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Читать книгу: «Der Schutzgeist des Kaisers von Birma», страница 2

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Dieser Brauch war aber gar nicht nach meinem Geschmack.

Die Straßen waren schlecht; jeder Tag konnte Regen bringen.

»Die Stiefel kann ich nicht ablegen. Laß uns jetzt zum Wongy zurückkehren,« entschied ich.

»Du bist der Herr und ich muß dir gehorchen, doch bitte ich dich, dem Wongy zu sagen, daß es nicht meine Schuld ist.«

»Fürchte nichts! Ich werde dem Wongy sagen, daß ich sehr zufrieden mit dir bin.«

Dieses Lob ließ ihn vor Wonne strahlen. Er drückte die Hände an die Stirne und verneigte sich bis zur Erde.

»Laß wenigstens das Gewehr hier,« bat er noch.

»Das behalte ich bei mir.«

»Aber ich bitte dich, Herr! Du trägst ja schon zwei kleine Feuerwaffen, sowie einen Dolch bei dir. Hast du an diesen Waffen noch nicht genug?«

»Die Waffen sind die Ehre des Mannes und ich trenne mich nicht von den meinen.«

»Aber in ganz Amarapura sieht man nichts dergleichen.«

»So wird man es jetzt sehen.«

»Auf diese Weise gibst du dich sofort als Europäer zu erkennen.«

»Den wird man auch ohne die Waffen herausfinden. Gehen wir jetzt. Dein Herr erwartet uns.«

Wieder ging es über den langen Korridor zurück in den Saal, in dem der Berater der birmanischen Krone meiner wartete. Sein Antlitz drückte nun nicht mehr so tiefe Niedergeschlagenheit aus, als er mich sah, blitzte es sogar freudig auf in seinen Augen.

»Gehen wir zu dem Senmeng,« sagte er.

Der Weg zum Tempel führte durch den großen, wohlgepflegten Garten. Zu jeder anderen Zeit hätte ich dessen entzückende Schönheit bewundert. Die seltensten tropischen Gewächse fanden sich hier vereinigt. Jetzt jedoch konnte ich dieser Pracht nur einen flüchtigen Blick schenken, auch nur flüchtig den schönen Tempel bewundern. Der Wongy hatte Eile; sein Elefant lag ihm zu sehr am Herzen.

Hastig durchschritten wir den Garten und gelangten an eine Seitenpforte des Tempels. Der Wongy schloß sie auf, ich überschritt die Schwelle und – befand mich ›Seiner Hoheit‹ gegenüber.

Zweites Kapitel.
Die Flucht

Der weiße Elefant steht in ganz Hinterindien in hohem Ansehen; wahrhaft göttliche Ehren aber erweist man ihm doch nur in den beiden Reichen Siam und Birma.

Vor alten Zeiten waren die weißen Elefanten besonderes Eigentum der Krone. Die früheren Herrscher von Birma ritten nur auf diesen Tieren. Der weiße Elefant war, sozusagen, die Verkörperung des kaiserlichen Glückes. Befand er sich wohl, dann stand es gut um das Land, erkrankte er, so war das ein offenkundiges Zeichen, daß Buddha zürnte und schweres Unglück über den Staat hereinbrechen würde, starb er gar, so war der Bestand desselben in höchster Gefahr. Dann mußte so schleunig als möglich ein neuer Schutzgeist für den Kaiser gesucht werden und die Zeit, die während dieses Suchens verging, war eine Zeit der Angst und Trauer für das Volk. Oft dauert dieses Suchen sehr lange, denn die weißen Elefanten sind selten.

Der nun im Sterben liegende Elefant residierte seit fünfzig Jahren in seinem Tempel und während dieses langen Zeitraumes hatte sich in dem großen Kaiserreich noch nicht ein würdiger Nachfolger für ihn gefunden, eine einzige Ausnahme abgerechnet, von der ich später sprechen werde.

Der Tempel, in den wir eintraten, war in der Form einer hohlen Pyramide erbaut. Den Grund bildete ein 10 Meter langes und ebenso breites Viereck, von dem die Mauern in der Weise emporstiegen, daß sie einen Winkel von 60 Grad darstellten und in der Höhe von 12 Meter zusammenstießen.

