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II
Die Leiche

 
Vor euch, ihr Kraniche dort oben,
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag’ erhoben.
 
Schiller, Kr. d. Ibykus.

Jenseits der Brücke kam mir ein reitender Bote mit der Nachricht entgegen, daß die Leiche gefunden worden sei. Kein Eindruck auf meinen Begleiter. Ich ließ, ohne in Waldrainsdorf anzuhalten, bis an den Saum des Waldes fahren. Hier stiegen wir aus, und gingen zu Fuß in das Gehölz. Albus folgte tief in den Mantel gehüllt, schweigend, in sich versunken, wie es schien; aber mit festen Schritten, die er beschleunigte, je näher wir den Laternen der Bauern kamen, welche die Leiche bewachten. Die Scheu vor Todten, die Geisterfurcht, hatte sie von derselben beträchtlich entfernt. »Noch nicht,« sagte Albus, als wir bei den Bauern ankamen, und eilte weiter. Ich hatte Mühe mit den Fackelträgern ihm zu folgen. Plötzlich blieb er wie eingewurzelt stehen. Drei Schritte von ihm, dicht neben dem Wege, lag der Entseelte. Albus warf den Mantel zurück; die gefalteten Hände verwendet über dem Kopfe haltend, starrte er einige Sekunden lang auf ihn nieder. »Oh Entsetzen! Entsetzen! Entsetzen!« schrie er markdurchschneidend auf. Dann warf er sich über den Todten und verbarg das Gesicht an seiner blutigen Brust. Seine Stimme, die bis zu einer ungewöhnlichen Stärke sich erhoben hatte, und der Schein der Fackeln, die sich jetzt hier auf Einem Punkte sammelten, hatte die Raben in den Wipfeln der hohen Bäume aus ihrem Schlummer geweckt. Mit Geschrei flogen sie auf. Albus richtete sein Gesicht empor, streckte eine Hand gen Himmel, und rief: »Ha, Kraniche – Kraniche des Ibykus! Verfolgt den Mörder! Krächzet über ihm im Theater – in der Kirche – am Altar!« Er schien in dieser Stellung zur Bildsäule geworden. Der Racheruf hatte so erschütternd auf die Hörer gewirkt, daß Niemand wagte ihn anzureden. Nun aber ballte er die ausgestreckte Hand, legte sie wie ein Verzweifelnder auf seine Stirn, und rief mit dem Tone des gewaltigsten Schmerzes: »Nein, nein, nein! Es ist unmöglich! Mariane – Mariane! Du kannst es nicht tragen – ich kann es nicht tragen! Beide – Beide – verloren!« Die Stimme schwand bei dem letzten Worte, sein Gesicht fiel zurück auf des Bruders Brust, seine Sehnen schienen zu erschlaffen. Ich faßte ihn unter dem Arm, um ihn aufzurichten. Es gelang mit Mühe. Leichenblässe bedeckte seine Wangen. Ein Seufzer, der einem Röcheln glich, entwand sich seiner Brust, und ehe mein Wink an den Nächststehenden befolgt werden konnte, sank er bewußtlos an mir nieder.

Mit keinem der Mittel versehen, womit man Ohnmächtige zum Bewußtseyn zurückzurufen pflegt, blieb mir nichts übrig, als ihn auf der Tragbahre, die für den Erschlagenen bestimmt war, in meinen Wagen tragen zu lassen. Ich befahl, ihn eilig nach Waldrainsdorf zu fahren, wo inzwischen der Arzt angekommen seyn konnte. Die Tragbahre kam zurück. Nicht starr, aber noch leblos, hatte man ihn in den Wagen gebracht. An eine rechtsförmliche, besonnene Anerkennung des Ermordeten an Ort und Stelle war nicht mehr zu denken. Die Leiche desselben wurde ordnungsmäßig aufgehoben, das Nöthige von dem Actuar in die Schreibtafel verzeichnet, und der Todte nach dem Dorfe getragen, wo ich einen zweiten zu finden fürchten mußte.

