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Kapitel 2

Mein Morgen begann mit einem Becher Kaffee, dann zwang ich mich zu einer erschöpfenden Trainingseinheit. Ich war in letzter Zeit ein wenig nachlässig geworden, aber die Begegnung mit den Bikern hatte mich dazu gebracht, meine Faulheit noch einmal zu überdenken.

Als ich damit fertig war, auf den Sandsack einzudreschen, taten mir die Fäuste weh und ich keuchte wie ein alter Staubsauger. Ich zog die Boxhandschuhe aus und verzog schmerzhaft das Gesicht, als ich danach versuchte, meine Finger zu bewegen. Der Muskelkater schien stärker zu sein, als ich ihn aus jüngeren Tagen in Erinnerung hatte.

Nachdem ich wieder normal atmen konnte, setzte ich mich hin und zündete mir eine Zigarre an. Meiner Ansicht nach hatte ich sie mir nach diesem Training redlich verdient. Ich genoss ihr Aroma und sah mich in dem metallenen Fertigbauhaus um. Es diente mir sowohl als Fitnessraum als auch als Garage und als Aufbewahrungsort für all die Dinge, die die meisten anderen Menschen als Ramsch angesehen hätten. Neben meinem ganzen Stolz, dem schwarzen Cabrio, parkten dort auch noch zwei weitere Fahrzeuge in unterschiedlichen Stadien der Verwahrlosung.

Mein einziger anderer fahrbarer Untersatz war ein Ford F150 Pick-up Truck, Baujahr 2010. Den hatte ich gebraucht gekauft, doch außer einem Satz neuer Reifen, Bremsen und einer neuen Batterie hatte mir der Wagen seither nie irgendwelche Probleme gemacht. Die anderen beiden Autos waren zwei Muscle-Cars aus den Sechzigern, ein 1968er Dodge Challenger und ein 1971er Chevy Camaro SS. Ich hatte beide zu einem fairen Preis erstehen können und hatte eigentlich vorgehabt, sie aufzuarbeiten und dann teuer weiterzuverkaufen, aber mein chronischer Geldmangel hatte mich bislang von diesem Unterfangen abgehalten. Ich hatte mich stattdessen dafür entschieden, die beiden Wagen bei Craigslist einzustellen, und machte mir in Gedanken eine Notiz, es endlich zu tun. Es tat mir zwar in der Seele weh, aber derzeit war ich wirklich knapp bei Kasse. Wenn sich das nicht schleunigst änderte, würde ich womöglich sogar auf meine teuren Zigarren verzichten müssen.

Mein Hund schaute mich nun an. Er war ein hässlicher gescheckter Köter um die siebzig Pfund, der die meiste Zeit über ein ziemlich unbeherrschtes Wesen an den Tag legte. »Was meinst du, Henry?«, fragte ich ihn. Er schien jedoch keine Meinung zu diesem Thema zu haben und trottete kommentarlos davon.

Bis ich meine Zigarre aufgeraucht hatte, vertrödelte ich meine Zeit in der Garage. Danach füllte ich Henrys Futterschale mit etwas von dem überteuerten Hundefutter, zu dem mir mein Tierarzt geraten hatte, und nahm anschließend eine lange heiße Dusche, bevor ich mich meinem Tagwerk widmete. Ich zog mich an, schnappte mir mein Telefon und starrte es für vielleicht zehn Sekunden an. Ein schickes iPhone, die neueste Version.

Ich hasste das Teil.

Die Leute waren inzwischen von den Dingern abhängig geworden, mich eingeschlossen. Schon oft hatte ich einfach mit einem Hammer darauf eindreschen oder es aus dem Fenster werfen wollen, wenn ich auf der Interstate fuhr, aber ohne das Ding hätte ich mein Geschäft auch gleich dichtmachen können.

»Dann wollen wir mal«, murmelte ich und schaltete das Telefon ein. Ich hatte vier Sprachnachrichten und eine SMS bekommen.

Die Sprachnachrichten stammten von Anrufern, die mich dafür einstellen wollten, Beweise zu finden, dass sie von ihren Ehepartnern betrogen wurden. Obwohl ich das Geld gut hätte gebrauchen konnte, löschte ich diese Nachrichten sofort. Hinter untreuen Eheleuten hinterherzujagen ging mir ungeheuer auf den Sack und außerdem war es schwer, hinterher an sein Geld zu kommen.

