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Chronisch-entzündliche ErkrankungenDie bekannten klassischen Chronischen Zivilisations-Erkrankungen/NCDs } Siehe Kapitel 1.1 sind, ebenso wie die – bislang weitgehend ignorierten – Erworbenen multisystemischen Komplex-Erkrankungen/EmKE chronisch-entzündliche Erkrankungen.

Die NCDs sind Krankheiten, die parallel zur Industrialisierung entstanden sind und entstehen. Sie sind, laut WHO, „das Ergebnis einer Kombination aus genetischen, physiologischen, umweltbedingten und verhaltensbedingten Faktoren“. Das gilt gleichermaßen für die EmKE. Das Immunsystem ist daueraktiviert, keine Zelle, kein Gewebe, kein Organ – vom Kopf bis zum Fuß – ist vor Entzündung gefeit, es kommt über kurz oder lang zu Schädigungen. Vom Gehirn über den Zahn-Kieferbereich, die Blutgefäße, die Nervenmembranen im Rückenmark, über Darmentzündungen – bis hin zum diabetischen Fuß.


Dabei macht das tüchtige, aber „altmodische“ Immunsystem alles richtig: Es bekämpft mit dem archaischen Tool, das ihm zur Verfügung steht – nämlich der Entzündung – potenziell Feindliches. Das hat über Jahrmillionen funktioniert.

Das Immunsystem ist ein über den ganzen Organismus verteiltes, sehr komplexes und schlagkräftiges Netzwerk aus spezialisierten Immunzellen und im Blut gelösten Molekülen. Dennoch zeigt der enorme Anstieg der chronisch-entzündlichen Erkrankungen, dass der Einsatz letztlich dem aussichtlosen Kampf des Don Quijote gegen Windmühlenflügel gleicht. Das Immunsystem verausgabt sich. Wie bei der Stressantwort wird aus einem sinnvollen physiologischen Prozess ein pathologischer.


Hier wie dort geht es um ein Zuviel, weil eine Strategie, die für Akut-Situationen entstanden ist, nun unlimitiert verläuft.

Durch den Dauereinsatz verschwimmen die Grenzen zwischen Freund und Feind, zwischen Eigenem und Fremden, zunehmend wird auch eigenes Gewebe angegriffen – Autoimmun-Erkrankungen nehmen von Jahr zu Jahr zu. } Siehe Kapitel 5.2.1

Langandauernde Infekte sind Ausdruck einer verminderten und ineffizienten Immunreaktion. Das folgende Zitat ist einem Artikel entnommen, in dem Dr. Volker von Baehr, Spezialist für Laboratoriums-Medizin, auf die Diagnostik insbesondere der verminderten Immunreaktionen/Immundefekte eingeht.

„Wenn man bedenkt, dass dieselben Zellen und Immunmechanismen sowohl für die positiven (gewollten) Immunantworten (z. B. Infektabwehr) wie auch für die krankmachenden Abwehrreaktionen (Allergie, Autoimmunität, chronische Entzündung) verantwortlich sind, wird deutlich, dass Regulation und Kontrolle die letztendlich wichtigsten Aufgaben eines gesunden Immunsystems darstellen.“ 5/1 Von Baehr


Die Krise des ImmunsystemsDiese wichtigen immunologischen Aufgaben der Regulation und der Kontrolle sind unter den heutigen Lebens- und Umgebungsbedingungen, die zu einer chronifizierten/chaotisierten Immunaktivierung führen, nicht mehr gewährleistet.


Abb. 5/1 Chronische Immunaktivierung

Das Immunsystem entscheidet nicht nur zwischen „fremd“ und „nicht-fremd“, sondern auch zwischen „tolerierbar/ungefährlich“ und „gefährlich“.

Chronisch entzündliche Erkrankungen

Entzündungsbedingte Fehlfunktionen nehmen in den Industriestaaten, insbesondere in Europa, Nordamerika und Ozeanien in erschreckendem Ausmaß zu. Allein in Deutschland leiden Millionen von Menschen unter chronisch entzündlichen Erkrankungen. Prof. Stefan Schreiber erklärt:

