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Читать книгу: «Der Junge mit dem Feueramulett: Die Höhle der Drachen», страница 5

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»Zaza zum Beispiel. Ich könnte mir dich gut in Uniform vorstellen.«

»Uniform?«

»Genau. Glaubst du, alle Wachen kennen sich untereinander? Gsappa hat doch erzählt, dass es viel mehr geworden sind, seit dieser Makral in der Stadt ist.«

Jetzt schwiegen die anderen. Die Idee könnte sogar funktionieren.

Sie standen noch immer auf dem Bahnsteig des Zentralen Platzes. Die nächste Schnecke kam den Tunnel nun entlang geprescht und hielt mit spritzenden Schleimfontänen an der Haltestelle. Die Passagiere, einige Toraks und Menschen, verließen die Transportkabine und gingen zu den Ausgängen. Kard gab den anderen ein Zeichen, ihnen zu folgen. Sie gingen die Osttreppe hinauf. Kard schaute noch kurz, ob sie irgendwelche Hinweise übersehen hatten, konnte aber nichts entdecken.

Inzwischen war es Mittag. Auf dem Zentralen Platz war wenig los. Die Altäre der Götter lagen verlassen unter dem grauen Wolkenhimmel. Der kalte Winterwind blies sein trauriges Lied und ließ die Kinder frösteln. Im U-Bahnhof hatte es zwar wie die Pest gestunken aber es war wenigstens warm gewesen. Eigentlich ein gemütlicher Ort für einen Drachen.

An der Ostseite des Platzes begann die Große Allee mit all ihren Spielcasinos. Aber selbst dort herrschte um diese Zeit relative Ruhe. Die Horde der Spielsüchtigen würde sich erst gegen Abend hier versammeln. Eine schöne, ruhige Zeit. Wenn jetzt eine einsame Wache hier herumstolpern würde, die gerade noch ein Geschäft erledigen musste, um danach einsam und verlassen seiner Kompanie hinterherzulaufen, könnte man die sicherlich unbemerkt erledigen. Nur leider lief hier nirgendwo eine einsame Wache alleine durch die Gegend.

Glast, der mit großen Augen den anderen hinterhergelaufen war, zeigte auf eine der Buden, die am Rand der Großen Allee standen. »Pfandhäuser. Die haben auch Kleider.«

In den Pfandhäusern versetzten die Spielsüchtigen ihr Hab und Gut, um dann im Casino reich zu werden. Neben dem Schmuck der Großmutter gaben manche hier ihr letztes Hemd. Und unter der Ladentheke wurden die Sachen gehandelt, die als gefährlich oder verboten galten. Zum Beispiel die Uniformen spielsüchtiger Wachen. Alle schauten nun Zaza an.

»Was?«

»Du siehst so aus, als ob du gerne Uniformen kaufen würdest.«

»Ich? Uniformen? Branu bewahre.«

»Aber ich glaube, von uns allen bist du diejenige, der man das da drinnen am ehesten glauben würde. Oder sollen Benji oder ich hineingehen und nach einer Uniform fragen?«

Ergeben nickte Zaza. Natürlich. So einer tätowierten Torakfrau traute man alles Mögliche zu. Es wäre nicht besonders verdächtig, wenn sie nach einer Wachenuniform fragen würde.

»Aber wie sollen wir das bezahlen?« Kyra schaute fragend in die Runde.

»Wie wäre es damit?« Kard griff in das Bündel, das er auf den Rücken trug. Er ließ seinen Blick umherschweifen, um sicher zu gehen, dass sie niemand beobachtete. Er deutete auf eine enge Gasse, die auf den Zentralen Platz mündete. »Geht es da nicht zu Murkslin? Was der alte Halunke wohl so treibt? Weißt du es vielleicht, Kyra?«

»Immer noch seine Salben verkaufen.«

Nachdem Kard sich vergewissert hatte, dass ihm niemand zusah, holte er das Schwert hervor, das er in Truk geschmiedet hatte und streckte es Zaza entgegen.

»Holen die nicht sofort die Wachen, wenn ich mit einem Schwert dort drinnen erscheine?«

»Du willst doch eine Uniform kaufen. Also auch etwas, was offiziell verboten ist. Ich wette, die werden begeistert sein.«

Zaza wiegte zweifelnd den Kopf. »Na gut. Ich versuche es.«

Kard wickelte das Schwert in ein Tuch und übergab es Zaza. »Viel Glück.«

Die drei Pfandhausmitarbeiter rissen die Augen auf, als eine tätowierte Torakfrau ihnen im Büro das Schwert zeigte. Als Zaza ihnen im Verkaufsraum vor wenigen Minuten zugeflüstert hatte, dass sie an der Uniform einer Wache interessiert sei, hatte der Chef gleich seine halbe Familie, mit der er dieses Etablissement am Laufen hielt, zusammengerufen und sie ins Hinterzimmer gelotst.

