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Kapitel 4

Die Fahrt zurück verlief ruhig. Sehr ruhig. Anna hatte nicht viel zu erzählen und mir war nicht zum Reden zumute. Während sie sich eine Zigarette anzündete, trieben meine Gedanken zurück zu den Tagen, als ich gerade mal achtzehn Jahre alt gewesen war.

Ich war in meinem vierten Jahr an der Highschool gewesen und hatte für meinen Vater, nachdem ich benannt worden war, in dessen Autowerkstatt gearbeitet. Er war ein starker, herrischer Bulle von einem Mann gewesen, der zu Wutausbrüchen neigte und Meinungsverschiedenheiten gern mit dem Handrücken klärte, oder auch mit seinen Fäusten, besonders dann, wenn er schon einen getankt hatte.

Als jüngerer Mann war er Boxer gewesen, und das ließ er einen auch niemals vergessen. Oft zwang er mich, mit ihm in den Ring zu steigen, verzichtete aber auf moderne Boxhandschuhe und bestand stattdessen auf seine alten Ledergriffel, die – wie Sie sich vorstellen können – kaum etwas von seinen Schlägen abschwächten. Nicht selten trug ich eine Platzwunde oder ein geschwollenes Gesicht davon. Er war auch derjenige, der mir meine erste gebrochene Nase beschert hatte. Ich hatte das alles stillschweigend ertragen und hatte versucht, das Beste daraus zu machen. Schließlich hatte ich ja nirgendwohin gekonnt. Wenigstens bezahlte er mich.

Kurz nach dem Beginn meines vierten Highschool-Jahres fand ich einen alten, verlassenen Buick Wildcat im Dickicht hinter einem Farmhaus. Die Besitzerin, eine alte Witwe, verkaufte ihn mir für zwanzig Dollar, unter der Bedingung, dass ich ihn selbst abschleppte. Ich versprach es ihr und benutzte Paps Abschleppwagen, um ihn nach Hause zu bringen. Wenn die Werkstatt geschlossen war, verbrachte ich Stunden damit, ihn Stück für Stück zu restaurieren, und nicht selten gingen meine mageren Gehaltschecks für die Ersatzteile drauf.

Es geschah eine Woche vor dem Abschlussball. Ich war mit dem schönsten Mädchen der Schule verabredet, Lana Hudson, und unglaublich in sie verknallt. Der Plan war es, alle damit zu überraschen, dass ich sie mit meinem vollständig restaurierten Wahnsinns-Wildcat abholte. Ich musste nur noch ein paar kleinere Arbeiten an der Karosse vornehmen und ein paar Lagen Farbe darüber pinseln. Noch war er grau von der Grundierung, aber ich hatte vor, ihn in einem wunderschönen Knallrot zu lackieren. An einem Freitagnachmittag kam ich in die Werkstatt, um ihn über das Wochenende fertigzustellen, aber er stand nicht an seinem üblichen Fleck.

Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Vater fragte: »Hey Paps, wo ist mein Auto?«

»Was meinst du mit dein Auto?«, antwortete er schroff. »Dir gehört hier kein Scheißauto.«

Einen Moment lang ignorierte er mich, aber nachdem ich nicht aufhörte, ihn anzustarren, fuhr er fort: »Aber falls du die Schrottkiste von einem Buick meinst, die hier den Platz weggenommen hat – die habe ich verkauft, um ein paar Rechnungen bezahlen zu können.« Zuerst dachte ich, er würde sich einen Spaß erlauben, auch wenn mein Vater eigentlich niemals Witze machte. Nachdem meine Mutter davongelaufen war, als ich zehn war, hatte er sich in einen noch übellaunigeren Zeitgenossen verwandelt.

Das Gute an einem Vater, dessen Temperament stets am seidenen Faden hing, war, dass ich lernte, auf Eierschalen zu laufen und meine Worte sorgfältig zu wählen … niemals impulsiv oder unüberlegt zu reden. Ich wurde wirklich gut darin. Damals war ich es jedoch noch nicht.

»Du verdammter Mistkerl!«, schoss es aus mir heraus, bevor ich mich versah. Zuerst schien er geschockt zu sein, doch dann verwandelte sich sein Blick schnell in bösartige Wut. Er kam auf mich zu und verpasste mir einen Schlag mit dem Rücken seiner großen, fleischigen Hand. War nicht das erste Mal. Ich hatte mich nie gewehrt … bis zu jenem Tag.

