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„Wenn wir verstehen, wie Umweltfaktoren einschließlich Schadstoffen das innere chemische Milieu von Organismen – das EXPOSOM – beeinflussen und wissen, welche Rolle diese Prozesse bei der Entstehung von aquatischer Toxizität und chronischen Erkrankungen spielen, können wir unerwünschte Wirkungen für Umwelt und Mensch besser vorhersagen und Präventionsstrategien ableiten.“ 3.2.3/4 UFZ

EU-geförderte Exposom Forschung

Während die Genom-Forschung schon seit Ende des Human-Genom-Projektes 2003 weltweit etabliert wurde, entstehen jetzt auch gleichrangige Exposom-Forschungszentren. 2020 wurde das European Human Exposome Network gestartet. Dies ist das weltweit größte Netzwerk von Projekten, die die Auswirkungen von Umweltexpositionen auf die menschliche Gesundheit untersuchen.


Das europäische Netzwerk vereint 24 Nationen und neun Forschungsprojekte, die bis 2027 mit über 100 Millionen Euro aus Horizon 2020, dem Rahmenprogramm der EU für Forschung und Innovation, gefördert werden.

Aus der Webseite:

„Die Ergebnisse der Projekte werden dazu beitragen, das Ziel des Europäischen Green Deals voranzutreiben, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bürger vor Umweltverschmutzung und Umweltverschlechterung zu schützen, indem sie neue Erkenntnisse für bessere Präventionsmaßnahmen liefern.“ [Ü.d.A.] 3.2.3/5 Humanexposome

EU-Rahmenprogramme für Forschung und Innovation

Neben dem European Human Exposome Network initierte die EU im Rahmen der Umwelt- und Gesundheitsforschung weitere Projekte. 3.2.3/6 EU Diese Vorhaben sollen den Europäischen Green Deal unterstützen.

 Die Europäische Initiative zur Überwachung des menschlichen Biomonitorings. / The European Human Biomonitoring Initiative (HBM4EU) } Siehe Kapitel 3.2.6

 EURION: Die europäischen Cluster zur Verbesserung der Identifizierung von endokrinen Disruptoren. /EURION: The European Cluster to Improve Identification of Endocrine Disruptors.

 Städtische Gesundheit /Urban Health.

 Exposition gegenüber Kunststoffen und Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit /Exposure to plastics and effects on human health.

3.2.4 Exposomforschung und Kausalität

Wir beginnen gerade erst durch Screenings zu analysieren, wie es um das lokale und globale Exposom bestellt ist. Wissenschaftler beschreiben die Qualität und Quantität der vorgefundenen Umweltfaktoren, z. B. werden Schadstoffmessungen an Straßen durchgeführt. Untersuchungen der Anwohner auf Asthma ergeben möglicherweise Korrelationen mit einem erhöhten Vorkommen von Asthmatikern an vielbefahrenen Straßen.


Korrelationen sind hinweisend – aber nicht beweisend. In den meisten Fällen bleibt die Frage offen, ob es sich dabei um echte kausale Beziehungen oder um zufällige Zusammenhänge handelt, die durch andere Faktoren erklärbar sind.Zunehmend erfahren wir, dass Schulen schadstoffbelastet sind, dass wir Pestizide einatmen, weil sie kilometerweit verweht werden können, dass wir täglich Mikroplastik-Partikel aufnehmen – aber wir haben derzeit nur eine sehr unklare Vorstellung davon, was diese Faktoren in Mensch, Tier und Pflanzen ursächlich bewirken.

Von der Korrelation zum Kausalzusammenhang

Ein Review eines schwedisch-finnländischen Autorenteams, der im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, beschreibt die Verknüpfung zwischen chemischer Exposition, intermediären Veränderungen im Stoffwechsel und Auswirkungen auf das Immunsystem. Das Team stellt fest:

„Es gibt starke Hinweise darauf, dass chemische Expositionen deutliche Auswirkungen auf das Metabolom haben und mit spezifischen Krankheitsrisiken in Verbindung stehen.“ [Ü.d.A.] Als Metabolom wird die Gesamtheit aller Stoffwechselprodukte bezeichnet, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Organismus nachzuweisen sind“.


Dieser Review ist damit eine der ersten Übersichtsarbeiten, die anhand einer großen Anzahl von Studien nicht nur Korrelationen beschreibt, sondern auch kausale Beziehungen zwischen Expositionen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen darstellt.

