Читать книгу: «IRONCUTTER – Die Geheimnisse der Toten», страница 5

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»Nun, meine Herren, das war ein wirklich interessantes Gespräch, aber ich habe noch zu tun. Ich schätze, ihr habt euch jetzt auch um einiges zu kümmern.« Duke rieb sich die Hände, und für einen Moment dachte ich schon, er würde mir die Hand geben, doch stattdessen griff er nach seinem Helm.

Der jüngere Thomas Ironcutter, der Hitzkopf, der vor Feuereifer beinahe geplatzt wäre, hätte Duke jetzt noch vor den fatalen Folgen gewarnt, wenn er die Sache nicht einfach links liegen ließ, doch der ältere und weisere Thomas, also ich, suchte stattdessen nach einer erwachseneren Lösung.

»Hör zu, Duke, es gibt keinen Grund, dass wir uns miteinander anlegen müssen. Vielleicht unterhalten wir uns einfach bald noch einmal.« Ich kramte eine Visitenkarte aus meiner Brieftasche. »Es wird mir eine Ehre sein, mich zuerst bei euch zu melden. Vielleicht kann man sich das nächste Mal ja im Guten treffen.« Duke nahm die Karte an sich und nickte kurz, dann warfen sie ihre Böcke an und rasten davon.

Ich sah ihnen hinterher und rief anschließend Harvey an. »Wie geht es dir, Sheriff?«

»Ich bin kein Sheriff mehr, eher so eine Art Gärtner und Mädchen für alles, für meine herrische Frau. Was hältst du von der Sache mit Gwinnette?«

»Oh, das ist sicher ein Selbstmord, aber ich sehe mir das trotzdem mal genauer an. Weißt du, wer den Fall bearbeitet hat?«

Ich hörte, wie er Rotz durch die Nase sog und ihn ausspuckte. »Nope. Nachdem der neue Sheriff gewählt wurde, hat er meine Leute komplett rausgeschmissen und seine eigenen eingestellt. Nein, warte mal … erinnerst du dich noch an Jerry Herndon? Der arbeitet noch da. Hat aber jetzt einen Schreibtischjob, glaube ich. Was hast du vor?«

»Ich würde mich gern mit dem ermittelnden Detective unterhalten und mir vielleicht eine Kopie der Akte geben lassen«, erklärte ich.

»Ich rufe Jerry mal an und melde mich dann wieder bei dir«, sagte er und legte auf.

Kapitel 6

Ich stand zeitig auf und aß ein schnelles Frühstück mit Henry.

»Heute habe ich viel vor. Wie steht’s mit dir?«, fragte ich ihn. Seine einzige Antwort bestand darin, zur Tür zu trotten und dort erwartungsfroh stehenzubleiben. Wir gingen hinaus, und nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte, sah er mir dabei zu, wie ich den Transportanhänger mit dem Truck verband.

»Ich werde mir heute den Wagen zurückholen, den mein Vater mir damals geklaut hat. Aber vorher treffe ich mich noch mit dem Detective, der in Lesters angeblichem Selbstmord ermittelt hat.«

Henry schnaubte, oder nieste, oder wie man das bei Hunden nannte.

»Ja, da hast du sicher recht, aber ich muss es zumindest versuchen.«

Der Verkehr war halb so wild und nach etwas weniger als dreißig Minuten traf ich bereits am Rutherford County Sheriffs Department ein. Ich hatte einige Schwierigkeiten, einen geeigneten Parkplatz zu finden, und entschloss mich letzten Endes, am Rand der Straße zu parken, die zu dem Parkplatz führte. Ich hoffte nur, dass kein übereifriger Deputy auf den Gedanken kam, dass das Parken am Randstein eine Verkehrswidrigkeit darstellte.

Nachdem ich mit einer Dame hinter kugelsicherem Glas gesprochen hatte, setzte ich mich geduldig in die Lobby und wartete. Natürlich hätte ich die Lady auch beackern können, warum es so lange dauerte, aber das hätte garantiert nichts gebracht. So vergingen deshalb ganze vierzig Minuten, bis sich eine Hintertür öffnete. Ein Mann ungefähr in meinem Alter trat heraus. Korpulent, mit Glatze, Brille und einem kantigen Kiefer mit einem leichten Unterbiss. Auf seiner Krawatte waren frische Flecken seiner letzten Mahlzeit zu erkennen.

»Sind Sie Ironcruddy?«, fragte er mit einer Mischung aus Unfreundlichkeit und Desinteresse.

