Читать книгу: «Der Ruf des Kojoten», страница 4

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Gegenwart

Sie brachten mich im Gartenhaus unter, das eigentlich das Bunkhouse war, in dem früher die Cowboys gehaust hatten und das sie mittlerweile für Gäste nutzten. Es war rustikal eingerichtet und es roch nach altem, vor vielen Jahrzehnten gefälltem Holz, aber ich hatte sogar einen eigenen Fernseher und eine kleine Küche, wobei ich die Mahlzeiten immer mit der Familie im großen Ranchhaus einnahm. Das Bunkhouse war fast wie eine eigene, kleine Wohnung.

Ich half überall, wo ich gebraucht wurde und fühlte mich dazu auch verplichtet, denn die McCulloughs zeigten mir im Gegenzug alles, was sie glaubten, könnte für meine Recherchen von Bedeutung sein. Dazu gehörten auch unzählige historische Dokumente, die sie in den Schränken des Büros gesammelt hatten.

Das Ehepaar, die Senior-Chefs sozusagen, hatten mich schnell in ihr Herz geschlossen, wie Myrtle es prophezeit hatte. Ich kam hervorragend mit ihnen aus. Sie gaben mir nie das Gefühl, ihnen eine Last zu sein, wenn ich mit meinem Notizbuch anrückte und sie mit Fragen löcherte. Sie bestanden lediglich darauf, dass ich mein Buch nach Fertigstellung unbedingt ins Englische übersetzen müsse, denn sie wollten es auch lesen.

Randy war ebenfalls ein guter Lehrer. Die ersten Wochen verbrachte ich die meiste Zeit mit ihm. Er zeigte Geduld und Einfühlungsvermögen, trotz seiner Jugend von gerade einmal Anfang zwanzig. Manchmal kam er mir vor, wie ein kleines Kind, in ihm schlug noch immer das Herz eines Jungen, voll naiver Hoffnungen und Träume, mit jeder Menge Unfug und Spinnereien im Kopf und das mochte ich besonders an ihm. Er war ein Kumpel, wir konnten unwahrscheinlich gut miteinander herumalbern. Er zeigte mir alles rund um die Pferde und manchmal, wenn seine Freundin Claire gerade auch zufälligerweise auf der Ranch war, ritten wir gemeinsam aus. Claire war genauso nett und umgänglich wie Randy und ich hatte das Gefühl bei ihnen, mit Freunden unterwegs zu sein, obwohl ich sie gerade erst kennengelernt hatte.

Auch mein Verständnis der amerikanischen Sprache und insbesondere der vielen Cowboyausdrücke, die kein Wörterbuch mir preisgab, verbesserte sich zusehends. Obwohl natürlich jeder sofort hörte, woher ich kam, kaum dass ich den Mund aufmachte, verstand ich inzwischen doch beinahe jedes Wort. Gut, es gab immer wieder Slogans, die mir neu waren oder manche Leute redeten einfach zu schnell und nuschelig, als dass ich eine Chance gehabt hätte. Überhaupt kam es mir hier so vor, als hätte mich jemand in eine Zeitmaschine gesetzt und mehrere Generationen zurückversetzt. Im Vergleich zu Deutschland war hier alles unwirklich und viel einfacher und durch die Weite und Einsamkeit des Landes völlig anders strukturiert.

Randy wartete schon vor dem Pferdestall, als ich das Bunkhouse nach einer kurzen Mittagspause verließ. Sein großer, schlanker Fuchs mit den vier weißen Beinen und der Blesse auf der langen, geraden Nase, stand gesattelt am Anbindebalken, während er der kleinen, braunen Stute, die mir als Lehrpferd diente, soeben den Sattel auflegte.

