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Читать книгу: «Das Kind», страница 2

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3

Die Thür zum Salon öffnete sich und hinter dem melden wollenden Brink ward ein hochgewachsener junger Mann sichtbar, der den untersetzten alten Diener überragte.

»Mein lieber Brink,« sagte der auffallend hübsche Bariton des jungen Mannes, »Sie brauchen Arthur van Wyttenbach nicht anzumelden!«

Er schob Brink mit einer leichten, eleganten Bewegung ein klein wenig beiseite, nur so viel, daß er an ihm vorbeischlüpfen konnte, und trat geschwind in das Bücherzimmer. Ein mattes, flüchtiges Lächeln ging über das noch sehr junge Gesicht, die schwarzgekleidete schlanke Gestalt machte eine etwas gesucht nachlässige, aber doch auch ehrerbietige Verbeugung. Darauf warf er das schöngekräuselte Haar zurück, das ihm in die niedrige Stirn fiel, und heftete die kleinen grauen Augen wohlwollend auf Schilcher und verbindlich auf den Hausherrn.

»Entschuldigen die Herren gütigst,« sagte er mit der einschmeichelnden schönen Stimme, »wenn ich stören sollte —«

»Bitte, Sie stören nicht,« fiel Rutenberg ihm ins Wort. Er wandte sich zu Schilcher. »Herr van Wyttenbach, ein junger – Freund unsres Hauses.«

Schilcher, dem ein Anflug von Unbehagen über das faltige Gesicht ging, machte eine seiner trockenen Handbewegungen; »Herr van Wyttenbach ist mir bekannt.«

»Jawohl, ich habe die Ehre,« warf der junge Mann leicht und doch verbindlich hin. »Wer wird den Herrn Oberappellationsrat nicht kennen!« Er verneigte sich nochmals ein wenig gegen den Hausherrn und sprach in fließender Rede fort: »Sie erwiesen mir soeben die Auszeichnung, Herr Rutenberg, mich einen Freund Ihres Hauses zu nennen. In dieser Eigenschaft, auf die ich stolz bin, hab’ ich mir die Freiheit genommen, an diesem festlichen Abend ein unbedeutendes Zeichen der Huldigung darzubringen und die liebenswürdige Königin des Festes damit zu begrüßen.«

Er hob den großen, farbenprangenden Blumenstrauß ein wenig, den er in der rechten Hand hielt die andere hielt seinen schwarzen Hut.

»Ich denke mir,« fuhr er dann fort, »Fräulein Gertrud wird noch beschäftigt sein, die letzte Hand – er lächelte – »an das große Kunstwerk zu legen, ihre Balltoilette zu vollenden, meine ich. In diesem Fall haben vielleicht Sie die Güte, ihr diesen schlichten Blumengruß zu Füßen zu legen.«

»Mit Vergnügen,« entgegnete Rutenberg höflich. »Ich danke Ihnen. Nehmen Sie Platz, wenn’s gefällig ist.«

»Ich wünsche durchaus nicht zu stören«, sagte Herr van Wyttenbach rasch, »Sie haben ja selber noch Toilette zu machen und so weiter, nur auf einen Augenblick!« Er setzte sich, Rutenberg auch. – »Der große Moment ist nun also gekommen,« fuhr der Jüngling fort. »Der erste Ball! In welcher freudigen Erregung mag das junge Herz da schlagen . . .«

Er hielt lächelnd inne und blickte zur Decke hinauf.

Schilcher, der sonst so Unbewegliche, begann auf seinem Stuhl zu rutschen und warf dem Hausherrn einen Blick des Mißvergnügens zu. Indessen, Rutenberg schien das nicht zu bemerken, in etwas kerzengerader Höflichkeit erwiderte er. »Sie werden den Ball mit meiner Tochter eröffnen, hör’ ich.«

»Eine Ehre, auf die ich stolz bin!« entgegnete Wyttenbach, wieder mit einem leichten Lächeln. »Unter diesen besonderen Umständen ist der Tanz natürlich ein Vergnügen für mich, das ich zu schätzen weiß – wenn ich auch sonst nicht mehr der unreife Jüngling bin, den dieses Herumspringen beglückt. Für ernsthafte Männer wird natürlich der Tanz zu dem, was er wirklich ist: zu einer Spielerei – einer ›angenehmen‹ – na ja, mag sein. Aber doch eigentlich zu einer geistlosen Geschäftigkeit der Beine, des unteren Menschen – also des niederen Menschen. So denke auch ich, meine Herren halte eigentlich schon zu Ihnen – zu Ihnen. Nur die Galanterie gegen die Damen zwingt mich natürlich noch« – — er verbesserte sich »legt mir die angenehme Pflicht auf —«

»Zu springen,« ergänzte Schilcher trocken.

