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Siebzehn Stressoren

Multisystemischen Komplex-Erkrankungen basieren stets auf einem biochemischen Ungleichgewicht, das von Prof. Martin L. Pall als „Nitrosativer Stresszyklus“ beschrieben wurde. } Siehe Kapitel 5.5 Prof. Pall weist darauf hin, dass 17 Stressoren bekannt sind, die synergistisch eine Schlüsselrolle bei der Krankheitsentstehung spielen:

„Es sind insgesamt 17 unterscheidbare kurzfristig auftretende Stressoren bekannt, die Fälle einer oder mehrerer der besprochenen Krankheiten [ME/CFS, MCS, FMS und PTBS, die Autorin] einleiten. Es ist auch bekannt, dass alle 17 Zykluselemente stimulieren können, was bekanntermaßen oder vermutlich zu einem Anstieg von Stickoxid und Peroxynitrit führt. Sie können also den Zyklus über diese Mechanismen einleiten.“ 3.4.1/4 Pall

Synergistische Wirkungen

Dr. rer. nat. Heike Sommer erforschte 2006 im Rahmen ihrer Dissertationsarbeit synergistische Kombinationswirkungen durch Gemische aus 2–8 Komponenten unspezifisch wirksamer Chemikalien in untoxischen Konzentrationen der Einzelsubstanzen an menschlichen Fibroblasten.

„Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten, dass alle Kombinationen auch unterhalb der Toxizitätsschwellen (NOEC-Werte) der sie enthaltenden Komponenten eine toxische Gesamtwirkung verursachten. [...] Gemische aus 2 Komponenten verstärkten die Toxizität der Einzelsubstanzen, und es zeigte sich, dass die Gemische deutlich toxischer waren als die jeweilige Substanz allein. [...] Je mehr Komponenten das Gemisch enthielt, umso geringer waren die erforderlichen Konzentrationen der einzelnen Komponenten, um einen bestimmten Effekt zu erzielen.“ 3.4.1/5 Sommer

Umweltrisiken durch Pestizid-Cocktails werden unterschätzt

lautete die Überschrift eines Artikels des Umweltbundesamtes zu einer 2021 veröffentlichten Studie über Pestizid- Mischungen:

„Auf unseren Äckern werden oft mehrere Pestizide gleichzeitig oder nacheinander verwendet. Wie die einzelnen Mittel zusammenwirken, wird vorher in der Zulassung nicht überprüft. Dort werden Mittel nur einzeln bewertet. Die Folge: Unerwünschte Kombinationswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt bleiben oft unentdeckt. Laut einer neuen Studie für das UBA muss sich das rasch ändern.“ 3.4.1/6 UBA


⇒ Weitere InformationenKühling, WilfriedMehrfachbelastungen durch verschiedenartige Umwelteinwirkungen. 3.4.1/7 Kühling

3.4.2 Die Synergie der multisystemischen Gesamtlast

In der Botanik gibt es eine Klasse von Erregern, die als Schwächeparasiten bezeichnet werden, also Parasiten, die z. B. Bäume nur dann schädigen können, wenn durch vorangegangene Wirkung anderer Faktoren deren Widerstandskraft geschwächt wurde. Derzeit schädigen hohe Tagestemperaturen, massive Niederschlagsdefizite und die daraus resultierende geringe Luftfeuchtigkeit die Wälder massiv und machen sie anfällig.


Auch im menschlichen Organismus hinterlassen Stressfaktoren Schäden, die die Widerstandskraft schwächen. Jetzt können, vor allem bei ohnehin vulnerabler Disposition, auch weniger virulente Erreger zu systemsprengenden Faktoren werden.

Es sollte gesamtgesellschaftlicher Konsens sein, dass wir unverzüglich und gemeinsam Maßnahmen ergreifen, um einen „Zell-, bzw. Mitochondriengesunden“ gemeinsamen Lebensraum zu schaffen – und zwar „von der Wiege bis zur Bahre“. Mehr Aufklärung über Lebensstilfaktoren, mehr Prävention und eine beherzte Eindämmung kollektiver Stressfaktoren sind keine realitätsfremden Forderungen. Wie viele Erkrankungen, Operationen, Medikamente, Pflegekosten sowie kostenintensive Untersuchungen wären vermeidbar?


