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Читать книгу: «Der Kaliber»

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Vorwort

Die nachstehende Erzählung ist im ersten Monate des Jahres 1828 in meiner Zeitschrift Mitternachtblatt stückweise erschienen, und in einigen anderen Tageblättern, die von der Plünderung leben, auch stückweise nachgedruckt worden. Verächtlicher, ehrloser als der gewöhnliche Nachdruck beliebter und gesuchter Bücher, ist solch’ ein Taschendiebstahl, den gleichsam ein Wanderer an dem Mitwanderer verübt. Er weiß noch nicht einmal, ob die Waare in dem Felleisen des Mitwanderers Beifall auf dem Lesemarkte finden wird; aber er stiehlt sie demselben Stück vor Stück, und trägt sie in seinem Bettel- und Diebessacke hausiren, gleich als ob er unmittelbar vom Verfertiger sie zu diesem Behuf empfangen hätte. Durch den Namen des Letzteren sucht er sich den Anschein einer literarischen Verbindung mit demselben zu geben, und ladet ihm außer den Schaden auch noch die Schande auf, bei einem Theile des Publikums für den Socius eines Lumpensammlers zu gelten. So ehrlos handelt der Bücher-Nachdrucker nicht. Er bestiehlt den Autor, er bestiehlt den rechtmäßigen Verleger; aber er giebt sich nicht für den letzteren, nicht für den Geschäfts-Genossen des Ersteren aus. Er stiehlt, aber er betrügt das Publikum nicht mit dem gestohlenen Gut; er nöthiget seinen Nachdruck denjenigen nicht auf, die schon den Originaldruck besitzen. Das thut nur der journalistische Druckdieb: das Abonnement in der Tasche, liefert er denjenigen seiner Kunden, welche zugleich Abonnenten der von ihm bestohlenen Zeitschriften sind, neue literarische Producte, welche sie schon gelesen haben.

In Hinsicht der Ausbildung des Rechtsbegriffes vom literarischen Eigenthum stehet bekanntlich Deutschland noch auf der untersten Stufe der Europäischen Civilisation, und es würde lächerlich seyn, mitten unter Zigeunern klagen zu wollen, daß man bemauset worden sei. Auch thut das erwähnte tageblätterige Stehlen in der Regel den Dieben mehr Schaden als den Bestohlenen. Allein es setzt eine solche Schamlosigkeit, ein solches Hinausseyn über alles Ehrgefühl, eine solche Behaglichkeit in der Schande voraus, daß nur noch ein kleiner Schritt von dieser Infamie zu einer weit nachtheiligeren zu thun seyn möchte. Wer stückweise stiehlt, der sammelt auch wohl am Ende die gestohlenen Stücken, nähet sie zusammen so gut er kann, und macht aus seinem Nachdrucke des stückweise erschienenen Productes einen Vordruck desjenigen, welches der Verfasser im Ganzen, im unzertrennten Zusammenhange, als für sich bestehendes Buch, herauszugeben berechtiget ist.

Solch’ einem Vordrucke hab’ ich zuvorkommen wollen, und da die Zeitschrift, in welcher die Novelle stückweise (man könnte in Bezug auf Tausend und Eine Nacht sagen: in Scheherazaden-Form) bekannt gemacht worden, meine eigene ist; so kann mir kein Vorwurf daraus erwachsen, daß ich schon nach Verlauf eines Jahres das Erzeugniß als Büchlein herausgebe.

Die typographische Form, in welcher dies geschieht, ist hauptsächlich durch den Umstand bestimmt worden, daß der Kaliber das unerwartete Glück gehabt hat, den deutschen Frauen zu gefallen. Die Tageblätter in ihrer Quartantenbreite kommen in der Regel nicht weiter, als auf die Sopha’s der ausruhenden Leserinnen; was auf ihren Fenstertischchen und auf ihren Geheimschrank’s- (Secretär-) Gesimsen Raum finden soll, muß von kleinerem Kaliber seyn.

