Kard. Kann es sein, dass du ein wenig verwirrt bist?«

»Nein, Madad, wie kommst du denn darauf.«

»Mama hat immer gesagt, wenn das Herz vorangeht, hinkt der Kopf hinterher.«

»Was soll das heißen? Und überhaupt. Das stimmt alles gar nicht. Ich bin nur ein wenig müde.«

Der Cu gähnte solidarisch. »Dann gehe ich Krähen jagen.«

Sagte es und sprang mit einem Riesensatz aus der Werkstatt. Kard hörte draußen noch ein Kreischen und ein Flattern, dann war es still. Madad war seiner Beute offensichtlich hinterhergejagt.

Als Kyra am Abend mit den anderen zurückkam, war der Schlüssel bereits fertig. Das Minas, sonst ein widerspenstiges Metall, hatte ihm keine Mühe bereitet. Es war wie damals gewesen, als er das Schwert angefertigt hatte. Er war so konzentriert gewesen, dass er das Gefühl gehabt hatte, dass nicht seine Hände die Schöpfkelle mit dem geschmolzenen Metall geführt hatten, sondern sein Geist. Dazu die pulsierende Kühle, die von seinem Drachenzahnamulett ausgegangen war. Für einige Augenblicke hatte Kard vollkommen vergessen, wo er war und was er gerade machte. Und gleichzeitig war es genau umgekehrt. Er war von dem, was er tat, nicht mehr zu unterscheiden gewesen. Der Schlüssel war perfekt geworden. Jetzt musste er nur noch in das Schloss der Obersten Verwaltung passen.

Was sie nicht wussten war, was sie hinter den Mauern erwartete. Das Gebäude würde wesenleer sein, die Beamten würden zu Hause in ihren Betten liegen und träumen. Aber wo befand sich das Archiv? Und wo sollten sie Kyras Geschwister suchen? Als sie abends erneut bei den Gsappas um dampfende Suppenschüsseln saßen und dies diskutierten, meldete sich der Torak zu Wort und erzählte, dass er zu Erneuerung der Musikantenlizenz das Gebäude bereits öfters von Innen gesehen hatte.

»Ist schon ein ziemliches Labyrinth. Lange Gänge, viele Seitenarme, dann wieder Innenhöfe. Soll schon Leute gegeben haben, die nicht mehr herausgefunden haben und dort jetzt als Gespenster spuken. Aber es gibt überall Schilder. Manche mit so kleinen Bildern. Weil wir Toraks ja angeblich nicht lesen können.«

»Piktogramme heißen die.«

»Oh, der schlaue Benji kennt sogar die Fachwörter.«

»Ja, Kard. Das kann ab und zu ganz nützlich sein.«

Eben noch die Ruhe selbst, jetzt regte er sich gleich auf, wenn Benji etwas wusste, was er selbst nicht wusste. Was ist nur mit mir los? Kard schielte zu Kyra hinüber. Sie nestelte in ihren Haaren herum und hörte der Diskussion aufmerksam zu.

»Gibt es denn einen Ort, wo meine Geschwister sein könnten«, fragte Kyra jetzt.

Gsappa überlegte. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. »Jetzt, wo wir darüber sprechen, fällt es mir wieder ein. Irgendwo habe ich noch einen Plan, den man am Eingang bekommt, damit man sich im Gebäude zurechtfindet. Wartet mal kurz.« Er verschwand im Nebenraum. Man hörte, wie er anfing, Sachen wegzuräumen. Gitarren vibrierten. Kisten wurden zur Seite geschoben. Dann kam Gsappa zurück und fächerte triumphierend mit einem Stück Papier in der Luft herum. Er breitete den Plan auf dem Tisch aus. Alle beugten sich darüber.

»Hey, schaut mal, da steht ARCHIV«

»Yo, dann ist das schonmal geklärt.«

»Aber wo können Kendra, Kian und Shay sein?«

»Vielleicht dort?« Glast zeigte auf die Aufschrift MENSCHENRECHTE. Daneben gab es aber auch TORAKRECHTE und ICHTOANGELEGENHEITEN. Gleich daneben konnte man sich einen Angelschein bestellen.

»MUSIKANTENLIZENZEN. Da muss ich immer hin.«

Ein wenig daneben gab es den Bereich BESCHLAGNAHMUNGEN und FUNDBÜRO. Kard deutete auf die Stelle in der Karte, die damit markiert war.