„Man weiß zum Beispiel, dass Menschen, die an Schuppenflechte, an Morbus Crohn oder an rheumatoider Arthritis erkrankt sind, später häufig auch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Das zeigen viele Studien. Aber warum ist das so? Das gilt es zu hinterfragen. Und wenn man das tut, dann ist man schnell an einem Punkt: das sind alles Entzündungen – das hängt alles zusammen. Entzündungsprozesse in Gefäßen begünstigen die Arteriosklerose; wenn daraufhin ein Gefäß im Herzen verstopft, kommt es zum Herzinfarkt; ist ein Gefäß im Gehirn betroffen, folgt der Schlaganfall. Im Darm verursachen Entzündungsprozesse die Krankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, in der Haut kommt es zu Schuppenflechte, In der Lunge zu Asthma. Auch Gelenke werden durch anhaltende Entzündungen zerstört. Das sind Krankheiten, die sich mit sehr unterschiedlichen Zeichen äußern – aber der unterliegende krankmachende Prozess, die chronische Entzündung, ist immer gleich. Das bestätigt auch die alltägliche klinische Erfahrung. Man muss nur genau hinschauen.“ 5/2 BMBF

NCDs zweiter Klasse

Zivilisations-Erkrankungen/NCDs sind chronisch-entzündliche Erkrankungen. Der „unterliegende krankmachende Prozess, die chronische Entzündung, ist immer gleich“ sagt Prof. Schreiber. Das gilt nicht nur für die NCDs, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Psoriasis, Neurodermitis, Rheuma, Asthma, Parodontitis und Multiple Sklerose – sondern in gleichem Maß für die Erworbenen multisystemischen Komplex- Erkrankungen/EmKE.


EmKE sind in den derzeitigen medizinischen Strukturen entweder kaum im Bewusstsein oder sie werden als psychogen fehldiagnostiziert. Sie sind statistisch kaum erfasst und werden bisher leider auch nicht bei Studien zu NCDs berücksichtigt.EmKE sind aufgrund ihrer Komplexität „Zivilisations-Erkrankungen zweiter Klasse.“

5.1 Das Immunsystem

Viel mehr als nur Abwehr

Mit Hilfe präziser Wahrnehmungs-Techniken kann unser Immunsystem unterscheiden, ob eine eingedrungene Bakterie eine Gefahr darstellt, die bekämpft werden muss, oder ob es sich dabei um eine nützliche Darmbakterie mit Bleiberecht handelt. Noch vor zwei Jahrzehnten wurde das Immunsystem auf diesen Abwehrmechanismus reduziert, der sich gegen „Fremdes“ und „Feindliches“ wehrt. Heute verstehen wir das Immunsystem als komplexes Wirkgefüge. Erkenntnisse aus den Verhaltens- und Neurowissenschaften lassen keinen Zweifel, dass immunologische Prozesse Auswirkungen auf unser Verhalten, unser Bewusstsein und auf den Energiestoffwechsel jeder einzelnen Zelle haben. Im Praxisalltag wird der zentrale Einfluss des Immunsystems weitgehend unterschätzt.

Der sechste Sinn

Die Fähigkeit des Immunsystems, unmittelbar auf Reize zu reagieren, die weder gehört, noch gesehen, noch geschmeckt, noch gerochen und auch nicht ertastet werden können, führte dazu, dass der Immunologe J. E. Blalock vorschlug, von einem immunologischen „sechsten Sinn“ auszugehen. Die enge Vernetzung über die gemeinsame Nutzung von Liganden und Rezeptoren ermöglicht es dem Immunsystem, beispielsweise das Nervensystem über aufgespürte Viren und Bakterien zu informieren, die für die klassischen Sinne nicht wahrnehmbar sind. 5.1/1 Blalock

Das angeborene und das erworbene Immunsystem

Die meisten Erreger werden schon gleich bei ihrem Eintritt in den Organismus von unserem angeborenen Immunsystem angegriffen und entsorgt. Kennen Sie die Comic-Helden Asterix und Obelix? Der angeborene Teil des Immunsystems lässt sich mit Obelix vergleichen – Feind erkennen und zuschlagen sind eins. Damit räumt der starke Gallier schon viele Römer aus dem Weg. Für die Feinarbeit tritt Asterix auf den Plan. Ähnlich arbeitet unser Immunsystem: Zuerst erscheinen die Makrophagen, sie werden auch Fresszellen genannt. Sie sind überall im Körpergewebe zu finden. Sobald sie Eindringlinge entdecken, greifen sie sie an – wie Obelix. Die Makrophagen umschließen den Eindringling und bilden eine sogenannte Antigen-präsentierende Zelle (APC) – um Helfer für die nun anschließende Feinarbeit herbeizurufen. Dann reagieren die T-Helferzellen (TH-Zellen), sie koordinieren die weitere Abwehrstrategie.