Ich nenne den Beifall des schönen Geschlechts ein unerwartetes Glück, weil ich gefürchtet hatte, daß die rechtswissenschaftlichen Spitzfindigkeiten, auf welchen sowohl die Verwickelung als der Ausgang der Geschichte beruhen, für Frauen etwas Störendes haben möchten. Aber dem Kaliber ist dafür auch ein eben so unerwartetes Unglück begegnet: er hat ganz wider seine Absicht einen geschätzten Rechtsgelehrten meines Adoptiv-Vaterlandes allarmirt.

Wer vom Fach ist, kennt den Meinungszwist über die sogenannte öffentliche und die geheime Criminaljustiz, welche letztere schicklicher die Acten-Justiz genannt wird, während die erstere in gewisser Beziehung auch wohl die theatralische heißen könnte. Dort richten, nach Anhörung öffentlicher und mündlicher Verhandlungen, Geschworene aus dem gebildeten Theile des Volkes. Hier thun es, nach Lesung der geschriebenen Acten, die Rechtsgelehrten, welche der Staat als Urthelsverfasser angestellt hat. Beide Arten von Justiz haben, wie alle menschlichen Einrichtungen, ihre Vorzüge und ihre Gebrechen. Der Criminalrichter, welcher die vorliegende Geschichte erzählt, ist zwar ein Beamter der Actenjustiz, berührt aber im Abschnitte XXII. mit wenig Worten einen Vorzug der öffentlichen Justiz, welcher darinne besteht, daß dieselbe die Umstände des Vergehens unter dem Publikum des Thäters, d. h. unter den Leuten, mit denen er leben muß, schneller, vollständiger, überzeugender und also wirksamer bekannt macht, als es durch veröffentlichte Urthelsabschriften geschehen kann. Dieser Vorzug ist, wie man leicht einsehen wird, so gering, daß er bei der Hauptfrage, ob die öffentliche oder die Actenjustiz der Gerechtigkeit am meisten förderlich sei? kaum in Betrachtung kommen kann. Allein der Umstand, daß er der Actenjustiz mangelt, war für den Novellisten von einiger Bedeutung, weil er die Situation verschlimmert, in welcher in dem angezogenen Abschnitte der Held der Geschichte sich befindet. Darum unfehlbar berührte ihn der Erzähler, und wer hätte denken sollen, daß diese Berührung einen Rechtsgelehrten, der über die Vorzüglichkeit der Actenjustiz mit sich einig ist, zu einem öffentlichen Widerspruche aufregen würde?

Gleichwohl ist es geschehen. Der Criminalrath Hitzig in Berlin, in der literarischen Republik eben so rühmlich als in seinem staatsbürgerlichen Wirkungskreise bekannt, hat in seiner allgemein geschätzten Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege Bd. 8. Heft 2. S. 421. gegen diese Stelle des Kalibers die Feder ergriffen, und mich für die Aeußerung des erzählenden Criminalrichters verantwortlich gemacht. Er hat es »schmerzlich empfunden, einen Mann wie Müllner, den Deutschland auch zu seinen ausgezeichneten Juristen zählt, die Menge der Sachunkundigen, welche die Actenjustiz eine geheime nennen, in ihrem Mißurtheil bestärken zu sehen.« Er hat meine Stimme für zu »einflußreich« gehalten, als daß sie nicht »Gegenrede nöthig machen sollte, wo sie zu Mißurtheilen führen kann.«

