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Читать книгу: «Das Kind», страница 3

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Die beiden, die zurückblieben, waren eine Weile still. Daß er immer wie aus Holz geschnitzt dasitzt, dachte Rutenberg, der seitwärts auf den regungslosen Schilcher blickte; manchmal ist’s doch unerträglich. – »Hm!« machte er selber endlich, um die Stille zu unterbrechen. »Ferdinand Waldecks Sohn. – Auch ein Schicksal. – Armer Junge . . .«

Schilcher brummte etwas, aber nach seiner unausstehlichen Art so leise, daß man’s nicht verstand.

»Was sagst du?« fragte Rutenberg. »Nichts,« antwortete Schilcher und erhob sich von seinem Stuhl.

»Hab’ ich ihm unrecht gethan, Schilcher? – Hab’ ich etwas gesagt, das dir nicht gefällt? Ging es wieder mit mir durch? – Aber um des Himmels willen, konnt’ ich denn schweigen, Schilcher? Oder sollt’ ich sagen er war unschuldig, ja, ja, Sie versichern es, also glaub’ ich es —?«

»Nein,« warf Schilcher hin, der auf seinen Weg zur Thür sah und seine Halsbinde rückte. – »Ich muß mich nun also auch verschönern. Eh’ zur Polonaise geblasen wird, bin ich wieder hier.«

Es mißfiel Rutenberg, daß der andere in diesem Augenblick die Polonaise erwähnte. »Ich bitte,« sagte er verstimmt. »Ja, ja. – — Die ganze Festtagslaune, die ist hin, Schilcher!«

»Wird wiederkommen. Das geht fix bei dir.« Schilcher hustete und machte die Salonthür auf, um in seine Junggesellenwohnung im oberen Stock zu gehen.

»Na ja!« brummte Rutenberg. Er wollte aber den »Heimtücker« nicht so stumm hinauslassen, darum fing er noch einmal an: »Ferdinand Waldecks Sohn . . .«

Richtig, jetzt drehte sich der kleine Schilcher herum und sah dem alten Freund ins Gesicht. »Der wird einmal ein Mann,« sagte er in äußerer Ruhe. »Ein richtiger.« Dann schob er sich aus der Thür.

Rutenberg lächelte einen Augenblick, nickte nach einer Weile, versank in immer tieferes Nachdenken und ging in sein Wohn- und Arbeitszimmer zurück. In diesem behaglich geschmückten Raum – nicht reich, denn er war bei einfachen Gewohnheiten geblieben – vertrug er sich mit seinen Gedanken am besten und dachte sie am leichtesten bis zu Ende durch. In den alten bequemen Lehnstuhl gesunken, den er vom Vater geerbt hatte – sonst war fast alles eigene Erwerbung – fühlte er sich ganz eigen zurückgeworfen in die Jugendzeit, da er sich mit Ferdinand Waldeck befreundet hatte . . . Das war die Aehnlichkeit, dachte er; dieser Fritz erinnerte mich im ersten Augenblick an den Vater. Aber wie sie doch verschieden sind! der Sohn sieht interessanter aus, ein merkwürdiger Knochenbau. Und ein ganz anderes Feuer in den Augen – in dem Jungen ist mehr, viel mehr. Der alte Heimtücker, der Schilcher hat recht: »Der wird einmal ein Mann!« – Rutenberg sann nach – zehn Jahre war es jetzt her, daß er den Fritz Waldeck hier in seiner Vaterstadt gesehen hatte, da gab ihn der Vater von Berlin hierher aufs Gymnasium, damit der etwas zarte Junge in einer kleineren Stadt recht gesund heranwüchse. Damals war er zwölf Jahre alt, also jetzt zweiundzwanzig . . . Na ja, dachte Rutenberg, dann sah ich ihn bald nicht mehr wieder, weil ich meine Fabrik in Warnowrande gegründet hatte. Und als ich die hierher verlegte und größer machte, da war ich mit Waldecks weltweit auseinander . . .

