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Читать книгу: «Der Kaliber», страница 4

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VIII
Das jungfräuliche Handels-Project

»Liebe findet ihre Wege.«

Zedlitz (Titel eines Lustspiels).

So verging der Winter, der uns öfter in Marianens Hause, als in dem meinigen, vereinigte. Das Frühjahr kam, mein kleiner Wohnort mit seinen malerischen Umgebungen war eine einladende Landparthie für Leute, die in dem Steinhaufen von B. . . lebten, und nun sah ich die Liebenden und dem Gerücht nach Verlobten häufiger bei mir, obwohl niemals ohne Begleitung des Herrn Brand oder der ihm verwandten Jüdin, die eine gebildete und angenehme Vierzigerin und meiner Mutter sehr willkommen war. Das fortdauernde Stillschweigen über den Gegenstand des allgemeinen Gerüchtes, über die Verbindung der beiden jungen Leute, fing an mich zu befremden. Als ich eines Tages im Garten mit Marianen zufällig ohne Zeugen mich befand, trieb mich diese Beengung der Gesprächs-Sphäre zu der Frage: »Nun, meine schöne Freundin, darf man Ihnen denn bald Glück wünschen?«

»Ich hoffe,« sagte sie, nicht ohne einige Beklemmung.

»Sie hoffen? Wie ist das?«

»Ach, mein lieber, theilnehmender Freund, noch ist nicht alles, wie ich es möchte.«

»Das bekümmert – ich darf sagen, es betrübt mich.«

»In der That?« fragte sie, mehr gläubig als forschend in meine Augen blickend: »Das darf es nicht, das wird es auch nicht, wenn Sie wissen – Darf ich Ihnen mit der Geschichte meiner kleinen Mißlaune ein wenig Langeweile machen?«

»Sprechen Sie, liebe Mariane.«

»Nun sehen Sie, mein schwaches Geschlecht liebt die abso – wie nennt es mein Republikaner?«

»Absolute Herrschaft.«

»Ja. Ich bin wohl absolut genug in Ferdinands Herzen, denk’ ich, aber ich kann nicht Meisterin werden über seine ganze Seele. Darin schaltet noch ein Rebell: der Schmerz um den Bruder, ein Schmerz, den ich störrisch, kapriziös nennen möchte, und der alle meine Pläne verwirrt.«

»Nach dem, wovon ich vorigen Herbst Augenzeuge war, ist mir derselbe in seiner Dauer nicht unbegreiflich.«

»Aber unnatürlich ist er doch! – Sie haben seinen Bruder nicht gekannt?«

»Nein.«

»Oh, es giebt nichts Unähnlicheres von Gemüthern, als diese Brüder waren. Heinrich, fast zehn Jahre älter, wohlgestaltet, unterrichtet, verständig, aber kalt, trocken, untheilnehmend – mit einem Worte eine Kaufmanns-Seele, wie« –