„Diese Herausforderung wird wahrscheinlich mit zunehmender analytischer Abdeckung des chemischen Exposoms und Metaboloms und mit der Einbeziehung anderer Daten, wie z. B. des Darmmikrobioms, noch größer werden. Der Nachweis der Kausalität ist entscheidend, wenn man die Sicherheit bestimmter Chemikalien oder bestimmter Präventionsmaßnahmen in Betracht ziehen will.

Die Eliminierung unerwünschter Assoziationen […], die Identifizierung wichtiger toxischer Einflussfaktoren […] und die Weiterverfolgung mit gezielten Expositionsstudien in relevanten experimentellen Modellen sind wahrscheinlich die wichtigsten Forschungsstrategien, die geeignet sind, die Herausforderung der Datenzusammenführung und des Kausalitätsnachweises in der Exposomforschung zu bewältigen.

Angesichts der vitalen Forschung auf dem Gebiet der Exposome ist es wahrscheinlich, dass die Zukunft viele innovative Lösungen bringen wird, um die oben genannten Herausforderungen anzugehen. Solche Fortschritte werden das Potenzial haben, neue Untersuchungsbereiche im Zusammenhang mit der Untersuchung der Auswirkungen realer chemischer Expositionen auf die menschliche Gesundheit und für eine genauere Bewertung der Chemikaliensicherheit zu eröffnen sowie unsere derzeitigen Ansichten über die Entstehung und Pathogenese vieler verbreiteter Krankheiten zu hinterfragen.“ [Ü.d. A., Quellenangaben im Originaltext] 3.2.4/1 Orešič et al.

Toxikologie des 21. Jahrhunderts

Mit dieser „Toxikologie des 21. Jahrhunderts“ können sogenannte Toxizitätspfade aufgespürt werden. Die neuen Technologien erlauben differenzierte Chemikalienbewertungen und Prüfverfahren ohne Tierversuche.

„Die Kopplung chromatographischer Analysen mit modernen massenspektrometrischen Verfahren erlaubt den Nachweis immer geringerer Substanzmengen, während „Omics“-Ansätze, komplexe Zellkultursysteme und Stammzellen die Grundlagen geschaffen haben, toxikologische Effekte in einer bisher nicht zugänglichen molekularen Tiefe, auch über Speziesgrenzen hinweg, zu adressieren. Zudem sind viele dieser Methoden hochdurchsatztauglich. Dies ermöglicht die Testung einer Vielzahl von Substanzen in verhältnismäßig kurzer Zeit und schafft somit auch Zugang zu neuen Fragestellungen wie z. B. Mischungstoxizitäten, endokrinen Effekten, möglichen Niedrigdosiseffekten und im Bereich der Nanotoxikologie.“ 3.2.4/2 Tralau

Wir werden in TEIL 7 sehen, dass insbesondere die Bewertung von Mischungstoxizitäten und Niedrigdosiseffekten weitreichende gutachterliche Folgen für umweltbedingt Erkrankte haben.


Jeder Nachweis einer Kausalität bedeutet einen Meilenstein für die Anerkennung und Versorgungsqualität umweltbedingter Erkrankungen.

Erweiterung des Symptomforschungsmodells

2020 wurde eine bemerkenswerte US-amerikanische Studie veröffentlich, die darauf abzielt, das Symptomforschungs-Modell der National Institutes of Health um umweltbedingte Gesundheitskonzepte zu erweitern. Das Autorenteam beschreibt Umweltfaktoren als Schlüsseldeterminanten für die Gesundheit und informiert über konkrete Maßnahmen zu Kapazitätsaufbau/Infrastruktur, Methoden/Effekte, translationale/klinische Forschung und Grundlagen-/mechanistische Forschung. 3.2.4/3 Castner et al.

3.2.5 Umweltbedingte Krankheitslasten

Die kollektive, multifaktorielle Grundbelastung

Die Datenlage zu umweltbedingten Krankheitslasten ist lückenhaft, obwohl Umweltfaktoren, bzw. -Schadstoffe in allen Bevölkerungsgruppen eine Rolle spielen, an allen Orten auftreten – Indoor und Outdoor, urban und ländlich – und wir diesen Substanzen Tag und Nacht ausgesetzt sind.


Inzwischen dürfte es in Deutschland kaum noch Menschen geben, in deren Organismus keine Mikroplastikpartikel, keine Schwermetalle oder synthetische hormonaktive Substanzen nachweisbar sind. Das betrifft auch vulnerable Gruppen wie Kinder, Schwangere oder Ältere.