Die Textnachricht stammte von William, jenem Anwalt, für den ich die Papiere an Turnbull übergeben hatte sollen. Stirnrunzelnd überflog ich die Nachricht. Er antwortete damit auf meine Nachricht vom Abend zuvor und meinte, dass er noch vier weitere Vorladungen herumliegen hätte und sich fragte, ob ich mich nicht ASAP darum kümmern könnte.

»Du elender kleiner Scheißer hast es nicht für nötig gehalten, mir zu verraten, dass der Typ zu einer Motorradgang gehörte.« Ja, ich rede oft mit mir selbst. Ich denke, das ist normal für jemanden um die vierzig, der allein lebt. Ich stand also in meiner Küche, dachte kurz darüber nach, tippte dann auf das entsprechende Symbol und sagte: »Du schuldest mir noch das Geld für die letzten vier. Also bezahle mich – oder leck mich am Arsch – Ausrufungszeichen.« Zu meiner Verärgerung schrieb die App das Wort »Ausrufungszeichen« aus, anstatt das Satzzeichen einzufügen.

»Dieser beschissene Elektronikkram«, murmelte ich, schickte die Nachricht aber trotzdem ab. Weniger als dreißig Sekunden später klingelte mein Telefon. Anwaltskanzlei Goldman.

»Na, das ging ja flott«, murmelte ich, bevor ich ranging.

»Hallo Thomas, hier ist Sherman. Wie geht es dir?«

Er hätte sich nicht extra vorstellen brauchen, denn ich erkannte ihn sofort an seiner Stimme. Sherman Goldman war ein alter Freund von mir. Er arbeitete als Senior-Partner in einer der angeseheneren Anwaltsfirmen der Stadt. Wir hatten uns vor ein paar Jahren kennengelernt, als ich gerade als Officer angefangen hatte. Eines Tages, nach einem Gerichtstermin, hatte er sich mir vorgestellt und mich zu meiner Haltung im Zeugenstand beglückwünscht.

»Hallo Sherman«, antwortete ich. »Alles bestens. Noch besser wäre es allerdings, wenn dein Enkelsohn mich mal bezahlen würde. Wie geht’s dir?« Sein Enkel hielt sich selbst für einen Spitzenanwalt. Keine drei Monate nach Beendigung seines Jurastudiums hatte er bereits sieben oder acht Prozesse am Laufen, was sein Wesen finde ich, ganz gut beschreibt. Aus Gefälligkeit für seinen Großvater griff ich ihm ein wenig unter die Arme, aber der kleine Scheißer hatte mir noch keinen einzigen Scheck ausgestellt.

»Oh wirklich? Über wie viel Geld reden wir denn?«

»So um die zweitausend«, antwortete ich. Ich wusste natürlich, dass das für Sherman Kleingeld war, aber wie gesagt, um mein Einkommen war es in diesen Tagen nicht sonderlich gut bestellt. Sherman musste meinen … sagen wir mal … stockenden Geldfluss wohl gerochen haben.

»Nun, dann sollten wir sehen, wie wir das schnell in Ordnung bringen können. Wieso kommst du nicht einfach in meinem Büro vorbei? Ich lasse dir einen Scheck ausstellen und dann reden wir noch über einen anderen Job.«

»Das wäre großartig.«

»Okay, dann sehen wir uns in einer Stunde.« Er legte auf, noch bevor ich eine andere Zeit vorschlagen konnte. So ist Sherman eben. Sofort klingelte mein Telefon wieder. Die Nummer sagte mir nichts, aber das war nicht ungewöhnlich. Ich meldete mich mit meinem Standardspruch: »Ironcutter Investigations?«

»Hallo, sind Sie der … äh … Privatdetektiv?« Das hörte sich nach einer verknöcherten alten Schachtel an.

»Das bin ich. Mein Name ist Thomas Ironcutter. Was kann ich für Sie tun?«

»Ah, sehr gut. Ich möchte Sie für einen Nachforschungsauftrag engagieren«, sagte sie.

»Sehr gern, Ma’am. Meine Preise sind Ihnen bekannt? Ich veranschlage tausend Dollar pro Woche, für mindestens eine Woche, plus Spesen. Die Bezahlung für die erste Woche muss im Voraus geleistet werden.«

»Eintausend Dollar pro Woche? Das ist ja ungeheuerlich«, rief sie entrüstet.