Der Raum wurde von einem massiven Schreibtisch aus dunklem Holz dominiert, an den Wänden befanden sich Regale mit Inventarbüchern, an der Decke hatte man ein halb verhungertes Glühwürmchen befestigt, das kaum noch leuchtete. Während sich der Großvater hinter den Schreibtisch gezwängt hatte, war der Sohn losgelaufen, um etwas Zuckerwasser zu besorgen. Als er damit zurückkam, fütterte er damit das Glühwürmchen, das sofort begann, heller zu strahlen. Der Vater hatte sich nun über das Schwert gebeugt und strich vorsichtig mit dem Finger über das Metall. Allen drei Menschen hatte der Anblick des Schwertes die Sprache verschlagen.

»Das ist die Abschlussarbeit eines Schmiedes. Dieser Torak ist aber jetzt im Steinbruch.«

Die Pfandhausmitarbeiter nickten. Es war bekannt, dass die Torakschmiede früher Schwerter hergestellt hatten. Dass dies auch heute noch so gemacht wurde, war zwar verwunderlich aber nicht unmöglich.

»Und du wolltest eine Wachenuniform dafür?«

Zaza nickte.

»Von einem Torak?«

»Mal nicht so schnell, Sohn. Erst mal müssen wir prüfen, ob das Schwert echt ist.«

Der Vater sah den Großvater entgeistert an. »Pa. Das ist ein Schwert. Was soll es denn sonst sein? Ein Tortenheber?«

Der Großvater nickte vielsagend. »Da ist was dran.«

Der Jüngste ließ seinen Blick immer nur zwischen den beiden Menschen und der tätowierten Torakfrau hin und her wandern. So aufregend wie heute war es selten in diesem Geschäft.

»Tortenheber, das ist lustig.« Zaza versuchte, ihre Nervosität mit einem künstlichen Lächeln zu überspielen. Bei ihr verursachte der Anblick eines Schwertes den Wunsch, das Weite zu suchen. Sie spuckte zwar gerne große Töne, aber im Grunde ihres Herzens war sie lammfromm. Und ging einem Streit mit den Wachen lieber aus dem Weg. Wenn diese Menschen jetzt nicht mitspielen würden, konnte das unangenehme Konsequenzen haben.

»Was meinst du, Pa. Ein Schwert, wieviel Argits bringt das ein?«

Die drei Menschen sahen nun Zaza an.

»Eine Uniform? Mehr nicht?«

Zaza schüttelte verneinend den Kopf. Sie wollte so schnell wie möglich hier wieder raus. Der enge Raum. Diese drei Menschen. Das auf- und abschwellende Licht des Glühwürmchens. Zaza standen Schweißtropfen auf der Stirn. »Eine Wachenuniform. Das reicht mir.«

Der Großvater grinste. »Haben wir da nicht noch etwas in der Schublade?«

Der Vater zog einen Schlüssel hervor und ging dann vor dem Schreibtisch in die Knie. Zaza hörte ein Schloss knirschen, dann das Geräusch, als die Lade herausgezogen wurde.

»So etwas?« Der Mensch hatte nun eine Wachenuniform in der Hand und hielt sie vor Zaza in die Höhe. Es war die Uniform eines Toraks, schon etwas zerschlissen, aber sie würde ihren Zweck erfüllen.

Der Großvater streckte den Arm über den Schreibtisch aus und bot Zaza die offene Hand an.

»Abgemacht.« Zaza schlug ein und griff sich die Uniform.

»Boa, Papa, ein echtes Schwert. Dafür kriegen wir bestimmt ein paar hundert Argits.«

Großvater und Vater schauten den Sohn mit schmerzverzerrtem Gesicht an, dann wanderte der Blick zu Zaza. Die aber schaute wie hypnotisiert das zappelnde Glühwürmchen an.

»Und das da hätte ich auch noch gerne.«

»Natürlich. Das Glühwürmchen. Kein Problem.« Ohne zu zögern kletterte der Vater auf einen Stuhl, band das Tier von der Decke und drückte es Zaza in die Hand. Dann stiefelte er voran. Großvater und Sohn folgten ihm.