Für manche Materialgruppen, z. B. Feinstaub ist nachgewiesen, dass sie zu vorzeitigem Versterben führen oder zur Entstehung von Krankheiten beitragen. In der Standard-Diagnostik spielt die Untersuchung auf Schadstoffe dennoch keine Rolle.

Umweltschadstoffe und Multisystemische Erkrankungen

Aus Sicht der Systemischen Epimedizin können Umweltschadstoffe die Suszeptibilität erhöhen, Betroffene reagieren in der Folge empfindlicher auf Risikofaktoren, wie z. B. eine virale Infektion. Entwickelt sich z. B. eine postvirale ME/CFS-Erkrankung, bleibt eine potenziell vorausgegangene Schwächung durch Umweltschadstoffe üblicherweise unentdeckt. Ohne die Schadstoffbelastung hätte der Organismus jedoch möglicherweise über die notwendige Immunkompetenz verfügt, die Virenlast zu bewältigen.

Schadstoffe können also direkt oder indirekt ein Puzzleteil sein, das zur Entstehung einer multisystemischen Erkrankung beiträgt.

Bei ungünstiger genetischer Disposition der Entgiftungsenzyme kann die oben beschriebene kollektive Grundlast an Schadstoffen bei Individuen toxischer wirken, als wenn die Entgiftung voll funktionsfähig ist. Das kann z. B. ein wichtiges Puzzleteil bei der multifaktoriellen Entstehung der Multiplen Chemikalien-Sensitivität /MCS sein.

Die Wirkung von Umweltbelastungen wird zunehmend in Bezug auf die klassischen Zivilisations-Erkrankungen untersucht und als Gesundheits-Gefahr bestätigt.

Umweltbedingte Krankheitslasten

Umweltbedingte Todesfälle in Europa

„Ein Fünftel aller Todesfälle in der Europäischen Region, insbesondere infolge von Herz-Kreislauf-, Atemwegs- und Krebserkrankungen, ist auf Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung oder chemische und physikalische Agenzien zurückzuführen.“ 3.2.5/1 WHO

Dies ist dem Aktionsplan zur Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten in der Europäischen Region der WHO, 2016 zu entnehmen. Seit den 90er Jahren untersucht die Weltgesundheitsorganisation WHO, wie sich schädliche Umwelteinflüsse auf das Krankheitsgeschehen in verschiedenen Ländern auswirken. Dazu entwickelte die WHO in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen das Konzept der „Umweltbedingten Krankheitslasten“ (engl. Environmental Burden of Disease, kurz: EBD). Im Rahmen von EBD-Studien werden Umwelt- und Gesundheitsdaten verknüpft und statistisch ausgewertet.

Eine 2014 veröffentlichte EBD-Studie untersuchte, wie sich neun verschiedene schädliche Umwelteinflüsse (Benzol, Dioxin einschließlich Furane und Dioxin-ähnliche PCBs, Passivrauchen, Formaldehyd, Blei, Lärm, Ozon, Feinstaub und Radon) auf die öffentliche Gesundheit in sechs Ländern (Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien und die Niederlande) auswirken.


Diese neun schädlichen Umwelteinflüsse waren für 3 % bis 7 % der jährlichen Krankheitslast in den sechs europäischen Ländern verantwortlich. 3.2.5/2 Hanninen et al.

Am 14.04.2016 gab das Umweltbundesamt bekannt:

„Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes können in Deutschland jährlich im Durchschnitt ca. 40.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund akuter Atemwegserkrankungen, kardiopulmonaler Erkrankungen und Lungenkrebs auf die Feinstaubbelastung der Bevölkerung zurückgeführt werden. Dies entspricht einem Verlust von acht Lebensjahren pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im Rahmen weiterer Studien werden derzeit EBD-Analysen für die Umwelteinflüsse Feinstaub, Ozon und Benzol in der Atemluft, Lärm, Tabakrauch in der Raumluft sowie Cadmium durchgeführt.“ 3.2.5/3 UBA

Feinstaub und Diabetes

„Feinstaub kann offenbar den Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht bringen, er kann den Appetit erhöhen, zu Fettleibigkeit führen und das blutzuckersenkende Hormon Insulin unwirksam werden lassen. ,Es gibt weltweit mehr und mehr Daten, die den Zusammenhang erhärten‘, sagt Gerad Hoek, Umweltepidemiologe an der Universität Utrecht. Auch die führende deutsche Feinstaubforscherin Annette Peters am Helmholtz Zentrum München bekräftigt: ,Es sieht ganz danach aus, dass insbesondere Feinstaub und verkehrsbedingte Schadstoffe Diabetes begünstigen können.‘“ 3.2.5/4 Welt.de

Macht die Luft in der Großstadt tatsächlich dick? war der Artikel von Susanne Donner auf Welt.de überschrieben, dem dieses Zitat entnommen wurde.