Sie stockte mit einem Anfluge von Röthe. »Ich weiß eben keinen ähnlichen Charakter von gleichem Alter. Ungefähr so mag Ihnen jetzt mein Vater erscheinen, aber er war es nicht immer, er hat geliebt, er liebt mich; das Alter, die Geschäfte, die Menschen mit ihrer eigennützigen Betrüglichkeit, haben eine Rinde um sein Gemüth gezogen, die nur in seltenen Augenblicken sich erweicht. Heinrich Albus suchte engeren Umgang mit ihm, weil derselbe seinem Credite nützte, nahm ihn für sich ein durch die Art, wie er den kaufmännischen Verkehr mit ihm betrieb, und ließ es nicht an Aufmerksamkeit für die einzige Tochter fehlen, die des Vaters Augapfel war. Als die Mutter todt war, beunruhigte mich das sehr, und er mochte wohl merken, was ich befürchtete. Da kommt Ferdinand nach B. . ., wird bei uns durch den Bruder eingeführt, sieht mich mit – wie soll ich es nennen? Mit Bestürzung! – Bald darauf empfiehlt ihn Heinrich auf das Dringendeste dem Vater, Ferdinand kommt in unser Haus, reißt mich hin durch die glühende Leidenschaft, die er Anfangs schüchtern, dann in der Todesangst vor einer ungünstigen Entscheidung, zu verbergen sucht – – Genug davon, leicht denken Sie sich das Alles selbst; nur von der Heftigkeit, von der Ungeduld seiner Leidenschaft haben Sie keine Vorstellung. Und davor war gleich wohl kein Rat! Als Commis des Vaters konnte er nicht mein Gatte seyn, und sein Erbtheil, wenn es auch nicht zu gering gewesen wäre, um in der Eil des Vaters Compagnon aus ihm zu machen, war unter 3 Jahren nicht verfügbar; es stand bis dahin in Heinrichs Handlung vermöge eines Vertrags mit Ferdinands Vormunde. Dennoch getraute ich mir, den Vater zu bewegen, daß er einen Compagnon von 12000 Thalern aufnähme; aber Ferdinand konnte den Bruder nicht bewegen, daß er 3 Jahre vor der Verfallzeit zahlte. Da ereilt den Heinrich sein trauriges Verhängniß, Ferdinand wird Herr eines viermal so großen Vermögens; mein Vater wünscht eine Handels-Genossenschaft mit ihm, und nun« –

»Wie meine Freundin, Albus wäre fähig?« –

»O nein, nein! Seine Leidenschaft für mich ist noch die nemliche. Es ist kein Gedanke, kein Blutstropfen, kein Nerv in ihm, von dem ich nicht gewissermaaßen sagen könnte, daß er mein sei. Sein ganzes Wesen hängt an mir fest, wie der Stahl am Magnet. Dennoch giebt er meinem Vater nicht nach. Er hat Heinrichs Haus, Geräthschaft und Handlung verkauft, und will von dem ganzen Vermögen nichts, als sein elterliches Erbtheil benutzen, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, die Hauptursache von Heinrichs Tode gewesen zu seyn.«

»Worauf gründet er denn diese abentheuerliche Idee?«

»Genau weiß ich es selbst nicht; die Fäden seines Hirngespinstes sind so subtil, daß mein Gedächtniß eben so wenig davon festhalten, als mein Verstand fassen kann. Heinrich wollte nach M. . ., um eine übertriebene Anforderung an ihn durch Vergleich zu tilgen. Sparsam, wie er war, wollte er den Weg zu Fuß machen; er bat Ferdinand, ihn durch den Scheidewald zu begleiten, und sein Terzerol mitzunehmen. Ferdinand hielt es für unnöthig, auch hatte er weder Kugeln noch Form dazu. Heinrich nahm es, um zu sehen, ob er nicht eine passende Form bei dem Gewehrmacher finden könnte, und kam mit zwei Kugeln zurück, die wohl nicht recht passen mochten, denn ich mußte ein Stückchen starke Leinwand schaffen, ehe Ferdinand das Gewehr laden konnte. Soviel weiß ich von der Sache gewiß, das Folgende hab’ ich mir aus Ferdinands einzelnen Aeußerungen zusammengesetzt. Er hatte sich zu der Gefälligkeit des Mitgehens in der stillen Hoffnung verstanden, den Bruder zu bewegen, daß er vor der Verfallzeit das elterliche Erbtheil auszahle. Darüber sprechen sie im Walde, Heinrich entschuldigt sich wiederholt mit Geldmangel, woran Ferdinand nicht glauben will. Dieser wird warm, hitzig, und sagt laut: »Kein Geld? Und doch schleppst Du eben 8000 Thaler in der Tasche nach M. . ., um eine Forderung abzumachen, die nicht drängt!« Gleich nach diesen Worten will Ferdinand ein Geräusch in dem Gebüsch gehört haben, als ob ein Stück Wild aufstünde und sich entfernte. Merken Sie das, es ist, wenn ich nicht sehr irre, der Hauptfaden seines Hirngewebes. Nach einigen Minuten sagt Ferdinand: »Es wäre wenigstens eine dumme Gutmüthigkeit von mir, wenn ich Dich und Dein Geld noch weiter durch den Wald escortirte.« Er kehrt trotzig um. Kurz darauf erfolgt der Raubanfall. – Sehen Sie nun, daraus macht er sich ein Verbrechen. Jene lauten Worte sollen von einem im Dickicht versteckten Räuber oder Kundschafter der Räuber gehört worden seyn, und sein Umkehren soll den Thäter zum Raubversuche ermuthiget haben. Sein Herbeilaufen mit dem Terzerol in der Hand hat dem Bruder das Leben gekostet; ohne diese Uebereilung wäre Heinrich nur beraubt, nicht erschossen worden; ohne das Terzerol wäre diese Uebereilung nicht möglich gewesen; ohne seine Willfährigkeit zur Begleitung hätte der Unfall überhaupt nicht statt finden können, und ohne die Ungeduld seiner Leidenschaft für mich wäre er zu dieser Begleitung nicht willfährig gewesen. So knüpft er Spinnefaden an Spinnefaden. Selbst den Umstand, daß ihm Kugeln und Kugelform mangelten, sieht er als einen Wink der Vorsehung an, den er hätte beachten sollen. Ist das nicht eine Spitzfindigkeit in der Selbstpeinigung, die an Wahnwitz grenzt?«