Der Fußboden war von einem kostbaren Teppich von ausgesucht feiner Arbeit bedeckt; in den fast ganz vergoldeten Wänden waren in der Höhe von 3 Meter mehrere schmale, schießschartenähnliche Fenster eingelassen, durch welche das Licht in den eigenartigen Raum eindrang.

Senmeng, ein riesiges Tier von mehr als 3 Meter Höhe, mit einem gewaltigen Kopfe und tadellos schönen langen Stoßzähnen, lag auf dem Teppich. Die Farbe seiner Haut war ein mattes Weiß, die Ohren und der Rüssel wiesen leichte Flecken auf, wie wir sie fast bei allen Tieren dieser Art finden.

Er war ohne Zügel, doch lag sein Zaumwerk in geringer Entfernung von ihm auf dem Teppich. Der mit einem Häkchen versehene Stachel war von massivem Golde mit kristallenem Griff und seiner ganzen Länge nach mit Perlen und Rubinen besetzt. Daneben lagen auch die Abzeichen seiner Würde: eine dreifache Krone aus rotem Tuche, reich mit großen Rubinen und Diamanten von reinstem Wasser besetzt, sowie ein Diadem, das sonst gewöhnlich die Stirne des heiligen Tieres umschloß und an welchem der Talisman befestigt war, ein Ring von neun kostbaren Edelsteinen, die vor dem bösen Blick schützen sollten. Ein Halbmond, ebenfalls aus wertvollem Gestein, hing von dem Diadem herab, sowie ein goldenes Schild, auf welchem die Titel des Elefanten eingraviert waren. Die Ohrringe, die ›Seine Hoheit‹ trug, waren von lauterstem Golde.

Der Elefant lag da, schweratmend und mit halb geschlossenen Augen. Vier bloßfüßige Birmanen knieten um ihn und hielten vier Sonnenschirme aus Goldbrokat über sein Haupt ausgebreitet.

›Seine Hoheit‹ ist auch der Eigentümer eines großen Lehengutes, dessen Einkünfte zur Bestreitung seines Unterhaltes verwendet werden. Er wird gehegt und gepflegt wie ein wirklicher Prinz; dreißig Lakaien sind allein für seinen Dienst bestimmt.

»Wie geht es dem ›Herrn‹?« erkundigte sich der Wongy sofort nach seinem Eintritte in den Tempel.

»Der Herr leidet sehr,« erwiderten die Diener.

Der Wongy wandte sich zu mir. »Willst du so freundlich sein, Seine Hoheit zu untersuchen?« bat er.

Ein einziger Blick auf die Bestie überzeugte mich, daß es mit ihr zu Ende ging. Sie war alt und unterlag nun der Last der Jahre. Doch um dem Wongy zu genügen, beugte ich mich zu dem Tiere nieder und untersuchte es auf das eingehendste.

»Nun?« fragte Mangvé, als ich mich wieder aufrichtete, in banger Spannung.

»Mangvé, du bist ein Mann —,« sagte ich ernst.

»Der Herr —?« stieß er angstvoll hervor.

»Er wird den Tag nicht überleben.«

»Es ist keine Hilfe mehr für ihn?«

»Leider keine.«

Der Wongy ließ meine Hand fahren, die er krampfhaft zwischen den seinen gepreßt hatte und brach in ein schmerzliches Stöhnen aus. Auch die vier Diener zeigten sich durch meine Worte niedergeschmettert. Sie ließen die Schirme fallen und ergingen sich in langen Jammerrufen. Der Tod des Elefanten bedeutet ja auch den ihren.

Es tat mir weh, die Schmerzensausbrüche dieser Männer mit anhören zu müssen.

Ich näherte mich dem Wongy und legte meine Hand auf seine Schulter. »Fasse dich, Mangvé! Deine Lage ist noch nicht so verzweifelt, als es dir scheint. Noch hast du Zeit zum Handeln,« sagte ich.