»Sag mal Gsappa. Erinnerst du dich, wie es dort aussah?«

Gsappa nickte.

»Klar. Da stand sogar eine Wache direkt vor der Tür. Damit keiner dort hineinstiefelte, um an den Goldschmuck seiner Großmutter heranzukommen, den die Wachen beschlagnahmt hatten. Man konnte sogar sehen, dass es Ställe für Tok-Rinder gab. Ihr wisst ja, dass die Wachen einfach alles mitnehmen.«

Dort mussten sie sein. Es war der ideale Ort, um Straßenkinder unterzubringen.

»Gut. Nur Benji und ich gehen. Je weniger wir sind, desto weniger Aufmerksamkeit erregen wir.«

»Kommt nicht infrage, Kard. Ich komme mit.«

»Aber Kyra, wenn wir erwischt werden, dann…«

»Dann ist es gut, wenn ihr mich dabei habt, denn keiner von euch kennt sich da draußen so gut aus wie ich.«

»Da hat sie recht, Kard. Mama sagt immer, vergiss den Kompass nicht, wenn du in die Berge gehst. Habe ich übrigens nie verstanden den Spruch. Bis wir damals Odysseus getroffen haben. Weißt du noch? Der hatte doch diesen Kompass dabei.«

Kard nickte. Da war etwas Wahres dran. Auch wenn er das lieber alleine geregelt hätte. Gerne mit Benji. Aber nicht mit Benji und Kyra zusammen. Bleib vernünftig, Kard. Lass dich nicht von deinen Gefühlen verwirren. Denk daran, was N’gar damals gesagt hat. Nach innen und nach außen schauen!

»Es sind meine Geschwister!«

»Einverstanden, Kyra. Aber erst das Archiv. Dann die Beschlagnahmungen.«

Kyra nickte langsam, so als ob sie sich dabei überlegen würde, ob es noch eine andere Lösung geben könnte.

»Und was machen wir? Ich will auch dabei sein.« Glast glühte vor Tatendrang.

»Du und Zaza steht draußen Schmiere. Wenn wir fertig sind, müsst ihr uns Bescheid geben, ob die Luft rein ist. Ich will in keine Patrouille laufen, die gerade in dem Moment vor dem Tor der Obersten Verwaltung vorbeimarschiert, wenn wir alle herauskommen.«

»Der Ruf des Nachtfalken.«

»Was soll denn der Ruf des Nachtfalken sein, Zaza?«

»Der ist ganz einfach und geht so.« Zaza bildete einen Trichter um den Mund und ließ einen dunklen Ton erklingen, der langsam heller wurde. Kyra tat es ihr gleich und ein fast identischer Ton erklang.

»Sehr gut. Dann ist das auch geklärt. Das ist unser Erkennungszeichen.« Kard nickte zufrieden. Jetzt musste nur noch der Schlüssel passen.

»Findest du nicht auch, dass heute Nacht ziemlich viele Fledermäuse unterwegs sind?« Benji schaute mit Kyra zusammen in den Sternenhimmel und hatte ihr in dieser kalten Nacht einen Arm um die Schultern gelegt, damit das arme Mädchen nicht so fror.

Kard durfte sich unterdessen abmühen, während die beiden einfach nur herumstanden. Das fand er wirklich ärgerlich.

Obwohl es kein Dardeugende war, hatten sie bis lange nach Mitternacht warten müssen, bevor die vielen Casino-Besucher sich endlich auf den Weg in ihre Herbergen gemacht hatten. Inzwischen lagen die Straßen wie ausgestorben da und nur das Geräusch marschierender Füße war ab und zu zu hören, wenn die Wachen ihren nächtlichen Runden drehten.

Der Schlüssel hatte doch nicht gepasst. Er hatte sich ins Schloss stecken lassen, aber es war unmöglich gewesen, ihn zu drehen. Irgendetwas stimmte an der Konstruktion nicht. Zu allem Unglück aber ließ sich der Schlüssel nun auch nicht mehr herausziehen. Kard kniete fluchend vor dem Tor während Benji und Kyra Fledermäusen nachschauten. So eine Kacke, würde Zaza jetzt wohl sagen.

Der verdammte Schlüssel und diese beiden Turteltäubchen in seinem Rücken, Kard wurde immer wütender. Und dann drehte sich der Schlüssel doch noch. Wenigstens ein Stück. Und Kard kribbelte es in den Händen und in den Unterarmen. Ein untrügliches Zeichen, dass hier Magie im Spiel war.