Adrenalin schoss durch meinen Körper, als ich es ihm mit einem wilden linken Haken heimzahlte. Der Schlag holte ihn von den Füßen und ließ ihn hart auf den Rücken knallen. Für einen Moment hielt er sich fassungslos den Mund und funkelte mich an, als wollte er mich umbringen. Ich starrte zurück. Ich hatte zwar eine Scheißangst, aber zugleich flossen all die angestauten Emotionen wie geschmolzenes Metall durch meine Venen. Das war es. Alles oder nichts. Dieses Mal würde ich zurückschlagen.

»Wenn es das ist, was du willst, Junge!« Unter Mühen rappelte er sich langsam auf, doch dann ging er urplötzlich geduckt auf mich los. Für einen großen Mann war er wirklich schnell, aber ich war vorbereitet. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er die gleiche Taktik nämlich in einer Kneipenschlägerei angewandt. Ich wehrte seinen Versuch, mich von den Beinen zu holen, ab, tänzelte stattdessen um ihn herum und holte zu einem weiteren Schlag aus, den er abwehrte und mit ein paar eigenen Schlägen beantwortete.

Unser Kampf in der schmutzigen Werkstattgarage war lang und hart. Er drosch wie mit Vorschlaghämmern zu und seine Schläge taten verdammt weh, aber ich gab jeden Treffer zurück, so gut ich konnte, und außerdem konnte ich mit meiner Jugend punkten. Er hingegen hatte die besten Jahre längst hinter sich. Jetzt rächten sich seine unzähligen Zigaretten und seine Sauferei und nach wenigen Minuten ging ihm die Puste aus.

Ich sprang weiter um ihn herum, hielt Abstand, so wie er es mir selbst beigebracht hatte, und deckte ihn mit Schlägen und Kombinationen ein, wenn er versuchte, auf mich loszugehen. Meine Fäuste trafen immer wieder und setzten ihm langsam zu.

»Ich werde dich umbringen, Junge«, knurrte er, als er zu einem Schwinger ansetzte. Er versuchte, bedrohlich zu klingen, doch stattdessen japste er nach Luft.

»Einen Scheiß wirst du«, gab ich wütend zurück. Das war das zweite Mal in ebenso vielen Minuten, dass ich ihn beschimpfte, und das ließ mich unwillkürlich lächeln. Er versuchte einen weiteren Schwinger, ich duckte mich darunter hinweg und erwiderte seine Attacke mit einem Schlag in seine Achselhöhle. Er grunzte vor Schmerz und ließ die Rechte fallen. Diese Chance ließ ich mir nicht entgehen und landete einen ganzen Hagel von Schlägen.

Sein Kinn war hart wie Stein. Jeder einzelne Schlag sandte Schockwellen durch meine Hände und meine Arme, aber ich hörte nicht auf. Ich genoss die eigenen Schmerzen und die, die ich ihm zufügte, denn jeder Schlag war angetrieben von den Jahren der Wut und der Anfeindungen.

Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt war meine Nase erneut gebrochen, aber ich hatte endlich meinen Rhythmus gefunden und mein Atem ging gleichmäßig. Paps hingegen blutete und eines seiner Augen schwoll zu. Er beschimpfte nun mich und meine Mutter. Das machte mich nur noch wütender und entschlossener. Ich hieb weiter auf ihn ein, härter und schneller … rief mir seine Lektionen in Erinnerung und blieb in Bewegung. Er versuchte mehr als einmal, mich umzureißen, aber dafür war er mittlerweile zu schwach. Ich hielt ihn mir vom Leib, schlug ihm abwechselnd in die Rippen oder in den Magen und ließ ihn spüren, wer nun der Boss war.

Die Wut in seinen Augen wich langsam der Angst. Er hatte seit Jahren keinen Kampf mehr verloren, aber diesen würde er verlieren, und das wusste er. Er sah die unbändige Wut in meinen Augen und wusste es instinktiv. Er spürte, dass ihn seine Jahre als Peiniger an diesem schicksalhaften Abend nun um ein Vielfaches einholen würden.

In seiner Verzweiflung griff er schließlich nach einem Kugelhammer und schwang ihn gegen meinen Kopf. Ich fing ihn ab, und für einen Moment rangen wir um das Werkzeug. Sein Atem war nur noch ein verzweifeltes Keuchen. Er war fertig. Unsere Blicke trafen sich.

