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Читать книгу: «Das Kind», страница 4

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7

Die Thür zum Salon ging auf, Brink, in höchster Gala, trat ein. »Herr Rutenberg, die ersten Gäste kommen,« sagte er mit seiner umwölkten Stimme. »Herr Domänenrat Lugau und Fräulein Nichte —«

»Schön!« rief Rutenberg laut. »Vortrefflich! Ich komme! Sie sehen da Spielkarten, Brink. Die sind hingefallen. Heben Sie sie auf!«

Brink schaute etwas verwundert hin, dann bückte er sich und begann sie aufzusammeln. Unterdessen trat Rutenberg zu Gertrud, von der er sich bei diesem Anfall von Verzweiflung entfernt hatte, beugte sich über das rosengeschmückte Köpfchen und flüsterte: »Der schöne, herrliche Abend fängt nun also an. Da heißt es also, sich zusammennehmen . . .«

»O hab’ keine Sorge um mich!« flüsterte sie zu ihm hinauf, indem sie sich mit einer Hand über die Augen fuhr, auch zitterte ihre arme Stimme ein wenig. »O, ich werd’ mich zusammennehmen – mit dem Tod im Herzen!«

»Kommen wir zu früh?« fragte Lugau, der eben in die offene Salonthür trat, wie eine schwarze Kugel mit einem großen weißen Dreieck auf der Brust. »Kein Hausherr zu sehn – und auch keine Haustochter, nur die Tante —«

»Ein kleines Mißgeschick!« warf Rutenberg entschuldigend hin und deutete auf die Karten, die Brink noch sammelte. »Wir kommen, Freundchen, wir kommen!«

»Auch meine kleine Nichte ist schon da,« sagte Lugau harmlos. »hab’ sie hergebracht. Wie ’ne Pagode saß das Ding im Wagen, um ihre Toilette zu schonen. Nur einmal – ich sag Ihnen, das war komisch – da wollte sie mir in ihrer Freude danken, daß ich sie auf den Ball führte, und daß ich mein Landgut verkauft und mich mit ihr in die Stadt zurückgezogen hätte, und daß sie infolgedessen so viel tanzen könnte, und wollte mich dafür umarmen, das Ding. Aber da fiel ihr wieder ein, daß sie ihr Ballkleid und alles schonen wollte, und sie erstarrte wieder, wie Lots Weib. Und nur das Köpfchen bewegte sich, so saß sie da.«

Der kleine Lugau setzte sich auf den nächsten Stuhl und spielte seine Nichte.

»Ha, ha, ha!« lachte Rutenberg, der sonst ein so ansteckend herzfröhliches Lachen hatte, mit unnatürlicher Heftigkeit auf. »Sehr gut, sehr gut! – Eilen wir zu Ihrer Nichte!« – Er raunte geschwind noch einmal in Gertruds Ohr; sie war aufgestanden. »Ueber Nacht, hoff’ ich, kommt Vernunft!«

Den Trotzkopf ein wenig wendend, antwortete sie leise: »Wie du es meinst, nie, nie, nie!«

Er hörte, wie sie ein tiefes Schluchzen erstickte. ›Der Ball fängt gut an!‹ dachte er. Ihm selber tanzte es vor den Augen. »Kommen Sie,« sagte er und nahm Lugaus Arm. »es soll ein recht fideler, feiner Abend werden. Uebrigens, die Polonaise müssen Sie mitmachen, da hilft Ihnen kein Gott! – Ein fideler Abend! Hab’ mich lange darauf gefreut —«

»Ich weiß, ich weiß,« fiel Lugau ein; sie traten schon in den Salon. »Glücklicher Vater —!«

»Ja, ja!« stieß Rutenberg hervor und lachte. »Glücklicher Vater! – Schweb’ voran, mein Kind, schweb’ voran . . .«

Gertrud folgte seinem Wunsch, mit noch immer versteinertem, nach einem Lächeln ringendem Gesicht. Jetzt sah sie aber die ersten Gäste, im strahlend hellen großen Saal. Mit dem Tod im Herzen! dachte sie noch einmal, dann fühlte sie, sie hatte gesiegt, sie konnte wieder lächeln. Und von ihm lass’ ich nie! war ihr letzter persönlicher Gedanke. Von nun an war sie nur noch eine junge Dame aus der guten Gesellschaft, die einen Ball giebt, ihren ersten Ball. Sie stürzte sich ins Leben hinein.