Natürlich. Immer wenn er wütend war, brach die Feuer-Magie unkontrolliert aus ihm heraus. Zwar hatte er das seit den wenigen Trainingsstunden mit N’gar besser im Griff, aber Kard würde nicht behaupten, dass er wirklich hundertprozentig sicher war, was da passierte. Diesmal musste die Feuer-Magie in den Schlüssel geflossen sein. Und würde das nicht auch zu einem Davischi-Schloss passen?

Kard konzentrierte sich. Seine Sinne glitten in den Schlüssel und bis hinein in das Minas. Er spürte, dass dieser Schlüssel nicht perfekt war und nicht passgenau zu diesem Schloss gehörte. Aber das Minas hörte ihm zu. Tastete das Schloss ab. Kard schoss Feuer-Magie in das heilige Metall. Das sich daraufhin verformte. Nur minimal, für das Auge kaum sichtbar. Aber doch so, dass sich der Schlüssel nun drehen ließ.

Dann erscholl der Ruf des Nachtfalken. In jedem Augenblick konnte eine Patrouille um die Ecke biegen. Kard drückte sich gegen das schwere Tor. Kyra und Benji waren schon zur Stelle, um ihm zu helfen. Auch sie hatten den Warnruf Zazas gehört. Zusammen schafften sie es. Das Tor öffnete sich so weit, dass sie sich durch einen engen Spalt hineindrücken konnten. Gerade rechtzeitig! Als sie das Tor leise schlossen, hörten sie das Echo der Schritte. Die Wachen mussten jetzt genau vor dem Gebäude sein.

»Also gut, wir müssen geradeaus und dann rechts.« Kard flüsterte, während er sich nach allen Seiten umsah und ins Dunkle spähte. Dann ließ er eine kleine Feuerkugel entstehen, die nun den Gebäudeplan beleuchtete, den sie von Gsappa bekommen hatten.

»Geradeaus, zweimal links und dann wieder rechts.«

»Nein, Kyra…« Kard sah dem Mädchen ins Gesicht. Man sah ihr das schlechte Gewissen an. Und ihre Entschlossenheit. Hätte ich mir das nicht denken können? So gut sollte ich Kyra inzwischen kennen. »Kyra, wir hatten doch…«

»Ich weiß, Kard. Tut mir auch leid. Aber ich muss zu meinen Geschwistern. Vielleicht sind sie gar nicht dort, wo wir sie vermuten?«

Kard wusste, dass jede Diskussion jetzt zwecklos war. »Gut, aber du wartest dann bei den Beschlagnahmungen. Wir kommen dort hin, wenn wir fertig sind.«

Kyra nickte. Und war schon verschwunden. Benji machte einen Schritt in ihre Richtung, um ihr nachzulaufen, besann sich dann aber anders.

»Die schafft das schon. Tolles Mädchen.«

Das war sie. Kard nickte zustimmend. Dann machten sich die beiden Freunde auf in Richtung Archiv.

Die Gänge waren dunkel und fensterlos. Tagsüber brannten hier Fackeln, aber die waren jetzt gelöscht. Kards kleiner Feuerball ließ sie immer nur die nächsten Schritte sehen. Zum Glück gab es die Schilder und Bilder, die den Besuchern den Weg wiesen. Das Echo ihrer Stimmen schien von den Steinwänden unverhältnismäßig laut reflektiert zu werden, obwohl sie nur flüsterten.

»Ausweise, Abfallentsorgung, Altlastenauskunft. Archiv.«

Das Archiv befand sich am Ende des Ganges. Die Tür war aus schnörkellosem Holz und schien älter als die Eingänge zu den anderen Dienstzimmern zu sein. Kard zog am Knauf aus abgegriffener Bronze. Vergeblich. Die Tür war abgeschossen.

»Kein Problem.« Triumphierend hielt Benji einen Draht in die Luft. Kard atmete erleichtert aus. Aber das Schloss sah von außen recht klobig aus, als ob im Innern eine komplizierte Mechanik verbaut worden war. Und so viel Zeit hatten sie auch nicht. Sie waren ja erst spät hier eingestiegen und die Beamten der Öffentlichen Verwaltung waren dafür bekannt, früh mit ihrer Arbeit anzufangen. Benji führte den Draht ein und begann, ihn hin und her zu drehen. Aber der Draht schien keinen Widerstand zu finden. Kard wurde langsam nervös.