Er rückte jetzt mißmutig in dem alten Lehnstuhl; es gefiel ihm nicht, daß Schilcher so gegangen war, offenbar mehr auf Fritz Waldecks Seite, offenbar nicht zufrieden mit den rücksichtslos empörten Worten des alten »Durchgängers« Rutenberg. Und dieser Durchgänger hatte sich so sehr gewöhnt, auf den alten Nußknacker zu hören, wie wenn es sein ganz persönlicher nur für ihn angestellter »Oberappellationsrat« wäre – nicht eher mit sich einig zu sein, als bis er auch mit dem kleinen holzgeschnitzten Mann sich einig wußte. Er vertiefte sich in die Frage: hab’ ich wieder unrecht? – Dann mußte er doch auch gegen den Vater Waldeck unrecht haben und das hatte er nicht! Gegen diesen Vater, den er einst mit seiner ganzen überschwenglichen Herzlichkeit geliebt hatte, der in diesem Augenblick lebendig, leibhaftig vor ihm stand wie in alten Zeiten, als der so gerngläubige Rutenberg noch geschworen hätte: der ist echtes Gold . . .

Er lächelte auf einmal, aber unruhig, beklommen und jetzt verliebt sein Sohn sich in meine Gertrud. – Das ist denn doch wirklich eine närrische und verrückte Welt!

So mochte er wohl lange dagesessen haben er erwachte wie aus einer Art von Traum, als durch die Thür zum Bücherzimmer, die er offen gelassen hatte, seine Gertrud eintrat. Sie kam in ihrem leichten, schwebenden Gang, den er mit so viel Vaterstolz liebte und in dem sie ihre einst so anmutige Mutter doch noch übertraf. Das schlichte rosafarbene Ballkleid, das auf der schlanken Gestalt wie ein zarter Duft lag, stand ihr wirklich gut, auch die frischen Blumen im seidigen dunkelblonden Haar, das sich auf der leuchtenden Stirn so angenehm natürlich kräuselte, obwohl er wußte, daß es gebrannt war. Sie kam mit Wyttenbachs Bouquet in der Hand, mit dem strahlenden Rutenbergschen Lächeln.

»Da bin ich!« sagte sie, wie ein Lieutenant vor dem Oberst salutierend.

»Bravo!« sagte der Vater, sogleich wieder vergnügt »Rosig wie der junge Tag!« – — In die ist Fritz Waldeck verliebt, fuhr ihm aber auf einmal wieder durch den Kopf. Ihm ward unbehaglich. »Komm einmal her, mein Kind,« sagte er so harmlos wie nur irgend möglich.

Sie trat vor ihn hin. »Du solltest der erste sein, der mich so sieht! —Hab’ nur vorher noch die Anstalten für den Ball revidiert. Alles in Ordnung. – Na? Aber was hast du denn? Ich glaub’ gar, du machst ein sorgenvolles Gesicht?«

»Nein, nein —«

»Gefall’ ich dir nicht?«

»Närrin! – Sehr. – Sehr gelungen, Gertrud. – Nun sag’ aber ’mal: du kennst einen Herrn Waldeck, nicht wahr? Einen jungen Mann —«

»Ja, ein wenig, ja!« warf sie so natürlich gleichgültig hin, daß es ihm Freude machte. Darauf fing sie an zu lächeln. »Du, der hat mich vorhin schön verlegen gemacht; ich hab’ ihn verwechselt. Mir war so, als müßte er Herr von Hiller heißen. – Mein Gott,« setzte sie übermütig lustig hinzu, »wenn man so viele junge Männer kennt!«

»Freilich,« sagte Rutenberg ebenso lustig, dabei atmete er beruhigt auf. »So viel merk’ ich, Trudel, einen sehr lebhaften Eindruck hat er dir nicht gemacht.«

Sie schüttelte die schönen Löckchen: »Er? – Nein, O nein!«

»,Er‹ nicht!« wiederholte der Vater, noch ganz arglos lächelnd. »O nein! das könnt’ ja so klingen, wie wenn —«

Bei diesem ›wenn‹ brach er aber ab. Lieber gar nicht von der Möglichkeit reden, dachte er, man male nur nie den Teufel an die Wand! . . .

Das Mädel blickte ihn etwas unsicher an »Wie wenn was —?« fragte sie.

»O nichts. Gar nichts von Bedeutung. – Siehst poetisch aus, Kind.«

»Also ich gefall’ dir doch?«

»Ganz entschieden gefällst du mir,« sagte er mit dem sachlichen Vatergesicht und streichelte ihr vorsichtig über das blumengeschmückte Haar. »Kein Geflitter und kein Geprunk, einfach, simpel, siebzehnjährig. So lieb’ ich’s.« – Er steigerte sich drollig, in seiner inneren Heiterkeit. »Ja, ja, ja, so lieb’ ich’s!« Und sich so recht zufrieden über sie neigend, küßte er sie auf die Stirn.