„Wir reiten heute aus“, verkündete er. „Das Wetter ist viel zu schön, um bloß auf dem Platz herum zu eiern!“

Ich liebte es, hinaus in die Prärien zu reiten und mir den Wind um die Nase wehen zu lassen. Ich sah ein, dass die Platzstunden zu Anfang bitter nötig gewesen waren, um mich auf die doch ganz anders trainierten Arbeitspferde einzustellen. Ich fand, dass es mir nicht schlecht gelang, aber dass ich noch einen weiten Weg vor mir hatte, bevor ich auch nur annähernd so entspannt und selbstverständlich auf einem Pferd sitzen würde wie Randy oder sein großer Bruder. Mein Ehrgeiz war erwacht. Ich wollte auch so reiten können!

Tom war ständig irgendwo auf der Ranch unterwegs und gab sich auch gar keine Mühe, mich mitzunehmen oder sich großartig mit mir zu befassen. Ich war mir zu Anfang nicht schlüssig, ob das grundsätzlich ein Wesenszug von ihm war, weil er wenig Geduld zeigte mit Reitschülern und Touristen an sich und diese Aufgaben seinem kleinen Bruder überließ oder ob er speziell meinetwegen von den Gebäuden fernblieb.

Seit meinem Einzug hatte ich ihn meistens mehr zufällig und im Vorbeigehen zu Gesicht bekommen und ich fürchtete mich fast davor, ihm wieder über den Weg zu laufen – ob er vielleicht einmal mehr als nur zwei dahingeworfene Worte mit mir wechseln oder mir womöglich sogar einmal ein Lächeln schenken würde? Doch nichts dergleichen geschah, denn Tom tauchte gar nicht erst auf, außer zu den Mahlzeiten.

Auch heute war er nirgends zu entdecken, was mich ein wenig enttäuschte und zugleich verärgerte, weil ich mir von der An- beziehungsweise Abwesenheit eines Mannes die Stimmung verderben ließ. Männer waren für mich seit meiner gescheiterten Ehe kein Thema mehr. Ich wollte alleine bleiben. Unter keinen, unter überhaupt gar keinen Umständen würde ich zulassen, dass jetzt so ein arroganter, flegelhafter Amerikaner daherkam und all meine hart erarbeiteten und erkämpften Prioritäten wieder über den Haufen warf.

„Wir reiten heut’ mal ein bisschen raus zu den Rindern“, erklärte Randy in diesem Moment und brachte mich damit unsanft zurück in die Gegenwart. „Du bist langsam soweit, dass du das mal ausprobieren kannst.“

„Zu den Rindern?“, wiederholte ich gedehnt und ließ mir die Zügel meines Pferdes überreichen. Randy sattelte eigentlich selten Pferde für die Schüler – das hatten sie selbst zu lernen, wenn sie schon aufs Pferd hinauf wollten. Heute schien er es jedoch eilig zu haben.

Er lachte und zeigte dabei seine schönen, weißen Zähne. „Keine Angst! Ich lass dich schon nicht allein mitten rein! Aber wir können uns ja mal langsam vortasten.“

Mit einem leisen Seufzer gab ich meine Zustimmung und kletterte auf die Stute, die ich seit Beginn meines Aufenthalts zugeteilt bekommen hatte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine genaue Vorstellung davon, was ‚Arbeit an den Rindern‘ bedeutete, denn auf der Ranch selbst war den Sommer über kein einziges Tier zu finden. Sie befanden sich alle auf den Hochweiden, wo sie die Monate bis zum Spätherbst verbrachten, um dann ausgesondert und entweder in die Winterquartiere gebracht oder an die Schlachthöfe verkauft zu werden.

„Wie sieht’s eigentlich aus“, fragte Randy nach einer Weile, in der sie im Schritt nebeneinander her geritten waren. „Du hast doch Erfahrung mit Pferden in Deutschland. Ich dachte mir, falls du Lust hättest ein bisschen mehr zuzupacken, könntest du doch jeden Morgen die Ställe misten.“

„Ställe misten?“ Ich seufzte leise. Ich hatte jahrelang in Deutschland Ställe gemistet, weil wir die Pferde direkt am Haus hielten. Meine Erfahrungswerte darin waren also reichlich und deshalb wusste ich auch, was das für ein Knochenjob war. Aber gut, ich hatte mich bereiterklärt, überall mitzuhelfen, wo sie mich brauchten.