T-Helferzellen wurden in den 1990er Jahren im Rahmen der AIDS-Forschung entdeckt. Sie sind die „Asterixe des Immunsystems“, die den Erregern mit ausgefeilten Techniken zu Leibe rücken. Sie senden nun Botenstoffe aus, die dafür sorgen, dass die „Elitetruppen“ – z. B. die Natürlichen Killerzellen und die zytotoxischen T-Zellen – den Angreifer umzingeln und vernichten. T-Regulatorzellen haben die wichtige Aufgabe, sicherzustellen, dass T-Helferzellen und T-Suppressorzellen gut kooperieren, um die Immunreaktion auch wieder zu stoppen.

Das Immunsystem schützt uns so vor Krankheitserregern und Fremdstoffen. Ein gesundes Immunsystem unterscheidet zwischen fremd und eigen und zwischen Freund und Feind.

Das angeborene Immunsystem


Zelluläres ImmunsystemHumorales Immunsystem
Monozyten/Makrophagen „Jeder Makrophage kann jedes Antigen attackieren “Granulozyten- Neutrophile (PMN)- Eosinophile- BasophileMastzellenNatürliche KillerzellenDefensineOpsonineKomplementsystem

Das spezifische Immunsystem


Zelluläres ImmunsystemHumorales Immunsystem
T-Lymphozyten (sind spezialisiert auf die verschiedenen Antigene (= Erreger)CD4-Lymphozyten (Helferzellen)• TH-1-Helferzellen• TH-2-Helferzellen• CD25+/CD127- Treg-Zellen• TH-17-HelferzellenCD8-Lymphozyten• CD8+CD28+ zytoxische T-Zellen (CTL)• CD8+CD28-suppressorische T-Zellen

5.2 Infektionen und Entzündungen

Von einer Infektion (lat. īnficere „anstecken“, „vergiften“; wörtlich „hineintun“) sprechen wir, wenn es Krankheitserregern gelingt, in einen sogenannten Wirt einzudringen, um sich dort zu vermehren. Infektionen können durch jegliche Art von Fremdkörpern ausgelöst werden, z. B. durch:

 Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten.

 Bei sog. endogenen (also im Körper entstandenen) Infektionen stammen die Erreger aus der körpereigenen Flora, z. B. aus der Darm- oder Hautflora.

Nicht jede Infektion ruft Beschwerden hervor, manchmal verlaufen sie auch völlig unbemerkt. Dann spricht man von einer stummen oder symptomlosen Infektion. Das erleben wir derzeit im Rahmen der Corona-Pandemie: Viele Betroffene mit positive Testergebnis zeigen keine oder nur moderate Symptome.

Die Medizin unterscheidet verschiedene Infektionsarten

 Primärinfektion (Erstinfektion): Sie entsteht, wenn unser Immunsystem zum ersten Mal mit einem spezifischen Krankheitserreger in Kontakt kommt.

 Sekundärinfektion: Sie entsteht, wenn zusätzlich zu einer ersten Infektion eine zusätzliche zweite mit anderen Erregern erfolgt. Eine solche „Doppelinfektion“ ist im Verlauf heftiger und schwerer zu therapieren.

 Superinfektion (Suprainfektion): Der Patient leidet unter einem viralen Infekt, der das Immunsystem schwächt. Auf dieser Grundlage kommt es zu einer weiteren Infektion mit Bakterien.

 Reinfektion: Wiederansteckung mit dem gleichen Erreger nach Abheilen einer Erstinfektion.

Nach einer Infektion ist der Organismus für eine gewisse Zeit geschwächt. Diese Schwächung kann über Stunden oder Tage gehen. Wenn Sportler sich in dieser Zeit Hochleistungen abfordern, riskieren sie eine Herzmuskelentzündung, die tödlich enden kann.

Ohne Entzündungen können wir nicht überleben

Die Entzündung oder Inflammation (lat. Inflammatio) ist der stufenweise Abwehrmechanismus unseres Immunsystems gegen innerkörperliche und äußere Reize. Stoffliche Erreger werden angegriffen, inaktiviert und bestenfalls entsorgt, bei nicht-stofflichen Reizen (z. B. elektromagnetische Strahlung) ist die Verteidigung komplizierter. Jede Zelle hat auf ihrer Membran Sensoren, die Infektionserreger aufspüren. Im menschlichen Organismus sind z. B. ständig Krebszellen vorhanden. Durch Entzündungsprozesse werden sie kontrolliert und ausgemerzt. Die Reize, die eine Entzündung auslösen, lassen sich grob in vier Klassen unterteilen:

 Mechanische Reize wie Druck und Hitze; stumpfe Traumen, bei denen die Haut nicht durchdrungen wird; offene Wunden.

