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XI
Der Mord

 
’s ist ein gar zu verteufelt kurzes Wort,
Hat gleich die Sache Raum, nicht in der Zeit.
 
Marduff im Yngurd. V. 2.

Der Vorabend der Vermählungsfeier (der Vortag sollt’ er wohl eigentlich heißen) war herangerückt. Mariane hatte meiner Schwester sagen laßen, daß wir unter drei Tagen nicht hoffen dürften, in unsere vier Pfähle zurück zu kehren, und daß wir uns auf einen tüchtigen Ball gefaßt halten sollten, bei welchem niemand bloß Zuschauer seyn dürfte. Ich legte in meinem Zimmer einige Actenhefte zurecht, die in meiner Abwesenheit gebraucht werden konnten, und meine Schwester kramte in meinen Commodenfächern, um die einzelnen Stücke meiner selten gebrauchten Ballkleidung zusammen zu suchen. Die Tritte eines Pferdes vor der Hausthür zogen sie an das Fenster.

»Herr Gott, was muß das seyn?« sagte sie: »Albus ist eben abgestiegen.«

»Ich eilte zu ihr an die Scheiben. Mein Bedienter hatte bereits das ledige Roß am Zügel; es war in Schweiß gebadet und mit Schaum bedeckt. Nicht ohne eine ängstliche Zögerung öffnete ich die Stubenthür, um dem Angekommenen entgegen zu gehen. Betroffen trat ich vor dem Eintretenden zurück, der bei dem Anblick Julianens seinen Schritt über die Schwelle hemmte, als ob er mich allein zu treffen gehofft hätte. Sein Gesicht verkündigte zwar nichts Schreckliches, aber es hatte einen so seltsamen Ausdruck von kalter Ruhe, daß es mich nur um so bestürzter machte. Er verbeugte sich gegen meine Schwester nur mechanisch, ohne das gewöhnliche Lächeln der Artigkeit.

»Ferdinand!« rief ich: »was bringen Sie? Was führt Sie zu uns, und heute

»Was mich zuerst in dieses Zimmer führte: Der Mord.«

»Um Gottes Willen« – rief Juliane: »was ist geschehen? Albus!«

»Albus!« wiederholte ich in gleicher Erschrockenheit.

»Albus?« sagte er mit einem Anfluge von Hohnlächeln: »Kain müßt Ihr sagen!«

Juliane stieß einen Schrei des Entsetzens aus, und auch mir würde dergleichen entschlüpft seyn, wenn mir diese Worte nicht wie etwas Bekanntes, schon Gehörtes, Theatralisches geklungen hätten. Die Gedanken an Ferdinands Leidenschaft für das Bühnenspiel, an seine Reizbarkeit bei dessen Eindrücken, an seine früheren Grübeleien über die Veranlassung von Heinrichs Unglück, flogen mir pfeilschnell durch den Kopf, und erzeugten die Vermuthung in mir, daß irgend eine Darstellung im Theater seine Einbildung, des Bruders Tod veranlaßt zu haben, neu belebt, und bis zu diesem Grade des Selbstvorwurfs gesteigert haben könnte. Ich gab Julianen einen Wink mit den Augen. Sie eilte aus dem Zimmer und drückte die offen gebliebene Thür zu.

»Was ist das für ein seltsamer Rückfall?« sagte ich: »und an welchem Tage! Reden Sie! Sie stehen vor dem Freunde

»Das dürfen Sie mir nicht mehr seyn,« antwortete er fest: »Sie sind mein Richter. Es ist ein Brudermord, den ich Ihnen freiwillig bekenne. Kein veranlaßter, sondern ein begangener, ein mit Willen verübter. Nicht meine übereilte Rede, sondern diese meine Hand ist Heinrichs Mörderin. Von Ihrem Amte verlang’ ich mein Recht: den Tod

Ich war betäubt von dem Ausdrucke der Wahrheit, womit er diese Worte sprach. Und doch sträubte sich meine ganze Seele dagegen, zu glauben, was Marianen in das tiefste Elend stürzen mußte. Der Gedanke an sie überfiel mich mit einer Peinigung, die ich nicht zu schildern vermag. Mein Gehirn haschte ängstlich nach einem Zweifel an ihrem Unglück, sogar nach einer Möglichkeit, den Selbstankläger zu retten.

