Читать книгу: «Der Junge mit dem Feueramulett: Die Höhle der Drachen», страница 6
»Ach, nicht der Rede wert.«
Aber die Kinder drängten sich nun alle um Kard, betasteten seine Hände und sahen ihn bewundernd an.
»Ich freue mich auch. Aber wir sollten hier langsam verschwinden. Wisst ihr, wo ihr hingehen könnt?« Kyra schaute die Kinder an. Es waren Straßenkinder so wie sie selbst. Und der Winter stand vor der Tür. Trotzdem nickte jedes Kind, eines nach dem anderen. »Dann ab mit euch. Und geht den Wachen aus dem Weg. Stellt Posten auf. Sprecht euch ab. Passt auf euch auf.«
Alle Kinder kamen noch einmal und umarmten Glast, Kyra und Kard und vollzogen mit Kendra aufwendige Abschiedsrituale. Erst die Fäuste gegeneinander hauen, dann kompliziere Fingerspiele. Und das in einer Geschwindigkeit, dass es wie ein Kunststück aussah. Danach verschwanden die Straßenkinder in den dunklen Gassen der Alten Stadt.
*
Flanakan hatte bei seiner Hinrichtungsorgie auch nicht vor den Amazonen halt gemacht. Allen war klar, dass das eine Machtdemonstration war, die jeden davor abschrecken sollte, gegen ihn zu rebellieren. Und wenn dann auch noch Menschen gegen Toraks kämpften, wenn Ichtos und Amazonen um die Vorherrschaft auf dem Meer stritten, wenn alle sich gegenseitig massakrierten, dann hatte Flanakan so gut wie gewonnen. Aber nicht nur Gsaxt und seinen Freunden war die Idee gekommen, dass nicht die anderen Wesen die Feinde waren, sondern Flanakan selbst. Auch auf Amazonien und Ichtien hatte man bald erkannt, wo der Feind wirklich saß. Auf der Schwarzen Burg.
Und so hatten Penthilea und Plr, die Königinnen von Amazonien und Ichtien ein Bündnis geschlossen. Natürlich nicht offiziell. Noch wagte niemand, offen gegen Flanakan vorzugehen. Seine Schergen bildeten ein dichtes Netzwerk an Spitzeln, die ihm jeden Aufstand meldeten, bevor er ausbrechen konnte. Doch einige Löcher gab es in dieser maschenlosen Überwachung doch. Und so hatte der Widerstand in Conchar gerade Besuch bekommen.
»Du meinst, ihr könntet uns ein paar Schwerter besorgen?« Gsark sah die Amazone ungläubig an. Niemand in Conchar besaß eine Waffe. Außer den Wachen natürlich. Man konnte Sensen umarbeiten, Nägel auf Knüppel schlagen oder Küchenmesser zurechtfeilen. Aber das waren keine richtige Waffen.
»Ein paar Schwerter?« Die Amazone sah den riesigen Torak belustigt an. »Hunderte, tausende. Unsere Waffenkammern sind zum Bersten gefüllt. Es geht hier nicht darum, euch in Conchar mit ein paar Stichwaffen auszurüsten. Ich rede von bewaffnetem Widerstand.«
Bewaffneter Widerstand? Allein die Idee daran jagte Gsark einen Schauer über den Rücken.
»Was sagst du, Bruder?«
»Damit habe ich nicht gerechnet, Gsaxt. Das ist eine neue Dimension.«
»Du sagst es. Jetzt brauchen wir nur noch mehr Leute.«
Beide Toraks schauten Klaus an. Der Mensch wiegte nachdenklich seinen Kopf.
»Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Ich weiß noch, wie verbohrt ich damals war. Menschen zuerst.«
»Aber du bist dabei?«
»Natürlich, Gsark. Auf mich kannst du immer zählen. Aber was wir jetzt brauchen, ist eine Armee.«
Gsark, Gsaxt und Achilla nickten. Klaus hatte recht. Das würde nicht von heute auf morgen passieren.
*
Als sie bei Onkel Gsappa und Tante Berta ankamen, standen bereits die dampfenden Suppenteller auf dem Tisch. Anscheinend hatten die Toraks nie daran gezweifelt, dass es Kard, Kyra und Glast es schaffen würden, Kendra zu befreien. Kian und Shay begrüßten ihre Schwester stürmisch und als alle Tränen, Tränen der Freude und Erleichterung, getrocknet waren, setzten sich alle an den großen Esstisch der Gsappas und erzählten, wie es ihnen ergangen war.
