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Wirtschaftswissenschaft im 20. Jahrhundert

Ende des 19. Jahrhunderts entstand der Sozialliberalismus als eine gemäßigte Antwort auf den reinen Kapitalismus wie auf den Marxismus. Die Pioniere des sozialliberalen Denkens, der Soziologe Lester F. Ward (1841–1913), der Psychologe William James (1842–1910), der Philosoph John Dewey (1859–1952) und der Arzt und Essayist Oliver Wendell Holmes (1809–1894), argumentierten, die Regierung habe die legitime wirtschaftliche Aufgabe, sich um soziale Belange wie Arbeitslosigkeit, Gesundheitswesen und Bildung zu kümmern. Die Sozialliberalen kritisierten die hemmungslose Konzentration von Reichtum in der Gesellschaft und die Lebensbedingungen von Fabrikarbeitern und bekundeten zugleich Sympathie für Gewerkschaften. Ihr übergeordnetes Ziel war es, die Dynamik des privaten Kapitals zu erhalten, aber seine Exzesse einzuschränken.

Nichtmarxistische Ökonomen kanalisierten die sozialliberalen Ideen in ökonomische Reformen wie die progressive Einkommensbesteuerung und das Kartellrecht. Der einflußreichste Vertreter dieser Schule im frühen 20. Jahrhundert war John Maynard Keynes (1883–1946). Er empfahl, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät, solle die Regierung großzügig Geld ausgeben, um das Wachstum anzukurbeln. Franklin Roosevelts Programme im Rahmen des New Deal in den 1930er Jahren waren ein Labor für keynesianische Wirtschaftswissenschaft, und allgemein ist man der Meinung, daß die gewaltigen Kreditaufnahmen und Ausgaben der Regierung im Zweiten Weltkrieg die Weltwirtschaftskrise beendeten und die Vereinigten Staaten auf den Pfad des Wirtschaftswachstums zurückbrachten.

Die nächsten Jahrzehnte waren beherrscht vom Gegensatz zwischen keynesianischen Sozialliberalen, Anhängern von Marx und zeitweilig marginalisierten neoklassischen oder neoliberalen Ökonomen, die darauf beharrten, soziale Reformen, staatliche Kreditaufnahme und Manipulationen mit Zinssätzen würden nur die einzigartige Effizienz des freien Marktes behindern.

Mit dem Fall der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre verstummte der Marxismus als überzeugende Stimme in der Wirtschaftswissenschaft. Er verschwand praktisch aus der Diskussion, und das schuf Raum für den raschen Aufstieg der Neoliberalen, die schon seit geraumer Zeit Auftrieb aus dem verbreiteten Unbehagen über den Zwangscharakter und die Ineffizienz staatlicher Planwirtschaften zogen. Margaret Thatcher und Ronald Reagan stützten sich beide stark auf Empfehlungen neoliberaler Denker wie des Monetaristen Milton Friedman (1912–2006) und der Vertreter der Österreichischen Schule von Friedrich von Hayek (1899–1992).

Heute gibt es in Rußland eine Redensart: Marx hatte unrecht mit allem, was er über den Kommunismus sagte, aber er hatte recht mit allem, was er über den Kapitalismus schrieb. Seit den 1980er Jahren hat die nahezu weltweit zu beobachtende Rückkehr zum klassischen ökonomischen Denken zu wachsender Ungleichheit bei der Verteilung des Reichtums geführt, in den Vereinigten Staaten wie anderswo, und zu häufigeren und schlimmeren ökonomischen Blasen und Einbrüchen.

Das bringt uns zu der weltweiten Krise, die 2007/2008 begann. Um diese Zeit waren die beiden verbliebenen großen Lager des wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams – die Keynesianer und die Neoliberalen – überzeugt, anhaltendes Wachstum sei das rationale und erreichbare Ziel einer Volkswirtschaft. Die Diskussion drehte sich nur darum, wie sich das Wachstum erhalten ließ: durch Intervention der Regierung oder durch Laissez-faire in der Annahme, der Markt wisse es immer am besten.

