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Читать книгу: «Der Schutzgeist des Kaisers von Birma»

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Erstes Kapitel.
Der Schutzgeist

Diesen Morgen war ich in Amarapura, der Hauptstadt des Kaiserreichs Birma, angekommen.

Den Major Faire, ein Freund von mir, hatte vergangenes Jahr eine diplomatische Mission dorthin geführt, und er hatte mir das eigenartige Land in einer Weise beschrieben, daß ich mich entschloß, einen Abstecher dorthin aus meiner Reise durch Asien zu machen. Er gab mir sogar ein Empfehlungsschreiben an den Wongy Mangvé-Mengyi, einen von den vier ersten Würdenträgern des Kaisertums, mit. Dieser hatte seinerzeit mit dem Major Freundschaft geschlossen.

Amarapura ist an den Ufern des Sees Myit-nge erbaut, der von dem Flusse Irawadi durch ein Netz von Kanälen gespeist wird.

Der Dampfer, welchen ich in Rangoun bestiegen hatte, brachte eine wertvolle Güterladung für einen armenischen Kaufmann nach Amarapura. Es war nicht ganz leicht für das Fahrzeug gewesen, dieses Labyrinth von Kanälen zu durchkreuzen.

Wir alle atmeten erleichtert auf, als endlich eine Holzbrücke in Sicht kam, welche den Landungsplatz mit der Stadt verbindet. Dieser war dicht mit Neugierigen angefüllt. Die Ankunft eines Dampfschiffes bedeutet stets ein außerordentliches Ereignis für das neugierige Publikum, unter welches sich dann noch viele Packträger, Fremdenführer und Verkäufer von Früchten u. dgl. mischen.

Das Schauspiel, das die bunte Menge bot, war von eigenartig exotischem Reiz: Eingeborene in ihrer bunten Nationaltracht; die Angehörigen der höheren Kasten in langen samtenen Mänteln, den Kopf mit einer Mütze bedeckt, welche große Ähnlichkeit mit der Mitra unserer Bischöfe hatte; die Priester mit ihren kahlgeschorenen Häuptern; die halbnackten Lastträger. Den Hintergrund des Bildes, das diese bunte, lärmende Menge gewährt, bildet die Hauptstadt mit ihren unzähligen Palästen, Obelisken und Türmen, in deren goldenen Verzierungen sich die Sonnenstrahlen tausendfach brechen.

Ein birmanischer Offizier und Bürgersmann näherten sich dem Schiffe, als wir auf dem Landungsplatze angelangt waren. Jener trug Galauniform. Die vorhin beschriebene Mütze war bei ihm durch ein Gitterwerk von Edelsteinen so reich verziert, daß sie, dadurch beträchtlich schwer geworden, fortwährend auf seinem Kopfe hin und herschwankte und zu fallen drohte. Er half sich sehr sinnreich durch ein Instrument, das einem Papiermesser sehr ähnelte und das er in der rechten Hand trug. Mit diesem hielt er die widerspenstige Mütze auf ihrem Platze, sowie die Haare in Ordnung, die sich ihrer Frisur zu entlösen drohten. Der Mantel, der ihm bis auf die Fersen fiel, war ebenso wie die Mütze von scharlachrotem Samt und die langen Ärmel waren reich mit Gold gestickt. Unter diesem Kleidungsstück trug er ein zweites gleichlanges aus gelber Seide, dazu samtene goldgesteppte Pantoffeln.

Ein Knabe, welcher mir sofort durch seinen außerordentlich feinen Gesichtsbau auffiel, trug dem Offizier die beiden Gegenstände nach, ohne die man sich einen Birmanen von Rang nicht denken kann: eine goldene Schachtel mit Betel und einen Spucknapf von gleichem Metall. Von Zeit zu Zeit streckte der Offizier graziös die Hand aus, nahm eine Prise Betel, steckte ihn in den Mund, kaute ihn gut und spuckte dann mit großer Geschicklichkeit den roten Saft in den dargereichten Napf.

Der Bürger, der mit ihm gekommen war, trug armenische Kleidung und gab sich auch durch seine Gesichtszüge sofort als einen Kaukasier zu erkennen.

»Der Armenier ist der Eigentümer der Waren, die ich geladen habe,« sagte der Kapitän, der unbemerkt an mich herangetreten war. »Der Birmane aber ist ein Zolloffizier. Der Kaiser von Birma sucht die Europäer nur in jenen Dingen nachzuahmen, in denen sie nicht nachahmenswert sind. Er belastet seine Untertanen mit ungeheuren Steuern und Abgaben, die früher unbekannt waren.«

»Darf ich ans Land gehen?