Abb. 3.4.2/1 Die Gesundheitsausgaben steigen von Jahr zu Jahr

Die Gesundheitsausgaben steigen Jahr für Jahr. Im Jahr 2017 überschritten sie erstmals die Marke von einer Milliarde Euro pro Tag. Wie werden die Gesundheitsausgaben für die Corona-Jahre 2020/2021 aussehen? Quelle: Pressemitteilungen des Statistischen Bundesamtes: Nr. 109, 21. März 2019, Nr. 164, 12. Mai 2020; Nr. 167, 6. April 2021.


Abb. 3.4.2/2 100-Milliarden-Euro-Sprünge

Die Abstände der jeweiligen 100 Milliarden-Grenze werden geringer: Während zwischen 1998 bis 2012 14 Jahre lagen, verminderte sich die Zeitspanne zum nächsten 100 Milliarden Schritt im Jahr 2019 schon auf sieben Jahre. Quelle } Siehe Abb. 3.4.2/1

Blick in die USA

Prof. Naviaux erforscht nicht nur wissenschaftlich die Reaktion auf Zellgefahren, er weist in dem lesenswerten Artikel Perspective: Cell danger response Biology—The new science that connects environmental health with mitochondria and the rising tide of chronic illness auch darauf hin, dass eine Gesellschaft sich chronische Erkrankungen nicht nur aus humanistischer und ethischer Sicht nicht leisten kann, sondern dass ein „Weiter so“ auch wirtschaftlich zu einem Desaster führt:

„Die wirtschaftlichen Kosten chronischer Krankheiten

Die Vereinigten Staaten geben heute jährlich 2,8 Billionen Dollar für die medizinische Versorgung von Kindern und Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen aus. Dies entspricht 86 % des US-Haushalts in Höhe von 3,3 Billionen US-Dollar für das Gesundheitswesen. Wenn die steigende Flut chronischer Krankheiten der letzten 30 Jahre unvermindert anhält, werden die Kosten der Gesundheitsversorgung in den USA bis 2025 voraussichtlich 5,5 Billionen Dollar übersteigen, was negative Auswirkungen verursacht, die den wirtschaftlichen Wohlstand nicht nur in diesem Land, sondern in vielen Ländern auf der ganzen Welt entgleisen lassen werden.

Was wäre, wenn ein neuer Ansatz in der Medizin in der Lage wäre, das Leiden und die Notwendigkeit einer teuren medizinischen Versorgung für nur 10 % der Menschen mit einer chronischen Erkrankung zu lindern? Dieser neue Ansatz würde jährlich 280 Milliarden US-Dollar (10 % mal 2,8 Billionen Dollar) in die US-Wirtschaft zurückbringen. Diese Einsparungen in einem einzigen Jahr würden die jährlichen Budgets der National Institutes of Health (NIH; 37 Milliarden Dollar), der Environmental Protection Agency (EPA; 8,7 Milliarden Dollar), der Food and Drug Administration (FDA; 5,1 Milliarden Dollar) und des US Department of Agriculture (USDA; 151 Milliarden Dollar) zusammen übersteigen.“ [Ü.d.A.] [Quellenhinweise im Originaltext] 3.4.2/1 Naviaux

Anmerkung: Das amerikanische „trillion“ im Originaltext entspricht der deutschen Billion, die amerikanische „billion“ entspricht der deutschen Milliarde.


⇒ Weitere InformationenThe 28th Amendment ProjectProf. Naviaux hat eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für eine Verfassungsänderung einsetzt, die das Recht, in einem Umfeld geboren zu werden, das keine chronischen Krankheiten verursacht, formuliert. Die bereitgestellten Grundlagen können auch als „Blaupause“ für andere Nationen verwendet werden. 3.4.2/2 Naviaux

3.5 Eine Herausforderung, der wir nicht gewachsen sind

Präventionsmaßnahmen basieren auf den Erfahrungswerten aus vergangenen Missständen oder Katastrophen. An Gefahren, die man erlebt hat, kann man sich erinnern und ist dadurch gewarnt. Gute Prävention trägt dazu bei, künftige Katastrophen vorausschauend zu verhindern.


Was aber, wenn menschheitsgeschichtlich neue, katastrophale Missstände auftauchen, für die keine tradierte Erfahrung vorliegt?