„Ja, genau!“ Randy nickte. „Ein Kumpel von mir hat uns sonst ab und an unter die Arme gegriffen, um sich nebenher ein paar Dollar zu verdienen. Aber er hat sich beim Baseball den Knöchel gebrochen und fällt erstmal aus. Ich dachte, das ist mal was anderes, als immer nur meiner Tante im Haushalt zur Hand zu gehen.“

„Das bedeutet, ich fange morgen damit an?“

„So in etwa!“ Randy lachte. Er schien zufrieden mit dem Ausgang unseres Gesprächs.

„Und du kannst das einfach so alleine entscheiden?“

„Mein Onkel sagt, ihm sei es gleich. Hauptsache, du könntest die Ställe und die Sattelkammer ordentlich sauberhalten!“

„Und dein Bruder?“

„Ach, der!“ Randy winkte abweisend mit dem Arm. „Vergiss ihn! Er wird sich schon damit abfinden!“

Tom McCullough fand sich nicht damit ab, dass seine Familie über seinen Kopf hinweg und gegen seinen Willen die junge Deutsche, die – laut seiner Meinung – noch nicht mal anständig im Sattel sitzen konnte, von der Haushaltshilfe zur Stallmisterin befördert hatte. Mit finsterer Miene lief er die ersten Tage umher und würdigte mich kaum eines Blickes. Wenigstens grüßte er, allerdings nur, wenn ich ihn zuerst ansprach. Ich begann, mir einen Spaß daraus zu machen, ihn zu ärgern und ein bisschen zu reizen. Meine Angst vor ihm verflog. Ich merkte, dass er äußerst schlagfertig war und mir aufgrund meiner Sprachhürde deshalb bedauerlicherweise weit überlegen. Ansonsten aber hatte er eben seine Launen und schien am liebsten mit sich allein zu sein. Mit meinem Hang zum Einzelgänger verstand ich deshalb einige seiner Reaktionen ganz gut und dachte mir nichts dabei, wo andere sich längst angegriffen gefühlt hätten. Tom war eben mit seinen Ende Dreißig nicht mehr zu ändern und ich, die ja nur unerheblich jünger war, ebensowenig. Das konnte auf Dauer nur dazu führen, dass wir uns gegenseitig angingen wie zwei Raubkatzen, die auf den großen Kampf warteten. Ich konnte warten.

An einem Morgen, nachdem ich mit der Arbeit fertig und diese von seinem Onkel kontrolliert und als gut befunden worden war, hatte ich mich wie immer zum Mittagessen gesellt. Dort redeten wir ein wenig über das, was ich in Deutschland bezüglich Pferden schon alles erlebt hatte und über unsere eigenen. All das hatte Tom wenig beeindrucken können. Er war die ganze Zeit mit unverhohlen spöttischem Gesichtsausdruck dagesessen und hatte mit keinem Wort an der Konversation teilgenommen.

Am nächsten Tag war ich dann zufällig Zeuge eines Zanks zwischen ihm und seinem kleinen Bruder geworden, deren Gegenstand ich gewesen war. Randy glaubte fest, dass ich durchaus dazu in der Lage wäre, ihre Arbeit hier anständig zu erledigen.

„Das hat doch alles keinen Sinn!“, hatte Tom geschimpft. „Sie hat keine Ahnung von unserem Leben hier draußen und ich wette mit dir, dass sie nach spätestens zwei Wochen das Handtuch wirft, weil ihre Fingernägel ruiniert sind und sie Schwielen an den Händen bekommen hat!“

Ich starrte auf meine Hände hinab und konnte nicht leugnen, dass sie schlimmer ausschauten, als ich mir je hätte erträumen lassen. Fingernägel hatte sie ohnehin nie welche gehabt, von daher konnte mich deren Zustand wenig erschüttern. Genauso wenig wie die Blasen an meinen Fingern und die Hornhaut auf meiner Handfläche, die sich dort innerhalb der ersten paar Tage schon gebildet hatte.

