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Читать книгу: «Das Kind»

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1

Gertrud ging in das Bücherzimmer, das für diesen Abend in ein Rauch- und Spielzimmer verwandelt war; der große runde Lesetisch war hinausgeräumt, dafür standen drei Spieltische mit allem Zubehör, auch mit kleinen Rauchtischchen wie die Winkel eines gleichschenkligen Dreiecks da, von dem alten Pedanten Brink wie mit dem Lineal gestellt. Gertruds rosiger Träumerkopf wandte sich in der Thür zurück:

»Was noch?« fragte sie.

»Kind, vergiß das Buch nicht!« rief der Vater ihr nach.

»O nein!« sagte sie, überlegen lächelnd, und machte die Thür hinter sich zu. Die junge, noch überschlanke Gestalt ging langsam zwischen den Spieltischen durch. Ja, ja, ich hole das Buch! murmelte sie, als spräche sie noch zum Vater. Die hellen Augen wurden wieder träumerisch; unbewußt wiederholend, halb singend summte sie vor sich hin: Ja, ja, ich hole das Buch . . . Ja, ja, ich hole das Buch . . . Sie stand vor einem der hohen Büchergestelle, schaute auf die hübschen, farbigen Einbände und durch sie hindurch, ins Ferne. Von dort klang er wieder her, ihr Vers, der Vers aus ihrem Traum.

»Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . . Nein, dachte sie, den Vers werd’ ich nicht mehr los. Wie sonderbar und wie feierlich klingt es. »Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . . Was wollt ich doch noch? Ich wollte doch was! Weiß nicht. Kann mich nicht besinnen . . .«

In einer süßen Unruhe ging sie weiter, an den Büchern hin. »Ach,« murmelte sie, da ihr so unbestimmt wohlig ums Herz war, »ach, ich bin so glücklich!« – ›Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . . ‹«

Schilcher trat geräuschlos ein, wie er pflegte, war er doch in dieser Wohnung ebenso zu Hause wie in seiner eigenen, der kleinen Junggesellenwohnung eine Treppe höher. Mit seinem einen Ohr hatte er Gertruds hingesummten Vers gehört, die kurze, hagere Gestalt blieb noch auf der Schwelle stehn und legte den Kopf auf die Seite, wie um mehr zu hören. »Was summt das Hummelchen?« fragte er, ein wenig lächelnd. »Und immer ging sie fort. – — Was heißt das?«

Gertrud lächelte auch. »Das ist aus einem Gedicht, Onkel Schilcher, das du noch nicht kennst.«

»Was?« sagte der alte Herr, die Augenbrauen hoch ziehend. »Gertrud Rutenberg dichtet?«

Sie schüttelte den Kopf: »Ich? O Gott! Nein! – So wenig wie du! – Ich hab’s nur geträumt.«

»Verse?« fragte er sehr erstaunt. »Das ist mir noch nie begegnet.«

»Mir auch heute zum erstenmal, heute nachmittag. Weil ich die letzte Nacht schlecht geschlafen habe —«

»Ja, ja!« warf er ein, mit seinem spöttischklug herzlichen Lächeln. »Vor dem ersten Fall!«

»So war ich heut nachmittag plötzlich weg – im Lehnstuhl, Onkel Schilcher – und hab’ dir so viel zusammengeträumt, es nahm gar kein Ende. Ich glaub’, es war ein ganzes Gedicht, – siehst du, im Traum, da hab’ ich Talent! – Und dieser eine Vers verfolgt mich förmlich . . .«

Schilcher nickte bedächtig. »Wahrscheinlich weil du den Traum noch niemand erzählt hast —«

Sie schüttelte den Kopf.