Ich stand auf. »Ironcutter«, berichtigte ich ihn. »Thomas Ironcutter.« Ich streckte ihm die Hand entgegen. Der Detective schien sich für eine Weile in einem inneren Widerstreit zu befinden, ob er mir die Hand geben sollte oder nicht, aber dann griff er schließlich nach meiner Rechten.

»Ich bin Detective Thompson. Die Rezeptionistin meinte, Sie hätten Fragen zu dem Gwinnette-Selbstmord.« Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran zu, dass er sich maßgeblich durch mich gestört fühlte und ich ihn von etwas ungeheuer Wichtigem abhielt. Wie etwa seinem Morgen-Nickerchen.

Ich tat einfach so, als hätte ich es nicht bemerkt. »Das ist richtig. Die Witwe hat mich engagiert. Sie tut sich schwer damit, den Tod ihres Mannes zu akzeptieren. Ich würde Ihnen deshalb gern ein paar Fragen stellen, wenn Sie nichts dagegen haben. Können wir uns irgendwo unterhalten?«

Detective Thompson ließ kurz seine fleischige Pranke durch die Lobby kreisen. »Da das nicht lange dauern wird, können wir es auch gleich hier erledigen.« Ganz offensichtlich hatte er keine besonders gute Meinung von mir und beabsichtigte deshalb, sich nicht mehr als nur ein paar Minuten in meiner Gegenwart aufzuhalten.

Ich ignorierte die Unhöflichkeit und fuhr fort. »Okay. Könnten Sie mir vielleicht einen kurzen Eindruck verschaffen, wie Sie darauf gekommen sind, dass es sich bei diesem Fall um einen Selbstmord handelte?«

Er schnaubte verächtlich und wischte sich mit der Hand, die ich eben noch geschüttelt hatte, über die Nase. Sehr anständig. Tat er wahrscheinlich öfter. Hoffentlich lag im Truck noch Desinfektionsmittel. »Der Mann war allein zu Haus. Er presste sich eine Waffe an den Kopf und drückte ab. Seine Frau fand ihn, als sie nach der Kirche nach Hause kam. Die Waffe hielt er noch in der Hand, als der Krankenwagen dort eintraf.«

Er beugte sich ein wenig nach vorn. »Und bevor Sie mir jetzt mit irgendwelchem Mist kommen, den Sie mal bei CSI oder einer anderen Polizeiserie gesehen haben: Unsere Ballistik-Abteilung hat die Kugel untersucht. Sie passt zu der Waffe.«

Ich nickte, als wären seine Worte voll tiefster Weisheit. »Gab es denn eine Autopsie?«

»Natürlich. Wie hätten wir denn sonst die Kugel aus seinem Kopf bekommen sollen?«, antwortete er und sah dann mit einer übertrieben ausholenden Geste auf seine falsche Rolex. Ich war mir sicher, dass er überall herumposaunte, dass sie echt sei, aber die mattierte Aufzugswelle verriet ihn.

»Und woher stammte die Waffe?«, fragte ich ihn.

»Was meinen Sie damit?«

»Haben Sie die Seriennummer über das ATF nachverfolgen lassen?«

Erneut schnaubte Detective Thompson. »Das war gar nicht nötig. Welche Rolle spielt es denn, woher die Waffe kam?«

Ich ignorierte die Frage. Ein kompetenter Detective hätte die Antwort darauf gewusst.

»Wäre es vielleicht möglich, eine Kopie der Akte zu bekommen?«

»Auf gar keinen Fall«, erwiderte er hastig. »Ermittlungsakten sind vertraulich.«

»Also ist der Fall noch nicht abgeschlossen?«

Er schüttelte den Kopf und sah mich an, als wäre ich ein Idiot. »Doch, der Fall ist natürlich abgeschlossen.« Er betonte sorgfältig jedes einzelne Wort, als würde er sich mit einem Kind unterhalten. »Es war Selbstmord. Das sagte ich Ihnen doch bereits.«

»Sind Sie sich darüber im Klaren, dass dem Gesetz nach, alle Akten eines geschlossenen Falls öffentlich zugänglich gemacht werden müssen?«

Er verdrehte die Augen. »Dann verklagen Sie mich doch. Sind wir hier fertig?« Er sah wieder auf die Uhr. Mir war klar, dass es zwecklos war, ihm noch weitere Fragen zu stellen. Das war, als würde man mit einer Wand reden.