Ich würde es ihm schon zeigen, diesem arroganten, überheblichen Klugscheißer von Rancher, der er sich einbildete zu sein! Wütend kratzte ich die Harke über den Boden der Box, um Streu und Mist auf einen Haufen zusammenzuschieben. Von wegen aufgeben! Der würde sich noch umschauen! Das wäre ja gelacht, wenn ich es nicht schaffen würde, jeden Tag eine geradezu lächerlich geringe Zahl von Boxen zu misten – vierundzwanzig, um genau zu sein und das war ja nun wirklich keine Herausforderung!

Während ich so meiner Aufgabe nachging und in meine Überlegungen versunken war, bemerkte ich durch das offenstehende Tor auf einmal, dass draußen im Hof ein Auto vorfuhr. Eine junge, sehr schick gekleidete Frau entstieg der Limousine. Dadurch, dass ich gerade erst bei der zweiten Box angelangt war und damit nicht weit entfernt vom Eingang stand, konnte ich jedes Wort, das draußen gesprochen wurde, verstehen. Neugier war selten etwas, was ich zähmen konnte und deshalb äugte ich erst einmal aus der Box heraus, was dort vor sich ging.

Tom hatte heute in aller Früh angefangen, ein paar der jungen, noch ungerittenen Pferde an den Sattel zu gewöhnen und stand jetzt mit einem von ihnen am Anbindebalken neben dem Tor, als der unerwartete Besuch vorfuhr.

„Was willst du hier?“ Es klang schroff und genervt.

„Mit dir sprechen, das ist alles!“ Die junge Frau strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht und ich fand – nicht ganz ohne Neid – dass sie sehr hübsch aussah. Kein Wunder, dass sie der Typ Frau war, auf die Männer wie Tom McCullough abfuhren. Ich konnte nicht anders und die Augen verdrehen – alle Klischees erfüllt. Ich gab mir einen Ruck und kratzte weiter den Mist zusammen, jedoch nun sehr darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen.

„Ich wüsste nicht, worüber wir noch sprechen sollten!“ Sein tiefer Bariton ließ vermuten, dass die Konversation hiermit für ihn beendet war. „Und jetzt muss ich weiter arbeiten.“

„Ach, Tom!“ Der Tonfall der jungen Frau klang genervt und flehend zugleich. „Könnten wir nicht alles bei einem Abendessen in Ruhe bereden?“

„Hör zu“, sagte er und es war offensichtlich, dass seine Geduld bald am Ende angelangt sein würde. „Ich habe weder Zeit, noch das Verlangen, irgendetwas mit dir durchzukauen, was sich für mich schon längst erledigt hat! Würdest du jetzt bitte so nett sein und mit deinem Wagen da wegfahren? Du stehst im Weg.“

Selbst diese Frage klang aus seinem Mund irgendwie sarkastisch und ich warf einen schnellen Blick hinaus in den Hof. Ihn konnte ich nicht sehen, weil er hinter dem Tor stand, doch die junge Frau verharrte genau in meinem Winkel und zu meinem Erstaunen entdeckte ich auf ihrem hübschen Gesicht einen Anflug von Zorn.

„Dann mach’ doch was du willst!“ Sie wirbelte herum und stapfte auf ihren hohen Absätzen wenig damenhaft zurück zu ihrem Wagen. „Aber bild’ dir ja nicht, dass du dann eines Tages daherkommen könntest!“

„Habe ich nie vorgehabt!“

Der Motor heulte auf und im nächsten Moment brauste das Auto davon. Ich grinste still in mich hinein, während ich den Rancher von draußen leise fluchen und schimpfen hörte, jedoch keines der Worte verstand, was vielleicht auch besser war. Meine Augen wanderten zurück in Richtung Tor, von wo nun Schritte zu vernehmen waren. Im nächsten Augenblick erschien seine große, kräftige Gestalt in der Tür zur Box.