»Junge Mädchen pflegen aber ihre Träume gerne zu erzählen . . . Ist dein Vater zu Hause?«

Sie nickte. Mit dem dunkelblonden Kopf nach dem Salon deutend, warf sie hin. »Doktor Wild ist da; und Lugau.«

»Junge Mädchen,« wiederholte Schilcher in seiner trockenen Art, ». . . pflegen aber ihre Träume gerne zu erzählen.«

»Dir?« sagte sie. »Du lachst mich nur aus!«

»Wie werd’ ich. Siebzehnjährige Mädchen lach’ ich niemals aus, das sind sehr ernsthafte, ernst zu nehmende Wesen. Also ein poetischer Traum?«

»O!« stieß Gertrud heraus. »Ein wunderbarer Traum! – Weißt du, ich lag auf einer Wiese, oder auf irgend was Grünem, unter einer Eiche, oder so eine Art von Baum. Plötzlich stand da – — Aber du lachst mich wirklich nicht aus?«

»Wie werd’ ich!«

»Plötzlich stand da ein großer, langer, alter weißbärtiger Mann vor mir, sonderbar gekleidet – hast du einmal ägyptische Priester auf Bildern gesehn? Na, so ungefähr. Und der hob eine Hand – eine schauerlich weiße Hand war’s, aber doch sehr schön – und sagte ohne weiteres ein ganzes Gedicht zu mir, warum, weiß ich eigentlich nicht. Es klang aber so feierlich, so – nun lachst du. – Nein? – Es klang wie Musik wunderschön! mir schien’s wunderschön. Und der Inhalt war —« Sie stockte. Schilcher wartete eine Weile, dann fragte er mit seinem ernstesten Gesicht. »Und der Inhalt war —?«

»Auch sehr feierlich,« antwortete sie etwas verlegen »von Glück und – Liebe und – — Aber als ich aufwachte, hatt’ ich es vergessen. Nur diesen einen Vers hatt’ ich noch im Ohr – den du vorhin gehört hast.« —

»Bitte, noch einmal!«

»Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . .« Gertrud senkte ihr Köpfchen und lächelte still und glücklich vor sich hin.

Schilcher war auch eine Weile still, ganz regungslos wie gewöhnlich, denn viel mit den Gliedern zu sprechen war nicht seine Sache. Das bartlose Gesicht mit den frühen Runzeln, den starken Brauen, der gekrümmten Nase und dem vortretenden Kinn – eigentlich eine Art Nußknackergesicht – betrachtete das Mädel, an dem seine Seele so hing, mit einem langen Blick aus dem Augenwinkel, um die schmalen Lippen ging ein verstohlenes, weiches Lächeln.

»Hm!« machte er endlich und schob das Lächeln weg. »Der Vers ist übrigens eigentlich nicht ganz richtig, Gertrud. Es müßte doch heißen: ›Und immer ging sie vorwärts aufs offne Himmelsthor‹ . . . Nicht?«

»Ja, ja,« antwortete sie, dachte aber wohl an etwas anderes.

Der alte Herr schwieg wieder ein Weilchen. »Bist wohl sehr glücklich, meine kleine Gertrud?« sagte er dann langsam.

Sie lächelte ihn träumerisch an und sagte nichts.

»Freust dich wohl sehr auf den herrlichen göttlichen?«

»Auf wen?« fragte sie etwas hastig.

»Nun, auf den ersten Ball.«

»Ja, ja!«

»Den ersten Ball, den du selber giebst! – Wenn wir nur erst im Ballkleid prangen – Rosen im Haar, oder Gott weiß was . . . Wirst du auch noch fertig?«

Sie lachte. »Beruhigen Sie sich, Herr Oberappellationsrat. Regen Sie sich darüber nicht auf!«

»Werd’ mich also nicht aufregen. Danke. – Der erste Ball, den man selber giebt, siebzehn Jahre alt. – Ja, das ist nun auch eines von den Gefühlen, die ich nie gekannt habe! Der erste Ball – die Hochzeit – die Kindtaufe – diese drei höchsten Momente, die sind mir entgangen.«

Gertrud, die nun neben ihm stand – die lange Person war größer als der kleine Herr – hob sich auf den Zehen, im Uebermut, um auf die kleine Glatze zu sehn, die zwischen seinen etwas struppigen, emporgesträubten Haaren wie ein Teich im Schilf lag.