»Ja, natürlich. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen Ihre wertvolle Zeit geraubt habe.« Er wandte sich schon zum Gehen um, doch dann fiel mir noch etwas ein. »Oh, eine Frage hätte ich aber noch, wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann bin ich auch schon weg.« Er hielt auf halbem Wege inne und funkelte mich giftig an. »Ich bin überzeugt davon, dass Sie hier ganz ausgezeichnete Ermittlungsarbeit geleistet und die richtigen Schlüsse gezogen haben, aber falls ich dennoch auf Beweise stoßen sollte, die möglicherweise einen anderen Schluss zulassen, würden Sie mir dann zuhören?«

Detective Thompson starrte mich kurz an, als wäre ich etwas ganz und gar Widerwärtiges, das an seinem Schuh klebte, doch dann lächelte er mich von oben herab an. »Aber sicher doch, Mister Privatdetektiv. Wenn Sie etwas herausbekommen sollten, dann lassen Sie es mich ruhig wissen.«

Reichlich frustriert kehrte ich zu meinem Truck zurück. Wenn ich an die Akte heranwollte, musste ich zuerst bei Gericht einen Antrag stellen. Das würde allerdings etwas kosten, und Rhoda Gwinnette war eine Frau mit eingeschränkten finanziellen Mitteln. Nun steckte ich in einer Zwickmühle. Ich glaubte immer noch, dass es ein Selbstmord war, aber dieser sogenannte Detective hatte mich verärgert und ich würde ihn deshalb nur zu gern in seine Schranken weisen.

Als ich mich meinem Truck näherte, sah ich plötzlich etwas auf der Ladefläche liegen. Es war einer von diesen braunen Ziehharmonikaordnern, die mehrere Dokumente fassten. Ich hob ihn beiläufig auf und stieg ein. Auf dem Ordner klebte ein Post-it, auf dem stand, dass ich dem wahren Sheriff von Rutherford County schöne Grüße bestellen und die Akte zurückbringen solle, wenn ich damit fertig war.

Vorsichtig spähte ich hinein. Es schien sich um die Stammakte der Ermittlungen im Fall Lester Gwinnette zu handeln. Dieses Mal war das Glück wohl ausnahmsweise auf meiner Seite. Ich zündete mir eine Zigarre an, sah für mehrere Minuten die Akten durch, dann steuerte ich meinen Truck in Richtung Rockvale.

Kapitel 7

So sehr ich mich auch bemühte, schaffte ich es jedoch nicht, den Buick aus der Hütte zu bekommen. Die Reifen waren platt und die Bremsen hatten sich festgefressen, was typisch war für Wagen, die längere Zeit nicht bewegt worden waren. Mehrere Minuten lang zerrte ich nun schon an dem Wagen herum, doch das Einzige, was ich damit erreichte, waren ein schweißgetränktes Hemd und beginnende Kopfschmerzen. Rhoda sah mir rauchend und hinter dem Fliegengitter stehend dabei zu. Ich gab es irgendwann auf und lief zu ihr hinauf. Nur das Fliegengitter trennte uns.

»Ich werde einen Abschleppwagen mit einer Seilwinde brauchen. Könnte ein paar Tage dauern, bis ich wieder herkomme.«

Ihr Gesichtsausdruck wurde daraufhin noch einmal ein gutes Stück trauriger, obwohl ich hätte schwören können, dass das eigentlich unmöglich war. »Muss ich die Rechnung für den Abschleppdienst auch übernehmen?«, fragte sie.

»Oh, natürlich nicht«, erwiderte ich und sah sie aufmunternd an. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich kümmere mich schon darum.« Aus meiner Gesäßtasche kramte ich ein Taschentuch hervor und wischte mir den Schweiß vom Gesicht. Ich sehnte mich danach, nach Hause zu kommen und eine erfrischende kalte Dusche zu nehmen, aber ich war noch nicht ganz fertig hier.

»Bevor ich gehe, würde ich gern noch ein paar Dinge mit Ihnen durchgehen. Ich habe die Akte und würde Ihnen gern ein paar Fotos von Lester zeigen. Glauben Sie, dass Sie das schaffen?«

»Natürlich«, antwortete sie mit ihrer typischen, verbittert klingenden Stimme und entriegelte die Tür. Drinnen wartete bereits eine Tasse Kaffee auf mich. Ich nahm sie dankend an und unterzog sie meinem gewohnten Anreicherungsprozess, dann griff ich in den Ziehharmonikaordner, holte einen Stapel Fotografien hervor und breitete sie auf dem Küchentisch aus.