Doch im Jahr 2008 endete in vielen Ländern das Wirtschaftswachstum, und Versuche, es wieder in Gang zu bringen, hatten bisher nur begrenzten Erfolg. Tatsächlich fällt bei einigen Kennzahlen die US-Wirtschaft weiter zurück oder tritt bestenfalls auf der Stelle. Diese düstere Realität bringt beide ökonomische Lager in Schwierigkeiten. Sie ist eindeutig eine Herausforderung für die Neoliberalen, die mit ihrer Deregulierungspolitik maßgeblich dafür Verantwortung tragen, daß das System der Schattenbanken entstand, dessen Implosion allgemein als Auslöser der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gesehen wird. Aber sie ist auch ein Problem für die Keynesianer, deren Konjunkturprogramme dabei versagt haben, mehr Beschäftigung zu schaffen und allgemein die Wirtschaft zu beleben. Wir haben also eine Krise nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der ökonomischen Theorie und Philosophie.

Der ideologische Zusammenprall zwischen Keynesianern und Neoliberalen (der bis zu einem gewissen Grad in dem eskalierenden Krieg bis aufs Messer zwischen Demokraten und Republikanern in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck kommt) wird sich ohne Zweifel fortsetzen und sogar noch an Schärfe gewinnen. Die Auseinandersetzung wird allerdings wenig Erhellendes bringen, wenn beide Denkrichtungen an denselben grundlegenden Irrtümern festhalten. Ein solcher Irrtum ist der Glaube, Volkswirtschaften könnten und sollten immer weiter wachsen.

Doch dieser Irrtum beruht auf einem anderen, der noch tiefer reicht und subtiler ist. Daß nahezu alle nachklassischen Ökonomen Boden unter die Kategorie Kapital subsumierten, lief darauf hinaus zu erklären, die Natur sei lediglich eine Teilmenge der menschlichen Wirtschaft – eine unendliche Anhäufung von Ressourcen, die sich in Reichtum verwandeln lassen. Es bedeutete weiter, daß natürliche Ressourcen immer durch eine andere Form von Kapital ersetzt werden konnten – durch Geld oder Technik.11 Tatsächlich existiert jedoch die menschliche Wirtschaft innerhalb der Natur und hängt vollkommen von der Natur ab, und für viele natürliche Ressourcen gibt es keinen realistischen Ersatz. Dieser fundamentale logische und philosophische Fehler im Zentrum der maßgeblichen modernen ökonomischen Denkschulen führte die Gesellschaft direkt dahin, wo sie heute steht: in die Ära von Klimawandel und Ressourcenerschöpfung. Das Festhalten an diesem Fehler hat zur Folge, daß die konventionellen ökonomischen Theorien – keynesianischer wie neoliberaler Spielart – vollkommen unfähig sind, auf die ökonomischen und ökologischen Bedrohungen zu reagieren, die im 21. Jahrhundert das Überleben der Zivilisation gefährden.

Bei der Suche nach Unterstützung können wir uns den Ökonomen zuwenden, die sich mit ökologischen und biophysikalischen Fragen befassen – ihre Ideen werden wir in Kapitel 6 erörtern, von den Hohepriestern und Torwächtern des ökonomischen Mainstreams wurden sie vollkommen an den Rand gedrängt –, und bis zu einem gewissen Grad zwei ebenfalls marginalisierten Denkrichtungen, der Österreichischen Schule und dem Postkeynesianismus, deren Vertreter besonders gut waren bei der Vorhersage und Diagnose der rein finanziellen Aspekte der gegenwärtigen weltweiten Krise. Aber ihre Hilfe wird nicht in der Form kommen, wie viele es sich wünschen: als Rat, wie wir unsere Wirtschaft wieder in den »normalen« Zustand »gesunden« Wachstums zurückversetzen können. Auf die eine oder andere Weise wird unsere Wirtschaft schrumpfen müssen statt wachsen, entweder durch Planung und systematische Reform oder durch Kollaps und Krise.

1.2ABSURDITÄTEN DER KONVENTIONELLEN ÖKONOMISCHEN THEORIE

•Mainstream-Ökonomen berücksichtigen bei der Berechnung des Maßstabs für die wirtschaftliche Gesundheit eines Landes – des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – nur Transaktionen in Geld. Wenn ein Land glückliche Familien hat, spiegelt sich das im BIP nicht wider, aber wenn dieses Land von einem Krieg oder einer Naturkatastrophe heimgesucht wird, werden die monetären Transaktionen steigen, und das BIP wird in die Höhe schießen. Das generelle Wohlergehen eines Landes anhand des BIP zu kalkulieren ist ungefähr so sinnvoll, als würde man die Qualität eines Musikstücks nur danach beurteilen, wie viele Noten es enthält.