»Zu tanzen,« schloß Wyttenbach seinen Satz.

»Schadet Ihnen nichts,« bemerkte Schilcher.

Der junge Mann lächelte etwas gezwungen. »Gewiß nicht! – Gewiß nicht! – Außerdem ist es ja eine gesunde körperliche Bewegung – wie schon die Alten bemerkten und wenn Plato das Gehen für die gesündeste Motion erklärte, so —«

Er konnte nicht zu Ende sprechen, Gertrud erschien eben in der Thür, zu seiner Verwunderung noch im Hauskleid, aber mit einem entzückend strahlenden, zugleich auch ein bißchen verlegenen Gesicht. Indem sie ihm flüchtig zunickte und noch stehen blieb, sagte sie: »Brink hat mir’s verraten. Ein Bouquet für mich!« Wyttenbach war aufgestanden mit einer seiner elegantesten Verneigungen kam er auf sie zu. »Allerdings,« sagte er, das »r« wie ein Lieutenant schnarrend, »diese armen Blumen, verehrtes Fräulein Gertrud, möchten Sie begrüßen.« Wie zur Entschuldigung zuckte er die Achseln. »Das Beste, was unser rauher deutscher November hergab —«

»Das Treibhaus,« setzte Schilcher hinzu.

Gertrud hörte das nicht, sie nahm die Blumen und schaute sie zärtlich an. »O wie dank’ ich Ihnen!« sagte sie mit fast kindlicher Freude. »O wie bin ich glücklich!«

Sie war aber zu eilig gewesen, der junge Mann hatte noch allerlei zu sagen, mit einer geschickt tändelnden Bewegung nahm er ihr den Strauß wieder aus der Hand und bewegte ihn vor ihr hin und her, wie wenn er damit salutierte. »Die Blumen brauchten zwar nicht deutsch zu sprechen,« setzte er darauf seine Rede fort, »denn sie haben bekanntlich ihre eigne Sprache, aber sie möchten Ihnen doch auf deutsch ein paar Worte, ein paar Verse sagen.

 
›Der Süßen Süßes!‹ spricht ein Dichterwort
›Der Blume Blumen!‹ wagen wir zu sprechen.
Doch wir verbessern uns sofort:
Der Knospe will man Knospen brechen.
Du Knospe denn, die sich zur Blume heut’ erschlossen
Nimm Knospen hier und Blumen zu Genossen!«
 

Nun erst überreichte er ihr das Bouquet, mit feierlichem Lächeln, dann wandte er sich zu den Männern zurück. »Meine Herren,« sagte er, auf einmal zehn Jahre älter geworden, »verzeihen Sie mir diese kleine lyrische Schwärmerei!«

Das Mädchen hatte mit rührend großen Augen bewegungslos zugehört, während ihr Dichter die Verse mit seiner schönen Stimme sprach, da sie nun den Strauß wieder in der Hand hielt, die vor Freude leise zu zittern anfing, dankte sie über ihn hinweg mit einem verstohlen liebevollen Blick. Sie versenkte ihr feines Näschen, ihr ganzes Gesicht in die duftenden Blumen, küßte sie heimlich, nur Arthur konnte es sehn. Aus dem Bouquet heraus klang dann ein leises, kaum vernehmbares, glückseliges Lachen.

Unterdessen beugte sich Rutenberg zu Schilcher hinunter und sagte ebenso leise: »Ein etwas süßes, fades Herrchen was?«

»Ein Hansquast!« flüsterte Schilcher.

Gertrud strahlte wieder den Dichter an. »Und wie dank’ ich Ihnen für die schönen Verse! Die müssen Sie mir aufschreiben —«

Mit einer geringschätzigen Bewegung lehnte Wyttenbach diese Zumutung ab.

»Ich verlang’ es!« sagte sie wie eine kleine Herrscherin, doch dann lieblich bittend. »Sie müssen!« – Jetzt lief sie zum Vater, den sie so von Herzen liebte, und hielt ihm den Strauß hin, daß auch er daran riechen, sich mitfreuen sollte. »Nun, Ballväterchen?« sagte sie, als er das gethan hatte, und streichelte ihm die blühenden Wangen trotzig mit dem Strauß. »Deine Trudel geht nun und macht sich schön. Könnt’st das wohl auch thun, du. Bitte, wart’ heute nicht wie gewöhnlich bis zum allerletzten Augenblick!«

»Nein, nein, ich werd’ mich anständig benehmen, Trudel,« erwiderte der Vater. Er legte ihr eine Hand an die warme und so weiche Wangen es that ihm gar gut. Auf Schilcher hinunterblickend, deutete er mit dem Kopf auf das Kind, voll Liebe und Wohlgefallen. Sein Blick schien zu fragen: Hab’ ich vorhin zu viel gesagt? bin ich nicht sehr glücklich? – Dann fragte er auch noch mit der Stimme durch ein leises »Hm?«

»Hm!« erwiderte Schilcher einverstanden.