 Chemische Stoffe und Schwermetalle.

 Biologische Reize, z. B. Pilze oder Bakterien, eigene geschädigte Zellen.

 Nicht-stoffliche Reize (Strahlen, Elektrosmog)

In unserem Organismus laufen ununterbrochen und unbemerkt minimale Aktivierungsprozesse ab, Mikro-Entzündungsreaktionen, die physiologisch nach erfolgreicher Abwehr durch entzündungshemmende Zytokine wieder zurückgefahren werden.


Entzündungen sind die unverzichtbare Abwehr gegen Eindringlinge jeder Art, sie heilen und regenerieren. Ohne Entzündungen könnten wir nicht überleben, sie helfen uns, auf potenziell gefährliche physikalische, chemische oder biologische Reize oder Krankheitserreger zu reagieren.

Die klassische Entzündung

Wenn sich ein Splitter in Ihre Fußsohle verirrt hat, kann es zu einer lokalen Entzündung kommen. Diese Art von Entzündung ist wahrnehmbar, sie haben die fünf Entzündungszeichen sicherlich schon erlebt:

 Rötung = lat. rubor

 Überwärmung = lat. calor

 Schwellung = lat. tumor

 Schmerz = lat. dolor

 eingeschränkte Funktion = lat. functio laesa

Diese Symptome entstehen durch die massive Ansammlung von Immunzellen und Flüssigkeit und die verstärkte Durchblutung der entzündeten Körperstelle. Die Schwellung drückt auf die Nervenenden und verursacht während des Heilungsprozesses Schmerzen und Berührungsempfindlichkeit. Akute Virusinfekte können bei Leistungssportlern im Training oder beim Wettkampf zum Tod führen.


Der klassische/Makrophagozytäre Entzündungsprozess hat einen Beginn, einen Höhepunkt und eine Phase der Ausheilung. Diese Prozesse laufen koordiniert ab. Pro-und antiinflammatorische Zytokine arbeiten dabei „Hand in Hand“ mit Hormonen und Neurotransmittern.

Dieser „Reparaturprozess“ geht stufenweise vor sich und braucht etwa vier Wochen vom Entstehen bis zum Abklingen. Das lässt sich mit dem Ablauf bei der Fahrdeckenerneuerung auf der Autobahn vergleichen – jeder Schritt baut auf dem vorhergehenden auf.

Entzündungskrankheiten werden mit der griechischen Endung -itis gekennzeichnet, wie z. B. Gastritis oder Arthritis. Entzündungen können überall entstehen: in den Zellen, in Organen, im Bindegewebe, in den Transportsystemen (Blut- und Lymphbahnen), in den Gelenken. Arteriosklerose entsteht durch die Oxidation/Entzündung von Lipid-Proteinen an der Gefäßwand.

Drei physiologische Entzündungswege

Es werden (nach Volker von Baehr, IMD Berlin) drei physiologische Entzündungswege unterschieden, die je nach Erreger aktiviert werden:

1 Die Monozytäre/Makrophagozytäre Entzündung. Hier werden die Fresszellen (fachsprachlich Makrophagen) aktiv. Sie reagieren u.a. auf Bakterien, Pilze oder Partikel. Sie schütten TNF-alpha, IL-1 und weitere Signalstoffe aus.

2 Die Lymphozytäre Entzündung führt zu einer Immunaktivierung. Die T-Lymphozyten werden durch Viren, intrazelluläre Bakterien oder durch Tumorzellen aktiviert. Sie schütten IFN-gamma und weitere Signalstoffe aus. } Siehe Kapitel 5.4

3 Entzündung durch Mastzellen, fälschlicherweise werden Mastzellen meist nur mit der allergischen Entzündung in Verbindung gebracht. Mastzellen reagieren u.a. auf Allergene, Bakterien, Pilze oder Medikamente. Mastzellen können 200 verschiedene Botenstoffe ausschütten, insbesondere Histamin. } Siehe Kapitel 12

Die Antigen-Antikörper-Reaktion

Antigene sind Substanzen, die vom Organismus aufgrund ihrer Oberflächenstruktur als fremd erkannt werden und dadurch eine spezifische Reaktion des Immunsystems auslösen. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Schlüssel-Schloss-Prinzips werden sie durch Antikörper (Immunglobuline) gebunden. Antigen und Antikörper bilden dann den sogenannten Immunkomplex. Kleinere Immunkomplexe werden rasch über die Leber abgebaut, größere, z.T. stark vernetzte Immunkomplexe können sich ablagern und schädigend wirken.