»Nicht so verzweifelt? Mit mir ist es vorbei,« entgegnete er mit dumpfer Ergebung. »Der Elefant stirbt. Mein Leben, meine Familie, meine Güter – alles, alles ist verloren!«

»Der Kaiser weiß noch nichts von dem bedenklichen Zustand des Herrn. Noch hast du Zeit – benütze sie, um zu fliehen.«

»Fliehen? Wohin denn? Die Macht des Kaisers reicht weit, und wenn er erzürnt ist, läßt er keine Milde walten. Er würde mich überall zu finden wissen.«

»Auch jenseits der Grenzen von Birma? Fliehe in ein fernes Land, wohin die Macht des Kaisers nicht reicht, und du hast nichts mehr zu fürchten.«

»Dein Rat ist der eines Freundes,« entgegnete der Wongy und wiegte nachdenklich den Kopf. »Aber ich kann ihn nicht ausführen.«

»Warum nicht? Bedenke, daß es sich um dein Leben handelt.«

»Ich weiß es wohl. Aber ich bin nicht nur ein Edelmann, sondern auch ein Krieger. Alle Krieger ziehen den Tod der Schande vor. Wenn ich nun fliehe, wird man mich feige schelten, ja vielleicht sogar mutmaßen, daß ich den Tod des Herrn böswilligerweise herbeigeführt habe, während mein Tod alle Flecken tilgt, die jetzt noch auf meinem Namen sind, so daß derselbe für ewige Zeiten ehrenvoll in dem Gedächtnis meiner Mitbürger haften wird.«

Ich konnte nun zwar diese Ansichten des Wongy nicht teilen, mußte ihn aber dessenungeachtet um derselben willen bewundern.

Ich wollte eben nochmals in ihn dringen, doch meinem Rate zu folgen, als von der Straße her wirres Geräusch an mein Ohr schlug. Eine Menge Stimmen riefen durcheinander und dann ertönte ein Kommandoruf: »Grüßt den Kaiser!«

Waffen klirrten aneinander und Hunderte von Menschen schrien: »Es lebe der Kaiser! Gautama schütze den Kaiser!«

»Zur Erde!« erklang wieder der Kommandoruf, der all diese Stimmen übertönte.

Wieder vernahm ich ein Geräusch, als ob sich eine große Menge mit Gewalt zur Erde würfe.

Als der Wongy dieses Geräusch hörte, erbleichte er tief.

»Der Kaiser kommt!« stieß er bebend hervor.

»Flieh, flieh! Noch hast du Zeit!« rief ich.

»Niemals!« entgegnete er fest. »Aber du mußt dich verbergen. Wehe dir, wenn dich der Kaiser bewaffnet in dem Tempel des Herrn fände.«

»Ich fürchte euren Kaiser nicht. Ich bin ein Europäer und er darf es nicht wagen, mir ein Leid zuzufügen.«

»Der Kaiser ist furchtbar in seinem Zorne. Aber wenn du auch nichts für dich fürchtest, so flieh um meinetwillen. Ich bin verloren, wenn du hier bleibst.«

Diese Worte bewogen mich, zu gehen. Ich tat es zwar sehr ungern, aber ich durfte doch den ohnedies schon so schwer heimgesuchten armen Alten nicht noch tiefer ins Unglück stürzen.

»Wir sehen uns wieder,« sagte ich also zu dem Wongy, und eilte hinaus.

Kaum hatte mich der Garten aufgenommen, da wurde die Haupttüre des Tempels geöffnet und Hunderte von Stimmen riefen: »Der Kaiser! Der Kaiser tritt in den Tempel!«

Ich blieb an der Seitenpforte stehen. Der eine von deren beiden Flügel war nur leicht angelehnt, was mir nicht nur gestattete, alles zu hören, sondern auch die Vorgänge in demselben zu beobachten.

Was ich zuerst hörte, waren die regelmäßigen Schritte einer großen Anzahl Leute; dann wurde die große Pforte mit Ungestüm geschlossen.

»Stille!« befahl eine tiefe Baßstimme, deren Kommando ich schon früher vernommen hatte.

Eine Totenstille entstand, nur unterbrochen von den regelmäßigen Atemzügen der Menschen.

Vorsichtig bog ich mich zur Seite und lugte durch die Spalte der Türe in den Tempel.

Ich sah einen vornehm gekleideten Mann auf einem Thronsessel sitzend, leider mit dem Rücken gegen mich gewandt, so daß ich ihm nicht in das Gesicht blicken konnte. Es war offenbar der Kaiser selbst. Zwei Diener hielten große goldbrokatene Schirme über ihn ausgespannt, das Zeichen seiner Würde.

Was sich sonst noch in dem Tempel befand, lag auf dem Fußboden, das Gesicht in den Staub gedrückt; eine Ausnahme machten nur die vier Diener des Elefanten, die in ihrer knienden Stellung verblieben waren und ihre Schirme wieder aufgenommen halten, aber das Haupt tief gesenkt hielten.