»Albus« – sagte ich, nachdem ich mühsam einige Fassung errungen hatte: »der Freund muß überzeugt werden, wenn er dem Richter Platz machen soll. Ein ungefordertes Geständniß, eine freiwillige Selbstanklage wegen eines Hals-Verbrechens, ist kein Beweis desselben. Sie sind leidenschaftlich, überspannt, schwärmerisch in Ihren Gefühlen. Es kann etwas vorgefallen seyn zwischen Ihnen und Marianen, was Sie plötzlich mit dem Leben entzweit und Ihnen den Gedanken eingegeben hat, auf diesem abentheuerlichen Wege den Tod zu suchen.«

»Tod ist leichter, als die Reue,

Selig sind die Todten!«

sagte er in einem Tone, der mich deutlich daran errinnerte, diese Verse in einem Trauerspiele gelesen oder gehört zu haben. Das gab meiner ersten Vermuthung einen neuen Halt.

»Wollen Sie mit mir Tragödie spielen, Albus? Sie haben sich vor dem Richter gestellt; geben Sie klare und bestimmte Antwort auf dessen Fragen. Was ist zwischen Ihnen und Ihrer Braut?«

»Was ist zwischen dem Sünder und der Gottheit? Das ungesühnte Verbrechen.«

»Kennt es Mariane?«

»Ich habe es ihr bekannt.«

»Wann?«

»Gestern Abend.«

»Warum bekannten Sie es ihr?«

Er sah mich einige Augenblicke starr an. »Es war die höchste Zeit; zwei Tage später, und die Heilige war befleckt von einem Mörder.«

»Unglückliches Mädchen!« rief ich aus, und schritt rasch nach der Thür; mir war, als ob ich zu ihr eilen müßte, ihren unermeßlichen Schmerz zu theilen. Mein Amt mahnte mich daran, daß hier Anderes zu thun sei. Doch wie ich den Blick wieder auf Albus wandte, empörte mich seine Ruhe auf das Heftigste.

»Rasender!« rief ich: »was haben Sie gethan? Wie ertrug Mariane diesen Schreck? Lebt sie? wird sie leben?«

»Sie wird; denn stark sind die Reinen.«

»Glaubt sie Ihr Verbrechen?«

»Kann sie daran zweifeln? Sie wollt’ es, ja; sie sank vor mir auf die Kniee um ein kahles, armseeliges Nein. Doch ich konnte nicht mehr lügen, konnte die fürchterliche Rolle nicht weiter spielen. Da erhob sie sich vom Boden, wie eine Göttin stand sie vor mir, Strenge und Milde vermählten sich in ihrem Blick.« »Ich will um dich weinen, Ferdinand« – sagte sie – »aber auf Erden seh’ ich dich nicht wieder.«

Meine Angst um die Unglückliche fühlte sich erleichtert. »Weiß sie« frug ich: »vor wem Sie jetzt stehen? Kennt sie Ihren Entschluß?«

Er besann sich einen Augenblick. »Sie kann nicht in Zweifel darüber seyn,« antwortete er: »und ich hab’ ihn dem Vater schriftlich zurückgelaßen.«

»Es ist entsetzlich!« seufzte ich auf im Vorgefühl alle der Seelenleiden, womit die Behandlung dieses Rechtsfalles mich bedrohte. »Es ist nicht möglich, Albus, ich kann es nicht denken! Mit Willen, sagten Sie, haben Sie Ihren Bruder erschossen?«

»Ja.«

»Mit Vorsatz, mit vorausbedachtem, überlegten Vorsatz?«

»Wie?« sagte er mit Befremdung: »gilt das nicht gleich?«

»Nein, nein!« – rief ich, von neuer Hoffnung belebt: »Erzählen Sie! Genau, bis auf den kleinsten Umstand!«

Er that es, von meinen Fragen häufig unterbrochen. Ich will den Vorgang im Zusammenhange geben.

XII
Der Zwist

Hör’ auf zu schleudern so geschärfte Worte.

Aeschylus im gefesselten Prometheus.

