Читать книгу: «IRONCUTTER – Die Geheimnisse der Toten», страница 6

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Eigentlich rechnete ich damit, dass er starrsinnig sein und ablehnen würde, aber zu meiner Überraschung willigte er ein. Er beendete seine Zigarette und gemeinsam gingen wir ins Haus. Anna saß auf der Couch, hatte ein Bein untergeschlagen und trank ein Bier. Den Inhalt der Akte hatte sie fein säuberlich auf dem Couchtisch ausgebreitet, und als Krönung lag Henry absolut friedlich neben ihr, mit seinem Kopf in ihrem Schoß. Sie lächelte uns an.

»Wie heißt denn der Hund?«, fragte sie.

»Henry«, antwortete ich. »Normalerweise kann er nicht so gut mit anderen Leuten.«

Anna kraulte ihm den Kopf. »Er ist doch ganz brav. Wieso haben Sie ihn denn Henry genannt?«

Ich lief in die Küche, um uns noch ein paar Biere zu holen. Onkel Mike setzte sich in meinen gemütlichen Sessel und sah sich ein paar der Fotos an. Seine alten Polizeiinstinkte hatten ihn unweigerlich neugierig werden lassen.

»Ich habe ihm den Namen nicht gegeben. Er gehörte einer Nachbarin, einer älteren Witwe. Sie war davon überzeugt, dass der Hund die Reinkarnation ihres verstorbenen Ehemannes Henry war. Eines Tages kam er zu mir herüber, um mir zu sagen, dass sein Frauchen verstorben war, und seitdem lebt er bei mir.«

Verwirrt blickte sie zuerst Henry und dann mich an. »Was meinen Sie damit, er hat es Ihnen gesagt

Ich war mittlerweile wieder im Wohnbereich angelangt und fragte mich, wo ich mich hinsetzen sollte, während ich auf Henry deutete. »Hunde haben ihre ganz eigene Art zu kommunizieren. Eines Tages saß er auf einmal draußen vor meiner Tür. Als ich hinausging, lief er ein Stück, doch dann hielt er an und drehte sich zu mir um, als wollte er, dass ich ihm folgte. Was ich dann irgendwann auch tat. Zusammen liefen wir zurück zu seinem Haus. Dort fand ich die Besitzerin tot auf dem Boden. Sie war an einem Herzschlag gestorben.«

Ich reichte Onkel Mike ein Bier und wollte mich gerade neben Anna setzen, als mir bewusst wurde, wie ich roch. »Ich gehe mal eben unter die Dusche. Ihr beide könnt euch ja in der Zwischenzeit unterhalten.«

Ich lief ins Badezimmer, zog mich aus und nahm mir die Zeit, mich ausgiebig im Spiegel zu betrachten. Ich war 1,90 groß und knapp hundert Kilo schwer. Okay, vielleicht auch etwas mehr. Ich war zwar immer noch muskulös, aber längst nicht mehr so wie als junger Mann. Auch mein Gesicht war nicht mehr so scharf geschnitten wie früher, aber ich hatte immer noch die samtigen dunkelbraunen Augen, ein Beleg für meine italienischen Wurzeln. Meine Haare, einschließlich die auf meiner Brust, waren sehr viel grauer geworden, als es mir lieb war. Womit sich mir die Frage stellte: Wieso sollte sich ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen auch nur ansatzweise zu mir hingezogen fühlen? Mir fiel darauf keine halbwegs logische Antwort ein, also seufzte ich nur und stellte mich unter die Dusche.

Frisch geduscht und mit kurzen blauen Shorts und einem frischen T-Shirt bekleidet, kehrte ich zu den beiden zurück. Sie plapperten wie zwei alte Freunde, und ihre Unterhaltung schien hauptsächlich um meine Wenigkeit zu kreisen.

»Als er seine Polizeimarke bekam, war ich unendlich stolz auf ihn«, sagte Onkel Mike mit einem Grinsen.