Christian Pfister, Prof. Emeritus für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte am Oeschger Zentrum für Klimaforschung, Universität Bern, Schweiz, beschreibt, dass Menschen durch häufige Erfahrungen von Naturgefahren eingespielte Praktiken zur Risikominimierung in ihre Lebensgewohnheiten integrieren. Sie verfügen dadurch über Praktiken zur Bewältigung von außerordentlichen Lebenslagen und stehen solchen Ereignissen nicht hilflos gegenüber.

„Zeit ist bei der Bewältigung von Katastrophen der alles entscheidende Faktor. Es kommt darauf an, ob das relevante Handlungswissen rasch genug abgerufen werden kann oder ob es erst durch Erinnerungsleistung aktiviert werden muss. Dies ist hauptsächlich abhängig von der Häufigkeit von Katastrophen.“ 3.5/1 Pfister

Die derzeitige Flutkatastrophe [Stand Juli 2021] zeigt, dass Warnungen nicht ernst genommen, bzw. weitregegeben wurden. Die britische Hydrologin Hannah Cloke konstatierte „Monumentales Systemversagen“, so Bernhard Junginger in der Augsburger Allgemeinen:

„Die Professorin der Universität Reading ist eine der Entwicklerinnen des europäischen Hochwasser-Warnsystems, über das die Regierungen Belgiens und Deutschlands bereits vier Tage vor Beginn des Hochwassers an Rhein und Meuse [deutsch: Maas] gewarnt worden seien. 24 Stunden vorher sei den deutschen Stellen dann nahezu präzise vorhergesagt worden, in welchen Gegenden schwere Überflutungen drohten. Genannt worden seien dabei auch jene Gebiete an der Ahr, in denen mehr als 110 Menschen als Folge der Überschwemmungen ihr Leben verloren. „Irgendwo ist diese Warnkette dann gebrochen, so dass die Warnungen nicht bei den Menschen angekommen sind“, sagte Cloke.“ 3.5/2 Augsburger Allgemeine

Am 13. Juli hatte der Deutsche Wetterdienst eine „Amtliche Gefahrenmeldung“ verschickt. Auch das European Flood Awareness System/EFAS warnte am selben Tag vor extremen Überflutungen.

Krise? Welche Krise?

Je präsenter eine vergangene Katastrophe als Risikobewusstsein in der Bevölkerung vorhanden ist, desto kompetenter ist der Umgang mit einer auftretenden Gefahr. Dann kann die Zeitspanne zwischen den ersten Hinweisen und dem Eintreten einer Gefahr optimal genutzt werden. Im besten Fall gibt es dazu von behördlicher Seite einen Krisenstab, ein ausgearbeitetes Schutzkonzept, Risikogruppen oder -zonen sind bekannt und Strategien für deren Rettung vorbereitet. Bei neuartigen Gefahren kann weder das individuelle noch das kollektive Gedächtnis auf Erfahrungen zurückgreifen. Die Corona-Pandemie und die Hochwasser der kleinen Flüsse legen derzeit national und international zahlreiche strategische Schwachstellen in der Katastrophenbewältigung offen.


Die Krise des ImmunsystemsWas die Krise des Immunsystems betrifft, liegen menschheitsgeschichtlich auch dazu keine Erfahrungen vor. Die Zunahme chronischer/multisystemischer Erkrankungen wird nicht in angemessenem Ausmaß als bedrohlich wahrgenommen. Die notwendige Gegensteuerung ist unzureichend.

Außerdem sind wir derzeit so vielen Krisen ausgesetzt – Klimakrise, Corona-Pandemie, Artensterben – dass wir nicht noch von einer weiteren erfahren wollen! Menschen fühlen sich in unsicheren Zeiten überfordert – das Bedürfnis nach Sicherheit, Klarheit und Überschaubarkeit wächst. Diese (verständliche) Haltung lässt die immunologische Krise nun aber leider nicht verschwinden.

„Zwar hat der technologische Wandel die Lebensbedingungen für die allermeisten Menschen enorm verbessert. Gleichzeitig bedroht dieser jedoch die Grundlage dieses Wohlstands, weil es so schwer ist, sich der Konsequenzen bewusst zu werden und heute Entscheidungen zu treffen, die kurzfristig übertrieben und unnötig erscheinen mögen, aber langfristig existenziell sein können.“ 3.5/3 Fratschner

Marcel Fratzscher kommentierte mit diesen Worten in der Wochenzeitschrift Die Zeit unsere mangelnde Weisheit im Umgang mit Katastrophen.