»Ach,« dachte Gertrud in ihrer jungen, selig schmachtenden Seele, wie gern möcht’ ich’s ihm jetzt sagen! Könnt’ ich’s ihm jetzt sagen! – Sie fühlte, ihr kam der Mut, und das Geheimnis drückte sie, so süß es zuerst gewesen war, es drückte sie jetzt. Auf einmal begann sie mit seiner Hand zu spielen, sie versuchte, seine großen goldenen Ringe hin und her zu schieben; dann streichelte sie über die Finger hin.

»Du! Vater!« fing sie an. »Wie wenn was —?«

Er verstand sie noch nicht »Was meinst du, Kind?« fragte er.

»Ach, du sagtest vorhin ›das könnt’ ja so klingen, wie wenn‹ – — .«

Sie sah ihm mit einem raschen Blick ins Gesicht, dann wieder auf seine Hand.

Zuerst nur verwundert, dann betroffen, starrte er sie an. Erst nach einer Weile brachte er heraus: »Warum fragst du noch einmal? So neugierig?« – Wie? Jetzt wird sie rot! – Er nahm ihre Hand, die noch auf der seinen lag, und sah ihr fest in die Augen. Alle Teufel! dachte er. Wenn dieses Kind einen Andern —

Nein, sagte er sich geschwind, um diesen Schreck wieder abzuschütteln, und ließ ihre Finger los, – nein, das ist unmöglich. Das thut mir das Kind nicht an. – Nur nichts merken lassen . . .

Er schaute umher, er wollte sich etwas zu schaffen machen, sein Blick fiel auf die offene Thür und auf die Spieltische im Bücherzimmer. »Mir war doch so,« warf er hin, »als hätte Brink auf den Rauchtischchen die Aschenbecher vergessen. Will doch mal sehn —!«

Damit ging er schon durch die Thür. Im Bücherzimmer sah er nun freilich, daß er den alten Pedanten, den Brink, falsch verdächtigt hatte: an Aschenbechern fehlte es nicht. Dagegen überfiel ihn jetzt ein zweiter Schreck. Gertrud kam ihm nach, trat zu ihm, als er still stand, und legte mit einer plötzlichen Bewegung ihr Gesicht stumm an seine Brust.

»Um Gottes willen!« entfuhr ihm, indem er zusammenzuckte. »Was hast du?«

»O, nichts Trauriges,« sagte sie leise. »Süßer alter Vater du. Du bist so gut gegen mich, und machst mich heut’ so glücklich . . .«

Er atmete etwas erleichtert auf. »Dankbarkeit?« fragte er. »Ja, Dankbarkeit und – —« Sie brachte eine Art von Lächeln zustande, das ihm aber nicht gefiel, und sagte wieder leise: »Er nicht! O nein!«

»Gertrud!« stieß Rutenberg hervor. »Was heißt das?« Jetzt flüsterte sie nur noch: »Kannst du’s nicht erraten?«

Unwillkürlich, und ohne es zu wissen, drückte er das Mädel langsam von seiner Brust hinweg, sah sie nicht mehr an und ging durchs Zimmer. Hinter einem der Tische blieb er dann wieder stehn, hob in seiner Ohnmacht den Arm ein wenig; fortlaufen konnte er dem Schicksal ja doch nicht – »Trudel!« sagte er. »Du bist toll!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du bist toll, Trudel.«

Sie schüttelte ihn wieder. So recht weich und sanft sagte sie dann »Warum sollt’ ich toll sein? – Ich möcht nur vor dir kein Geheimnis haben . . .«

Rutenberg horchte, was nun noch kommen werde. Sie war aber still. Die innere Unruhe fuhr ihm in die Finger, er nahm die neuen Spielkarten von dem Tisch, hinter dem er stand, zog sie aus dem Umschlag, legte sie wieder hin. Dann nahm er ein Häufchen davon ab, warf es auf den Tisch. Es war doch eine Art von Thätigkeit, drum fuhr er auch damit fort, ohne es zu wissen. Unglückliches Kind! sagte er, wieder ein Häufchen hinwerfend. »Du bist siebzehn Jahre alt!«

»Eben darum!« erwiderte sie leise.

