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Читать книгу: «Der Kaliber», страница 7

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XIX
Der Kugel-Samen

 
Im Freischützen höret man
Tolles Zeug mit Freuden an;
Wird man toll, so glaubt man dran.
 
Der Verf.

Mich überlief ein Schauder, als ich ihm in die Augen sah. Wenn mich nicht alle Zeichen täuschten, so war er – wahnwitzig. Ich führte ihn mit Rebhahn in das Zimmer, das er sehr wohl hätte kennen müssen. Keine Spur von Empfänglichkeit für Eindrücke von außen. Nichts als die Namen: Heinrich – Mariane – schlichen von Zeit zu Zeit über seine Lippen, ohne daß er selbst ihren schwachen Schall zu vernehmen schien.

Welche Pein für mich! Mein unseeliger Einfall, ihn durch Ueberraschung das Geständniß einer erlogenen Selbstanklage zu entreißen, konnte ihm den Verstand gekostet haben, da dieselbe – wie sich jetzt kaum mehr bezweifeln ließ – nicht erlogen war, sondern auf einer unbegreiflichen Selbsttäuschung beruhte. Ich ließ den Arzt rufen; er schüttelte bedenklich den Kopf, und leider zeigte sich’s nur allzubald, daß er Grund dazu gehabt hatte.

Zwar wurden Ferdinands Sinne noch an demselben Tage den Eindrücken der Außendinge wieder offen, und er sprach mit uns Allen wie ein vernünftiger Mensch, so lange nicht der Gedanke an seine Unschuld angeregt wurde. Aber bei der leisesten Berührung dieses Gegenstandes zeigte sich eine fixe Idee, bekanntlich die erste Stufe des Irrsinns. Er wähnte, der Teufel, der seine Aussöhnung mit Gott nicht dulden wolle, suche ihm vorzuspiegeln, daß er gar nicht gesündiget habe, und nehme zu dem Behuf allerlei Gestalten seiner Freunde und Bekannten an, oder fahre wirklich in deren Geister und Gemüther, um dieselben zu diesem Zwecke zu mißbrauchen. Der Arzt, meine Mutter, meine Schwester, ich selbst, wir alle versuchten es nach einander, und auf verschiedenen Wegen, in diesem Irrwahn ihn wanken zu machen.

Wenn es irgend Einem von uns gelingen konnte; so war es Juliane, mit welcher er unter Allen am liebsten sprach, und die er selbst dann ohne Zeichen des Unwillens anhörte, wenn sie diese Saite anschlug. Schon glaubte sie einmal, ihr Ziel bei ihm erreicht zu haben, da fing er an zu weinen, und sagte halblaut: »So jung, so schön, eine so himmlische Seele; und um meinetwillen vom Teufel besessen!«

Dagegen gab es eine fast komische Scene, als auch Rebhahn, mit allen Waffen der Logik gerüstet, gegen seine fixe Idee ausrückte. Sobald er dessen Absicht merkte, setzte er sich gleichsam in Positur, und schien den ganzen Rest seiner Geisteskräfte zu einer Disputation mit ihm aufzubieten.

»Sie behaupten, daß ich unschuldig bin; definiren Sie mir einmal meine Unschuld! Woraus besteht sie, Stück vor Stück?«

»Sie ist aus dem Ganzen, werther Herr Albus; Sie bilden sich ein, Ihren Bruder durch einen Schuß, der durch Ihre Unvorsichtigkeit losging, getödtet zu haben das ist aber unmöglich, denn der losgegangene Lauf war blind geladen, und die Kugel, die man in seiner Brust gefunden hat, ist zu groß für den Kaliber des Gewehrs.«

»Selbst blind geladen!« sagte er spöttisch bei Seite. »Die Jäger können allerlei, wovon sich Eure Philosophie nichts träumen läßt. Haben Sie nie von Kugelsamen gehört?«

»Nein.«

»Sollte mich wundern, ich hätte darauf gewettet, daß Sie dergleichen schon erbauet hätten. Besinnen Sie sich nur, das Samenkorn sieht schwarz aus, wie ein Pulverkorn, ist aber ein Kugel-Keim, wird in’s Rohr gesäet, und wächst darin. Wie, kenn’ ich die Höllenkünste?«

»Aber werther Herr Albus, die Kugel war ja zu groß für das Rohr, kann gar nicht aus demselben gekommen seyn.«

»Ha, ha, ha! Das ist ja eben der Kniff; sie schwillt auf, wenn sie heraus kommt an die Luft, und Du schwörst darauf, es ist eine Andere.«

»Das ist tolles Zeug, Herr Albus,« sagte Rebhahn ärgerlich; denn er glaubte sich gefoppt.