»Glast, Kacke, das hätte ich dir ja gar nicht zugetraut.« Anerkennend schlug Zaza dem schüchtern aber stolz umherblickenden Torak auf die Schulter. Auch die anderen zollten den Kindern ihren Respekt. Nur Onkel Gsappa war auffallend still.
»Komm, Alter, sag mal ein netten Wort zu deinem Neffen. Hättest du gedacht, dass der Sohn deines Bruders ein echter Held ist?« Tante Berta boxte ihrem Mann herausfordernd auf die Schulter.
Gsappa nickte nur stumm und schlug Glast auf die Schulter. »Gefällt mir nicht.«
»Was gefällt dir nicht, alter Nörgler?« Tante Berta sah ihren Mann erstaunt an.
»Dass mit den Opferkindern für Goiba. Es gibt nur eine Priesterin im Reich, die das für notwendig erachtet.«
Plötzlich war es still. Alle wussten, von wem Onkel Gsappa sprach. Von Tsarr. Und wenn die Oberste Priesterin Goibas es für notwendig hielt, ihren gemütlichen Tempel in der Hauptstadt zu verlassen, konnte das nichts Gutes bedeuten.
»Aber wir haben ja alle Kinder befreit, da wird die alte Hexe ganz schön dumm gucken.«
»Yo, Kyra hat recht, der haben wir die Suppe gehörig versalzen.«
»Da habt ihr schon recht. Aber wenn Tsarr sich in den Kopf gesetzt hat, Goiba einige Jungfrauen zu opfern, dann wird das auch geschehen. Ihr habt zwar Kendra und die anderen Kinder befreit, aber ich fürchte, das wird Tsarr nicht von ihrem Vorhaben abhalten.«
Das helle Lachen der Kinder war plötzlich verstummt, die Suppenlöffel klirrten nicht mehr in den Tellern. Alle wussten, dass Gsappa recht hatte. Jemand würde sterben.
»Dann sollten wir keine Zeit verlieren, zum Zentralen Platz gehen und uns um die Lösung des Rätsels kümmern. Mein Bauch sagt mir, dass das alles zusammenhängt. Erst will Tsarr unbedingt das Minas-Schwert haben und jetzt taucht sie hier persönlich auf. Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall ist.« Kard hätte sich gerne selbst eingeredet, dass dies nicht der Fall war, aber ein inneres Gefühl sagte ihm, dass Tsarr es auf ihn höchstpersönlich abgesehen hatte. Erst der Vampyr, jetzt die Oberste Priesterin! Kurz sehnte er sich danach, wieder bei Wallas in der Schmiede zu stehen und eine schöne Spitzhacke anzufertigen. Aber diese Zeit war unwiederbringlich vorbei. Als er damals zugestimmt hatte, dass ein Minas-Schwert sein Gesellenstück werden sollte, hatte er eine Lawine in Bewegung gesetzt, die er jetzt nicht mehr aufhalten konnte. Und auch nicht wollte. Jede Entscheidung war richtig gewesen. Hätte ich denn ewig Schaufelblätter und Gartenzäune schmieden sollen? Hatte ich nicht eine tolle Zeit mit Madad und allen unseren Freunden? Und jetzt musst ich die Suppe auslöffeln, die ich mir eingebrockt habe. Auch wenn mir dabei vieles nicht schmeckt.
»Bin dabei, Kard. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht auch noch schaffen würden. Zentrum O drei vier. Auf geht es.« Benjis Augen strahlten voller Tatendrang. Er hatte den Stuhl bereits zurückgeschoben und stand nun breitbeinig vor dem Tisch.
»Ach, Kinder, aber es ist doch schon so spät. Bald wird es dunkel.«
»Ja, Tante Berta, aber Tsarrs Ankunft rückt immer näher. Und vielleicht finden wir etwas, was sie aufhalten kann.«
»Ach, Kinderchen. Opfer gehören halt dazu. Wir wollen doch auch nicht den Zorn von Goiba entfachen. Vielleicht steht ein fürchterlicher Winter vor der Tür, in dem wir alle erfrieren könnten. Und Tsarr rettet uns vor dem Todesatem ihrer Göttin.«
»Selbst wenn es so wäre, Tante Berta, würdest du deine Kinder dann der Priesterin geben, damit sie ihnen die Kehle durchschneidet?«
Die große Torak wirkte plötzlich ganz klein. Die Vorstellung, dass man Kinder opferte, behagte ihre offensichtlich dann doch nicht. Sie nickte niedergeschlagen.