Die tiefe Stille wurde lange nicht unterbrochen. Endlich ließ sich die Baßstimme wieder hören: »Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät, des Kaisers von Birma, verlange ich von dir, Wongy Mangvé-Mengyi, Bericht über das teuere Befinden Seiner Hoheit des Herrn Senmeng.«

Die Stimme des Kaisers bekommt mit Ausnahme der kaiserlichen Prinzen und fremden Gesandten niemand zu hören.

»Der Herr befindet sich leider nicht wohl,« entgegnete der alte Wongy.

»Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät frage ich dich, ob die Krankheit Seiner Hoheit schwer ist?« fragte der Baß weiter.

»Seine Majestät wird sich mit seinen eigenen Augen überzeugt haben —«

»Seine Majestät kann sich diese Mühe nicht nehmen. Wozu hätte er sonst seine Minister? Sie sind seine Augen, seine Ohren, sein Mund, seine Hände und Füße, was doch wohl auch dir bekannt ist. Die Krankheit ist also schwer?«

»Sehr schwer.«

»Der Herr —?«

»Es scheint, daß Gautama ihn bei sich in Nirwana haben will,« sagte der alte Wongy, die bittere Pille mit seiner Diplomatie überzuckernd.

Eine kurze Pause entstand. Die Eröffnung des Wongy schien alle erschreckt zu haben, dann aber brach ein dumpfes Gemurmel los, das mehr und mehr zu lautem Weinen und Klagen anschwoll. Zuletzt artete das Weinen in wildes, echt morgenländisches Geschrei aus . . .

Der Kaiser überließ seine Untergebenen ruhig ihren Herzensergießungen.

Nach einigen Minuten befahl die tiefe Stimme von neuem: »Stille!« und wieder herrschte Totenstille in dem weiten Raume.

»Du bist schuld an Senmengs Tode,« wandte sich der Sprecher an den Wongy.

»Nein, o nein! Ich tat alles, um ihn wieder herzustellen,« stammelte der Arme.

»Du lügst! Du hast ihn vernachlässigt, das ist die wahre Ursache seiner Krankheit.«

»Ich habe ihn mit aller möglichen Sorgfalt gepflegt.«

»Wie könnte er dann im Sterben liegen?«

»Er ist sehr alt —«

»Du faselst, Wongy, oder kennst du nicht die Lehren des Gottes Gautama? Lies das heilige Buch Maharadzaweng und du wirst darin finden, daß die weißen Elefanten nimmer altern.«

»Gautama ruft ihn zu sich. Er liebt den weißen Elefanten als den Ausfluß seiner göttlichen Macht und als den Schutzgeist unseres Kaisers, darum will er ihn zu sich nach Nirwana führen. Vielleicht will er auch gerade dadurch seine Liebe zu unserem erhabenen Monarchen zeigen, dem Sohne des Himmels, der über uns arme Sterbliche mit göttlicher Kraft und Weisheit herrscht,« verteidigte sich Mangvé.

Diese stark aufgetragene Schmeichelei, die so recht den morgenländischen Hofmann kennzeichnen, schien jedoch dem Monarchen wenig zu behagen.

»Du lügst abermals, Wongy! Gautama ruft niemals die weißen Elefanten zu sich, eben weil sie der Schutzgeist des Kaisers sind. Wenn einer von ihnen stirbt, so geschieht es stets auf eine gewaltsame Art. Du hast ihn also getötet und solltest eigentlich eines tausendfachen Todes sterben. Soldaten, bemächtigt euch seiner!«

Das Weitere wartete ich nicht mehr ab. Konnte ich mir doch so ungefähr denken, was nun folgen würde. Die Soldaten würden in das Haus des Wongy dringen, niedermachen, was ihnen dort in den Weg trat und es plündern. Die Frau des Bedauernswerten mußte ihr Heim mit Schmach und Schande verlassen, und ihren Sohn würde man vielleicht töten. —

Doch jetzt durfte ich mich nicht länger hier aufhalten. Jeden Augenblick konnten die Soldaten in den Garten eindringen. Würden sie, wenn sie mich bewaffnet hier fanden, nicht glauben, daß ich mich an dem ›Hochverrate‹ des Wongy beteiligt hatte?