»Noch nicht halb so toll, als Eure Jurisprudenz. Wenn Einer dem Anderen das Pistol auf die Brust setzt, und es geht los, ehe er abdrückt, und der Andere ist todt, so demonstrirt der Advokat: Hans hat nicht losschießen wollen, ergo hat er auch den Kunz nicht erschossen. Aber der Mensch hat ein Gewissen und das Gewissen ist kein Advokat.«

»Davon ist jetzt nicht mehr die Rede,« erwiederte Rebhahn: »das Recht und zugleich der gesunde Menschenverstand fordern zum Begriff eines Todschlages, daß die Handlung des Einen, und das Werkzeug, das er dazu gebraucht hat, dem Anderen den Tod gegeben. Das ist hier nicht der Fall. Sie können über Ihre Hitze, Ihr Zuschlagen, Ihren Schuß, sich Gewissensbisse machen, so viel Sie wollen, das geht mich nichts an; aber das Recht spricht, daß Sie nicht der Urheber von des Bruders Tode sind, und Ihr Gewehr nicht die Ursache davon.«

Das schien auf Ferdinands Begreifungs-Vermögen einige Wirkung hervorzubringen, die auch das Gemüth in Thätigkeit zu setzen schien. Er schwieg einige Sekunden, und sagte dann mit einem Seufzer: »Ha! wenn mir nur Einer erklären könnte, wie er anders umgekommen!«

»Die Erklärung,« erwiederte Rebhahn: »im Allgemeinen wenigstens, liegt auf der Hand.«

Ferdinand sah ihn höhnisch an, öffnete seine Rechte, und sah lächelnd hinein.

»Es ist sonnenklar,« fuhr Rebhahn fort: »die Umstände dulden durchaus keine andere Annahme; die erwiesenen Tathsachen zwingen den menschlichen Verstand zu der Ueberzeugung, daß ein anderer Schuß, gleichzeitig mit der Ladung Ihres Gewehrs, aus bedeutender Entfernung vielleicht, Ihrem Bruder die größere Kugel in die Brust gejagt hat. Kann denn nicht einer der Wilddiebe in eben diesem Augenblicke sein Ziel, das Wild, gefehlt haben?« –

Albus zuckte, seine Hand schloß sich, er stand auf, und machte mit scharf zusammengedrückten Lippen einen raschen Gang durch das Zimmer. »Der ist schlau!« sagte er vor sich hin, und fuhr dann zu mir gewendet fort: »Aber er fängt mich nicht, denn er ist doch ein dummer Teufel; diesmal hätt’ er eine bessere Gestalt annehmen sollen. In dieser hab’ ich ihn gleich erkannt.«

Bei dieser Hartnäckigkeit des Wahns blieb nichts übrig, als denselben unberührt zu lassen, und zu erwarten, ob die Natur und die Zeit ihn davon befreien würden.

XX
Die Klatzschbüchse

 
»Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.«
Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß, wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ewige Krankheit fort;
Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn –
 
Mephistopheles in Göthe’s Faust.

Rebhahn reichte nun die zweite Vertheidigungsschrift ein, und ich eilte um so mehr mit dem Bericht, da ich ein Urtheil erwartete, welches den Unglücklichen von der Selbstanklage des Todtschlags gänzlich losspräche. Mit nichten!

»Zwar sei es – meinten die Herren – bewandten Umständen nach nicht schlechterdings undenkbar, daß der Heinrich Albus durch den, es sei nun absichtlichen oder zufälligen, Schuß eines Dritten gefallen seyn könnte; da aber der Inquisit bei seinem speziellen Geständnisse beharret, und da ein anderer Thäter oder Veranlasser des erfolgten Todtschlags bis jetzt nicht auszumitteln gewesen: so sei der Ferdinand Albus bis zur völligen Ausführung seiner Unschuld in einem Zucht- oder Arbeits-Hause zu verwahren, von Rechtswegen.«3

Da der Zustand des Irrsinnes, in welchem Albus fortdauernd sich befand, nicht gestattete, ihm das Erkenntniß zu publiziren; so wurd’ es dem Doctor Rebhahn als dem Defensor eröffnet.