»Dann geht. Aber zieht euch warm an. Und nehmt ein paar Glühwürmchen mit.«
Das war wirklich ein gute Idee. Denn die Sonne begann bereits unterzugehen und in den Tunneln der Schneckenbahn war es ebenfalls immer finster.
*
Makral erweckte den Eindruck, alles im Griff zu haben. Das beruhigte den Vampyr, denn er brauchte hier vor Ort einen verlässlichen Partner. Drei Hinrichtungen wegen Trunkenheit auf dem Kutschbock, zwei Verurteilungen zu einem Leben in den Schwefelminen ohne Grund. Man brauchte einfach Nachschub an Arbeitskräften. Hier hatte wirklich alles seine Ordnung. Makral unterzeichnete die entsprechenden Dokumente, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Also, lieber Vampyr. Du suchst also einen Jungen mit einem großen Hund, der gestern Abend in die Stadt gekommen ist. Ich habe meinen Schergen schon instruiert, die Augen aufzuhalten.«
Mit torkelnde Krähen und treulosen Fledermäusen allein würde er den Jungen nicht finden, hatte der Vampyr festgestellt. Wenigstens nicht so schnell. Er hatte daher beschlossen, das Netzwerk der Spitzel der Alten Stadt mit einzubeziehen. Er war der Oberste Assassine des Reiches, es war sein gutes Recht, alle verfügbaren Mittel zu aktivieren. Auch wenn er dies ungern tat. Er arbeitete lieber alleine. Dann musste er sich nicht mit anderen Wesen und ihren Eigenheiten herumplagen. Und konnte am Ende den Ruhm für sich allein beanspruchen. Aber schon am nächsten Tag wurde die große Tsarr erwartet. Und natürlich würde er auch Flanakan gerne berichten, dass er die Spur wieder aufgenommen hatte.
»Sag, lieber Laltan, hast du in Conchar schon das Gerücht von diesem Feuer-Magier gehört?«
Der Vampyr musste verneinen. Es war schon ein Weile her, dass er von der Hauptstadt aufgebrochen war.
»Sehr ärgerlich, sage ich dir. Da macht man sich so viel Mühe, um Zwietracht im Volk zu säen und nun dieses Gerücht von einem Retter.« Makral berichtete von der Befreiung der Gefangenen in den Schwefelminen des Erzgebirges. »Das Volk übertreibt ja gerne ein wenig. Außerdem ist es gierig und ohne Verstand. Abends will es Streichhölzer, um seine Öllampen zu entzünden, aber niemand geht freiwillig in die Minen. Sklaventum ist Dienst an der Allgemeinheit. Aber davon will ja keiner etwas wissen. Und jetzt dieser Retter. Der Toraks und Menschen gleichermaßen befreit haben will. Dass ich nicht lache. Sicherlich war es nur ein Alchemistenschüler, der seinen Schabernack mit den Wachen getrieben hat. Ich habe Flanakan schon immer gesagt, dass man diese Verrückten gründlicher kontrollieren muss, aber unser Herrscher wollte sich meiner Idee nicht anschließen. Jetzt haben wir den Salat.«
»Nun, werter Makral, euer Vorgänger Laoch hatte in solchen Fällen die Angewohnheit, ein beliebiges Wesen hinzurichten und dem Volk dies als Beseitigung des Übeltäters zu verkaufen.«
»Ah, lieber Laltan. Daran habe ich auch gedacht. Aber es sollte nicht irgendein armer Schlucker sein, ein Feuerschlucker sollte es schon sein.«
Der Vampyr zögerte kurz mit seiner Entgegnung. Hatte der Mann doch Humor? Aber das Gesicht des Obersten war ohne jegliche Gefühlsregung.
»Jemand, den man hier in der Alten Stadt kennt. Zum Beispiel einer, der im Großen Casino auftritt. Oder noch besser ein Branu-Priester, der mit Räucherstäbchen hantiert. Und dann Rübe runter. Und Schluss ist es mit dem Retter-Märchen.«
In diesem Moment klopfte es und ein Uniformierter steckte seinen Kopf hinein.
»Habe ich nicht gesagt, dass ich jetzt nicht gestört werden möchte?«
»Aber Oberster, wir sollten doch sofort Bescheid geben, wenn man so einen Feuer-Govan gefunden hat. Einer unserer Spitzel hat etwas gesehen!«
»Ah, na dann. Rein mit dem treuen Gesellen.«
Der Vampyr staunte nicht schlecht, als ein Kind in zerschlissener Kleidung das Büro betrat. In Conchar gab es wenige solcher Straßenkinder, da man frei laufende Minderjährige als Opfergaben sofort zu Tsarr brachte. Das Kind erschrak sichtlich beim Anblick des Vampyrs, aber dann nahm es eine trotzige Haltung ein. Gleichzeitig überprüfte es mit einem schnellen Blick alle möglichen Fluchtwege.