Bis zu den Worten, die Ferdinand im Walde zu Heinrich gesprochen, und wodurch er einen Räuber auf den guten Fang aufmerksam gemacht zu haben glaubte, der bei Heinrich zu machen war, stimmte Alles genau mit demjenigen überein, was ich bereits von Marianen gehört hatte. Das Geräusch im Dickicht hatte Ferdinand wirklich vernommen, und einen Anfall vermuthend, das Terzerol gezogen und gespannt. So behielt er es in der Hand, und das unterbrochene Gespräch begann im Fortwandern von Neuem. Es wurde auf Seiten Ferdinands immer hitziger, je halsstarriger Heinrich auf seinem vertragsmäßigen Rechte bestand.

»Aber was willst du denn nun mit dem Gelde?« sagte der Letztere. »Es pressirt dich ja nichts; ich habe dir eine gute Stelle verschafft, dein Gehalt ist mehr, als du brauchst; das Selbst-Etabliren in deinen Jahren ist eine Narrheit; du hast noch zu lernen hier zu Lande, vollauf für drei Jahre! Also dächt’ ich« –

»Denken, und nichts als denken!« – rief Ferdinand: »Lerne fühlen, Mensch!«

»Hm! Was denn zum Exempel?«

Ferdinand zögerte. Von seinem Verhältnisse zu Marianen hatte er bis jetzt gegen den Bruder geschwiegen. Es galt nun den Versuch, ob ihn das bestimmen würde, nachzugeben.

»Nun so wiß’ es denn,« sagte Ferdinand: »ich liebe

»So? und solid?«

»Wie anders? Mit ganzer Seele!«

»So so! Und wen denn zum Exempel?«

»Marianen.«

»Ei! Und sie

»Was kümmert das dich? Genug daß ich Hoffnung habe, wenn du brüderlich, wenn du menschlich handelst, und den kleinen Vortheil aufgiebst.«

»Ja, Herr Bruder, das macht den Punkt um so kitzlicher, denn Offenherzigkeit gegen Offenherzigkeit: den Gedanken, und die Hoffnung hab’ ich selbst noch nicht ganz aufgegeben.«

Ferdinand war wie vom Blitz getroffen, aber auch schnell entzündet wie vom Blitz. Heinrich hatte Marianen früher gekannt, als er. Die Eifersucht loderte auf.

»Gedanken? Hoffnung? Du?« rief er: »Hat sie dir – dir Stein, dir Eisblock – hat sie dir jemals Hoffnung gemacht, so wirst du sie aufgeben, du mußt sie aufgeben!«

»Werde mich doch erst besinnen, mit Erlaubniß.«

»Auf der Stelle wirst du! Keinen Schritt thust du weiter! Einen Eid schwörst du – bei deiner Seeligkeit – daran nicht mehr zu denken! oder so wahr ein Gott ist! so wahr ich liebe! eine Kugel – heut’ oder morgen – auf den leisesten Verdacht – diese Kugel jag’ ich durch dein Gehirn!«

»Rasender!« schreit Heinrich, stößt ihn zurück, und macht Miene den Stockdegen zu entblößen. Ferdinand, seiner Gefahr zuvorzukommen und für die augenscheinliche des Gegners blind, schlägt mit dem Terzerol nach dessen Hand; es entladet sich, Heinrich schreit auf und sinkt röchelnd zusammen.

Man wird bemerken, daß diese Aussage, wenn auch sonst die Umstände einen Zweifel daran zugelassen hätten, mit dem Leichenbefund im genauesten Einklange stand. In die Linke hatte Heinrich den Stock nehmen müßen, um den Stahl desselben zu entblößen, und auf der linken Seite war die Kugel eingedrungen, hatte der Schuß die Kleider versengt.

Ferdinand steht einige Augenblicke betäubt; doch Heinrich zuckt, athmet noch, und Ferdinand wirft sich über ihn, will den Blutstrom hemmen, richtet den Gefallenen halb empor, und schwach flammt noch einmal dessen Lebensfackel auf.

»Rette dich – dich Ferdinand,« stammelte er: »dort – dort – ein Räuber – nicht du – eile! Unsre Ehre – unser Name – zeig’ es an, fort – fort!«

Das waren, so gut Ferdinand sie behalten hatte, die letzten Worte des Bruders, der – besonnen wie er war – noch in dem Augenblicke des Verscheidens an die Folgen des Unfalls dachte, und unfehlbar dem Ferdinand ein Mittel andeuten wollte, wie er den Verdacht und die Schmach des Todtschlags von sich abwenden könnte.