»Das wird jetzt nicht ganz leicht für Sie sein, aber ich muss Sie trotzdem bitten, sich die Aufnahmen aufmerksam anzusehen«, sagte ich. Sie nickte zaghaft.

Die Fotografien waren farbig, aber auf billigem Kopierpapier anstatt auf hochwertigem Fotopapier ausgedruckt worden. Ich hatte keine Ahnung, wieso. Entweder war das Polizeirevier zu knauserig gewesen, oder es war Detective Thompson schlichtweg egal gewesen, als er die Akte angelegt hatte. Ich hatte mir die Akte vor der Fahrt hierher nur kurz angesehen, aber sie wirkte dürftig und unorganisiert auf mich. Ein äußerst schlechtes Zeichen. Rhoda zündete sich mit zitternden Händen eine weitere Zigarette an, bevor sie einen Blick auf die Aufnahmen warf. Nach einer Weile nahm sie eine davon in die Hand, untersuchte sie sorgfältig und reichte sie mir.

»Mit dem hier stimmt etwas nicht.«

Ich sah mir das Bild genauer an. Es zeigte Lester, der halb auf der Seite und halb auf dem Bauch auf dem Boden lag. Auf der rechten Seite in seinem Kopf klaffte eine Schusswunde, direkt hinter seinem Ohr. Unter seiner rechten Hand lugte ein billiger, stahlblauer Revolver hervor. Ich deutete auf die Waffe.

»Ist das der Revolver, von dem Sie mir erzählt haben? Den Sie noch nie zuvor gesehen hatten?«

Sie nickte. »Und da ist noch etwas anderes … Lester hält die Waffe mit der rechten Hand, was wirklich seltsam ist, denn Lester ist Linkshänder. Vor zwei Jahren brach er sich außerdem den Zeigefinger an der rechten Hand. Er weigerte sich, deswegen zu einem Arzt zu gehen, und der Finger heilte deshalb nie wirklich. Er war seitdem immer leicht gebogen und Lester konnte ihn nicht mehr ganz strecken und meinte, dass er auch keine Kraft mehr darin hätte. Mit dieser Hand kann er also nicht geschossen haben.« Während sie mir das erzählte, hatte ich die Tasse an die Lippen gehoben und gerade einen Schluck von ihrem grauenhaften Kaffee genommen, deshalb prustete ich nun ein wenig davon über den Tisch.

»Sind Sie ganz sicher?«, fragte ich, ohne nachzudenken. Was für eine dumme Frage! Sie war mehr als dreißig Jahre mit diesem Mann zusammen gewesen, natürlich wusste sie, dass er Linkshänder gewesen war!

»Ja, Sir«, antwortete sie und stand eilig auf. Sie riss ein paar Papiertücher ab und begann, meine Sauerei aufzuwischen.

»Okay«, erwiderte ich leise und wartete, bis sie fertig war und sich wieder setzte. »Rhoda, haben Sie seit Lesters Tod mit einem Ihrer Nachbarn gesprochen?«

»Ja, die waren alle sehr liebenswürdig zu mir. Eine von ihnen machte sogar einen Auflauf für mich und meine Familie, aber von denen tauchte hier keiner auf.« Ihre Lippen begannen zu zittern. Wahrscheinlich würde sie gleich anfangen, zu weinen.

»Wissen Sie, ob irgendjemand von denen von den Detectives befragt worden ist? Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, die ganze Akte zu lesen, aber es scheint keinen Bericht darüber zu geben, dass man mit ihnen gesprochen hat.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht, dass ich wüsste, Detective.«

Während sich Rhoda weiter die Aufnahmen vom Tatort ansah, widmete ich mich den Nahaufnahmen der Schusswunde. Ein Schuss aus nächster Nähe und eine Waffe, die in direktem Kontakt mit der Haut stand, hinterlassen immer einen ringförmigen Abdruck. An Lesters Kopf gab es zwar Schmauchspuren, aber keinen Abdruck. Der Lauf der Waffe hatte sich demnach zwar recht nah an seinem Kopf befunden, aber doch in einiger Entfernung. Das ließ für mich nur einen Schluss zu: Es war doch Mord!

Mein Hemd war immer noch feucht und wahrscheinlich sah ich aus, als hätte ich eine Herde Kühe zusammengetrieben, aber ich musste trotzdem noch unbedingt bei ein paar Leuten vorbeischauen. Damals, als ich noch ein echter Detective gewesen war, nannten wir das Klinkenputzen. Eine Vorgehensweise, die Detective Thompson offensichtlich unbekannt war.