»Ei daß Ihr schwarz würdet!« rief er aus. »werden bald den Grundsatz aufstellen, daß Keiner eher für unschuldig erkannt werden darf, bis er den Schuldigen herbeigeschafft. Wollt’ ich nun doch beinahe, daß ich der wäre, für welchen Albus mich hält, um den Kerl auszuspüren, der die verfluchte mystische Kugel abgeschossen hat.«

Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, so brachte der Postbote ein Packet von einer Gerichtsstelle des Nachbarstaates. Der Beamte sendete mir beglaubte Abschrift eines Actenstückes mit der Bemerkung, daß er nach allem, was er durch das Gerücht von der merkwürdigen Untersuchung gegen den jungen Albus vernommen habe, glauben müsse, dasselbe werde über jene dunkele Sache einiges Licht verbreiten. Dabei lag, besonders verwahrt, ein goldener Siegelring mit den Buchstaben H. A. zu beiden Seiten eines Merkurstabes, der auf einem Anker ruhte, und eine Kugelbüchse von so kleiner Statur, daß man sie fast für eine Liliputanische hätte halten können. Der Lauf war kaum 8 Zoll lang, und hatte Haar- oder Schneidezüge (Züge ohne Zwischenfelder) wie diejenige Art von Pistolen, die über die gewöhnliche Pistolenferne und bisweilen auf 150 Schritte weit im Kernschusse tragen. Sie schien aus einem solchen Pistol gemacht zu seyn, denn der kurze Backenanschlag war angesetzt und ließ sich abschrauben. Augenscheinlich eine Wilddiebs-Büchse. Beide Gegenstände waren in der That bei einem der Gauner gefunden worden, die man nach Heinrichs Ermordung im Scheidewalde aufgehoben hatte. Er nannte sich Rollkopf, und die gegen ihn geführte Untersuchung hatte bald ergeben, daß er früher zu einer überrheinischen Räuberbande gehört hatte, eingefangen, mehrerer Mordthaten überführt, zum Tode verurtheilt worden, aus dem Gefängnisse entsprungen war, und sich zu den Wild- und Vieh-Dieben des Scheidewaldes gesellt hatte: seiner Versicherung nach in der Absicht, sein Leben zu bessern, weil er gewußt, daß man hier einen schweren Eid thun müßte, keinen Menschen umzubringen, es wäre denn in dringender Gefahr des eigenen Lebens. Diesen Eid wollte er auch pünktlich gehalten haben; allein die Aeußerung des Instructions-Richters, daß dies die verwirkte, und jenseits des Rheins schon über ihn ausgesprochene Strafe seiner früheren Mordthaten nicht mindern könne, bewog ihn zu dem Geständniß, daß er denselben, kurz vor seiner neuen Gefangennehmung, doch einmal gebrochen habe, woran eigentlich der Wald-Hauptmann selbst schuld gewesen, weil er ihm ein Gewehr geschenkt, das kaum halben Arms lang gewesen, und dennoch 200 Schritte weit habe schießen sollen. Mit dieser »Klatzschbüchse« liegt er im Busche am Wege, sieht zwei Herren vorbeigehen, und hört, daß der Eine zum Andern sagt: »Was schleppst Du jetzt 8000 Thaler nach M. . .?« Das lockt ihn zwar, sein früheres, freieres Handwerk wieder einmal auszuüben, oder doch wenigstens zu versuchen, ob er nicht durch Drohungen etwas von den 8000 Thalern erlangen könne. Aber er bemerkt, daß einer der Herren ein doppelschüssiges Pistol in der Hand hat, macht sich daher auf, und folgt den Wanderern bloß in der Ferne nach. Nicht lange, so bleiben sie stehen, der Eine »vagirt« vor dem Andern herum, und dem Schnapphahn fällt ein: du sollst doch wohl ’mal sehen, ob der Wald-Hauptmann gelogen hat, ob die Klatzschbüchse wirklich bis dahin reicht. Er schlägt an, schießt, und – »gleich wird der Eine krumm.« Der Andere – denkt er – wird nun Reißaus nehmen; aber Prosit! Der bleibt stehen, wie ein Pfahl, und kauert sich dann zu dem Andern, und weicht unter einer Stunde nicht vom Flecke. Endlich »pascht er ab;« der Schnapphahn schleicht heran, durchsucht dem Todten die Taschen, findet sie aber leer, und muß mit einem Ringe vorlieb nehmen, den er ihm nicht ohne Mühe vom Finger zieht.