Mit jedem Land, das den westlichen Lebensstil mit der Vielzahl an Reizen und Stressfaktoren übernimmt, wird absehbar auch die Anzahl der NCD-Patienten und der EmKE-Patienten steigen.

Notwendig sind sofortige, beherzte Präventiv- und weitreichende Versorgungs-, bzw. Vorsorge-Maßnahmen und Aufklärung.


Wenn Katastrophen sich schleichend entwickeln, geht es uns wie dem Frosch, der nicht aus dem Kochtopf springt, wenn das Wasser langsam erwähnt wird. Er passt sich an – das ist sein Todesurteil.

„Diese Katastrophe war vermeidbar“

Ein unabhängiges Expertengremium, das eingesetzt worden war, um den Verlauf der Corona-Pandemie kritisch zu untersuchen, veröffentlichte im Mai 2021 das erarbeitete Gutachten. Das Ergebnis des Berichts war, dass ein „toxischer Cocktail“ aus Zaudern, fehlender Vorbereitung sowie unsachgemäße Reaktionen auf die Krise für das dramatische Ausmaß der Corona-Pandemie verantwortlich war. Bei der Vorstellung des Berichtes sagte die Co-Präsidentin des Gremiums, die Friedensnobelpreisträgerin und ehemalige liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf:

„Es gab eine Spirale von Versagen, Lücken und Verzögerungen bei der Vorbereitung und der Reaktion.“ zitierte die Berliner Zeitung am 13.5.2021. 3.5/4 Berliner Zeitung

„Wir haben in jeder Phase Versäumnisse festgestellt und wir glauben, dass es möglich gewesen wäre, diese Pandemie zu verhindern.“ [...] „Der Februar war ein vergeudeter Monat. Trotz eindeutiger Warnungen glaubten viel zu viele Länder, es würde sie nicht treffen und sie nahmen eine unwirksame, abwartende Haltung ein. Man werde keiner Einzelperson oder einzelnen Nationen die Schuld geben, aber letztlich war die Welt nicht vorbereitet auf die Krise. Man müsse daraus Lehren ziehen, um die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen, so die Kommission.“

zitierte Dietrich Karl Mäurer Frau Sirleaf weiter in einem Audio-Beitrag in der Tagesschau am 12.05.2021. 3.5/5 Mäurer Dadurch habe sich die „humanitäre Krise“ entwickelt, die die Experten als „Tschernobyl des 21. Jahrhunderts“ bezeichneten.

TEIL 3 EMKE SIND CHRONISCH-ENTZÜNDLICHE ERKRANKUNGEN

TEIL 3 beschäftigt sich mit der „Einverleibung“ der Umwelt in die „Innenwelt“, die vom Organismus mit der evolutionär bewährten Strategie der Entzündung beantwortet wird. Eine Entzündung ist ein physiologischer Prozess, sie stellt die archaische Abwehrreaktion des Immunsystems auf Krankheitserreger oder Fremdkörper dar. Im Fall permanenter Bedrohung, wie wir sie heute durch die multifaktorielle Gesamtlast erleben, wird diese Entzündung chronisch und verändert ihren Charakter. Die akute, heftige Entzündung, die typischerweise mit Fieber einhergeht, wird ersetzt durch eine dauerhafte, laue Entzündung (fachsprachlich Silent Inflammation), die an Durchschlagskraft verliert und systemisch/ganzkörperlich wirkt. Die Balance geht verloren.

Entzündungen schwächen und ermüden

Entzündungen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung des von Prof. Martin Pall erforschen und dokumentierten „Nitrosativen Stress-Zyklus“, der bildlich auch als „Biochemischer Teufelskreis“ bezeichnet wird. Dieser Zyklus trägt wesentlich zum das Verständnis Erworbener multisystemischer Komplex-Erkrankungen/EmKE bei. Weitere Erkenntnisse zur Krankheitsentstehung liefern u.a. die Mastzell-Forschung, die in TEIL 5, Kapitel 12 beschrieben wird und die „Antwort auf Zellgefahren“ nach Prof. Naviaux. Diese wird uns im Zusammenhang mit den Mitochondrien in TEIL 6, Kapitel 27.3 beschäftigen.

Kapitel 4 Einverleibt – wie Umwelt Innenwelt wird

Unsere Haut, bzw. unsere Schleimhäute sind Kontaktflächen, an denen sich der menschliche Organismus und die Umwelt begegnen. Sie trennen als immunologische Grenzbarrieren die beiden unterschiedlichen Welten.