Doch ich hatte kein Glück. Direkt auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, ein wenig älter als ich und angezogen wie ein Hippie. Er hatte sich offenbar seit Jahren nicht mehr rasiert und sah mich die ganze Zeit über an, als ob ich jeden Moment seine Marihuana-Plantage auffliegen lassen wollte. Das Einzige, was aus ihm herauszubekommen war, war, dass er ein dunkles Auto die Auffahrt hatte hinunterfahren sehen, wenige Minuten bevor Rhoda nach Hause gekommen war. Doch dann schweifte er ab und kam auf die Verschwörung rund um 9/11 zu sprechen, und ich entschuldigte mich daraufhin höflich.

Ich kehrte zu Rhoda zurück, bat sie um Glas Eiswasser anstatt eines weiteren Kaffees, redete noch eine Weile mit ihr und ließ sie dann wissen, dass ich mich wieder bei ihr melden würde, bevor ich nach Hause fuhr.

Ich musste dringend ein paar Telefonate führen. Das Erste mit Onkel Mike. Doch die Mailbox meldete sich sofort.

»Hör zu, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen. Ruf mich morgen früh an.« Das war kryptisch genug, um seine Neugier zu wecken und dafür zu sorgen, dass er mich tatsächlich sofort anrufen würde, nachdem er aufgestanden war. Ich war nämlich gerade dabei, dem rätselhaften Verschwinden meines Wildcats auf die Spur zu kommen und wie er seinen Weg in die Hütte eines Lasterfahrers in Rockvale, Tennessee gefunden hatte.

In dem Moment, als ich Ronald anrufen wollte, klingelte mein Telefon. Der Anruf kam von Micks Zigarren-Bar. Ich tippte auf das Icon, um den Anruf anzunehmen.

»Liebling, du sollst mich doch nicht mehr anrufen. Ich glaube, Mick wird langsam misstrauisch.«

»Sehr witzig, du Klugscheißer«, knurrte Mick. »Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich dich deswegen anrufe, aber ich habe hier eine sehr attraktive junge Dame in meinem Laden sitzen.«

Oh Mann, das musste Anna sein, dachte ich.

»Zuerst trank sie nur Kaffee, aber jetzt ist sie schon bei ihrem dritten Bier angelangt und starrt die ganze Zeit zum Fenster hinaus. Ich glaube, sie wartet auf dich, was bedeutet, dass sie ein wenig zurückgeblieben sein muss.«

Seine Bemerkung ließ mich unwillkürlich grinsen. »Du weißt schon, dass es eine Menge Leute gibt, die diesen Ausdruck für beleidigend und diskriminierend halten, oder?« Mick prustete nur.

»Ist mir egal. Der ganze Kaffee und das Bier machen sich aber offenbar so langsam bemerkbar. Sie war jetzt bestimmt schon zum zwanzigsten oder dreißigsten Mal auf dem Damenklo. Du musst etwas unternehmen, bevor meine Wasserrechnung unbezahlbar wird.«

»Oh mein Gott, das ist das Ende der Welt.«

»Kommst du jetzt vorbei oder nicht?«

Na ja, die Zigarren waren mir sowieso bereits wieder ausgegangen. »Klar, ich bin in einer halben Stunde da. Mach mir schon einmal eine Kiste von diesen Rocky Patels fertig.«

Mick murmelte irgendetwas Unverständliches und legte auf.

Ich roch nicht besonders gut, aber ich glaubte, dass das nicht weiter auffallen würde. Als ich vor dem Laden vorfuhr, erkannte ich sie sofort im Schaufenster. Selbst vom Parkplatz aus konnte ich sehen, dass sie lächelte und mir sogar zuwinkte. Ich musterte mich noch einmal hastig im Rückspiegel.

»Hi«, begrüßte sie mich, als ich den Laden betrat. »Ich hatte mich schon gefragt, ob Sie noch kommen würden oder nicht.« Sie trug kakifarbene Cargo-Shorts, die kaum ihre Pobacken bedeckten, und ein engsitzendes Poloshirt, das in den Farben der Tennessee Titans gehalten war und auch, deren Logo zeigte. Viele von den Stammgästen gafften sie ganz unverfroren an, aber sie tat so, als würde sie es gar nicht bemerken.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kam auf einen Abstecher vorbei, um eine Kiste Zigarren zu besorgen, ich bin den ganzen Tag draußen in der Hitze herumgefahren und rieche wahrscheinlich im Moment nicht allzu gut.«

»Das stimmt«, rief Mick dazwischen. »Außerdem stinkst du nach abgestandenen Zigaretten.« Er schnappte sich die Kreditkarte aus meiner Hand und rechnete meinen Einkauf ab.

