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Читать книгу: «Das Kind», страница 5

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Die letzten Monate des Jahres 1880 waren im südlichen Italien so schön, wie man sie auch dort nicht oft wiederfindet; wer damals im Süden war, wird es nicht vergessen. Rutenberg, Schilcher und Gertrud, drei Tage nach dem Ball gen Bozen, Rom, Neapel aufgebrochen (die Tante blieb zu Hause; sie liebte das Reisen nicht, auch verstand sie mit Gertrud sich nicht immer gut), fast vier Wochen waren sie nun schon unterwegs, man schrieb Dezember: noch hatte nicht eine regnerische, ja nicht eine umwölkte Stunde das reine, herbstmilde Sonnengold abgelöst, das sich im Golf von Neapel in das Goldbraun und Rosaviolett der Berge, das Edelsteinblau der Buchten und das Silberweiß der friedlich spielenden Brandung verwandelte. In Sorrent, wohin sie sich vor dem Lärm von Neapel geflüchtet hatten, waren sie nicht in einem der großen Hotels bei der »kleinen Marine« abgestiegen, die Schilcher zu »modern« fand, sondern in einem vornehm gemütlichen, einer ehemaligen Villa, die ein wenig abseits, aber auch wie die andern auf der natürlichen, herrlichen Felsterrasse lag, welche das üppig gesegnete ebene Land in den Golf hinausschiebt. Hier verträumten sie nun schon vierzehn Tage: der Zauber dieser Spätherbstfrische über dem Meer ließ sie nicht los. Es war so schön, in dem immergrünen Garten der Villa am steinernen Bollwerk zu sitzen und vom steilen Fels, der wie eine Riesenmauer aufragt, in das vielfarbig tändelnde Wasser hinabzuschauen, oder über den Golf hinweg den dampfenden Vesuv und die duftigen Inseln und das langhingestreckte, traumhaft stille Neapel anzustaunen. Schön war es auch, auf der Felsentreppe – »wie ein alter homerischer Grieche«, sagte Schilcher – ans Meer hinunterzusteigen, von der Sonnenwärme lieblich angeglüht, und zwischen den Steinen reizende Muscheln oder antike Marmorstücke zu suchen oder fortzugehen und am Capo di Sorrento auf wunderbaren Trümmern einer altrömischen Villa, der leisen Brandung zu lauschen; oder auf die Höhen zu steigen und vom Rücken der Halbinsel herab die beiden Golfe zugleich zu genießen: den wilderen von Salerno, den weicheren von Napoli. Man mußte nur erst die langweiligen, aussichtslosen Mauerwege im Ort und oft weit hinaus überwunden haben, über die Schilcher den Kopf schüttelte, Gertrud seufzte und Rutenberg schimpfte; denn sie forderten nicht nur Geduld, sie führten auch oft krummbogig irre und nicht zum Ziel, sondern fast zum Anfang zurück. War man aber glücklich ins Freie und auf weitschauende Höhe gekommen, so war es diesen Nordländern wie ein Märchen, im Dezember hoch und frei bei blühenden und duftenden wilden Myrtenbüschen zu sitzen, auf zwei Meere hinabzuschauen, die ernste Rauchsäule des Vesuv im süßen Sonnenlicht zu sehen und nahe und ferne Gebirge, schimmernde und nebelnde Städte, kleine und große Felseilande und all das unvergängliche Grün des Südens im Auge zu fühlen, während ihre Landsleute daheim am Fenster standen und in undurchdringliches Schneegestöber starrten.