»Ach, du armer Mann«, sagte ihre liebe, streichelnde Stimme. »Du bist wohl sehr unglücklich?«

»Könnt’s nicht sagen, nein!« erwiderte er mit seiner trockenen Ruhe. »Erstens freu’ ich mich mit Gertrud Rutenberg sehr auf ihren ersten Ball. Zweitens hab’ ich diese Gertrud Rutenberg vor siebzehn Jahren taufen helfen und – und liebe sie ja ungefähr wie ein eignes Kind. Und drittens —«

»Und drittens?« fragte das Mädchen, da er inne hielt. Ihr ganzes kluges Gesichtchen lachte. »Und drittens denkst du noch zu heiraten?«

»Ne, das doch nicht. Aber wenn wir eines Tages Gertrud Rutenberg verheiraten, dann werd’ ich ja auch dabei sein; das heißt später, später, so ein zehn Jahre hat es wohl noch Zeit!«

Gertrud sah ihn über die Schulter an, sagte aber nichts. Sie war schon wieder bei ihrem Traum, in ihr summte es wieder mit der Priesterstimme. »Und immer ging sie fort . . .«

2

»Guten Abend, Schilcher!« sagte jetzt Rutenberg, der Vater, der mit Lugau und Wild vom Salon hereintrat. »Da ist ja wieder die ganze Whistpartie beisammen. Ihr seht, die Spieltische sind schon fertig, könntet gleich dableiben und euch niedersetzen.«

»Ja, das könnten wir wohl,« entgegnete Doktor Wild, dessen volles Gesicht wie gewöhnlich von Behagen glänzte, »aber schöne Leute haben ihre Pflichten. Wir müssen uns erst durch den Frack und die weiße Weste unwiderstehlich machen, sintemal es ein Ballfest ist. Was würde Gertrud sagen, wenn ihre drei Haus-Adonisse nicht ihre Schuldigkeit thäten, um vollkommen schön zu sein!«

Wild sah seine Kollegen mit den vortretenden Humoristenaugen an und lächelte einen Augenblick. Sie waren alle drei nicht schön, Lugau, Wild und Schilcher, neben dem kleinen »Nußknacker« Schilcher stand der Doktor breit und mächtig da, aber leider viel zu dick, und der viel kürzere Lugau war fast noch dicker, sodaß ihn die Freunde den »Schneeball« nannten, weil er wie die Blüten des Schneeballs sich so allmählich aufgerundet hatte. Nur Rutenberg war ganz wohlgebaut, stattlich, ein echter nordischer Germane mit regelmäßigen, kräftigen Zügen und strahlend blauen Augen. Doch im Humor, konnte man wohl sagen, waren sie alle gleich, ein stadtbekanntes »vierblättriges Kleeblatt«, das schon lange zusammenhielt; zwei Witwer, zwei Junggesellen, drei von ihnen sehr dem Whist ergeben, das damals – im Herbst 1880 – noch nicht so wie jetzt vom Skat abgelöst worden war. Rutenberg, der vierte, saß lieber daneben als Zuschauer, allein oder mit seiner Gertrud, seiner geliebten »Puppe«. So dachte er auch heute zu thun, während seine Puppe tanzte; darum sagte er, die Hand auf einen Spieltisch legend.

»Alles ist da, ihr Männer, auch den Geist des Strohmanns hab’ ich eingeladen, denn ohne den Strohmann könnt ihr ja nicht leben. Vergeßt nur nicht das Wiederkommen, und zur rechten Zeit!«

Wild verneigte sich. »Hast’s schon einmal gesagt, danke ergebenst für die Wiederholung.«

»Lieber Wild,« bemerkte Rutenberg, »wir haben unvergeßliche Beispiele von vergeßlichen Junggesellen!« – Er wandte sich zu Gertrud: »Nun, Kind? Das Buch! Ich warte auf das Buch!«

»Heiliger —!« rief das Mädel aus. »Vergessen!«

Die drei Whistspieler lachten. Wild sah die Tochter und dann den Vater mit seinen glänzenden Augen triumphierend an

»Es scheint,« sagte er, »die Vergeßlichkeit beschränkt sich nicht auf zu dick gewordene Junggesellen —«

»Ja, ja!« schmunzelte Schilcher. »So ein siebzehnjähriges Junggesellchen vor dem erstes Ball!«

Der kleine runde Domänenrat Lugau nahm nun auch das Wort, seine redseligen Arme mitbewegend.