»Jetzt bringe ich dich um«, knurrte ich, drehte die Hüfte und warf ihn auf den Boden. Ich schmiss den Hammer davon, sprang auf ihn und begann, ihn gnadenlos mit Schlägen einzudecken. Wahrscheinlich hätte ich ihn tatsächlich totgeschlagen, wenn ich nicht plötzlich gepackt und zurückgezogen worden wäre. Es war mein Onkel Mike, ein Sergeant beim örtlichen Polizeirevier.

»Was ist denn hier los?«, fragte er besorgt.

Ich zeigte mit einem blutigen Zeigefinger auf meinen Vater hinunter, der nun jämmerlich und kaum noch bei Bewusstsein auf dem verdreckten Boden lag. Sein Gesicht war so geschwollen und blutig, dass man ihn kaum noch erkennen konnte.

»Er hat mich das letzte Mal geschlagen«, spie ich aus. »Er hat mich zum letzten Mal wie ein Stück Dreck behandelt.« Meine Hände zitterten, und ich merkte, dass ich weinte.

Ich riss mich von Onkel Mike los und stürmte aus der Werkstatt. Er wäre mir bestimmt nachgelaufen, aber sein kleiner Bruder, mein Vater, brauchte dringend medizinische Versorgung.

Am nächsten Morgen fand mich der Sergeant der Rekrutierungsstelle für die Armee zusammengerollt und schlafend vor seinem Büro. Mein Gesicht und meine Fäuste waren blutig geschlagen und geschwollen, und alles, was ich noch besaß, stand in einer Einkaufstüte aus Papier gestopft neben mir. Er grinste wissend – offenbar war ich nicht die erste geschundene Seele, die er vor seiner Tür gefunden hatte. Beim Frühstück fragte er mich aus. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass ich einen geeigneten Kandidaten für die glorreiche United States Army abgeben würde, nahm er mich mit zu sich nach Hause. Während die Formalitäten geklärt wurden, teilte ich mir das Zimmer mit seinem jüngsten Sohn. Eine Woche später war ich bereits in Fort Benning, Georgia, bekam den Schädel rasiert und lernte die hohe Kunst, zur Schnecke gemacht zu werden.

Anna riss mich aus meinem Tagtraum. »Sie haben kaum ein Wort gesagt, seit wir losgefahren sind.«

Ich warf ihr einen Blick zu, und dabei bemerkte ich, dass wir bereits wieder bei Mick’s Place angekommen waren. Ich hielt neben ihrem Wagen an und sah durch das Schaufenster. Kim stand hinter dem Tresen und goss gerade einem Kunden ein Bier ein, Mick hielt auf dem Sofa ein Nickerchen. Ich räusperte mich.

»Ja, tut mir leid. Ich hätte Sie nicht einladen sollen. Wir kennen uns schließlich kaum, und ich bin mir sicher, dass Sie niemals zu mir ins Auto gestiegen wären, wenn Sie vom Tod meiner Frau gewusst hätten.«

»Das ist schon okay«, antwortete sie. »Kam nur etwas überraschend. Dieses Auto, hat Erinnerungen zurückgebracht, oder?«

»Ja«, gestand ich leise.

Sie sah mich an. »Eine Sache verstehe ich aber nicht. Wieso verdächtigt man Sie, sie umgebracht zu haben? Ihre Frau, meine ich. Wieso glaubt man, dass Sie der Mörder Ihrer Frau gewesen sind?«

Zuerst wollte ich ihr nicht antworten, doch dann beugte ich mich zu ihr hinüber. Uns trennten nur noch wenige Zentimeter, und wenn sie unsere plötzliche Nähe zueinander nervös machte, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Wir sahen einander für einen Moment tief in die Augen und dann holte ich eine Zigarre aus meinem Handschuhfach. Ich lehnte mich zurück, knipste das Ende ab, und antwortete ihr, bevor ich sie anzündete.

»Die Ermittlungen in einer Todesursache beginnen immer mit der Grundannahme, dass jeder Tod ein potenzieller Mord sein könnte. Die Detectives, die auf den Fall angesetzt wurden, waren Freunde von mir. Man könnte sagen, dass sie deshalb die Standardvorgehensweise ignorierten und den Fall stattdessen ohne Tatverdacht abwickelten. Sie befragten Nachbarn, die bestätigen konnten, dass sie mich aus dem Haus hatten gehen sehen und nur einen einzigen Schuss etwa eine halbe Stunde später gehört hatten. Sie testeten mich auf Schmauchspuren, was negativ war. Das Gleiche bei ihr, dort waren sie natürlich positiv.