Anna lächelte ebenfalls und deutete auf einen großen Teller auf dem Couchtisch. »Ich habe uns ein paar Truthahn-Sandwiches gemacht«, sagte sie und tätschelte die Couch neben sich. »Setzen Sie sich doch und essen Sie was.« Henry saß auf der anderen Seite neben ihr und musterte mich aus den Augenwinkeln. Erst jetzt bemerkte ich, was ich für einen Kohldampf hatte, deshalb nahm ich mir ein Sandwich und setzte mich.

Anna sah zurück zu Onkel Mike. »Und wie hat er es geschafft, so schnell befördert zu werden?«, fragte sie.

»Ich wurde im Dienst angeschossen«, warf ich kauend ein, »und es war keine Beförderung, sondern eher eine Versetzung.«

Anna erschrak. »Sie wurden angeschossen? Wie ist das denn passiert?«

»Ich erzähle Ihnen, was passiert ist«, meldete sich Onkel Mike zu Wort. »Er hatte einen Verdächtigen bei einem Raubüberfall verfolgt, und der Kerl zog plötzlich eine Pistole und gab ein paar Kugeln auf ihn ab. Er wäre beinahe draufgegangen, aber seine kugelsichere Weste hat ihm das Leben gerettet.«

Anna sah mich verwundert an. »Ja, ich hatte wohl einfach Glück«, bestätigte ich seine Geschichte. »Eine Kugel hat mich dennoch in der Schulter erwischt.« Ich zog mein T-Shirt hoch und zeigte ihr die Narbe. »War keine schwere Verletzung, aber es blutete wie verrückt.«

»Oh, wow, und was ist dann passiert?«, wollte sie wissen.

»Ha, Thomas hat ihn umgerissen, ihm die Waffe abgenommen und dann die Scheiße aus ihm rausgeprügelt«, erzählte ihr Onkel Mike mit einem fetten Grinsen. »Er bekam eine Auszeichnung und wurde anschließend ins Morddezernat versetzt.«

Anna kippte den Rest ihres Bieres hinunter und lächelte. »Es gibt so vieles an Ihnen, was ich einfach nur erstaunlich finde«, sagte sie mit großen Augen. Ich spürte, wie ich rot wurde.

Sie kicherte und stand auf. »Ich nehme mir noch ein Bier. Wie ist es mit Ihnen, Onkel Mike?«

»Klar gern«, antwortete er. Wenig später kam sie mit drei kalten Bieren zurück und ließ sich auf die Couch fallen.

»Lasst uns mal das Thema wechseln«, schlug ich vor. »Habt ihr euch mal die Akte angesehen?«

»Ein wenig«, antwortete Anna.

Ich nickte und sah Onkel Mike an. »Kommt dir Lesters Name irgendwie bekannt vor?« Er war gerade dabei, von seinem Bier zu trinken, doch dann stutzte er und sah mich misstrauisch an. »Sollte er denn?« Das war die Art, wie Onkel Mike reagierte, wenn er einer Sache absichtlich auswich. Er beantwortete dann grundsätzlich jede Frage mit einer Gegenfrage.

»Ja, sollte er. Kriege ich eine Antwort?«

Er sah an mir vorbei, nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier und stellte es ab. »War ein langer Tag für mich. Ich denke, ich haue mich mal hin.« Dann stand er auf und verschwand wortlos in dem ungenutzten Schlafzimmer. Ich hörte, wie er leise die Tür hinter sich schloss. Anna wartete, bis er uns nicht mehr hören konnte, bevor sie fragte: »Irgendetwas kriege ich hier gerade nicht mit, oder?«

Ich nickte langsam. »Ja, aber das ist im Moment nicht so wichtig. Konzentrieren wir uns lieber auf Lesters Tod. Oh, und bevor ich es vergesse, sollte ich zuallererst ein paar grundlegende Regeln erwähnen.«

»Okay«, sagte sie bereitwillig.

»Der Tod eines Menschen, unabhängig von den Umständen, ist ein sehr sensibles Thema. Wir, und damit meine ich Sie, werden deshalb mit niemandem über diesen Fall sprechen. Nicht mit Ihren Stripper-Freundinnen und nicht mit Ihren Biker-Freunden. Mit niemandem. Haben Sie das verstanden?«

Sie nickte.