Rutenberg wandte sich zu dem jungen Mann »Sie entschuldigen uns, Herr van Wyttenbach.«

»Bitte sehr« fiel dieser ein »der sich zu entschuldigen hat, das bin ich!« – Er nahm seinen Hut, den er vor dem Versesprechen aus der Hand gelegt hatte, wie um nun auch zu gehn.

Schilcher war aufgestanden, er nahm Rutenbergs Arm und zog ihn langsam zur andern Thür, die in Rutenbergs Wohnzimmer führte. »Ich schreib’ noch erst meine Postkarte bei dir,« sagte er: »Brink will sie dann in den Briefkasten stecken. Im Gehn setzte er leise hinzu, nachdem er den jungen Mann zum Abschied mit der Hand gegrüßt hatte. »Und ich trinke einen Schnaps auf dies Zuckerwasser . . .«

»Gut zum Tanzen, Schilcher!« flüsterte Rutenberg, harmlos vergnügt, mit einer kleinen Daumenbewegung auf Wyttenbach zurückdeutend. »Ballfutter!« – Damit gingen sie aus der Thür.

4

Herr van Wyttenbach hatte sich, während die beiden Alten noch in Sehweite waren, mit einer förmlichen Verbeugung von Gertrud verabschiedet, als sie verschwanden, blieb er an der Salonthür stehn, warf das schöngekräuselte Haar zurück und lächelte das Mädchen zärtlich an. Die Stimme ein wenig dämpfend, doch nur so, daß sie noch Wohllaut behielt, fragte er, indem er die Lippen spitzte.

»Also ich hab’ Ihnen etwas Freude gemacht, meine süße Gertrud?«

Sie nickte liebevoll. »Die Blumen – und ihre Sprache! Ach, ich bin so glücklich!«

»Sind Sie glücklich, Gertrud?«

»Ich kann Ihnen so nicht sagen,« antwortete sie, »wie ich glücklich bin! – ›Und immer ging sie fort‹ . . . Ich muß Ihnen noch einen Traum erzählen —«

Sie sollte aber ihren Traum heute nicht zum zweitenmal los werden. Arthur legte plötzlich einen Finger auf die Lippen und deutete mit dem Kopf hinter sich nach der Thür. Nun hörte sie auch Schritte dort, und Brinks verschleierte Stimme. Es wollte offenbar jemand kommen, man sprach hin und her. Arthur zuckte entsagend die Achseln, Gertrud, die siebzehnjährige, stampfte auf die Erde; sie fühlte, wie sie diesen Jemand haßte.

Richtig, dachte sie, da kommt das Ungetüm! Die Salonthür ging auf, eine lange Gestalt, ebenso lang wie Wyttenbach, ebenso schwarz gekleidet, erschien auf der Schwelle. Es war ein junger Mann mit blassem Gesicht, mit sehr ernsten Zügen, den weichen schwarzen Hut hielt er in der Hand. Den kenn’ ich ja, dachte Gertrud, die ihn mit herzlichem Widerwillen ansah, da er sie so störte. Zu ihrem Erstaunen zitterten ihm die Lippen eine Weile, ehe er mit etwas unsicherer Stimme zu sprechen anfing. »Entschuldigen Sie, Fräulein Rutenberg —!«

»Ach ja, wir kennen uns,« sagte sie nun gutmütig, seine Aufregung entwaffnete sie. »Herr von Hiller, nicht wahr —«

Der junge Mann lächelte, im ersten Augenblick etwas schmerzlich, aber schnell gefaßt. »Sie verwechseln mich mit einem andern, mein Fräulein,« sagte er schlicht. »Waldeck ist mein Name.«

»O!« stieß sie erschrocken aus. »Verzeihen Sie! – Ja, ja, nun seh’ ich —«

»Was ist da zu verzeihen,« unterbrach er sie, »Sie haben mich ja nur ein paarmal gesehn. Ich wollte mir erlauben, Ihren Herrn Vater – wohl etwas spät – in einer besonderen Sache – — Aber ich höre eben, hier ist heute Ball. Ihr Herr Vater wird also nicht mehr zu sprechen sein, vielleicht könnt’ ich morgen —«

Gertrud schüttelte den Kopf. »Ach nein! Wenn Sie hier etwas warten wollten – er zieht sich an, aber er ist bald wieder da. Mit seiner Toilette« – sie lächelte ermutigend – »dauert es nicht lange! Ich werd’ ihm sagen lassen, nicht wahr, daß Sie auf ihn warten . . .«

Na, dachte sie, während sie sprach, ich bin doch freundlich genug gegen das Ungetüm!