Wie lang’ es gedauert, ehe Ferdinand für den Gedanken empfänglich wurde, dieses Mittel zu ergreifen, wußte er natürlich nicht zu sagen. Er blieb neben dem Todten auf den Knien, von Schmerz betäubt, ohne Bewegung und ohne Gefühl, welches – wie er sich erinnerte – die Kälte von Heinrichs Hand, die er gefaßt hatte, nur allmählig wieder weckte. Als das Bewußtseyn völlig zurückkehrte, als Reue und Schmerz sein Herz wie hungrige Geier anfielen, ergriff er das Gewehr, das nur den einen Lauf entladen hatte, und wollte seine Qual enden. Da war es ihm, als hörte er Marianens Stimme in sein Ohr dringen, als vernähm’ er die Worte des Schwurs, den sie nach dem Unfalle jenes Kindes gethan hatte: seinen Selbstmord nicht zu überleben. Nicht von seinem, von Marianens Leben war die Frage, und die Macht der Verzweiflung wurde in einem hartnäckigen Kampfe von der Allmacht der Liebe überwunden. Er übernahm, er studierte die Rolle, die der Sterbende ihm angedeutet hatte, und die Leser haben gesehen, mit welcher Anstrengung er beinahe ein Jahr lang dieselbe spielte.

XIII
Das Verhör

 
– – Was einer hat gewollt,
– – erklärt er selbst am besten.
 
Erichson im Yngurd.

Wie groß auch immer Ferdinands Verschuldung (culpa, Fahrläßigkeit) war, da er mit geladenem und gespanntem Gewehr nach Heinrichs Hand geschlagen hatte; so schien es mir doch ausgemacht, daß er nicht als absichtlicher Todtschläger betrachtet werden könnte. Damit das auch dem Urtheils-Verfasser desto besser einleuchten möchte, glaubte ich, den Thäter selbst davon überzeugen zu müssen, ehe ich ihn rechtsförmlich verhörte. Aber das war schlechterdings unmöglich.

»Wenn ich bei dem Schlage die Absicht nicht hatte, Heinrichen zu tödten; so hatte ich doch den Willen dazu, als ich das Gewehr gegen seine Stirn hielt. Hätt’ er mich nicht zurückgestoßen, hätt’ er noch ein einziges Wort von seiner Absicht auf Marianen fallen lassen; so hätt’ ich abgedrückt, das ist gewiß, das fühl’ ich, indem ich des Zustandes von Wuth mich erinnere, in welchen der Gedanke mich versetzt hatte, daß seine Hoffnung auf Marianens Hand einen Grund in ihrem Herzen haben könnte. Ja, auch nach dem Schlage hätt’ ich es gethan, wenn er den Verdacht meiner Eifersucht nicht auf der Stelle zu dämpfen vermocht hätte. Folglich hab’ ich ihn mit Willen getödtet.«

Alle meine Bemühungen, durch scharfe Unterscheidung der einander nahe liegenden Zeitmomente ihn zu einer milderen Ansicht seines Vergehens zu bringen, und ihn zu überzeugen, daß es hier nicht auf den Willen allein, sondern auf dessen unmittelbaren Causal-Zusammenhang mit der tödtlich gewordenen Handlung ankomme, waren vergebens, sei es nun, weil sein Verstand nicht geübt genug war, dergleichen Begriffe zu fassen, oder weil er den Tod mit seiner gewöhnlichen Leidenschaftlichkeit begehrte.

Inzwischen gelang es mir doch bei dem förmlichem Verhöre selbst, ihn zu verhindern, daß er sich nicht einer direkten Absicht des Todtschlages anklagte. Indem ich die Fragen vorausgehen ließ, ob er, mit dem Gewehr in der Hand, seinen Bruder durch Schreck habe zwingen wollen, sich zur Herausgabe des Erbtheils zu verstehen, oder gar dazu, ihm auf der Stelle die Geldbörse und die Brieftasche zu überliefern, verwundete ich sein reizbares Ehrgefühl, und trotzig sagte er: »Nein!« Nun ließ ich schnell die Frage folgen, ob er den Willen gehabt habe, durch den Schlag mit dem Gewehr seinen Bruder zu tödten?