»Dann geben Sie mir Ihr Wort darauf.«

Sie sah mich an und zog die Schultern nach hinten, oder vielleicht reckte sie auch nur ihre Brüste nach vorn. »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich kein Scheißwort darüber verlieren werde«, sagte sie mit einem fetten Grinsen.

Ich knurrte. »Ich denke, es wäre mir lieber, wenn Sie wie ein anständiger Privatermittler reden könnten, und nicht wie der Abschaum, mit dem Sie auf Arbeit täglich zu tun haben.«

Jetzt sah sie mich komisch an und reckte sich noch einmal. »Okay, wie wäre es damit: Ich verspreche Ihnen, dass ich keinerlei vertrauliche Informationen preisgeben werde.«

»Das ist schon viel besser.« Ich nickte. »Ich hoffe, ich kann mich auch darauf verlassen.«

»Natürlich können Sie das«, entgegnete sie gekränkt.

»Okay. Ich hatte allerdings noch gar keine Gelegenheit, das alles zu lesen, und außerdem muss ich Ronald anrufen.«

»Wer ist Ronald?«

»Ein Freund von mir. Er kann verdammt gut mit Computern umgehen.« Ich tippte auf eine Taste und sprach Ronalds Namen in mein Telefon.

Nachdem es ein paar Mal bei ihm geklingelt hatte, nahm er ab. »Ich bin gerade mitten in einem Krieg!«, rief er aufgeregt. »Ich kann jetzt nicht reden.« Dann legte er einfach auf.

Anna hatte das kurze Gespräch mit angehört und runzelte die Stirn. »Ihr Freund steckt mitten in einem Krieg?«

Ich seufzte und versuchte, es ihr zu erklären: »Ronald lebt in seiner ganz eigenen Welt. Er begibt sich nur selten unter Leute. Er wohnt noch in dem Haus, in dem er aufgewachsen ist, seine Eltern leben aber mittlerweile nicht mehr. Sie wurden von einem Geisterfahrer mit seinem Truck auf der Interstate getötet. Er wohnt dennoch immer noch unten im Keller und hat bisher noch nicht einmal die Kleidungsstücke seiner Eltern weggeräumt. Er isst ausschließlich Suppe, Cracker und Brot, und trinkt nur Wasser oder Gemüsesäfte. Mit dem Krieg, den er erwähnt hat, meint er garantiert eines von diesen Computerspielen, die er die ganze Zeit über spielt. Eines davon heißt Eve oder so ähnlich.«

»Ah, dann ist er also ein Metagamer«, meinte sie.

Ich starrte sie verwirrt an. »Was zur Hölle ist ein Metagamer?«

»Das Internet ist voll von diesen Spielen, den sogenannten Massive-Multiplayer-Online-Role-Playing-Games. Die sind sehr beliebt, können einen aber auch schnell abhängig machen.«

Ah, das erklärte natürlich einiges. »Ich schätze, damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen, denn er ist definitiv süchtig danach.« Ich deutete auf die Akte. »Also, Sie haben mehr davon gelesen als ich. Sagen Sie mir, was Sie darüber denken.«

Anna sah noch einmal auf den Papierkram und die Fotografien hinunter und rümpfte dann die Nase. »Die Berichte sagen eigentlich kaum etwas aus. Im Prinzip ist es nur eine Ansammlung von: Ich wurde zum Tatort gerufen, fand eine Leiche, und dann übernahm der Detective alles Weitere. Und der Bericht des Detectives sagt dann im Grunde nur: Ich wurde zum Tatort gerufen, fand eine Leiche, eine Waffe lag daneben, also hat er sich selbst umgebracht.«

Ich kicherte amüsiert. »Ja, das dachte ich mir schon. Sehen wir uns doch noch einmal die Fotos an.« Ich ging sie nacheinander durch und erklärte ihr, was man darauf sehen konnte, insbesondere bei den Nahaufnahmen der Schusswunde. Anschließend berichtete ich ihr, was Rhoda mir erzählt hatte.