Die Säle füllten sich rasch, Gäste über Gäste kamen. Auch Schilcher, in Frack und weißer Krawatte, stieg seine Treppe hinunter; er pfiff sich ein Liedchen. Er hatte eigentlich einen stillen, grimmigen Haß auf diese geschniegelten und gebügelten Tanzfeste, aber heute freute er sich mit aller Gewalt, weil seine Trudel sich freute. Ihm war nun wie wenn er aus einem Traum erwachte, als er bei Rutenbergs ins Vorzimmer kam und dort Doktor Wild stehen sah, der eben seinen Ueberzieher abgelegt hatte und vor den Spiegel trat, um an seiner kleinen schwarzen Halsbinde zu rücken. Schwarze Krawatte? fragte er sich. Wild in schwarzer Krawatte? – Gut, daß ich das noch gesehen habe. Man kommt also heute schwarz!

Der kleine, so oft zerstreute Herr trat geschwind zurück. Wild hatte ihn doch noch, im Spiegel, gesehen. »Schilcher!« rief er. Schilcher hörte nicht mehr, wollte nicht mehr hören. Auf seinen noch immer sehr rüstigen Wanderbeinen stieg er die Treppe wieder hinauf.

Das hätt’ ich auch wissen können! dachte Wild, der Schilchers weiße Krawatte gesehen hatte. Wenn auch Rutenberg gestern sagte: »Es wird ein gemütlicher Familienabend«, ’s ist doch ein wirklicher richtiger Ball. Na, mir kann nichts geschehn! Immer vorbereitet! Er sah sich allein, die Gäste waren alle schon drinnen. Behaglich wie immer, sich Zeit lassend, nahm er die schwarze Binde ab, zog die weiße Binde, die er, schön in Seidenpapier gewickelt, stets in der Rocktasche hatte, aus ihrem Nest hervor und legte sie mit aller Sorgfalt um. Niemand störte ihn. Er stand noch, sein Werk im Spiegel betrachtend, als der hurtigere Schilcher aus seinem Oberstock zurückkam. Wild wandte sich und sah den Oberappellationsrat sehr verwundert an, dessen weiße Binde war schwarz geworden.

Schilcher machte ein ebenso verdutztes Gesicht. »Was haben Sie da?« fragte er. »Was ist das? – Wild, Ihre Krawatte war ja doch eben schwarz?«

»Ja was haben denn Sie gemacht?« fragte Wild dagegen. »Sie waren weiß und sind schwarz geworden?«

»Aha!« sagte Schilcher dem ein Licht aufging. »Weil Sie mich – — weil ich – —«

»Nun ja!«

»Darum haben Sie – —«

»Und Sie auch!« gab Wild zurück. Sie brachen beide in Lachen aus. Wild hell, Schilcher tief.

Rutenberg, der als Hausherr alle Gesichter begrüßt, alle Hände gedrückt hatte – Spießrutenlaufen! war sein Gefühl – hörte dieses lustige, wohlbekannte Lachen aus dem kleinen Vorsaal, durch die jetzt offene Thür, und kam heraus. »Was habt ihr?« fragte er, mit seinem krampfhaft heitern Gesicht. »Worüber lacht ihr?«

Wild trat auf ihn zu: »Das ist die Geschichte von einer schwarzen und einer weißen Krawatte . . .« Er lachte wieder.

»Wie können Sie mich so konfus machen!« rief nun Schilcher aus. »Ich war ja in Ordnung! Heute ist ja Ball!«

Er ging wieder aus der Thür, ins Treppenhaus, und man hörte ihn auf seinen Stufen.

»Schwarze und weiße Krawatte,« sagte Rutenberg zu Wild ». . . ich verstehe kein Wort.«

»Das verdeutsch’ ich dir später,« entgegnete der Doktor dem die humoristischen Augen glänzten, »jetzt muß ich in die Festsäle, Rutenbergs schöne Tochter anschauen und die andern Schönen.« Im sicheren Hochgefühl der vorschriftsmäßigen Krawatte . . . Dieser Schilcher!

Noch einmal auflachend ging er in den Vorsaal und weiter. Rutenberg sah ihm nach, zum erstenmal im Leben mit einer Art von Neid; wie diese Leute lachen können! dachte er. Die haben keine Töchter! – Ihm war, als hätte er in seinen Sälen und Zimmern tausend Menschen gesehen, und mit allen tausend gesprochen. Und so ums Herz herum lag ihm das Gefühl: wär’ es erst vier Uhr morgens und ich läg’ im Bett!