Ich ignorierte ihn. »Wie auch immer, ich bin eigentlich gerade auf dem Weg nach Hause. Was haben Sie denn heute noch vor?«

Sie zögerte. »Können wir uns draußen unterhalten?«

»Aber sicher doch, kleine Lady«, sagte Mick und gab mir meine Karte und die Kiste mit Zigarren. »Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Rechnung. Die hat der Spaghettifresser hier übernommen.«

Ich sah ihn mit einem missbilligenden Blick an, der ihm sagen sollte, dass ich ihm das bei Gelegenheit noch heimzahlen würde. Mick grinste mich jedoch nur vergnügt an.

Ich lief mit Anna zu ihrem Wagen und sah ihn mir etwas genauer an. Es war ein Nissan Cube.

»Sieht interessant aus«, kommentierte ich.

»Ich liebe ihn. Er ist mein Baby«, sagte sie mit einem stolzen Grinsen. »In der Stadt komme ich mit einer Gallone fünfundzwanzig Meilen weit, und ich habe mir außerdem noch eine tierische Anlage einbauen lassen.«

»Sehr schön.«

»Sie mögen ihn nicht.«

»Das wäre kein Auto, das ich mir kaufen würde, nein, aber ich stehe eher auf ältere Wagen. Also, worüber wollten Sie sich mit mir unterhalten?«

Sie sog die Luft ein und lächelte vorsichtig. »Die Sache ist die: Ich war nicht ganz ehrlich zu Ihnen.«

»Oh, inwiefern?«, fragte ich.

»Meine ältere Schwester heißt Alicia. Wir beiden standen uns nie besonders nahe. Kurz nachdem unser Vater umgebracht worden war, zog sie aus und geriet in die falschen Kreise. Jedenfalls wird sie jetzt schon seit über einem Jahr vermisst. Der letzte Ort, an dem sie gearbeitet hat, war das Red Lynx

»Deshalb arbeiten sie also dort«, schlussfolgerte ich. Das war natürlich auch eine Möglichkeit, herauszufinden, was mit ihrer Schwester passiert war.

Sie nickte. »Ich dachte, ich freunde mich mit den anderen Mädchen an und sehe mal, ob ich etwas herausfinden kann. Das Problem ist nur, dass keines der Mädchen dort gearbeitet hat, als Alicia noch da war.« Ich nickte verstehend. »Aber egal, ich war schon immer fasziniert von der Polizeiarbeit, und daran sind nur Sie schuld. Seit sie den Mord an meinem Vater gelöst haben, frage ich mich, wie es wohl sein muss, als Detective zu arbeiten.«

Ich musste kichern. »Na ja, es ist nicht ganz so wie im Fernsehen, und die meisten Leute würden es wahrscheinlich ziemlich langweilig finden.«

Sie nickte, blieb von meiner Bemerkung aber unbeeindruckt. »Okay, was ich eigentlich sagen will, ist … ich frage mich, ob Sie mir vielleicht helfen könnten, meine Schwester zu finden.«

Ich blinzelte, nahm meine Krawatte ab und öffnete den obersten Knopf meines Hemdes.

»Also, ich weiß nicht, Anna.«

Anna ergriff meine Hand und drückte sie innig. »Ich kann Sie bezahlen und ich kann Ihnen sogar bei Ihren Nachforschungen helfen. Ich könnte Ihre Assistentin werden.« So sehr es mein müdes Hirn erlaubte, dachte ich darüber nach.

»Haben Sie ihr Verschwinden denn der Polizei gemeldet?«, fragte ich.

»Ja, natürlich. Ich habe meine Mutter überredet, es zu melden, aber der Fall schien irgendwann im Sande zu verlaufen. Ich glaube, die Cops haben sich keine große Mühe damit gegeben.«

Mein erster Impuls riet mir, den Fall abzulehnen. Klar, vielleicht konnte sie sich mich leisten, aber ich wusste, dass ich von ihr niemals Geld annehmen würde, und das wären dann schon zwei Fälle, für die ich keine Kohle sehen würde. Keine gute Idee. Aber anstatt einfach Nein zu sagen …

»Nun, darüber lässt sich reden, denke ich.«

Ihre Augen leuchteten auf und ein breites Lächeln erstrahlte in ihrem Gesicht. Die Zahnspange hatte sich gelohnt, denn ihre Zähne waren auf perfekte Weise gerade. Sie erinnerte mich ein wenig an eine junge Reese Witherspoon.