Was ich dem verehrten Manne sowohl auf diese, von der einen Seite für mich nur allzu schmeichelhaften Aeußerungen, als auf die Hauptfrage geantwortet habe, das mag, wer Lust hat, im Mitternachtblatte 1828. Nr. 85 und 86. nachlesen. Hieher gehört nur so viel davon, als nöthig ist, um andere Leser dieser Novelle nicht in Hitzigs Irrthum verfallen zu lassen. Der Criminalrichter in der Novelle, welchem ich mein Bischen belletristischer Darstellungsgabe geliehen habe, ist zwar ein sehr verständiger und menschenfreundlicher Mann, aber seine Gemüths-Neigung für die öffentliche oder theatralische Justiz, die sich auch noch an einer anderen Stelle (XIV.) ausspricht, ist nichts weniger, als meine eigene Neigung. Es giebt nur eine einzige Gattung von Fällen, in welchen ich ein Schwurgericht aus dem Volk lieber richten sehen möchte, als ein Gericht von rechtsgelehrten Staatsbeamten. Es sind die sogenannten politischen Vergehungen. Dieser Begriff ist von so schwankender, beweglicher und dehnbarer Natur, daß weder die Gesetzgebung noch die Doctrin ihn auf eine, den inneren Rechtssinn des Menschen völlig befriedigende Weise fest zu stellen und zu begränzen vermögen. Man möchte daher wünschen, daß in den Fällen dieser Art der betheiligte Staat und seine Beamten lediglich den gesunden Menschenverstand und den Rechtssinn gebildeter Männer des Volkes zur Entscheidung über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten beriefen. Aber eben jenes Schwanken des Begriffes politischer Vergehungen macht die Einführung eines Schwurgerichtes für dieselben, als eines besonderen fori causae (eines Fallgerichtes) so schwierig, daß sie dem Practiker füglich für ein Ding der Unmöglichkeit gelten kann. Daher steht der menschenfreundliche Wunsch mit seinem Hauptmotiv gewissermaßen in einem logischen Widerspruche, welcher den Verstand nöthiget, auf den Anspruch des Gefühls zu verzichten.

Es ist hier natürlich nicht der Ort, in diese Materie tiefer einzugehen. Genug wenn die gegenwärtige Skizze meines Glaubensbekenntnisses über die beiden Justiz-Arten meinen freundlichen Gegner und die Leser meines Kalibers überzeugt, daß die Actenjustiz von mir eben so wenig ernstliche Anfechtung zu besorgen hat, als von meinem Criminalrichter, welcher a. a. O. (XIV.) durch die Vorstellung sich hinreißen läßt, wie die reizende Mariane sich ausnehmen würde, wenn sie ihren unglücklichen Verlobten vor den Schranken eines Schwurgerichtes vertheidigen dürfte. Wenn er ernstlich die öffentliche Justiz der Actenjustiz vorzöge, würde er da wohl einen Rechtsfall erzählen, der gerade nur auf dem langsamen Wege der Letzteren zu einem, das Gemüth befriedigenden Ausgange gelangen konnte?

Weißenfels im Februar 1829.
Der Verfasser.
 
Unglücksel’ger! Wunder nur
Können Deinen Unstern wenden;
Aber – so darfst Du nicht enden!
 
Jerta in der Schuld.

I
Der Wald

Gelegenheit zum Unglück beut die Hölle Freigebig dar.

König Yngurd. IV, 7.