»Noch nicht, erst muß der Zollbeamte die Erlaubnis dazu erteilt haben. Ich will dem Beamten entgegengehen und hoffe durch ein wenig Höflichkeit die peinlichen Formalitäten abzukürzen und freie Landung zu erreichen.«

Der Kapitän, ein Vollblutengländer, entfernte sich langsam und näherte sich dem Zolloffizier, der in diesem Augenblick an Bord stieg. Er wechselte nach einer leichten Verbeugung einige Worte mit ihm und verschwand dann mit ihm in seiner Kajüte, wo die beiden wohl eine halbe Stunde verblieben.

Der Kapitän erschien zuerst wieder. Er winkte mich zu sich heran.

»Sie wünschen, Herr Kapitän?«

»Der Beamte wünscht Sie zu sprechen.«

Ich ging in die Kajüte.

Der Offizier hockte zusammengekauert auf einem Sessel und kaute Betel. Elegant erschien er in dieser Stellung gerade nicht. Es mag dem Türken gut stehen, wenn er auf einem Sofa oder einem Teppich kauert, aber einen Mann auf einem Stuhle hocken zu sehen, kann doch nicht anders als zum Lachen reizen.

Ich machte dem Beamten eine leichte Verbeugung und fragte: »Was wünschest du von mir?«

Er spuckte zweimal in den goldenen Napf und fragte dann in gebrochenem Englisch: »Wie heißest du?«

Ich nannte meinen Namen.

Eine Pause entstand: »Woher kommst du?«

»Von Rangoun.«

Neues Stillschweigen.

»Bist du ein Kaufmann?«

»Nein!«

»Was bist du also?«

»Ich bin ein Schriftsteller.«

Und wieder entstand eine minutenlange Pause.

Der Kapitän betrachtete mich verstohlen, weil ich mit dem Lachen kämpfte.

»Du wirst nach Rangoun zurückkehren.«

Waren diese Worte im Tone der Frage oder des Befehles gesprochen? Ich konnte mir nicht sofort klar darüber werden.

»Ich werde allerdings nach Rangoun zurückkehren, sobald ich Amarapura besichtigt habe,« gab ich zur Antwort.

»Du wirst es nicht besichtigen.«

»Warum denn nicht?«

»Weil ein Erlaß Seiner Majestät des Kaisers allen nicht handeltreibenden Fremden den Besuch der Hauptstadt verbietet,« entschied der Birmane in jenem Amtstone, den alle Beamten anzunehmen pflegen, welche im Namen ihres Souveräns sprechen.

»Ist der Besuch der Hauptstadt auch jenen Reisenden verboten, die ein Begleitungsschreiben der Königin von England mitbringen?« fragte ich lächelnd.

»Hast du ein solches?« rief der Hafenbeamte erstaunt.

»Die Besichtigung Amarapuras ist auch demjenigen untersagt, der nachweist, ein Freund des Wongy Mangvé-Mengyi zu sein?«

»Herr! Du bist ein Freund des Wongy?« schrie der Beamte abermals, sprang, mich erstaunt betrachtend, auf die Füße und machte mir eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung.

Ich nahm aus meinem Portefeuille den Brief des Majors, der in eine Pergamenthülle geschlossen und mit seltsamen Hieroglyphen in birmanischer Schrift bedeckt war und gab ihn dem Höfling. Er griff nach dem Pergament, prüfte aufmerksam die Adresse sowie die Siegel und gab es mir dann mit einer Verbeugung zurück.

»Warum sagtest du mir nicht sogleich, daß du unter dem Schutze der Königin von England stehst und ein Freund unseres Wongy bist? Ich hätte dich dann sofort begrüßt, wie es einem Pair von England gebührt,« sagte er.

»Du tatest nur deine Pflicht. Kann ich jetzt ans Land gehen?«

»Ja.«

»Du hast mir sonst nichts zu sagen?«

»Nichts, Herr!«

Ich verließ die Kajüte und ging auf das Deck, wo sich wenige Minuten später auch die edelsteinbesetzte Mütze mit dem Kapitän und dem Armenier wieder einfand. Der Kaufmann zählte dem Zollbeamten 50 Pfund Sterling auf die Hand, der sie gleichgültig einsteckte und gemächlich das Schiff verließ. Er hatte die fälligen Abgaben und Taxen einkassiert. Weiter blieb ihm hier nichts zu tun übrig.

Ich verabschiedete mich von dem Kapitän, rief einen Lastträger, dem ich mein geringes Reisegepäck übergab, warf das Gewehr über die Schulter und stieg ans Land.