Der Fall war ziemlich klar, doch dann ging etwa einen Monat später plötzlich bei der Crime Stoppers Hotline ein anonymer Anruf von einer Person ein, die behauptete, ich hätte meine Frau umgebracht. Der Fall wurde daraufhin wieder aufgerollt und sie fanden heraus, dass mein Alibi nicht wasserdicht war.«

»Moment mal, was?«, rief sie.

»Mein Alibi. Es war frei erfunden, ausgedacht, gelogen«, sagte ich. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie mir dabei zu, wie ich mir meine Zigarre anzündete. Als das Ende schließlich rötlich glühte, drehte ich mich zu ihr um.

»Jetzt werden Sie mich fragen, warum ich das getan habe. Der Tod meiner Frau war ein Selbstmord, kein Mord, wieso hätte ich also wegen meines Alibis lügen sollen? Geben Sie sich keine Mühe, denn ich werde Ihnen keine Antwort darauf geben.«

»Okay«, sagte sie leise.

»Nachdem sich das Alibi als getürkt herausgestellt hatte, war ich natürlich geliefert. Sie nahmen mir meine Dienstmarke und meine Waffe ab und dann wurde ich an einen Schreibtischjob zwangsversetzt. Außerdem musste ich einen Lügendetektortest über mich ergehen lassen, während man parallel meine gesamte Laufbahn auseinandernahm. Egal, wie die Sache am Ende ausgehen würde – meine Karriere war damit im Grunde bereits am Ende. Mir wurde deshalb klar, dass ich eine Entscheidung fällen musste, und ich entschloss mich dazu, den Dienst zu quittieren.«

Ich hatte die Geschichte in den letzten zwei Jahren schon ein paar Mal erzählt und fragte mich, wieso ich sie eigentlich ständig wiederholte. So langsam wurde es langweilig. Entweder glaubte man mir oder man ging davon aus, dass ich ein Mörder war. Mich interessierte das alles nicht mehr.

»Ich denke, ich werde noch in einem Schnapsladen vorbeischauen, bevor die dichtmachen. Würden Sie mir einen Gefallen tun und diesem Duke ausrichten, dass er mich einfach anrufen soll, wenn er mit mir reden will?«

Anna nickte. »Klar. Ich denke, es wäre am besten, wenn sie beide sich einfach mal aussprechen. Er ist eigentlich ganz vernünftig.« Anna stieg aus dem Wagen und schloss die Tür, dann blieb sie noch einen Moment lang stehen. »Werden Sie Rhoda helfen?«, fragte sie.

»Ich werde mir den Fall mal genauer ansehen«, antwortete ich, »aber ich habe keine Ahnung, ob ich ihr helfen kann, ihn zu einem Abschluss zu bringen.«

»Sie ist eine sehr traurige alte Lady, und Sie sind ein sehr trauriger Mann.« Sie lief davon, bevor ich etwas darauf erwidern konnte.

Ich sah zu, wie sie in ihr Auto stieg und davonfuhr, dann kramte ich mein Telefon hervor. Ich wählte die Sprachsteuerung und sagte den Namen Ronald. Nachdem es ein paar Mal geklingelt hatte, nahm er ab.

»Was gibt es denn?«, meldete er sich.

»Ich habe zwei Namen für dich: Lester Gwinnette und Duke Holland. Lester arbeitete als Fahrer für Robard Trucking, bevor er sich umbrachte. Duke ist ein Rocker und ihm gehört ein Stripklub im Erwachsenenviertel. Er heißt Red Lynx, die Geschäftslizenz läuft aber vermutlich über einen anderen Namen.« Ich hörte, wie er im Hintergrund ein paar Sekunden lang auf der Tastatur herumtippte, dann sagte Ronald: »Es gibt von beiden eine Polizeiakte. So wie es aussieht, wurde Lester in den Achtzigern einmal wegen bewaffnetem Raubüberfall verhaftet, aber das scheint alles zu sein. Duke hingegen saß schon wegen einer ganzen Reihe von Delikten. Mal sehen … Waffen, Drogen, Körperverletzung. Bis vor einem Jahr war er auf Bewährung draußen. Seitdem nichts mehr.«

Ich grunzte. Ronald war auf seine Weise ein echtes Genie, aber leider vollkommen unfähig darin, Menschen zu verstehen. Vielleicht, weil er die meiste Zeit seines Lebens im Keller seiner Eltern verbracht hatte, wo ihm nur seine Computer Gesellschaft geleistet hatten.