•Damit zusammen hängt eine weitere Absurdität, die Ökonomen »externe Effekte« nennen. Ein externer Effekt tritt auf, wenn Produktion oder Konsum einer Partei direkt das Wohlergehen einer anderen Partei beeinflussen, wobei »direkt« meint, daß der Effekt keinen Preis hat (er ist extern vom Markt). Der Schaden, den Abholzung und Bergbau an Ökosystemen anrichten, ist ein externer Effekt, weil er nicht in den Preis für Nutzholz und Kohle einfließt. Es gibt auch positive externe Effekte (wenn manche Menschen organischen Landbau betreiben, werden auch andere, die organische Nahrungsmittel weder anbauen noch essen, vom generellen Rückgang der Pestizidbelastung der Umwelt profitieren). Leider sind negative externe Effekte sehr viel häufiger, weil Unternehmen sie als wirtschaftliche Schlupflöcher nutzen, durch die sie jede denkbare Art von Verschmutzung und mißbräuchlicher Nutzung loswerden können. Die Unternehmen behalten die Gewinne und überlassen es der Gesellschaft, den Dreck zusammenzukehren.

•Mainstream-Ökonomen behandeln das Aufbrauchen von Ressourcen als Einkommen und ignorieren den Eigenwert der Ressourcen. Wenn der Besitzer eines alten Waldbestandes die Bäume fällt und das Holz verkauft, registriert der Markt vielleicht, daß der Wert des betreffenden Stückes Land sinkt, aber der sonstige ökologische Schaden gilt als externer Effekt. In diesem Fall wurden unersetzliche biologische Vermögenswerte liquidiert, das heißt, daß diese Werte für künftige Generationen verloren sind. Aus der Perspektive des Ökosystems verhält sich eine Volkswirtschaft, die die Ausbeutung nichterneuerbarer Ressourcen nicht massiv besteuert, wie ein Arbeitsloser, der eine Erbschaft verpulvert.

•Mainstream-Ökonomen betrachten die Menschen als Produzenten und Konsumenten – und sonst nichts. Das theoretische Einheit Wesen Homo oeconomicus handelt rational, um soviel Reichtum wie möglich zu erwerben und so viele Dinge wie möglich zu konsumieren. Großzügigkeit und Selbstbeschränkung sind (nach dieser Theorie) irrational. Anthropologische Belege für nichtökonomische Motive bei Menschen werden einfach beiseite gewischt. Leider tendieren die Menschen dazu (mindestens bis zu einem gewissen Grad), so zu handeln, wie man es von ihnen erwartet und wie sie konditioniert sind, und so wird der Homo oeconomicus zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Konjunkturzyklen, Zinssätze und Zentralbanken

Wir haben sehr kurz eine Geschichte der Wirtschaftssysteme präsentiert und der ökonomischen Theorien, die erfunden wurden, um sie zu erklären und zu lenken. Aber nun fehlen noch viele Details, damit wir verstehen, was heute in der Weltwirtschaft passiert. Und von diesen Details haben viele mit dem dramatischen – offensichtlichen und weniger offensichtlichen – Anwachsen der Schulden in den letzten Jahrzehnten zu tun. Die moderne Verschuldung muß im Licht wiederkehrender Konjunkturzyklen gesehen werden, die die wirtschaftliche Tätigkeit in modernen Industriegesellschaften prägen, und im Zusammenhang mit den Zentralbanken, die errichtet wurden, um die Zyklen zu steuern.

Wir haben bereits gesagt, daß die Länder gelernt haben, das von fossilen Brennstoffen getriebene Wachstum ihrer Realwirtschaften zu unterstützen, indem sie durch das Mindestreserve-Bankwesen die Geldversorgung steigerten. Als das Geld zunehmend aus der Bindung an einen physischen Wert (zum Beispiel Edelmetalle) herausgelöst wurde, fand Geldschöpfung durch die Kreditvergabe von Geschäftsbanken statt. Damit war die Versorgung mit Geld vollkommen flexibel – es konnte so viel geschaffen werden, wie gebraucht wurde, und die in Umlauf befindliche Geldmenge konnte schrumpfen oder expandieren. Das Geldwachstum war an das Wachstum von Schulden geknüpft.