Amarapura liegt auf einem leicht erhöhten Terrain zwischen dem See und dem Fluß. Während der Regenzeit erhält die Stadt die Form einer Insel, da alsdann der Fluß aus seinen Ufern tritt und die Umgegend unter Wasser setzt, Amarapura seiner erhöhten Lage wegen allein verschonend.

Holzbrücken vermitteln die Verbindung der Stadt mit den Feldern und umliegenden Dörfern. Die Landungsbrücke ist 3 Kilometer lang und 15 Meter breit, die andern geben ihr nicht viel nach. Amarapura bildet ein Quadrat, dessen einzelne Seiten 1600 Meter in der Länge messen, und wird von einer festen Mauer umschlossen, die 6 Meter hoch ist und von 56 Türmen gekrönt wird. Zwölf Tore, auf jeder Seite drei, führen in die Stadt. In einer Entfernung von 30 Meter zieht sich um sie ein 6 Meter tiefer und ebenso breiter Festungsgraben, der mit Zugbrücken versehen ist und in Kriegszeiten ein nicht zu unterschätzendes Hindernis für die Feinde bildet.

Die Hauptstadt ist somit eine Festung ersten Ranges für das Land und für asiatische Truppen geradezu uneinnehmbar.

Unterwegs fragte ich den Lastträger: »Weißt du, wo Wongy Mangvé wohnt?«

»Gewiß, er wohnt in unmittelbarer Nähe des Tempels des Senmeng, da ihn Seine glorreiche Majestät zu dessen Ritter ernannt hat.«

»Ist dieser Posten so ehrenvoll?« fragte ich etwas erstaunt, daß ein hoher Würdenträger des kaiserlichen Hofes zum Ritter eines Elefanten bestellt wurde.

»Ohne Zweifel! Würde ihn sonst der Kaiser seinem treuen Wongy zuweisen?«

Nach einer guten Stunde gelangten wir über eine Zugbrücke zu einem der Stadttore, das von vier Soldaten bewacht wurde. Sie lagen auf der Erde, die unvermeidliche Betelschachtel neben sich und die nach alter Art gearbeiteten Gewehre zwischen den Knien. Als sie mich erblickten, kreuzten sie dieselben, mir auf diese Weise den Eintritt verwehrend.

Aus einem hölzernen Häuschen trat ein Offizier, lehnte sich gemächlich an die Mauer und frug mich barsch in birmanischer Sprache: »Wohin willst du?«

Ich hatte bereits in meinem Vaterlande die Gelegenheit wahrgenommen, mir in etwas diese Sprache anzueignen und entgegnete also ebenfalls in ihr und nicht weniger barsch: »In die Stadt.«

»Du sprichst unsere Sprache?« rief der Soldat überrascht.

»Du erwartetest es wohl nicht?« fragte ich nicht ohne Stolz.

»Nein!«

»Warum fragtest du mich dann auf birmanisch?«

Der Offizier zog es vor, diese berechtigte Frage unbeantwortet zu lassen und setzte das Verhör fort: »Besitzest du die Erlaubnis, die Stadt zu betreten?«

»Ich bin ein Freund Mangvé-Mengyis.«

»So magst du passieren. Aber spute dich, denn binnen kurzem möchte dir die Freundschaft des Wongy verhängnisvoll werden.«

»Wieso?« forschte ich, bestürzt über diese Eröffnung.

»Du wirst es erfahren zu seiner Zeit. Jetzt beeile dich, wenn dir dein Leben lieb ist.« Damit kehrte er mir den Rücken und entfernte sich rasch.

Nachdenklich betrat ich die Stadt. Welche Bedeutung sollte ich jenen Worten beimessen? Die Freundschaft des Wongy konnte mir in einer kurzen Spanne Zeit verhängnisvoll werden. Aber warum das? Sollte der Wongy in Ungnade bei dem Kaiser gefallen sein? War es denn klug von mir, mich als seinen Freund auszugeben, ihn überhaupt aufzusuchen? Konnte er nicht auch mich in mehr oder minder schwerer Weise mit in sein Verhängnis verwickeln?

Aber vielleicht war es auch nur ein Scherz von dem Offizier gewesen. Die Freundschaft des Wongy konnte mir verhängnisvoll werden; bis jetzt also war sie es noch nicht.

»Zum Tempel des Senmeng!« befahl ich meinem Begleiter, einen entschiedenen Anlauf nehmend.

Wir schritten weiter.