Wir folgten der Bahre. Niemand sprach ein Wort. Mancherlei Gedanken gingen durch mein Gehirn. Auch der unwürdige Verdacht, daß der Zeuge des Mordes selbst der Mörder seyn könnte, tauchte aus dem Gewirr derselben auf, und wollte sich dem Verstande aufdringen, während ihn das bewegte Gemüth mit Unwillen zurückwieß. Dem Criminal-Richter wird man solch einen Gedanken zu gut halten. Dieses Geschäft gewöhnt auch den gutmüthigsten Menschen daran, Anderen die größte Bösartigkeit zuzutrauen. Doch Verstand und Gemüth wurden mit einander einig, ehe ich in das Dorf kam. Der gräuliche Verdacht hatte im Grunde nichts, worauf er sich stützen konnte, als das Uebermaaß von dem Schmerze des Ferdinand Albus, und die Apostrophe an eine »Mariane.« Diese mußte mir, der ich beide Brüder vorher kaum dem Namen nach gekannt hatte, nothwendig dunkel seyn. Doch dunkel erinnerte ich mich auch, in einer Gesellschaft zu B. . . von einem jungen Kaufmann Albus als von einer practikablen Heiraths-Parthie reden gehört zu haben. Jene Mariane konnte des Erschlagenen Geliebte oder Braut seyn, und dann reichte die Bruderliebe, welche den heftigen Schmerz des Ferdinand erklärte, auch zur Erklärung der dunkeln Apostrophe hin.

In Waldrainsdorf fand ich im Hause des Landschöppen den Arzt und den Wundarzt mit Ferdinand beschäftiget. Seine Sinne waren wieder erwacht, aber die Besinnung schien noch nicht zurückgekehrt zu seyn. Er sprach nicht, und nur zweifelhafte Zeichen ließen vermuthen, daß er verstehe. Eine Krankheit war nach der Meinung des Arztes im Anzuge. Den Ausbruch derselben hier abzuwarten, hielt er für bedenklich. Ich erbot mich gern, den Leidenden vor der Hand in mein Haus aufzunehmen, und mein Bedienter erhielt den Befehl, ihn im Wagen dorthin zu begleiten, und bis zu unserer Zurückkunft so für ihn Sorge zu tragen, wie es der Arzt vorläufig anzuordnen für gut fand.

Die Leichenöffnung, die man in Criminalfällen nie ohne die dringendeste Noth aufschieben soll, wurde vorgenommen. Kein Zweifel über die Ursache des gewaltsamen Todes von dem jungen, durchaus gesunden Manne. Die Kugel war auf der linken Seite in die Brust gegangen, hatte Herz und Lunge verletzt, und fand sich, kaum merklich gedrückt, am rechten Schulterblatte, welches zu zerbrechen ihre Kraft nicht hingereicht hatte. Der Stockdegen des Erschlagenen war am Platze der Ermordung gefunden worden. Er schien den Versuch gemacht zu haben, ihn zu entblößen, denn derselbe war eine Handbreit aus der Scheide gerückt. Ferdinands Terzerol, das ich dort vermuthet hatte, fehlte. Die Bauern, die noch bei Tage die Leiche erreicht hatten, wollten keines bemerkt haben, und das Suchen darnach in dem nahen Gestrüpp, bei Fackelschein, war vergeblich gewesen.

III
Der Kranke

 
– – – Die Braut
Des Bruders, Mensch! und Liebe?
 
Basil in der Albaneserin. III, 4.

Gegen Mitternacht kam ich zurück. Meine Mutter und meine Schwester hatten sich des Kranken sorgsam angenommen; er lag zu Bett. Der Arzt fand ihn im Fieber, aber bei vollem Bewußtseyn. Ich bat ihn daher sofort um die nöthige Auskunft über die häuslichen Verhältnisse des Verunglückten. Derselbe hatte, außer Ferdinand und einem mütterlichen Oheim in Philadelphia, keinen Blutsverwandten am Leben. Ein Handlungsdiener, ein Lehrling und ein Markthelfer machten seinen Hausstand aus. Ferdinand selbst war zweiter Commis des Wechslers, Kammerrath Brand, und wohnte im Hause seines Principals. Es war daher nöthig, dem Civilgericht in B. . . Nachricht von dem Unfalle zu geben, um die Versiegelung des Mobiliarnachlasses, die Inventur der Handlung und die Bestellung eines Administrators der Letzteren zu veranlassen. »Vielleicht« – bemerkte ich: »wären diese Weitläuftigkeiten zu vermeiden oder zu vermindern, wenn Sie selbst morgen zurückreisen könnten; denn Sie sind der Erbe.«

»Wer? Ich?« antwortete er mit Befremdung.