Niemand wird hoffentlich mehr daran zweifeln, daß es der Ring von Heinrich Albus war, welchen Ferdinand vielleicht vermißt haben würde, wenn das Wiedersehen der Leiche ihn nicht der Besinnung beraubt hätte. Die mystische Kugel (wie Rebhahn sie eben genannt hatte) paßte vollkommen in Schnapphahns Klatzschbüchse, und bei genauer Betrachtung waren selbst die Eindrücke der Schneidezüge noch daran sichtbar.

»Nun« rief der Doctor Rebhahn: »nun muß es doch wohl der Tolle selbst begreifen, daß er unschuldig ist!« Er wollte auf der Stelle zu ihm.

»Wird er es dem Teufel glauben?« fragte ich.

»Sie haben Recht, das muß er von Jemand hören, der besser aussieht, als ich.«

In der That war diese Entdeckung zu wichtig, als daß ich die Wirkung, welche sie auf Albus Geist haben konnte, durch Uebereilung hätte in die Schanze schlagen mögen. Diese vollständige Auflösung des Räthsels welches seinen Verstand verwirrt hatte, mußte er aus einem Munde hören, den er nicht so leicht für ein Werkzeug des Teufels halten konnte, und welcher taugte wohl besser dazu, als Marianens Mund?

XXI
Der psÿchische Arzt

 
Mithin geb’ ich als Arzt den Kranken auf,
Wenn ihr nicht kommt, ihm diesen Trank zu reichen.
 
Benvolio in der Albaneserin. III, 1.

Die starke Seele dieses Mädchens hatte, um sich dem Grame zu entreißen, ein Mittel ergriffen, welches man schwachen Seelen freilich nicht empfehlen kann, weil sie eben zu schwach sind, um es anzuwenden. Sie hatte sich mit Erlernung der englischen Sprache beschäftiget (diese Wahl erklärt sich von selbst, denn Ferdinand liebte dieselbe), und war so voll davon, so gewohnt bereits, in dieser Sprache zu denken, daß sie zu Anfange unseres Gespräches mehr als einmal englisch zu mir redete. Sie hatte von der Auffindung des Mordgewehrs im Strome, von der räthselhaften Kugel, von dem neuen Urthel, und auch von Ferdinands Irrsinn gehört; hielt aber den Letzteren für eine Erdichtung des Advokaten, für das sogenannte Wahnwitzigmachen, wodurch die Defensoren häufig die Delinquenten von der Strafe zu befreien suchen. Als sie von mir das Gegentheil hörte, brach sie in Thränen aus, und konnte nur die Worte hervorbringen: »Armer, armer Ferdinand! Nicht Mensch mehr, und doch lebend? Oh Gott, Gott! auch das noch?«

»Ich habe Hoffnung zu seiner Genesung, liebe Freundin, wenn Sie sich zu einem Schritte entschließen können, der freilich voraussetzt, daß Ihr Herz noch nicht für ihn erkaltet ist.«

»Wie? mein Herz?« rief sie aufspringend: »Was muß geschehen? Muß er mein Blut trinken, um zu genesen? Es ist sein bis auf den letzten Tropfen! Bringen Sie mich zu ihm, man soll mir die Adern öffnen – (sie streifte das Kleid von dem schönen Arme zurück) ob ich sterbe, gilt gleich.«

Ich schilderte ihr kurz die Lage der Dinge – der inneren Dinge Ferdinands – machte sie mit der Entdeckung des wahren Thäters bekannt, und sagte ihr, daß ich ihm dieselbe noch verschwiegen, weil ich glaubte, sie werde aus ihrem Munde heilbringend auf sein Gehirn wirken.

»Wenn mich nicht alle früheren Beobachtungen trügen,« fügte ich hinzu: »so haben Sie eine so entschiedene Macht über sein ganzes Nervensystem, daß ich fast an einen magnetischen Rapport zwischen Ihnen beiden glauben möchte.«

Welch eine Freude in Ihren Augen! Welch ein Beben des Entzückens in ihrer Stimme, als sie mir antwortete: »Oh Gott, ja, ja, lieber Herr! ich will – ich werde ihn retten! Ueber seinen Geist, über sein Herz hab’ ich Macht, nur sein Gewissen ist stärker, als meine Liebe.«

Sie nahm einen Mantel, einen Hut, und eilte mit mir zu ihrem Vater, dem sie mit fliegenden Worten erklärte, daß sie mich in diesem Augenblicke nach Z. . . begleiten müsse, weil Ferdinand wirklich wahnwitzig sei, und sie ihn wieder zu sich bringen werde. Er hatte diesem Ungestüm nichts entgegen zu setzen, da ich den Hauptinhalt ihrer Worte bestätigte, und wenige Minuten später saß ich mit ihr im Wagen.