Dieses System ist dynamisch und instabil. Die Instabilität schlägt sich in Konjunkturzyklen nieder, die – etwas vereinfacht dargestellt – so aussehen:12 In der Expansionsphase erscheint die Zukunft den Unternehmen rosig, sie nehmen Kredite auf, um ihre Produktionskapazitäten zu erweitern und neue Arbeitskräfte einzustellen. Weil viele Unternehmen gleichzeitig so handeln, geht das Angebot an Arbeitskräften zurück; um die besten Arbeitskräfte zu bekommen und zu halten, müssen die Unternehmen deshalb die Löhne erhöhen. Dank steigender Löhne haben die Arbeitskräfte/Konsumenten mehr Geld in der Tasche, und das geben sie für die Produkte aus, die die Unternehmen herstellen. Das steigert die Nachfrage, die Unternehmen blicken noch optimistischer in die Zukunft, nehmen noch mehr Kredite auf, bauen ihre Produktionskapazitäten noch weiter aus und stellen noch mehr Arbeitskräfte ein … und so geht es weiter. In der allgemeinen Euphorie verschulden sich Arbeitnehmer in der Erwartung, daß ihre Löhne weiter steigen werden, so daß sie ohne weiteres ihre Kredite zurückzahlen können. Die Immobilienpreise klettern, weil die Nachfrage zunimmt (Mieter entscheiden für sich, daß sie nun eine Wohnung kaufen können), und das bedeutet, daß die Häuser als Sicherheit für die Kredite mehr wert sind. Das ganze Leihen und Ausgeben erhöht sowohl die Geldmenge wie die »Umschlagsgeschwindigkeit« des Geldes – das Tempo, in dem es immer wieder ausgegeben wird.

An einem bestimmten Punkt ändert sich jedoch die Stimmung im Land. Die Unternehmen haben so viel Produktionskapazität geschaffen, wie sie in absehbarer Zeit brauchen werden. Sie haben so viel Schulden, wie sie noch bewältigen zu können glauben, und neue Arbeitskräfte brauchen sie nicht mehr. Der Druck in Richtung Lohnerhöhungen hört auf, was dazu beiträgt, den allgemeinen Optimismus im Hinblick auf die Wirtschaft zu dämpfen. Die Arbeitnehmer zögern, sich noch mehr zu verschulden, und konzentrieren sich stattdessen darauf, vorhandene Schulden zurückzuzahlen. Oder sie können im schlimmsten Fall, wenn sie ihre Arbeitsplätze verloren haben, womöglich ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen oder erklären sich gar bankrott. Weil weniger Kredite vergeben werden, wird weniger Geld geschöpft; weil frühere Kredite entweder zurückgezahlt werden oder ausfallen, verschwindet Geld aus dem System. Die Geldmenge schrumpft in einer sich selbst verstärkenden Spirale.

Aber wenn die Menschen in der Abwärtsbewegung des Zyklus ihre Sparquote erhöhen, werden sie sich irgendwann sicherer fühlen und wieder bereit sein, Geld auszugeben. Außerdem haben die Unternehmen ihre überschüssigen Kapazitäten aufgelöst und ihre Schuldenlast abgebaut. Damit ist die Bühne für die nächste Expansionsphase bereitet.

Konjunkturzyklen können sanft verlaufen oder rauh, ihr Timing ist zufällig und weitgehend unvorhersehbar.13 Außerdem sind sie umstritten: Die Ökonomen der Österreichischen und der Chicagoer Schule glauben, daß Konjunkturzyklen sich selbst regulieren, wenn sich Regierung und Zentralbanken (über die wir weiter unten sprechen werden) nicht einmischen. Keynesianer glauben, daß sie sich nur teilweise selbst regulieren und gesteuert werden müssen.

Im schlimmsten Fall bildet sich auf dem Höhepunkt eines Konjunkturzyklus eine Blase, und der Abschwung endet in einer Rezession oder gar Wirtschaftskrise. Eine Rezession ist ein Rückgang auf breiter Front beim BIP, bei der Beschäftigung und beim Handel über einen Zeitraum von einem halben bis zu einem Jahr. Eine Wirtschaftskrise ist ein hartnäckiger Schrumpfungsprozeß der wirtschaftlichen Aktivität über Jahre hinweg. Eine Blase im engen Sinn besteht aus Handel mit hohen Volumina und hohen Preisen, die in einem erheblichen Mißverhältnis zum eigentlichen Wert der gehandelten Dinge stehen, aber der Begriff wird auch allgemeiner verwendet als Bezeichnung für jede rasche Ausweitung von Geld oder Kredit, die langfristig nicht nachhaltig ist. Blasen enden immer mit einem Crash: einem raschen, massiven Wertverlust der entsprechenden Anlagen.