»Die Wache sagt, dass man meinen Papa dann aus den Minen frei läßt.«
»Sagt das die Wache?«
»Sonst sage ich nichts.«
Der Vampyr musste innerlich lachen. Da stand dieser Dreikäsehoch, es mochte ein kaum zehnjähriger Junge sein, und stellte dem Obersten der Wachen und Schergen Forderungen. Mit einem Fingerschnippen könnte Makral das Kind ins Jenseits befördern. Ganz schön mutig.
»Kommt darauf an, was du uns sagen kannst.«
»Geht um den Jungen mit den Feuerkugeln.«
»Ach, dieses Gerücht. Dieser Junge, von dem die ganze Welt gerade zu sprechen scheint. Aber den gibt es in Wirklichkeit gar nicht, weißt du? Aber du kennst also jemanden, der Feuer schlucken kann oder so etwas?«
Das Kind sah den schwarz Uniformierten vor sich fragend an. Deutlich konnte man sehen, dass es dachte, dass dieser Mensch nicht richtig zuhören konnte.
»Nein. Ein echter Junge. Mit Feuerkugeln.«
Makral sah das Kind aufmerksam an, dann streckte er den Rücken durch und schob den Kopf nach vorne. »Ein echter Junge? Mit Feuerkugeln?«
Der Junge sah dem Obersten tapfer in die Augen und nickte.
»Und wo ist der?«
»Und meinen Papa lässt du dann frei, ja?«
»Wir sind hier ja keine Unmenschen. Eine gute Tat soll auch belohnt werden. Name, Geburtsort, Verbrechen, jetziger Aufenthaltsort?«
»Hansi Mittermeier, Trok, unmusikalische Gesangseinlage, Silbermine Sieben östlich des Branubrabat.«
»Ach, an den erinnere ich mich tatsächlich. Die Wachen nannten das Lärmbelästigung.«
»Papa singt eben gerne. Ist doch kein Verbrechen.«
»Was ein Verbrechen ist oder nicht, das lass gefälligst meine Sorge sein. So, und jetzt bist du dran. Wo finden wir diesen Wunderknaben?«
Das Straßenkind berichtete, dass es sich von Wachen verhaften ließ, weil es die Hoffnung hatte, in die gleiche Mine wie sein Vater gebracht zu werden. Aber stattdessen war es zu den Opferkindern in das Gefängnis der Obersten Verwaltung gekommen. Dabei sei er doch ein Junge. Nur weil man lange, lockige Haare hatte, war man doch nicht gleich ein Mädchen. Und dort seien sie von diesem Jungen befreit worden. Mit Feuerkugeln.
»Und du lügst uns nicht an?« Makral sah das Kind misstrauisch an. Er kannte solche Gören. Die logen, dass sich die Balken bogen, wenn sie irgendeinen Vorteil davon hatten. »Und hatte dieser Junge vielleicht einen großen Hund dabei?«
Das Straßenkind schüttelte den Kopf. »Was ist jetzt mit meinem Papa?«
»Wir überprüfen das. Wenn es stimmt, kommt dein Papa frei. Du musst uns nur sagen, wo wir diesen Feuerkugel-Jungen finden.«
Mittermeier Junior zögerte noch etwas, als müsse er doch noch einmal überlegen, ob er das Richtige tat. Aber dann nickte er. »Bei den Gsappas. Scherbenbruchgasse 7.«
»Bei Gsappa? Diesem verrücken Gitarristen?«
Das Kind nickte erneut.
»Hah. Diese Musiker. Denen ist nicht zu trauen. Sage ich schon immer. Wache.« Das letzte Wort schrie Makral in Richtung Tür, die prompt aufgerissen wurde.
»Mal ein paar Schergen in die Scherbenbruchgasse 7 schicken. Sie sollen mal schauen, ob da jemand mit Feuer spielt.«
»Sehr wohl, Chef. Scherbenbruchgasse 7. Schon unterwegs.«
»Und schafft diese Göre hier raus. Wie kann man nur so stinken?«
Die Wache trat ein, packte das Straßenkind beim Kragen und zerrte es vor die Tür.