Aus Sicht der Systemischen Epimedizin gibt es keine rationale Begründung, warum einerseits zunehmend wissenschaftlich anerkannt wird, dass Umweltschadstoffe bei Krebs- und bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bei Diabetes mellitus als Teil eines multifaktoriellen pathologischen Geschehens eine wichtige Rolle spielen – diese Anerkennung aber andererseits als Teil der Gemengelage für die Krankheitsentstehung der EmKE meist in Frage gestellt wird.

3.2.6 Die Europäische Initiative für Humanes Biomonitoring/HBM4EU

European Human Biomonitoring Initiative/HBM4EU ist ein auf fünf Jahre angelegtes europäisches Forschungsprojekt, das vom deutschen Umweltbundesamt koordiniert wird. Es ist 2017 gestartet und wird bis Ende 2021 laufen. Um die Datenlage zum Human-Biomonitoring in den Mitgliedstaaten der EU zu erfassen und die gesundheitlichen Folgen der Schadstoffbelastung besser zu verstehen fördert die EU-Kommission das Projekt mit über 74 Millionen Euro im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020. Ziel ist es, ein EU-weites Exzellenzzentrum für Forschung und Innovation zu schaffen und die europäischen Kapazitäten für die Risikobewertung von Chemikalien zu stärken. Das Umweltbundesamt informiert:

„Auf europäischer Ebene fehlen harmonisierte Informationen über die Schadstoffbelastung von Bürgern durch Umweltchemikalien und deren Zusammenwirken mit anderen gleichzeitig auftretenden Umweltbelastungen sowie den Auswirkungen auf die Gesundheit. Dies erschwert eine zuverlässige Risikobewertung und -steuerung von Umweltchemikalien. Jeder von uns ist im Alltag einem komplexen Mix von Chemikalien ausgesetzt – durch Umwelteinflüsse, Produkte, Kosmetika, Lebensmittel, Trinkwasser und am Arbeitsplatz. Für viele Umweltchemikalien sind die gesundheitlichen Auswirkungen, die mit einer lebenslangen Exposition einhergehen, unbekannt. Zudem ist das Wissen über gesundheitliche Auswirkungen von Chemikalienmixturen begrenzt.“ 3.2.6/1 UBA

Mit Hilfe von Human-Biomonitoring werden die Belastung der Menschen in Europa durch Schadstoffe untersucht und deren Auswirkungen auf die Gesundheit erforscht, um die politische Entscheidungsfindung zu unterstützen. Unter anderem sollen Referenzwerte für die Belastung der Bevölkerung erarbeitet werden. Gemessen werden Umweltchemikalien, deren Stoffwechselprodukte und Wirkungs-Marker in Blut und Urin. Ziel ist die Verbesserung der Risikobewertung von Chemikalien. Die HBM4EU-Partner arbeiten mit politischen Entscheidungsträgern zusammen, um z. B. Maßnahmen zur Risikominderung zu entwickeln und bestehende Regulierungen und Richtlinien zu prüfen. 30 Partnerländer sind an dem Projekt beteiligt. 3.2.6/2 HBM4EU Für erste Substanzen liegen bereits wissenschaftliche Monografien vor. Fact-sheets mit Informationen für die Bevölkerung werden derzeit vorbereitet. 3.2.6/3 HBM4EU

Was ist Human-Biomonitoring?

Messung der Konzentration von Schadstoffen bzw. deren Stoffwechselprodukte in humanbiologischem Material (Blut, Serum, Muttermilch, Harn, Haare, Zähne, Ausatmungsluft, Sektionsmaterial etc.). Die Bewertung der Messergebnisse geschieht auf Basis von Referenzwerten sowie umweltmedizinisch-toxikologisch abgeleiteten, so genannten Human-Biomonitoring-Werten (HBM-Werte).

Was ist Effektmonitoring?