Wo bleibt Schilcher? durchfuhr ihn dann wieder. Wo bleibt dieser Schilcher? – Sein Unglück, deuchte ihm, war erst halb, solange er es nicht mit Schilcher geteilt hatte. Die Unruhe in ihm ward zu groß, er ging aus seiner Wohnungsthür hinaus und stieg die halbe Treppe hinan. »Schilcher! Schilcher!« rief er, da er endlich ein paar Stiefel oben knarren hörte.

»Komme schon, komme schon!« rief der etwas holzige Baß zurück. Schilcher kam herunter. »So,« sagte er heiter und deutete auf seine weiße Krawatte, die er wieder angelegt hatte, »so, jetzt kann ich tanzen! – Was ist dir? Was treibst du dich hier draußen herum? – Du stöhnst?«

»Es ist aus, Schilcher« seufzte Rutenberg.

»Na na na! – Was ist aus?«

»Ich war zu glücklich, Schilcher«, sagte Rutenberg und ergriff ihn am Arm. »Nennt mich nicht mehr glücklich! Ich bin ein geschlagener Mann. Ich bin vernichtet, Schilcher —«

»Oha! Was ist denn geschehn?«

»Gertrud – — das glaubst du nicht!«

»Nun? Was ist mit ihr?«

»Meine – unsere Gertrud —«

Brink erschien unten an der Treppe, auf der sie noch standen. Sein sorgenvolles Gesicht schaute hinauf: »Fräulein Gertrud läßt fragen, Herr Rutenberg, ob man noch nicht anfangen soll, zu tanzen.«

»Tanzen!« rief Rutenberg. »Natürlich! Gewiß! Gewiß soll man tanzen! Musik, Ball – nur vorwärts!«

Brink ging in die Wohnung zurück. »Du bist ja wieder in einer deiner schönsten Aufregungen,« sagte Schilcher mit seiner regungslosen Kaltblütigkeit, denn sobald er den andern überschäumen sah, ward er selber noch ruhiger. »Was giebts also? Unsere Gertrud —«

»Unser ›Kamerad‹! unser Mitmensch! Meine kluge, feine, romantische, schwärmerische Tochter – Schilcher, es ist zu viel!« – Er packte wieder seinen Arm und drückte ihn.

»Es wär aber doch besser,« raunte Schilcher der still hielt wie eine Puppe, »du sprächst dich aus, als daß ich gar nicht erfahre, was los ist. Also was hat Gertrud —«

Unten an der Treppe ward es wieder lebendig; diesmal kam der schlanke, hochbeinige Arthur van Wyttenbach aus der Rutenbergschen Wohnung heraus, mit seinem leichten Geschwindschritt. Er lächelte etwas aufgeregt, aber höchst verbindlich »Entschuldigen Sie Herr Rutenberg! Ich komme im allerhöchsten Auftrag!«

Schilcher fühlte an seinem Arm, wie Rutenberg zuckte, er hörte ihn auch ein paar Silben murmeln, die er nicht verstand. »Sie wünschen, Herr van Wyttenbach?« fragte dann aber der Hausherr mit äußerster Höflichkeit.

»Ich komme im Auftrag der Damen, sie wollen selbstverständlich die Polonaise nicht anfangen, so lange nicht der Hausherr – der ewig junge – —«

Rutenberg stieß wieder einen unverständlichen Laut aus. »Die Polonaise!« rief er dann. »Natürlich . . . Was mach’ ich denn, ich vergesse die Polonaise, die ich anführen soll. Na, das ist denn doch – — Ich komme! Ich komme!«

»Die Damen werden glücklich sein!« rief Wyttenbach hinauf.

Rutenberg stieg eine Stufe hinunter, dann wandte er sich zu Schilcher zurück. »Diesen deinen Hansquast da,« flüsterte er, »den liebt unsre Gertrud. Verstehst du. Und wenn sie ihn nicht heiraten soll, will sie nicht mehr leben . . . Ich komme!« wiederholte er, überlaut, mit einer wilden Heiterkeit, die gar keinen Sinn hatte. »Auf zur Polonaise! —« Mit ein paar Sprüngen war er unten und stürmte mit dem graziös lächelnden Wyttenbach in sein Vorzimmer hinein.