Sie sah mich mit großen Augen an und nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Dann war es also doch Mord?«, fragte sie gespannt.

»Sieht ganz danach aus. Nun, wenn ich der Inspektor der Mordkommission wäre, der auf den Fall angesetzt wurde, würde ich herausfinden wollen, wer ihn umgebracht hat und warum.«

»Und wie finden wir es heraus?«

Sie stürzte sich gerade Hals über Kopf in den Fall. Ich war mir nicht ganz sicher, ob das so eine gute Idee war, und fragte mich unwillkürlich, ob ich sie nur deshalb nicht zurückhielt, weil ich hoffte, auf diese Art schneller an ihre Unterwäsche zu kommen. Vielleicht sollte ich besser versuchen, mich nicht wie ein Perverser aufzuführen.

»Wenn wir die Mordkommission wären, würden wir damit anfangen, herauszufinden, was für ein Mann Lester wirklich war, wie sein Leben aussah und wem er lange genug ans Bein gepinkelt hatte, damit dieser ihn umbringen ließ oder selber umgebracht hat. Der Fachbegriff dafür lautet Viktimologie. Opferwissenschaft.«

Sie starrte mich noch immer fasziniert an. »Sie sagten, dass ihn jemand unter Umständen umbringen ließ. Meinen Sie damit einen Auftragsmord?«

»Das ist durchaus möglich. Wenn er ermordet wurde, hat sich allerdings jemand eine Menge Mühe damit gegeben, es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Die meisten Mörder kümmert das nämlich nicht. Die nehmen sich nicht extra die Zeit, ihre Tat zu verschleiern.« Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, öffnete meinen Laptop und wartete darauf, dass er hochfuhr.

»Okay, ich sage Ihnen, was ich denke: Wenn ich dem Detective und dem Sheriff beweisen kann, dass es ein Mord war, werden sie den Fall wieder aufrollen müssen. Soweit es mich angeht, ist die Sache damit für mich erledigt.«

»Wirklich?«, fragte sie.

»Ja.« Ich überlegte, ob ich noch hinzufügen sollte, dass ich vielleicht weiter ermitteln würde, wenn Rhoda mich bezahlen könnte. Da meine einzige Bezahlung vorerst aber nur in der Rückgabe eines Autos bestand, das man mir vor unzähligen Jahren weggenommen hatte, sah ich keinen Grund dafür, warum ich meine Verpflichtungen ihr gegenüber weiter ausdehnen sollte.

»Ich muss das hier erst erledigt haben, bevor ich mit dem Fall Ihrer Schwester beginnen kann. Das verstehen Sie doch, oder?«

Annas Blick durchbohrte mich eine Weile, doch dann nickte sie.

»Okay, gut.«

Nachdem mein Laptop mich darüber informierte, dass er einsatzbereit war und mich dieses Mal nicht wieder aussperren würde, öffnete ich ein neues Word-Dokument. Es handelte sich dabei um ein Template, welches ich mir für Notizen angelegt hatte. Anna nahm meine leere Flasche und trug sie in die Küche. Wenig später kam sie mit einem frischen Bier für mich zurück.

»Danke«, sagte ich mit einem anerkennenden Kopfnicken. »Ich werde mich jetzt erst einmal durch eine Menge Text arbeiten müssen, also fühlen Sie sich ganz wie zu Hause. Ich habe übrigens Satellitenfernsehen.« Sie nickte, machte es sich auf der Couch gemütlich und griff nach der Fernbedienung. Ich begann damit, die Akte zu lesen, und nach nur zehn Minuten hatte ich bereits einige Seiten an Notizen zusammen.

Die folgende Stunde verbrachte ich damit, die verschiedenen Berichte durchzusehen und mir Stichpunkte zu machen. Anna hatte recht. Es hatte wirklich den Anschein, als wäre Detective Thompson bereits mit der Erwartung zum Tatort gekommen, einen Selbstmord vorzufinden. Er hatte nichts getan, um sich vom Gegenteil zu überzeugen, und der lästige Papierkram enthielt wirklich nur das Allernötigste.