»Habt ihr denn keine Öllampen?«, fragte Zaza beim Hinausgehen.

»Doch. Ein Glühwürmchen ist aber billiger. Das bisschen Zuckerwasser, was es verbraucht.«

Zaza schüttelte den Kopf. Jeder wusste, dass Glühwürmchen in geschlossenen Räumen irgendwann den Verstand verloren und anfingen, wahllos zu flackern. Dann musste man sie entsorgen, sprich ihnen den Hals umdrehen, da niemand ein wild flackerndes Glühwürmchen wollte. Echte Glühwürmchenschinderei.

Im Verkaufsraum wickelte man Zaza die Uniform noch schnell in braunes Packpapier, damit niemand sehen konnte, was die Torakfrau aus dem Laden trug. Freudig winkten die drei ihr hinterher. In ihren Augen hatten sie wohl gerade ein gutes Geschäft gemacht.

Aber Zaza hatte erreicht, was sie wollte. Und außerdem noch ein Glühwürmchen aus der Tiersklaverei befreit. Kaum hatte sie den Laden verlassen, ließ sie das Glühwürmchen frei, das etwas verwirrt langsam in die Höhe stieg. Zaza fühlte sich richtig gut, als sie die anderen wieder traf.

»Hier. Hat einwandfrei geklappt.«

»Zaza oder Glast? Wer von euch beiden will Kyra begleiten?«

»Ich will, ich will.«

»Du weißt schon, Glast, dass das nicht ungefährlich ist. Wenn die herausbekommen, dass du keine echte Wache bist, dann landest du vielleicht wieder in der Schwefelmine.«

»Nein, Kard. Du bist doch bei mir. Außerdem weiß ich genau, wie man sich als Wache verhalten muss. Hatte in der Mine ja genug Zeit, sie zu beobachten. Passt auf.« Glast stellte sich hin, schob das Kinn nach vorne und blähte den Brustkorb auf. Mit verstellter Stimme begann er zu sprechen. »Alles Gesindel. Wir müssen hier mal richtig aufräumen. Der Galgen auf der Schwarzen Burg ist viel zu wenig für diesen Abschaum.«

Kyra applaudierte. »Perfekt.«

Damit war es abgemacht. Glast wechselte die Hosen und zog die schwarze Jacke an. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er sich in die perfekte Wache verwandelt.

»Dann führe mich mal ab, du böse Wache.«

Glast legte Kyra eine Hand auf die Schulter. »Komm mit, du ungezogenes Straßenkind.«

»Und mich bitte auch abführen.« Kard hatte sich neben Kyra gestellt.

»Nein, Kard, das musst du nicht…«

»Doch, Kyra! Vielleicht brauchst du jemanden, der ein wenig Licht ins Dunkle bringt. Wer weiß, in welchem abgelegenem Verlies wir Kendra finden. So eine kleine Feuerkugel könnte da sehr nützlich sein.«

Kyra sah Kard mit einem belustigten und vorwurfsvollen Blick an. »Danke.«

»Und jetzt bitte ab in den Kerker.«

Glast war die personifizierte Wache. In der Uniform sah er gleich einen Kopf größer aus. »Habe hier zwei Straßenkinder beschlagnahmt.«

Der Torak stand mit Kyra und Kard vor dem Tor der Obersten Verwaltung. Die beiden Wachen beachteten ihren Kollegen gar nicht. Aber die Kinder hatten ihre ganze Aufmerksamkeit.

»Seid froh, dass der Kollege euch aufgegriffen hat. Jetzt bekommt ihr ein richtiges Zuhause.«

Was sich nett anhörte, wurde durch das fiese Grinsen der Wachen widerlegt. So würde man auch mit einem leckeren Braten reden, den man in den Ofen schiebt. »Wir übernehmen. Kollege, führe unsere neuen Gäste bitte nach innen.«

»Sehr wohl, Kollege, wird gemacht.«

»Und du kannst wieder zurück zu deiner Kompanie. Bist wohl neu hier. Solltest dir mal eine andere Uniform besorgen. Das Modell, was du trägst, verwenden wir hier schon eine ganze Weile nicht mehr.«

»Aber…«

»Kein Problem. Es gibt so viele neue Wachen, seit dieser Makral hier mit seinen Leuten aufgetaucht ist, da kann das schonmal passieren.«

»Aber…«

»Also ab zu deiner Kompanie, Wache.«

»Sehr wohl, Kollege.« Glast machte kehrt und trat den Rückzug an. Als er sich noch einmal umdrehte, hatte eine Wache Kyra und Kard bereits abgeführt. Er konnte gerade noch sehen, wie sich das Tor hinter ihnen schloss.