Dann hing mein Leben an einem Haar. Ich rannte die Gartenwege entlang und erreichte die Halle in demselben Augenblicke,

in dem ein junger Mann eilig die Treppe zum Erdgeschoß herabstieg.

»Wo ist mein Vater?« wandte er sich erregt an mich.

»Du bist wohl der Sohn des Wongy?«

»Allerdings!«

»Dann komme mit mir! Rasch, rasch!«

»Wohin?«

»Das ist gleichgültig. Folge mir nur. Es ist Gefahr im Verzuge.«

»Wo ist mein Vater?«

»Die Soldaten haben ihn gefangen genommen, weil der weiße Elefant stirbt; sie können jeden Augenblick hier sein, um euer Haus zu plündern.«

Die Augen des jungen Mannes funkelten vor Zorn.

»Mögen sie kommen! Ich werde mich zu wehren wissen.«

»Du würdest bald überwältigt sein.«

»So sterbe ich als ein Held.«

»Suche lieber dein Leben und deine Freiheit zu retten, um deinem Vater zu Hilfe eilen zu können.«

»Aber meine Mutter?«

»Niemand wird es wagen, ihr ein Leid zuzufügen.«

»Ist es nicht feige, wenn ich fliehe?« fragte der junge Mann schwankend.

»Du handelst im Gegenteil als ein kluger Mann und wirst mir später für meinen Rat danken.«

Daraufhin folgte er mir. Auf dem Platze drängte sich eine tausendköpfige Menschenmenge schimpfend und lärmend vor der Hauptpforte des Tempels. Die Rufe: »Es lebe der Kaiser!« wechselten ab mit der unheilverkündenden Drohung: »Tod dem Wongy!«

Wehe uns, wenn wir einen Augenblick zu spät gekommen wären! Schon schickte sich die Menge an, sich gegen den Palast heranzuwälzen. Ein Seitengäßchen schien mir leer und dorthin flüchtete ich mich mit dem Sohne des Unglücklichen.

»Wohin gehen wir, Herr?« fragte mich dieser.

»Ist der See weit entfernt?« fragte ich zurück.

»O nein, die Entfernung ist nicht groß.«

»So führe mich an sein Ufer.«

Die Straßen, die wir zurückzulegen hatten, lagen verödet; wir begegneten nur etwa fünf oder sechs Personen, von denen mich ein Mann fragte: »Wie geht es dem Herrn?«

»Er liegt im Sterben,« gab ich zur Antwort.

»Verflucht sei der Wongy, dessen Hut er anvertraut war,« schrie jener und stürmte hierauf in der Richtung nach dem Tempel von dannen.

An dem Ufer des Sees schaukelten mehrere Barken, die von den Birmanen ›Hnau‹ genannt werden.

Ich rief die Männer einer Barke an: »Seid ihr frei, Leute?«

»Ja!« lautete die Antwort.

»So führt uns rasch an das jenseitige Ufer. Aber gebt euch Mühe, wir zahlen doppelten Fährlohn.«

»Wir werden unser möglichstes tun, Herr, obwohl der Wind nicht günstig ist,« entgegnete der Steuermann.

Wir sprangen in das Boot, die Schiffer legten die Ruder ein und pfeilschnell tanzte das Hnau über die Wellen.

Drittes Kapitel.
Die heiligen Fische

Die Stadt lag hinter uns und wir steuerten dem östlichen Ufer zu, an dem mein scharfer Blick nur lang ausgedehnte Wälder entdeckte.

»Sind diese Wälder bewohnt?« fragte ich meinen Begleiter, nachdem ich mich auf eine Bank im Hinterteil des Hnau niedergelassen und ihm einen Wink gegeben hatte, das gleiche zu tun.

»Wenig. Diese Wälder ziehen sich hin bis zum Flusse Myit-nge. Scharen von wilden Elefanten leben in ihnen. Dörfer findet man nur selten und in diesen lebt ein tapferer, aber wilder Stamm, der sich nicht unter die Oberhoheit des Kaisers beugen will.«

Ich hatte diese Auskunft erwartet; wußte ich doch, daß Birma überhaupt mit dichten, aber wenig bevölkerten Waldungen gesegnet ist.