»Fantastisch«, rief sie überglücklich. »Dann lassen Sie uns doch alles Weitere bei Ihnen zu Hause besprechen. Ich hole nur schnell meine Reisetasche und dann komme ich mit. Ich habe schon zu viel getrunken und sollte besser nicht mehr Autofahren.«

»Moment mal, was?«, fragte ich, aber Anna hatte bereits ihren Wagen aufgesperrt und holte etwas von ihrem Rücksitz. Eigentlich wollte ich ihr widersprechen, aber sie beugte sich gerade nach vorn, und diese Shorts, die wirklich außerordentlich knapp waren … na ja, sagen wir einfach, dass es mir schwerfiel, mich zu konzentrieren.

Ich drehte mich um und sah zu Mick, der uns durch das Schaufenster beobachtete. Sein breites, feistes Grinsen war nicht zu übersehen. Dafür würde ich noch eine Menge Scheiße einstecken müssen, das war mir klar, und er würde auch so lange es ging, darauf herumreiten. Anna stieg auf der Beifahrerseite in meinen Wagen und klaubte dabei den Ziehharmonikaordner vom Sitz.

»Was ist das?«, fragte sie.

»Die Lester-Gwinnette-Akte.«

Ihre Augen wurden größer. »Kein Scheiß?«

»Nein, kein Scheiß.«

»Darf ich sie mir mal ansehen?«, fragte sie neugierig.

»Wenn wir bei mir zu Hause angekommen sind, können wir sie gern gemeinsam durchgehen. Übrigens … sind Sie sich sicher, dass Sie das tun wollen? Sie kennen mich ja kaum.« Und ich dich auch nicht, fügte ich in Gedanken hinzu. Jener Teil meines Gehirns, der mich mit Paranoia fütterte, fragte sich, ob sie mir vielleicht gerade eine Falle stellte. Schließlich war sie eine Stripperin, die in einem Laden arbeitete, der dem Anführer einer berüchtigten Motorrad-Gang gehörte.

Sie sah mich an und grinste. »Oh, Sie sind ein guter Mann, Thomas. Das weiß ich.« Doch dann verschwand ihr Lächeln. »Außerdem habe ich gerade gleichzeitig Stress auf der Arbeit und mit meiner Zimmergenossin. Ich wollte sowieso ein wenig Abstand gewinnen.«

Während der Fahrt wurde sie schweigsamer, und ich ebenfalls. Ich weiß nicht, worüber sie nachdachte, aber meine Gedanken waren eine Mischung aus dem Mord an Lester, Sex, meinem alten Buick, Sex, der Robard Trucking Company, Sex, Anna und Sex. Mein Telefon klingelte. Es war ein Alarm, der durchgestellt wurde.

Anna hörte es und sah mich neugierig an. »Eine Textnachricht?«, fragte sie. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, es ihr umständlich zu erklären. Mein Überwachungssystem besaß Bewegungssensoren. Meistens schlugen diese Alarm, wenn sich ein Reh auf meinen Hof verirrte, deshalb wollte ich es eigentlich zuerst ignorieren, aber dann siegte schließlich doch mein Verfolgungswahn. Ich fuhr an den Straßenrand und hielt an. Waren Duke und seine Jungs vielleicht gerade vor meinem Haus und warteten dort auf mich?

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Anna.

Ich tippte auf meinen Handybildschirm. In der Auffahrt stand ein vertrautes weißes Auto und auf der Veranda saß ein Mann und rauchte eine Zigarette. Ich wechselte zu der Kamera, die meine Veranda überwachte, und vergrößerte den Bildausschnitt. Es war Onkel Mike.

Erleichtert atmete ich aus. »Oh, alles in Ordnung. Ich versuche nur, während der Fahrt nicht zu tippen.«

Sie grinste schelmisch. »Wartet eine eifersüchtige Freundin auf Sie?«

»Darüber hätten Sie nachdenken sollen, bevor Sie einfach zu mir in den Truck gesprungen sind«, sagte ich, sah in den Rückspiegel und fädelte mich wieder in den Verkehr ein.

Ihr Grinsen verschwand. »Ich hoffe, das war nur ein Witz.«

Zehn Minuten später waren wir da.

»Dieser verdammte Köter knurrt mich die ganze Zeit an«, beschwerte sich Onkel Mike mürrisch, als Anna und ich hinauf zur Veranda liefen. »Er kennt mich, seit du ihn hast, und kann mich immer noch nicht leiden.«

»Er kann niemanden leiden. Er mag nicht einmal mich, und dabei bin ich derjenige, der ihn immer füttert.« Onkel Mikes Augen wanderten zwischen mir und Anna hin und her.