Anna hatte sich derweil auf der Couch ausgestreckt und war eingeschlafen, noch bevor der Abendfilm vorbei war. Sie lag in Embryonalhaltung zusammengerollt da, ihr Hintern zeigte in meine Richtung, und ich muss zugeben, dass ich ihn länger anstarrte, als es sich gehörte. Henry lag neben der Couch auf dem Boden. Hin und wieder zuckten seine Pfoten, so als würde davon träumen, hinter jemandem herzujagen und ihn zu beißen.

Ich war ebenfalls ziemlich müde. Ich sah auf die Uhr und erschrak, als ich feststellte, dass es bereits drei Uhr morgens war. Vorsichtig legte ich eine Decke über Anna, schaltete das Licht aus und ging ins Bett.

Ich erinnere mich nicht daran, eingeschlafen zu sein, dafür aber, wie ich aufwachte. Jemand benutzte nämlich gerade meine Dusche. Dank meiner kombinatorischen Fähigkeiten schlussfolgerte ich, dass es Anna sein musste. Dummerweise musste ich aber ziemlich dringend pinkeln. Henry lag neben der halb geöffneten Badezimmertür und bewachte sie. Also würde ich wohl warten müssen. Zum Glück ging das Wasser wenig später aus und kurz darauf erschien Anna. Sie war in ein Handtuch gewickelt und bürstete gerade ihr Haar.

Lächelnd sah sie mich an. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht aufgeweckt.«

»Oh, nein«, log ich und warf einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war bereits nach neun. »Zeit, aufzustehen.« Ich unterdrückte ein Gähnen. Ich hätte noch eine ganze weitere Stunde Schlaf brauchen können. »Wissen Sie, ob mein Onkel noch da ist?«

Sie schüttelte den Kopf, wobei ihr beinahe das Handtuch hinuntergerutscht wäre. »Nein. Er ist vor ein paar Minuten gegangen. Als ich aufgewacht bin, habe ich gesehen, wie er Ihre Notizen gelesen hat. Als er mich bemerkt hat, ist er gegangen.«

Ich nickte. »Sind Sie fertig im Bad?«

Sie grinste. »Mehr oder weniger. Gehen Sie nur.«

»Es gibt noch ein Badezimmer in dem anderen Schlafzimmer, wissen Sie?«

»Ja, aber dort steht weder Shampoo noch Zahnpasta.« Sie ging hinaus, hielt dann aber noch einmal inne. »Haben Sie vielleicht etwas Tee im Haus? Ich trinke nämlich eigentlich keinen Kaffee.« Ich schüttelte bedauernd den Kopf.

»Okay. Ah, und bevor ich es vergesse – Ihr Telefon hat ununterbrochen geklingelt. Ich bin aber nicht rangegangen.«

»Normalerweise schalte ich es vor dem Schlafengehen immer aus und stelle es meistens auch erst mittags wieder an. Muss ich wohl vergessen haben.« Ich wartete, bis sie das Zimmer verließ, dann eilte ich zur Toilette. Anschließend stellte ich mich unter die Dusche und hielt gerade meinen Kopf unter das heiße Wasser, als Anna die Tür der Duschkabine öffnete und den Kopf hindurchsteckte.

»Wow, sieh mal einer an. Man sollte sie nur noch den Italian Stallion nennen.« Ich zuckte zusammen und drehte mich hastig von ihr weg. Anna kicherte und sah in den angelaufenen Spiegel. »Was machen wir denn heute?«

»Müssen Sie denn nicht nach Hause oder zur Arbeit?«, fragte ich.

»Ich lebe mit zwei Tänzerinnen zusammen und da geht mir derzeit zu viel Talkshow-Drama ab. Ich brauche dringend mal ein wenig Abstand. Also, was machen wir heute?«

»Na ja, zuerst einmal gehen Sie zurück ins Wohnzimmer und gönnen mir ein wenig Privatsphäre«, sagte ich, was Anna mit einem Kichern quittierte, aber sie verschwand trotzdem.