»Vielleicht haben wir Glück. Eine schöne Hinrichtung ist immer im Sinne unseres Herrschers. Goiba für immer.«
»Goiba für immer, lieber Makral. Und wenn deine Schergen von diesem Jungen mit dem Hund hören, gibst du mir Bescheid?«
»Natürlich, lieber Vampyr.«
Laltan erhob sich. Mehr konnte er in diesem Moment nicht tun. Er würde noch einmal die Krähen und morgen früh die Fledermäuse befragen. Und vielleicht auch zu diesem Jungen mit den Feuerkugeln gehen. Irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass es hier um mehr als um ein Bauernopfer ging, um dem Volk die Illusion eines Retters zu rauben.
*
Der Zentrale Platz der Alten Stadt lag nach Einbruch der Dunkelheit ruhig und verlassen da. Das Nachtleben fand auf der Großen Allee statt, dort suchten die Wesen jetzt das große Glück. Den Göttern wurde erst wieder am nächsten Tag geopfert.
Die Eingänge zu den Toren des Untergrundbahnhofs waren mit Gittern verschlossen. Glast erklärte ihnen, dass man im Winter den Betrieb der Schneckenbahnen abends einstellte und Benji konnte ergänzen, dass die Rennschnecken, die ja aus den westlichen Sümpfen kamen, in denen es auch im Winter viel wärmer war, die Kälte nicht ertrugen.
Es folgte eine fachmännische Diskussion zwischen den Kyra und Benji, die das Schloss an den Gittern begutachteten, ob man hier eher den biegsamen T-Draht und doch den steifen L-Draht nehmen sollte und auch Kard mischte sich in das Gespräch ein. Weniger, weil er ein Spezialist im Knacken von Schlössern war als vielmehr aus dem Gefühl heraus, dass er es einfach nicht mochte, wie die beiden da so vertraut die Köpfe zusammensteckten. Als Kyra ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte, weil er eigentlich nur Unsinn redete, verstummte er abrupt. Die Stelle, an der das Mädchen ihn berührt hatte, brannte wie Feuer. Was ist nur los mit mir? Das Amulett pulsierte beruhigend auf seinem Brustbein, aber trotzdem liefen seine Gedanken Schlittschuh. Da hatte er gegen Faols und Oguls gekämpft und trotzdem brachte ihn diese Berührung völlig aus der Fassung. Zu allem Überfluss stellte sich jetzt auch noch Madad grinsend neben ihn. »Was?«
Sein zorniger Ausbruch ließ den Cu nach hinten springen. Aber immer noch hatte er die Lefzen hochgezogen und zeigte seine Zähne.
»Nichts, Kard. Nichts. Wollte nur ein bisschen schnuppern. Du weißt ja, wir Cus haben die beste Nase von…«
»Was gibt es denn hier zu schnuppern?«
»Ach nichts, ich wollte nur sicher gehen. Mama hat mir schon davon erzählt.«
»So, geschafft.« Benji blickte stolz hoch.
Kard hatte keine Zeit mehr, den Cu nach den Weisheiten seiner Mutter zu fragen, denn Benji und Kyra hatten inzwischen das Schloss geöffnet. Sie schauten sich noch einmal um aber sie konnten niemanden entdecken, der sie beobachtete. Ungesehen verschwanden die Kinder in der Tiefe.
»Oh drei vier. Oder Null drei vier?« Benji flüsterte. Jetzt, da sie allein auf dem U-Bahnhof standen, wirkte die Höhle plötzlich riesig. Das Echo ihrer Stimmen hallte von den Wänden und schien unnatürlich laut. Zum Glück hatten sie Glühwürmchen dabei, die über ihnen schwebten wie leuchtende Ballons. »Oder Osten? Wie bei einem Kompass. Das O könnte für Osten stehen.« Benji ging in Richtung des Ausgangs.
»Im Osten geht die Sonne auf. Es ist der Weg Branus.« Kard hatte das Gefühl, als ob der Raum hier wärmer wäre. So wie bei dem Spiel, bei dem man mit verbundenen Augen etwas finden muss und die anderen Kinder sagen wärmer, wenn man sich dem Gegenstand nähert und kälter, wenn man sich davon entfernt. Demnach wären sie am östlichen Ausgang genau richtig.
Während das Tunnelsystem der Schneckenbahn natürlichen Ursprungs war, es handelte sich um ehemalige Wasserbahnen der Klatsch, waren die Ausgänge von den damaligen Architekten der Drachenkönige in den Fels getrieben worden. Sie waren kunstvoll mit Rundbögen abgeschlossen, die jeweils aus sieben Quadern zusammengesetzt waren. Wenn man genau hinsah, konnte man auf den beiden mittleren Steinen ein Relief erkennen, das man irgendwann abgeschliffen hatte. Kard und Benji sahen sich an. Das sollten wir genauer untersuchen.