Messung von biologischen Parametern, die auf Belastungen durch chemische, physikalische oder biologische Faktoren reagieren bzw. deren Wirkungen anzeigen (Wirkungsparameter). Die Bewertung der Messergebnisse geschieht anhand von Referenzwertvergleichen bzw. vergleichbarer Untersuchungen an einem Kontrollkollektiv.

Europaweit Chemikalien im Blut

Der World-Wide-Fund WWF und The Co-operative Bank nahmen im Dezember 2003 47 Personen aus ganz Europa, darunter 39 Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Blut ab und analysierten es auf beachtliche 101 Chemikalien aus fünf Gruppen: Chlororganische Pestizide einschließlich DDT, PCBs, bromierte Flammschutzmittel, Phthalate und perfluorierte Verbindungen. Insgesamt wurden 76 verschiedene der 101 untersuchten Chemikalien im Blut der Probanden gefunden.

„Die Ergebnisse zeigen weiter, dass die höchste Anzahl von Chemikalien in einer Person 54 betrug, während der Medianwert der gefundenen Chemikalien bei 41 lag. Mindestens 13 der gleichen Chemikalien wurden in jeder einzelnen getesteten Person gefunden, darunter Chemikalien, die in Europa vor mehr als 20 Jahren verboten wurden, aber auch Chemikalien, die heute weit verbreitet sind, wie Phthalate und perfluorierte Verbindungen.“ [Ü.d.A., Hervorhebung durch die Autorin] 3.2.6/4 Panda

3.3 Chemikalien, Schwermetalle, Feinstaub und Elektrosmog

Von was sprechen wir beim Thema Umweltschadstoffe? In diesem Unterkapitel werden exemplarisch einige Umweltschadstoffe beschrieben, ihre (toxischen) Eigenschaften, ihr Aufkommen und ihre Wirkung auf unsere Gesundheit. Die vorgestellten Schadstoffe sind Teil der alltäglichen kollektiven Grundbelastung in der Bevölkerung.

3.3.1 Chemikalien und Kunststoffe

Synthetische Substanzen

1907 wurde „Bakelit“ erfunden, das war der erste Kunststoff, der keine in der Natur bekannten Moleküle enthielt, also vollständig synthetisch hergestellt wurde. Synthetische Kunststoffe bestehen aus Erdöl, das aufbereitet wird. Nach dem zweiten Weltkrieg begann mit der Erfindung von Polyvinylchlorid/PVC, das aus den Abfällen der chemischen Industrie hergestellt wurde, ein rasanter Anstieg der Produktion, der bis heute anhält.

Die Langzeit- und Kombinationswirkungen synthetischer Materialien werden nicht ansatzweise systematisch untersucht. Das Design solcher Studien würde dem Lottospiel gleichen, allerdings nicht mit 49 Komponenten, sondern mit Millionen. Das ist unüberschaubar. Dennoch befinden sich Chemikalien heute in unseren Alltagsprodukten.


Der menschliche Organismus wird zum Versuchslabor der Langzeit- und Kombinationswirkungen.

Der US-amerikanische Chemical Abstract Service/CAS gilt als klassische Referenzdatenbank für chemische Substanzen. Jeden Tag werden etwa 12.000 neue Substanzen in die CAS-Registry Datenbank aufgenommen. Derzeit sind insgesamt über 140 Millionen Substanzen registriert, darunter auch genbiologisch relevante Stoffe, wie DNA-Sequenzen und Eiweißstoffe.


Heute werden weltweit jedes Jahr ca. 500 Millionen Tonnen Chemikalien produziert.Chemikalien können krebserregend, erbgut- oder fortpflanzungsschädigend sein, hormonelle Ampeln von Rot auf Grün schalten, oder umgekehrt (fachsprachlich: endokrine Disruptoren), sie können persistierend (langlebig) sein und sich in der Umwelt ansammeln (bioakkumulativ).


Abb. 3.3.1/1 Chemikalien: Schädlichkeit kaum untersucht

Prof. Dr. Martin von Bergen, Helmholtz-Institut München, im Erklär-Video: „Exposom“:

„Weltweit sind über 140 Millionen künstliche Chemikalien bekannt, nur 22.000 davon sind im Rahmen der europäischen Chemikalienzulassung REACH seit 2008 registriert worden. Schätzungsweise 70.000 Substanzen befinden sich im täglichen Gebrauch, darunter sind Gifte wie Pestizide und Herbizide, aber auch Stoffe wie Weichmacher, sogenannte Phtalate, die zur Verbesserung der Haptik von Gebrauchsgegenständen dienen.“ 3.3.1/1 (Abb.) Von Bergen

Zum Beispiel: Mikroplastik

Als Mikroplastik werden Plastikteilchen von mikrometrischer Größe bezeichnet. Zu finden sind die Teilchen überall: In den Ozeanen (ca. 70 Millionen Tonnen), im Boden und in der Luft, in Lebensmitteln, u.a. in Salz und in Fischen, selbst in der menschlichen Plazenta.