»Wenn kein Testament vorhanden ist, ohne Zweifel.«

Dies schien ihn zu beunruhigen. Er fragte mit einer Art von Aengstlichkeit, ob er diese Erbschaft annehmen müsse. Als ich ihm erwiederte, daß er dieselbe ausschlagen könnte, wenn er das Vermögen den Schulden nicht gewachsen fände, ließ er eine Empfindlichkeit des kaufmännischen Ehrgeizes blicken, und erklärte seine Bedenklichkeit gegen die Annahme der Erbschaft dadurch, daß er nie daran gedacht habe, seinen Bruder zu beerben, der nur um wenige Jahre älter gewesen, als er selbst, und unfehlbar geheirathet haben würde. Als er vernahm, daß ich mit Tages-Anbruch die gerichtliche Anzeige nach B. . . senden würde, bat er um Material zu zwei Zeilen an seinen Principal. Der Versuch mit Feder und Dinte zu schreiben, mißlang seiner Schwäche. Doch mit der Bleifeder brachte er die Worte auf das Papier: »Heinrich ist ermordet, ich liege krank, aber nur Erschöpfung, bringen Sie es Ihrer Tochter mit Vorsicht bei, ehe sie das Gerücht erfährt. Ich bitte um andere Kleider und Wäsche.« Ich siegelte das Billet, überschrieb es an den Kammerrath Brand »zu eigenhändiger Eröffnung,« sprach diese Worte laut, und bemerkte absichtlich, daß sie mir nöthig schienen, damit der Brief auf keinen Fall von Fräulein Marianen geöffnet werde. Es fiel ihm nicht auf, daß ich den Namen wußte.

»Sie wird nicht,« sagte er: »und am Ende –« Er wendete sich ab, seufzte beklommen, und verbarg sein Gesicht in dem Kissen. Ich zweifelte nicht mehr, daß er den Schmerz im voraus mitfühlte, womit die traurige Nachricht die Braut seines Bruders erfüllen würde.

IV
Mariane

 
Fernando –
Kann sie nicht hassen, denn sie glüht für ihn.
 
Albaneserin. II, 5.

Am andern Mittag, ehe mein Bote noch zurück seyn konnte, fuhr eine Reise-Equipage bei mir vor, und der Kammerrath Brand ließ sich anmelden. Ich empfing ihn in dem Zimmer meiner Mutter, welches geheizt, aber in diesem Augenblicke leer war. Er trat ein, ein junges Frauenzimmer am Arm. Es war seine Tochter Mariane. Keine regelmäßige, keine Maler-Schönheit, aber ich habe nie eine Frauengestalt und ein Frauenangesicht gesehen, welche bei’m ersten Anblick die sinnliche Natur des stärkeren Geschlechtes mit gleicher Macht hätten gefangen nehmen können. Etwas über die mittlere Frauengröße; ein majestätischer Wuchs, zu kraftvoll und üppig, als daß er neben den künstlichen Wespentaillen unserer Ballsäle für schlank hätte gelten können, doch mit allen Reizen des Ebenmaaßes geschmückt; schwarzbraunes Haar, feurige und seelenvolle Augen, die Blüthe der Jugend und Gesundheit auf den Wangen und auf den Lippen; ein schön gebogener Nacken, ein Hals von der Farbe der Lilie, wenn der Schimmer des Abendrothes auf ihren Blättern spielt; eine sanft gewölbte Brust, ein Busen, den seine Hülle nur mit Aufopferung ihrer Falten gefangen hielt; volle weich abgerundete Arme und Hüften; mit einem Worte Alles, was vermittelst des Auges den sinnlichen Trieb in Bewegung setzen kann, ohne den Schönheitssinn, den sogenannten Geschmack, zu verletzen.