XXII
Die Vorleserin des Protokolls

 
Jetzt rette dich, du kräftige Natur!
Die Crisis ist entscheidend.
 
Albaneserin. II, 5.

Man begreift, daß der Zweck der kurzen Reise der einzige Gegenstand des Gesprächs war. Sie fragte mir die Geschichte seines Irrsinnes bis auf die kleinsten Umstände ab, entwarf darnach den Plan ihres Verfahrens, und dictirte mir gleichsam meine Rolle.

Ich sollte den Geisteskranken auf ihren Besuch vorbereiten. Er las, als ich eintrat, in Pope’s Versuch über den Menschen, den Juliane ihm gegeben hatte, und schien verdrießlich über die Unterbrechung.

»Ich bin wieder einmal in B. . . gewesen, lieber Albus.«

»So?«

»Ich hab’ auch auf einige Minuten Marianen gesehen.«

Er sah mich an mit einer Spur von Beunruhigung im Blick, und antwortete: »Ich sehe sie immer

»Doch haben Sie, soviel ich mich erinnere, seit Ihrem Hierseyn nie von ihr gesprochen.«

»Eben darum.«

»Desto angelegentlicher sprach sie von Ihnen

Er ging einige Schritte von mir weg. »Ist sie noch – ist sie noch schön?« fragte er zurückkehrend.

»Wohl ist sie das, ungeachtet des Grams, den sie im Busen trägt.«

»Das geht vorüber; sie wird glücklich seyn, wenn ich nicht mehr lebe.«

»Ich zweifle; wer so geliebt hat –«

»Sie wird besser – ich will sagen, sie wird einen Besseren lieben; ich kenne ihn.«

»Wen?«

»Sie wird Sie lieben,« sagte er mit aller Bestimmtheit der Ueberzeugung.

»Albus, wie kommen Sie auf den Gedanken?«

»Sie liebt Sie schon jetzt, schon längst.«

Ich war betroffen. Hatte er darum Marianen seit seiner Trennung von ihr nie wieder erwähnt? Was hatte ihm zu diesem Argwohn Anlaß gegeben? War derselbe älter, als sein Entschluß, den Tod statt der Braut zu umarmen? Hatte er Einfluß darauf gehabt? War er vielleicht auch bei seinem Irrsinn im Spiel? Alle diese Fragen bestürmten mich in Einem Augenblicke. Die Ungerechtigkeit gegen Marianen verletzte mich.

Ich trat rasch zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter, und sagte: »Albus, wohin schweift Ihre Leidenschaft? Wollen Sie das Gegentheil sehen, mit diesen Ihren Augen sehen?«

Er fuhr zurück, blickte mich starr an, trat mir wieder nahe, streckte die Hand aus, ließ sie über meinen rechten Arm herabgleiten, als ob er etwas durch das Gefühl erforschen wollte, und rief dann aus: »Ha! läugnen Sie es nicht! Mariane ist hier, ich fühle ihre Nähe.«

»So ist es, Ferdinand; sie will Sie sprechen, sie hat Ihnen Wichtiges zu sagen, bieten Sie alle Kräfte Ihres Geistes auf, es zu fassen.«

Ich gab mit der Klingelschnur das verabredete Zeichen. Er stand lautlos und zitterte. Mir war bange vor der gewagten Scene, welche bevorstand. Mariane trat leise herein. Während sie die Thür hinter sich anzog, bedeckte Ferdinand sein Gesicht mit den Händen. Doch bald ließ er dieselben wieder sinken. Mariane stand vor ihm, nannte seinen Namen im ergreifendesten Accord der Zärtlichkeit, und mit den Worten: »Oh! meine Heilige!« sank er vor ihr nieder.

Sie hob ihn auf; er öffnete die bebenden Lippen zum Reden.