»Zu gütig, mein Fräulein,« erwiderte der andre mit seiner sonderbar gepreßten Stimme, die das Mädchen so weich und liebenswürdig gemacht hatte.

»Aber jetzt entschuldigen Sie mich,« fiel sie ein, mit einem Blick auf ihr Hauskleid, »ich muß nun endlich fort, ’s ist die höchste Zeit! – Wenn Sie Waldeck heißen – ach Gott, wie konnt’ ich, dann sind die Herren ja alte Freunde, nicht wahr?«

Wyttenbach nickte: »Schulfreunde, jawohl.«

»Ich lasse Sie also allein – Sie können ja von alten, alten Zeiten miteinander sprechen.« – Ueber ihren Strauß hinweg warf sie rasch noch einen zärtlichen Blick auf Arthur, ganz verstohlen, wie sie dachten; er war aber doch nicht verstohlen genug, denn der Herr Waldeck fing ihn auf. »Auf Wiedersehn!« rief sie, »bald!« – Mit anderer Stimme und einer ihrer gelernten leichten Verbeugungen wandte sie sich dann zu dem andern »Adieu, Herr – — Waldeck

Sie errötete nachträglich, daß sie ihn »Hiller« genannt hatte, und lächelte und huschte hinaus.

Waldeck sah ihr nach. Seine starken, dunkelblonden Brauen zogen sich zusammen, als dächte er an den heimlichen Blick mit dem sie Arthur eben angestrahlt hatte. Er zuckte, als ihm nun Arthur eine Hand auf die Schulter legte; er schien merkwürdig erregt zu sein. »Nun, Waldeck?« sagte Arthur. »So düster?«

»So heiter?« fragte Waldeck zurück.

»Das ist ’ne komische Frage. Warum sollt’ ich nicht heiter sein? Wenn irgend ein Mensch dazu Ursache hat, so hab’ ich – —«

Er unterbrach sich, nach einem neuen Blick auf den alten Schulfreund, mit dem er als Junge so manchen lustigen Streich ausgeführt hatte. Gutmütig, wie er im Grunde doch war, legte er ihm wieder eine Hand auf den Arm:

»Uebrigens, wenn ich dir mit etwas nützlich sein kann, so disponier’ über mich. Du siehst so aus, alter Junge, wie wenn du Sorgen hättest, – brauchst du vielleicht ›Kies‹? oder ›Schotter‹, wie der Oesterreicher sagt? Ich hab’ im Augenblick ›heidenmäßig viel Geld‹!«

Offenbar wider Willen lächelnd, sah Waldeck den jungen Krösus freundlich an. »Ein guter Kerl bist du doch!«

»Daran hast du hoffentlich nie gezweifelt,« warf Wyttenbach hin. »Also – brauchst du Geld?«

»Gott sei Dank, nein. Weder das, noch sonst was! – Es geht dir also gut.«

»O ja,« sagte Wyttenbach, die kleinen Augen vor Vergnügen noch kleiner machend. »O ja, mehr als gut! – Ich werde jetzt solid. Ich werde jetzt un homme sérieux

»Schon? – Dann bist du ja mit vierzig ein Greis!«

Wyttenbach lächelte überlegen, sein braunes Schnurrbärtchen in die Länge ziehend. »O, ich werd’ es schon verstehen, mein Junge, mich jung zu erhalten! – Von allem etwas, weißt du, und von nichts zu viel: Arbeit, Ruhe, gutes Leben, zuweilen eine Reise zur Auffrischung, ein viertel Jahr auf dem Lande, denn meine entschiedene Absicht ist, Großgrundbesitzer zu werden. Das gehört jetzt mit dazu, und mit Recht! Das giebt dir festen Boden unter den Füßen, giebt dir eine gesunde Existenz, eine solide Weltanschauung, Ansehen und Einfluß. Später laß’ ich mich dann in den Reichstag wählen —«

»Und dein Großgrundbesitz,« fragte Waldeck, »wer verwaltet den?«

»Ich selbst, wer denn sonst? Eine Thätigkeit muß der Mensch haben, natürlich, das ist der kategorische Imperativ des Lebens . . . Ich studiere jetzt erst eine Weile Landwirtschaft und Nationalökonomie, dann mach’ ich noch eine kleine Reise um die Erde – das gehört mit dazu —«

»Und dann heiratest du,« ergänzte Waldeck, mit einem unwillkürlichen Blick auf die Thür, durch die vorhin das junge Mädchen hinausging.