Entzündungen auf Wanderschaft

Lokale Entzündungen können den Infektionsort verlassen. Ob eine Entzündung sich lokal begrenzt oder systemisch auswirkt, hängt vom Auslöser, aber auch vom Immunsystem des Patienten ab. Erreger können uns primär krank machen, wie z. B. eine akute Herpesinfektion, die zu einer Gürtelrose führt. Im weiteren Verlauf können sie nachhaltig die Abwehr schwächen – dann ziehen Erst-Erkrankungen Folge-Erkrankungen (Sekundär-Erkrankungen) nach sich. So ist z. B. bei schwangeren Frauen das Risiko einer Fehlgeburt um das 7-fache erhöht, wenn sie eine Parodontitis (Zahnfleisch-Entzündung) haben.

Was geschieht bei Fieber?

„Gebt mir die Macht, Fieber zu erzeugen, und ich vermag jede Krankheit zu heilen.“

Parmenides, griechischer Arzt und Philosoph.

Schon zu Parmenides’ Lebzeiten (540–480 v. Chr.) wusste man um die heilende Kraft des Fiebers. Fieber ist der Versuch des Körpers, die Selbstregulierungskräfte wieder in Schwung zu bringen, den Körper also „umzustimmen“. Das übermäßige Schwitzen bewirkt, übrigens vergleichbar mit Erbrechen oder Durchfall, eine Ausleitung von Krankheitsstoffen und eine Aktivierung des Stoffwechsels. Viele Patienten mit (komplexen) Multisystem-Erkrankungen fiebern auffällig selten. Diese fehlende Heilreaktion begünstigt das chronische Krankheitsgeschehen.

Eine US-amerikanische Studie, die im Januar 2020 veröffentlicht wurde, zeigt, dass die durchschnittliche Körpertemperatur der Menschen in den Industrieländern in den letzten etwa 150 Jahren um etwa ein halbes Grad Celsius gesunken ist. 5.2/1 Protsiv et al.

5.2.1 Was sind Autoimmun-Erkrankungen?

Weltweit sind derzeit ca. 5–8 % der Bevölkerung von ungefähr 80–100 verschiedenen Autoimmun-Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus Typ 1, Multiple Sklerose) betroffen. Mit steigender Tendenz.

Bei Autoimmun-Erkrankungen kann das Immunsystem nicht mehr zwischen „fremd“ und „selbst“ (auto) unterscheiden und greift eigene, gesunde Strukturen und Gewebe an. Eine unbehandelte Autoimmun-Erkrankung kann zu sehr schweren Entzündungs-Reaktionen führen. Organspezifische Autoimmun-Erkrankungen treten z. B. in Schilddrüsen-, Haut- Nerven- oder Darm-Strukturen auf. Systemische Autoimmun-Erkrankung sind nicht-organspezifisch, dazu gehören z. B. die Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis, „Gelenkrheuma“); Lupus erythematodes (SLE) oder Sklerodermie (Bindegewebsverhärtung von Haut, Gefäßen und inneren Organen). Autoantikörper sind Antikörper (Immunglobuline), die sich gegen körpereigenes, gesundes Gewebe richten.

Deutsche Autoimmun-Stiftung

Die Deutsche Autoimmun-Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Förderung der Erforschung und Behandlung aller Autoimmun-Erkrankungen maßgeblich zu unterstützen. 5.2.1/2 Deutsche Autoimmun-Stiftung

5.2.2 Was sind Allergien?

Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf spezifische allergieauslösende Stoffe aus der Umwelt (= Allergene). Einer allergischen Reaktion geht immer eine Sensibilisierung voraus. Prinzipiell kann jede Substanz zu einem Allergen werden, die häufigsten sind: Hausstaub/Milben, Pollen (Heuschnupfen), Tierhaare, Nahrungsmittel, Medikamente, Parfüm/Kosmetika oder Metalle. In Deutschland leidet jeder Siebte unter einer Allergie. Allergien verursachen geschätzt zwischen 55 und 151 Milliarden Euro an jährlichen Kosten.

Nicht immer ist klar, welche Substanz die Allergie auslöst, das erschwert die Diagnostik.