Der Uniformierte ging mit den Kindern zur Registrierstelle der Obersten Verwaltung, die sich direkt hinter dem Tor befand. An einem länglichen Schreibtisch aus braunem Holz saßen drei uralte Menschenfrauen, die eifrig in den drei Büchern, die vor ihnen lagen, blätterten und dabei ständig ihre Lippen bewegten, als ob sie stumm sprechen würden. Hinter ihnen konnte konnte man einen Haufen Garn oder Stricke erkennen, weiß das Schicksal, was es damit auf sich hatte.

»Neuzugang, Verwalterin Urd.«

»Neu, neu. Nichts ist neu in dieser Welt. Alles kommt, geht und kommt wieder.« Die Frau hatte ihren Kopf nun gehoben und schaute Kard und Kyra an. Ihr Haar war strähnig und grau, ihre Haut voller Falten, ihre Augen mit einem grauen Schleier belegt, als ob sie blind sei. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Kard war automatisch einen Schritt zurückgetreten, als die Verwalterin ihn anstarrte. Aber die Wache hatte ihn unwirsch wieder nach vorne gestossen.

»Name?« Die Stimme der Frau war ein leises Kreischen, als ob man eine verrostete Tür in den Angeln hin- und herbewegte.

»Ka… Karpfen!«

»Was ist dir denn da für ein Fisch ins Netz gegangen, Wache. Karpfen? Was soll das denn für ein Name sein?«

»Fischer. Fischername. Meine Eltern sind Fischer.«

»Fischer? Und du heißt dann wohl Forelle oder Schwarzhai?« Verwalterin Urd hatte ihre Aufmerksamkeit nun Kyra zugewandt. Das Mädchen nickte zustimmend.

»Aha. Also? Wie ist nun dein Name?«

»Hering, Frau Verwalterin. Ich heiße Hering.«

Kurzes Schweigen.

Dann lachten die drei Verwalterinnen los. Eine Mischung aus Metall, das man gegeneinander reibt, nassem Husten und näselndem Röcheln.

»Hering. Hering und Karpfen. Das ist ja mal ein Fang.« Verwalterin Urd nahm nun einen Federkiel, tränkte ihn in ein kleines Tintenfass und verzeichnete die Ankunft der Neuen in ihrem Buch.

»Also, ist registriert. Die Fischerkinder Hering und Karpfen sind nun im Inventar der Obersten Verwaltung aufgenommen. Sie sind dir, Verdandi.«

Die mittlere Beamtin ähnelte ihrer Kollegin wie ein Ei dem anderen. Wären nicht Namensschildchen an ihren Blusen, hätte man sie nicht auseinanderhalten können. »Wo stecken wir euch hin? Den Jungen zu den Beschlagnahmungen! Aber das Mädchen zu den Opfergaben!«

Kard und Kyra sahen sich an. Automatisch hatten sich ihre Hände gefunden. Mißbilligend sah Verwalterin Verdandi die jungen Menschen an.

»Jetzt ist Schluß mit lustig. Was seid ihr? Geschwister oder Liebespaar?«

Liebespaar? Wer? Kyra und ich?

Die Vorstellung eines Liebespaares schien wohl sehr lustig zu sein, denn das unmelodiöse Gelächter ging schon wieder los. Selbst die Wache, die hinter ihnen stand, ließ sich anstecken und prustete los.

Wieder würde eine Feder gezückt und der Verbleib der Neuankömmlinge registriert.

»Übergebe an Verwalterin Skuld.«

Die dritte Verwalterin schaute ohne den Kopf zu heben in ihr Buch und blätterte die Seiten immer wieder hin und her, als ob sie etwas suchen würde, aber nicht fündig wurde. »Was machen wir mit euch? Was machen wir mit euch? Das Heringsmädchen, das ist klar. Aber der Junge. Karpfen? Küchenhilfe oder zu den Ichtos? Werden wir sehen, werden wir sehen.« Auch sie kritzelte etwas in ihr Buch und nickte der Wache dann kurz zu. Der Uniformierte stieß die Kinder daraufhin in den Rücken und schob sie von den Verwalterinnen fort, die nun wieder wie Puppen dasaßen und still die Lippen bewegten.