Verwundbare immunologische Membrane, Filter und Barrieren


Je belasteter und geschwächter ein Organismus ist, desto schwerer fällt es ihm, Filtermembrane aufrechtzuerhalten. Und je giftiger Substanzen sind, desto zerstörerischer dringen sie in unsere Zellen, Gewebe und Organe ein.

Zigarettenrauch schädigt beispielsweise die oberflächlichen Epithelzellen der Lunge, die die natürliche Barriere für Schadstoffe darstellen. Dadurch haben krankheitserregende Stoffe einen leichten Zutritt in den Körper. Das Risiko für Entzündungen und chronische Erkrankungen wie COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) steigt an.

Entzündungen gehen mit verstärkter Bildung von freien Radikalen einher, es kommt zu oxidativem Stress in den Zellen. Die Fettstrukturen der Membranen, die jede Zelle einhüllen, werden angegriffen. Wir kennen diesen Prozess aus dem Alltag, wenn das Speiseöl durch zu langes Stehen ranzig wurde. Durch die Schädigung der Membranstrukturen wird die Ausschüttung entzündungsfördernder (fachsprachlich proinflammatorischer) Zytokine noch zusätzlich angefacht.


Die Invasion der UmweltMembrane und Barrieren werden heute lebensstilbedingt überreizt und pathologisch verändert. Sie neigen dazu, Fremdsubstanzen in Bereiche durchzulassen, in die sie nicht hingehören. Diese Substanzen, Partikel und Botenstoffe geben direkt oder indirekt Informationen an unsere Körperzellen weiter und haben damit einen wesentlichen Einfluss auf die regulativen Ablese-Vorgänge in unserem Erbgut.

Dringen z. B. hormonaktive Substanzen aus Kunststoffen ein, wirken sie wie natürliche Hormone. Sie können, bildlich gesprochen, hormonelle Ampeln von Rot auf Grün schalten und umgekehrt – und bringen so die körpereigenen Steuerungsprozesse durcheinander. Hormonelle und andere Faktoren addieren sich, z.T. wirken sie synergistisch. Diese Wucht chaotisiert den Stoffwechsel und überlastet auf Dauer die drei Kardinal-Regulationssysteme: Immun-, Hormon- und Nervensystem und ihre Subsysteme.

In der Folge wird das ganze Netzwerk des Organismus und der Psyche in Bedrängnis gebracht. Die Stressresistenz sinkt, unterschiedliche Reize werden nun nicht mehr vertragen, seien es Gerüche, Lärm oder Licht. Auch die Immunabwehrkraft nimmt ab. Das gehäufte Auftreten von Allergien, Autoimmun-Erkrankungen und Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten ist nicht verwunderlich.


Zugespitzt könnte man formulieren, dass die Umwelt sich heute mehr denn je parasitär in uns einschleicht. Ganz konkret mit Pestiziden, Feinstaub, Kohlendioxiden und im erweiterten Sinne mit dem inflationären Gebrauch von Medien und der dadurch verinnerlichten Informations-Überflutung. Unser Organismus scheitert jedoch an der Aufgabe, dieses „parasitäre Übermaß“ zu verarbeiten.Der Begriff „Umwelt“ führt deshalb in die Irre, suggeriert er doch eine gewisse Distanz. Tatsächlich berührt uns keine Umwelt, die nicht Innenwelt wird.

4.1 Die Darmschleimhaut – Vulnerabler Schutz gegen Eindringlinge

Die Aufnahme von Nahrung führt zu einer intensiven Auseinandersetzung zwischen Außenwelt (Nahrung) und Innenwelt (Organismus). Und das über eine Strecke von neun Metern und über einen Zeitraum von ca. 24 Stunden bis zur Ausscheidung.

Die gesunde Darmschleimhaut ist wie ein fein gewebtes Netz, sie ist nur für gut aufgeschlossene Nährstoffe in sehr kleinen Molekülen durchlässig. Durch die Summe schädlicher Einflüsse kann sich das Zellgeflecht der Darmwand erweitern. Die Schleimhautzellen, die durch Proteinbrücken (fachsprachlich „tight junctions“) verbunden sind, rücken für die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen normalerweise kurz auseinander, um sich sofort wieder zu schließen. Durch Stressoren lockern sie sich, der Darm wird „löchrig“, die verletzte Darmschleimhaut kann ihre Aufgaben kaum mehr adäquat erfüllen. Dies geht mit einer permanent erhöhten Entzündungsbereitschaft einher.