„Na?“, fragte er und seine Stimme brachte mein Herz zum Stolpern. Ich starrte ihn eine Sekunde regungslos an…diese dunklen, unergründlichen Augen. Was hatte Randy erzählt? Sein Vater sei ein Halbblut-Indianer gewesen? Daher vermutlich auch die dunklen Haare und der braune Teint, der bei allen anderen Hellhäutigen wohl nur durch regelmäßige Solariumbesuche zu erreichen war.

„Mein Bruder meinte, du machst dich ganz gut und ich kann auch nicht klagen.“ Er schaute sich die Box an, die ich bereits fertig gemistet und frisch eingestreut hatte. „Vielleicht schaffst du’s, dir heut noch ein paar Sättel vorzunehmen. Müssen dringend geölt werden.“

„Mal sehen, was sich machen lässt.“ Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden. Verdammt! Was war denn nur in mich gefahren?

„Gut“, sagte Tom, nickte, lächelte kurz und wandte sich in die andere Richtung, um wieder zum Tor hinaus zu verschwinden.

Ich atmete aus und merkte erst jetzt, dass ich die ganze Zeit wie ein Soldat vor dem General dagestanden hatte. Zornig schaufelte ich den Pferdemist weiter zusammen. Ich ärgerte mich nicht nur über mich selbst, sondern über die ganze Situation und wie sie verlaufen war. Ich wollte ihn nicht attraktiv finden! Ich hatte mir geschworen, mich niemals wieder zu verlieben und das war auch bislang nicht allzu schwer gewesen, bei der Auswahl an Männern, die zur Verfügung standen. Aber bei ihm…er war so anders, so außergewöhnlich. Er hatte etwas mit mir angestellt, vom ersten Augenblick an, das mich niemals wieder loslassen würde und das ärgerte mich noch viel mehr. Hatte Myrtle mich nicht extra noch vor ihm gewarnt?

Gegen Mittag kam sein Onkel, der meist irgendwo rund um das Gelände anzutreffen war und die schwereren Arbeiten, draußen bei den Rindern, seinen beiden Neffen zu überlassen pflegte. Immer wieder betonte er, dass er in seinem Leben mehr als genug Rindviecher gescheucht und gebrannt hätte – jetzt könne er es auch ein bisschen ruhiger angehen lassen mit fast siebzig.

„Bist du fertig?“ Mit diesem Satz steckte er den Kopf zur Tür herein. Ich hockte auf dem Boden der Sattelkammer, mit einem der Zaumzeuge beschäftigt und fuhr erschrocken herum.

„Fast“, gab ich ihm zur Antwort und betrachtete ihn für einen langen Augenblick. Der alte Rancher war immer höflich und freundlich zu mir und wenn ich sein faltiges Gesicht mit den grauen Haaren so betrachtete, glaubte ich immer, die Schönheit darin noch erkennen zu können, die es einstmals ausgezeichnet haben mussten.

„Na, dann mach’ mal Schluss für heute!“ Er zwinkerte mir übermütig zu. „Meine Frau hat vor einer halben Stunde frischen Kuchen aus dem Ofen geholt. Es gibt ihren Spezialkaffee dazu – na, was ist?“

Beim Wort „Kaffee“ konnte ich noch niemals widerstehen – auch, wenn ich mittlerweile wusste, dass die Spezialausführung hierzulande gefühlt zehnmal stärker war als der, den ich von Zuhause kannte. Er löste regelmäßig Herzrasen bei mir aus und doch war ich nicht fähig, dem lockenden Duft und der Vorfreude auf den Geschmack zu entsagen.

Die Sonne schien warm und einladend vom blauen Himmel herab, während ich es mir auf der überdachten Veranda vor dem Eingang zum Ranchhaus gemütlich machte. Die Senior-Chefin hatte bereits den rechteckigen Tisch gedeckt und der Kuchen stand darauf, unter einer Haube geschützt, aufgeschnitten und bereit zum Verzehr. Der Rancher lud uns beiden ein großes Stück auf die Teller und schenkte in die Pötte Kaffee ein. Seine Frau hatte an alles gedacht – Milch und Zucker für mich standen ebenfalls bereit.