»Dachte ich mir schon, dass das so läuft.« Die Wache hinter ihnen trat einen Schritt näher und sprach mit gesenkter Stimme. »Die halten sich ja für so schlau, diese drei Strippenzieherinnen da vorne. Aber das war doch abzusehen. Immer wenn die Oberste Goiba-Priesterin mal in die Stadt kommt, werden ganz verzweifelt Jungfrauen gesucht. Du bist doch hoffentlich Jungfrau, oder?«

Kyra drehte sich zu dem Uniformierten um und nickte zustimmend.

»Sehr gut. Nur noch zweimal links und schon sind wir da.«

In diesem Moment schnellte unter dem Mädchen, das die Wache dabei unterwürfig anlächelte, ein Bein hervor und traf den Mann genau im Schritt. Dem wich die Luft aus den Lungen, er ging in die Knie, hielt sich die Hände dabei an die schmerzende Stelle und schaute das nette Mädchen überrascht an. In diesem Moment krachte auch schon die Faust von Kard in seinen Nacken. Der Mann kam ins Straucheln und fühlte sogleich einen Fußtritt in seinem Hintern. Bevor er realisieren konnte, was da genau los war, saß der Mann neben einem Eimer und einem Wischmopp in einer winzigen Kammer. Und bekam nochmal gehörig eins auf den Schädel gedonnert. Bevor er ohnmächtig wurde, hörte er noch, wie der Riegel der kleinen Kammer von Außen vorgeschoben wurde.

Kard nickte Kyra anerkennend zu. Dafür, dass die Aktion eben nicht abgesprochen war, hatte die Zusammenarbeit zwischen ihnen wirklich gut funktioniert. Fast, als ob wir gegenseitig unsere Gedanken lesen können.

»Noch einmal links, dann müssten wir da sein.« Kyra deutete auf den fensterlosen Gang vor ihnen. Die Wände bestanden aus großen, dunklen Steinquadern, in eisernen Halterungen steckten Fackeln, deren Flammen still vor sich hin loderten. Am Ende konnte man einen Quergang erkennen. In diesem Moment öffnete sich eine Tür hinter ihnen.

Kard und Kyra erstarrten. Langsam drehten sie sich um und sahen den Rücken eines Torak-Beamten. Die riesige Gestalt füllte fast die gesamte Breite des Gangs aus. Falls sie von ihm hier entdeckt werden würden, wäre dieses massige Wesen sicherlich nicht mit einem gezielten Tritt zwischen die Beine zu Fall zu bringen.

Kard und Kyra stellten das Atmen ein. Sie wurden eins mit ihrer Umgebung. Wie ein Chamelit. Das wünschte sich Kard auf jeden Fall in diesem Moment. Tatsächlich waren sie aber zwei Kinder im Labyrinth der Gänge der Obersten Verwaltung, die hier nicht hin gehörten.

Der Torak drehte sich zum Glück nicht um und setzte seinen Weg Richtung Ausgang fort. Auf Zehenspitzen und dabei flach atmend gingen Kard und Kyra weiter.

Die Tür zu dem Raum für die Opfergaben war verschlossen. Aber Kyra wäre nicht Kyra, wenn das ein Problem für sie gewesen wäre. Ein Griff in die Tasche ihrer Hose und schon hatte sie einen Draht in der Hand. Wahrscheinlich hat sie dort auch eine Armbrust versteckt. Zutrauen würde ich es ihr.

Vollkommene Dunkelheit empfing sie, als sich die Tür leise öffnete. Die Kinder schlüpften hinein, Kyra schloss die Tür sanft. Kard ließ vorsichtig eine Flamme in seiner Handfläche entstehen.

Überall Käfige. Natürlich, dachte Kard. Opfergaben für Goiba. Das bedeutete, Leben hinzugeben. Katzen. Hunde. Meerschweinchen.

Oder Menschen. Vorzugsweise Jungfrauen.

Im zuckenden, schwachen Licht der Flamme begannen sich die Schatten hinter den Gitterstäben zu bewegen. Im hinteren Teil des Raumes wurden Metallstäbe größerer Verschläge sichtbar. Auch dort regte sich etwas.

»Kyra?« Es war die Stimme von Kendra.

»Kendra?« Kyras Stimme zitterte leicht. Mit wenigen Schritten eilte sie durch das Dunkle. Kard folgte ihr. In einem kleinen Verschlag hatte man mehrere Kinder zusammengepfercht, die Kard und Kyra nun mit aufgerissenen und müden Augen ansahen.