Als Folge des Kontakts mit dem Allergen entstehen Symptome wie Juckreiz oder Niesattacken oder auch allergisches Asthma. Magen-Darm-Beschwerden und weitere Hautreaktionen sind möglich. Im Extremfall kann es zu einer potenziell lebensgefährlichen anaphylaktischen Reaktion kommen.

Bei allergischen Reaktionen werden unmittelbar nach dem Allergen-Kontakt neben der Bildung von Antikörpern zusätzlich weitere Substanzen aus Mastzellen freigesetzt, die zu Entzündungen im Körpergewebe führen.

Als Atopie wird eine Überempfindlichkeit mit Allergie-Reaktionen auf an sich harmlose Substanzen bezeichnet. Der sogenannte atopische Marsch beschreibt das schrittweise Eintreten zusätzlicher allergiebedingter Erkrankungen, wie z. B. Nahrungsmittelallergien oder allergische Rhinitis. Aus einem Heuschnupfen wird nach dem Etagenwechsel in die Lunge häufig bronchiales Asthma.

UNIKA-T

Das Universitäre Zentrum für Gesundheitswissenschaften am Klinikum Augsburg/UNIKA-T ist ein Forschungsverbund mit den Schwerpunktthemen Health Care Operations/Health Information Management, Umweltmedizin und Epidemiologie. Studienergebnisse aus diesem Projekt wurden im Fachjournal Aerobiologia unter dem Titel Pollen allergy and health behaviour: patients trivializing their disease veröffentlicht. 697 Allergikerinnen und Allergiker aus der Region Augsburg hatten im Jahr 2016 an einer Umfrage teilgenommen, für die ein Fragebogen mit Bezug auf Pollen-Allergie entwickelt wurde. Die Wissenschaftler stellten u.a. fest, dass etwa 73 % aller an der Umfrage beteiligten Personen regelmäßig Medikamente gegen ihre Allergie-Symptome einnahmen; mehr als die Hälfte davon ohne ärztlichen Rat. Die Autoren konstatierten:

„Trotz der weltweiten Zunahme an Häufigkeit und Symptomatik allergischer Erkrankungen und trotz in der Folge gesundheitlicher und sozio-ökonomischer Auswirkungen, trivialisieren und unterschätzen viele allergische Individuen ihre Krankheit und behandeln diese falsch – immer noch, bis heute.“

Als einzig ursächliche Therapie gegen Pollen-Allergien wird von den Autoren die Allergie-Spezifische Immuntherapie (auch Hyposensibilisierung) bewertet – die aber nur von weniger als 30 % der Allergikerinnen und Allergiker in Anspruch genommen wird. Dabei wird der Körper über eine gewisse Zeit an das Allergen „gewöhnt,“ das Immunsystem wird wieder desensibilisiert. Bei Pollen liegen die Erfolgschancen bei etwa 70 Prozent. 5.2.2/1 UNIKA-T

Klimawandel und Allergie

Claudia Traidl-Hoffmann, UNIKA-T-Professorin für Umweltmedizin und Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg, wies im Rahmen einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages darauf hin, dass im Zuge des Klimawandels mit einer weiteren Steigerung der Anzahl von Betroffenen zu rechnen sei.

Prof. Traidl-Hoffmann forderte die Verbesserung präventiver und kurativer Maßnahmen. Unter anderem sollten Disease Management Programme, wie sie für andere chronische Erkrankungen bereits ausgearbeitet wurden, auch für Allergien und Neurodermitis etabliert werden, um das Krankheitsmanagement und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern, so die Medizinerin. 5.2.2/2 Traidl-Hoffmann

„Der Klimawandel macht krank. Steigende Temperaturen verlängern die Pollensaison. In Kombination mit der Luftverschmutzung und besonders mit Gewittern platzen die Pollen durch die elektrostatische Aufladung der Luft, und die Bruchstücke gelangen tiefer in die Lunge.“ 5.2.2/3 von Hirschhausen


Hochrechnungen gingen davon aus, so der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen in seiner Kolumne Hirschhausens Hirnschmalz weiter, dass im Jahr 2025 50 % der Menschen in Europa an Allergien leiden werden – insbesondere Kinder.

Invasive Pflanzen, die der Klimawandel mit sich bringt, sind zum Teil hochallergisch: Bis zu eine Milliarde Pollen setzt die Ambrosia artemisiifolia /das Beifußblättrige Traubenkraut frei. Fünf davon genügen, um eine allergische Reaktion hervorzurufen. Ambrosia-bedingte Arbeitsausfälle kosten jährlich hunderte Millionen Euro.