»Nur weil man sie nicht eingebuchtet hat, heißt es noch lange nicht, dass sie keinen Dreck am Stecken haben. Stell mir bitte mal über jeden einen Bericht zusammen.«

»Wird gemacht. Du solltest sie morgen früh haben«, sagte Ronald. »Oh, übrigens: Ich habe einen Plan.«

»Ach wirklich?«

»Ja. Ich will eine Reihe von Optionsscheinen bei Russell 2000 erwerben. So etwa zehntausend von dir würden genügen. Innerhalb eines Monats sollten wir damit um die fünfzehn Prozent Gewinn gemacht haben.« Ronald war ein Computergenie und extrem introvertiert. Er liebte es, zwischen seinen Online-Spielen an der Börse zu spekulieren. Zehntausend war aber so ziemlich alles, was ich mir im Laufe der Jahre zusammengespart hatte.

»Ich weiß nicht, Ronald. Ich muss zum Monatsende noch Rechnungen bezahlen, und ich weiß noch nicht, wann ich für den Robard-Fall bezahlt werde.«

»Bis dahin habe ich das Geld doch wieder reingekriegt«, versprach er.

Ich zögerte, doch dann traf ich eine Entscheidung. »Meinetwegen, okay. Aber verliere nicht mein ganzes Geld.« Ronald kicherte und legte ohne eine Antwort auf.

Ich machte mich auf den Weg zum Schnapsladen.

Kapitel 5

Wenn auch schweigend, genossen Henry und ich unser Frühstück. Er hatte es vorgezogen, sich dieses Mal nicht um das Geschirr zu kümmern, sondern stattdessen nach draußen zu gehen und mir ein nettes Geschenk auf dem Rasen zu hinterlassen.

»Okay, dann mal los.« Es war an der Zeit, mit der Arbeit an dem Robard-Fall zu beginnen. Ich fuhr meinen Rechner hoch und öffnete die E-Mails von Ronald. Als ich sie ausdruckte, klingelte mein Telefon.

»Was machst du gerade?«, fragte mich Ronald, bevor ich überhaupt Hallo sagen konnte.

»Ich sehe mir Kleinwüchsigen-Pornos im Internet an.«

Ronald gluckste wie ein kleiner Junge. »Du siehst dir doch nie Pornos an.«

»Ich sitze an dem Robard-Fall. Was machst du?«

»Ich beobachte dich durch deine Überwachungskamera.« Ich sah zu der Kamera hinauf, die an der Decke befestigt war. Mein Sicherheitssystem war auf dem allerneuesten Stand. Ronald hatte mir geholfen, es zu installieren, und hatte es in dem Zusammenhang gleich so manipuliert, dass er auch darauf zugreifen konnte.

»Du bist echt pervers.«

»Das bin ich nicht«, antwortete er und kicherte wieder, was mich daran erinnerte, dass er auf vielerlei Art und Weise noch ein Kind war.

»Okay, genug herumspioniert. Wie ist es denn derzeit um deine Hacker-Fähigkeiten bestellt?«

Ronald schnaubte verächtlich. »So gut wie eh und je. Wieso?«

»Ich muss wissen, ob die Spieths bei einer dieser Banken ein Konto haben.« Ich gab ihm daraufhin die Namen der Banken durch, die ich mir gestern notiert hatte. Ronald schwieg. Ohne das Klappern der Tasten im Hintergrund hätte man denken können, er hätte bereits aufgelegt.

»Aha«, sagte er ein- oder zweimal, und hin und wieder schob er auch ein »Ah ja«, dazwischen, aber das war alles, woraus unser Gespräch für die nächsten fünfzehn Minuten bestand.

»Okay, ich bin fündig geworden.«

»Lass hören«, sagte ich und trank meinen Kaffee zu Ende.

»So wie es aussieht, haben sie in jeder der fünf Banken Konten eröffnet. Im Moment komme ich allerdings nur an die Kontonummern heran. Ich kann dir nicht sagen, wie viel auf welchem Konto liegt, zumindest noch nicht.«

»Wieso nicht?«, tadelte ich ihn.