Ich seufzte. Diese Reaktion bekam ich leider öfter zu hören. Ich habe keine Ahnung, warum die Leute sich stets genötigt sahen, sich darüber zu beklagen. Wenn ihnen mein Gehalt nicht passte, konnten sie doch einfach auflegen, aber nein, so lief das nicht. Ich schätzte, die Leute glaubten, dass sie, wenn sie nur lange genug herumnörgelten und sich beschwerten, das Ganze so ausgehen würde: »Oh mein Gott, es tut mir ja unendlich leid, Ma’am. Bitte erlauben Sie mir, meinen abscheulichen Fehltritt wiedergutzumachen. Ich werde Ihren Fall selbstverständlich umsonst bearbeiten. Oh, nein, noch viel besser, ich bezahle Ihnen Geld dafür!«

Oder so etwas in der Art. In der Vergangenheit habe ich stets versucht, mich professionell zu verhalten, zu erklären, wie sich der Betrag zusammensetzte, aber das hatte nie funktioniert. Also hatte ich eine geniale und absolut sichere Methode für Leute wie diese Dame entwickelt: Ich legte einfach auf. Für gewöhnlich funktionierte das … für gewöhnlich. … dieses Mal jedoch nicht.

Sie rief sofort zurück. »Mister Ironcutter, haben Sie etwa gerade aufgelegt?«, wollte sie scheinbar ernsthaft entrüstet von mir wissen.

»Ja, natürlich. Wieso um alles in der Welt rufen Sie mich denn noch einmal an?«

Eine ganze Weile herrschte Schweigen am anderen Ende. Ich schätzte, meine Frage musste sie verwirrt haben. Ich war kurz davor, das Gespräch erneut zu beenden.

»Ich weiß ja nicht, für wen Sie sich halten, aber man legt nicht einfach auf, wenn man einen potenziellen Klienten in der Leitung hat. Als kompetenter Geschäftsmann sollten Sie so etwas eigentlich wissen«, antwortete sie.

»Meine Teuerste, als ich Ihnen meinen Preis nannte, verriet mir Ihre Reaktion bereits alles, was ich wissen muss. Sie können sich mich nicht leisten und werden deshalb versuchen, mich herunterzuhandeln.« Wieder folgte ein Moment perplexen Schweigens. Ich goss mir in der Zwischenzeit ein Glas Wasser ein und wartete auf eine einfallsreiche Antwort von ihr.

»Junger Mann, Sie wissen gar nichts über mich«, antwortete sie eisig. Das war alles andere als einfallsreich, eher langweilig. Ich hatte wirklich Wichtigeres zu tun.

»Sie haben recht, ich weiß überhaupt nichts über Sie. Wollen wir es nicht einfach dabei belassen?« Das war nicht die erste Antwort, die mir auf der Zunge gelegen hatte, aber ich versuchte, weiterhin höflich zu bleiben.

»Ganz sicher nicht. Wir werden jetzt meinen Fall besprechen«, forderte sie.

»Ich hoffe inständig, dass es nichts mit Ihrem untreuen Ehegatten zu tun hat, denn bei Seitensprüngen ermittle ich nicht«, log ich, denn mich beschlich langsam das Gefühl, dass es genau damit zu tun hatte.

»Und wieso nicht?«, wollte sie daraufhin wissen.

Ich nahm das Telefon vom Ohr und starrte es einen Moment lang ungläubig an. Meine Güte, diese Frau wollte einfach nicht lockerlassen. Ich musste tief durchatmen, um nicht ein paar Dinge zu sagen, die ich hinterher bereuen würde.

»Madam, ich schulde Ihnen bestimmt keine Erklärung. Wenn ich jemanden um mich haben wollte, dem ich den ganzen Tag über Rechenschaft ablegen müsste, wäre ich verheiratet oder wieder bei meiner Mutter eingezogen.« Jetzt legte ich wieder auf, ohne ihre Antwort abzuwarten.

»Verdammt, das wird offenbar wieder so ein Tag.« Ich kümmerte mich noch schnell um ein paar Dinge, unter anderem, dass mein Flachmann mit Scotch gefüllt war, und fuhr dann in die Stadt.

Zwanzig Minuten später saß ich im Empfangsbereich der Goldman Anwaltskanzlei. Es war ein modernes Büro, welches das gesamte zwanzigste Stockwerk in einem Wolkenkratzer in Nashville einnahm.