Er verneinte sie ebenfalls mit dem Trotz des Unwillens und setzte hinzu: »Nach seiner Hand schlug ich, er sollte die Klinge nicht ziehen können, das begreift ja ein Kind.« –

»Dachten Sie nicht daran, daß das Gewehr losgehen und ihn tödten könnte?«

»Nichts dacht’ ich; das Gewehr hätt’ eben so gut ein Geldrollen-Holz seyn können.«1

Schwerlich hat der Unwille eines Inquisiten über die ihm vorgelegten Fragen einem Inquirenten jemals soviel Freude gemacht, als ich in diesem Augenblicke empfand. Ich sah sein Leben fast schon für geborgen an. Auf jeden Fall berechtigten mich seine Antworten, in Verbindung mit der Freiwilligkeit seiner Selbstanklage, ihn vor der Hand mit der Fesselung zu verschonen, und ich glaubte nichts dabei zu wagen, wenn ich ihm das Zimmer, welches er die Nacht nach der That bewohnt hatte, zum Gefängniß gäbe. Zu seiner Bewachung wählte ich für diesen und den folgenden Tag vier der verständigsten Männer des Ortes, und versah ihn sowohl mit Lectüre, als mit Schreibmaterialien.

XIV
Die Vertheidigerin

 
Und so trägst du das Verbrechen,
Das du aufgeladen hast,
Aber schwerer jeder Schritt,
Immer schwerer wird die Last,
Bis des Trägers Kniee brechen.
 
Hugo in der Schuld.

Schlaflos verging mir die Nacht, und mit Tagesanbruch eilte ich nach B. . .. Um desto schneller dort zu seyn, bestieg ich Ferdinands Pferd, und befahl, daß mein Wagen mir folgen sollte, um mich zurückzubringen. Der Kammerrath hatte aus dem Fenster mich absteigen sehen, und der Anblick des Rosses hatte ihm jeden Zweifel benommen, daß Albus seinen schriftlich ausgedrückten Entschluß ausgeführt, und vor meinem Amte sich als Verbrecher gestellt hatte. Bleich, mit verweinten Augen, an Haupt und Händen vor Schwäche zitternd, kam er mir entgegen, Ferdinands Billet in der Hand.

»Oh, Herr von L. . .,« sagte er: »in welches Haus des Elends kommen Sie!« Er reichte mir das Papier, faltete die Hände über dem Kopfe und rief jammernd aus: »Ach Gott! Gott! Gott! meine arme, unglückliche, bis auf den Grund des Herzens ruinirte Esther! (Marianens jüdischer Vorname.) Oh, das verfluchte Trauerspiel!«

Ich konnte ihm nur wenige Worte der Beruhigung sagen, denn es trieb mich mit Ungestüm zu ihr. Sie hatte, als ich die Thür öffnete, schon das Sopha verlassen, auf welchem der Myrthenkranz lag, der heute ihr schönes Haar hatte schmücken sollen; und stand mitten im Zimmer.

»Willkommen, Hochzeitsgast!« sagte sie mit einem Tone, der mir durch alle Nerven drang.

Ich konnte nicht sprechen, sie las meine Empfindung in meinen Augen, schien mir in den ihrigen Fassung zeigen zu wollen, stürzte aber, überwältiget von ihrem Leid, dessen Gefühl der Anblick meines Mitleids aufgeregt hatte, im nächsten Augenblicke laut schluchzend an meinen Hals. Ich erfuhr zum ersten Male das wunderbare, gemütherhebende Uebergewicht der sittlichen Natur über die sinnliche.

Das reizendste Weib, das ich je gesehen, lag in meinen Armen, und ich fühlte nichts, durchaus nichts, als ihren Schmerz.

»Es ist wahr« sagte sie, als sie sich langsam wieder aufgerichtet hatte: »Thränen erleichtern die Brust. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, sagen Sie mir Alles, was ich wissen darf, von der entsetzlichen That. Ich bin nicht so schwach, als ich eben scheinen mußte. Ich hab’ ihn geliebt, geliebt wie mein eignes Wesen, aber Gott wird mich so nicht strafen, daß ich die Liebe zu einem Blutschuldigen nicht sollte aus diesem Herzen reißen können.«

»Sie dürfen Alles wissen, liebe Mariane, aber ich bin auf eine Erzählung der Umstände um so weniger bereitet, als ich Sie davon genau unterrichtet glaubte.«

Sie verneinte mit dem Haupt, und sah starr zu Boden. Ich bat sie, lieber mir zu erzählen, was ihn so plötzlich zu dem Bekenntnisse getrieben haben könnte.