»Ich glaube, du bildest dir ganz im Ernst ein, dich ernsthaft verliebt zu haben —«

»Ach!« seufzte sie, vor sich niederblickend. »Ich weiß es, Vater!«

»Was sagst du?«

Sie lächelte ihn nun etwas mutiger an. »Ich sagte nur, ich weiß es!«

»So! – Und wer ist dieser andre?«

»Wer? Arthur van Wyttenbach . . .«

Rutenberg ließ die Karten, die er noch in der Hand hatte, vor Schreck auf den Tisch fallen. »Heiliger Gott!« rief er aus.

»Was ist dir?« fragte sie.

»Arthur van – Arthur van – Dieser —! Der Name »Wyttenbach« blieb ihm in der Kehle stecken.

»Ja, Vater. Ja, der ist’s, lieber, guter Vater. Und wenn du mir nicht erlaubst, ihn zu heiraten – sie suchte zu lächeln, es sah aber sehr ernsthaft aus – »dann sterb’ ich!«

Rutenberg schob die Spielkarten auseinander, daß sie den ganzen Tisch bedeckten »Da haben wir’s,« sagte er. »Dann stirbt sie. – Unsre Antigone. – Schilcher! Schilcher!«

»Warum rufst du Schilcher?« fragte das Mädchen ängstlich. »Was soll der? – Lieber, süßer Vater ..«

Ihre Stimme war so rührend weich; sie ging ihm zu Herzen. »Lieber, süßer Vater« – das machte ihm wieder etwas Mut. Er faßte sich so nach und nach. Ihm half dabei, daß er die Karten langsam wieder zusammenschob.

»Komm her, Kind!« sagte er dann, nicht so weich wie sie, aber ganz ohne Strenge und ohne Härte. »Setz dich. Da an den Tisch! – Sie kam und setzte sich. Er stellte sich vor sie hin. – »So, nun laß uns mal ruhig reden. Sitz’ still. Also du liebst ihn, sagst du. Diesen – —«

Er sprach nicht weiter. Sie nickte. In ihrem Ballkleid, mit den Rosen im Haar, saß sie so unheimlich romantisch da, als gehöre die Liebe selbstverständlich dazu, als sei es ganz natürlich, daß sie jemand liebte.

»Und er liebt dich,« fragte Rutenberg weiter. »dieser –.«

Sie nickte.

»Und ihr wollt euch heiraten —« Sie nickte wieder.

»Und wenn ich es nicht erlaube, dann stirbst du.«

Sie lächelte, doch dann nickte sie, wieder mit ihrem ernsthaften siebzehnjährigen Gesicht.

»Und dieser Bund der Seelen dauert wohl schon lange —«

Nun schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht lange, Vater. – Aber so sehr! so sehr!«

In einem Anfall von humoristischer Verzweiflung schlug Rutenberg die Augen zum Himmel auf. Einen »Hansquast« nannte ihn Schilcher! fuhr ihm durch den Sinn. Ahnungsloser Schilcher! Na, und ich? Ich nannte ihn »Ballfutter«. Ahnungsloser Vater! – Er schaute wieder seine romantische Ballnixe an.

»Wofür hältst du ihn, Gertrud?« fragte er, sich wieder fassend, so gut er konnte.

»Wen?« fragte sie.

»Nun ihn, diesen – — den Jüngling.«

»Wofür ich ihn halte? – Ach, Vater, wie fragst du nur. Für das, was er ist, für den besten, liebenswürdigsten, edelsten Menschen auf der Welt!«

»Und für den begabtesten —«

»Ja,« sagte sie mit einem rührend ernsten Nicken. »Er kann alles, Vater. Die andern, die können dies oder das, er kann alles, Vater.« – Es trieb sie von ihrem Stuhl in die Höhe: »Ach, und sein Herz —!«

»Bitte, bleib sitzen, Kind!« unterbrach er sie. In träumerischem Gehorsam sank sie wieder hin. »Ich weiß,« fuhr Rutenberg fort. »Er kann allerlei, so von allem etwas. Er tanzt gut, sehr gut. Er spielt Klavier. Er hat einen hübschen Tenor —«

Gertrud schüttelte den Kopf. »Bariton.«

»Bariton, richtig. Er schneidet aus schwarzem Papier Silhouetten aus. Er singt Lieder in allen möglichen Sprachen. Er malt etwas. Er macht sogar Verse, wie ich heut’ erlebt habe —«

Sie nickte und lächelte dankbar.