Ein paar Minuten später kam ich hinterher. Ich hatte mir Cargo-Shorts angezogen, die einige Zentimeter länger waren als Annas kurze Hose und eines von meinen alten Golfshirts.

Anna trug eine frische kurze Hose, die jedoch genauso knapp war wie die vorherige, und ein schwarzes Tank-Top. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah sie von meinen Notizen auf. »Kein Mantel und keine Krawatte heute?«, fragte sie. Ich setzte mich zu ihr.

»Nope, heute bin ich eher lässig. Ich habe Hunger. Was halten Sie davon, wenn ich Sie zurück zu Ihrem Auto bringe und wir dann irgendwo frühstücken gehen?« Anna willigte erfreut ein, und wenig später waren wir auch schon unterwegs. Ich entschied mich für den Truck. Draußen war es zwar schwül, aber es sah nach Regen aus. Als wir vor Mick’s Shop parkten, schnappte Anna nach Luft.

»Oh nein«, jammerte sie. Dann sah ich es auch. Jemand hatte ihren Wagen demoliert.

Kapitel 8

»Wer würde denn so etwas tun?«, fragte ich, allerdings eher rhetorisch. Jemand hatte mit einem spitzen Gegenstand und in Großbuchstaben das Wort »Hure« einmal quer über die Fahrertür eingeritzt. Ich stieg aus und sah mir den Schaden genauer an. In Gedanken überlegte ich bereits, dass ich das richtige Werkzeug dafür besaß, um die Kratzer abzuschleifen und die Tür ohne größere Probleme neu lackieren zu können. Der Wagen war noch so neu, dass sich die weitere Schicht Farbe beinahe ohne Spuren mit der bereits existierenden Lackschicht verbinden würde. Die Frage war nur: Sollte ich das tun?

»Das kann nur Doug gewesen sein«, sagte sie und kämpfte mit den Tränen.

»Wer ist Doug?«

»Mein Ex-Freund. Was soll ich denn jetzt machen?«

»Zuerst einmal sollten Sie bei der Polizei Anzeige erstatten«, riet ich ihr. »Danach sehen wir, wie sich die Sache entwickelt.« Während wir herumstanden und den Schaden begutachteten, fuhr auch Mick vor. Er stieg aus und kam zu uns hinüber.

»Was zur Hölle ist denn hier passiert?«, fragte er.

»Na ja, es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten«, antwortete ich. »Entweder hat Anna einen sehr wütenden Ex-Freund oder Kim Lee ist eifersüchtig.«

Mick machte ein gequältes Gesicht. »Fängst du schon wieder damit an?«

Ich nickte langsam. »Nein, du hast recht. Kim würde so etwas nicht tun. Sie hat bestimmt kein Problem damit, mich mit jemand anderem zu teilen.«

Mick warf angewidert die Hände in die Höhe. »Komm schon, du dämlicher Itaker, lass uns einen Blick auf das Überwachungsvideo werfen. Ich habe gleich dort eine Kamera hängen.« Er deutete nach oben, als wir in den Laden gingen. An der Außenseite des Hauses waren vier Kameras befestigt. Eine von ihnen zeigte genau zu der Stelle, an der Annas Wagen stand.

Ein paar Minuten später hatte er die Aufnahmen gefunden. Die Kameras nahmen bei Tag farbig auf, nachts jedoch schalteten sie auf Schwarzweiß um. Trotzdem waren die Aufnahmen deutlich genug, um erkennen zu können, dass der Verdächtige ein Polizeiauto fuhr. Die Aufnahmen zeigten, dass der Officer binnen einer Stunde mehrfach über den Parkplatz gekurvt war.

Schließlich hatte er angehalten, war ausgestiegen und hatte sich vor Annas Wagentür gekauert. Er hatte zu seinem Gürtel gegriffen und kurz darauf ein nicht näher zu erkennendes Objekt in der Hand gehalten. Als er fertig gewesen war, war er zurück zu seinem Wagen geeilt und davongerast. Sein Kunstwerk war klar und deutlich zu erkennen.