»Das paßt uns vortrefflich,« jubelte ich. »Dort wirst du sicher sein.«

»Herr, du meinst doch nicht, daß ich mich in jenen Wäldern verbergen soll, um mein Leben zu retten?«

»Gewiß, das meine ich.«

»Nein, dazu werde ich mich nie und nimmer verstehen,« schrie der junge Mann und sprang auf.

»Ich folgte dir nur, weil ich meine Freiheit zu Gunsten meines Vaters bewahren wollte.«

»Schreie nicht so sehr. Es ist doch nicht notwendig, daß die Schiffer erfahren, wer du bist,« entgegnete ich ruhig und zog den Widerstrebenden auf seinen Platz zurück.

»Verzeih! Ich bin so aufgeregt, daß ich kaum weiß, was ich sage und tue.«

»Ich begreife es wohl nach dem, was deinem Vater widerfahren ist. Doch sei nur ruhig, wir werden ihm bald die Freiheit zurückgegeben haben.«

»Indem wir uns in der Einöde verbergen?« fragte der junge Mann spöttisch.

»Nur du sollst im Walde bleiben, während ich in die Stadt zurückkehren werde, um Erkundigungen über deinen Vater einzuziehen. Je nach dem Ergebnis derselben werde ich mein Vorgehen einrichten.«

»Du, der Fremde, willst für meinen Vater arbeiten und ich, sein einziger Sohn, soll tatlos zusehen? Nein, Herr, das ertrage ich nicht. Ich begleite dich.«

»Um alles zu verderben.«

»Herr, ich habe Mut und kann vorsichtig sein, wo es die Notwendigkeit erheischt. Ich werde mich in allem deinen Anordnungen fügen. Laß mich mit dir gehen.«

»Ich zweifle nicht daran, daß du klug und mutig bist. Aber bedenke, daß du in Amarapura bekannt bist, was, ganz abgesehen von der Gefahr, daß wir beide gefangen genommen werden, meine Pläne bedenklich durchkreuzen würde.«

Der junge Mann, der auf den wenig wohlklingenden Namen Meharamen hörte, dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Ich muß dir recht geben. Magst du also diese Sache allein betreiben, obwohl es mir schwer fällt, untätig bleiben zu sollen. Aber weißt du auch, in welche Gefahren du dich begibst?«

»Ich weiß es.«

»Du weißt, daß du dein Leben aufs Spiel setzest?«

»Auch das.«

»Und du fürchtest dich nicht?«

»Nein!«

»Dann bist du ein Held und ich bewundere dich. Aber wie kommt es, daß du solchen Anteil an dem Geschicke meines Vaters nimmst?«

»Weil ich ihn liebe und verehre.«

»Du kennst ihn also schon lange? Ich glaubte, er sei dir fremd,« rief Meharamen erstaunt.

»Ich sah ihn heute zum ersten Male. Aber er war gut gegen mich und wäre nicht unglücklicherweise die Erkrankung des Elefanten dazwischen gekommen, hätte er mich während meines Aufenthaltes hier gewiß in jeder Weise unterstützt. Dafür bin ich ihm Dankbarkeit schuldig.«

»Du bist gut, ich danke dir.«

»Ich tue nur meine Pflicht, weiter nichts. Ich bin nicht in diesem Lande geboren.«

»Daß du hier fremd bist, sehe ich wohl. Das sagen mir nicht nur deine Waffen, sondern auch deine seltsame Fußbekleidung. Woher kommst du?«

»Aus Europa.«

»Ah so, du bist ein Engländer. Mein Vater besitzt einen englischen Freund, der ihm sehr teuer ist und darum liebt er auch dich. Aber wie gedenkst du es anzufangen, meinen Vater zu befreien?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Vielleicht gelingt es mir, seine Kerkermeister zu bestechen, oder, wenn dies nicht gehen sollte, so werde ich versuchen, eine Audienz beim Kaiser zu erhalten und ihn dem Wongy günstig zu stimmen.«

»Auf welche Art wirst du es mich wissen lassen, wenn dir dein Vorhaben gelingt?«

»Bestimme einen sicheren Platz in jenem Walde. Nach Ablauf einer Woche werde ich dir Botschaft senden, oder wenn es möglich ist, selbst kommen, um dir zu berichten, wie weit ich mit meinen Bemühungen gelangt bin.«

»Und wenn weder Botschaft, noch du selbst kommst?«

»Dann magst du dich versichert halten, daß ich entweder tot oder gefangen bin.«

»Und in diesem Falle werde ich alles daran setzen, dich und meinen Vater zu retten oder zu rächen,« rief der Mann feurig aus.