Es war schon der vierzehnte Sorrentiner Abend; Schilcher kam aus seinem Zimmer, das warm gegen Süden lag, und ging sachte pfeifend zum gemeinsamen Salon. Ihm gefiel eigentlich diese Lebensweise: spät »zu Mittag« zu essen – im Grunde zu Abend – und dann noch ein paar Stunden gesellig beisammenzusitzen mit oder ohne Buch, plaudernd oder stumm, bis der Tag, an dem man so manches unter freiem Himmel erlebt hatte, hinter den Vorhängen des vor den Mücken Schützenden Himmelbetts in weichem Schlummer verging. Ihm fehlte nur jeden Abend das Eine, an das ihn die letzten zehn Jahre zu seinem Unglück gewöhnt hatten; die gemütliche Partie Whist . . . Indessen seine Opferfreudigkeit erwachte wie gewöhnlich, als er den »Reisezweck«, wie er Gertrud zuweilen im Spaß gegen Rutenberg nannte, im Salon am Klavier stehen sah und eines der neapolitanischen Liedchen singen hörte, die sie von den Volkssängern gelernt hatte. Ihre Stimme klang so frisch, so jung – und so vergnügt. Die schlanke Person stand so kummerlos da. Er horchte recht andächtig und blieb an der Thür, aufrecht, bis sie die letzte Strophe herausgeschmettert hatte und die Begleiterin am Klavier, die gute, lange englische Dame, aufstand.

»Sehen Sie,« sagte die Engländerin in ihrem vorsichtig langsamen, die Worte zusammensuchenden Deutsch, »wie gut haben Sie jetzt dieses Lied gesungen Entzückend, wirklich!«

»Ich war selbst ganz erstaunt,« antwortete Gertrud heiter und wiegte sich auf den Zehen: »vieles sang ich richtig!«

»Alles, alles!« behauptete die gute Dame.

Gertrud nickte ihr dankbar zu: »Sie begleiten so gut, gnädige Frau, daß es einem schwer wird, falsch und schlecht zu singen. – Ich danke Ihnen so sehr!«

»O, es ist ein großes Vergnügen, wenn man kann nützlich sein. – Noch ein Lied? La bella Napoli

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich danke! Will noch etwas lernen. Italienisch! Ich bin noch so dumm!«

Sie legte die Noten zusammen, trat an den großen runden Tisch, auf dem neben allerlei Zeitungen und Heften ihre kleine italienische Grammatik lag. Die Engländerin schlug noch leise eine Melodie an, die der andächtig horchende Schilcher nicht kannte; dann stand sie auf, warf einen Blick durch die Glasthür auf den großen Balkon und in die blaue Nacht hinaus und ging durch die Korridorthür davon.

Schilcher setzte sich an den runden Tisch; es machte ihm Vergnügen, so ganz unvermerkt der Trudel zuzuschauen, wie sie sich mit ihrer siebzehnjährigen eckigen Grazie bewegte. Als sie sich in ihr Buch vertiefte, kam aber die wehmütige Erschlaffung über ihn, die bis jetzt keinen Abend ausblieb. Er sah im Geiste den dicken Lugau vor sich, wie er Karten gab, und Wild, wie er sie aufnahm und die Augen groß machte. Mit einem ganz leisen, verstohlenen Seufzer fing er an, die Daumen übereinander zu rollen. Ihm gegenüber, auch am Tisch, saßen zwei Damen, die er sogleich für Lugau und Wild hingegeben hätte, alte, vertrocknete, auffallend hagere und häßliche Geschöpfe, so häßlich, daß man sie immer wieder anschauen mußte; die eine las und die andre stickte.

Ein Herr, der mit seinem Fernglas an der Fensterthür stand und schräg auf den nächtlichen Golf hinaussah, ein Amerikaner schob sein kleines Rohr jetzt zusammen und kam, ernsthaft und zutraulich wie immer, auf den träumenden Schilcher zu. »Der Vesuv glüht heute abend wieder sehr stark,« sagte er in recht gutem Deutsch, mit seiner ruhigen, freundlichen Bestimmtheit.

»So?« entgegnete Schilcher. »Hab’s noch nicht bemerkt.«

»Es fließt wieder neue Lava aus.«

»Schön«, sagte Schilcher.

Das ist doch merkwürdig, dachte er dann, dieser Mann wirkt doch regelmäßig wie eine Zuckerdose auf mich, die man langsam auf und zu macht. Ich komme immer ins Gähnen! Er gähnte auch schon wieder, hinter seiner Hand, es war aber ein leiser Genuß darin. Danke! dachte er auch.