»Wahrscheinlich!« sagte Wyttenbach lächelnd.

»Und heut’ – wirst du hier tanzen.«

»Naja!« – Wyttenbach lächelte wieder, aber matt, resigniert. »Ich bin ja noch in dem Alter, wo man herumhopsen muß. Und überhaupt – eine Zeit lang muß ich die Kindereien noch mitmachen. Obgleich ich eigentlich, kann ich dir sagen, mit all diesen Jugendeseleien ziemlich fertig bin —«

»Bist wohl schon sehr blasiert?« fragte Waldeck, nach einem neuen düsteren Blick auf die Thür.

»Die Sachen verlieren ja natürlich mit der Zeit ihre Reize! Indessen, wenn man noch jung ist —«

Waldeck unterbrach ihn wieder, mit einem etwas unsicheren Anlauf. »Und – durch was für einen Glücksfall willst du das alles erreichen, wenn man fragen darf?« Wyttenbach trat einen Schritt zurück, sein glattes, hübsches Gesicht verzog sich: »das möcht’st du wohl wissen,« sagte er vergnügt. »Das ist mein Geheimnis. – Adieu!«

Er ging zur Salonthür.

»Adieu!« rief ihm Waldeck nach.

Mit der blasierten Grazie eines Prinzen öffnete Wyttenbach die Thür und stieß sie vor sich her.

5

Fritz Waldeck stand eine Weile, ohne sich zu rühren, dann seufzte er langsam, tief, er wußte nicht warum. Ein schwer wütiges Gefühl lag ihm so breit und voll auf der Brust. Der wird nicht umkommen, dachte er, der macht seinen Weg . . . Und diese hübsche Figur aus Chinasilber scheint der Gertrud Rutenberg gar so gut zu gefallen . . .

Er versank in diesen Gedanken wie in weichen Moorgrund.. er kam nicht wieder heraus. Vielleicht hatte er schon lange so dagestanden, auf demselben Fleck, als endlich die andere Thür, die zu Rutenbergs Wohnzimmer, aufging und der Hausherr erschien. Die noch so jugendliche breitschulterige Gestalt war nun für den Ball gekleidet, ins Knopfloch hatte Rutenberg eine Rose gesteckt, die ihm Gertrud durch die kleine Jungfer aus ihrem Arthur-Strauß geschickt hatte. Hinter ihm, etwas später, kam Schilcher, noch in seinem Hausrock.

»Ich stehe Ihnen jetzt zu Diensten,« sagte Rutenberg. »Mit wem habe ich – —«

Er unterbrach sich selbst; der schlanke, blasse junge Mann stand wie ein Fragezeichen vor ihm. Es war ihm, als hätte er schon eine ähnliche Erscheinung gesehn, und doch war ihm diese fremd. Er sah in ein tiefernstes, kühnes, geistiges Gesicht, es erinnerte ihn an eine Büste von Schiller, die er vor Zeiten gesehen hatte. Der junge Mann gefiel ihm, eine gewisse sonderbare Schwermut in den starken Zügen ging ihm gleich zu Herzen.

»Entschuldigen Sie, Herr Rutenberg,« sagte Waldeck schlicht, die magern Wangen flogen aber rötlich an. »Ich komme zur unrechten Zeit —«

»Durchaus nicht,« erwiderte Rutenberg. »Bis die ersten Gäste kommen, und das dauert noch lange, hab’ ich nichts zu versäumen. Also —«

Nach einem ungewissen Blick auf Schilcher der regungslos bei der Thür stand, fiel Waldeck ihm in die Rede: »Dann verzeihn Sie. Ich hätte eigentlich mit Ihnen allein —«

»Ist mein Freund da zu viel?« fragte Rutenberg, gemütlich lächelnd. »Er ist eigentlich wie mein zweites Ich. Indessen, wenn Sie wünschen —«

Schilcher wandte sich stumm zur Thür.