Das Leaky-Gut-Syndrom /LGS

Die Störung der immunologischen Barriere wird „Leaky-Gut-Syndrom“/LGS genannt. „Leaky-Gut“ heißt wörtlich übersetzt „Undichter Darm“ oder „durchlässiger Darm“. Da die Durchlässigkeit aber kein eigentliches Krankheitsmerkmal ist (Nährstoffe sollen ja durchgelassen werden) lässt sich der englische Begriff wohl besser mit „Sickerdarm“ übersetzen.

Jetzt gelangen Makromoleküle (wie größere Eiweißmoleküle), Infektionserreger (wie Schadstoffe oder Allergene) und bakterielle Lipopolysaccharide /LPS (fachsprachlich Endotoxine) durch die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf. Jetzt kann es in den Blutgefäßen durch die eingeschleusten Erreger zu entzündlichen Immunreaktionen kommen. Weitere natürliche Eindringlinge wie Viren, Salmonellen oder Parasiten haben unter diesen schwächenden Bedingungen leichteres Spiel.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Sickerdarm als „Intestinale Autointoxikation“ also „Selbstvergiftung über den Darm“ bekannt. Der Sickerdarm ist weit mehr als nur eine harmlose Darmstörung. Die geschundene Darmschleimhaut kann unter Dauerbelastung nicht regenerieren und wird immer weiter geschädigt – das kann bis zum Schleimhautuntergang führen.

Typische Anzeichen für einen Sickerdarm sind:

Völlegefühl, Blähungen, Krampfzustände des Darms, wechselnde Stuhlbeschaffenheit, Müdigkeit, Erschöpfung, Migräne, Muskelschmerzen, Infektanfälligkeit, Leistungsabfall, Allergien, Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, Entzündungen von Haut, Schleimhaut oder Gelenken, depressive Stimmungen.

Mögliche Folgen des Sickerdarms

Allergien

Die Makromoleküle, die durch einen Sickerdarm in das Blut wandern, werden als Fremdkörper erkannt und bekämpft: Die Darmschleimhaut sendet Botenstoffe, die Helferzellen gegen Entzündungsvorgänge mobilisieren sollen, z. B. IgE Antikörper gegen Fremdstoffe. Die übermäßige Ausschüttung von IgE führt zu Allergien vom Soforttyp (Typ 1).

Risiko Autoimmun-Erkrankungen

Durch die Masse der Fremdkörper, die die Darmwand durchdringen, bleibt das Immunsystem im Dauereinsatz. Das kann zu Fehl-Reaktionen führen: statt den eigenen Organismus zu schützen, werden nun möglicherweise eigene Körper- oder Immunzellen angegriffen. Die Schwächung immunologischer Barrieren (die Darmschleimhaut, aber auch die Bronchial-Barriere oder die Blut-Hirn-Schranke) könnte somit das bislang unverstandene Bindeglied sein, das zur Entstehung von Autoimmun-Erkrankungen führt.

Prof. Dr. Alessio Fasano, Professor für Kindergastroenterologie an der Harvard Medical School und anerkannter Zöliakie-Experte, hat in einer 2012 veröffentlichten, vielbeachteten Arbeit mit dem Titel Leaky Gut and Autoimmune Disease (Deutsch: Leaky-Gut und Autoimmunerkrankungen) den Wissensstand zusammengefasst. Er wies auf Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Fehlfunktionen in der Darmbarriere und der Ausbildung einiger (Autoimmun)-Erkrankungen hin. 4.1/1 Fasano

Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten keine zu belächelnden Marotten sind, sondern Folgen einer Darmstörung. Die verletzte Darmschleimhaut kann keine geeigneten Rezeptoren für bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Gluten, Fruktose) anbieten, diese wandern folglich unverdaut in den Dickdarm. Dort kommt es zu weiteren Darmstörungen wie Blähungen, Verstopfung oder Durchfall. Der Darmspezialist und Autor Klaus-Dietrich Runow weist insbesondere auf Gluten (Klebereiweiß in Getreidesorten wie Weizen, Dinkel und Gerste, verarbeitet in Brot und Nudeln) als bisher unterschätzten Risikofaktor hin. Bei seinen Patienten erlebte der Arzt schädigende Folge-Erkrankungen (insbesondere des Nervensystems) durch den Verzehr von unverträglichem Gluten. } Siehe Buchtipps auf den Serviceseiten.