Mein Hintern hatte sich kaum an das teuer aussehende Ledersofa gewöhnt, als auch schon eine überaus attraktive Frau aus einer der schwarzen Türen trat. Sie musterte mich mit ihren strahlend grünen Augen durch eine nerdig aussehende Brille hindurch, und ich tat das Gleiche, nur mit braunen Augen und ohne Brille. Ich schätzte sie auf Ende dreißig. Sie war schlank und trug ihre langen dunklen Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammengesteckt, der von etwas zusammengehalten wurde, das wie zwei chinesische Essstäbchen aussah. Mit der kessen Brille, die auf ihrer Nase ruhte, sah sie verdammt süß aus.

»Mister Ironcutter?«, erkundigte sie sich mit einer angenehmen Stimme, in der ein Hauch von Südstaatenakzent mitschwang. Sofort stand ich auf. Sie lächelte mich freundlich an. »Ich bin Simone Carson, Shermans persönliche Assistentin.« Sie streckte mir die Hand entgegen, die ich offenbar etwas zu lange schüttelte. Sie wartete jedoch geduldig, bis ich damit fertig war, so als wäre sie es schon gewöhnt, dass sich die Männer in ihrer Gegenwart zum Affen machten.

»Wenn Sie mir bitte folgen würden?«

Und ob ich das wollte! Sie machte eine äußerst gute Figur in ihrem Sekretärinnen-Outfit. Es schmiegte sich genau an den richtigen Stellen an ihre Kurven. Ich wäre ihr überall hin gefolgt. Sie führte mich in ein Eckbüro, von dem aus man einen wundervollen Blick auf das Stadion der Titans hatte. Sherman saß hinter einem großen und mit Schnitzereien verzierten Walnuss-Schreibtisch und sprach mit einem etwa gleichaltrigen Mann. Als ich das Büro betrat, sah er auf und lächelte mich an.

»Thomas«, begrüßte er mich warmherzig. Er war ein älterer Mann, der so langsam auf die Achtzig zuging, mit einem Engelsgesicht und kahlem Kopf. Nur an den Seiten klammerten sich noch ein paar Büschel weißer Haare. Er lächelte und kniff die Augen zusammen. »Schön, dich zu sehen.« Wir schüttelten uns die Hände und er deutete auf seinen Gast.

»Das ist Richter Barrett Conway.« Richter Conway schien wie Sherman in den Siebzigern zu sein. Sein Gesicht war glattrasiert, sein kurzes graues Haar lichtete sich oben auf dem Kopf ein wenig, und er sah mich mit strahlend-blauen Augen durch eine Gleitsichtbrille mit Drahtgestell an. Auch er gab mir die Hand, während Sherman erklärte: »Wir beide kennen uns schon ewig, wir waren damals zusammen auf der juristischen Fakultät.«

Ich nickte. Sherman Goldman war seit mehr als fünfzig Jahren als Anwalt tätig, also musste ihre Freundschaft wirklich schon eine ganze Weile bestehen. Nach der Begrüßung deutete Sherman auf einen Sessel. Simone, die kurz hinausgegangen war, kam nur wenige Augenblicke später mit einer Tasse und einer Kanne zurück.

»Etwas Kaffee, Thomas?«, fragte sie. Ich nickte dankbar, sah ihr dabei zu, wie sie mir anmutig Kaffee einschenkte, und musste feststellen, dass ich sie von Sekunde zu Sekunde mehr mochte. Als sie fertig war, nahm sie neben Sherman Platz.

»Thomas, Barrett ist Richter am Konkursgericht im mittleren Bezirk von Tennessee.« Richter Conway nickte und erhob sich. Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen Gehstock benutzte, aber es war kein gewöhnlicher Gehstock. Ich hatte schon Stöcke wie diesen gesehen. Er war aus dem Hartholz einer Esche gefertigt und ich rechnete förmlich damit, dass eine kleine Drehung am Griff eine spitze Waffe zutage fördern würde. Man konnte nie vorsichtig genug sein, dachte ich.

»Ich lasse euch dann mal allein«, sagte er und warf mir einen ernsten Blick zu. »Sie haben mich hier nicht gesehen, Thomas.« Ich nickte langsam, so als wüsste ich ganz genau, was er von mir wollte, dann gab er Sherman die Hand und ging.

»Ich habe ihm versichert, dass du die Sache diskret behandeln würdest«, erklärte mir Sherman, nachdem Richter Conway uns verlassen hatte.

»Was geht hier vor, Sherman?«, fragte ich.