Mit einer hastigen, etwas eckigen Bewegung suchte ihn der Jüngling jetzt zurückzuhalten. »Ach nein! Bitte, bleiben Sie Herr Oberappellationsrat. Unter diesen Umständen . . . Es könnte vielmehr gut sein . . . Es wird mir nämlich so furchtbar schwer, ich meine, das, was ich sagen will. Vielleicht bring’ ich’s leichter heraus, wenn der Herr Oberappellationsrat da ist – den ich doch schon kenne. Ich habe nämlich die Ehre —«

»Wir kennen uns, ich weiß,« murmelte Schilcher. Er warf einen freundlichen, ermutigenden Blick auf Waldeck und lehnte sich in sein er kurz entschlossenen Art an den nächsten Tisch.

»Also, wie Sie wünschen!« sagte Rutenberg, in dem sich die angeborene Ungeduld nun doch zu regen anfing. Er lud den jungen Mann ein, sich zu setzen. »Ihr werter Name, mein Herr —!«

»Eh’ ich Ihnen den sage,« fiel Waldeck ein, indem er sich niedersetzte, »gestatten Sie mir drei Worte . . . Es handelt sich um eine – eigene, delikate Sache; und es wird mir so schwer, den Anfang – — wie ich beginnen soll, mein’ ich —«

Rutenberg lächelte. »Nun, so überlegen Sie sich’s. wir haben ja Zeit!«

»Sie sind gar zu gütig . . . Ich hab’ also das Unglück gehabt, Herr Rutenberg, mein Herz an Ihre Tochter zu verlieren —«

Rutenberg stand auf. Diese gänzlich unerwartete Mitteilung fuhr ihm in die Glieder. Schilcher rührte sich nicht. Auch Waldeck saß ohne Regung da; er atmete nur tief, als hätte er das eine Weile gar nicht gethan, und ward wieder blaß, noch blasser als vorher.

»Bitte, erschrecken Sie nicht!« fuhr er dann mit einer Art von Lächeln fort, das den gutherzigen Rutenberg wieder rührte. »Wenn Sie etwa fürchten sollten, es könnte das gegenseitig – ach nein, so steht’s nicht. Das Fräulein kennt mich so wenig – daß sie mich verwechselt . . .«

Rutenberg setzte sich wieder.

»Daß sie mich verwechselt . . . Mein Fall ist so eigentümlich. Eh’ ich es wagen würde, mich dem Fräulein zu nähern – das ich leider schon zu oft, zu viel gesehen habe —«

»Entschuldigen Sie,« nahm nun Rutenberg doch das Wort. Der junge Schiller da schien ihm allmählich ein junger Don Quichote zu werden. »Sie reden nun schon einige Zeit, aber ich muß Ihnen offen bekennen, noch versteh’ ich kein Wort.«

»Ja,« stammelte Waldeck, »das mag wohl sein . . . Eh’ ich es also wagen würde, mich dem Fräulein zu nähern, möchte ich von Ihnen hören – muß ich von Ihnen hören – ob Sie je gestatten würden, daß der Sohn Ferdinand Waldecks Ihre Tochter heiratet.«

Rutenberg stand wieder auf, diesmal schoß ihm aber das Blut ins Gesicht. In seine leuchtenden, menschenfeindlichen Augen stieg eine plötzliche Glut, seine Hände zogen sich zusammen. »Ferdinand Waldecks?« fragte er.

Waldeck erhob sich nun auch. »Ja« antwortete er.

Schilcher nickte jetzt vor sich hin, er hatte bisher kein Glied gerührt. Da die andern aufgestanden waren, setzte er sich nieder.

»Versteh’ ich Sie recht?« fragte Rutenberg, den sein Gefühl, wie so oft, fortzureißen anfing. »Ferdinand Waldecks, der damals damals nach Amerika floh? Der sich das Leben nahm?« – Der junge Mann nickte, mit einem schmerzhaften Zucken. – »Der aus der Welt ging, weil er in ihr keinen Platz mehr hatte – weil er ein verlorener Mensch, ein Verbrecher war?«

»Herr —!« rief Waldeck aus.

Rutenbergs Empörung war aber nicht mehr aufzuhalten: »Der ein Betrüger und ein Schurke war,« fuhr er fort, »bis in seinen Tod?«

Der unglückliche Fritz Waldeck bebte. Zwischen den völlig farblosen, zitternden Lippen stieß er hervor: »Herr, das lü —!«

Er brach aber ab. Mit einer überraschenden Gewalt, eine Hand aufs Herz legend und dann an die Stirn, erstickte er sichtbar, was er sagen wollte, und zwang sich zur Ruhe. Ihm kam auch wieder etwas Blut in die Lippen. Erst nachdem er sich ganz gefaßt hatte, sagte er mit Haltung und sogar mit Würde: »Sie sagen da nicht die Wahrheit, mein Herr!«

»Hm —!« murmelte Schilcher, nur so vor sich hin.