»So war’s auch damals mit der Grete, meiner kleinen Nichte, – heute abend kommt sie. Gab auch ihren ersten Ball, konnt’ es nicht erwarten! Ganz in Rosa, sah aus wie ein Flamingo stundenlang ging sie in träumerischer Erwartung durch die Zimmer, – so!«

Er versuchte es nachzumachen, wie das seine Art war, es saß ihm in den Gliedern, er konnte es nicht lassen. Der »Schneeball« bewegte sich träumerisch, schmachtend hin und her, es war aber doch mehr, wie wenn eine Kugel auf zwei Rädchen rollte. »Und dann« fuhr er fort, »dann sah sie wieder in den Spiegel, gradaus, seitwärts, rückwärts, – so!«

Er machte es wieder nach, wie seine Grete in den Spiegel schaute. Gertrud lachte, zuletzt unbändig, sie lachte sich auf einen Stuhl.

»Ach«, sagte sie dann, »wie anmutsvoll spielen Sie so ein junges Mädchen! Jeder Jüngling muß sich ja in Sie verlieben, Herr Domänenrat.«

»Es war so!« rief Lugau eifrig aus. »Auf Ehre!«

Jetzt lachten alle.

»Also, das Buch!« sagte Rutenberg. Gertrud schnellte vom Stuhl empor: »Ja, jetzt hol’ ich das Buch!«

Sie ging wieder am nächsten Büchergestell entlang, mit den Augen suchend; dabei kam ihr aber auch der Traumvers wieder und das süße Träumen im Blick. Indem sie an den bunten Rücken der Bücher mit der streichelnden Hand entlang strich, summte sie gedankenlos vor sich hin, als wäre sie allein: »Und immer ging sie fort, aufs offne Himmelsthor . . .«

Doktor Wild, der sie auch so gut kannte, – ihr Arzt seit der Kinderzeit – beobachtete sie heimlich, mit Vergnügen; er sah, wie sie träumte. Ihm kam auch schon die Lust, eine seiner üblichen Schnurren und Komödien zu spielen. Nicht zu ihr, sondern zu Rutenberg gewendet, warf er in seiner raschen Weise hin:

»Ja, aber meine lieben Freunde, was hilft das? Es ist sehr zu fürchten, daß das Zauberfest heute abend etwas angespritzt wird —«

»Wieso angespritzt?« fragt Lugau.

»Nu, ich meine, etwas getrübt; etwas ungemütlich. Denn die Depeschen im Abendblatt —«

Gertrud drehte sich zu ihm herum. »Was für Depeschen?« fragte sie.

»Ist das Abendblatt schon da?« fragte Schilcher.

»Allerdings«, sagte Wild und nickte sehr ernsthaft; »Ich hab’s schon durchflogen.« Er zuckte gegen Gertrud die Achseln, mitleidig: »Häßliche Depeschen! Störung des lieben Friedens; oder, um es mit einem kurzen Wort zu sagen: Krieg! – Ja, mein Herz, was hilft’s. Was man schon seit achtundsiebzig fürchtet, ist nun eingetroffen: die grande nation und das ›heilige‹ Rußland haben sich richtig verbündet und was sie von Deutschland verlangen, ist ein bißchen viel!«

Er wiederholte, da er das Mädchen langsam blaß werden sah: »ist ein bißchen viel!«

»Was verlangen sie denn?« fragte Gertrud stockend.

»Die Herausgabe von Luxemburg, Livland, Kurland und auch Jütland —«

»Im Abendblatt?« stammelte Gertrud.

Wild zuckte wieder die Achselm »Ja!«

»Aber – — Aber das ist ja infam!« rief das Mädchen aus.

»Was wollt’ es nicht!« sagte Wild. »Freundlich ist es jedenfalls nicht.«

Sie sah den Doktor zaghaft an, nun ganz blaß geworden. »Und das alles können wir Deutschen natürlich nicht herausgeben?«

»Nein«, fiel er ihr ins Wort, sich scheinbar ereifernd, »nein, das können wir nicht! Luxemburg und Jütland, Livland und Kurland – das können wir nicht! Das ist ganz unmöglich!«

Gertrud blickte in ihrer Hilflosigkeit umher und sah, daß alle sonderbar heiter waren. »Worüber lächeln Sie?« sagte sie zu Lugau.