»Sprich nicht, mein Ferdinand, jetzt nicht! Ich sehe, was Du fühlst, und fühle, daß es unaussprechlich ist. Armer Freund, wie viel hast Du gelitten! Wie bleich bist Du geworden! Laß uns sitzen, gieb mir Deine Hand, fühle den ruhigen Schlag meines Herzens, bis der deinige Takt damit hält.«

Er schien nicht zu fassen, was mit ihm vorging; irr’ an sich selbst, suchten seine Augen Licht in den meinigen. »Wo bin ich denn? Sind Sie denn nicht der – bin ich nicht mehr der – der Blutbefleckte, der Brudermörder, der – Hugo

»Nein, nein,« sagte Mariane, indem sie den Arm um ihn schlang und ihn an ihre Brust drückte: »du bist mein, mein Ferdinand, mein Gatte! Du bist rein von aller Schuld, du warst rein, als ich dich wie einen Mörder floh, das fürchterliche Räthsel ist gelös’t, deine Blutschuld war ein Selbstbetrug, eine schlau versteckte Lüge der Hölle, dein Geständniß ein Irrthum, so verzeihlich als entsetzlich. Du zweifelst? Hier (sie streckte die Hand aus, in welcher sie die zusammengerollte Urkunde von des Räubers Bekenntnisse hielt) hier halt’ ich die Wahrheit, die unwidersprechliche Wahrheit fest! Du bist unschuldig, der wahre Mörder ist entdeckt

Albus bog sich mit dem Oberleibe weit zurück, und in den starr auf sie gerichteten Augen malte sich ein innerer Kampf von Liebe und Angst, der meine Athemzüge stocken machte.

»Und auch du? Auch du, Mariane? – Ha Versucher! Versucher! – Komm wie du willst, borge die Reize aller Feen, stiehl den Zauber vom Antlitz der Liebesgöttin, komm in jeder Gestalt, nur nicht in dieser! nur in dieser nicht!«

Wem hätte ein so ungestümes, sichtbares, körperliches Hervortreten des Wahnsinnes nicht das Herz zerrissen?

»Oh Jesus, mein Heiland!« jammerte Mariane leise, mit fest gefalteten Händen. Ihr Muth schien gebrochen. Doch schnell raffte sie ihre Kräfte wieder zusammen. Sie ergriff seine Hände, legte sie um ihren Leib, faßte sein Haupt in die ihrigen, sah ihm in die Augen, jeder Zug ihres Gesichtes war Liebe; dann riß sie ihn an sich, küßte seine Stirn, drückte ihre glühende Wange dagegen, und sagte mit einem Tone, der in Wehmuth schmolz: »Oh mein Ferdinand! mein lieber, guter, unglücklicher Ferdinand! Ist noch ein Funke menschlicher Vernunft in dir, so raube mir die meinige nicht! Rase, tödte, zerfleische mich! Aber mache mich nicht wahnsinnig

Diese Töne des tiefsten Schmerzes, der rührendesten Bitte, schienen in sein Gemüth einzudringen. »Nein,« sagte er: »das ist unmöglich, das ist der Verführer nicht, in diesen Tempel kann er nicht dringen! Belogen hat er dich, aber du bist Mariane

»Willst du vernünftig seyn, mein Ferdinand? Willst du mich anhören?«

»Rede! Rede!«

Sie raffte das Papier auf, das neben sie auf das Sopha gefallen war, rollte es schnell in entgegengesetzter Richtung zusammen, um es wieder zu ebnen, sagte ihm mit gedrängten Worten, was der Waldräuber von sich berichtet hatte, und las ihm dann dessen eigne Erzählung der unseeligen That, wörtlich wie der Protokollführer des Gerichts sie niedergeschrieben hatte. Aber mit welchem Ausdruck, mit welchen, den Glauben erzwingenden Tönen! So ist gewiß niemals ein gerichtliches Protokoll vorgelesen worden.

Als sie zu Ende war, blickte sie ihn an, wie eine Siegerin. »Nun, Albus,« fragte sie: »was meinst du? Wer war der Ermordete? Sieh her! Von wessen Finger hat der Mörder diesen Ring geraubt?« (Sie hatte denselben verwendet an den Mittelfinger gesteckt, und hielt ihm jetzt in der flachen Hand das Siegel unter die Augen.)