Rutenberg warf einen Blick auf Schilcher, sein altes lebendiges Gewissen, er suchte sich dann ebenso zu fassen wie der Junge da. »Na ja,« fing er weich und unsicher, fast etwas verlegen an »es thut mir leid. Sie sagten ja – — Sie sind also der Sohn. Der Fritz, den ich als Kind – — Jetzt ist mir auch, als seh’ ich in Ihnen das Kind. Es macht mir kein Vergnügen, bei Gott nicht, jemandem weh zu thun . . . Was aber Ihre Behauptung betrifft, daß ich nicht die Wahrheit sage – Sie sind jung – sehr jung —«

»Verzeihen Sie,« entgegnete Waldeck mit fast heiserer Stimme, »wenn ich trotz meiner Jugend wiederhole, Sie haben nicht das Recht, meinen Vater so zu nennen, wie Sie ihn nannten. Es ist nicht die Wahrheit!«

Rutenberg sah den jungen Fritz Waldeck eine Weile schweigend an, er murmelte unverständlich, er bewegte die Brauen, die Lider. Doch kein Don Quichote, dachte er, doch mehr Friedrich Schiller . . . »Ich will Ihnen was sagen, junger Herr,« nahm er endlich das Wort. »Gehn Sie wieder. Es ist besser so. Sie können mich nicht bekehren, und ich kann nicht lügen – obwohl Sie vorhin meinten, ich könnte es. Wozu uns böse Worte sagen. Sie mögen ein guter Sohn und ein guter Mensch sein. Eine – eine Art von Antwort hab’ ich ja schon gegeben —«

»Verzeihen Sie,« sagte Fritz Waldeck und trat in seiner blassen Erregung einen Schritt näher zu Rutenberg hin. »Ich kann so nicht gehn. Diese Beschimpfung, diese Entehrung meines toten Vaters —«

»Herr!« rief Rutenberg, in dem es wieder überwallte, »wer hat ihn denn beschimpft, wer hat ihn denn entehrt, als sein eigenes Leben und sein eigener Tod?«

Er glaubte jetzt zu hören, daß sich auf Schilchers Stuhl etwas rührte; sogleich zwang ihn ein inneres Unbehagen, einen Blick hinüberzuwerfen: richtig: aus dem guten, klugen Nußknackergesicht sahen ihn die blaßgrauen Augen ganz still und doch wie um etwas mehr Ruhe bittend an. Naja! dachte Rutenberg, einen Augenblick verstimmt, dann einverstanden, und knöpfte am Rock über seiner Brust.

»Junger Mann,« sagte er ruhiger, »ich war sein Freund, als Sie noch ein Kind waren. Sie waren auch noch ein Kind, oder nicht viel mehr, als er meine Freundschaft, mein Vertrauen täuschte – bitte, reden Sie nachher – als er uns alle täuschte, die wir ihm vertraut hatten, und – — ja, und dann davonging, auf Niewiederkommen. Es war diese tolle Zeit, vor Dreiundsiebzig, die hoffentlich auch nie wiederkommt, wo die neuen Gründungen über Nacht in die Höhe schossen wie Pilze, und die Millionen kamen und gingen wie die Seifenblasen und die guten Namen mit ihnen! Damals gründeten Sie auch diese gottverfluchte Bank – und Ihr Vater mit. Und weil ich ihm glaubte – nicht den andern, verstehen Sie wohl, sondern ihm, ihm, dem grundgescheiten und gründlich eingeweihten und ehrlichen Ferdinand Waldeck – so gab ich mein sauer erworbenes junges Geld hinein, mehr und immer mehr. Und wenn ich doch einmal zauderte, wenn ich zweifelte – Gieb nur her! schrieb er, gieb nur her! es steht gut, wir blühen, wir gedeihen, wir machen rasende Geschäfte, du wirst Millionär dabei! – Ja, und endlich – krach! Wie loses Pulver flog alles in die Luft. Alles war hin. Herr, ich jammere nicht um das Pulver, um das Geld. Ich hab’s längst verschmerzt. Wenn meine Fabrik damals in Gefahr kam, durch diese vielen Aderlässe zu blutarm zu werden und umzufallen, sie hat sich wieder erholt, und wie! Aber nur Ferdinand Waldeck hab’ ich’s nie verschmerzt – werd’s auch nie verschmerzen. Er hat seine Ehre, seine Seligkeit – Und nun rühren Sie nicht länger auf, was ich da in mir habe; lassen Sie mich, gehn Sie fort!«