Anna betrachtete die Aufnahmen zusammen mit uns und bestätigte, dass es sich bei der Person in dem Video um ihren Ex-Freund handelte. Ich erinnerte sie noch einmal vorsichtig daran, die Polizei zu informieren. Das tat sie dann schließlich auch. Nach ein paar Minuten legte sie wieder auf.

»Die Dispatcherin sagte, es könne durchaus eine Stunde dauern, bis jemand vorbeikommt«, erklärte sie. »Sie fragte mich, ob ich eine Ahnung hätte, wer es getan haben könnte.«

»Und, haben Sie es ihr verraten?«, fragte ich. Sie nickte. »Gut, denn wir haben unwiderlegbare Beweise gegen diesen Idioten.«

Ich vermied es, ihr etwas über die Regeln der Polizei bei häuslicher Gewalt zu erzählen. Der junge Mann konnte froh sein, wenn er überhaupt noch irgendeinen Job im Department ausüben durfte, wenn die Untersuchung erst einmal beendet war. Ich befürchtete, dass Anna den Vorfall nicht gemeldet hätte, wenn sie davon gewusst hätte.

»Was soll eigentlich dieses ganze Wir-Geschwafel?«, fragte Mick. »Ich bin hier der derjenige mit den Beweisen und ich brenne dir auch gern noch ein paar CDs davon.« Mit dem Daumen auf mich gerichtet fügte er hinzu: »Der blöde Spaghettifresser hat doch keine Ahnung, wie man so was macht.«

Um genau zu sein, waren es Ronald und ich gewesen, die das System überhaupt erst bei ihm installiert hatten, und Ronald hatte ihm beigebracht, wie man es bediente. Ich unterließ es jedoch, ihn auf seinen Irrtum hinzuweisen, und bestellte uns stattdessen etwas zu Mittag bei einem der Restaurants in der Gegend, die auch lieferten.

Während wir etwas später unserer Sandwiches mit Lammfleisch aßen und sie mit Mineralwasser hinunterspülten, bog ein Polizeiwagen auf dem Parkplatz ein. Na ja, zumindest Mick und ich aßen. Anna klaubte an ihrem nur herum. Ein Sergeant stieg aus und untersuchte den Vandalismus, bevor er anschließend den Laden betrat. Anna und ich saßen an einem der kleineren Tische. Der Sergeant sah sich um und erstarrte kurz, als er mich erblickte. Wir kannten uns. Jetzt kam er zu uns hinüber.

»Hallo, Thomas, dich habe ich ja schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen«, sagte er leise. Die Hand zur Begrüßung wollte er mir aber offenbar nicht geben.

»Hallo, Jim. Bist du wegen der Sachbeschädigung hier?«, fragte ich ihn. Er nickte. Ich deutete auf Anna. »Sie ist die Betroffene. Anna Davies. Anna, das ist Sergeant Jim Ozment.«

Er sah Anna einen Moment lang an und warf mir dann einen Blick zu, der ziemlich deutlich sagte: Klar, für dich können sie ja nicht jung genug sein. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ma’am. Wenn ich es richtig verstanden habe, behaupten Sie, ein Police Officer wäre dafür verantwortlich?«

Anna nickte zögerlich. »Ja, Officer Doug Eastlin. Er ist mein Ex-Freund. Wir waren etwa einen Monat lang zusammen.«

»Aber woher wissen Sie denn, dass er es war?«, fragte Jim. »Haben Sie Beweise dafür? Einen Zeugen vielleicht?«

Ich schob ihm eine der CDs zu. »Das ist eine Videoaufnahme, die ihn bei der Tat zeigt. Es ist gestern Nacht passiert, während er auf Streife war, nehme ich mal an.« Ich warf Anna einen Blick zu. Sie war nicht länger traurig, sondern wütend. Gut für sie, dachte ich.