Der Domänenrat rieb seine Hände. »Ueber die Andacht, meine liebe Gertrud, mit der Sie immer wieder auf Doktor Wilds Erfindungen eingehen. Und ein ganz klein bißchen auch über Ihren Lehrmeister in der Geographie!«

»Ah!« rief das Mädchen, etwas verlegen. »Luxemburg und Jütland – richtig – das gehört uns gar nicht —«

»Und das andre auch nicht!«

Mit seinem ernsthaftesten Gesicht bemerkte Wild. »Fräulein Gertrud hatten ohne Zweifel in den Geographiestunden etwas Besseres zu thun . . .«

»Ich?« fiel sie ihm ins Wort. »Was denken Sie!« – Ihre rosigen Wangen wurden aber doch noch röter, ihr fiel ein, daß es wirklich schon damals anfing, das mit ihrem Arthur. In einer Geographiestunde, das wußte sie, hatte sie sich zuerst so recht an ihn festgedacht . . . »Immer haben der Herr Doktor solche Späße im Kopf!« sagte sie geschwind, um die allgemeine Aufmerksamkeit von sich abzulenken.

»Was soll so ein alter Doktor sonst thun, meine liebe Gertrud?« erwiderte Wild. »Wenn man nicht gesund genug ist, um so wie früher zu praktizieren, dann verfällt man auf Allotria. Spaß und Ernst – wie’s nun gerade kommt. Wie ein anständiger Mensch für alle Fälle zwei Krawatten im Frack hat – eine schwarze und eine weiße, so hat man auch Spaß und Gruft im Kopf! – — Wünsche also einen ungetrübten Abend, ohne Krieg wegen Jütland, und auf Wiedersehn!«

Er winkte Lugau, mit ihm zu gehen; in diesem Augenblick trat der alte Brink, der Diener, herein, um in seiner förmlichen Manier und mit seiner gedämpften Stimme zu melden, daß Fräulein Gertrud auf einen Augenblick zum Fräulein in die Küche kommen möchte. Das »Fräulein« war die unverheiratete Schwester Rutenbergs, die seit dem Tode seiner Frau das Haus führte.

»Ah!« sagte Wild, scheinbar sehr erstaunt. »Auch Fräulein Gertrud hat schon Wirtschaftssorgen!«

»O ja,« entgegnete das Mädchen heiter, »auch mein Kopf kann schon mit Beidem aufwarten, mit Spaß und mit Ernst! – Auf Wiedersehn beim Whist!« – Damit war sie schon draußen, dem alten Brink nach.

Wild folgte ihr mit den Augen. »Glückliches Geschöpf!« murmelte er neidlos.

»Glücklicher Vater!« setzte Lugau hinzu, mit einem kleinen Junggesellenneid; er hatte, wie Schilcher, nie geheiratet. Die Beiden grüßten und gingen.

Rutenberg, der heute vor Lebenslust strahlte – er gehörte zu den Leichtbewegten, »himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt —« setzte sich auf einen der Spieltische. »Glücklicher Vater – o ja! – Aber das Buch hab’ ich noch immer nicht.«

»Schlechte Erziehung,« sagte Schilcher trocken, der sich in seine Lieblingsecke gesetzt hatte.

»Natürlich,« antwortete Rutenberg nur. – »Ich such’s also selber!«

Er trat an ein Büchergestell, aber mit einem vergnügt ratlosen Gesicht. »Gott mag wissen, wohin das Kind dieses Buch verkramt hat!« – Er zog ein paar Bücher aus ihren Reihen hervor, schüttelte den Kopf, steckte sie wieder hin. Ebenso heiter wie zuvor wandte er sich dann wieder zu Schilcher und strahlte ihn mit den blauen Augen an, ohne zu sprechen.

»Was kuckst du so?« fragte der in seiner Ecke.

Rutenberg lachte nur so vor Vergnügen – »Nimm ’ne Cigarre, Alter.«

Schilcher schüttelte den Kopf. »Warum ich so kucke? – Ich bin sehr fidel, Schilcher. – Das heißt, es geht mir gut. Ich beneide mich.«

»Habe nichts dagegen,« murmelte der kleine Herr.

»Das Kind – — das Kind ist doch entzückend, Schilcher.«

»Hat das Buch verkramt.«

»Ist aber doch entzückend, Schilcher.«

Das gute Nußknackergesicht konnte sich nicht länger enthalten, mitvergnügt zu lächeln. »Meinetwegen!« stieß er heraus.

»Und auch gut erzogen« behauptete Rutenberg jetzt.

»Zu weich,« sagte Schilcher.