Zinsen können eine wichtige Rolle bei Konjunkturzyklen spielen. Wenn die Zinssätze niedrig sind, werden sowohl Unternehmen wie Privatleute dazu neigen, mehr Kredite aufzunehmen; sind die Zinsen hoch, ist es teuer, neue Schulden zu bedienen. Wenn das System mit Geld geflutet wird, geht der Preis des Geldes (der Zinssatz) natürlich tendenziell zurück, und wenn Geld knapp ist, steigt sein Preis – beide Effekte verstärken den jeweiligen Trend noch.14

Im 19. Jahrhundert gab eine Reihe von Finanzkrisen, weil die Banken weitgehend unbehindert von Aufsicht Geld schöpfen konnten, das Konjunkturzyklen antrieb und Blasen entstehen ließ. Als Reaktion darauf schlossen sich die Banker in vielen Ländern zu Interessengruppen zusammen und übten Druck auf die Regierungen aus, damit Zentralbanken erlaubt werden sollte, die nationale Geldversorgung zu steuern. In den Vereinigten Staaten wurde die Federal Reserve (die »Fed«) 1913 vom Kongreß autorisiert, als Zentralbank des Landes zu agieren.

Die wesentliche Rolle von Zentralbanken wie der Fed ist es, die Geldpolitik eines Landes zu steuern, die Stabilität des Finanzsystems zu erhalten und finanzielle Dienstleistungen für die Banken und die Regierung zur Verfügung zu stellen. Dabei verfolgen die Zentralbanken oft auch das Ziel, durch die Festsetzung der Zinssätze die Konjunkturzyklen zu glätten. Die Idee dahinter ist einfach: Niedrigere Zinsen verbilligen die Kreditaufnahme, das vergrößert die Geldmenge und dämpft Tendenzen in Richtung einer Rezession. Höhere Zinsen schrecken von Kreditaufnahme ab und verhindern die Bildung gefährlicher Blasen.

In Amerika sind die Banken ab einer bestimmten Größe verpflichtet, Mitglieder des Fed-Systems zu sein; sie müssen bestimmten Regeln folgen, wenn sie das Privileg behalten wollen, durch Kreditvergabe Geld zu schöpfen. Die Fed legt de facto die Zinsen für das gesamte Bankensystem fest, indem sie den Zinssatz steuert, zu dem die Banken sich gegenseitig Übernachtkredite aus Bundesmitteln geben können, und den Zinssatz für Übernachtkredite, die Banken direkt bei der Fed aufnehmen. Außerdem kann die Fed Schuldverschreibungen der Regierung ankaufen und damit Geld aus dem Nichts (sogenanntes Fiat-Geld) zur freien Verfügung schaffen. Auf diese Weise vergrößert sie direkt die Geldmenge des Landes und beeinflußt damit die Zinsen für Anleihen.

Um die Fed gab es häufig Kontroversen. Sie handelt ohne große Ankündigungen, und ihre Statements sind so formuliert, daß sie selbst für ausgebildete Ökonomen nebulös bleiben; viele Kritiker haben mit Blick auf ihre Geheimniskrämerei und ihre Macht Reformen gefordert oder ihre Ablösung durch andere Institutionen zur Bankenregulierung. Die Kritiker betonen, daß die Fed nicht wirklich demokratisch ist (der Vorsitzende wird vom amerikanischen Präsidenten ernannt, die anderen Mitglieder des Boards werden durch private Banken ausgewählt, die Anteile an der Fed besitzen; damit ist sie eine merkwürdige halb staatliche, halb private Mischinstitution).