»Weil jedes einzelne Konto passwortgeschützt ist. Ich kann dir jedes knacken, aber das dauert eben seine Zeit.«

»Nein, das ist nicht nötig. Die Kontonummern genügen mir erst mal.«

»Okay«, sagte er. »Dann geh mal auf Duck-DuckDuck-Duck war unser Codewort für eine Website im Darknet, die Ronald betreute. Keine Ahnung, weshalb wir das über eine Website im Darknet abwickeln mussten, anstatt über eine, die mein Anbieter mir bereitstellte, aber Ronald hatte bestimmt seine Gründe dafür, also spielte ich das Spiel eben mit, und sich in Bankkonten zu hacken war schließlich immer noch ein Verbrechen. Ich druckte mir die Informationen aus und benutzte dann die Shred-Funktion, um meine digitalen Spuren zu verwischen. Ronald tat bei sich gerade garantiert das Gleiche.

»Worum geht es da eigentlich?«, fragte mich Ronald.

»Es hat den Anschein, als würden sie Gelder verstecken, aber ich vermute, dass noch mehr dahintersteckt.«

»Und deshalb die ganzen Konten? Zweigen die was ab?«

»Ich glaube schon, aber wir sollten noch keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich muss mir das alles erst noch genauer ansehen.«

»Okay, cool.«

Ich wechselte nun das Thema. »Wie sieht es bei dir mit dem Essen aus?«, fragte ich.

»Oh, ganz okay.«

»Und mit den Medikamenten?« Mein Freund litt nämlich an gelegentlichen Panikattacken. Der Doktor hatte ihm deshalb etwas verschrieben. Ich versuchte immer noch, ihm diverse Selbsthilfegruppen schmackhaft zu machen, aber damit wollte er nichts zu tun haben.

»Die Valium gehen mir langsam aus«, antwortete er.

»Okay, dann lasse dir neue verschreiben und gib mir Bescheid, wenn sie da sind. Ich bringe sie dir dann vorbei.«

»Danke, Thomas.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, widmete ich mich den Bankauszügen, mit denen Sherman mich versorgt hatte. Diese dokumentierten den angeblichen Geldfluss der Firma: eingehende Zahlungen, ausgehende Zahlungen. Ich begann, indem ich Zeile für Zeile die Zahlungen verglich. Der Großteil des Geldes ließ sich leicht nachverfolgen. Benzinkosten, Wartungskosten und andere Mehraufwände waren absolut in Ordnung. Aber vor drei Jahren etwa fingen die ungewöhnlichen Kontobewegungen an. Interessanterweise zu dem gleichen Zeitpunkt, als die Firma ihre lokalen Konten aufgelöst hatte und zu einer obskuren Bank in Detroit gewechselt war.

»Wieso zum Henker haben sie das gemacht?«, fragte ich mich laut. Ich suchte die Bank im Internet, doch die Domain war nicht mehr vergeben. Aber ich fand eine Telefonnummer auf der Better-Business-Bureau-Website. Neugierig rief ich dort an, allerdings nicht, ohne vorher die spezielle App zu aktivieren, die Ronald mir installiert hatte und mit deren Hilfe ich es so drehen konnte, dass auf der anderen Seite die Telefonnummer von Robards angezeigt wurde.

Nachdem es unzählige Male geklingelt hatte, meldete sich schließlich ein schroff klingender Mann. »Bank.«

Tja, dachte ich, so meldet sich aber ganz sicher kein professioneller Bankangestellter am Telefon. »Äh, ja, ich müsste mit Tony sprechen.«

»Tony ist nicht hier. Wer spricht da?«

»Ski, unten bei Robards«, erwiderte ich und gab mir redliche Mühe, wie ein vierschrötiger Trucker zu klingen.

»Ski?«

»Ja.«

»Ich habe noch nie von Ihnen gehört.«

»Ist auch besser für dich, Kumpel. Sag Tony, dass ich wieder anrufen werde.« Ich legte auf und musste lachen. Bei diesen Gangstern aus dem Norden gibt es nämlich immer einen Tony oder einen Sal.

Ich notierte mir alles, und kaum, dass ich damit fertig war, hörte ich das unverkennbare kehlige Dröhnen von Motorrad-Auspuffen. Die Dreizimmer-Blockhütte, mein bescheidenes Domizil, lag ein gutes Stück abseits der Straße, und vor meiner Einfahrt hing deutlich sichtbar ein Schild, welches einen darüber informierte, dass Unbefugten der Zutritt verboten war.

Demnach fuhren also nicht einfach nur ein paar Motorräder zufällig auf der Straße vorbei. Ich bekam offenbar Besuch. Schnell überprüfte ich sicherheitshalber noch einmal meine Pistole, bevor ich sie mir in den Hosenbund steckte. Ich schnappte mir mein iPhone und rief die App meiner Sicherheitskamera auf. Zwei Motorräder kamen in dieser Sekunde die Einfahrt heraufgefahren. Ich ging hinaus, blieb auf der Veranda stehen und wartete. Es waren Duke und dieses Wiesel.