*

Die Federmäuse mochten gute Kundschafter sein, aber sie waren genauso eine Plage wie die Krähen. Dieses Geschwätz, der Vampyr hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Nein, sie hatten keinen Jungen mit einem Hund gesehen. Ein paar zerlumpte Kinder liefen nachts durch die Straßen. Und eine Unmenge herrenloser Hunde. Aber in der gesuchten Kombination war nach Einbruch der Dunkelheit nichts mehr auf der Straße zu sehen gewesen.

Die Krähen hatten vor einiger Zeit einen Jungen mit einem Hund auf dem Weg vom Erzgebirge in die Alte Stadt mehrmals gesehen. An diesem Abend war er in der Alten Stadt angekommen. Und seitdem verschwunden. Aber seine Zielperson war ganz nahe. Und Laltans Krallen warteten nur darauf, beschäftigt zu werden.

Die Matharadan war auch nicht besonders gastfreundlich. Dass er ein Abgesandter der Obersten Goiba-Priesterin war, hatte sie nicht besonders beeindruckt. Und er selbst, der gefürchtetste Assassine des Reiches, imponierte ihr auch nicht sonderlich. Sie hatte sich sogar geweigert, eine Katze zu schlachten, um mit Hilfe derer Innereien in die nahe Zukunft zu schauen. ›Goiba ist zur Zeit blind.‹ Das waren ihre Worte gewesen. Immerhin dienten ihm die Krähen und die Fledermäuse als Kundschafter.

Die Fledermäuse der Alten Stadt waren allerdings eine Spezies für sich, das musste er zugeben. Aber das war auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie sich darauf spezialisiert hatten, die Insekten zu fangen, die um die vielen Glühwürmchen schwirrten, die die Große Allee beleuchteten. Natürlich waren die Tiere nun alle halb blind. Geblendet vom Laster der Großstadt. Schlimme Zeiten heutzutage. Erst nachdem sie sich im Schein des Vergnügens der anderen Wesen satt gegessen hatten, waren sie zur nächtlichen Luftaufklärung gestartet. Und hatten nichts Verdächtiges gesehen.

Der Junge befand sich nichtsdestotrotz irgendwo in der Alten Stadt. Und diesmal würde er nicht entkommen. Denn schon am nächsten Tag würde die mächtige Tsarr hier sein. Bis dahin musste er herausgefunden haben, wo der Junge steckte. Dann sollten die Oberste Goiba-Priesterin und der Herrscher es untereinander ausmachen, wie sie mit dem Jungen verfahren wollten.

*

Kard klopfte Benji anerkennend auf die Schulter. Nachdem der Junge noch einen zweiten Draht zur Hilfe genommen hatte, war es ihm gelungen, die komplizierte Mechanik auszutricksen. Der Riegel im Schloss bewegte sich und sie konnten die schwere Holztür aufdrücken. Drinnen empfing sie der bekannte Geruch alter Bücher. Aber verglichen mit der Bibliothek im Waisenhaus roch es hier noch verstaubter, noch vergilbter, noch modriger. Kard begrüßte diesen Eidruck von Vergänglichkeit und Zerfall. Besagte er doch, dass die Dokumente, die hier gelagert wurden, sehr alt sein mussten.

Vorsichtig ließ er die Feuerkugel durch den Raum gleiten. Falls hier ein Funke in die falsche Ecke sprang, konnte schnell ein alles zerstörender Brand ausbrechen. Das Archiv bestand aus vielen Regalen, die ihm wie die Kiemen eines urzeitlichen Monsters vorkamen. Obwohl in ihnen nur Bücher, Papierrollen und Karten aufbewahrt wurden, atmete dieser Ort die Zeit aus, die hier konserviert wurde. Zwischen ihnen und diesem Ungetüm befand sich ein Schreibtisch, an dem tagsüber der Archivar sitzen musste. Und davor, und darauf hatten sie gehofft, eine Stele für einen magischen Stein, auf dem das magische Archivverzeichnis liegen sollte. Doch als sie sich der Säule näherten, bemerkten sie, dass sie leer war. Auf der abgeschrägten Fläche, die die Stele nach oben abschloss, befand sich weder eine dunkle Steintafel noch ein normales Buch. So ein Mist, dachte Kard. Wie sollten sie in diesem Labyrinth jetzt einen alten Stadtplan finden? »Hast du eine Idee?«

Aber Benji schüttelte den Kopf.