Amarapura ist sehr regelmäßig gebaut. Lange saubere Straßen führen von einem Tore der Stadt zu dem anderen und schneiden sich in geraden Winkeln. Die Straßen sind nicht gepflastert, sondern aus festgestampfter Tonerde gebildet. Sie sind bei trockener Witterung vorzüglich, aber während der großen Regen werden sie fast ungangbar; in den Hauptstraßen versinkt man dann bis über die Knie und noch tiefer im Schlamm.

In der Mitte der Straßen, wenige Schritte von den Häusern entfernt, erheben sich zwei Reihen von Palisaden, hoch und solid gearbeitet, die mit weißer Kalkfarbe bestrichen und von Terrakottavasen gekrönt sind, aus denen liebliche Blumen wohlriechende Düfte entsenden. – Auf diese Weise werden die an sich sehr breiten Straßen in drei schmale Gänge geteilt, von denen der mittelste der breiteste ist. Wer von einer Seite der Straße auf die andere gelangen will, muß daher weite Umwege beschreiben, ehe er sein Ziel erreicht. Diese eigenartigen Palisaden führen den Namen Yaja-mat oder kaiserliche Palisaden und verfolgen den Zweck, das Volk bei einem etwaigen Ausgange des Monarchen abzuhalten, sich an diesen heranzudrängen. Die orientalischen Herrscher und darunter besonders der von Birma, verbergen sich gerne unter einem mysteriösen Schleier vor ihren Untertanen, weil sie glauben, dadurch majestätischer zu erscheinen. Sie lassen sich deshalb selten sehen.

Im Vergleich mit den Straßen erscheinen die Häuser, die sich zu ihren Seiten hinziehen, armselig. Der Brand von 1831 zerstörte zwei gute Dritteile der Hauptstadt, darunter die herrlichsten Paläste, prachtvolle Tempel und die reichsten Wohngebäude. Die Stadt wurde zwar wieder aufgebaut; aber während die Tempel und wenigen öffentlichen Gebäude in noch größerem Glanze erstanden und die alten an Schönheit und Reichtum verdunkelten, gestalteten sich die Privathäuser dürftig. Viele Städter verließen die Hauptstadt, weil das Leben dort teuer ist und die zahllosen Holztempel eine stete Gefahr im Falle des Ausbruches eines Feuers sind und siedelten sich anderswo an. Nur die Beamten und die ärmere Klasse blieben zurück.

In der Mitte der Stadt befindet sich der prachtvolle kaiserliche Palast. Er bildet ein Quadrat, dessen Seiten parallel mit der Mauer laufen, die Amarapura umschließt. Drei Mauergürtel umgeben den mittelsten Teil, die Wohnung des Monarchen, denn eigentlich besteht der Palast aus einer Anhäufung von Gebäuden. Diese sind unter einem gemeinsamen Dache vereinigt, welches von reich mit vergoldeter Holzschnitzerei verzierten Säulen getragen wird, und teilweise aus Holz, teilweise aus Steinen errichtet sind.

An der nördlichen Mauer erhob sich der ganz aus vergoldetem Holze erbaute Tempel des weißen Elefanten – das Ziel meines Weges.

Die wenigen Personen, die uns begegneten, waren lediglich Eingeborene. Keiner von ihnen schenkte mir auch nur einen Blick; sie sprachen eifrig miteinander, ihre Gesichter drückten unverkennbar Furcht und Schrecken aus.

»Hat die Stadt vielleicht ein schweres Unglück betroffen?« fragte ich meinen Führer.

»Nicht, daß ich wüßte,« lautete die Antwort.

»Die Leute, die uns begegneten, schienen mir so niedergeschlagen.«

»Auch ich machte bereits diese Wahrnehmung. Niemand kümmert sich um dich, niemand fragt mich, wer du seiest, damit ich ihnen erzählen könnte, daß ich heute die Ehre habe, einen Pair von England zu führen,« sagte der Packträger mit betrübter Naivetät.

Wir gelangten jetzt in die Nähe einer Gruppe von fünf Personen, die eifrig gestikulierten.

»Der weiße Elefant —« hörten wir einen von ihnen sprechen.

Dieses Wort erregte die Neugierde des Packträgers. »Entschuldige mich, Herr,« sagte er und näherte sich der Gruppe. Ich ging unterdessen langsam weiter.

Bald holte er mich ein. Seine Züge zeigten hohen Ernst.

»Was hast du in Erfahrung gebracht?« erkundigte ich mich.

»Ein schweres Unglück bedroht Amarapura, Herr!«

»Ist der Kaiser erkrankt?« fragte ich, da ich die Worte des Trägers sofort in Verbindung mit jenen brachte, die der wachthabende Offizier zu mir gesprochen. »Es ist schlimmer, Herr, viel schlimmer.«

»So sprich doch!« rief ich ungeduldig.