8

Die Musik hatte längst begonnen, durch die noch offen gebliebene Wohnungsthür konnte man sie hören. Schilcher stand immer noch auf derselben Treppenstufe. Er rührte sich nicht. Im Anfang war er wie betäubt, dann lehnte er sich dagegen auf, wie gewöhnlich. Endlich glaubte er kein Wort mehr, oder stellte sich doch, als glaube er keins. So ein Unsinn, brummte er vor sich hin. Rutenberg phantasiert. – Das phantasiert Rutenberg. So was giebt’s ja nicht . . .

Allmählich zog er aber doch sein Taschentuch hervor, und obwohl es auf der Treppe durchaus nicht heiß war – im Gegenteil, ihn begann zu frieren – rieb er sich die Stirn mit dem Tuch, und die beiden Schläfen. Er horchte auf die Musik und dachte: Vorhin ging dieses Mädel beständig »auf das offene Himmelsthor«. Gott in deinem Reich! Wenn dieser Bengel ihr Himmelspartner wäre . . .

Auch über ihn kam nun doch eine böse Unruhe; er ging die Stufen hinunter, trat in Rotenbergs Wohnung ein und machte die Thür hinter sich zu. Heute hatte er einmal gedacht, er, der nie getanzt hatte, es ist Trudels Ball, ich werde vielleicht grotesk und mache die Polonaise mit! Das war ihm nun gründlich vergangen, er wäre am liebsten gleich wieder in sein Nest gekrochen, als »einsamer Spatz«. Er drückte sich am Ballsaal vorbei, flüchtete in das Bücherzimmer, das man für heute zum Spielzimmer gemacht hatte. Hier war er wenigstens allein, alles »promenierte« in der Polonaise, und der Zug war hier schon durchmarschiert und kam nicht wieder. Sich in eine Ecke setzend, die grimmigen Brauen heruntergezogen, die schmalen Lippen ineinandergepreßt, saß er mit seinem holzigsten Gesicht unbeweglich da, bis die Musik ein Ende gemacht und wenigstens dieser Unsinn – einer von vielen auf der Welt! dachte er – aufgehört hatte.

Lugau und Wild, die Whistbrüder, kamen miteinander herein; sie wunderten sich nicht, den dritten Mann schon vorzufinden, und zwar in seiner gewohnten Ecke. »Mit dem Gänsemarsch wären wir fertig!« sagte Doktor Wild zufrieden. »Jetzt wär’ also die Zeit gekommen, einen kleinen Robber zu machen, Schilcher, treten Sie an!«

Schilcher antwortete nichts; er mochte noch nicht sprechen.

»Gesehn haben wir alles,« sagte Lugau und rieb sich die weichen, gepolstertes Hände. »Die hübschen Toiletten und die hübschen Gesichter und die mageren Schultern. Jetzt belohnen wir uns durch ein stilles Whist!«

Er setzte sich an den nächsten Spieltisch. Wild trat auch hinzu. »Schilcher!« rief er.

»Ja, ja,« antwortete der, wie aus dem Schlaf geschreckt. »Nein, nein, wollt’ ich sagen. – Ich war ja noch gar nicht im Saal; hab’ noch keinen Menschen gesehn – nicht einmal —«

Nicht einmal die Gertrud, wollte er sagen; die blieb ihm aber plötzlich in der Kehle stecken.

»Das können Sie später,« bemerkte Wild, »erst ’nen Robber, Schilcher. Kommen Sie her!«

Lugau breitete schon die Karten über den Tisch; dabei schaute er sie verwundert an. »Wer hat denn die Karten schon aus dem Umschlag genommen?« – »Thut nichts, jungfräulich sind sie. – Ziehn Sie aus, meine Herren; wer den Strohmann hat.«

Aus Schilcher fuhr jetzt die Unruhe heraus, die er so lange in sich hinabgedrückt hatte, »hm!« brummte er seufzend vor sich hin. Fast hätte er »unsre Trudel!!« gesagt.

»Was brummen Sie?« fragte Wild.

»Nur so zum Vergnügen,« gab Schilcher zur Antwort, der sich schnell wieder an die Leine nahm. Er stand auf, trat an den Tisch und zog wie die andern seine Karte aus. Nein, dachte er, in dieses Affentheater, wo verliebte Leute herumspringen gehe ich jetzt nicht . . .