»Anna, das ist Onkel Mike.«

»Hi«, begrüßte sie ihn. Mike schüttelte ihr die Hand. Anna bemerkte das Zittern und warf mir einen fragenden Blick zu, der ihm aber nicht entging.

»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Missy«, sagte er. »Ich habe Parkinson.«

»Oh.« Anna war die Sache sichtlich unangenehm. Die Diagnose hatte Onkel Mike schon vor ein paar Jahren bekommen, doch in letzter Zeit war es deutlich schlimmer geworden. Was nun folgte, war ein unangenehmes Schweigen.

»Ist schön hier«, sagte Anna schließlich. Dabei war es dunkel und man konnte kaum etwas sehen. Ich schätzte, sie versuchte einfach nur, höflich zu sein.

»Missy, könnten Sie vielleicht kurz drinnen warten? Ich müsste etwas Vertrauliches mit meinem Neffen besprechen.«

»Klar. Sie können mich aber gern Anna nennen.« Ich sperrte ihr die Tür auf, schaltete den Alarm ab, und sie ging hinein. Drinnen sah ich ein paar Lichter angehen und fragte mich kurz, ob ich irgendwo schmutzige Unterwäsche herumliegen hatte.

Nach dem frühen Tod meiner Frau hatte ich nicht mehr in dem Haus leben können, in dem sie umgebracht worden war. Ich hatte es deshalb verkauft und stattdessen jenes, in dem ich nun lebte, erworben. Das Haus war eine einfache Blockhütte aus einem Bausatzsystem; klein, was die Quadratmeter anbelangte, aber für einen alleinstehen Mann mehr als ausreichend. Die Vordertür führte in ein Foyer und von da in die Küche. Die einzige Abgrenzung zwischen der Küche und dem restlichen Wohnraum bestand aus einem freistehenden Küchentresen. Auf beiden Seiten des Hauses gab es ein Schlafzimmer mit einem eigenen Badezimmer. Hinter dem Blockhaus stand noch das Fertigteilhaus aus Metall, welches beinahe so groß war wie das Haupthaus selber. Ich vermutete, dass ich darin mehr Zeit, als in meinem eigentlichen Wohnhaus verbrachte.

Ich zog meinen Flachmann hervor, befeuchtete mir die Kehle und reichte ihn dann an Onkel Mike weiter. Dieser sah zu, wie sie ins Haus spazierte. »Ein süßes Ding«, sagte er. Mit einem Taschentuch wischte er die Öffnung ab und trank.

»Schön, dass wir uns da einig sind. Hast du meine Nachricht bekommen?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte mein Handy nicht an.«

»Ah, okay. Was führt dich dann hierher?«

»Ich habe deinen Vater besucht.« Ich starrte ihn durch das Halbdunkel hindurch an. Mein Vater, sein Bruder, war normalerweise bei uns kein Thema. »Ihm geht es nicht so gut in letzter Zeit und er hat heute nach dir gefragt.«

Der bloße Gedanke an ihn ließ mich verkrampfen. »Der kann mir gestohlen bleiben. Wie geht es dir?«

Er nahm einen weiteren Schluck, bevor er antwortete: »Die Medikamente schlagen nicht mehr so gut an.«

Ich nickte wortlos. Diese Krankheit würde ihn langsam aber sicher umbringen.

Er zog an seiner Zigarette. »Bevor ich sterbe, muss ich aber noch für einige Sünden Abbitte leisten. Ich denke deshalb, es ist an der Zeit, dir die Wahrheit über jene Nacht zu erzählen. Father Anthony ist der gleichen Ansicht.« Ah, natürlich, Father Anthony. Er musste mittlerweile achtzig oder neunzig Jahre alt sein, doch ich war seit Jahren nicht mehr in der Kirche gewesen.

»Das ist doch Schnee von gestern, Onkel Mike.« Ich versuchte, die Erinnerungen an jene Nacht, von der er sprach, zu verdrängen, und wechselte deshalb rasch das Thema. »Du musst doch so spät nicht mehr zurückfahren. Wieso bleibst du nicht einfach hier? Es gibt da ein paar Dinge, die ich dir gern zeigen und über die ich mich mit dir unterhalten würde.«

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
09 ноября 2020
Объем:
530 стр.
ISBN:
9783958353633
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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