»Der weiße Elefant —«. Er stockte.

»Ist entflohen?«

»Wenn es nur das wäre!«

»Also krank?«

»Er liegt im Sterben!« sagte der Mann tieftraurig.

»Im Sterben?« wiederholte ich erschrocken.

»Im Sterben, ja, vielleicht ist er auch schon tot. Buddha, rette den Kaiser!«

Der Leser möge sich nicht darüber wundern, daß mich die Nachricht von der tödlichen Erkrankung des weißen Elefanten in große Bestürzung versetzt hatte. Diese war durchaus nicht von weichlichem Mitleid mit dem Tiere selbst hervorgerufen.

Ich dachte dabei hauptsächlich an den Mann, an dem ich einen Freund und eine Stütze in diesem fremden Lande zu finden gehofft hatte und für den der Tod dieses Tieres den materiellen und moralischen Ruin bedeutete.

Grübelnd folgte ich meinem Führer nach dem Tempel, dessen Fassade einem großen Platze zugekehrt und reich mit Schnitzerei und Gold verziert war. Die Hauptpforte war geschlossen und eine Kompagnie Soldaten lagerte vor ihr auf der Erde, die Flinten zwischen den Knien. Eine große Menschenmasse hatte sich auf dem Platze angesammelt, hielt sich aber in scheuer Entfernung von den Wärtern des heiligen Ortes.

»Der Tempel ist verschlossen. Das heilige Tier wird auf das sorgfältigste gehütet,« erklärte mir der Träger.

»Wo wohnt der Wongy?« erkundigte ich mich statt aller Antwort.

Er deutete auf ein elegantes Gebäude in unmittelbarer Nähe des Tempels.

Ich wandte mich nach dieser Richtung. Vor der Pforte verabschiedete ich den Träger und klopfte.

Der heraustretende Diener stieß einen Schrei des Erstaunens aus. »Großer Buddha! Ein Engländer!«

Die Birmanen halten alle Europäer für Engländer.

»Ist dein Herr zu Hause?« fragte ich.

Er bejahte.

»Melde mich ihm. Ich habe notwendig mit ihm zu sprechen.«

Meine Worte schienen den Diener zu verwundern.

»Unmöglich! Der Wongy ist heute für niemand zu sprechen,« entgegnete er.

»Mit mir wird er gewiß eine Ausnahme machen. Willst du mich melden?«

»Ich weiß nicht, ob ich es wagen darf —« meinte der Sklave schwankend.

»Gut denn, ich gehe! Aber du trägst die Verantwortlichkeit für deine Hartnäckigkeit. Der Zorn deines Herrn wird dich treffen.«

Meine Worte erschreckten den braunen Diener.

»So tritt ein, Herr. Ich will den Zeremonienmeister des Wongy rufen. Dem magst du deine Wünsche vortragen.«

Ich folgte seiner einladenden Handbewegung und trat in eine geräumige, aber niedrige Halle, die von acht Säulenreihen getragen wurde und aus der eine Türe in einen selten schönen Garten führte.

Der Diener schloß die Hauptpforte und sagte: »Erwarte mich hier, ich will den Zeremonienmeister holen.«

Damit stieg er in den ersten und einzigen Stock des Hauses hinauf. Wohl eine Viertelstunde mußte ich in der Halle warten, doch vertrieb ich mir die Zeit mit einer eingehenden Betrachtung derselben.

In ihrer Ausstattung trat der Geschmack der Indier in seiner ganzen Eigenart hervor. Die Decke imitierte den blauen Himmel mit seinen funkelnden Sternen. Die Wände waren aus lackiertem Holze und wirklich vollendeter Holzschnitzerei versehen. Diese Schnitzereien stellten die heiligen Tiere des Landes vor und waren Bildhauerarbeiten aus der kaiserlichen Schule. Reich vergoldete Türen mit Angeln aus getriebenem Silber führten in die Wohnräume des Erdgeschosses. Den Fußboden überspannte ein prachtvoller Teppich aus Baumwollstoff mit bunten Arabesken.

Noch war ich in Betrachtung verloren, als rasche Schritte die Treppe herabkamen. Ein junger Mann, reich in blaue Seide gekleidet, und ein ebensolches Tuch nach Art eines Turbans lose um das Haupt geschlungen, trat mir mit einer so tiefen Verbeugung gegenüber, daß seine Stirne fast den Boden berührte. Er trug das Kinn glatt rasiert und seine Gesichtszüge wären sympathisch zu nennen gewesen, hätten nicht die Augen so unruhig hin— und hergeflackert.