Nachdem der Vater, ein hagerer Mann von freundlicher, aber nicht einnehmender Miene und mit einer ziemlich jüdischen Physiognomie, die gewöhnliche Bitte um Verzeihung vorgebracht, und ich das Gewöhnliche darauf erwiedert hatte, führte ich das reizende Mädchen zur Ottomane, und lud sie mit der Geberde ein, Platz darauf zu nehmen. »Ich bitte, mein Herr!« sagte sie mit einer angenehmen, glockenhellen Stimme, deren Schwingungen deutlich verriethen, daß ihr Gemüth sehr bewegt war. Es war jedoch nicht Schmerz, sondern Beunruhigung, was mich in diesen Tönen anklang; ich fühlte an ihrer Hand ein leises Zittern, und sie ließ sich auf eine Art nieder, welche zu erkennen gab, daß die Stellung der Ruhe mit ihrem Gemüthe nicht im Einklange war. Eine ungeduldige Aengstlichkeit schien Fragen auf ihre Zunge drängen zu wollen, welche sie mit Mühe zurückhielt, um dem Vater die Initiative der Unterredung zu überlassen. Hat man sie – dachte ich – noch in Zweifel gelassen über die Größe des Unglückes, welches sie betroffen hat? Ich wendete mich schnell wieder zu dem Alten.

»Sie kommen unfehlbar, Herr Kammerrath, um zu erfahren, wie lange Sie Ihren Geschäftsgehülfen werden entbehren müssen. Der Schlaf hat ihn sehr gestärkt, die Besorgnisse des Arztes sind größtentheils verschwunden, doch soll er noch das Zimmer nicht verlassen, und meine Mutter hat sich gleichsam darin angesiedelt, damit die Einsamkeit seinen Trübsinn nicht vermehre.«

»Nur Trübsinn?« sagte Mariane lebhaft, indem sie aufstand, sich mir nahte, und die zitternde Hand auf meinen Arm legte. »Oh ich bitte Sie, Herr Criminalrichter, sagen Sie mir Alles! Ist es nur Trübsinn, nicht Verzweiflung, nicht Raserei gegen sich selbst? Ist irgend eine Waffe, ein gefährliches Werkzeug in seiner Nähe? O Gott! Gott! ich zittre für ihn. Wenn er irgend etwas verschuldet hat, wenn er glaubt, etwas verschuldet zu haben, wenn er sich einbildet, daß er seinen Bruder hätte retten können; so ist sein Trübsinn fürchterlich, so ist er des Aeußersten fähig.«

Das Alles wurde so schnell gesprochen, daß ich auf die einzelnen Fragen nicht hätte antworten können, wenn mich auch dazu die Ueberraschung hätte kommen lassen, die Herzens-Verhältnisse ganz anders zu finden, als ich vermuthet hatte. Das war offenbar nicht die Geliebte des Ermordeten, welche fragte; es war die Geliebte Ferdinands, oder es war wenigstens nicht Jener, sondern Dieser, welchen sie liebte. Wußte das Ferdinand selbst noch nicht, als er an der Leiche seines Bruders ausrief: »Mariane, du kannst es nicht tragen!« Diese Unwahrscheinlichkeit fiel mir auf das Herz, auf das criminalistische, möcht’ ich sagen.

»In der That, mein Fräulein,« erwiederte ich: »Herr Albus hat Spuren einer Verzweiflung blicken laßen, die seinem eignen Leben hätten gefährlich werden können. Er hat mir sogar eingestanden, daß er nach dem Unglück, auf der Brücke von Eichdorf, von dem Gedanken an Selbstmord überfallen worden. –«

»Oh sehn Sie – sehn Sie wohl, Vater!« fiel Mariane ein.

»Doch« – fuhr ich fort: »er gestand den Gedanken mit dem Abscheu eines Christen; diese Gefahr ist vorüber.«

»Sie kennen ihn nicht, mein Herr! Sie haben keine Vorstellung von dieser entsetzlichen Reizbarkeit, von dieser schrecklichen Heftigkeit im Unglück. Nicht im Unglück, das ihn trifft, aber im Unglück, das er veranlaßt. Ach, das kennt niemand so, wie ich, die Monate lang davor gebebt hat, den Schuß fallen zu hören, der sein Gehirn zerschmettern würde!«

»Das war ein sehr verschiedener Fall, meine Tochter,« – sagte Herr Brand beschwichtigend.