»Die Schuld,« sagte sie.

»Natürlich, doch die war da seit der That.«

»Nicht doch,« erwiederte sie: »das Trauerspiel

Und so war es wirklich. Dieses Stück, obschon damals nicht mehr ganz neu auf der deutschen Bühne, und der sogenannten Lesewelt wenigstens aus den Theater-Correspondenzen der Journale bekannt, war den Liebenden bis vor zwei Tagen seinem Inhalte nach völlig fremd geblieben. Der Schauspielzettel von B. . . kündigt es »zum ersten Male« an, und Ferdinand bewegt Marianen mit leichter Mühe, mit ihm in das Theater zu gehen. Man denke sich den Eindruck, den diese Tragödie, und besonders die Rolle des Hugo, welche einer der größten tragischen Schauspieler Deutschlands als Gast spielte, auf ihn machen mußte. Mariane, theils selbst von der Darstellung fest gehalten, theils an ihrem Bräutigam gewohnt, daß er von den Bretern herab heftig bewegt wurde, ahnete die ganze Tiefe dieses Eindrucks nicht eher, als am Schlusse des dritten Aktes, wo Ferdinand das Schlagwort des Schauspielers: Schaffot, fast gleichzeitig, laut, doch mit einem ganz andern, aufschreienden, inneres Entsetzen kund gebenden Tone wiederholte, und bei der Richtung, die alle Blicke schnell nach dem Orte nahmen, woher der seltsame Schall gekommen war, wie sinnlos aus der Loge stürzte.

Mariane eilt ihm nach; sie erkennt ihn noch unter den Lampen des Ausganges; folgt ihm durch die Straßen, so schnell ihre Kräfte es gestatten; ereilt ihn aber kaum noch zeitig genug, um sich mit ihm in sein Zimmer zu drängen, das er hinter sich verschließen will. Wohl ahnend, daß die Verschuldung, die ihn immer gequält, größer seyn möge, als er eingestanden hatte, dringt sie in ihn mit aller Macht ihrer Angst. Er bleibt lange stumm. Endlich sagt er: »Du hast es ja eben gehört, gesehen! Es ist Oerindur, vor dem Du stehest, es ist Kain! Ich – ich habe meinen Bruder erschossen.«

Sie steht vernichtet. Sie fällt nieder vor ihm, und beschwört ihn, das Entsetzliche zu widerrufen. Da erklärt er ihr mit der Festigkeit einer klaren, inneren Anschauung von der Unerträglichkeit seiner Last, daß er ihr Elvirens Schmach ersparen, und statt des Brautbettes das Blutgerüst besteigen werde.

Hier schloß sie die Schilderung dieser Scene. Mit krampfhaftem Druck hatte sie bis dahin meine Hand festgehalten. Jetzt sah sie starr vor sich hin, die allmählig nachlassende Spannung ihrer Handmuskeln ließ mich ahnen, daß auch in ihrem Gemüth der Krampf ihrer Empfindung nachzulassen anfing. Nach einer Weile erhob sie die Augen – nicht ohne Schüchternheit – zu den meinigen, und fragte wehmüthig: »Sagen Sie, lieber Herr, richtet man hier zu Lande – ent – ent – enthauptet man mit dem Beil?« Thränen rollten dem letzten Worte nach, und wahrlich auch meine Augen waren davon voll.

»Nein, unglückliches Mädchen« erwiederte ich: »dazu soll es, so Gott will, nicht kommen.«

Diese Worte wirkten auf ihr Gemüth mit aller Macht eines freudigen Schreckens. Sie fuhr zusammen, blickte mich mit leuchtenden Augen an, schnelle und kurze Athemzüge hoben und senkten ihre Brust.

»Wie? Es soll nicht, sagten Sie? Sie sagen das? Sein Richter?« Ihre halboffenen Lippen bebten vor Erwartung meiner Antwort, und ihre Augen hingen an meinen Lippen.