»Ich bin der Zeremonienmeister des Wongy. Du wünschest mit demselben zu sprechen?«

»Allerdings. Ich bringe ihm einen Brief von einem seiner Freunde, der zugleich auch der meinige ist.«

»Der Wongy kann heute niemand empfangen. Gib mir das Schreiben, ich werde es ihm übergeben und dich dann wissen lassen, wann er sich herablassen will, dir sein Angesicht zu zeigen,« entgegnete der Zeremonienmeister in der blumenreichen Sprache des Orients.

»Das Schreiben muß ich ihm persönlich übergeben.«

»Das geht nicht. Nach der Sitte darf er es nur aus meinen Händen empfangen.«

»Es ist ein Handschreiben eines hohen europäischen Würdenträgers – meinst du, daß ich es in die Hände eines Sklaven legen werde?« antwortete ich mit allem Hochmut, der mir zu Gebote stand und der dem Reisenden im Oriente unumgänglich nötig ist.

»Ich bin der Zeremonienmeister des Hüters des weißen Elefanten,« gab der junge Mann empfindlich zurück.

»Aber trotzdem sein Sklave. Oder willst du dies vielleicht leugnen?« fragte ich verächtlich.

»Folge mir! Ich werde dich dem Wongy melden,« sagte er endlich, jede weitere Rede abschneidend.

Er führte mich die Treppe hinauf in ein großes Gemach, dessen echt orientalische Pracht fast beengend wirkte. Der Fußboden war mit wertvollen Teppichen überspannt, die Wände reich mit Gold, Perlmutter und Elfenbein ausgelegt. Niedrige Stühle von bizarr geschweifter Form reihten sich um einen großen Tisch. Eine farbige Glastüre führte auf einen Balkon, von dem aus man eine entzückende Aussicht auf den Garten und den heiligen Tempel genoß.

Ein kostbarer seidener Vorhang schied das Zimmer in zwei Teile, von denen der eine für die Männer, der andere für die Frauen bestimmt war, die hier, geschützt durch die Portiere, ungestört sitzen und die Gäste ihres Gatten—, Vaters oder Bruders beobachten konnten.

»Erwarte mich hier, ich gehe zu Mangvé-Mengyi. Ich will hoffen, daß er sich gnädig erweist und dir gestattet, dich ihm zu zeigen,« sagte mein Führer und verschwand.

Ich ließ mich auf einem der Sessel nieder und betrachtete die Kupferstiche, die an den Wänden hingen. Es waren nur Genrebilder und Landschaften. Sie besassen keinesfalls besonderen künstlerischen Wert.

Wohl eine Stunde mochte ich in dem Salon verbracht haben, als endlich der Zeremonienmeister eine Seitenportiere zurückschlug und dem Wongy voran in den Saal trat.

Der Hüter des Senmeng war ein nicht mehr junger Mann von robustem Körperbau und mittlerer Statur mit starker Neigung zu Fettleibigkeit. Er war in ein weites Gewand von scharlachrotem Samt gehüllt, und trug auf dem Haupte einen seidenen Turban von gleicher Farbe. Das Kinn hatte er glatt rasiert, Haare und Schnurrbart waren bereits ergraut; seine Gesichtszüge waren angenehm, aber der Stempel tiefer Traurigkeit war daraufgedrückt.

»Der Wongy!« sagte der Zeremonienmeister mit einer vorstellenden Handbewegung. Ich sprang auf und verneigte mich.

»Du hast mich zu sprechen gewünscht. Was ist dein Begehr?« begann Mangvé-Mengyi.

»Ich habe dir Grüße zu bestellen von deinem Freunde, dem Major Faire. Er sendet dir dieses Schreiben.« Ich zog den Brief hervor und übergab ihn dem Birmanen. Dieser nahm ihn, las die Aufschrift und legte ihn beiseite.

»Ein Brief meines englischen Freundes ist mir von hohem Werte. Aber augenblicklich fehlt mir die Zeit, ihn zu lesen, ich werde es später tun. Natürlich wirst du während der Dauer deines Aufenthaltes hier bei mir wohnen. Betrachte mein Haus als das deinige und laß es dir bei mir gefallen. Morgen hoffe ich mehr mit dir sprechen zu können.«

»Ich danke dir herzlichst für die angebotene Gastfreundschaft, aber ich kann sie nicht annehmen,« erklärte ich.

»Willst du mich beleidigen?« rief der Wongy erzürnt.