»In der richtigen Freiheit, Alter, und darum so gut geraten.«

»Bringt dir aber das Buch nicht. »Der erste Ball!« warf Rutenberg ein.

Schilcher mußte wieder lächeln. »Na ja, meinetwegen!«

Rutenberg, in seiner jugendlichen, glücklichen Unruhe, nahm wieder einen Band, betrachtete ihn, steckte ihn wieder hin.

»Dieses verflixte Buch,« sagte er mit einer Art von Genuß, »wird kein menschliches Auge jemals wiedersehn! – — Ja, was ich sagen wollte . . . Ich glaube wahrhaftig, Alter, ich war nie so glücklich. Hab’ heut’ nachmittag lange drüber nachgedacht, und mir ist so dankbar zu Mut. Was sich der Mensch wünschen kann, das hab’ ich – — nein, das zwar nicht: meine gute Frau ist fort. Aber es ist doch merkwürdig, was ich alles habe. Gute alte Freunde – eiserne Gesundheit – Freude an der Arbeit – ein schönes Vermögen, das ich mir selber geschaffen —«

»Und es wächst ja noch,« bemerkte Schilcher.

»Thät nicht nötig, Alter. Aber meine brave Fabrik, die läßt sich ja nicht lumpen, will mich durchaus zum richtigen Millionär machen . . . Und meine gute Vaterstadt wächst auch und gedeiht, eine unserer hübschesten alten Städte, nicht? Gute, heitere Leute, nicht verschopenhauert, nicht weltwehkrank, thun das Ihre und leben gern! – — Ja und dann dieses Kind. Ihr so merkwürdig ähnlich, beinahe wie eine Fortsetzung meiner guten Frau —.«

»Hat aber auch viel von dir,« murmelte Schilcher. Rutenberg lächelte. »Das thut auch nichts, Alter! Mir deucht sogar, die Mischung ist gut! – Ein sehr liebes Kind, Schilcher.«

»Mein einziges; aber ein Prachtstück, so frisch, so gut, so drollig, so zärtlich – und poetisch auch – — na, kurz, diese Gertrud!«

Schilcher wollte nichts sagen, dieser redselige Rutenberg hatte ihn in eine Weichheit hineingeredet, die ihm beinahe unmännlich vorkam. Die großen strahlenden Augen schauten ihn aber gar so auffordernd an. »Freilich!« brummte er. »Was sagst du?«

»Freilich!« sagte ich. – — – »ein Patenkind. – Gut, daß wir sie haben, Rutenberg.«

»Ja, gut, daß wir sie haben. Wenn mir’s zuweilen leid that, Schilcher, daß sie immer älter wurde, dieses süße Göhr, dieser kleine zierliche, spaßige, verrückte Engel, unser Trudelchen —«

Schilcher nickte, mit fast geschlossenen Augen. Er hatte ja nichts als die Trudel. Er hatte sie ja unsinnig lieb.

»Daß ich keinen Zauberstab hatte,« fuhr der poetisch werdende Rutenberg fort, »um das süße Ding damit anzurühren ›Bleib so wie du bist, kleines Spielzeug! kleiner Menschentraum!‹ dann dacht’ ich zum Trost an die Zeit, die nun da ist, Schilcher. Jungfrau Gertrud Rutenberg, siebzehn Jahre alt, ein großes, denkendes, reizend ernsthaftes Geschöpf —«

»Das die Bücher verkramt,« warf Schilcher ein, gegen seine Weichheit kämpfend.

»Unser Kamerad,« fuhr der Vater unbeirrt fort, »unser Mitmensch, unsre – unsre Antigone —«

»Die nicht weiß, daß Jütland zu Dänemark gehört.«

»Die aber ein richtiges deutsches Mädchen ist – eine feine Seele – eine gute, vornehme Seele – und dabei doch immer noch unser Kind! Unser langer, magerer, reizender Liebling, ja, ja, unser Liebling; denn du alter Heuchler, dem ich bis in den tiefsten Grund seines schwarzen, grimmigen, galligen Herzens sehe, du hast sie auch so lieb wie dich selbst! Ja, du, Oberappellationsrat Gottfried Schilcher!«

»Lieber,« sagte Schilcher tonlos und stand dabei auf. – »Nun wollt ich aber eigentlich bei dir ’ne Postkarte schreiben.«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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