»Vielleicht kennt sich der Bibliothekar so gut aus, dass er weiß, wo er alles findet?«

Zweifelnd schaute sich Kard um. Wer könnte sich hier auskennen? Die schiere Menge an Papier ließ ihn zweifeln, dass irgendein normales Wesen sich hier orientieren konnte. Dazu kam, dass die kleinen Buchstaben, die man an den Regalen angebracht hatte und die ihnen gleich zu Beginn aufgefallen waren, einfach nur nach dem Alphabet geordnet waren. Es fing bei Aa an, ging dann über Mg bis Zz.

Willkürlich ging Kard an eines der Regale und zog eine Rolle hervor, die mit Ngl-12-78 gezeichnet war. Titel der Rolle war: Viehfutter zu jeder Jahreszeit. Ein Zusammenhang mit den Buchstabenkombinationen Ng oder gar mit den Zahlen konnte Kard nicht feststellen. Die Jungen waren ratlos.

»Ngl-12-78. Enn Geh Ell. An irgendwas erinnert mich das.« Kard hatte dieses Gefühl, etwas bereits Erlebtes noch einmal zu erleben. Aber er konnte sich nicht erinnern, wann das gewesen sein sollte. »Warte mal, Benji. Im Großen Buch damals im Waisenhaus gab es doch auch so eine Buchstabenkombination. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern. Gleich auf der zweiten Seite, auf der auch die Flagge Flanakans gezeichnet war. Kaa Ell irgendwas.«

Benji zog die Brauen zusammen und blickte angestrengt den Fußboden an. »KLD3-PFG55.«

Zum Glück hat Benji so ein gutes Gedächtnis. Toll.

»Sag ich doch. Kaa Ell De Drei. Ist ein Versuch wert, oder?«

Sie gingen die Regale durch, flüsterten dabei die sich verändernden Buchstabenkombinationen vor sich hin.

»KLA, KLB, KLC gibt es nicht, hier KLD. Und hier KLD3.«

Das Regal war das letzte einer langen Reihe und schloss direkt mit der Wand ab. Kard zog willkürlich einige der Rollen hervor. »›Weitere Trockenlegung der unterirdischen Arme der Klatsch‹, ›Ausbau der Untergrundbahn‹ , ›Auswirkungen von Grabungen auf Fischerei und Schifffahrt‹. Klingt nicht so nach dem, was wir suchen.«

»Vielleicht doch. Es hat immerhin etwas mit Verkehrswegen zu tun. Und in so einem Stadtplan geht es ja auch um Straßen und Wege.«

»Aber was ist dann mit diesem PFG55?«

»P wie Plan?«

»Aber das nächste Regal ist schon mit KMX bezeichnet.«

»Also muss es doch irgendwo hier sein. Aber wo?«

So nah am Ziel. Und doch kamen sie nicht weiter. Verärgert hämmerte Kard mit der Faust auf das Regal. Die Konstruktion bebte, die Bücher und Rollen zitterten. Und der Widerhall der Faustschläge schien sich unterirdisch fortzusetzen. Das ist kein normaler Fußboden, auf dem wir hier stehen!

»Klingt nach einem Hohlraum, Kard. Was denkst du?«

Kard nickte. Es klang so, als ob unter ihnen noch ein Raum war.

»Leuchte doch mal die Wand ab. Ich glaube, ich habe da vorhin etwas gesehen.« Benji hatte recht. Dort, wo Regal KLD3 die Wand berührte, befand sich eine Tür. Benji hatte schon wieder den Draht in der Hand. Dieses Schloss war weniger kompliziert als das Schloss zuvor. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er es geknackt.

»Bist du sicher, dass du Alchemist werden willst, Benji. Mit deinen Talenten sehe ich da noch ganz andere Möglichkeiten.«

»Habe ich mir auch schon überlegt. Aber wenn du als Dieb erwischt wirst, landest du ganz schnell am Galgen. Oder sie hacken dir die Hände ab.«

»Dann lieber zum Mond fliegen?«

»Du sagst es.«

Lieber das Unmögliche probieren, als den einfachen Weg zu gehen!

Hinter der Tür führte eine schmale Steintreppe nach unten. Kard schickte eine Feuerkugel voraus. Dann stiegen die beiden Jungen vorsichtig die steinernen Stufen hinab.