Charles Rolsky von der Arizona State University und Kollegen untersuchten 47 menschliche Gewebeproben auf Mikro- und Nanoplastik – sie wurden zu 100 Prozent fündig, wie sie auf der virtuellen Jahrestagung der American Chemical Society 2021 berichten.

Zuvor hatte Kieran Cox von der Universität in Victoria/Kanada mit seinem Team schon 2019 gezeigt, dass erwachsene Amerikaner durchschnittlich zwischen 39.000 und 52.000 Plastikpartikel jährlich mit der Nahrung aufnehmen, wobei die Anzahl auf 74.000 bis 121.000 Partikel pro Jahr anstieg, wenn die Aufnahme über die Atmung hinzugerechnet wurde. 3.3.1/1 Cox et al.

Die Gesundheitsgefahr potenziert sich durch die Tatsache, dass Nanoplastik eine extrem große spezifische Oberfläche hat, an der Giftstoffe oder Schwermetalle binden können und so in den Organismus gelangen. Studien mit Wildtieren zeigten bereits, dass Mikro- und Nanoplastik Krebs, Unfruchtbarkeit und Entzündungen auslösen können.

Zwei Physiker, Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlandes und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona, haben nun eine sehr beunruhigende entzündliche Wirkung an Lipidmembranen nachgewiesen, die die letzte Schutzbarriere der Zellen gegenüber der Umwelt darstellen. Mikroplastik dehnt die Membrane der roten Blutkörperchen und reduziert dadurch signifikant deren mechanische Stabilität.

„Anscheinend entzündet sich die Membran der roten Blutkörperchen des Menschen spontan“ erklärt Jean-Baptiste Fleury. 3.3.1/2 Uni Saarland

Zum Beispiel: Pestizide

Als Pestizide werden chemische Stoffe bezeichnet, die Organismen (Tiere, Pilze, Pflanzen, Mikroorganismen) abtöten oder lebenswichtige Funktionen blockieren. Im Jahr 2016 waren 1.453 Pestizidprodukte in Deutschland zugelassen. Auf einem Hektar Ackerland werden jährlich durchschnittlich 2,5 Kilogramm Pestizide eingesetzt.

Man unterscheidet:

 „Pflanzenschutzmittel“: Im Agrar-, Forst- und Gartenbereich werden sie in Form von Saatgutbeizung, Spritzung oder als Granulat eingesetzt. Dazu gehören: Herbizide („Unkraut“vernichtung) als quantitativ stärkste Gruppe, sowie Fungizide (gegen Pilzbefall), Insektizide (gegen Insekten) und Akarizide (gegen Spinnen).

 Biozide: Substanzen und Produkte, die im nicht-agrarischen Bereich gegen Insekten, Mäuse oder Ratten, aber auch Algen, Pilze oder Bakterien eingesetzt werden.

Die Zulassung von Pestiziden wird vom Landwirtschaftsministerium koordiniert, das sich mit weiteren vier Behörden abstimmt. Das schwerfällige Verfahren führt zu erheblichen, teils jahrelangen Verzögerungen der Überprüfungen.

Pestizidbelastung durch Abdrift

Im September 2020 wurde eine Studie zur Pestizidbelastung durch Luftverfrachtung (fachsprachlich: Abdrift) veröffentlicht, die das Umweltinstitut München gemeinsam mit dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (dem 45 Bio-Unternehmen, die Bürgerinitiative Landwende und die Schweisfurth-Stiftung angehören) in Auftrag gegeben hatte. An 116 Standorten in ganz Deutschland wurde die Luft auf Pestizide untersucht, darunter auch Schutzgebiete. Gesammelt wurde in u.a. durch Passivsammler und mit Hilfe von Luftfiltermatten aus Passivhäusern. Das Umweltinstitut informierte:


In nahezu allen Proben wurden Rückstände von mehreren Pestiziden gefunden – egal, ob auf dem Land, in Schutzgebieten oder in der Stadt untersucht wurde.