»Barrett bat ich mich um einen persönlichen Gefallen und ernannte mich im Zuge dessen zum Treuhänder in einer Insolvenz Sache. Ein Chapter-Eleven-Fall.«

Simone beugte sich nach vorn und reichte mir eine dicke Akte. Der Kartenreiter wies die betroffene Firma als Robard Trucking aus – eine Speditionsfirma. Ich überflog die erste Seite, bei der es sich um eine grobe Zusammenfassung handelte. Während ich die Akte anschließend flüchtig durchblätterte, sagte ich: »Wenn ich mich recht erinnere, ist Chapter-Eleven eine Möglichkeit für Firmen, ihre Verbindlichkeiten auf Vordermann zu bringen, während die Geldgeber gleichzeitig daran gehindert werden, zu klagen.«

Sherman lächelte. »Sehr gut, Thomas.«

»Aber ich schätze, da gibt es ein Problem.«

»Für Barrett ist an der ganzen Sache etwas faul, und nachdem ich die Akte gelesen habe, muss ich ihm recht geben. Wir haben den Fall ausführlich diskutiert und dann entschieden, dich mit ins Boot zu holen.«

»Ich kann gern ein paar Vorladungen überbringen, wenn du das willst«, sagte ich.

Sherman lehnte sich in seinem Sessel nach vorn. »Vielleicht sollte ich es dir genauer erklären: Wenn eine Firma den Antrag stellt, nach Chapter-Eleven bemessen zu werden, müssen ein paar bestimmte Auflagen eingehalten werden. Dazu gehört unter anderem, dass der Hauptschuldner binnen einhundertzwanzig Tagen einen Sanierungsplan aufzustellen hat. Im Klartext heißt das: Die Firma muss einen serösen Plan ausarbeiten, wie sie die Schulden abzuarbeiten gedenkt. Die Vorsitzenden von Robard Trucking haben das jedoch bisher versäumt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir glauben, dass die Direktoren der Firma bereits vor Antragstellung einige Zahlungen abgewickelt haben.«

»Und deshalb entschied der Richter, einen Treuhänder einzusetzen«, vermutete ich. Sherman nickte. »Aber, wieso dich?«

»Wie ich bereits sagte, wir kennen uns schon ewig. Wir haben einiges miteinander erlebt.« Er sagte dies auf eine Art, die deutlich machte, dass er nicht vorhatte, näher ins Detail zu gehen, und ich beließ es dabei. Ich meine, Sherman hätte die Sache auch ohne Weiteres einem seiner Junior-Partner übertragen können, aber aus irgendeinem Grund hatte er sich dagegen entschieden, und dieser ging mich offensichtlich nichts an.

Sherman wechselte nun das Thema, indem er auf seine bezaubernde Assistentin zeigte. »Miss Carson hat alle nötigen Unterlagen für dich zusammengestellt.«

Ich sah zu Simone hinüber, nicht ohne zu bemerken, dass er sie ›Miss‹ und nicht ›Missus‹ genannt hatte. Ich gab mir Mühe, möglichst unauffällig nach ihrem linken Ringfinger zu schielen. Kein Ring! Ein gutes Zeichen, zumindest für mich.

»Ich bin immer noch nicht ganz sicher, wie ich dir dabei helfen kann«, sagte ich.

»Ich denke, deine unkonventionelle Herangehensweise ist für diesen Fall wie geschaffen.« Ich sah zu Simone hinüber. Sie blickte mich mit ihren wunderschönen grünen Augen an, jedoch ohne irgendeine erkennbare Gefühlsregung. Ich hatte keine Vorstellung, wie gut sie über mich Bescheid wusste oder was sie in diesem Moment dachte.

»Du willst, dass ich das Geld finde?«

Sherman nickte kaum merklich. »Und alle anderen etwaigen Vermögenswerte.«

»Ich schätze mal, den Vertrag dazu hast du bereits vorbereitet?« Die Frage erübrigte sich. Sherman war die Korrektheit in Person und Verträge gehörten zu seinem Leben. Simone beugte sich zu mir hinüber, angelte sich die Akte aus meinem Schoß und öffnete sie. Direkt auf der ersten Seite befand sich der Vertrag.

»Ja, das dachte ich mir schon«, murmelte ich. Es war ein Standardvertrag, zusammen mit einer umfangreichen Verschwiegenheitserklärung. Simone reichte mir einen Kugelschreiber und ich unterschrieb.