Sie landeten in einem kleinen Raum mit niedriger Decke, der ebenfalls mit Regalen zugestellt war. Und hier roch es wirklich nach uraltem Staub. Die Dokumente, die hier gelagert wurden, mussten schon vor langer Zeit verstaut worden sein. Wie es hier mieft! Der Ort erinnerte Kard an einen Müllabladeplatz. Sicherlich waren es Dokumente, die niemand heutzutage noch benötigte. Sonst hätte man sie nicht an einen so unzugänglichen Ort verbracht. Oder sind es verbotene Schriften?

Auch hier waren die Regale mit Buchstabenkombinationen gekennzeichnet. Und unter PFG55 fanden sie auch das Gesuchte. Einen uralten Stadtplan, noch mit dem Signum der Drachenkönige versehen, dem Schwarzen Drachen auf rotem Grund. Zwischen den Regalen war es zu eng, den Plan auszurollen, aber Kard überzeugte sich, dass an einem Rand des brüchigen Papiers Zahlen, am anderen Buchstaben verzeichnet waren. Wenn sie den Plan irgendwo ausrollen könnten, würden sie sehen, wo der gesuchte Quadrant lag, den ihnen die Kombination beider Gedichte verraten hatte. Jetzt, wo sie dem Ziel seiner Suche immer näher kamen, spürte Kard, dass er eine trockene Kehle bekam. Etwas schnürte ihm die Luft ab. Will ich diesen Weg wirklich zu Ende gehen?

Natürlich, sagte eine innere Stimme. Du hast doch nicht den ganzen weiten Weg zurückgelegt, um kurz vor dem Ende aufzugeben. Ist das denn wirklich alles so wichtig, fragte eine andere Stimme. Gibt es nichts Wichtigeres, als seiner eigenen Vergangenheit hinterherzulaufen? Und was, wenn dir die Antwort, die du bekommst, nicht gefällt? Welche Antwort würde mir denn gefallen? Und ging es überhaupt darum?

Kard war hin- und hergerissen. Aber ich will Gewissheit haben. Jetzt, wo die Antwort des Rätsels immer näher rückte, wollte er auch die Wahrheit wissen. Er hatte Angst vor dieser Wahrheit. Und trotzdem begehrte er sie, als ob er ohne sie nicht mehr leben könne.

Mit dem Plan in der Hand gab er Benji das Zeichen zum Aufbruch. Jetzt mussten sie so schnell wie möglich Kyra finden. Und hoffentlich ihre Geschwister.

»Was ist jetzt der kürzeste Weg?« Kard und Benji standen auf dem Gang vor der Tür zum Archiv, die leise hinter ihnen ins Schloss glitt. »Mist.« Kard schaute Benji verzweifelt an. »Jetzt habe ich den Plan unten liegen gelassen.«

Benji deutete auf den zusammengerollten Stadtplan, den Kard in der Hand hielt. »Wieso, da ist er doch.«

»Nicht der. Der Gebäudeplan. Ich habe keine Ahnung, wie man am schnellsten zu Kyra kommt.«

»Dann am besten zurück zum Eingang. Von dort finde ich den Weg.«

Die Zeit läuft uns davon! Kard spürte, dass die Sonne sich bereit machte, die Nacht zu verdrängen. Und dann würden bald die Verwaltungsbeamte erscheinen, um mit der Arbeit zu beginnen. Und mit ihnen die Wachen!

Er folgte Benji, der zielstrebig zum Ausgang lief. Dort angekommen liefen sie in den Gang, den auch Kyra genommen hatte.

»Geradeaus, zweimal links und dann wieder rechts.« Benji sprach atemlos diese Worte immer wieder vor sich hin, während sie die Gänge entlang hasteten. Schon bald stieg ihnen der warme Geruch nach Stall in die Nase. Sie näherten sich dem Bereich der tierischen Beschlagnahmungen.

»Kyra. Kyra. Wo bist du?«

Wieso ist meine Stimme so komisch?

Im ersten Augenblick hörten sie nichts. Nur das Scharren von Hufen, das Geräusch von Heu, das hin und her geschoben wurde und das Schmatzen und Schnaufen von Tieren. Die Tür zu diesem Stall stand einen Spalt offen. Augenscheinlich hatte Kyra keine Mühe gehabt, das Schloss hier zu knacken. Dann hörte Kard plötzlich schnelle Schritte, die auf sie zukamen. Von mehreren Wesen. Instinktiv duckten sich Kard und Benji in den Schatten. Aber es war Kyra. Mit zwei ihrer Geschwister. Als Kard und Benji hervortraten, stoppten sie. Kard wunderte sich nicht, dass Kyra ein Messer in der Hand hatte und es ihm abwehrend entgegen streckte. Aber etwas stimmte nicht.