Waldeck Sohn schüttelte jedoch den Kopf, als wollte er durch die stumme Bewegung sagen: Ich kann noch nicht gehn! Er drehte den Hnt zwischen den zitternden Händen, ungelenk wie ein Bauernknecht. In seinen übergroß gewordenen Augen leuchtete aber eine unverzagte Flamme, die das abgemagerte Gesicht verklärte und verschönte. Mit überraschend klarer Stimme erwiderte er dann:

»Sie sagen die Wahrheit nicht, Herr Rutenberg, weil Sie sie nicht wissen. Nicht ein Betrüger war mein Vater, sondern betrogen wie Sie. Die andern, die andern hatten ihn getäuscht. Und das trieb ihn dann in die Verzweiflung, in den Wahnsinn und in den Tod!«

»Herr, beweisen Sie das!« rief Rutenberg aus. »Worten glaub’ ich nicht. Worte, Worte hatte auch Ihr Vater, die waren alles, was er uns zurückließ. Dann – fort übers Meer – und dann in die andere Welt!

»In die andere Welt,« wiederholte Waldeck mit bitterem Lächeln. »Dahin ging er ja, weil er es nicht mehr aushielt, in dieser Welt so beschimpft zu leben. – und weil die Verzweiflung ihm den Verstand verwirrt hatte. Noch auf dem Sterbebett hat mir meine Mutter – die nie eine Lüge auf der Seele hatte, glauben Sie mir das – noch in der letzten Stunde, eh’ sie das Bewußtsein verlor, hat sie mir beteuert: dein Vater war ohne Schuld! Aber die blinde Wut der Menschen, die giftigen Verleumder brachen ihm das Herz —«

Jetzt fuhr Rutenberg wieder in die Höhe. »Junger Mensch, von wem reden Sie? Wer sind die Verleumder? – Geben Sie besser acht, was Sie sagen. Sie können weder Ihren Vater noch Ihre Mutter aus dem Grabe rufen, schaffen Sie Beweise, die für Ihren Vater und Ihre Mutter zeugen —«

Waldeck zuckte hilflos die Achseln.

»Oder reden Sie nicht von giftigen Verleumdern! – Als diese Bank damals in den Erdboden versank, und nichts als einen wertlosen Haufen bedruckter Papierbogen auf der Welt zurückließ – und der oberste dieser Schurken, der Direktor, mit seinem Sekretär in irgend ein unbekanntes Land verduftete – warum blieb Ihr Vater nicht da, wo sein Platz war, und stellte sich dem Gericht, um sich zu reinigen – wenn er sich schuldlos fühlte? Warum ging er auch, bei Nacht und Nebel, über den Ocean? Warum that er nichts, gar nichts, um es gut zu machen? Warum wurde er still wie das Grab, statt für seinen guten Namen zu reden und zu zeugen, so lang’ er noch Atem hatte? – Herr, wenn so die Unschuldigen handeln, dann kenne ich die Welt nicht. Ich hab’ Ihre Mutter bedauert, ich kann Sie bedauern aber Ferdinand Waldeck —«

Er machte mit dem Arm, den er erhoben hatte, einen langen Strich nach unten durch die Luft »So tief, wie die Erde ist,« setzte er dann mit der ganzen Kraft seines überströmenden Gefühls hinzu, »ist der Abgrund zwischen mir und ihm!«

»Und seinem Sohn,« ergänzte der unglückliche Waldeck langsam, nachdem er wieder einen tiefen Atemzug gethan hatte. Er trat hinter sich und stieß dabei gegen einen der Spieltische. Auf den blickte er dann verstört. »Ich hab’ also meine Antwort,« murmelte er, nachdem er sich eine Weile gesammelt hatte. »Also leben Sie wohl« – Er ging zur Thür.

»Sie haben keine Beweise?« fragte Rutenberg hinter ihm her, um doch noch etwas zu sagen.

Der Jüngling schüttelte den Kopf. »Die hier verlangt werden, nein, die nicht. – Ich kann die Toten nicht aus dem Grabe rufen. O, Sie haben recht. – Dennoch weiß ich, mein Vater – —«

Er brach aber mit einem Seufzer ab, der tief aus der Brust stieg. Mit überraschend frühreifer Würde verneigte er sich darauf gegen beide, und sagte zu Rutenberg: »Ich bedaure, wenn ich Sie an so einem Tage des Vergnügens störte. Leben Sie wohl!«

Etwas taumelnd, dann wieder fest und sicher kam er aus der Thür.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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