»Nicht so ganz, meine Freundin; in der Vermuthung, daß seine lauten Worte im Wald dem versteckten Räuber Lust, und sein Umkehren Muth zum Anfalle gemacht haben könnten, liegt viel Wahrscheinlichkeit.«

»Aber was liegt denn in seiner Weigerung, redlich des Bruders Nachlaß zu nutzen, der ihm als Erben zugefallen ist?«

»Das ist allerdings eine Uebertreibung der Gewissens-Empfindlichkeit. Was denkt er denn nun mit dem Ueberschusse des brüderlichen Vermögens anzufangen?«

»Sein Oheim in Philadelphia soll es haben, in seinen Geschäften nutzen, für den Nothfall aufbewahren – was weiß ich? Die Wahrheit zu sagen, ich besorge, daß er, mit Europa immer unzufrieden, wie Sie wissen, im Stillen den Gedanken hegt, nach meines Vaters Tode in seinem geliebten Amerika zu wohnen.«

»Wohin Sie ihm freilich wohl nicht gern folgen möchten,« sagte ich lächelnd.

»Oh, an die Pole der Welt, lieber Herr!« sagte sie schnell und mit einer Wahrheit der Empfindung, die mich hinriß, ihre Hand an meine Lippen zu drücken.

»Herrliches Geschöpf!« – rief ich aus: »wie unaussprechlich glücklich muß der Mann sein, der Dein Herz besitzt!«

»Ach, wenn ihm das gnügte!« sagte sie mit Wehmuth. »Ich fühle mich glücklich durch meine Liebe, und durch die Gewißheit der seinigen; ich würde zufrieden den Zeitpunkt abwarten, der uns vereinigen könnte; er – was er auch sagen mag – er ist unglücklich, er ist elend, er leidet Höllenqual in der Glut seiner Einbildungskraft. Was er Glück nennt, ist nichts als ein Rausch, ein Taumel, worein ihn meine Nähe, die Luft die ich athme, die Berührung meiner Hand und meiner Lippen versetzt. Ihn kann nichts glücklich machen, diese unbändige Leidenschaft kann nichts besänftigen, als der Besitz, den er nicht fordert, weil er fühlt, daß ich ihn nicht gewähren darf.« Sie wendete sich abwärts, um die thränenvollen Augen meinen Blicken zu entziehen. Ich wagte nicht, die Stille zu unterbrechen; denn ich fürchtete, Unschickliches zu sagen, wenn ich Ferdinands Ungeduld hätte entschuldigen wollen. »Sie sehen, mein lieber Freund, mein erster und einziger Vertrauter!« fuhr sie endlich mit einem trüben Lächeln fort: »daß mein Leid eigentlich nur ein Mitleid ist. Dennoch fühl’ ich, daß Ferdinands Zustand so nicht lange bleiben darf, und ich habe ein recht verwegenes Mittel ergriffen, ihn zu endigen.«