Energiemangel

Die Verdauung komplexer Zucker und deren Abbau zu Essigsäure, Buttersäure und Propionsäure kann durch Dysbiosen gestört werden. Diese Säuren stillen nicht nur ca. 30 % des Energiebedarfs des Körpers, sondern balancieren auch die Immuntoleranz. Ein Defizit an diesen Substanzen bewirkt eine verminderte Bereitstellung von lebensnotwendiger Energie. Ein durchlässiger Darm kann zu Müdigkeit und Abgeschlagenheit führen.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Unter dem Begriff „chronisch entzündliche Darmerkrankungen“, kurz CED, werden alle Krankheitsbilder zusammengefasst, die durch schubweise wiederkehrende oder auch dauerhaft auftretende Entzündungen des Darms charakterisiert sind. In Deutschland leiden etwa 320.000 Menschen an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, die mit chronischen Durchfällen, Fieber, Schmerzen und psychischen Belastungen einhergeht. } Siehe Kapitel 21 und 37.2

4.2 Die Blut-Hirn-Schranke: Das gefährdete Gehirn

Die Blut-Hirn-Schranke

Die Blut-Hirn-Schranke /BHS bildet die Barriere zwischen den Blutgefäßen, bzw. Kapillaren des Gehirns und dem empfindlichen Hirngewebe. Während Schädel, Hirnhaut und Liquor vor physikalischen Schäden schützen, dient die Blut-Hirn-Schranke der Abwehr von Krankheitserregern und Giftstoffen, die sich in unserem Blut befinden können. In den Kapillaren, die die Blut-Hirn-Schranke bilden, sind die Endothelzellen, die das Innere aller Blutgefäße auskleiden, extrem eng ineinander verkettet und bilden so genannte „tight junctions“.

Der enge Spalt lässt nur Partikel in das Hirngewebe passieren, die aus sehr kleinen Molekülen bestehen (mit einem Durchmesser kleiner als 20 nm), sowie fettlösliche Moleküle und einige Gase. Einige größere Moleküle, wie z. B. Glukose, können mit Hilfe spezifischer Transporter-Proteine eindringen.

Zum Beispiel: Nanopartikel/Amalgam

Künstliche Nanopartikel sind Millionstel Millimeter klein, sie können die BHS und andere Körperbarrieren passieren. In der Medizin macht man sich diese Fähigkeit zunutze, indem Nanopartikel als „Taxi“ dienen und mit Arzneistoffen beladen werden. 98 % aller chemischen Medikamente gelangen ohne dieses Hilfsmittel nicht in das Gehirn. Mittlerweile werden auch in Kosmetika und in Pflegemitteln, also in Alltagsprodukten, häufig Nanopartikel verwendet – ohne dass sie gekennzeichnet werden müssten. Wenn bei der Verwendung von Amalgam in der Zahnmedizin keine maximalen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, passieren auch die hochgiftigen Quecksilberdämpfe die BHS.

Noxen, z. B. Biozide aus der Landwirtschaft (Insektizide, Pestizide, Herbizide) oder Gewebegifte wie Lösungsmittel, Schwermetalle oder Klebstoffe können potenziell neurotoxisch wirken.

Die verletzte Barriere

Auch bei Diabetes mellitus nimmt die Barrierefunktion der BHS aufgrund der Bildung von entzündungsfördernden glykosylierten Endprodukten mit zunehmender Krankheitsdauer ab.

Dann kann es zu einem Anstieg der Erreger im Gehirn und zu lebensbedrohlichen Entzündungen kommen. Faktoren wie Fieber, Tumore, Infektionen, Vergiftungen, Hirninfarkte und andere Traumen, aber auch elektromagnetische Strahlungen können zu weiteren Einschränkungen der Barrierefunktion führen. Die Blut-Hirn-Schranke weist natürliche Lücken auf, zum Beispiel für eintretende Gehirnnerven wie die Riechnerven. Auch diese Schlupflöcher bergen die Gefahr, dass unerwünschte Moleküle aus dem Körper bis zum Gehirn gelangen.