»Räuberleiter?« Glast stemmte Kard nach oben. Er spürte es sofort, als er die Steine berührte. Dies waren keine normalen Steine. Es war Minas-Erz. Aber wieso sollte man mit den wertvollen Materialien einen unbedeutenden Torbogen konstruieren?
»Es ist Minas-Erz, oder Kard? Das kann kein Zufall sein.« Benji war zu dem gleichen Schluss gekommen.
»Ah, Hilfe, ein Erdbeben.« Kyra und ihre Geschwister waren in der Mitte der Bahnhofshalle geblieben. Jetzt waren sie erschrocken zur Seite gesprungen. »Da hat sich etwas bewegt.«
Benji eilte dazu. Zusammen mit dem schnuppernden Madad untersuchten sie die Stelle, an der die Kinder eben noch gestanden hatte. Aber sie konnten nichts entdecken.
»Seid ihr sicher?«
»Ja, Benji, da hat sich etwas bewegt. Ganz sicher.«
»Ich kann nichts entdecken. Nur glatter, harter Fels.«
Kard berührte nochmals die Steine drei und vier des Torbogens. Das Minas sprach zu ihm. Er schickte das Feuer hinein und es war, als ob sich zwei gute Freunde, die sich seit Jahren nicht gesehen hatten, begrüßen würden.
»Kacke. Da bewegt sich etwas.«
Mit zitterndem Finger zeigte Zaza auf die Mitte der Höhle. Genau an der Stelle, an der eben noch Kyra mit ihren Geschwistern sich befunden hatte, war nun eine schmale kreisrunde Kerbe zu sehen.
»Hat jemand eine Zahnbürste dabei?«
»Nein, Benji, niemand hat eine Zahnbürste dabei. Ehrlich gesagt, haben wir überhaupt keine Zahnbürsten. Und wieso willst du dir jetzt gerade die Zähne putzen?«
»Nein, Kyra. Ich will mir doch nicht die Zähen putzen. Ich will nur diese Kerbe freilegen. Ich glaube, dass sehr viel Staub dort drinnen sitzt, den man nur wegputzen muss. Zum Beispiel mit einer Zahnbürste.«
Inzwischen hatte Glast Kard abgesetzt, der sich nun zu den anderen auf den Boden kniete und die kreisförmige, tellergroße Stelle betrachtete. Als er die Hand darauf legte, spürte er, dass auch hier Minas verarbeitet worden war. Dieser U-Bahnhof unter dem Zentralen Platz ist alles andere als eine normale Haltestelle der Schneckenbahn. Dieser Ort ist ein magisches Portal! Sie mussten nur noch herausfinden, wie es funktionierte.
Doch genau in diesem Moment erklangen Schritte auf der Treppe, die zum nördlichen Ausgang führte. Kard gab den anderen ein Zeichen, ihm zu folgen. Leise glitten sie über die Kante, die den Spurgraben der Schneckenbahn von der Bahnhofsfläche trennte. Und landeten menschenknietief im Schneckenschleim.
Es waren zwei Wesen. Nach dem Geräusch der Schritte zu beurteilen Toraks. Menschen hörten sich leichter an. Jetzt sah man auch das flackernde Leuchten von Glühwurmhintern. Ein langer schmaler und ein kleiner dicker Torak.
»Hast dich geirrt, Gsabbi. Ist nichts. Keiner hier. Nur ein paar vergessene Glühwürmchen.« Der Lange klopfte seinem Kollegen beruhigend auf die Schulter.
»Hätte schwören können, dass ich Stimmen gehört habe, Waxa.« Der Kleine war nun stehengeblieben und horchte angestrengt in die Dunkelheit.
»Wenn doch mal einer eingeschlossen wird, dann schreien sie doch rum, dass man es bis nach Conchar hört.«
»Wir gucken trotzdem mal.«
Nachtwächter, dachte Kard. Wie alle Wachen sicherlich mit Schwertern bewaffnet. Keine harmlosen Beamte wie in der Obersten Verwaltung. Sicherlich Kerle, mit denen nicht zu spaßen war, auch wenn sie sich jetzt ganz harmlos anhörten. Vorsichtig sah Kard sich an nach seinen Freunden um. Im Dunklen konnte er sie kaum erkennen. Wenn es ihnen wie ihm ging, waren sie grün angelaufen und mussten gegen den Würgereiz ankämpfen. Wo war eigentlich Madad?