»Handle nach deinem Gutdünken, nur bedenke das eine, daß einer Leiche die Rache nichts mehr nützt,« entgegnete ich und erhob mich.

Die Hand auf den Rand des Schiffes gestützt, ließ ich meine Blicke nachdenklich auf dem schönen Panorama ruhen.

»Tet! Tet! Tet!«

Erstaunt wandte ich mich nach unseren Bootsleuten um. Was bedeutete dieser Lärm?

»Warum schreit ihr so?« erkundigte ich mich und erhielt als Antwort die erstaunte Gegenfrage: »Bist du denn nicht hier geboren?«

»Nein! Es ist das erstemal, daß ich auf diesem See fahre.«

»Dann ist deine Unwissenheit begreiflich. Doch gedulde dich noch einen Augenblick und deine Frage wird beantwortet werden.«

Die Antwort ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Kaum hatten die Schiffer eine Pause in ihrem Geschrei eintreten lassen, als sich das Wasser zu beiden Seiten des Bootes gurgelnd teilte und eine Menge großer Fische auf seiner Oberfläche erschienen. Sie waren kleinen Haifischen nicht unähnlich und folgten uns mit weitaufgesperrten Mäulern und aufgeblähten, weißen Nasenflügeln.

Die Bootsleute nahmen aus einem Säckchen eine Handvoll Reis und fütterten damit die Bewohner des flüssigen Elements. Diese tauchten unter das Wasser, um ihre Portion in Ruhe verzehren zu können, kamen wieder hervor, erhielten eine neue Auflage, tauchten abermals unter und kamen so nahe an das Hnau heran, daß sie die Männer streicheln und liebkosen konnten.

Das Spiel unterhielt mich, und ich versuchte es nachzuahmen. Mich über den Bootsrand beugend, lockte ich die Fische mit »Tet! Tet! Tet!« – und in der Tat, sie kamen heran und ließen sich auch von mir liebkosen.

»Gefällt dir dieses Schauspiel?« fragte Meharamen.

»Sehr.«

»Und doch ist dies noch nichts gegen die Masse Fische, die hier im Frühjahre durchziehen; dann wird an einem von dem Kaiser festgesetzten Tage ein Volksfest auf dem Myit-nge gefeiert. Der See wimmelt von Barken und fast die ganze Stadt ist auf dem Wasser. Alles lacht, singt, scherzt und plaudert, ißt und trinkt und sucht die Fische zu haschen, die dir so sehr gefallen.«

»Um sie daheim zu braten und zu verzehren natürlich?«

»Was fällt dir ein? Du beleidigst Gautama schwer mit einer solchen Annahme. Nein, man spielt mit ihnen, füttert und liebkost sie, vergoldet ihnen auch wohl die Rückenflossen und gibt ihnen dann die Freiheit wieder. Betrachte nur einmal die Fische genauer, du wirst gewiß noch einige Spuren der ehemaligen Vergoldung finden.«

Ich folgte dieser Aufforderung und fand die Worte meines Begleiters bestätigt.

»Könnte ich wohl einen von diesen Fischen fangen und mit in mein Vaterland nehmen?« fragte ich.

»Bei den Zähnen des großen Buddha! Laß diesen Wunsch nicht vor den Fährleuten laut werden, Herr, sie würden dich sofort töten, wenn du dich räuberisch an den heiligen Fischen vergreifen würdest.«

»Wie heißen diese Tiere?«

»Du hörtest es ja und riefst sie auch vorhin selbst. Tet werden sie genannt.«

»Aus welchem Grunde verehrt ihr sie?« forschte ich neugierig.

»Kennst du die Satzungen unserer Religion nicht?«

»Doch! Aber —«

»Nun, dann wirst du auch wissen, daß Wischnu bereits neunmal sichtbar auf Erden erschien. Sobald es das zehntemal geschieht, ist das Ende der Welt da. Das erstemal nun, da Wischnu auf die Erde herabstieg, nahm er die Gestalt eines Fisches an und wohnte in diesem See. Die Fische, die du hier siehst, stammen von ihm ab und sind also der Ausfluß seiner Gottheit.«

Ich mußte mich abwenden, um das Lachen zu verbergen.