Die niedrigste Karte hatte Lugau gezogen . . . »Lugau hat den Strohmann!« sagte Wild und nahm neben ihm Platz. Schilcher begab sich auf die andre Seite. Während er sich in seiner geräuschlosen Weise setzte, nahm Lugau die Karten und fing an zu geben. »Uebrigens,« fuhr Wilds helle, heitere Stimme fort, »ich muß sagen, Gertrud Rutenberg und der junge Wyttenbach sind das hübscheste Paar im Saal . . . Was haben Sie?« fragte er, da Schilcher plötzlich aufstand.

»Ich?« murmelte Schilcher. »Mir war, als läge da was Spitzes auf meinem Stuhl. – Nein, da liegt nichts.«

»Nein, da liegt nichts,« bestätigte Lugau, der sich vorgebeugt und einen scharfen Landmannsblick hingeworfen hatte. Schilcher setzte sich, wie beruhigt, wieder hin. Lugau gab weiter. »Als ich noch Gutsbesitzer war,« begann er dabei zu plauschen »spendierte ich auch einmal so ’nen Ball, nach Weihnachten einer andern kleinen Nichte zu Ehren die sich verplempert hatte —«

Dem heute so komisch unruhigen Schilcher gab’s schon wieder einen Ruck. »Verlobt, mein’ ich,« verbesserte sich Lugau. »Denselben Tag hatten wir fünfzehn Grad unter Null und einen ganz barbarischen Ostwind dazu. Da kam so einer von den jungen Herren, dem waren – ungelogen – dem waren beinahe die Hände abgefroren. So rot waren sie —«

Er streckte unwillkürlich seine Hände aus. Als er sie dann sah, zog er sie allerdings wieder zurück. »Ach was!« sagte er, über sich selber lächelnd. »Knallblaurot waren sie, will ich sagen.«

»Spielen Sie ihn uns nur vor,« rief Wild, »mit den roten Händen!«

Schilcher nickte, indem er wie die andern seine Karten aufnahm. »Ja, und machen Sie uns die fünfzehn Grad unter Null vor —«

»Ich glaube, das kann er!« rief Wild. »Ein Thermometer kann er gewiß ganz vorzüglich spielen!«

»Meine Herren Spottvögel,« entgegnete der Domänenrat, »ich kann auch Whist spielen, und das gar nicht übel, Ihrem respektiven Portemonnaie ist das ja bekannt . . . Er deckte die Karten des Strohmanns auf. Dann, nach einem kurzen Feldherrnblick auf sie, klopfte er mit einer der Anlegmünzen auf den Tisch, zum Ausspielen auffordernd. Bitte, meine Herren, wenn’s gefällig ist!«

»Also, zum Werke, das wir ernst bereiten,« sagte Wild und spielte aus. »Ohne weiteres Trumpf!«

»Mir auch recht,« erwiderte Lugau und spielte für den Strohmann aus.

Die Musik begann wieder, jetzt war’s ein Walzer. Schilcher horchte einen Augenblick; ihm fuhr die Melodie nicht in die Beine, sondern in den Arm, wie wenn er jemand prügeln möchte. Ich wollte, dachte er, ich könnte dieses Süßholz van Wyttenbach – —

»Den hau’ ich auf den Kopf,« sagte er grimmig, als meinte er den Trumpf auf dem Strohmann, und warf seine Karte hin.

Einen Augenblick später kam etwas Dunkles in die Thür, die zum Salon führte. Rutenberg trat auf die Schwelle. Die große, breite Gestalt kam nicht frisch und elastisch wie sonst, sondern müde, als wär’ schon der ganze Ball vorbei und die Nacht herum. Er trocknete sich die Stirn, als hätte er sich bei wildem, dahinrasendem Tanz erhitzt. »Du auch schon da?« fragte Wild, während Lugau nachspielte.