Der Amerikaner, als hätte er nur diesen Erfolg seiner Anwesenheit abgewartet, ging zwei Schritte weiter, zu Gertrud, die eben lächelnd von ihrer Grammatik aufblickte. Er sah auf seine Uhr: »Und Ihr Herr Vater ist noch nicht da?«

»Er kommt ganz gewiß,« erwiderte Gertrud, um ihn zu beruhigen.

»Von Pompeji?«

»Nein, von Neapel.«

»Es kommt aber von Neapel jetzt am Abend kein Dampfer mehr —«

Gertrud fiel ihm freundlich lächelnd in die Rede: »Beunruhigen Sie sich nicht, Herr White. Er nimmt einen Wagen, denn er fährt zu Lande; und er kommt gewiß.«

»Der Vesuv glüht wieder stark«, bemerkte der Amerikaner.

»Ja,« sagte Gertrud.

Herr White wandte sich wieder zu Schilcher: »Wollen Sie die neue Lava sehn?« Gefällig wie immer hob er sein Fernglas.

»Ich danke«, antwortete Schilcher. »Sie wird ja noch ’ne Weile fließen.«

»O, ja!« Der Amerikaner ging wieder zur Balkonthür mit seinem gleichmäßigen, festen Schritt, und schaute wieder durchs Glas hinaus. Im Salon war’s still. Außer den beiden »Mumien«, wie Schilcher die alten Damen bei sich nannte, saßen nur noch zwei junge Deutsche an einem kleinen Tisch und spielten Domino. Schilcher sah ihnen wehmütig zu; ihm war, als hörte er Wilds helle Stimme sagen: »Wir haben drei Trick!«

»Amerei, ich würde lieben,« begann Gertrud nur so mit den Lippen, kaum hörbar, aus ihrer Grammatik zu lernen. »Amersti, du würdest lieben; amerebbe, er würde lieben ; ameremmo, wir würden lieben . . .«

»Na, Trudel?« fragte Schilcher mit gedämpfter Stimme hinüber, da das Mädchen eben aufschaute, als störe sie ein Gedanke im Lernen. »Bist ein bißchen müde?«

»Ich? Wovon?« fragte sie zurück.

»Von unsrer großen Wanderung heute vormittag.«

»Aber Onkel Schilcher! Meine jungen Beine. Und in der himmlischen Herbstluft! – Du, mir scheint hier ist ewig Herbst!«

Er nickte: »Und zu Hause schneit’s! – Und da spielen sie Whist! dachte er dann freilich, sagte es aber nicht.

»Nein, wie war’s da oben auf dem Hügel schön!« fuhr das Mädel fort. »Sieh, wie die Myrte an meiner Brust noch blüht. – Und wir saßen da wie auf einem Thron, die beiden beherrschten Golfe unter uns, der von Amalfi und Salerno rechts, der von Neapel links . . . Du, Onkel Schilcher, ich find’ aber eigentlich die Berge bei Amalfi schöner; gewaltiger, wilder, zerrissener; da ist Leben drin – Donnerwetter!«

»Das finden manche,« sagte Schilcher, die Daumen rollend; »besonders junge Leute. Aber unsre Felsen hier sind stilvoller —«

»Glatter, geleckter,« warf sie ein.

»Edler, vornehmer, aristokratischer! – Was ziehst du da aus der Tasche?«

»Die erste reife Orange!« sagte Gertrud und hielt die goldgelbe Kugel in die Höhe. »Die hab’ ich heut’ nachmittag selbst vom Baum gepflückt; hier in unserm Garten; der Padrone kam und bot mir’s an; du glaubst nicht, wie galant er war. Ich dankte ihm aber auch in meinem schönsten Italienisch; das grazie flötete ich ordentlich. – Selbst vom Baum gebrochen, das ist doch Poesie, Onkel Schilcher!«

»Was wollt’ es nicht. – Sehr!«

Sie machte die Orange auf, um sie zu essen. »Willst du Halbpart?«

»Danke,« erwiderte er. Nach einem still humoristischen Blick auf die alten Damen rückte er ihr näher und flüsterte: »Trudel, mir fehlt hier was.«

»Armer Onkel Schilcher! Die Whistpartie?«

»Auch. – Noch etwas.« Er warf noch einen Blick auf die beiden Damen »Eine dritte Parze,« flüsterte er.