»Ich sprach eine Hoffnung aus, liebe Mariane, doch eine Hoffnung, die ich nicht ohne Gründe hege. Es fehlt viel, daß Albus in dem Grade schuldig wäre, wie jener Hugo.«

Sie stand auf. »Oh um Gotteswillen, sprechen Sie! Wenn er nicht so – wenn mein Herz – wenn ich ihn nicht verabscheuen müßte – O Jesus! das Entzücken könnte mich tödten!«

In gedrungener Kürze, mit der Hast meines Dranges, einen Tropfen Linderung in ihr gefoltertes Gemüth zu gießen, gab ich ihr eine Darstellung des Wesentlichsten von dem unglücklichen Vorgange. Sie war Ohr vom Wirbel bis zur Sohle, ihre Augen verschlangen meine Worte, sie hielt jeden Athemzug zurück, der ihren Ohren einen Laut davon hätte entziehen können. Das veränderte Licht, in welchem sie den Geliebten erblickte, wirkte sichtbar wohlthätig auf sie; aber ihr Herz schien nicht befriediget, als ich geendiget hatte.

»Sie sehen, theure Freundin« fuhr ich fort: »ein absichtlicher Mörder ist er nicht. Eine Aufwallung und eine Unvorsichtigkeit – freilich eine ungeheuere – sind sein Vergehen. Ich mag es Ihnen nicht verhehlen, daß es Schwierigkeiten haben könnte, den Rechtsgelehrten, die sein Urtheil fällen werden, die Willenlosigkeit seines Todtschlags begreiflich zu machen; sie haben selten einen inneren Sinn für die Anschauung des inneren Vorganges, und halten mit ihrem trockenen, oft höchst beschränkten Verstande an den gröbsten Zügen der äußerlichen Thatsache und an dem todten Buchstaben der Gesetze fest. Indessen, wenn er gut vertheidiget wird –«

»Wer vertheidiget ihn?« fiel sie mir hastig in die Rede.

»Das ist noch ungewiß. Ich bin hauptsächlich gekommen, um hier einen Mann aufzusuchen, dem ich zutraue –«

»Ich will ihn vertheidigen!« rief sie aus, mit dem Ton und Blicke der Begeisterung. Ich war kaum des Dranges mächtig, sie an meine Brust zu drücken.

»Herrliches, himmlisches Wesen! Ja bei Gott, Sie würden es! Sie würden rühren, die Zweifel ersticken, die Ueberzeugung in Fesseln schlagen; Sie würden siegen, wenn Sie für ihn zu einer Jury sprechen könnten, die ein Herz mitbringen darf in die furchtbaren Schranken des Gerichts. Aber in Deutschland? Er muß schriftlich vertheidiget werden, auf der todten, weißen Fläche, vor ausgetrockneten Gemüthern, vor eiskalten Actenrichtern

Sie schlug beschämt die Augen nieder. Ein Seufzer hob sich aus ihrer Brust. »Ach, ich bin eine Thörin! – – Oh lieber, lieber Herr! (Sie legte die Hände auf meine Schultern und die glühende Stirn an meine Wange.) Wenn es möglich ist – sein Leben – nicht für mich! – nur sein Leben retten Sie! Ich fühl’ es, es ist mein eignes geworden, ich kann seinen Verlust, aber das Bild seines blutigen, schmachvollen Todes nicht ertragen!«

O welche Wonne wär’ es in diesem Augenblicke mir gewesen, König zu seyn, und mit einem einzigen Worte, tausendmal an Unwürdige verschleudert, den unendlichen Schmerz von dieser schuldlosen Seele nehmen zu können! Ich betheuerte ihr, daß ich eben nach B. . . gekommen sei, um den besten Defensions-Advokaten des Landes zu Ferdinands Vertheidigung aufzufordern; und ging mit dem Gefühl von ihr, daß ich sie – für’s Erste wenigstens – nicht wiedersehen dürfte. Der Macht ihrer Reize war ich entgangen; aber die Schönheit ihrer Seele, das wunderbare Gemisch von weiblicher Zartheit und männlicher Kraft in ihrem Gemüth, setzte den Frieden meines Herzens in Gefahr.

1.Ein kurzer, hölzerner Cylinder, über welchem runde Gelddüten gewunden werden.
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
100 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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