Rutenberg antwortete nicht. Er warf dafür einen so sonderbaren, verstörten Blick zu Schilcher hinüber, daß dieser aufstand, er wußte selbst nicht, warum. »Na?« fragte Lugau verwundert, da der Mann sich erhob, statt, wie es seine Schuldigkeit war, wieder auszuspielen. »Schilcher, es ist Ihr Stich!«

»Ja, ja,« brummte Schilcher. Jetzt stand aber schon der Hausherr bei ihm und faßte ihn am Arm. »Verzeiht!« sagte er zu den andern – einen Augenblick! – Er zog den kleinen Oberappellationsrat zu seinem Wohnzimmer hin; die Whistspieler sahen ihm sehr betroffen nach. »Schilcher!« flüsterte er, als er ihn dort hinter die Thür gedrängt hatte. »Schilcher, ich bin hin!«

»Ich noch nicht,« raunte Schilcher; er ward nun wieder ruhig, da der andere überfloß. – »Es ist wirklich so?«

Rutenberg seufzte . . . »Ja, es ist so, Schilcher. Amor, der blinde Gott! Sie sieht ihren Arthur für ’nen Engel an. Leben und sterben will sie mit ihrem Arthur. – Schilcher! Schilcher! Haben wir das um das Kind verdient?«

»Einer von euch muß nachgeben,« sagte Schilcher trocken. »du oder sie.«

»Ich?« fuhr Rutenberg auf. »Lieber tot!«

Sie hörten, wie nebenan die Whistbrüder mit den Spielmünzen auf den Tisch klopften, zuerst ungleich, dann im Takt. »Was hat dieser Hausherr?« fragte Lugau laut. Noch lauter sagte Wild, die Stimme hebend: »Wie ein vernünftiger Mensch so ’ne Spielpartie unterbrechen kann, ist mir unverständlich!« – »Lugau! Was liegt unten? Schwarz oder rot?«

»Rot,« sagte Lugau.

»Schwarz!« entgegnete Wild.

»Sie fangen an, Abheben zu spielen,« flüsterte Rutenberg. »Sie werden höllisch ungeduldig.«

»Laß sie,« brummte Schilcher. »Haben Zeit bis morgen früh. – Also, wenn du nicht nachgeben willst, dann muß sie nachgeben. Ein drittes giebt’s nicht.«

Rutenberg seufzte leise. »Mit Gewalt? Unmöglich! Sie hat ihres Vaters Kopf! Gewalt macht sie hart wie Stein; macht sie wahnsinnig, Schilcher. Und ich will ja doch mein Kind nicht zu Grunde richten —«

»Ich auch nicht,« ergänzte Schilcher.

»Da tanzen sie!« flüsterte Rutenberg und horchte auf die weiche, wogende, wiegende Musik. »Da tanzt nun diese kleine Blinde mit dem Tod im Herzen . . .«

»Wird ja nicht,« sagte Schilcher leise, immer trockener. – »Gegenmittel!«

»Ich weiß keins!« stöhnte Rutenberg verzagt und warf sich auf einen Stuhl.

Schilcher lächelte, aber nur so mit den Augen. Er trat neben den gebrochenen Riesen und beugte sich ein wenig über ihn hin, beinahe wie eine Mutter über ihr krankes Kind. »Abreisen,« sagte er dann langsam.

»Abreisen?«

Schilcher nickte stumm, legte aber seine Augen so recht auf die des andern und rieb sich die Hände.

Auf einmal belebt sprang Rutenberg wieder auf. »Mensch« sagte er, indem seine blauen Augen zu leuchten begannen, »Mensch, da hast du recht! Du hast ja recht, alter Schilcher. Abreisen – Trennung von dem ›Engel‹ – Entfernung – andre Eindrücke – schöne Gegenden – Menschen – o wie hast du recht! – Es wird uns hier auf einmal zu kalt, zu nordisch, zu winterlich, wir sehnen uns nach dem Süden, wo es jetzt im November noch schön ist, wir sind junge Leute, wollen unser Leben genießen . . . O, wie hast du recht! In aller Liebe und Güte fahren wir mit dem Schnellzug ab . . . Geh’ an deinen Spieltisch, Schilcher. Ich hab’s. Ich bin wieder glücklich!« Er schob ihn vergnügt von sich weg. »Geh! Geh!«

»Nu also!« schmunzelte Schilcher. Weiter sagte er nichts mehr; er trat in das Bücherzimmer zurück und an seinen Platz.

Wild trommelte eben auf den Tisch. »Kann man jetzt die Ehre haben, Herr Oberappellationsrat Gottfried Schilcher, Sie ausspielen zu sehn?«

»Trumpf ist ’ne gute Farbe,« sagte Schilcher ruhig und spielte aus. Die andern murrten nicht mehr, sie fragten auch nicht. Sie kannten ihren Rutenberg, das »alte Quecksilber«. Sie bedienten, man spielte weiter.