Jim beäugte die CD und legte die Stirn in Falten. »Scheiße«, murmelte er. Ich zuckte bestätigend mit den Achseln und zündete mir eine Zigarre an. »Besteht die Möglichkeit, dass ich es mir hier ansehen kann, oder muss ich sie erst ins Büro mitnehmen?«

Mick schnappte sich die CD und gab dem Sergeant ein Zeichen, ihn hinter den Tresen zu begleiten. »Haben Sie und Thomas früher zusammengearbeitet?«, fragte er.

Jim nickte verhalten, als wäre es ihm nicht recht, wenn zu viele Leute davon erfuhren.

Mick schien es jedoch nicht zu bemerken. »Sind Sie auch einer von diesen bekloppten Italienern?«

Jims Blick verfinsterte sich und er sah zu mir hinüber. Ich zuckte wieder nur mit den Schultern und paffte meine Zigarre.

Schweigend, das Gesicht missbilligend zu einer Landschaft aus Furchen zusammengezogen, betrachtete er das Video, dann nahm er Mick die CD ab und lief zurück zu unserem Tisch. »Darf ich diese CD als Beweismaterial behalten, Ma’am?«

Anna warf mir sicherheitshalber einen Blick zu. Ich nickte.

»Ausgezeichnet«, sagte er. »Dann werde ich jetzt einen Bericht anfertigen.« Daraufhin sah er mich noch einmal an. »Mittlerweile müssen wir unsere Berichte nämlich am Computer verfassen. Nicht so wie in den guten alten Tagen. Die nennen das Fortschritt, aber mir geht es einfach nur auf die Nerven.«

»Wie lange dauert es denn noch bis zum Ruhestand?«, fragte ich ihn.

Er rieb sich über das Gesicht. »Mein Jüngster fängt in diesem Herbst auf dem College an. Sind also noch ein paar Jahre.« Sein Gesicht verfinsterte sich dabei. Das Alter machte sich langsam aber sicher bei ihm bemerkbar und er spürte die Auswirkungen, seit über zwei Jahrzehnten als Cop gearbeitet zu haben. Man sah es ihm förmlich an.

»Wie auch immer, der Computer ist im Wagen«, fuhr er fort. »Ms. Davies, wenn ich mir kurz Ihren Führerschein ausleihen dürfte, würde Ihnen das einen ganzen Haufen Fragen ersparen. Außerdem muss ich den Chef der Polizeiwache anrufen und ihn darüber in Kenntnis setzen und auch noch das OPA verständigen.«

Anna kramte ihren Führerschein aus der Brieftasche und gab ihn an ihn weiter. »OPA? Was ist denn das?«, fragte sie ihn verwirrt.

»Das ist die Abkürzung für das Office of Professional Accountability«, antwortete Jim. »Die werden nun in dieser Sache ermitteln.«

Sie runzelte die Stirn. »Werden sie das?«

»Ja, Ma’am. Wir haben strikte Richtlinien, wie verfahren werden muss, wenn es Anschuldigungen bezüglich eines Fehlverhaltens eines Officers gibt. Besonders in Beziehungsfragen. In der letzten Zeit haben sich solche Vorkommnisse leider gehäuft und das Department nimmt diese Dinge deshalb mittlerweile peinlich genau.« Dann wurde ihm klar, wie sich das für mich anhören musste, und er wurde etwas verlegen.

»Wie auch immer, ich bin draußen in meinem Wagen. Geben Sie mir ein paar Minuten.« Danach eilte er hinaus.

Anna war zuerst ein wenig verwirrt, bevor sie offenbar dahinterkam. »Er sprach von Ihnen.«

»Das sind alte Geschichten«, wiegelte ich ab. Ich war gerade nicht in der Stimmung für Gespräche über meine verstorbene Frau.

Während wir auf Sergeant Ozment warteten, hörte ich meine Nachrichten ab. Ein paar potenzielle Klienten, Ronald hatte mich zurückgerufen, und ein Anruf von Rhoda. Sie hinterließ eine Nachricht, in der sie sich äußerst verzweifelt anhörte. Ich rief sie deshalb umgehend zurück.

»Detective«, rief sie beinahe panisch. »Das FBI ist hier!«

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
09 ноября 2020
Объем:
530 стр.
ISBN:
9783958353633
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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