»Kendra fehlt. Wir haben schon überall nachgeguckt. Sie haben sie getrennt. Kian und Shay wissen es auch nicht.«

»Wir müssen jetzt los, Kard. Es wird bestimmt bald hell.«

»Ich weiß, Benji. Du hast hier schon überall gesucht, sagst du?«

Kyra nickte.

»Hallo ihr beiden. Schön euch zu sehen. Keine Idee, wo eure Schwester sein könnte?«

Kian und Shay schüttelten den Kopf.

Jetzt war auch alles egal. »Kendra! Kendra! Wo bist du?« Kard schrie aus vollem Hals in den Stall hinein. Kyra und die anderen waren bei Kards lauten Rufen zusammengezuckt. Aber schon taten sie es ihm gleich.

»Kendra. Kendra. Wo bist du?« Aber nur die beschlagnahmten Rinder antworteten, indem sie unruhig mit ihren Ketten rasselten.

»Kyra. Wir müssen jetzt wirklich los. Bald wimmelt es hier von Beamten und Wachen. Kendra ist nicht hier. Wir überlegen uns etwas, einverstanden? Wir kommen wieder. Aber jetzt müssen wir erstmal los.«

Kian und Shay sahen ihre große Schwester verzweifelt an. Aber Kyra nickte. Kard hatte recht. Benji lief ihnen voraus. In diesem Labyrinth und dieser Aufregung hatte er noch den besten Überblick.

Durch die offene Tür des Stalls der Beschlagnahmungen folgten ihnen die Laute aufgeregter Tiere, als sie auf den Gang traten. Das Echo ihrer aufklatschenden Schuhe und ihr schwerer Atem ließ sie alle anderen Geräusche überhören. Erst als sie völlig außer Puste vor dem Ausgang standen, hörten sie das Geräusch eines drehenden Schlüssels. Und auch eine dunkle Stimme war jetzt zu vernehmen.

»Guten Morgen, liebe Wachen. Goiba für immer.«

Dies musste der Oberste Verwalter sein, der seinen Dienst antrat und die Wachen begrüßte, die ihren Posten neben dem Tor bereits bezogen hatten.

Wir sind zu spät. So ein Mist.

Kard presste sich an die Wand und hielt den Atem an. Die anderen folgten seinem Beispiel. Er hob den Zeigefinger an die Lippen und bedeutete seinen Freunden so, leise zu sein. Mit den Fingern imitierte er rennende Beine. Die anderen nickten.

Das Tor öffnete sich. Stimmen wurden vernehmbar.

»Wird bestimmt ein schöner Tag.«

»Ja, aber kalt.«

»Stimmt. Ich bin heute Morgen beinahe auf einer Eisfläche ausgerutscht.«

»Jetzt kommt der Winter wohl endgültig.«

»Du sagst es, liebe Wache. Wenigstens darauf ist Verlass. Die Jahreszeiten.«

Das Tor schwang nun ganz auf und im Dämmerlicht des anbrechenden Tages erkannte man den dunklen, breiten Schatten des Obersten Verwalters.

Kard sprang nach vorne und drückte sich an der massigen Gestalt vorbei ins Freie. Endlich wieder Luft. Und dann rannte er. Nach wenigen Schritten warf er einen kurzen Blick über die Schulter. Die anderen hatten es auch nach draußen geschafft und waren ihm dicht auf den Fersen.

»Hinterher!« Der Oberste Verwalter hatte sich von seinem Schreck erholt. Die Wachen hatten sich bereits in Bewegung gesetzt.

»Mir nach.« Kyra übernahm die Führung. Die Alte Stadt war ihr Revier. Kian und Shay klebten ihrer Schwester am Hosensaum. Nullkommanichts waren sie in einer Seitengasse eingebogen. Aber einer der Wachen war ein ganz Flinker. Er ließ sich einfach nicht abschütteln.

»Rauf zum Schlamm«, rief Kyra.

Der Schlamm. Kard erinnerte sich, dass Murkslin damals davon erzählt hatte. Eine riesige Ansammlung von Hütten, erbaut auf den Ruinen des Palastes der Drachenkönige. Ein Ort voller Dreck und Armut. An dem aber viele Govans wohnen sollten, da hier die Energie Branus besonders intensiv zu spüren war. Murkslin hatte das für eine Ausrede seiner Kollegen gehalten, die ihre Armut somit besser verkaufen konnten. Was es auch immer war, es war ein Labyrinth engster Gassen und damit ein idealer Ort, um Verfolger abzuschütteln. Wenn man sich dort auskannte.