»Ist da hinten etwas? Da unter dem Ost-Ausgang?« Der Kleine deutete nach vorne.
»Du siehst Gespenster, Gsabbi.«
»Hatte das Gefühl, einen großen Hund zu sehen.«
»Einen Hund?«
»Einen großen Hund!«
»Der nachts alleine Schneckenbahn fährt?« Der Lange amüsierte sich über die Fantasie seines Kollegen.
»Kann doch sein. Kommen ja auch Amazonen mit ihren Hunden ab und zu her. Oder einer der Schafsbauern mit seinen Hütehunden.«
»Oder einer für die illegalen Hundekämpfe.«
»Also. Könnte doch sein, oder?« Der Kleine schien den Langen überzeugt zu haben.
»Könnte. Ist aber nicht. Nur in deinem Kopf. Lass uns wieder nach oben gehen. Mir wird es immer schlecht, wenn ich länger hier unten bin.«
»Was bist du denn für eine Wache? Wenn der Oberste Makral das mitbekommt, dann bekommst du gleich Kerkerdienst. Nicht mehr draußen herumlaufen und Spass mit den sogenannten Bürgern haben.«
»Erzähl das doch unseren Vorgesetzten. Dann erzähle ich, wie du deinen Sold im Großen Casino verspielst.«
Dann verstummten die beiden Stimmen. Kard hoffte inständig, dass die beiden so schnell wie möglich verschwinden würden. Die Suppe, die ihnen Tante Berta heute Abend aufgetischt hatte, schwappte schon innen gegen seinen Kehlkopf. Lange würde er es nicht mehr aushalten, bis er sich übergeben musste. Und den anderen ging es bestimmt genauso.
»Gut, gehen wir wieder.«
Branu sei Dank. Kard hörte, wie die Wachen zurück zum nördlichen Ausgang stiefelten und dort die Treppe hochgingen. Als sie das metallene Tor in den Angeln quietschen hörten, hievten sie sich über den Rand der Schneckenschleimspur und rollten sich auf den Boden den Bahnhofs. »Madad?« Kard war sich sicher, dass sein Freund nicht in die Schleimsuppe gesprungen war. Ein Cu wäre dort sofort ohnmächtig zusammengebrochen.
»Du stinkst.« Madad war aus dem Schatten getreten und verzog voller Ekel seine Lefzen.
»Kacke, wir stinken alle. So etwas Ekelhaftes. Da komme ich in die große Stadt, um Ballerina zu werden und jetzt so etwas.«
Glast wirkte erstaunt. »Wirklich, Ballerina? Da wärst du bestimmt die erste Torak.«
»Ach nein, Glast, das ist nett. Aber tatsächlich gab es früher öfters Torak-Ballerinas. Und ich bin doch Luft-Magierin. Ich fühle mich gerne so leicht wie eine Feder. Aber erzähle das mal den Menschen. Die lachen einen immer aus.«
Kyra und ihre Geschwister beschwichtigten Zaza, die etwas wütend erschien und bestätigten ihr, dass sie sicherlich eine wunderschöne Ballerina sein könnte.
Kard hörte ihnen kopfschüttelnd zu. »Leute. Können wir die Berufsplanung etwas nach hinten schieben und wieder schauen, ob wir das Portal öffnen können.«
»Das Portal?«
»Ja, Kyra, ich spüre es genau. Dieses Minas-Erz überall. Lasst und diese runde Stelle noch einmal anschauen. Und es hat wirklich keiner einer Zahnbürste dabei?«
Zum Glück leuchteten die Glühwürmchen weiterhin. So fanden sie ohne Probleme den runden Stein wieder, der sich nun deutlich vom restlichen Boden abzeichnete. Kard kniete sich davor und legte eine Hand darauf. Wie bei den Steinen im Torbogen war es so, als ob sich alte Freunde begegnen würden. Das Feuer traf auf das Minas und das Gestein begann sich zu bewegen. Das ist eine Art Deckel.
Die tellergroße Scheibe ragte nun deutlich über den Boden heraus. Obwohl sie nicht besonders groß war, hatte Kard Mühe, sie zur Seite zu schieben. Sein Blick fiel in eine dunkle Vertiefung. Kard musste an die Höhle des Felsenwurms denken aber er schüttelte das ungute Gefühl von sich wie eine lästige Fliege.