»Ein verwegenes?«

»Nun ja, es ist wenigstens etwas gefährlich für das zeitliche Vermögen. Ich habe – Sie werden lachen, wenn Sie hören, daß ein Mädchen Handels-Spekulationen macht; aber Sie wissen es ja, daß ich ein gebornes Judenmädchen bin. – Genug, ich habe meinen Vater auf den Gedanken gebracht, eine Geschäfts-Association mit dem Philadelphier zu suchen, der begütert, wohlberufen, vermählt zwar, aber noch zur Zeit kinderlos seyn soll. Ferdinand ist auf diesen Einfall mit Lebhaftigkeit eingegangen; man hat einen ausführlichen Plan entworfen; darauf beruht nun, obschon ich wenig von dem Plane verstehe, meine Hoffnung.«

»Und der Amerikaner?«

»Wir erwarten Briefe mit jedem Posttage. – Können Sie inzwischen Ferdinands Hirngespinst zerreißen – er kennt und ehrt die Ueberlegenheit Ihres ruhigen Geistes über seine berauschte, stürmisch bewegte Seele – thun Sie es, lieber Herr! Sie erheitern dadurch die Zukunft eines Mädchens, das Sie innig verehrt, das sie kindlich liebt.« Sie hatte meine Hand in ihre beiden genommen, und drückte sie sanft und mit seelenvollem Blick an ihr Herz.

IX
Die Macht der Sinne

 
Ha, nicht linder Weste Blasen
Wehte mich zu Lieb’ und Lust!
Nein, es war des Sturmes Rasen;
Flamme, Steine zu verglasen
Heiß genug, entfuhr der Brust.
 
Bürger im hohen Liede von der Einzigen.

Ich fand noch an dem nemlichen Tage Gelegenheit, unter vier Augen mit Albus zu sprechen. Er stutzte ein wenig, als ich Dinge berührte, die ich nur aus Marianens Munde wissen konnte, und die eine ziemlich enge Vertraulichkeit zwischen ihr und mir voraussetzen ließen; aber er verrieth keine eifersüchtige Regung. Mit lebhaftem Antheil ging er auf das Gespräch über seine Selbstvorwürfe ein, deren Ungrund ich ihm klar zu machen suchte.

»Die Vermuthung,« sagte ich: »Ihre lauten Worte im Walde könnten dem Räuber verrathen haben, daß Heinrich viel Geld bei sich trug, will ich Ihnen als wahrscheinlich zugeben, ja ich will dieselbe sogar als Gewißheit gelten laßen; was folgt daraus? Ein Zufall machte den Räuber mit dem anlockenden Umstande bekannt, und wenn sich auch erweisen ließe, daß ohne diesen Zufall die Beraubung gar nicht versucht worden wäre, so bleiben Ihre Worte doch immer eine rein zufällige Veranlaßung des Unglückes. Sie wollten dasselbe nicht, sie konnten nicht voraussehen, daß es entstehen würde, und so hätte es – wie bei dem Schützen, der ein hinter der Scheibe verstecktes Kind tödtete – durch ihre eigne Hand entstehen können, ohne daß Ihnen eine Verschuldung beigemessen werden könnte.«