Berghoch waren die Kinder im Vorteil. Sie mussten ja auch keine schwere Uniform mit sich tragen. Trotzdem verringerte sich der Abstand zu ihrem Verfolger kaum. Aber schon konnte man die ersten Bretterverschläge des Schlamms sehen. Nur noch wenige Augenblicke und sie würden es geschafft haben. Das schien die Wache nun auch begriffen zu haben. Als Kard sich noch einmal kurz umschaute, sah er, dass der Mann seine Armbrust vom Rücken genommen hatte und nun auf sie zielte.

»Lauft«, schrie Kard.

In diesem Moment hörte er dumpfes Geräusch, als ob zwei schwere Körper zusammengeprallt wären. Er dreht sich um und sah die Wache auf dem Boden liegen. Über ihm gebeugt ein Torak-Mädchen, das sich tausendmal entschuldigte. Und das tätowierte Oberarme hatte. Bevor die Wache realisieren konnte, was gerade geschehen war, war das Torak-Mädchen schon wieder verschwunden. Und die Kinder vom Schlamm verschluckt.

Dieser Ort hatte eine ganz merkwürdige Aura. Die Armut war hier nicht zu übersehen. Die Bretterbuden waren winzig und nur behelfsmäßig zusammengenagelt worden. Es gab keine wirklichen Wege oder Straßen, nur ausgetretene Pfade. Überall lag Abfall herum, von verblichener Börger-Werbung bis zu Resten zerbrochener Krüge und Asche, die hier einfach vor der Haustür entsorgt wurde. Einige Wesen waren schon zu dieser frühen Morgenstunde unterwegs. Müde aussehende Frauen, Toraks wie Menschen, die im Türrahmen ihrer wackeligen Behausungen standen. Einige hatten einen Schoff-Krug in der Hand. Ab und zu ein Govan in verblichener, dreckiger Kutte, der mit sich selbst redend durch die Gassen schlurfte. Und Kinder. Kinder, die lachend Fangen spielten und denen es nichts ausmachte, wie es hier aussah.

Dann ein Pfiff. Die Kinder blickten hoch und waren von einer Sekunde auf die andere verschwunden. Die angetrunkenen Wesen verschwanden in ihren Hütten. Und die Govans packten ihre Kutte und liefen einen Schritt schneller. Wie von Geisterhand hatte sich alles Leben zwischen den Bretterwänden plötzlich verflüchtigt. Der Schlamm wartete auf die Razzia. Der Pfiff hatte die Wachen angekündigt. Ihr flinker Freund hatte also noch nicht aufgegeben.

Kard spürte seinen Drachenzahn. Oft, wenn er in Gefahr war, rief ihn sein Amulett zur inneren Ruhe. Zur Konzentration. Aber diesmal war es noch etwas anderes. Es war die besondere Magie dieses Ortes. Aus dem verdreckten Boden heraus strömte eine warme Energie. Als ob Sonnenstrahlen aus dem Erdreich nach außen dringen würden, um das Leben darüber in einen schützenden Mantel zu hüllen. Kard schloss die Augen und atmete tief aus und ein.

»Was ist los mit dir? Wir müssen weiter.« Der Schrei Kyras holte Kard aus seinen Träumen.

»Los, da lang«, rief sie ungeduldig.

Aber die Richtung, in die Kyra zeigte, erschien ihm nicht gut. Er hätte nicht sagen können, was es war. Aber in dieser Richtung lag Gefahr. Kard witterte es wie ein angeschlagenes Harani.

»Nein, dort lang.« Kard deutete in eine andere Richtung.

»Nein, Kard. Ich kenne mich gut aus im Schlamm. Du warst noch nie her. Wie willst du wissen, wo wir hin müssen.«

Kard sah Kyra an. Was hätte er ihr antworten sollen? Er hätte ihr in diesem Moment gerne so vieles gesagt. Aber es war zu kompliziert.

»Yo, wir hören auf Kard.«

»Aber…« Kyra sah den Cu entsetzt an. ›Haben hier jetzt alle den Verstand verloren?‹, lag in ihrem Blick. Aber nun drängten sich sogar ihre kleinen Geschwister an sie und zogen sie in die Richtung, die Kard gezeigt hatte.

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