»Kannst du mal leuchten, Kyra?«
Kyra lenkte eines der Glühwürmchen über die Öffnung und in den Schatten deuteten sich Schemen einer seltsamen Konstruktion an. Die kleine Höhle, die sie freigelegt hatten, beinhaltete einen Hebel. Kard war sich nicht sicher, ob man auf dem Metall das Zeichen von Davischi sehen konnte, aber die Metallstange, die er erblickte, erinnerte ihn an die Ofengriffe im Waisenhaus. So als ob sie in derselben Werkstatt angefertigt worden waren. Oder der gleiche Architekt hatte sie entworfen. Vor langer Zeit.
Kard überlegte nicht lange. Er griff hinein, hoffte, dass kein hungriger Felsenwurm ihm dem Arm abreißen würde und zog an dem Hebel. Aber er bewegte sich nicht. Nicht einen Millicas.
Kein Wunder. Das Ding hier hat wahrscheinlich seit Jahrzehnten keiner mehr angefasst.
Er verdoppelte seinen Anstrengungen. Und der Hebel schien sich auch wirklich zu bewegen. Oder hatte er sich das nur eingebildet?
»Soll ich mal?«
Die Stimme von Glast klang wie aus einer anderen Welt an Kards Ohr. »Gleich, einmal noch.«
Der Hebel bestand nicht aus Minas. Kard schickte das Feuer hinein, bekam aber keine Antwort. Hier war einfach nur Kraft gefragt. Kard gab alles, was er davon hatte, aber nichts geschah.
Schließlich zog er den Arm aus dem Loch und nickte Glast zu. Aber für die gewaltigen Arme des Toraks war wiederum das Loch zu klein. Er konnte zwar die Hand hineinstecken, aber dann konnte er den Hebel nicht umfassen.
Blieb nur noch Zaza.
Die Torak kniete sich nieder und steckte den Arm in das Loch. »Ich kann auf jeden Fall den Hebel greifen.«
Die Muskeln und ihren Tätowierungen spannten sich. Dann schloss die Torak die Augen, konzentrierte sich und mit einem Schlag kam eine gehörige Staubmenge aus dem Loch. »Jetzt habe ich erstmal alles frei gepustet. Es hat schon Vorteile, wenn man ein paar Luft-Magier-Tricks auf Lager halt. Und jetzt nochmal. Könnt ihr mich festhalten.«
Glast schlang die Arme um Zaza, sodass sie einen besseren Halt hatte. Der Torak traten schon die Adern aus den Schläfen, als sich der störrische Hebel endlich bewegte. Gleichzeitig knirschte irgendwo Gestein. Begleitet von dem Geräusch, die zähe Flüssigkeit macht, wenn sie sich bewegt. Während Zaza ihren Arm wieder aus dem Loch zog und erschöpft in den Armen Glasts landete, gingen die anderen erneut zu der Kante, die die Schneckenschleimspur begrenzte. Im Schein der Glühwürmchen konnte man deutlich erkennen, dass sich unter der glitschigen Masse eine Luke geöffnet hatte.
»Yo, jetzt sagt mir nicht, dass wir dort hinein müssen?«
Kard sah seinen Freund entschuldigend an.
»Doch, Madad, ich befürchte, so ist es. Ich gehe auch zuerst.«
Der Cu schlug sich eine Pfote vor die Augen. »Wenn ich das Mama erzähle. Erst die stinkende Stadt. Und jetzt Schneckenschleim. Sie wird mich für total verrückt halten.«
Inzwischen war Kard bereits in den Schleim geglitten und bis zu der Luke gegangen. Dort begann er die zähe Masse auseinanderzureißen. Bald konnte er erkennen, dass Stufen in die Tiefe führten. Er bat Kyra um eines der Glühwürmchen und schickte es voran. Im schwachen Licht wurde eine Treppe sichtbar, die sich spiralförmig im Dunkeln verlor.
Kard würde diesen Weg gehen. Aber was würde ihn dort unten erwarten? »Ihr müsst nicht mitkommen. Kyra, du und deine Geschwister, wir wissen nicht, ob es gefährlich ist. Und Glast und Zaza. Die Treppe ist ziemlich eng.«
Statt ihm dankbar zu sein, dass er so fürsorglich war, sah er in beleidigte Gesichter. Besonders Glast wirkte betroffen. »Was ist los? Kurz vor Schluss willst du uns nicht mehr dabei haben? Ich wäre bestimmt der erste Torak, der so etwas erlebt.«
»Glast, so war das nicht gemeint.«
Auch Kyra war nicht gerade begeistert. »Dem Herren darf man zwar bei Befreiungsaktionen helfen und den Lockvogel spielen, aber jetzt will er alleine seinen Spaß haben?«
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