 Insgesamt fanden sich in den verschiedenen Sammelmedien 124 unterschiedliche Pestizidwirkstoffe sowie 14 Abbauprodukte von Pestiziden.

 Darunter waren auch fünf Substanzen, für die – nach Einschätzung der für die Bewertung von Pestiziden zuständigen Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA – die Luftverfrachtung nicht zu erwarten war.

 30 % der nachgewiesenen Pestizidwirkstoffe waren in Deutschland zum jeweiligen Messzeitpunkt nicht mehr (DDT, Lindan) oder noch nie zugelassen.

Die Studie und Informationen zum Thema finden Sie auf den Webseiten des Umweltinstituts München. 3.3.1/3 Umweltinstitut München

Und die Behörden?

Von staatlicher Seite gibt es – bei einer jährlichen Verwendung von mittlerweile jährlich durchschnittlich mehr als 30.000 Tonnen an Pestizid-Wirkstoffen – keine umfassenden behördlichen Untersuchungen zur Luftverfrachtung. Am 6. August 2020 – im Jahr 128 nach der Ausbringung des ersten synthetischen Pestizids Dinitrocresol im Jahr 1892 – informierte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL, dass ein Gutachten zur Darstellung und Erörterung der Verfrachtungsproblematik geplant sei. 3.3.1/4 BVL Vorgeschlagen wird ein bundesweites Monitoring zur Verfrachtung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen über die Luft. Am 28.08.2020 kam das BVL dem mehrfach geäußerten Wunsch nach einer Veröffentlichung der Machbarkeitsanalyse nach. 3.3.1/5 BVL


⇒ Weitere InformationenDie EU-Chemikalienverordnung REACH2007 trat die EU-Chemikalienverordnung REACH in Kraft. REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals/Deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, die von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA umgesetzt wird. Derzeit können in einem Zeitraum von fünf Jahren die Unterlagen von ca. 1.000 Chemikalien geprüft werden. Informationen z. B. vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. 3.3.1/6 BMUEine „Kandidatenliste“ der als „besonders besorgniserregende Stoffe“/„Substances of Very High Concern/SVHC“ identifizierten Chemikalien kann bei der Europäischen Chemikalienagentur/ECHA eingesehen werden. Stand am 11.11.2020: 209 SVHC. 3.3.1/7 ECHAPestizidfreie KommuneDas Umweltbundesamt hat internationale Informationen und weiterführende Links zum Thema „pestizidfreie Kommune“ zusammengestellt. 3.3.1/8 UBASchadstoffe als Ursache oder Auslöser endokriner StörungenSchulte-Uebbing, C., Landenberger, M., Pfab, F., Antal, L.: Schadstoffe als Ursache oder Auslöser endokriner Störungen und chronischer Erkrankungen. Aminosäuren in der Prävention oder Therapie dieser durch Schadstoffe (mit) ausgelösten Erkrankungen. 3.3.1/9 Schulte-Uebbing et al.


⇒ Tipps für VerbraucherUmweltinstitut MünchenDas Umweltinstitut München fordert ein europaweites Komplettverbot chemisch-synthetischer Pestizide. Sie können ein „Pestizid-Infopaket“ anfordern und sich über die Europäische Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten informieren. 3.3.1/10 Umweltinstitut MünchenAsk REACH„Hersteller und Händler müssen Verbraucherinnen und Verbraucher auf Anfrage über „besonders besorgniserregende Stoffe“ in Produkten informieren. Die UBA-App Scan4Chem wurde im Rahmen des EU-LIFE-Projektes AskREACH mehrfach überarbeitet. Die neueste Version steht seit Oktober 2020 in Deutschland zum Download bereit. Die App ist mittlerweile in insgesamt 15 europäischen Ländern verfügbar.“ Zitat aus der Webseite. 3.3.1/11 UBABUNDDer Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland/BUND hat mit Unterstützung des Umweltbundesamts ein Internetportal entwickelt, auf dem man beim Anbieter eines Produktes nachhaken kann, ob gefährliche Chemikalien enthalten sind. Dort kann die Artikelnummer eines Produkts in ein Online-Formular eingegeben werden. Der entsprechende Hersteller wird dann automatisch ermittelt und eine Anfrage wird erstellt. Hersteller und Händler sind verpflichtet, Auskunft zu geben. 3.3.1/12 BUND Der BUND hat zur Vermeidung gefährlicher Chemikalien im Alltag zehn Tipps veröffentlicht. 3.3.1/13 BUNDThe ECOTOXicology Knowledgebase/ECOTOXECOTOX ist eine US-amerikanische öffentlich zugängliche Wissensdatenbank. Die ECOTOX-Datenbank enthält die über 30 Jahre archivierten Daten zu gemeldeten chemischen Auswirkungen auf ökologische Arten. 3.3.1/14 ECOTOX

3.3.2 Schwermetalle

Schwermetalle gelangen hauptsächlich durch menschliche Aktivitäten in die Umwelt. Der natürliche Eintrag, z. B. durch Verwitterung oder durch Vulkane ist relativ gering.