Gertrud lachte leise. »Das sind keine Parzen,« sagte sie dann ohne Stimme; »das sind die beiden neuesten Ausgrabungen . . . aus Pompeji.«

»So! – Wer hat dir das gesagt?«

»Die Dominospieler da.«

Sie löste jetzt ein Stück von der Orange und steckte es in den Mund; »o!« rief sie dann aber. »Die Orange ist noch sauer. Diamine!« – Die Engländerin vom Klavier trat eben wieder ein. »Sie hatten recht«, sagte das Mädchen lustig zu ihr hinüber: »diese schöne Orange hat keine schöne Seele.«

Na ja, dachte Schilcher: wie der schöne Arthur!

10

Zusammengerollte Notenhefte in der Hand, kam Rutenberg vom Korridor in die Thür; er hatte sein jugendlichstes, lebensfrohestes Gesicht, wie in seinen besten Zeiten. »Guten Abend!« meldete er sich. »Da bin ich!«

»Endlich!« sagte Gertrud, stand auf und ging ihm entgegen. Ihn mit beiden Händen fassend, lehnte sie sich ein wenig an seine Brust; er lächelte sie an.

»Die kleinen Pferde liefen wie die Teufel,« sagte er dann, halb zu Schilcher gewandt: »in anderthalb Stunden von Castellamare bis hier, vors Hotel. So am Golf entlang, in der lauen Nacht – eine Götterfahrt! Der Mond war noch nicht herauf, aber der Vesuv glühte wie eine Fackel. Und so dumpf, so geheimnisvoll rauschte das Meer unten an den Felsen —«

»Vater wird noch Dichter!« warf das Mädel dazwischen, halblaut zu Schilcher hinüber. Rutenberg schlug ihr zart auf die Wange.

Die Engländerin fragte vom runden Tisch her: »Sie hatten einen schönen Tag in Neapel?«

»Einen Frühlingstag,« antwortete Rutenberg. »Die Kerle schrieen auf den Straßen, daß es eine Lust war. Zwanzigtausend ungefähr haben mich angebettelt. Da hast du auch deine Noten, Kind!«

Er drückte dem Mädchen die Rolle in die Hand. »Danke,« sagte sie. »Guter Vater!«

»Du, es war eine lange Jagd, bis ich diese neapolitanischen Lieder alle beisammen hatte. Dann noch drei Stunden im Museum, fleißig wie ein Professor!«

Der Amerikaner war von der Glasthür herangetreten; mit seinem tiefen, sanften Ernst fragte er: »Sie haben auch die antiken Wandgemälde gesehn?«

»Alles, alles, alles. Bin sogar in die ägyptische Abteilung hinuntergeklettert, zu den Mumien und Isis und Anubis . . .«

Rutenberg blickte lächelnd auf seinen Schilcher, der so in sich versunken im Lehnstuhl saß und die Daumen übereinander rollte. Er trat etwas näher und dämpfte die Stimme: »Du! Schläfst du, Alter?«

»Nein,« gab Schilcher zurück.

Rutenbergs leichtbeweglicher Kopf ging herum, er warf einen gedankenlosen Blick auch auf die alten Damen am Tisch. »Sehr merkwürdig,« sagte er dann mit halber Stimme, »sehr merkwürdig sind die alten Mumien —«

»Um Gotteswillen!« raunte der erschrockene Schilcher rasch. »Mensch, nimm dich in acht!«

»Warum?« fragte Rutenberg erstaunt.

Mit dem Kopf auf die beiden Damen deutend flüsterte Schilcher: »Sie hören ja, was du sagst!«

Jetzt begriff Rutenberg und lachte. Er sagte leise, sehr vergnügt: »Ich sprach von den Mumien im Museum, Schilcher.«

»Ah so!« Gertrud, die dieses kleine Zwiegespräch gehört hatte, ging leise lachend durchs Zimmer. Schilcher sah ihr nach. Zwischen Heiterkeit und Ernst murmelte er darauf: »In so ’ner Pension muß man vorsichtig sein.«