Das schien ihm einzuleuchten, und nach dem Blicke zu urtheilen, den er bei den letzten Worten auf mich heftete, auch zu beruhigen. Dieser leichte Erfolg veranlaßte mich, noch einen Schritt weiter zu gehen; einen Schritt über Marianens Auftrag hinaus. Was mir Diese von Ferdinands ungestümer Leidenschaft vertraut hatte, flößte mir mehr Besorgnisse für des Mädchens Zukunft ein, als ihr seine Geneigtheit zu übertriebenen Selbstvorwürfen. Zwar kannte ich recht gut die Macht, womit Marianens Reize auf die irdische Menschen-Natur wirkten, und seine Ungeduld war in meinen Augen eben keiner Entschuldigung bedürftig. Aber wie, wenn seine Leidenschaft nichts – gar nichts weiter, als Sinnengluth war? Wenn die Geschlechtsliebe sein Herz nicht berührt hatte? Wenn er, ohne es selbst zu wissen vielleicht, nur heftig begehrte, wo sie tief und innig liebte? Dann ging sie dem Unglück entgegen. Ich mußte einen Versuch machen, in sein Herz zu blicken. Ich lenkte daher das Gespräch auf den muthmaßlichen Zeitpunkt seiner Vermählung. Er hielt ihn für sehr nahe. Ich erwähnte, daß ein großer Raum zwischen B. . . und Philadelphia liege, und daß der Ausführung des Associations-Projects vielleicht auf des Oheims Seite Bedenklichkeiten entgegen stehen könnten, die nur durch wiederholten Briefwechsel gehoben, ja wohl gar eine Reise nothwendig machen könnten. Er schien sehr beunruhigt durch diese Vorstellung, und gestand, daß ihn das höchst unglücklich machen würde.

»Warum das, lieber Albus? Was kann Sie ein geringer Aufschub kümmern? Sie leben in Marianens Hause, Sie genießen ihres täglichen Umgangs, das Mädchen liebt Sie so tief, so rein, so einzig; können Sie, Ihrer eignen Vorzüge sich bewußt, der Besorgniß Raum geben, Marianens Herz zu verlieren

»Meiner Vorzüge? Meiner Erbärmlichkeit wollen Sie sagen. Wer bin ich denn neben ihr? Hab’ ich noch einen Geist? Lebt noch eine Seele in mir? Bin ich noch ein Mensch, ein Wesen mit Vernunft begabt, seit ich sie gesehen? Wie ein Thier komm’ ich mir vor, wie ein gemeines, lüsternes, unzüchtiges Thier, das sie sich schämen muß zu lieben, schämen, dessen stumme Sprache zu verstehen.«

Ich war seltsam überrascht. Worte, die meine eigenen Gedanken ausdrückten, meine Besorgniß bestätigten; aber so starke Worte, und mit einem so wahren Ausdrucke der Selbstverachtung ausgesprochen, daß ich ihnen nicht mehr glauben konnte, was ich meiner Besorgniß zu glauben geneigt gewesen war.

»Sie sind gerecht gegen Marianen,« erwiederte ich: »aber ungerecht gegen sich selbst. Was Sie für dieselbe empfinden, halten Sie für einen rohen, seines Gegenstandes unwürdigen Sinnentrieb, doch eben darin liegt der Beweis, daß Sie Marianens Gemüth erkannt haben, und daß Ihre Seele das Mädchen eben so heftig liebt, als der Sinn ihrer begehrt.«

»Das ist wahr!« rief er, die Hand auf der Brust: »das fühl’ ich, das weiß ich; aber kann sie es wissen? Kann ich es ihr sagen, kann ich sie schauen lassen in mein Herz? Wenn ich sie nicht sehe, wenn die Ueberspannung meine Phantasie gelähmt hat, wenn die hundert und wieder hundert rührenden Züge ihrer schönen Seele, ihrer innigen Zuneigung, in meinem Gedächtniße aufwachen, und mein Gemüth sanft aber bis auf seinen tieffsten Grund bewegen: dann giebt es Augenblicke, Minuten, Stunden vielleicht, wo ich mich wahrhaft glücklich fühle. Dann möcht’ ich Dichter seyn, meine Empfindungen in melodische Worte zu kleiden, Sänger, um sie in Tönen durch Marianens Ohr in ihr Herz zu gießen. Dann fühl’ ich eine Seele in mir, stark genug, ihr Herz auf ewig an mich zu fesseln. Aber ihr Anblick – er entseelt mich; er verunreiniget meine Empfindungen wie den Ausdruck derselben; ich bin keines Tones, keines Blickes, keines Athemzuges mehr mächtig, der ihr sagen könnte, daß ich sie liebe, daß mein Geist sie vergöttert, mein Herz sie anbetet – daß ich nicht laßen könnte von ihr, wenn auch all’ ihre Schönheit der Raub einer zerrüttenden Krankheit würde. O, wie oft, mein theurer Freund, wie oft hab’ ich gewünscht, daß sie nur einen Tag, nur eine Stunde lang minder reizend mir erscheinen möchte!«