»Ich mache Ihnen eine Kopie davon«, sagte sie und verließ danach das Büro. Wieder ertappte ich mich dabei, wie ich ihr hinterher starrte, und zwang mich dazu, schnell wegzuschauen, bevor Sherman mich dabei erwischte.

»In der Akte findest du Informationen über William und Leona Spieth, der Vorsitzende der Firma und die Vize-Präsidentin, die zufälligerweise auch noch Eheleute sind«, erklärte er. Ich sah in der Akte nach und fand die beiden. Schnell überflog ich ihre Daten, bevor ich Sherman wieder ansah.

»Du glaubst also, die beiden schaffen Vermögen beiseite?«

»Es scheint ganz so, und das ist der Punkt, bei dem ich denke, dass sich deine unkonventionellen Ermittlungsmethoden auszahlen könnten.«

Ich grinste ihn an. Seine Andeutung bezog sich auf einen Freund von mir, Roland. Einem introvertierten jungen Mann, der immer ein wenig so aussah, als würde er an beginnender Magersucht leiden und außerdem, wie es der Zufall so wollte, ein absolutes Computergenie war. Sherman ließ mich damit stillschweigend wissen, dass er sich Resultate erhoffte … aber falls man meinen Aktivitäten auf die Schliche kommen und diese strafrechtlich verfolgen würde, wäre er natürlich komplett unschuldig und hätte keinerlei Kenntnisse über derlei schändliches Vorgehen gehabt.

»Okay«, sagte ich. »Dann habe ich ja einiges zu tun. Doch reden wir jetzt noch mal über deinen Enkelsohn.«

Sherman hob den Zeigefinger und griff nach seinem Telefon. »Schicken Sie ihn rein.«

Eine Minute später schlenderte William Goldman in das Büro. Der gut aussehende, fünfundzwanzigjährige Mann stolzierte herein, als hätte er diese Kanzlei ganz allein zu der Bastion gemacht, die sie heute war. Als er mich sah, blieb er kurz stehen, dann setzte er ein Lächeln auf und streckte mir die Hand entgegen.

»Hey, Thomas, alter Junge, schön dich zu sehen! Ich hoffe, du bist wegen ein paar Jobs hier. Ich habe noch einige Vorladungen, die zugestellt werden müssten«, meinte er. William war das absolute Abbild des jüngeren Sherman. Der junge Mann und Absolvent der juristischen Fakultät Vanderbilt trug einen teuren, maßgeschneiderten Anzug und an seinem linken Handgelenk eine diamantene Rolex. Sein braunes Haar wurde von Unmengen an Haarfestiger und Gel in Form gebracht und er gehörte zu den Stammgästen in den angesagten Nachtklubs in der Gulch und der Music Row.

Sherman reckte den Zeigefinger in die Luft und gab William damit zu verstehen, dass er den Mund halten und zuhören sollte. »Er ist hier, um überfällige Rechnungen einzufordern, William. Gibt es ein Problem, von dem ich wissen sollte?« Sherman blieb gelassen, doch der Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

William nestelte nervös an seiner Krawatte herum. »Nein Sir, überhaupt nicht.« Er sah mich an. »Es tut mir wirklich furchtbar leid, Thomas, es gab da eine Verwechslung, was die Rechnungen angeht. Ich werde mich aber jetzt persönlich darum kümmern, dass man dir deinen Scheck ausstellt.«

»Kümmere dich bitte sofort darum, William. Ich erwarte, dass Thomas bezahlt wird, bevor er das Büro verlässt.«

»Aber die Buchhaltung gibt erst in zwei Wochen wieder Schecks aus«, antwortete er verärgert.

»Ist es etwas Thomas schuld, dass du die Überweisungen nicht rechtzeitig eingeleitet hast?«, hakte Sherman nach. William schwieg. »Dann musst du ihn eben aus deiner eigenen Tasche bezahlen.«

William lief rot an. »Natürlich, Sir«, murmelte er und eilte hinaus.

Shermans Lächeln kehrte nun in sein Gesicht zurück. »Dann ist die einzige Sache, über die wir noch nicht gesprochen haben, wohl die Frage, wann wir uns wieder einmal zum Golfspielen treffen.«

Ich war neugierig, was William und Leona Spieth anbetraf, und deshalb suchte ich ihre Wohnadresse aus der Akte heraus und diktierte sie in mein iPhone. Das Anwesen der Spieths war eine einstöckige Villa im Stil einer Ranch und befand sich in West Meade, einer bekannten Wohngegend in Nashville. Die Häuser waren nicht allzu riesig, hatten zumeist einen großen Vorgarten und waren gut in Schuss. Ich fuhr ein paar Mal um den Block, bemerkte hinter dem Haus noch einen Garten mit Pool, drumherum einen schmiedeeisernen Zaun, aber ansonsten nichts Auffälliges. In der Einfahrt standen auch keine Autos.