»Ja, das merk’ ich!« sagte Rutenberg, der noch einen verstohlenen Blick auf die alten Damen warf. Seine Augen glänzten, als er dann flüsternd hinzusetzte: »Kuck, wie das Kind lacht!«

Der Amerikaner schob sein Fernglas zusammen und knüpfte an seinem Rock, er schickte sich offenbar an, den regelmäßigen frühen Rückzug in sein Schlafzimmer anzutreten. »Entschuldigen Sie,« wandte er sich noch an Rutenberg. »Wie weit mag wohl der Vesuv in der Luftlinie von Sorrent entfernt sein?«

Rutenberg sann einen Augenblick. – »Ungefähr zwei deutsche Meilen, mein Herr.«

»Wieviel ist das in Kilometern?«

»Vierzehn bis fünfzehn.«

»Ich danke Ihnen. – Gute Nacht, mein Herr.«

Nach einer kopfnickenden leichten Verbeugung gegen ihn und die andern schritt er ehrenfest hinaus. Die Dominospieler hatten sich schon lautlos entfernt; die Engländerin nahm ihre Bücher vom Tisch. »Also morgen, gnädige Frau, wollen Sie nach Capri?« fragte Rutenberg.

»Nein,« erwiderte sie. »Erst übermorgen.«

»Da empfehl’ ich Ihnen als Schiffer und auch als Führer den Marinaso des Hotels, den Pasquale. Das ist ein Unikum, insofern er sogar leidlich deutsch spricht; er war mit einem reichen Deutschen jahrelang auf Reisen, und wie zu allem hat er auch zum Radebrechen Talent.«

Die Engländerin dankte freundlich. Sich zur Thür wendend lächelte sie ihrer jungen Sängerin zu: »Also morgen la bella Napoli, und die Rondinella!

Gertrud nickte: »Wenn kein Ohr uns hört!«

Die Dame hauchte noch ein Good Night und ging.

»Willst du noch essen, Vater?« fragte das Mädchen.

»Nein, mein Kind. Ich aß unterwegs, in Castellamare. Die wunderbarsten Maccaroni meines Lebens.«

Er hielt inne, mit heimlich aufleuchtender Heiterkeit, da er nun auch die alten Damen aufbrechen sah. Glück über Glück! dachte er und nickte Schilcher schweigend zu. Gertrud, hinter Schilchers Stuhl, flüsterte auf ihn herunter: »Die beiden Parzen gehn fort.«

»Die Mumien,« raunte Rutenberg.

»Die jüngsten Ausgrabungen,« berichtigte Schilcher. Langsam rauschten die Damen, die nicht ahnten, wie interessant sie waren, auf den Korridor hinaus.

Rutenberg setzte sich vor Vergnügen, »Kinder,« sagte er, »wir sind allein, das ist auch nicht übel! —« Da öffnete sich aber schon wieder die Thür, ein vierter Mann trat ein. Es war diesmal keiner von den Gästen, sondern Pasquale, der Barkenführer, den Rutenberg soeben empfohlen, der die Drei schon manches Mal an den Ufern hin, zu den Felsgrotten, zur Punta della Campanella in seiner Barke spazieren geführt hatte. In der gelbbraunen Sammetjacke, den weichen schwarzen Hut in der gebräunten haarigen Hand, stand er wie ein ehrerbietiges Fragezeichen da, nickte dann aber seinem besonderen Freund, dem Schilcher, vertraulich lächelnd wie ein Amigo zu.

»Aha!« sagte Schilcher. »Unser Marinajo, mein Pasquale. Treten Sie näher, Pasquale. wir sind unter uns. Was treiben Sie noch so spät im Hotel?«

Pasquale zuckte herzlich die Achseln, hob auch die braunen Hände ein wenig. In seinem gebrochenen Deutsch, das er, wo es not that, durch sein beredtes Gebärdenspiel ergänzte, fing er nach einer Art von Seufzer an: »Man will leben, Eccellenza. Wollte fragen, Eccellenza, was wir morgen machen. Eine kleine Spazierfahrt auf den Meer, zu die Thunfischer? Oder hinüber nach Capri?«

»Da werden wir morgen den Wettermacher fragen,« gab Schilcher zur Antwort »Wenn gut Wetter ist —«