Ja, ja, Trudel, dachte Rutenberg im andern Zimmer, noch in seinen Stuhl gelehnt, von Herzen liebevoll lächelnd, abreisen! So wird’s! – Die alte Fabrik kann mich wohl entbehren. Na, und wenn sie auch nicht könnte, sie muß. Ein Vater, dem so ’ne Stunde schlägt, der muß alles hergeben, alles, alles dransetzen Zeit, Geld, Ruhe – um seinem Kind zu helfen – um ihr Glück zu retten. Alter, du hast recht . . .

Er mußte das dem Alten selber sagen, auf seinem einsamen Platz litt es ihn nicht mehr. Mit drei Schritten war er im Spielzimmer, trat zu Schilcher und zog ihn wieder vom Stuhl empor und zwischen den Tischen entlang. »Glaub’ mir, Schilcher,« flüsterte er zu dessen Ohr geneigt, »ich kenne meine Pflicht! Hab’ hundert Väter gesehn, die in so ’nem Fall nicht zum Ziel kamen, oder dran vorbei, weil’s ihnen am Herzen fehlte oder am Kopf, weil sie mehr an ihr liebes Ich dachten, Schilcher, als an ihr Kind! Ich will es erreichen, Alter, oder ich will draufgehn. Ich will der Welt einmal zeigen, was ein Vater zu thun hat und ich will nicht eher wieder für mich selber leben, als bis ich dir sagen kann Schilcher, es steht gut!«

»Habe nichts dagegen«, murmelte Schilcher und drückte ihm die Hand.

»Wir gehn nach Italien,« fuhr Rutenberg in seinem Eifer fort »möglichst weit, weit, an den Golf von Neapel, gleich vom allerbesten! Und müßt’ ich den ganzen Winter im Ausland bleiben —«

Mit einer jähen Bewegung hielt er inne, er sah Gertrud, sie stand in der Salonthür. Die Musik hatte schon eine Weile aufgehört, er hatte es nicht bemerkt. Das Mädel machte ein ernstes Gesicht; sie schien zu denken, indem sie die beiden Männer so eigen ansah, er hat ihm alles erzählt!

»Ich muß mich nämlich über Onkel Schilcher wundern,« sagte Gertrud, sich gegen die Thür lehnend »darum komm’ ich her. Du hast uns noch gar nicht angesehn. Die jungen Damen sind alle empört. Das soll ich dir sagen. Hab’s nun ausgerichtet.«

Schilcher verneigte sich. »Jetzt kann er nicht kommen,« rief Wild aus, dem die Ungeduld und die Empörung in den Augen brannte. »Er hat zu bedienen Schilcher, werden Sie nun gefälligst endlich die große Güte haben, zu bedienen, oder nicht?«

Schilcher verneigte sich auch gegen ihn. »Und dann soll ich noch sagen,« fing Gertrud wieder an »auch Herr Rutenberg wird sehr vermißt, sowohl von den jungen wie von den alten Damen.«

»Ja, ja,« stieß Rutenberg heraus. »Mein Benehmen als Hausherr . . . Eure nichtswürdige Spielpartie!« Damit war er an dem Kind vorbei aus der Thür.

»Jetzt beschuldigt er uns,« sagte Wild, dem die Augen noch mehr als sonst aus dem Kopf hervortraten, »das ist ein starkes Stück!«

Es sollte aber noch schlimmer kommen: der Störenfried Rutenberg war kaum hinaus, so trat seine Tochter heran, fing den Onkel Schilcher auf, der zu seinem Platz ging, und zog ihn mit sanfter Gewalt in den Salon hinein. Die Whistspieler sahen ihr sprachlos nach. »Vater, bitte, auf einen Augenblick!« sagte das Mädel, während sie so resolut mit dem Alten abging.

»Womit kann ich dienen?« fragte Schilcher, in sein Schicksal ergeben.

»Ich will dir nur sagen,« flüsterte Gertrud, »da du jetzt offenbar alles weißt —« Er nickte.

»Mach dir keine Illusionen, du und Vater auch nicht. . . . Und sag’ Vater, bitte, tief, tief hat er mich verwundet und er soll nicht glauben, daß ich, weil ich jung bin . . . . . .. nie lass’ ich von Arthur, nie!«

»Werd’s ihm ausrichten,« sagte Schilcher sanft.