»Das ist meine große Schwester. Habe ich euch doch gesagt, dass sie uns befreien wird.«

Kyra versuchte Kendra durch die Gitterstäbe hindurch zu umarmen. Tränen liefen ihr über die Wangen und ihr ganzer Körper schien an Spannkraft verloren zu haben, wie eine Fischblase, aus der man die Luft abgelassen hatte. »Erinnerst du dich noch an Kard?«

Kendra nickte stumm und starrte auf die Flamme, die über Kards Handfläche schwebte. »Der kann ja nicht nur bauchreden«, stammelte sie erstaunt.

Kard war inzwischen an die Tür des Gefängnisses getreten. Das Schloss war massiv und sah kompliziert aus. Kyra hatte schon die Drähte in der Hand und kniete sich nun davor. Die Kinder innerhalb des Käfigs drängten sich dicht an die Gitterstäbe.

»Haben wir auch schon probiert.« Wie um diese Worte zu unterstreichen streckten sich gleich mehrere Kinderfäuste vor, die einen Draht umklammert hielten. Kard zählte sieben Kinder, alles Mädchen, genauso zerlumpt und dreckig wie Kendra. Die Wachen waren ja richtiggehend auf Beutezug gewesen.

Kard hörte Kyra leise fluchen. Sie fummelte mit ihren Drähten im Schloss herum, ohne es öffnen zu können. Inzwischen waren die Tiere in den Käfigen unruhig geworden. Im lichtlosen Raum hatten sie alle still verharrt, jetzt begannen sie zu schnattern, gackern und zu bellen. Kard eilte zu ihnen und legte beschwichtigend einen Finger auf die Lippen, aber die Tiere sahen ihn nur mit großen Augen an und wurden noch unruhiger. Kard spürte, wie eine gewisse Nervosität ihn in den Nacken schlich. Wir müssen uns hier echt beeilen. Dieser Lärm würde sicherlich bald die Aufmerksamkeit der Wachen erregen.

»Lass mich mal.« Kard war zurück zu Kyra geeilt, die schimpfend am Boden saß und hektisch versuchte, das Schloss zu öffnen. Das Mädchen ging zur Seite, sodass sich Kard direkt vor die Tür stellen konnte. Er ließ eine winzige Feuerkugel entstehen, die er in das Metall schickte. Dann konzentrierte er sich. Immer wenn er wütend oder aufgeregt war, wie gerade in diesem Moment, in dem sie jederzeit von den Wachen entdeckt werden konnten, hatte er eine besonders gute Verbindung zu seinem Freund, dem Feuer. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Metall anfing zu schmelzen.

Mit einem kräftigen Tritt erledigte Kendra von Innen den Rest. Die Tür sprang auf und die Kinder folgten, als sei ein Damm gebrochen. Kendra warf sich Kyra in die Arme und auch Kard spürte verwirrt, wie ihn die Arme unbekannter Kinder umarmten. Aber gleichzeitig wollten wohl auch die Opfertiere befreit werden, die nun hemmungslos jaulten, jammerten und heulende Laute von sich gaben.

»Beeilung!« Kyra versuchte den aufgeregten Haufen zur Tür zu lenken, damit sie so schnell wie möglich den Raum verlassen konnten. Aber es war schon zu spät. Die tierische Geräuschkulisse war nicht unbemerkt geblieben. Kard hörte, wie sich draußen auf dem Gang Schritte näherten.

In der geöffneten Tür zeichnete sich im Schein der Fackeln der riesige Umriss eines Toraks ab. Als ob die Kinder noch nie so ein Wesen gesehen hätten, begannen sie alle durcheinander zu kreischen. Dazu noch das infernalische Gefiepe, Jaulen und Miauen aus den Tierkäfigen, Kard hätte sich am liebsten die Hände auf die Ohren gehalten. Die Wache hatte eine Keule in der Hand und zu allem Überfluss bekam sie auch noch Verstärkung, denn die Schritte einer weiteren Torak-Wache hallten dumpf durch den Gang.

Die Kinder waren automatisch zurückgewichen, der riesige Schatten stand nun mitten im Türrahmen und blockierte den Fluchtweg. Ich muss ihn aus dem Weg räumen. Der Uniformierte rief zwar irgendetwas, aber Kard hörte nicht zu. Er spürte, wie das Feuer in ihm brodelte, Feuerkugeln begannen sich über seinen Handflächen zu formen. Er wusste, dass in diesem engen Raum der Abschuss von Feuerkugeln äußerst gefährlich war. Sie würden von Wand zu Wand springen und könnten auch die Kinder verletzen. Aber in seiner Mischung aus Wut und Angst hatte er das Feuer nicht mehr unter Kontrolle.