Pasquale streckte seine Hand wagerecht aus: »Morgen das Meer ist glatt wie meine Hand!«

»So! Wissen Sie das gewiß?«

Der Marinajo lächelte zuversichtlich: »Wenn Pasquale es sagt, dann können Sie vertrauen. Dann ist es gewiß!«

»Seeleute und Italiener,« entgegnete Schilcher trocken, »haben immer den Herrgott in der Tasche. Amico mio, wir wollen doch lieber morgen den eigentlichen Wettermacher fragen. Schlafen Sie recht gut!«

Pasquales feines Ohr hörte in dem trockenen Ton die innere Gemütlichkeit, die Menschenfreundlichkeit, er verneigte sich und lächelte ein wenig. »Danke«, antwortete er. »lo stesso, dasselbe. Also wie Eccellenza denkt. – Obwohl ich weiß, morgen Sie werden sagen Pasquale ist ein braver Marinajo, hatte recht, der Pasquale —«

»Wenn ich das sagen werde, werd’ ich’s morgen sagen. Heute nicht, Pasquale!«

»Wie Eccellenza denkt. – Meine Hochachtung vor den schönen Herrn und die schöne Dame!«

Er lächelte dem Vater und der Tochter zu, aber ohne Dreistigkeit, und während sie ihm Gute Nacht zuriefen, zog er sich mit vielem Anstand zurück.

»Hat dieser Sohn des Südens Verstand!« sagte Rutenberg heiter, wegen des ’schönen’ Herrn. »Aber, im Ernst, wie kindlich pfiffig diese Kerle sind, diese Sorrentiner. – Meine Freunde, Neapel ist schön Neapel ist sehr schön, aber es lebe Sorrent! Dieses friedliche, märchenhafte Gartenland auf dem Uferfelsen diese vortreffliche Pension in der alten Villa, – Kinder, alles entzückt mich. Dieser gemütliche Salon mit dem Doppelblick – da schaut er aufs Meer, auf Neapel mit seinen Lichterreihen, auf den alten Vesuv hinauf, hier auf die Orangengärten und alles, was ewig grün ist. – Oder denkst du anders, Trudel? Hast du’s hier satt, willst du wieder nach Neapel? Mir ist’s recht. Mir kann nichts geschehen, hier bin ich glücklich, dort wär’ ich’s. Sag du, was du willst!«

Das Mädchen blickte ihn flüchtig an. »Hier noch bleiben, Vater. Hier noch ’ne Weile so leben, wie bisher, auf die Berge klettern, italienische Lieder singen, am Ufer sitzen —«

»Und meererfahren,« fiel Schilcher ein, »mit Pasquale, der uns gar so schön findet —«

»Dich hat er nicht schön gefunden, Onkel Schilcher,« berichtigte Gertrud, indem sie ihm eine Hand auf den Kopf legte. – »Ich will mir eine Arbeit holen, ich komme wieder. – Hier noch bleiben! Hier!«

»Gut,« rief Rutenberg. »So bleiben wir hier!« Gertrud schwebte hinaus, der Vater folgte ihr mit den Augen, die noch immer lachten, als sie längst aus der Thür war. Endlich legte er sich beide Hände auf die Kniee und lächelte seinen Schilcher an. »Nun, was sagst du, Alter? Geht es gut, oder nicht? – Deine Abreise war ein göttlicher Gedanke. Italien thut seine Schuldigkeit, schau dir das Mädchen an. Schau dir diesen Trotzkopf an, Schilcher, der sich damals aufs Sofa warf und beinahe erstickte: ›Nein, ich will nicht fort! Nein, ich will nicht reisen! Ihr wollt mich nur von Arthur fortnehmen, aber von ihm laß’ ich nicht, von ihm laß’ ich nicht!‹ – Immer heiterer wird sie. Die verweinten Augen, wie lustig jetzt. Die trotzigen verschlossenen Lippen, wie sie wieder lachen können. Sie singt. Sie scheint ihren Angebeteten, ihren Engel richtig zu vergessen. Heut’ haben wir Mittwoch in der vierten Wochen – na, und um von mir zu reden, ich kann dir nicht sagen Schilcherio mio, wie ich glücklich bin. Es war ’ne Dummheit, daß ich noch nie nach Italien reiste, aber die Dummheit belohnt sich jetzt, alles ist mir nun neu, alles wunderbar! Ich bin wie ein Junge, den der Vater auf die erste Reise mitnimmt —«