Die ›heiligen‹ Tiere folgten uns lange und die Schiffer wurden gar nicht müde, ihr Tet! Tet! zu rufen.

Anderthalb Stunden mochten wir gefahren sein, da kam endlich das Ziel in Sicht. Wir legten bei einem kleinen Dörfchen an. Nachdem ich den Fährleuten befohlen hatte, auf meine Rückkehr zu warten, stieg ich mit dem Sohne des Wongy ans Land.

Einige Birmanen traten aus ihren Häuschen und betrachteten uns neugierig. Einer von ihnen, ein alter, ärmlich gekleideter Mann, stieß einen Ausruf des Entzückens aus: »Meharamen!« Und eilig kam er uns entgegen.

»Wer ist dieser Mann?« fragte ich meinen Begleiter.

Aber ich erhielt keine Antwort. Meharamen beschleunigte seine Schritte und drückte dem Alten warm die Hand: »Ach, mein lieber Tsengo!«

»Wie freue ich mich, dich zu sehen, junger Herr!«

»Nicht doch, lieber Meister, die Freude ist auf meiner Seite. Es ist so lange her, daß wir uns gesehen haben.«

»Welches günstige Schicksal führt dich hierher?«

Ich mischte mich jetzt rasch in das Gespräch, Meharamen die Antwort abschneidend. »Du warst Meharamens Lehrer?« wandte ich mich also an ihn.

»Ja.«

»Du liebst deinen einstigen Schüler wohl sehr?«

»Mehr als mein Leben. Er war stets gut gegen mich, er und sein Vater, der mir ein Häuschen mit einem hübschen Garten schenkte, wo ich jetzt meinen Lebensabend in Ruhe verbringe in Gesellschaft meiner Frau und meiner einzigen Tochter.«

»Ist das Häuschen weit entfernt?«

»Nein, ganz in der Nähe. Willst du es sehen?«

»Führe uns dorthin!«

Der Alte gehorchte und bog in eine romantische Seitenallee ein.

Die Neugierigen blickten uns nach, und tauschten untereinander ihre Mutmaßungen darüber aus, in welchen Beziehungen wir wohl zu dem ehemaligen Hofmeister stehen mochten.

Die Allee führte zu einer Wiese, in deren Mitte sich ein reizendes, von Feigenbäumen beschattetes Häuschen zeigte. Ganz aus Bambus erbaut, sehr rein gehalten und von einem kleinen, aber wohlgepflegten Garten umgeben, machte es einen sehr anheimelnden Eindruck.

»Nehmen wir hier Platz,« sagte ich, auf eine schöne Tamarinde zeigend, an deren Stamm sich eine ländliche Bank lehnte.

»Wollt ihr mir nicht die Ehre erweisen und in mein Haus eintreten?« fragte bittend der Alte.

»Meine Zeit ist gemessen, alter Vater, und was ich dir zu sagen habe, drängt.«

»Du bist der Herr und ich dein Diener. Sprich! Ich bin bereit, deine Befehle zu erfüllen.«

»Meharamen, erzähle deinem alten Lehrer alles, was sich heute zugetragen hat,« befahl ich meinem Schützling.

Dieser gehorchte. Das traurige Schicksal des Wongy betrübte den Alten sehr, aber noch mehr erschütterte ihn der nahe Tod des ›Herrn‹ Elefanten, den er als eine große Gefahr für den Bestand des Reiches bezeichnete.

»Was gedenkst du nun zu tun?« fragte er dann seinen ehemaligen Schüler.

»Du sagtest, daß du Meharamen liebst?« ergriff ich statt des jungen Mannes das Wort.

»Ja, das tue ich.«

»Wärest du wohl bereit, um seinetwillen eine kleine Gefahr auf dich zu nehmen?«

»Verlangst du mein Leben?«

»Nein! Ich wünsche nur, daß du ihm für einige Tage Gastfreundschaft gewährst.«

Der alte Lehrer stellte sich zu unserer Verfügung, nachdem ich ihm klar gemacht, daß er keine Ursache habe, den Zorn des Kaisers zu fürchten.

Ich versprach meinem Schützling noch einmal, ihm in acht Tagen sichere Botschaft senden zu wollen und empfahl ihm, innerhalb dieser Zeit nichts in der Sache seines Vaters zu unternehmen, sondern sich gut verborgen zu halten. Dann verabschiedete ich mich von ihm.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
220 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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