»Wer weiß das? Wer bürgt dafür, daß die Fälle sich nicht ähnlich sind, wie das Ei dem Ei, wenigstens in seinem Gehirn? Voriges Frühjahr, mein Herr, will er das Pferd des Buchhalters reiten, das Keinen aufsitzen läßt, außer seinen Herrn. Es will nicht halten, er erzürnt sich, schlägt das Thier mit Wuth, endlich überlistet er es durch einen Sprung und kommt in den Sattel. Das Pferd steigt, springt zur Seite, schlägt aus, und trifft den jüngsten Knaben des Kutschers, der nicht schnell genug die Stallthür erreichen kann. Dada hätten Sie ihn sehen sollen! Das blutende, betäubte Kind in den Armen, stürzte er mir auf der Hausflur entgegen. Die Knie konnten ihn selbst kaum noch tragen. Ich trug den Knaben in das nächste Zimmer und rief nach Hülfe. »Vergebens! Vergebens!« rief er heulend aus: »todt! durch mich!« – Krampfig schlug er die Hände in seine Haare, und rannte die Treppe hinauf. Ich eilte ihm nach, so schnell ich konnte. Eben riß er das Pistol von der Wand; wie ein Rasender rang er mit mir darum. Nur die Angst gab mir die Stärke, es ihm zu entreißen, und wären nicht Männer dazu gekommen, die ihn zu halten vermochten, wahrlich! er würde sich die Stirn an der Wand zerschmettert haben. Sehn Sie, so ist er, so entsetzlich bei dem besten, edelsten Herzen!«

»Im ersten Augenblicke des Gefühls einer Verschuldung –«

»O nein, nein! Das kommt wieder bei ihm. Die Lebensgefahr des Kindes, so lange sie dauerte, war auch die seinige. Selbst den Gedanken, daß der Knabe, aufgeweckt sonst und verständig, eine Stumpfheit des Geistes zurück behalten könnte, wie man Anfangs besorgte, konnt’ er nicht ertragen. Es gab Stunden, wo die Besorgniß des Arztes ihm für entschiedene Gewißheit galt, und ich weiß, daß nur ich allein –«

Sie hielt plötzlich inne, und schlug mit glühendem Erröthen die schönen Augen zu Boden.

»Warum« – fuhr sie mit leiserer Stimme fort: »warum schäme ich mich, auszusprechen, was ich doch nicht mehr verbergen kann. Ja, mein Herr, ich weiß, ich glaube, daß ihm damals nichts den Muth erhalten hat, zu leben, als mein feierlicher Schwur, daß ich ihn nicht überleben würde.«

Ihre thränenfeuchten Augen waren bei diesen Worten gen Himmel gerichtet, und die ausgebreitete Rechte auf der hochklopfenden Brust wiederholte gleichsam den tragischen Schwur der innigsten Liebe. Der Anblick und der Ton der Stimme rührten mich tief. Das reizende Geschöpf war hinreißend in diesem Augenblicke. Ich würde mich vergessen, sie umarmt, die fallende Thränenperle von ihrer Wange weggeküßt haben, wenn wir allein gewesen wären. Sie schien das in meinen Augen gelesen zu haben, und wandte sich schüchtern abwärts. Die Niederschlagung meiner Gemüthsbewegung vollendete der Blick, den ich jetzt auf den Vater wandte. Welch ein Contrast! Der Mann stand da mit empor gezogenen Schultern, und sah drein, als wäre die Rede von einem Schacher, wobei man das Uebel mit in den Kauf des Guten nehmen müsse.

»Herr Albus hat nun einmal solch ein wunderliches Temperament,« sagte er mit einer Kälte, mit einer Ausgedürrtheit des Gemüthes, die mich beinahe zum Lachen genöthiget hätte.

»Der Herr Criminalrichter werden meiner Tochter ihre Heftigkeit gütigst verzeihen; die jungen Leute sind einander seit geraumer Zeit gewogen, und haben in den letzten Wochen einige Ursache gehabt, sich als Verlobte zu betrachten.«