»Er kleidet sich elegant,« fuhr der Vater fort. »Er spricht so fließend wie ein Parlamentsredner, dieser junge Mensch . . . Du siehst, ich weiß alles. Wenn ich dir nun dennoch sage meine liebe Gertrud, schlag dir den aus dem Sinn, der ist kein Mann für dich —«

»Vater!« rief sie ganz erschrocken und stand wieder auf.

Diesmal drückte er sie aber mit sanfter Hand auf ihren Stuhl am Spieltisch nieder. »Bitte, bleib sitzen, Kind! – Muß mich selber setzen bei mir kommt alles nachträglich« . . . So auch dieser Schreck! dachte er, sagte es aber nicht. »Sieh mich an!« sagte er dann weich, nachdem er seinen Sessel näher gerückt hatte. »Wir haben uns ja immer gut verstanden, meine kleine Gertrud. Ein unvernünftiger, strenger Vater bin ich nie gewesen, was?«

Sie schüttelte wieder die Löckchen aber eine Unruhe, eine Bangigkeit flog über ihr Gesicht, das die Rosen auf den Wangen weggegeben hatte.

»Hab’ mich immer hineingedacht in das kleine Köpfchen, in das Mädchenherz. Na, und zuletzt wurden wir immer einig. Vater Rutenberg, der ältere, hat recht! – Also wenn ich mich nun heut’ in Ruhe fasse – du siehst, wie wunderbar ruhig ich jetzt bin – und zu meinem Mädel sage. Kind, du bist gut – bist klug – aber um zu wissen wer der Rechte ist, bist du noch zu jung, glaub’ dem erfahrenen, alten Rutenberg, der die Männer kennt, der ist nicht der Rechte! – dann wird meine liebe Gertrud —«

»Nein« sagte sie, ebenso ruhig wie er, und stand zum drittenmal auf. Nein? »Nein« wiederholte sie. Mit einem süßen, altklugen Lächeln setzte sie hinzu. »Verzeih’, das verstehst du nicht. Lieber, guter Vater. —«

»Das versteh’ ich nicht?«

»Ach!« seufzte sie. »du quälst mich. Ach, du weißt es nicht! – Ich hab’ ja mein Herz geprüft, lieber, guter Vater und die Stimme in meinem Herzen sagt es mir, und die lügt nicht, Vater. Ja, das ist der Mann, der für mich geschaffen ist, nie kann ich einen andern lieben als ihn, und ich werd’ ihn lieben und an ihm hängen bis an meinen Tod!«

Nun erhob sich Rutenberg auch, mit seiner Ruhe und Fassung war’s aus. Er riß den Frack vorne auf, er hatte ihn zugeknöpft; er fing wieder an, durchs Zimmer zu laufen, die verwünschten Spieltische standen ihm im Wege, gegen den dritten rannte er an, und einen Augenblick hob sich seine Faust, um ihn umzustoßen. Die ist ja wirklich toll, dachte er. Und sie macht mich toll. Ah! Da soll doch gleich —

Er war wieder bei den Spielkarten, die er vorhin ausgebreitet und dann zusammengeschoben hatte; mit einem jähzornigen Griff packte er sie und wollte sie auf die Erde werfen. Er hielt sie dann aber doch noch fest. Nein! sagte er zu sich, so toll bin ich doch noch nicht! – Dann wär’ ich ja wie das Kind, und wär’ nicht der Vater. Wenn das Schilcher gesehen hätte! Wie würd’ der mich auslachen. Wenn so ein Kind Dummheiten macht, dafür ist sie ja doch das Kind! – Rasch, nach seiner Art, hatte er wieder sein altes, freundliches, liebevolles Vatergesicht, legte noch ein gutes Lächeln hinein, da er seine Trudel so bleich und beklommen da stehen sah, und kam gemütlich langsam zu ihr zurück. »Schau,« sagte er, sie anlächelnd. »Das Kind spricht ja wie ein Buch. Fließend, und resolut – resolut wie immer, – als Vater Rutenbergs Kind. – Wenn ich nun wär wie die andern Väter, so würd’ ich dem Kind eine Scene machen. Trotzkopf! Keckes Ding! Ich weiß es besser und ich sag’ Nein und dabei bleibt’s! Punktum! – Aber nein, so bin ich nicht. So ein Mädchenherz, und so ’ne junge Liebe, sind ’ne ernste Sache . . . Ich kenn’ meine Trudel ja. Die ist ja nun kein Kind mehr, dem kleinen Herzen, dem sind Flügel gewachsen – die bekannten Flügel, die uns geradeswegs in den siebenten Himmel tragen – na ja, und weil es ein edles, feines, schwärmerisches Herz ist, darum sieht es auch mit verklärten Augen in die Welt, sieht nichts als lauter Himmel um sich her, und fühlt nichts als hohe, heilige Gefühle. Und darum denkt es dann: Hab’ ich nicht recht?. – Wir andern, wir alten Leute, kriechen unten auf der Erde, Gertruds Herz schwebt oben, in einem schönen, goldenen Sonnendunst; durch den sieht es einen himmlischen Adonis, einen holden, idealen, vollkommenen Jüngling sein Name ist Arthur van Wyttenbach . . .