»Das liegt mir ferne. Aber du selbst sagst, daß du augenblicklich sehr beschäftigt bist. Da möchte ich dir nicht auch noch beschwerlich fallen. Überdies – du scheinst mir betrübt. Muß ich da nicht fürchten, mit meiner Anwesenheit unliebsam deine Ruhe zu stören?«

»Du störst mich nicht im geringsten, sondern machst mir im Gegenteil eine große Freude, wenn du meine Einladung annimmst,« wies Mangvé-Mengyi meine Bedenken zurück.

»Ich danke dir nochmals, aber ich muß sie wirklich zurückweisen. Ich habe meine Gründe dafür, die ich dir jedoch jetzt noch nicht nennen kann. Vor meiner Abreise will ich es tun.«

Der Wongy blickte eine Weile still zu Boden, wie es schien, in trübe Gedanken versunken. Dann kehrte er sich gebieterisch zu dem Zeremonienmeister: »Laß uns allein.«

Der Sklave gehorchte.

»Nimm Platz,« wandte sich Mangvé wieder zu mir, auf einen Sessel deutend. Er selbst ließ sich mir gegenüber nieder.

»Lord Faire empfiehlt dich mir. Ich kenne meinen englischen Freund gut genug, um zu wissen, daß er mir niemals einen Mann empfehlen würde, der meines Hauses unwürdig ist,« fuhr er dann fort.

»Das glaube ich auch,« entgegnete ich trocken.

»Du bist ein Edelmann und gefällst mir.«

Ich quittierte die Schmeichelei mit einer leichten Verbeugung.

»Du bist auch gelehrt. Du bist der einzige Europäer meiner Bekanntschaft, der unsere Sprache spricht.«

»Ich kenne kaum zwanzig Worte davon,« wehrte ich ab.

»Nein, du sprichst sehr gut birmanisch. Wärest du nicht als Engländer gekleidet, ich würde wahrhaftig glauben, du seiest an den Ufern des Irawadi geboren. Gewiß bist du auch ein großer Arzt,« sagte der Wongy, der ebenfalls in dem Glauben befangen war, daß jeder Europäer ein vorzüglicher Mediziner sein müsse.

Ich antwortete bejahend auf seine Frage. Ich verstand ja ein wenig von der Arzneikunde; aber hätte ich das auch geleugnet, er hätte mir doch nicht geglaubt.

»Die europäischen Ärzte verstehen viel mehr, als die birmanischen,« fuhr der freundliche Alte fort.

»Auch in Ara ist die Heilkunde weit vorgeschritten,« entgegnete ich sehr gegen meine Überzeugung.

»Ich weiß, daß mein Vaterland groß ist in jeder Beziehung, aber die Gabe, Krankheiten zu heilen, verlieh Buddha den Engländern. Herr, möchtest du mir einen großen Gefallen erweisen?«

»Jeden, der in meiner Macht steht.«

»Wenn es dir gelingt, rettest du mir das Leben und machst du mich ewig zu deinem Schuldner.«

Ich erriet jetzt, welche Gefälligkeit der Wongy von mir wünschte. Der weiße Elefant lag im Sterben und sein Hüter hielt mich für einen berühmten Arzt, ja, das war ich, aber doch kein Tierarzt!

»Sprich,« sagte ich.

»Du weißt wohl, daß ich der Hüter des Senmeng bin.«

»Gewiß! Erlaube mir, daß ich dir zu dieser hohen Ehre gratuliere.«

»Danke, aber jetzt steht vieles auf dem Spiele. Seine Hoheit ist tödlich erkrankt. Wehe mir! Stirbt er, so bin ich verloren. Der Kaiser zieht meine Güter ein, mein Weib wird von ihren Eltern verstoßen werden, mein einziger Sohn muß in die Verbannung wandern und ich – ich —« Er brach ab und senkte müde den Kopf.

»Und du?«

»Ich werde getötet,« entgegnete er dumpf.

»Auch wenn der Senmeng eines natürlichen Todes stirbt?«

»Auch dann.«

»Aber das ist eine Ungerechtigkeit.«

»Das Gesetz schreibt es so vor. Das Gesetz aber hat der Kaiser gemacht und was der Kaiser will, ist gut. Deshalb bitte, ja beschwöre ich dich, begleite mich in den Tempel und untersuche den Elefanten. Wer weiß, vielleicht gelingt es dir, ihn wieder herzustellen,« flehte der alte Mann.

»Ich bin aber kein Tierarzt,« entgegnete ich. Das Verlangen war doch zu seltsam, als daß ich ihm gern entsprochen hätte.

»Der weiße Elefant ist aber auch kein gewöhnliches Tier. Er ist der Schutzgeist des Kaisers und sein geheiligtes Leben gilt mir mehr als das Leben von zehntausend Mann oder hunderttausend Frauen,« erklärte der Wongy.