Ein Actenband, den die Verfolgung einer allem Anschein nach weit verzweigten Gaunerbande seit einigen Wochen bis zur Unbequemlichkeit des pflichtmäßigen Lesers aufgeschwellt hatte, hielt mich an meinem Arbeitstische bis zur Abenddämmerung fest, die der unfreundlichen Herbstwitterung wegen früher einbrach, als mein Diener um diese Jahreszeit mir Licht zu bringen gewohnt war. Das Bedürfniß einer kleinen Erholung für den Geist und für die Augen bestimmte mich, diesen Zeitpunkt in meinem Armsessel abzuwarten. Durch das nahe Fenster und durch die sparsam fallenden Flocken des ersten Schnee’s hindurch schweifte mein müssiger Blick über die niedriger als das Amthaus gelegenen Dächer des Städtchens hinweg, bis an den Saum des eine Meile weit entfernten Scheidewaldes, der mein kleines Vaterland von dem benachbarten größeren Staate trennte, doch größtentheils noch zu Jenem gehörte. Dieser weitläuftige, finstere, über einige Bergrücken ausgebreitete und schluchtenreiche Forst war in den letzten Monaten der verschwiegene Zeuge mehrerer Anfälle auf Reisende gewesen, die eine bewaffnete Bande vermuthen ließen, obgleich noch kein Mord von ihr bekannt geworden war. Einen solchen zu entdecken, im Scheidewalde eine mit Wunden bedeckte Leiche aufheben zu können, war mein sehnlicher Wunsch, und – so paradox das auch klingen mag – ich darf ihn menschenfreundlich nennen. Denn ohne kräftige Maaßregeln war die öffentliche Sicherheit schwerlich wieder herzustellen, und der nächste Criminal-Beamte des Nachbarstaates hatte mein Gesuch, das zahlreiche und müssige Grenzmilitär desselben zur Reinigung der Waldung von gefährlichem Raubgesindel zu requiriren, mit der Ausflucht abgelehnt, daß er wegen der, nach gegenwärtiger Einrichtung »permanenten Exerzierzeit« es nicht wagen könnte, bei seiner Regierung auf eine solche Verwendung der Grenztruppen anzutragen, bevor nicht erwiesen worden, daß die muthmaßliche Gaunerbande den Scheidewald mit vergossenem Menschenblute besudelt habe. Daher meine Sehnsucht nach dem Corpus delicti eines Mordes, je kühner, grausamer und empörender, desto besser. Darum hatte ich die dicken Nachforschungs-Acten, und die darin befindlichen Mittheilungen anderer Gerichts- und Polizei-Stellen Blatt für Blatt durchgelesen; und jetzt, wo ich von der mehrstündigen Anstrengung des combinirenden Verstandes ausruhte, spielte sich unwillkührlich mein Wunsch aus dem Begehrungsvermögen in die Region der Einbildungskraft hinüber. Ich sah in dem finsteren Scheidewalde, den die zunehmende Dunkelheit nach und nach meinen Blicken entzog, Raubmörder mit Jagdbüchsen unter den Armen aus ihren Schluchten hervorschleichen; ich sah sie Wanderer mit Geldkatzen um den Leib aus dem Hinterhalte niederschießen, auf das Signal einer Diebespfeife sich vereinigen, schwerbepackte Reisewagen anhalten, die Postillione von den Pferden, die Bedienten von den Böcken, die Passagiere aus den Kutschen reißen, Hülfeschreienden Frauen den Mund mit Tüchern verstopfen, dieselben knebeln, an Bäume binden, mit Dolchstichen zu Tode kitzeln: mit einem Wort, ich sah die Spiegelberge Schiller’s alle Gräuel ihres Handwerkes in einer steigenden Progression von Frechheit und Grausamkeit verüben, ohne dabei etwas anderes zu empfinden, als was etwa ein Schriftsteller empfinden mag, der eben an der blutigsten Scene eines Räuber-Romanes, eines neuen Rinaldo Rinaldini, eines großen Banditen arbeitet.

Aus diesen ergötzlichen Träumen weckte mich endlich mein Diener, indem er, die angezündete Schirmlampe vor mich hinstellend, mir einen Fremden anmeldete, der in dringenden Amts-Angelegenheiten mich zu sprechen begehre. Er hatte sich Ferdinand Albus, Handlungsdiener aus B. . . genannt, und seine Frage nach mir mit so anständiger Sitte vorgebracht, daß der Diener es schicklich gefunden hatte, ihm den von Schnee bestäubten Mantel sammt Hut abzunehmen, und ihm das Besuchzimmer zu öffnen, obschon dasselbe weder geheitzt noch erleuchtet war. Ich befahl ihm diese Unschicklichkeit zu verbessern, den Fremden in mein Arbeitszimmer zu führen, und offene Lichter zu bringen. Er trat ein. Ein schöngewachsener junger Mann in hellfarbigem Reise-Ueberrocke, und soviel der Schatten meines Lampenschirmes unterscheiden ließ, von feinen und einnehmenden Gesichtszügen. Doch ungeachtet jenes Schattens erschien mir sein Antlitz so auffallend bleich, daß ich ihn für krank zu halten geneigt war. Mit höflicher Verbeugung ging ich ihm einige Schritte entgegen, und es kam mir seltsam vor, daß er, den mir mein Diener als einen »feinen und anständigen Herrn« angekündigt hatte, dieselbe nicht erwiederte, sondern aufrecht stehen blieb, wie ein Zerstreuter, der nicht weiß, wo er sich eben befindet, oder vergessen hat, was er daselbst wollte.