Andere Zentralbanken erfüllen in ihren heimischen Volkswirtschaften ähnliche Aufgaben, aber mit einigen Unterschieden: Die Bank of England beispielsweise wurde 1946 verstaatlicht und befindet sich heute ganz im Besitz des Staates, die Zentralbank von Rußland wurde 1990 gegründet und ist per Gesetz verpflichtet, die Hälfte ihrer Gewinne in den Staatshaushalt zu leiten (die Fed führt ihren gesamten Gewinn abzüglich ihrer Unkosten ab). Trotzdem sehen viele die Fed und andere Zentralbanken (die Europäische Zentralbank, die Bank of Canada, die Chinesische Volksbank, die Reserve Bank of India) als Clubs von Bankern, die nationale Volkswirtschaften hauptsächlich zu ihrem eigenen Vorteil lenken. Besonders oft wird Mißtrauen der Fed gegenüber geäußert, weil sie unter den Zentralbanken die wohl am meisten geheimniskrämerische und mächtigste ist. Man denke nur daran, daß die Fed theoretisch in der Lage ist, vor einer Wahl eine euphorische Finanzblase entstehen zu lassen oder einen Crash an der Wall Street, was natürlich erhebliche Auswirkungen auf den Wahlausgang hat. Es ist nachvollziehbar, warum Präsident James Garfield schrieb: »Wer immer die Geldmenge in einem Land kontrolliert, ist absoluter Herrscher über Produktion und Handel«, oder Thomas Jefferson sagen konnte: »Bankhäuser sind gefährlicher als stehende Heere«.

Neben der Fed spielt auch die US-Regierung selbst eine große Rolle bei der Lenkung der Wirtschaft. Die Bundesregierung erhebt Steuern, die unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten fördern oder bremsen (Steuern auf Zigaretten motivieren Raucher, mit dem Rauchen aufzuhören; Steuererleichterungen für Ölfirmen schrecken Produzenten alternativer Energien ab). Steuersenkungen für alle können die gesamte Wirtschaft ankurbeln, höhere Steuersätze hingegen werden die Kreditaufnahme und den Konsum bremsen. Außerdem regulieren die Regierungen das Finanzsystem, indem sie eigene Regeln für Banken, Versicherungen und Investmentfirmen aufstellen.

Unterdessen leihen auch die Regierungen Geld, wie Keynes empfahl, und geben es für Infrastrukturprojekte und die Schaffung von Arbeitsplätzen aus; in Abschwungphasen werden sie damit zu Kreditnehmern und Geldgebern der letzten Instanz. Ein gewichtiges Beispiel: Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Militärausgaben in den Vereinigten Staaten einen erheblichen Teil der Volkswirtschaft getragen – die Waffenindustrie und verschiedene private Militärfirmen – und damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen von Soldaten und zivilen Beschäftigten finanziert. Kritiker bezeichnen dieses System als militärisch-industriellen »Wohlfahrtsstaat für Unternehmen«.15

Das Auf und Ab eines Konjunkturzyklus spiegelt sich in höheren oder niedrigeren Inflationsraten. Inflation wird oft definiert als höhere Löhne und Preise, aber (wie die Ökonomen der Österreichischen Schule überzeugend dargelegt haben) Lohn- und Preisinflation ist nur das Symptom eines im Verhältnis zum Angebot an Gütern und Dienstleistungen übermäßigen Wachstums der Geldmenge, und dies wiederum ist üblicherweise das Ergebnis von zu viel Kreditaufnahme und zu hohen Ausgaben. Inflation bewirkt, daß jede Währungseinheit an Wert verliert. Ein Abschwung im Konjunkturzyklus kann schlimmstenfalls das Gegenteil von Inflation bewirken: Deflation. Deflation kommt in sinkenden Löhnen und Preisen zum Ausdruck, weil die Geldmenge im Verhältnis zu den gehandelten Waren und Dienstleistungen abnimmt (was bewirkt, daß jede Währungseinheit an Kaufkraft gewinnt), und das hat wiederum damit zu tun, daß weniger Kredit aufgenommen und weniger Geld ausgegeben wird und verbreitet Insolvenzen vorkommen.

Konjunkturzyklen und regulierte Geld- und Bankensysteme bilden den Rahmen, in dem Unternehmen, Investoren, Arbeitnehmer und Konsumenten agieren. Aber in den letzten Jahrzehnten ist innerhalb dieses Rahmens etwas Bemerkenswertes passiert. In den Vereinigten Staaten hat die Finanzindustrie bislang ungekannte Dimensionen angenommen und die gesamte Gesellschaft in eine Krise von ebenfalls ungekannten Dimensionen gestürzt. Wie und warum konnte das geschehen? Wie wir sehen werden, haben diese aktuellen Entwicklungen tiefreichende Wurzeln.

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9783948075736
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