Ich erstaunte vor diesem mächtigen Kampfe der geistigen und sinnlichen Natur in der Brust dieses Menschen. Ich wußte ihm nichts zu sagen, als den Gemeinsatz, daß der Besitz diese Gluth mildern werde.

»Gewiß, gewiß!« rief er aus: »und eben darum – Diese Trunkenheit meiner Einbildungskraft kann nicht länger dauern, als die Entbehrung der Wirklichkeit, und dann wird meine Seele sich aufrichten, mein Geist seine Banden abwerfen, ich werde wieder seyn, der ich war, werth ihres Herzens, glücklich, und fähig, sie glücklich zu machen.«

So – dacht’ ich bei mir selbst – so liebt nur ein Mann in voller Jugendkraft des Leibes und der Seele. So wollen die Frauen geliebt seyn. Das feurige Mädchen hatte eine Wahl getroffen, wie sie nur dem gesunden Herzen, dem unverschrobenen Gefühle gelingen kann. Und sie schien das so gut zu wissen, daß es überflüßig gewesen wäre, ihr zu sagen, was ich gehört hatte.

X
Der nordamerikanische Compagnon

Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann.

Schiller.

Die Briefe aus Philadelphia waren angekommen. Ihr Inhalt konnte nicht günstiger seyn; sie brachten den Associationsvertrag unterzeichnet mit. Herr Brand ladete uns zu einem Familienfest ein, und es war die förmliche Verlobung der Liebenden, von der wir Zeugen seyn sollten. Die Hochzeit war nur um drei Wochen später festgesetzt. Wie bezaubernd war Mariane in der Verklärung ihrer inneren Glückseligkeit!

»Nun, mein lieber Vertrauter,« flüsterte sie mir mit einem Händedruck in’s Ohr: »nun ist Alles, wie ich es gern möchte; Sie haben das häßliche Gespinst rein weggekehrt aus seinem Gehirn.«

In der That schien Ferdinand ein ganz anderer Mensch zu seyn. Schon die Gewißheit und die Nähe des Zeitpunktes, der seine Wünsche krönen sollte, schien in ihm bewirkt zu haben, was er erst von dessen Gegenwart erwartet hatte: die Unterwerfung der Leidenschaft unter den Scepter der Vernunft, die »Aufrichtung seiner Seele,« wie er es in jenem Gespräche genannt hatte. Der melancholische Zug, der sonst um seinen Mund zu spielen, und von der Stirn herab das Feuer seiner Augen zu verdüstern pflegte, war verschwunden. Der Ausdruck der Letzteren gegen Marianen war nicht mehr wilde Flamme, sondern mild erwärmender Strahl, in welchem des Mädchens Herz mit Entzücken sich sonnte. Die Heiterkeit seines Geistes war vernehmlich in jedem Worte, sichtbar in jeder Miene; und wenn er mit Marianen, die ihn ihren Republikaner zu nennen pflegte, darüber scherzte, daß sie über lang oder kurz doch einmal mit ihm in die Neue Welt schiffen müßte, um das wahre Ziel des von ihr erfundenen Associations-Planes dem Oheim persönlich auseinander zu setzen: so geschah es von beiden Seiten auf eine Art, die mich vermuthen ließ, daß der Gedanke, künftig in dem jugendlich blühenden Freistaate zu leben, auch wohl schon im Ernst von ihnen besprochen worden seyn möchte.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
100 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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