»Nur daß hier die Tochter den Vater mitnimmt —«

»Ja,« lachte Rutenberg, »ja, das gute Kind! Alle Tage bin ich ihr dankbar, daß sie mich veranlaßt hat, nach Sorrent zu reisen! Du, wenn das so fortgeht, werd’ ich auch noch ihrem Arthur dankbar . . . «

Er sprang auf, stellte sich vor Schilcher hin und schüttelte ihn an beiden Armen. »Na, kurz, ich bin glücklich!«

»Du bist doch das richtige Gummibändchen,« sagte Schilcher, der sich nicht rührte. »So eins für Pakete mein’ ich; sowie man ihm sein Päckchen abnimmt, springt es fidel in sich zurück. – Bist beneidenswert!« seufzte er leise.

Rutenberg lächelte mitleidig: »Armer Schilcher! Märtyrer der Freundschaft! Dir fehlt was in diesem Paradies: deine Whistpartie. Ich spiele zwar Schach mit dir —«

»Schach ist kein Whist«.

»Sehr richtig. – Darum hab’ ich auch – —« Rutenberg brach ab und lächelte in sich hinein. »Was hast du?«

»Darum hab’ ich auch heimlich – einen Streich gemacht —«

Er hielt wieder inne, seine blauen Augen lachten den andern an.

»Was heißt das?« fragte Schilcher »Wirst du dich wundern Alter?«

»Das kann ich noch nicht wissen.«

»Ich hab’ Lugau und Wild heimlich eingeladen, uns nachzukommen hierher nach Sorrent . . . Aha! Jetzt wundert er sich! – Schon vor einer Woche, Allein hab’ ich ihnen geschrieben. Meine Freunde, es ist hier schön, göttlich schön, zu schön für uns alleine ihr müßt mit dabei sein! Lugau ist ein freier Mann, Wild braucht Erholung, seine drei Patienten sind gesünder als er und können bis nach Weihnachten warten. Ihr wollt den Vesuv sehn, der Vesuv will euch sehn, Schilcher rollt jeden Abend die Daumen übereinander, Schilcher schwindet hin; rettet den Mann und kommt her! Dieses Hotel ist meine Villa ihr seid meine Gäste, auch für die Hin- und Herreise . . . Was hast du?«

Schilcher war aufgestanden, er wollte seine Rührung nicht zeigen und wußte nicht recht, was er machen sollte; etwas unbeholfen stieß er mit dem Fuß, als stieße er etwas fort, das am Boden lag. »Nichts,« brummte er dann nur, konnte sich aber doch nicht enthalten, Rutenberg anzuschauen. Darauf ergriff er ihn dann vorn am Rock, und schüttelte ihn eine Weile, was er wohl noch niemals gethan hatte. »Heimtückischer – dummer alter Kerl, du!« stieß er aus der Kehle. »Machst mich lächerlich. Als könnt’ ich nicht ohne Whist – Aber vor Liebe könnt’ ich dich – —«

Er ließ ihn los und ging von ihm weg, um den Tisch herum. Nach einer Weile blieb er wieder stehn, hilflos, weich.

»Du bist der beste aller dummen Kerle auf der ganzen Erde!«

»Das ist nun wieder eine deiner Uebertreibungen,« sagte Rutenberg lächelnd, »deiner Ueberschwenglichkeiten.«

In all seiner Rührung mußte Schilcher lachen »Meiner —? Großer Gott!«

»Also kurz, ich hoffe, sie kommen —«

»Du weißt es!« rief Schilcher aus und sah den »Heimtücker« forschend an. »Sie haben dir geschrieben!«

Rutenberg lächelte, schwieg. Er fing nun an zu pfeifen, was aber nicht seine Stärke war, das konnte der andre besser; Rutenberg hatte nur einen Ton.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
170 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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