Inzwischen hatte sich die zweite Wache hinter ihren Kollegen gestellt. Sie hatte die Keule bereits in der Hand. Das Kreischen der Kinder verdoppelte sich noch einmal, als die riesige Gestalt die Keule in die Luft hob. Die erste Wache drehte sich erstaunt um und sah den in der Luft kreisenden Knüppel. Der ihm in diesem Moment auf den Schädel donnerte.

Mit einem Schlag verstummten die Schreie der Kinder. Selbst die Tiere hatten vor Schreck ihre Stimmen verloren.

»Wenn ihr mir bitte folgen wollt.«

»Glast!« Die Erleichterung in Kyras Stimme war unüberhörbar. Sie warf sich an das Bein des Toraks und drückte es heftig.

»Ich bin bestimmt der erste Torak, der Kinder aus dem Gefängnis der Obersten Verwaltung befreit, oder Kard?«

»Ganz bestimmt, Glast. Jetzt müssen wir es nur noch hier raus schaffen.«

»Und wir sollten uns beeilen.« Kendra deutete auf den Körper der Wache. Der Mann begann sich bereits wieder zu regen. Und als ob dies ein geheimes Zeichen sei, starteten auch die Tiere die nächste Runde ihres infernalischen Konzerts.

Glast und Kard griffen jeweils ein Bein des Uniformierten und zogen den Mann, der leise stöhnte, in den Raum. Jetzt konnten sie von Außen die Tür schließen, sodass der Widerhall des tierischen Orchesters nicht mehr ganz so laut in den Gängen des Gebäudekomplexes zu hören war.

Kyra lief voraus. Noch blieben die Türen der anderen Büros geschlossen. Jederzeit konnte ein Riegel zurückgeschoben werden und eine neugierige Gestalt erscheinen. Aber vorerst blieb alles ruhig.

Kyra ging auf Zehenspitzen, gefolgt von einer Schar zerlumpter Kinder, die sich untereinander an den Händen hielt. Kard und Glast bildeten die Nachhut. Aus Angst entdeckt zu werden, wagten sie kaum zu atmen. Selbst das Geräusch der Flammen der Fackeln, die den Gang in zuckendes Licht tauchten, schien Kard verräterisch.

Die eigentliche Frage war nun, wie sie mit all diesen Kindern an den Wachen am Eingang vorbeikommen würden.

»Glast, was hast du den Wachen vorne gesagt, als du zurückgekommen bist?«

»Dass ich noch das Formular ausfüllen muss.«

»Was für ein Formular?«

»Onkel Gsappa sagt, dass die hier drinnen den ganzen Tag Formulare ausfüllen. Papierkram, sagt er.«

»Papierkram? Gute Idee. Aber was sagen wir jetzt?«

»Goiba für immer.«

»Stimmt, das ist ihre Sprache, Glast. Es ist immer gut, wenn man den Goiba-Gruss sagt. Aber sie werden trotzdem wissen wollen, wieso wir mit den Kindern hier einfach hinausmarschieren wollen.«

»Goiba für immer.« Glast betonte jedes einzelne Wort, als wolle er damit unterstreichen, wie wichtig dieser Satz sei. Und er hatte recht.

»Natürlich, Glast, es sind ja Opferkinder! Und wo bringt die brave Wache Glast die Kinder nun hin? Direkt zu Goiba! Direkt in den Tempel!«

»Sage ich doch.«

Kard klopfte seinem Freund anerkennend auf den Rücken. Jetzt mussten die Wachen am Tor ihnen diese Geschichte nur noch abkaufen.

Inzwischen hatten sie die Eingangshalle erreicht. Die drei alten Frauen saßen leblos über ihre Bücher gebeugt. Den Kopf gesenkt, die Hände auf den Tisch gelegt, wirkten sie mehr wie Statuen als wie lebende Wesen. Nur das langsame und kaum wahrnehmbare Heben und Senken ihrer Brustkörbe verriet, dass sie keine Möbelstücke waren. Was nun?

Kyra hatte die Frauen ebenfalls beobachtet. Sie gab den anderen ein Zeichen, in dem Gang zurückzubleiben und schlich selbst langsam in die Halle. Vorsichtig und vollkommen lautlos näherte sie sich dem Tisch. Dort verharrte sie eine Weile, dann drehte sie sich zu den anderen um, legte einen Finger auf die Lippen, um ihnen nochmals zu sagen, dass sie leise sein sollten. Dann neigte sie ihren Kopf, legte ihn auf ihre zusammengefalteten Hände und bedeutete ihnen so, dass die Frauen schliefen. Kard, Glast und die Kinder verstanden. Sie erstarrten, pressten die Lippen zusammen, hielten den Atem an.