Diagnostik: 4 Allergietypen

Meist wird unter dem Begriff Allergie nur die sogenannte Typ I-Allergie z. B. gegen Pollen, Insektengifte, Hausstaubmilben oder Tierallergene verstanden. Allergische Reaktionen können jedoch verschiedenen Stoffwechselpfaden folgen. Dabei werden vier Allergietypen unterschieden, die sich durch den jeweiligen Pathomechanismus, der Zeitspanne und in den Symptomen unterscheiden.

Der Organismus bildet je nach Typ unterschiedliche Abwehrstoffe:

 Typ I-Allergie: IgE-Antikörper, Histaminfreisetzung aus Mastzellen und Basophilen (Sofortreaktion), Leukotriensynthese (Spätreaktion)

 Typ II- und III-Allergie: IgG- und IgM-Antikörper

 Typ IV-Allergie: spezifische T-Lymphozyten.

Die üblicherweise verwendete Allergie-Diagnostik (Pricktest, Spez. IgE im/CAP-RAST oder der Basophilen-Degranulationstest/BDT) deckt nur den Typ-I Allergietyp ab – für Typ II bis IV sind andere diagnostische Untersuchungen nötig!


⇒ Weitere InformationenAllum – Allergie, Umwelt und Gesundheit„Sie interessieren sich für Umweltstoffe/Umweltschadstoffe und andere Einflüsse der Umwelt auf die Gesundheit? Für Allergien, Asthma, Heuschnupfen, Nesselsucht oder Neurodermitis? Das umweltmedizinische Portal Allum® antwortet verständlich und praxisnah auf Ihre Fragen.“ Zitat aus der Webseite. 5.2.2/4 Allum

5.2.3 Was ist eine Sepsis?


Die Sepsis ist, wie ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, ein Notfall, bei dem sofort medizinisch gehandelt werden muss.

Die Beschwerden sind unspezifisch, deshalb wird eine Sepsis oft nicht diagnostiziert: Hohes, mit Schüttelfrost einhergehendes Fieber ist charakteristisch. Es gibt jedoch auch Patienten, bei denen die Temperatur normal ist oder nur leicht erhöht. Der Puls ist schwach und schnell. Die Haut ist blass, bläulich, feucht und kalt. Ist das Gehirn betroffen, wirken die Patienten unruhig und verwirrt.

Innerhalb der ersten Stunde, besser noch halben Stunde, muss die antiinfektiöse Therapie/Antibiotikagabe eingeleitet werden, der Kreislauf muss stabilisiert werden und eine Fokus-Sanierung erfolgen, um den Infektionsherd zu beseitigen. Die Aufrechterhaltung der Organfunktionen muss gewährleistet werden. Jede weitere Stunde ohne Behandlung verschlechtert die Prognose. Das bedeutet, dass Laborbefunde erst nach der Akutbehandlung vorliegen.

Nur bei einem Drittel der Patienten können die spezifischen Erreger tatsächlich nachgewiesen werden. Es gibt derzeit keinen Biomarker/Laborwert, der aussagt, ob eine Sepsis vorliegt oder nicht. Der Diagnoseschlüssel für die Sepsis wird deshalb vermutlich zu selten verwendet – die Dunkelziffer für das Auftreten und für Sepsis als Todesursache dürfte erheblich sein.

Schnelldiagnosetest für Sepsis

Das Screening-Tool qSOFA, soll eine Verdachtsdiagnose am Krankenbett ohne Laborwerte beziehungsweise außerhalb der Intensivstation ermöglichen. Die Kriterien sind:

 Abfall des systolischen Blutdrucks auf 100 mmHg oder weniger,

 Bewusstseinsveränderung entsprechend einem Wert von weniger als 15 auf der Glasgow-Koma-Skala und

 ein Anstieg der Atemfrequenz auf über 22 pro Minute. 5.2.3/1 Singer

Weit überwiegend entsteht die Sepsis als Folge alltäglicher Infektionen vor allem durch Bakterien (z. B. Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Salmonella-Spezies und Neisseria meningitidis), aber auch durch Pilze (z. B. Candida), Viren (z. B. Influenzaviren) oder Parasiten. Bei etwa der Hälfte der Sepsis-Patienten ist nicht eine Wunde, sondern eine Lungenentzündung der Auslöser. Sepsis tritt auch in Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen auf.