»Robard Trucking Company«, sprach ich in mein iPhone und schlug nun die Route ein, die mir die körperlose Stimme ansagte. Zwischendurch musste ich fünf Mal anhalten, um mir die Namen und Adressen der Banken entlang der Fahrt zu notieren.

»Könnte ja vielleicht später wichtig sein«, murmelte ich.

Eine Stunde später fand ich mich an meinem Lieblingsort wieder, einem Zigarrenladen am südlichen Ende der Stadt, ganz in der Nähe der I-65. Als ich den Wagen einparkte, vibrierte mein Handy. Eine Textnachricht, mit derselben Vorwahl wie die Nummer dieser verrückten alten Schachtel von heute Vormittag. Die restlichen vier Ziffern hatte ich bereits wieder vergessen, aber die SMS stammte definitiv von ihr. Ich schaltete den Motor aus und las die Nachricht.

Wir müssen uns unterhalten!

Ich stöhnte, kramte meinen Flachmann hervor und nahm einen großen Schluck. Diese Frau trieb mich so langsam in den Wahnsinn, aber vielleicht besaß sie ja doch genügend Geld, denn immerhin musste ich irgendwie meine Rechnungen bezahlen. Also antwortete ich ihr, dieses Mal ebenfalls als geschriebene Nachricht.

Wenn Sie sich wirklich mit mir unterhalten wollen, schlage ich vor, dass wir uns persönlich treffen und Ihre Situation besprechen. In der nächsten Stunde finden Sie mich in einem Laden namens Mick’s Place.

Ich schrieb ihr die Adresse, tippte auf Senden und betrat den Laden.

Mick O’Hara, der Eigentümer, saß auf einer dick gepolsterten Ledercouch – einer weitaus bequemeren Version als der im Empfangsbereich von Shermans Kanzlei – und las in der Tageszeitung. Er machte sich nicht einmal die Mühe, von seiner Lektüre aufzusehen.

»Gehst du in den Humidor?«

»Zufälligerweise ja.«

»Dann sei ein braver Kerl und bringe mir eine Padron mit. Du weißt schon welche«, sagte er und blätterte seine Zeitung um. So spielte sich das bei ihm immer ab, für gewöhnlich wartete er jedoch, bis ich mich gesetzt hatte, um mir dann zu sagen, dass ich ihm bei der Gelegenheit auch gleich einen neuen Kaffee hätte bringen können. Dieses Mal kam ich ihm allerdings zuvor und füllte gleich beide Tassen, bevor ich mich auf der angrenzenden Couch neben ihm niederließ. Erst dann schien er mich überhaupt richtig wahrzunehmen. Wir holten unsere Zigarren hervor und zündeten sie uns gegenseitig an. Dann zog ich meinen Flachmann aus der Tasche, um meinen Kaffee damit zu verfeinern.

»Na, na, jetzt sei mal nicht so ein knausriger Spaghettifresser.« Erwartungsfroh hielt er mir seine Tasse hin. Ich goss ihm einen reichlichen Schuss ein. »So ist’s recht. Hey, Kim ist gerade losgegangen, um etwas zum Mittagessen zu holen. Soll ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie dir auch etwas mitbringen soll?«

»Sie holt aber doch nicht etwa Sushi, oder?« Ich aß nur selten Sushi. Kim, seine koreanische Frau, konnte das aber offenbar den ganzen Tag lang essen.

»Ach was«, spottete Mick. »Heute gibt es ein gutes Südstaaten-Barbecue, mit Krautsalat und Maisbrot.«

Okay, immer noch besser als Sushi, aber Sodbrennen würde ich davon trotzdem bekommen. Ich nickte und er griff nach seinem Telefon.

Mick war irischer Abstammung in vierter Generation und ich war in vierter Generation Amerikaner mit italienischen Wurzeln. Er liebte es, sich zu streiten, was den Iren meiner Ansicht nach in den Genen lag, war aber der Ansicht, dass die Iren den Italienern weitaus überlegen waren und allen anderen eigentlich auch. Nach dreißig Jahren als Feuerwehrmann hatte er seinen Job an den Nagel gehängt und einen Zigarrenladen eröffnet. Ich war damals sein erster Kunde gewesen.