Vater Rutenberg hielt inne. Sein gutes Gesicht, seine herzliche Stimme hatten dem geängstigten Mädchen wieder Mut gemacht; sie schob sich leise heran, die liebe Gestalt lehnte sich an ihn.

»Ach! Vater!« sagte sie, mit einem Arm unbewußt über seinen Rücken streichend. »Ich seh’ ihn so, wie er ist – und ich muß ihn lieben!«

»Na ja!« entgegnete Rutenberg lächelnd, dem ihre Hand im Rücken so wohl that, er streichelte ihr dagegen das Haar und die Stirn. »Du mußt ihn lieben das ist nun einmal so; natürlich. Also gut, der Vater giebt nach, und wir heiraten ihn! Und nun kommen wir dann so allmählich aus dem Sonnendunst und Aetherdust etwas mehr nach unten – immer etwas tiefer – bis pur ganz unten auf der alten Erde und, in der Wirklichkeit. Da wird dann aus dem idealen Jüngling Arthur van Wyttenbach ein netter, alter junger Mann, der noch manchmal abends aus schwarzem Papier Silhouetten schneidet, der gut ißt und trinkt, alles praktisch einrichtet, alles ruhig und nüchtern’ ansieht, über alles reden kann, ohne was zu sagen der sein ›kleines Frauchen‹ auslacht, weil sie noch immer so eine ›komische Idealistin‹ ist und endlich das ›kleine Frauchen‹ durch seine Suada aus der Thür hinauslangweilt . . . Und dann kommt sie zum Vater: Lieber guter Vater, laß uns wieder scheiden sonst sterb’ ich!«

Gertrud hatte ihren Arm von ihm sinken lassen, war zurückgetreten die großen, hellbläulichen Augen sahen ihn wie in starrem Entsetzen an. »Vater!« stammelte sie. »Ich bitte, scherz’ nicht so mit mir. Ich versteh’ dich nicht. Ist das – — ist das deine wirkliche Meinung von ihm?«

»Ja, mein Kind, so wahr ich lebe, das ist meine Meinung!

»O mein Gott!« stieß sie jetzt schwach heraus. »O mein Gott!« – Ihre Augen wurden wie leblos, schlossen sich halb, sie drohte umzusinken. »Und ich,« sagte sie mit fast vergehenden aber doch noch trotzender Stimme, »nie, nie, nie werd’ ich von ihm lassen . . .«

Damit sank sie auf einen Stuhl.

»Gertrud!« rief Rutenberg aus und trat hinzu; er fürchtete, sie werde sogleich wie ein geknicktes Pflänzchen auf die Erde fallen. Doch als sein gesundes, starkes Mädel kam sie wieder zu sich, sie öffnete die Augen – sowie sie aber den Vater sah, schlug sie sich beide Hände vors Gesicht. Fast hätte er dasselbe gethan ihm war ganz so zu Mute. Also nie, nie, nie, dachte er, wird sie von ihm lassen von dem Bengel da, dem Süßholz, dem »Hansquast«. Meine Tochter . . . Heiliger, großer Gott! – Er war außer sich, er warf die Karten, die er in der Hand hatte, alle auf den Boden hin.

Gertrud fuhr zusammen. »Was hast du?« sagte sie, die Hände von den Augen nehmend.

»O, nichts,« antwortete er. »Ich werfe nur die Karten auf die Erde!«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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