Diese Erklärung wirkte ungeachtet ihres Abgeschmacks wohlthätig auf mein Gemüth. Sie gab mir einen vollkommen befriedigenden Aufschluß über Ferdinands räthselhafte Aeußerungen, und über sein Benehmen vom heutigen Vormittag, welches einige Mal meinen Verdacht in seinem Schlummer gestört hatte. Hier waren zwei Temperamente von ungewöhnlichem Feuer, zwei Wesen, die allem Anscheine nach Eines werden oder untergehen mußten. Marianens Ahnung von der Aehnlichkeit der Fälle schien nur allzuwohl gegründet zu seyn. Der Ton, womit Ferdinand am Abend vorher von seinem Feuergewehr gesagt hatte: »Ach Gott, Gott! das war sein Tod!« ließ mich jetzt nicht mehr daran zweifeln, daß er sich eine Verschuldung an seines Bruders Tode beimaß, weil er es zu früh aus dem Gürtel gerissen und den Augen des Räubers entblößt hatte, der mit dem Angefallenen rang und denselben niederschoß, als er einen Bewaffneten herbei eilen sah. Seine Geneigtheit zur Selbstpeinigung ging aus der Geschichte mit dem Knaben anschaulich hervor. Er fühlte unstreitig diese Charakterschwäche, als er die Leiche wieder erblickte, und seine Apostrophe an die »Mariane« stand augenscheinlich in unmittelbarer Beziehung mit dem feierlichen Schwure, wodurch das Mädchen ihn früher von einem Selbstmord aus überreiztem Schuldgefühl abgehalten hatte. »Du kannst es nicht tragen, ich (denn ich) kann es nicht tragen, wir sind Beide verloren!« Es lag nun klar am Tage, welche Befürchtungen ihm diese Worte in den Mund gelegt hatten.

Mariane hatte während der trockenen Rede ihres dürren Vaters wieder Platz auf den Polstern genommen. Ich setzte mich zu ihr, ergriff die neben ihr ruhende Hand, und bat sie über den gegenwärtigen Gemüthszustand des Herrn Albus vollkommen beruhiget zu seyn.

»Ist es nicht möglich, daß er noch heute mit uns nach B. . . zurückfahre?« fragte sie mit dringender Beängstigung.

»Wir wollen den Arzt hören, meine liebe bekümmerte Freundin.«

»O ja, ja, mein Herr,« sagte sie mit dankbarem Handdrucke, und zwei große Tropfen rollten aus den glühenden Augen.

Ich verließ sogleich das Zimmer, um den Arzt rufen zu lassen, und bat meine Schwester, den Kranken mit zwei Worten auf den Besuch seines Principals mit seiner Tochter vorzubereiten. Da dies auf dem Vorsaal geschah, und ich die Thür des Zimmers, aus welchem ich kam, halb offen gelassen; so hatte Herr Brand diesen Auftrag vernommen. Er trat heraus, und bemerkte, daß sein Bedienter die verlangte Wäsche und Kleidung mitgebracht habe. Das war mir erwünscht, denn ich fürchtete, daß Mariane bei dem Anblick seiner blutbefleckten Weste erschrecken könnte, die er nothgedrungen wieder hatte anlegen müssen. Brands Bedienter ging, ihn umkleiden zu helfen. Ich kehrte zu Marianen zurück, sie zu unterhalten. Wovon? Natürlich von ihm. Ich schilderte ihr, was vorgegangen war seit dem gestrigen Abend. Sie war ganz Ohr, ganz tiefes, inniges Mitgefühl, und der Ausdruck der Dankbarkeit für meine Sorgfalt um den jungen Mann verklärte alle Züge des reizenden Gesichtes. Herr Brand hatte sich indessen ruhig am Fenster niedergelassen, und – las in den Hamburger Zeitungen, die er dort gefunden hatte. Meine Schwester trat ein, uns zu benachrichtigen, daß Herr Albus umgekleidet sei. Mariane stand schnell auf, eilte auf meine Schwester zu, schloß sie an ihre Brust, drückte einen Kuß auf ihre Stirn, und sprach leise die Worte: »Das seinem Engel der Hülfe!« Herr Brand erhob sich mit einer Art von Unwillen über die Unterbrechung seiner Lectüre, und folgte zuletzt, als ich Marianen nach dem Zimmer des Kranken führte. Er saß auf dem Sopha, wollte aufstehen, während meine Mutter die Fremden empfing, schien aber der Kraft seiner Kniee nicht zu trauen, und sagte die Worte: »Sie kommen selbst?« mit einem Blick auf Marianen, der seine ganze Seele enthüllte. Der Ihrige schien belebend, wie ein electrischer Strom, auf ihn zu wirken. Seine Frage beantwortete Herr Brand. »Freilich wohl, Herr Albus, Sie wissen ja, wie wenig wir Sie entbehren können im Geschäft.« Inzwischen neigte sich Mariane vor meiner Mutter, und drückte schnell, ich möchte sagen, mit einer Art von List ihre Absicht verbergend, die Hand derselben an ihre Lippen, ehe die Ueberraschte es verhindern konnte.

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04 декабря 2019
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Public Domain

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