Sie hielten ihre Motorräder vor dem Fußweg an, der zu meinem Haus hinaufführte. Duke setzte lässig seinen Helm ab, der so aussah, als hätte er schon das eine oder andere Mal den Asphalt geküsst, hängte ihn an seinen Lenker und sah sich dann um, als würde er die Landschaft bewundern.

»Schöne Gegend. Schön abgelegen, aber leicht zu finden, wenn man Google bedienen kann«, sagte er und grinste über beide Ohren angesichts des kolossalen Sieges, den er über mich errungen hatte.

»Ja, ich mag es hier … bis auf die überheblichen Arschlöcher, die alle nasenlang unangemeldet auftauchen.« Ich deutete auf eine der Sicherheitskameras, die vom Dach meines Hauses hingen. »Zum Glück habe ich dieses Überwachungssystem, das alles aufzeichnet. Ich habe über ein Dutzend von diesen Dingern verkabelt. Die Aufnahmen gehen direkt zu einem Server, oder in die Cloud, oder irgend so etwas. Wird alles extern gespeichert. Natürlich wird da manchmal auch etwas aufgenommen, von dem man nicht will, dass es andere Leute zu Gesicht bekommen, doch das lässt sich ohne Weiteres löschen, wenn man die Zugangsdaten kennt.«

Als mich die beiden böse anfunkelten, sah ich noch einmal auf mein iPhone. »Yup, ihr beide werdet aufgenommen, genau in diesem Moment. Wollt ihr mal sehen?« Ich lief zu Duke hinunter und zeigte ihm den Live-Feed auf dem kleinen Display meines Telefons.

»Hey, die Funktion hier solltest du sehen.« Ich zog meine Fingerspitze über einen Regler und nahm eine kleine Feinjustierung vor. Nun sah man eine Nahaufnahme von Dukes Gesicht. »Ist das nicht irre? Was die Technik heutzutage alles möglich macht … wow, kann ich da nur sagen.« Duke saß weiter nur auf seinem Motorrad und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich zusehends.

»Ja, wirklich klasse«, sagte ich und sah dann die beiden eisig an. »Okay, was zur Hölle wollt ihr beiden Arschlöcher hier?«

»Du hast einen unserer Brüder beleidigt«, erklärte er in strengem Tonfall und wedelte mit seiner Hand zwischen sich und seinem Freund hin und her. Ich warf seinem Kumpel, einem Möchtegern-Schläger um die zwanzig, der sich alle Mühe gab, einschüchternd auf mich zu wirken, einen Blick zu.

»Du meinst Bull?«, fragte ich. Duke nickte. »Weil ich ihm die Papiere gebracht habe?«

»Ja, und ihn mit einer Waffe bedroht hast«, antwortete er.

»Die Papiere waren etwas Geschäftliches und die Kanone war rein zum Selbstschutz. Würdest du es etwa unbewaffnet mit Bull aufnehmen? Der Typ ist immerhin verdammt groß.«

Duke grunzte nur etwas Unverbindliches und deutete dann mit dem Finger auf mich. »Der Prozess richtet sich auch gegen meinen Laden. Das könnte mich eine ganze Stange Geld kosten.«

Ja, damit hatte er womöglich recht. Immerhin vertrat William diesen bedauernswerten Nichtsnutz, und obwohl er nicht ganz das Format seines Großvaters hatte, war er doch ein ganz anständiger Anwalt. Mein erster Gedanke war, den beiden zu sagen, dass sie sich verpissen sollten, bevor ich ihnen eine Kugel verpassen würde, aber stattdessen wählte ich eine etwas diplomatischere Herangehensweise.

»Habt ihr zufällig ein Überwachungsvideo, auf dem man sehen kann, wie dieser Typ Bull eine reinhaut?«

Duke schüttelte den Kopf. »Die Aufnahmen werden alle dreißig Tage überschrieben.«

»Und die Sache ist vor beinahe einem Jahr passiert«, sagte ich. »Das ist echt Pech.«

»Ja, verdammtes Pech. Man hört dir förmlich an, wie sehr dich das Ganze mitnimmt«, sagte er mit kalter Stimme.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist schließlich nicht mein Problem, mein Großer. Wenn du möchtest, bringe ich deiner Crew gern bei, innerhalb welcher Richtlinien Gewaltanwendung erlaubt ist, und wie man sofort eine CD brennt, wenn sich ein Zwischenfall im Klub ereignet hat. Mein Honorar ist auch recht fair.«

Dieses Mal war es der kleine Steigbügelhalter, der höhnisch auflachte.