»Welchem Geschäfte, mein Herr, verdanke ich die Ehre?« – redete ich ihn an.

»Dem Entsetzlichsten, Herr Criminalrichter!« antwortete er mit einer heiseren Stimme, welche nur die Anstrengung vernehmlich zu machen schien: »Mein Bruder – mein leiblicher Bruder, der Kaufmann Heinrich Albus, ist in diesem Augenblicke – vor meinen Augen, an meiner Seite – von einem Räuber erschossen worden.«

»Wo?« frug ich rasch, und unfehlbar mit einem Tone, der ihn befremden mußte, da derselbe besser zu meiner obenerwähnten Sehnsucht nach einer Leichen-Aufhebung, als zu seinem Entsetzen passen mochte.

Er zögerte einige Sekunden mit der Antwort und sagte dann: »Im Scheidewalde, Herr Criminalrichter.«

Diese Antwort hatte ich erwartet, denn ich hatte sie gewünscht; aber jetzt fiel mir der Widerspruch auf, in welchem sie mit den Worten der Nachricht zu stehen schien. »In diesem Augenblicke, sagten Sie? Es ist eine starke Meile –«

»Oh mein Gott!« – rief er mit erschütterndem Tone aus: »was sind Augenblicke, was ist Zeit, was ist Ewigkeit in meinem Zustande? Hier – hier – (er drückte die Hand gegen die Stirn) hier steht das entsetzliche blutige Bild – ewige Gegenwart – keine Vergangenheit mehr – keine Zeit – kein Raum –«

Der Athem schien ihm zu gebrechen. Der Diener brachte die Lichter. »Fassen Sie sich, mein Herr,« sagte ich, indem ich ihn bei der Hand nahm, und von der Thür weg nach dem Sopha führte. Jetzt war das Gesicht erleuchtet. Der Ausdruck eines tiefen, ungeheuren Schmerzes sprach mich aus den thränenlosen Augen an. Der eben unterdrückte Ausbruch der Empfindung schien die Wangen mit einem matten Roth bedeckt zu haben, das bald wieder verschwand.

»Sie müssen verzeihen« – nahm er nach einiger Erholung wieder das Wort: »wenn ich nicht berichte, wie ich sollte vor dem Beamten, mit Klarheit und Ordnung. Was geschehen ist, was ich gesehen, was ich empfinde – es verwirrt sich auf meiner Zunge – ich weiß so wenig zu unterscheiden, ob ich recht spreche, als ich weiß, ob es das Rechte ist, was ich gethan habe nach dem gräßlichen Unglück.«

»Erlauben Sie mir, zu Ihrer Erleichterung, Ihnen den Hergang abzufragen, wie wir Untersuchungs-Männer gewohnt sind. Ihr Bruder fiel durch einen Schuß?«

»Ja.«

»An Ihrer Seite?«

»Er verschied in meinen Armen.«

»Sie reis’ten Beide allein? zu Fuß?«

»Ja. Mein Bruder hatte eine Zahlung in M. . . zu leisten. Er hoffte leichter davon zu kommen, wenn er es in Person thäte. Wir haben von B. . . aus nur 4 Stunden dahin auf dem Fußwege durch den Wald. Ich begleitete ihn.«