Ich genoss meine Zigarre und machte mich dann widerwillig daran, meine Sprachnachrichten abzuhören. Das meiste war Mist, aber eine stammte von einem alten Freund von mir, Harvey Wilson. Wilson war Sheriff im Ruhestand und er hatte mir über die Jahre hinweg schon öfter unter die Arme gegriffen. Nach dem zweiten Klingeln nahm er bereits ab.

»Ich versuche jetzt schon seit zwei Tagen, dich zu erreichen. Wo zur Hölle hast du denn bloß gesteckt?«

»Was für eine nette Begrüßung, du Saftsack«, antwortete ich.

»Okay, genug mit dem Gesülze. Du musst mir einen Gefallen tun.«

»Hallo, bist du noch dran? Ich verstehe dich kaum.« Ergänzend machte ich ein paar zischende Geräusche.

»Was? Ach, hör mit dem Scheiß auf. Das ist echt wichtig. Also, nicht wirklich wichtig, aber mir hängt meine Frau unentwegt damit in den Ohren, also ist es wichtig genug.«

Ich grunzte. »Okay, schieß los.«

»Der Pfarrer meiner Frau hat eine Cousine zweiten oder dritten Grades. Ihr Ehemann ist kürzlich gestorben. Als Todesursache hat man Selbstmord angegeben, aber die verrückte Frau ist absolut überzeugt davon, dass es ein Mord gewesen ist.«

»Oh Scheiße, Mann, Harvey, nicht einer von diesen Fällen«, stöhnte ich laut auf. »Hast du eine Ahnung, wie oft ich mit so etwas zu tun hatte, als ich noch bei der Mordkommission gewesen bin? Ich verrate es dir … nahezu immer! Und in jedem dieser Fälle gab es einen Freund oder einen Verwandten, der behauptet hat, dass es Mord gewesen wäre. Die gingen einem so was von auf die Nerven. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Stunden ich damit verplempert habe, idiotischen Hinweisen nachzugehen, nur damit sich am Ende genau das herausstellte, was wir ohnehin schon die ganze Zeit über gewusst hatten.«

Harvey brummte zustimmend. »Nichtsdestotrotz schuldest du mir noch so viele Gefallen, dass ich kaum noch hinterherkomme. Also verrate ich dir, wie du einen oder zwei davon zurückzahlen kannst: Rede mit der Frau.«

Wir stritten uns noch eine ganze Weile, aber dann stimmte ich widerwillig zu. Harvey war all die Jahre ein guter Freund gewesen und hatte mich sogar mit einigen Klienten bekannt gemacht, als ich anfing, als Privatschnüffler zu arbeiten.

»Ich schätze mal, ich kann ihr einen Besuch abstatten«, versprach ich ihm schließlich, hörte mich dabei aber alles andere als enthusiastisch an.

»Ausgezeichnet. Ich habe ihr bereits gesagt, dass du heute Nachmittag gegen fünf vorbeikommst.«

Na großartig, dachte ich. Dann muss ich mich heute nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei verrückten Weibern herumärgern. Ich kramte daraufhin meinen Flachmann hervor und reicherte meinen Kaffee noch ein weiteres Mal an. »Schick mir bitte eine Nachricht mit ihrem Namen und ihrer Adresse.«

Harvey ließ mich wissen, dass er das tun würde, und legte dann auf. Die Nachricht kam bereits eine Minute später herein. Nachdem ich die Adresse studiert hatte, lehnte ich mich auf meiner Couch zurück und starrte Mick an, während ich meine Zigarre rauchte. Er schien zu bemerken, dass ich ihn anstarrte, und sah deshalb auf.

»Was ist los?«, fragte er.

»Ich musste gerade über deinen Nachnamen nachdenken. O’Hara. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das irisch für potthässlich ist.«

Micks Blick schien mich nun durchbohren zu wollen. »Nur, weil du keinen mehr weggesteckt bekommst, musst du das noch lange nicht an mir auslassen.« Er deutete mit seiner Zigarre auf mich. »Dein Name ist noch nicht mal italienisch.« Gespannt wartete er auf eine klugscheißerische Antwort von mir.

»Ich habe es dir doch schon einmal erklärt«, erwiderte ich.

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
09 ноября 2020
Объем:
530 стр.
ISBN:
9783958353633
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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