„Blutvergiftung“ ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für die Sepsis. Der oft beschriebene „rote Strich“, der von einer Wunde ausgeht, ist keine Sepsis, sondern deutet auf eine Entzündung der Lymphbahnen hin, die behandelt werden muss. Daraus kann sich eine Sepsis entwickeln.

Ein erhöhtes Risiko besteht insbesondere für Ältere, Patienten mit Vorerkrankungen und für Kinder im ersten Lebensjahr. Sepsis ist mittlerweile die dritthäufigste Todesursache in Deutschland und der häufigste Grund für Todesfälle in den Intensivstationen der Krankenhäuser. Tag für Tag sterben derzeit in deutschen Krankenhäusern mehr als 250 Menschen an einer Sepsis.

Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom

„Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom“ („Systemic Inflammatory Response Syndrome, SIRS) ist der medizinische Fachbegriff für eine körpereigene entzündliche Abwehrreaktion des Gesamtorganismus. SIRS ähnelt der Sepsis, aber es ist keine Infektion nachweisbar. Verursacht wird eine SIRS z. B. durch Verletzungen, Verbrennungen, schwere Blutungen, Ischämie oder durch eine Anaphylaxie (potenziell lebensbedrohliche systemische Immunreaktion).

Was ist ein Zytokinsturm?

Im Zusammenhang mit COVID-19 Infektionen ist in Berichten von einem „Zytokinsturm“ die Rede. Das ist eine schwere Verlaufsform des sogenannten „Zytokin-Freisetzungssyndroms“/CRS. Zytokine sind Proteine, die im Körper die Abwehr von Krankheitserregern steuern. } Siehe Kapitel 5.4 Proinflammatorische Zytokine aktivieren die Immunantwort, antientzündliche sorgen für eine Downregulation. Der Zytokinsturm umschreibt eine potenziell lebensgefährliche, akut auftretende Überreaktion des Immunsystems – eine „Ganzkörper“-Entzündungsreaktion mit Beteiligung mehrerer Organe. Das Übermaß proinflammatorischer Zytokine kann zu Atemnot, zu Thrombosen oder zu akutem Lungen- oder Nierenversagen führen. Das Entzündungsgeschehen kann sich über weitere Organe ausbreiten und schließlich zum multiplen Organversagen führen.


⇒ Weitere InformationenSepsisTim-Julian Schneider blickt in seinem Artikel vom 13.09.2020 mit dem Titel 94.000 Tote jährlich – Warum sterben so viele an einer Sepsis? kritisch auf den gesundheitspolitischen Umgang mit dieser Erkrankung. 5.2.3/2 SchneiderSepsis neu definiertWick-Urban, Bettina Sepsis neu definiert. 02.07.2018 Pharmazeutische Zeitung Ausgabe 27/2018. 5.2.3/3 Wick-UrbanDeutsche Sepsis-HilfeDie Deutsche Sepsis-Hilfe e.V. ist die weltweit erste Organisation für an Sepsis erkrankte Menschen, sowie deren Angehörige oder Hinterbliebene. 2007 wurde sie aus dem Kreis einer Betroffeneninitiative gegründet. 5.2.3/4 Deutsche Sepsis-Hilfe e.V.CAPNETZ – gemeinsam gegen die Lungenentzündung„Dass in Zukunft weniger Menschen an einer Lungenentzündung erkranken und vor allem erheblich seltener daran sterben“ – dies ist das erklärte Ziel von CAPNETZ. 5.2.3/5 CAPNETZ

5.3 Silent Inflammation – die unterschwellige Entzündung


Ungebremste VerteidigungDie Wucht heutiger wahrnehmbarer und unterschwelliger Reizfaktoren aktiviert permanent proentzündliche Botenstoffe und Abwehrzellen. Die Antwort auf das Trommelfeuer der Reize ist ein Trommelfeuer von Entzündungsprozessen. Jetzt reichen vier Wochen für einen Entzündungsprozess nicht mehr aus. Der Organismus „entflammt“ dauerhaft.

Die anfangs noch kräftige Gegenwehr wird zunehmend lauer. Patienten leiden dann nicht mehr an der akuten Form z. B. des Pfeifferschen Drüsenfiebers, sondern an einer chronischen, fieberlosen Form. Diese chronischen Entzündungsprozesse machen sich nicht wie akute, lokale Entzündungen durch die fünf Entzündungszeichen bemerkbar und sie folgen keinem erkennbaren mehrstufigen Prozess: Keine Rötung, keine Schwellung macht auf das heimliche Geschehen aufmerksam.

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