Sollte ich die Bitte abschlagen? Ich hätte es gern getan, denn die Aussicht, einen Elefanten kurieren zu sollen, hatte wenig Verlockendes für mich.

Aber vielleicht fand ich ein Mittel. So entschied ich mich kurz.

»Ich stehe zu deiner Verfügung.«

»Dank! – Dank!« rief der Alte erfreut. »O ich wußte wohl, daß ich dein edles Herz nicht vergeblich anrufen würde. Aber ehe ich dich in den Tempel führe, mußt du mir Versprechen, mein Gast zu sein.«

»Ich verspreche es dir.«

»Ich danke dir! Doch erlaube mir noch eine Bemerkung. Deine europäische Kleidung wird dir hier sehr hinderlich werden. Sie fällt unangenehm auf und wird überall die Aufmerksamkeit auf dich lenken.«

»Du meinst also, ich solle mich nach birmanischer Art kleiden?«

»Ja, das meine ich.«

»Ich würde mich wohl dazu verstehen, aber ich glaube nicht, daß es viel helfen würde. Meine Gesichtszüge und Hautfarbe verraten mich ja doch sofort als Europäer.«

»O darauf achtet niemand. In birmanische Kleidung gehüllt, verschwindest du unter der Menge.«

»Gut denn, ich werde sofort gehen, und mir ein solches Gewand kaufen.«

»Nein, das ist unnötig. Ich werde dir eines zur Verfügung stellen, wie es sich für deinen Rang und deine Stellung ziemt – ziemt auch für den Mann, der den Schutzgeist des Kaisers heilen soll.«

»Ich nehme mit Dank dein gütiges Anerbieten an, aber du würdest mich doppelt verpflichten, wenn du das Gewand mir sofort übergeben ließest. Wir wollen den Besuch beim Senmeng nicht aufschieben.«

»Du hast recht. Verzeih, wenn ich dir Speise und Trank erst später anbieten werde. Jetzt mag dich mein Zeremonienmeister vor allem in meine Garderobe führen, wo du dich umkleiden kannst.«

Der Hüter des heiligen Tieres klatschte in die Hände, der Zeremonienmeister erschien.

»Führe diesen fremden Wongy in meine Garderobe und hilf ihm, das beste meiner Gewänder anzulegen,« befahl ihm sein Herr.

Über einen langen Korridor hinweg gelangten wir in die Garderobe, ein mäßig großes Zimmer.

Da hingen an den Wänden die langen mantelähnlichen Oberkleider aus dunkelblauem, weißem und cremfarbenem Samt neben den Unterkleidern aus feinster Seide und – nach orientalischer Sitte – sehr lange Hosen. Da hingen auch seidene Jacken, wie sie die Diener nötig hatten und auf zwei langen Tafeln lagen Baretts in allen Farben, Formen und Größen und daneben elfenbeinerne Instrumente, ähnlich jenem, das ich den Zolloffizier hatte handhaben sehen, sowie Kassetten für den unentbehrlichen Betel, Spucknäpfe von Gold, Silber, Elfenbein und Bein, zum Teil fein ziseliert und viele Hörrohre, von denen fast jeder birmanische Würdenträger eines zur Seite hängen hat.

Ich warf meinen Rock ab, nachdem ich seine Taschen ihres Inhaltes entledigt. Der Zeremonienmeister riet mir, auch die Hosen und die Weste abzulegen, aber dazu wollte ich mich nicht verstehen, sondern zog das hemdähnliche Unterkleid aus weißer Seide über diese europäischen Kleidungsstücke an und warf dann noch einen cremfarbigen Mantel um, der meine Gestalt ganz verhüllte und in dessen weiten Taschen ich auch den früheren Inhalt meines Rockes unterbrachte.

Die Schwere des samtenen Oberkleides empfand ich allerdings nicht besonders angenehm. Amarapura liegt unter dem dreiundzwanzigsten Grad südlicher Breite.

Ich setzte noch ein samtenes Barett auf den Kopf, hing ein silbernes Hörrohr an meine Seite und nahm in die Hand die Betelkassette und den Spucknapf.

»Entledige dich erst noch der Stiefel, Herr,« bat mich höflich der Zeremonienmeister.

»Aber ich sehe hier keine andere Fußbekleidung als Pantoffeln,« entgegnete ich.

»Bei uns gehen alle, selbst der Kaiser, in Pantoffeln. Wenn du also unsere Tracht anlegen willst, mußt du auch die Pantoffeln tragen.«

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Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
220 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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