»Und hier wurden Sie angefallen? Von Einem oder von Mehreren?«

»Von Einem, so viel ich weiß.«

»So viel Sie wissen? Es war doch noch Tag?«

»Ja. Ich sah den Räuber nur im Fliehen. Wir waren gegen 100 Schritte auseinander gekommen, ein natürliches Bedürfniß hatte mich verweilt. Ich höre einen Wortwechsel, einen Hülferuf. Ich eile, ich bekomme ihn wieder zu Gesicht. Er ringt mit einem wilden Menschen. Ein Schuß fällt – oh Jesus! Jesus! mein Heiland!« – –

»Ihr Bruder war ohne Waffen?« frug ich nach einer Pause, die ich ihm zur Erholung gönnen zu müssen glaubte.

»Ein schwacher Stockdegen, sonst nichts.«

»Und Sie selbst;«

»Ein doppelläufiges Terzerol. Ach Gott, Gott! das war sein Tod!«

»Wie? Ihr Feuergewehr?«

»So fürcht’ ich. Ich riß es aus dem Gürtel, als ich zu Hülfe eilte. Als der Räuber mich sah, schoß er und warf sich in das Dickicht. Heinrich sank zusammen. – Ich sprang in das Gebüsch, ich schickte dem Fliehenden eine Kugel nach, eilte zurück – – vergebliche Hoffnung! Er war tödtlich getroffen, in die Brust. Noch lebte er – in meinen Armen – » »Rette dich – dich Ferdinand« – – O Elend, o Jammer!«

Er warf sich an meinen Hals, und heiße Thränen entstürzten seinen Augen. Tröstende Worte wären hier nicht am Platze gewesen. Ich richtete ihn sanft von meiner Schulter auf, reichte ihm mein Tuch zum Trocknen seiner benetzten Wangen, und fuhr erst nach einigen Minuten in der schmerzlichen Ausfragung fort.

»Die Mahnung des Sterbenden an Ihre eigne Rettung war, in diesem Augenblicke, so edelherzig als besonnen; die Flucht des Räubers und Ihr Schuß nach ihm stellten Sie nicht sicher vor einer Kugel aus dem Gebüsch. Sie verließen sogleich den Platz der Gefahr?«

Er verneinte stumm. Ich glaubte auf Nebendinge ablenken zu müssen, die nicht unmittelbar das Bild des Verscheidenden in ihm auffrischen möchten.

»Sie sind im Besitz Ihrer Waffe geblieben?«

Er schien sich zu besinnen, und knöpfte den Ueberrock auf. Er trug unter demselben einen breiten ledernen Gürtel, der mit Terzerolhaltern versehen war. Aber Beide waren leer.

»Das Gewehr –« sagte er: »ich weiß bei Gott nicht genau –«

»Es ist nicht wesentlich. Sie ließen es vielleicht zurück in der Bestürzung. Aber – Sie sind doch nicht selbst verwundet?«

»Nein.«

»In Ihren Armen verschied der Unglückliche, und die Blutflecke auf Ihrer Brust? –«

Er starrte darauf nieder. »Mein Blut« – sagte er dumpf und langsam: »meines Vaters Blut! Oh du schauderhafte Farbe!« In der That schien ein fieberischer Schauder über ihn zu kommen bei diesem Anblick, von dem er sich doch nur mit Mühe losreißen konnte.

»Meine Brust« – fuhr er wehmüthig fort: »hat seine Todeswunde geküßt, wie mein Mund seine erkaltenden Lippen. Ich weiß nicht, wie lang’ es gedauert hat, ehe ich daran dachte, was ich thun sollte. Die Goldbörse, die Brieftasche, die Uhr, nahm ich zu mir. Hier sind sie. Das nächste Criminalamt wollte ich noch vor Nacht erreichen. Doch in dem Dorfe vor dem Walde fiel mir ein, daß ich auch dem Landschöppen anzeigen könnte, was geschehen sei. Ich beschrieb ihm den Weg, den Platz, und erfuhr von ihm Ihren Namen und Wohnort. Er versammelte Bauern, die sich mit Heugabeln bewaffnen mußten, und versicherte mich, daß die Leiche, wenn man sie noch fände, bis auf weiteren Befehl von Ihnen, an Ort und Stelle bewacht werden sollte.«