Unter dem Begriff „Schwermetall“ werden im allgemeinen Sprachgebrauch schädigende Metalle verstanden, streng chemisch gesehen sind auch Leicht- oder Halbmetalle darunter. Metalle wie Zink, Selen, Magnesium, Kupfer, Mangan und Kobalt sind essenzielle Spurenelemente, d.h. wir sind darauf angewiesen, sie in kleinsten Mengen aufzunehmen. Viele Schwermetalle wirken jedoch toxisch, manche schädigen uns hormonell und/oder wirken neurotoxisch. Für elf Substanzen ist eine hirnschädigende Wirkung eindeutig belegt. Dazu gehören Blei, Mangan, Quecksilber, Fluor- und Chlorverbindungen, sowie mehrere Pestizide und Lösungsmittel. Für weitere 214 Substanzen gibt es starke Hinweise, dass sie neurotoxisch wirken. Davon wird mindestens die Hälfte in großen Mengen produziert. Ob und wie diese Faktoren unser Erbgut verändern, wissen wir nicht. Die Hinweise mehren sich, dass Umweltfaktoren bei manchen Genen eine zunehmende Methylierung nach sich ziehen und so die Aktivitäten dieser Gene drosseln.


Schwermetalle schädigen uns doppelt: sie sind hochgiftig und sie entziehen uns lebenswichtige Mikronährstoffe. Der Einfluss von Schwermetallen wird unterschätzt, weil er, außer bei akuten Vergiftungen, nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann.Schwermetalle können, einmal in das Körperinnere gelangt, über Jahrzehnte gespeichert werden. Sie reichern sich lebenslang vor allem in Fettzellen an und sind durch die üblichen Urin- oder Serumblut- Untersuchungen kaum nachweisbar.

Ein makabres Detail am Rande: Krematorien müssen mit Spezialfiltern ausgestattet werden, weil die Toten schadstoffbelastet sind. Das hochtoxische Gemisch aus Schwermetallen, Dioxinen, Quecksilber und (Chemo-)Medikamenten, das sich am Ende eines Lebens im Körper angehäuft hat und bei der Verbrennung des Leichnams übrigbleibt, muss in Salzstöcken endgelagert werden.

Zum Beispiel: Blei

Exemplarisch für die Toxizität von Schwermetallen wird hier Blei beschrieben. Die organische Bleiverbindung Tetraethylblei wurde bis Ende der 1980er Jahre als Antiklopfmittel Benzin beigemischt und auch heute noch wird das Weichmetall Blei aus vielen Quellen in die Umwelt entlassen. Die Umweltprobenbank des Bundes fasst zusammen:

„Für viele Bleiverbindungen gelten folgende umweltrelevante Merkmale:

 Toxisch für Menschen

 Toxisch für aquatische und terrestrische Organismen

 Im Tierversuch kanzerogen, teratogen und reproduktionstoxisch

 Eventuell endokrin wirksam

 Bioakkumulationspotenzial: Blei wird von einigen aquatischen und terrestrischen Organismen und dem Menschen angereichert.“


Der Umweltgiftreport 2015 der Schweizer Stiftung Green Cross und der international tätigen Non-Profit-Organisation Pure Earth (New York) stufte Blei als das weltweit verheerendste Umweltgift ein.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft/DFG stuft Blei und seine anorganischen Verbindungen seit 2006 als krebserzeugend ein. Auch bei der Internationalen Agentur für Krebsforschung/IARC werden Blei und seine Verbindungen als möglicherweise/wahrscheinlich krebserregend eingestuft. In hohen Konzentrationen sind Bleivergiftungen tödlich. Blei und seine Verbindungen sind lungengängig, es wird jedoch vor allem über die Ernährung aufgenommen. Anders als z. B. Zink erfüllt Blei (wie auch Aluminium) keine Funktion im menschlichen Organismus.

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9783754949412
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