Kyra schlich zu den Stricken, die sich hinter dem Tisch angehäuft hatten. Vorsichtig griff sie in den Haufen. Kurz darauf stand sie wieder vor ihnen und zeigte ihre überkreuzten Handgelenke. Dabei zeigte sie auf die Kinder und zum Schluss auf Glast. Langsam verstand Kard und auch die Kinder nickten zustimmend. Gehorsam legten sie die Hände auf den Rücken und ließen sich von ihrer Befreierin fesseln. Am Ende stand ein zusammengebundener Haufen gefangener Kinder vor dem uniformierten Torak Glast. So schlichen sie an den drei alten, schlafenden Frauen vorbei, öffneten das Tor und gingen nach draußen. Das helle Licht blendete sie und automatisch sahen alle zu Boden. Die Wächter draußen am Tor sahen den Tross, der sich mucksmäuschenstill aus dem Gebäude der Obersten Verwaltung schälte, erstaunt an. Diese Verwunderung hielt zum Glück so lange an, dass Kard noch leise das Tor hinter sich schließen konnte. Erst dann erklang der laute Ruf des Uniformierten.

»Halt. Wohin des Wegs?«

Glast, bei dem man den Eindruck hatte, ihm mache es Spaß, eine Wache zu mimen, antwortete mit militärischem Ernst. »Opferkindtransport zum Tempel der großen Goiba.«

Die beiden Wachen sahen sich erstaunt an.

»Goiba für immer.«

Sofort nahmen die Männer Haltung an und wiederholten die Parole der Obersten Göttin des Reiches. »Goiba für immer.«

Brav intonierten nun auch die Kinder das Leitwort. »Goiba für immer.«

Unentschlossen, ob damit schon alles gesagt war, stellten sich die Wachen dem Tross in den Weg. »Formulare!«

Glast erwiderte ohne Blinzeln den Blick.

»Kollegen. Ich bin eine Wache Makrals, wie ihr ja vorhin selbst festgestellt habt. Genau genommen bin ich die erste Wache Makrals. Beauftragt, diese Kinder in den Tempel Goibas zu bringen. Und zwar sofort.«

Was war denn mit Glast los? So kannte Kard den Torak ja gar nicht. Aber der ehemalige Brillenhersteller hatte hier offensichtlich voll den Durchblick. Denn die Nennung des Namens ihres Vorgesetzten hatte sofortige Wirkung gezeigt. Die Uniformierten waren umgehend einen Schritt zurückgetreten.

»Goiba für immer.« Die Worte Glasts klatschten seinen vermeintlichen Kollegen wie Ohrfeigen ins Gesicht.

Makral und Goiba, angesichts dieser Autoritäten wurden Formulare zu Banalitäten. Die Männer traten zur Seite und die Wache Glast führe den schweigenden Tross der Opferkinder hinaus auf die Straße. Erst wollte Glast dann nach rechts gehen, aber Kyra flüsterte ihm etwas zu, sodass die Kinder nun den rechten Weg nahmen. Direkt zum Blutaltar der Göttin.

Wenigstens bis sie um die nächste Ecke gebogen und damit aus dem Sichtfeld der Torwachen waren. Dann begannen sie zu rennen. Was nicht so leicht war, schließlich waren sie noch alle zusammengebunden. Erst als sie weit genug entfernt waren, wagten sie sich in eine enge Gasse, in der Glast ihnen die Fesseln abnahm.

Was gibt es schöneres als leuchtende Kinderaugen?

Alle drängten sich um den großen Torak, aber auch um das Mädchen und den Jungen mit den Feuerhänden. Kendra hatte wieder angefangen zu weinen und Kyra strich ihr beruhigend über den Kopf.

»Jetzt ist es vorbei, Kendra. Du bist in Sicherheit.«

»Ich bin beinahe gestorben, als wir an den drei alten Schachteln vorbeigeschlichen sind.«

»Da hat das Schicksal wohl nochmal ein Auge zugedrückt, was?«

»Genau. Wahrscheinlich bin ich der erste Torak, dem so etwas geglückt ist.«

»Du bist auf jeden Fall der mutigste Torak, den ich kenne, Glast.«

»Ach, danke, Kyra. Aber du bist auch nicht ohne.«

»Und der Mann mit dem Feuer hat uns alle befreit, als er das Schloss aufgemacht hat.«

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