»Es ist Heinrichs Ring« rief er aus: »es ist gewiß, es ist klar, wie dein Auge; Rollkopf hat ihn erschossen! – Oh mein Gott! und er ist gestorben in demselben Wahne, den ich gehegt! Er hat mich für seinen Mörder gehalten!«

»Auch das nicht, Albus,« fiel ich ein: »gewiß nicht! Erinnern Sie sich seiner letzten Worte! Sagte er nicht: »Dort – dort – der Räuber!« Ich wollte mein Leben wetten, daß er den Thäter gesehen hat, und daß es dieses war, was er Ihnen sagen wollte.«

Er sprang auf. »Es ist, so wahr ein Gott lebt, es ist! Mariane, ich bin unschuldig! Nicht unschuldig, ich habe mich schwer vergangen, mit dem tödtlichen Gewehr wie ein Rasender gefrevelt; aber Gott ist gnädig gewesen, ich bin nicht Mörder, kein Blut – kein Bruderblut klebt an meiner Hand. Oh Mariane, mein guter Engel, meine Retterin von den Foltern des Gewissens!«

Er warf sich an ihre Brust. »Mein guter Ferdinand!« sagte sie sanft weinend. Meine Freude hatte keine Worte. Ferdinand wendete sich zu mir. »Herr von L. . ., mein Freund, darf ich wieder sagen, ich habe gefrevelt, Sie sind Rechtsgelehrter, welche Strafe wird mich treffen?«

»Keine, hoff’ ich.«

»Das wäre nicht gerecht; ich bin gefaßt darauf; nur keine beschimpfende, keine entehrende – sie würde mich allein nicht treffen.«

Ich suchte ihm die Unmöglichkeit davon klar zu machen; aber ich hatte ihn nicht ganz verstanden. Er hatte nicht an eine rechtlich entehrende, (infamirende) sondern an eine solche gedacht, welche in der Meinung der Menge herabsetzt. Und das thut, die Geldstrafe etwa ausgenommen, jede; wenigstens in den Ländern der geheimen oder Acten-Justiz, wo das bestrafte Vergehen und die Umstände desselben nur Wenigen bekannt werden, und die Beschränkungen der Preßfreiheit dem Sträflinge nicht gestatten, Viele damit bekannt zu machen. Das that hier schon das aufgehobene Todesurtheil; denn losgesprochen in der Folge oder nicht, die Menge pflegt einen Mann, über dessen Haupte das Richtbeil geschwebt hat, immer mit dem Zweifel zu betrachten, ob die verdammenden oder die lossprechenden Richter sich geirrt haben. Albus schien das zu fühlen, und sprach darüber mit steigender Beklemmung.

Mariane hörte sanftlächelnd unserem Gespräche zu. Endlich trat sie heran, faßte Ferdinands Hand, und sagte in englischer Sprache: »Sei ruhig, mein Geliebter! mein Republikaner! Wenn die Vorurtheile der Europäer uns belästigen; das atlantische Meer ist für meine Liebe nicht größer, als auf der Weltkarte für meine Hand: eine Spanne breit.«

Wie schildr’ ich den Ausdruck der Ueberraschung, des Erstaunens, des Entzückens in Ferdinands Gesicht. Zum ersten Male hörte er aus dem Munde der Geliebten die Sprache des Landes, wohin er sich zu sehnen nicht aufgehört hatte, seitdem er es verließ; und an dem Gegenstande, auf den sie während der Trennung von ihm ihre Zeit und ihren Fleiß verwendet hatte, mußte er nothwendig die Größe und Unvertilgbarkeit ihrer Liebe erkennen.

»Göttliches Wesen!« rief er in derselben Sprache aus, und drückte sie an seine Brust. »womit hab’ ich Unbändiger, Rasender, dieses Herz verdient? Bestraft mich, ihr Richter, oder sprecht mich los, denkt übel von mir, ihr Menschen, oder gut; es giebt eine Erden-Seeligkeit, die ihr mir nicht rauben könnt.«

3.Dieses Urthel ist fast noch charakteristischer als das vorige, und ich glaube, allen Mißdeutungen durch die Versicherung vorbeugen zu müssen, das es nicht der Schöppenstuhl zu Leipzig ist, von welchem es ausgegangen. Sächsische Rechtsgelehrte werden überhaupt leicht bemerken, daß der ganze Rechtsfall im Königreiche Sachsen nicht füglich vorgekommen seyn könnte. Er ist das Erzeugniß eines deutschen Bodens, welcher seit einem Viertheil-Jahrhundert seine Gestalt dergestalt verändert hat, daß er für untergegangen geachtet werden kann.
Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
100 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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