»Klar, ich denke darüber nach«, antwortete Duke. »In der Zwischenzeit ist unser Sergeant-at-arms aber weiterhin ziemlich angepisst.«

»Ich sage dir mal etwas. Falls es irgendetwas nutzt, dann übermittle ihm doch bitte meine ausdrückliche Entschuldigung, und dass ich glaube, dass ich es wiedergutmachen kann.«

Argwöhnisch hob Duke eine Augenbraue. »Und wie willst du das tun?«, fragte er.

»Als ich Nachforschungen über ihn angestellt habe, bin ich auf einen Wohnwagen gestoßen, und ich nahm an, dass er dort auch wohnte. Ich denke, du weißt, von welchem Wohnwagen ich spreche – dem oben in Joelton.« Duke versteifte sich ein wenig, ließ mich aber nicht aus den Augen. Ich fuhr fort: »Nun, ich hatte versucht, mich unauffällig zu verhalten und mir den Wohnwagen mal näher anzusehen. Du weißt schon, um ihm die Papiere zu Hause zu überreichen, anstatt auf seiner Arbeit. Um ihm die Peinlichkeit zu ersparen. Aber da gab es leider ein kleines Problem.«

»Was denn für ein Problem?«, fragte Duke argwöhnisch. Seine Augen hatte er mittlerweile zu Schlitzen zusammengekniffen, beinahe so wie vor ein paar Tagen schon.

Ich beugte mich vertraulich zu ihm. »Zu meiner Überraschung gab es noch andere Leute, die den bereits erwähnten Wohnwagen beobachteten, wenn du weißt, was ich meine. Es gab sogar eine Überwachungskamera, die an einem Strommast gleich neben der Einfahrt angebracht war. Hier, ich habe sogar Fotos davon gemacht.« Ich tippte auf mein iPhone, fand das betreffende Bild und zeigte es ihm. Dann sah ich zu, wie er das Foto ganz genau betrachtete. Sein Gesichtsausdruck spiegelte zuerst Unsicherheit und Argwohn wider, doch als ich durch die Bilder blätterte, erkannte er die Gegend. Schließlich sah er wieder zu mir hoch, nunmehr sichtlich besorgt.

»Die Narcs?«, fragte er. Ich zuckte nur mit den Achseln. Duke spulte daraufhin eine Reihe von Kraftausdrücken ab. Außerdem murmelte er etwas über die Sorglosigkeit seiner Biker-Kumpane und dass man zumindest einen von ihnen kastrieren sollte. Nachdem er sich wieder halbwegs in der Gewalt hatte, sah er mich erneut an.

»Was meinst du, wie schlimm es ist?«, fragte er zähneknirschend.

Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn du meinen Rat hören willst, würde ich sagen: Vergesst die Sache und geht nicht mehr dorthin.« Er fluchte erneut und seine Hände umklammerten den Lenker seiner Harley fester.

Mein Telefon klingelte. Es war Ronald. »Würden die Herren mich bitte für einen Moment entschuldigen?« Ich lief zurück zur Veranda, ohne ihre Antwort abzuwarten. »Hey, Ronald«, sagte ich leise.

»Ist das etwa Duke? Was macht der denn vor deinem Haus?« Er klang außer Atem. Das einzige Problem mit einem Computerfreak, der dein Überwachungssystem wartet, ist, dass er einem wirklich die ganze Zeit über zusieht.

»Ja, er und sein Freund, der sich nicht die Mühe gemacht hat, sich vorzustellen. Mache ein Standbild von ihm, vielleicht müssen wir später herausfinden, wer es ist.«

»Okay, das mache ich. Ist denn alles in Ordnung?«

»Ich denke schon, aber sieh lieber weiter zu, sicherheitshalber.«

»Okay«, antwortete er und legte auf. Während ich mit Ronald sprach, hatte ich Duke und seinen Biker-Bruder beobachtet. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und diskutierten aufgeregt miteinander. Der andere hing nun an seinem Telefon. Als ich zu ihnen zurückkam, hörten sie sofort auf zu reden.

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
09 ноября 2020
Объем:
530 стр.
ISBN:
9783958353633
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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