»Nie!« wiederholte sie noch einmal, ließ ihn los und lief fort, in den großen Saal zurück.

Schilcher ging stumm zu seinem Platz. »Kann jetzt gerobbert werden?« fragte Lugau, der mit seinen kurzen Fingern den Radetzkymarsch auf dem Tische spielte.

»Jawohl,« erwiderte Schilcher. Er setzte sich, sie spielten eine Weile weiter. »Diesen Buben stech’ ich!« rief Schilcher plötzlich mit einer Art von grimmiger Wollust und warf seinen König auf den Strohmanns-Buben.

Das war übrigens noch nicht lange geschehen, so hörte er wieder Schritte hinter seinem Stuhl, an einem gewissen starken, erregten Atmen merkte er, es war Rutenberg. Der schon wieder da! – Gott helf’! dachte Schilcher. »Na?« sagte es jetzt hinter ihm. »Ihr spielt noch immer?«

»Noch immer!« rief Wild und blickte zum langmütigen Himmel auf. »Gerechter Gott!«

Er spielte aus, es nützte aber nichts. »Nur noch ein Wort, Schilcher« sagte Rutenberg, »bitte um Pardon, ihr Herren!« – Der kleine Schilcher saß schon nicht mehr, der ruhelose Hausherr hatte ihn emporgezogen. »Was ich noch sagen wollte,« sprach Rutenberg ihm ins Ohr, indem er ihn hinausführte, »es ist mir eben eingefallen, und es sitzt mir hier auf der Brust. Mann, du mußt mit!«

»Nach Italien?«

»Ja! – Ja, mein Alter, nicht ohne dich!«

Schilcher warf einen Blick über die Schulter, nach dem Spieltisch zurück, einen wehmütigen als wollte er sagen: das aufgeben? – Rutenberg bemerkte das wohl und streichelte ihn am Arm »’s geht nicht ohne dich! – Du bist ja frei, mein Alter, du hast nichts zu thun. Gott sei Dank, daß du deinen Abschied genommen hast, als die neue deutsche Gerichtsordnung kam, damals that mir’s leid; jetzt segn’ ich es, Schilcher! Und wozu hast du dein ganzes Leben lang Italienisch getrieben, auch das segn’ ich jetzt. Du bist ja unsre Grammatik, unser Dolmetsch, unser Lexikon. Was sind wir ohne dich? rein gar nichts. Du und ich miteinander, wir retten unsre Gertrud. Du mußt!«

»Wenn ich muß, dann muß ich,« antwortete Schilcher kurz. Er regte sich weiter nicht. – Rutenberg drückte ihm die Hand, streichelte ihn wieder.– »Kann ich jetzt spielen?« fragte Schilcher, nachdem er diese Liebkosung ruhig hingenommen hatte.

»Ja!« sagte Rutenberg laut, mit einem strahlenden, dankbaren Lächeln, und schob ihn gegen das Bücherzimmer zu. Dann ging er mit großen Schritten zum Saal, wo sie wieder tanzten.

Der Oberappellationsrat außer Diensten kehrte schweigend an seinen Platz zurück, hob seine Frackschöße und setzte sich. Wild nickte ihm boshaft freundlich zu: »Ueber so eine gemütliche Spielpartie geht nichts! – Wollen Sie jetzt die Güte haben, verehrter Freund, zu bedienen?«

»Natürlich,« sagte Schilcher. Er spielte aus, unwillkürlich auf italienisch: »Ecco!«

Lugau sah ihn nun doch etwas verwundert und neugierig an. »Was hatten Sie denn mit Vater und Tochter; wenn man fragen darf?«

Mit seinem ehrenwerten Ernst antwortete Schilcher: »Einige kleine Arrangements für den Cotillon.«

»Seit wann helfen Sie Cotillons arrangieren?«

»Man man bildet sich doch, wenn man älter wird,« sagte Schilcher sanft. Er spielte wieder aus, er hatte noch ein paar gute, siegreiche Karten: »Da! Und da!«

»Wir haben zwei Trick,« bemerkte er dann vergnügt zu Wild hinüber.

»Drei!« rief Wild.

Lugau hob drei Finger.

»Bitte um Entschuldigung,« erwiderte Schilcher. »Habe nichts dagegen.«

»Wild, Sie geben,« sagte Lugau. »Ich gebe.«

Wild nahm die Karten.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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