Da hatt’ ich denn also auf einmal den erwünschten Fall, welchen die benachbarte Justiz abwarten wollte, ehe sie die Grenztruppen vom Exerciren abmüßigen mochte. Ich befahl, meinen Wagen bereit zu halten, die Gerichtsfolge aufzubieten, die Leute mit Fackeln zu versehen, und die beiden Medizinal-Beamten des Bezirks einzuladen, daß sie mich entweder sofort begleiten, oder mir sobald als möglich nach Waldrainsdorf folgen möchten, um an einem Ermordeten ihr Amt zu verrichten. Mittlerweile wurde die Anzeige des Handlungsdieners Albus gesetzmäßig zu Protokoll genommen. Er wiederholte die Erzählung der Thatsachen mit ziemlicher Fassung doch nicht ohne leise Schmerzens-Ausrufungen, die sich unwillkührlich aus seiner Brust drängten, während seine Worte niedergeschrieben wurden. Er bestimmte alle Umstände, die vor der Mordthat lagen, klar und befriedigend, und nur zu einer genauen Beschreibung der Gestalt und Kleidung des Räubers schien das Gedächtniß ihm den Dienst zu versagen, was er selbst mit den Worten entschuldigte: »Gesehen – gesehen habe ich eigentlich nichts, als den Heinrich; sein Zusammensinken ließ mir keinen Sinn, kein Auge, kein Bewußtseyn mehr, um einen Eindruck von der Gestalt, von den Kleiderfarben des Entfliehenden aufzunehmen. Der entsetzliche Gedanke, daß er tödtlich getroffen seyn könnte, betäubte mich für jede andere Vorstellung.«

»Vielleicht« – sagte ich: »werden in Ihrer Erinnerung einige Merkmale wieder wach, wenn Sie zurückkommen an Ort und Stelle.«

»Muß ich das?« fragte er mit dem Ausdruck der Scheu vor neuer Gemüths-Erschütterung.

»Nothwendig. Ihre Anerkennung des Verwandten darf nicht fehlen.«

Er machte keine Einwendung dagegen. Seine sichtbare physische Erschöpfung veranlaßte mich, ihm vor unserer Abfahrt eine Erfrischung anzubieten. Er genoß nicht mehr davon, als ein kleines Glas Rheinwein. Im Wagen war er stumm, und schien bisweilen von fieberhaften Frostschauern befallen zu werden. Als wir langsam über die hohe Bogenbrücke des . . . Stromes fuhren, wurde er aufmerksam, sah aus dem Schlage, und sagte mehr für sich als zu mir: »Hier, hier war es.«

»Sie haben über diese Brücke gehen müssen,« erwiederte ich: »ist Ihnen hier etwas aufgestoßen?«

Er lehnte sich in den Wagen zurück, drückte das Taschentuch auf die Augen, und antwortete dumpf: »Der Gedanke des Selbstmordes!« – »Ja« – fuhr er fort, indem er von neuem einen scheuen Blick aus dem Wagen warf: »der Anblick dieses schwachen Geländers erinnert mich daran! Der Fackelschein erleuchtet den Abgrund, den ewigen, an welchen die Verzweiflung mich geführt hatte.«

Das Eingeständniß eines solchen Gedankens fiel mir auf. Dieser Grad von Verzweiflung schien dem Falle nicht angemessen. »War der Unglückliche« – fragte ich: »der erste nahe Blutsverwandte, den Sie verloren?«

»Aber unter solchen Umständen, mein Herr?« erwiederte er in einem so schmerzvollen Tone, daß mich das Mitgefühl schweigen hieß.

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
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100 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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