Neuroinflammation

Bei gesunder BHS gelingt es nur einem Bruchteil von Erregern, die dichte Barriere zu durchdringen. Eine übermäßige multistressorische Gesamtlast wirkt sich über das vegetative Nervensystem jedoch ungünstig auf die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke aus und kann zu übermäßigen entzündlichen Immunreaktionen führen. Fachsprachlich wird die Entzündung des zentralen Nervensystems als Neuroinflammation bezeichnet. Anders als bei Entzündungen in der Peripherie treten bei einer Gehirnentzündung keine typischen Entzündungszeichen wie Schwellung, Rötung oder Schmerzen auf.

Zu den Gehirn-Entzündungen zählen z. B. Meningitis (Hirnhautentzündung), Enzephalitis (Hirnentzündung) Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Herpes Simplex-Enzephalitis sowie Slow-Virus-Erkrankungen (z. B. Creutzfeldt-Jakob-Krankheit CJD).

„Bei einer Überstimulierung verhalten sich die Mikrogliazellen so irrational wie Verrückte mit einer Kalaschnikow. Sie scheuchen alles auf, was vorbeikommt und feuern mit ihren „Maschinengewehren“ 360 Grad um die eigene Achse, auch auf gesundes Hirngewebe.“

So drastisch schildert der renommierte Forscher und Kliniker Datis Kharrazian das Geschehen in seinem lesenswerten Buch Was ist bloß mit meinem Gehirn los? Weiter führt der Experte aus:

„Es muss betont werden, dass Mikrogliazellen nicht per se schlecht sind. Das Problem besteht darin, dass sie nicht gut in einem Milieu funktionieren, zu dem industriell verarbeitete, gentechnisch veränderte und entzündungsfördernde Nahrungsmittel, Schwermetalle, Bakterien, Umweltschadstoffe oder andere schädliche Substanzen gehören, die alle zu einer Steigerung ihrer Aktivität führen.“ 4.2/1 Kharrazian


Hier gibt es Parallelen zu Cortisol. Auch das Stresshormon ist nicht per se „schlecht“, kann aber unter Dauerstress Schaden anrichten. In Kapitel 5.5 werden wir sehen, dass ähnliches auch für freie Radikale gilt. Auch sie schaden nur, wenn sie in Scharen auftreten.Es geht immer um ein Zuviel an Reizen/Stressoren, die nicht bewältigt werden können.

Das Corona-Spike-Protein kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden

Von Beginn an zeigten COVID-19-Patienten neurologische Symptome, bis hin zu Schlaganfällen, sowie Geruchs- und Geschmacks-Ausfälle, oft auch noch Monate nach der akuten Infektion. Patienten berichten insbesondere über unklare Symptome wie Benommenheit, Verlangsamung der kognitiven Fähigkeiten, Gedächtnisprobleme und/oder Wortfindungsstörungen, die mit dem englischen Begriff „Brainfog“ („Gehirnnebel“) zusammengefasst werden. Für schwer Betroffene kann sich das wie eine beginnende Demenz anfühlen.

Die genauen Zusammenhänge werden derzeit noch erforscht, aber Autopsien verstorbener COVID-19 Patienten zeigten: Virusproteine konnten sowohl im Hirnstamm als auch in Nerven, die aus dem Hirnstamm entspringen, nachgewiesen werden. Das Spike-Protein des Coronavirus SARS-CoV-2 ist offenbar in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.


VersäumnisseDie oben beschriebenen neurologischen Symptome sind schon lange bei ME/CFS-Patienten bekannt. Auch hier berichten betroffene Patienten überwiegend, dass sich die Krankheit postviral entwickelt hatte. Über Jahrzehnte wurde zu wenig geforscht, obwohl das von Interessengruppen wiederholt eingefordert wurde. Stattdessen wurde fälschlicherweise auf psychogene Zusammenhänge verwiesen.


⇒ Weitere InformationenInternational Brain Barriers Society (IBBS)Die IBBS ist die weltweit größte Organisation von Wissenschaftlern, Klinikern, Postdoktoranden und Studenten, die sich dem Verständnis der biologischen Barrieren von Gehirn und Nervensystem widmen. 4.2/2 IBBS

Kapitel 5 Entzündung, Teufelskreise und Mastzellen

Erreger und Fremdstoffe haben leichtes Spiel, wenn die Filterfunktionen unserer Grenzbarrieren aufgrund der multifaktoriellen Gesamtlast nicht aufrechterhalten werden können, das haben wir am Beispiel der Darmschleimhaut und der Blut-Hirn-Schranke gesehen.

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9783754949412
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