„Na, er lässt dich ganz schön malochen, was?“, sagte er nach einer Weile und lächelte mir zu. „Mach’ dir nichts draus, er versucht dich bloß zu testen!“

„Sowas dachte ich mir schon“, erwiderte ich grinsend und schob eine Gabel Apple-Pie in den Mund. Ein entschlossener Ausdruck trat auf mein Gesicht. „Aber keine Sorge! Der wird sich noch wundern!“

Ein Schmunzeln zuckte um die Lippen des Ranchers. „Ah, mach’ dich nicht verrückt. Er ist halt ein bisschen kompliziert, aber ansonsten der beste Nachfolger, den jemand wie ich sich wünschen könnte.“

Ich hob die Brauen. Meine Augen fixierten ihn für einen Moment durchdringend. „Willst du dich etwa ganz zurückziehen?“

„Der Tag wird kommen, mein Kind!“ Er lächelte und schob seinen leeren Teller ans andere Ende des Tisches. „Aber ich mach’ mir keine Gedanken darüber, ob Tom der Sache hier gewachsen sein wird. Er ist ein Rancher, wie ich immer einer gewesen bin: Mit Herz und Seele, verstehst du? Das muss man sein, wenn man hier draußen, in der Einsamkeit und Wildnis durchkommen will.“

Ich nickte. Die Inbrunst und Überzeugung, mit der er diese Worte aussprach, beeindruckten mich. Ich hatte schon länger verstanden, dass die Menschen hier anders waren, traditionsbewusster, mehr verwurzelt mit ihrer eigenen Geschichte und denen ihrer Vorfahren, als es bei uns noch üblich war.

„Es ist besser geworden wie früher, als noch zu meiner Kindheit. Es gibt schnelle Autos, Radio, Fernsehen, Telefon, sogar dieses…dieses Internet haben wir. Davon versteh’ ich zwar nichts, aber es ist nicht mehr dasselbe, völlig von der Außenwelt abgeschottete Leben wie früher.“

„Trotzdem“, fiel ich ihm ins Wort und mein Blick schweifte über den Innenhof hinweg, „ist es, als ob hier die Zeit langsamer vorangegangen wäre als anderswo.“

Der alte Rancher betrachtete mich prüfend und ein Lächeln hob seine Mundwinkel. „Du kannst verstehen, was ich meine, was uns antreibt hierzubleiben, trotz der harten Arbeit, der wenigen Freizeit, wenn wir so etwas überhaupt kennen. All das kann uns nicht schrecken.“

„Ja“, sagte ich leise und ohne mir dessen bewusst zu sein, legte sich ein verträumter Schleier über mein Gesicht, der verriet, dass ich eine Reise in eine andere Zeit und Welt angetreten hatte. „Ich würde sofort hierbleiben, wenn ich könnte. Jeden Tag nichts anderes tun als Pferde versorgen von morgens bis abends, Heu schaufeln und den Hühnerstall misten. Hinausreiten und Rinder brennen, sie im Herbst wieder zusammentreiben… Es ist genauso wie damals, als Opa und ich vor dem Fernseher gesessen haben. Er war John Wayne und ich war das wilde, ungezähmte Cowgirl.“ Ein Ruck ging durch meinen Körper. „Gott, hör’ bloß nicht auf mein Geschwätz!“

„Wieso nicht? Ich wünschte, Tom wäre ein einziges Mal an eine Frau wie dich geraten in seinem Leben, anstatt an diese Schicksen, die er immer anbringt! Die halten es hier doch sowieso nicht lange aus und wenn sie dann fort sind, hat er wieder schlechte Laune.“

Ich erinnerte mich an den Vorfall vom Vormittag und konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. „Sie scheinen ihn aber auch wirklich nicht in Ruhe lassen zu wollen, die Damen, meine ich.“

„Ach!“ Der Rancher machte eine wegwerfende Handbewegung und brachte aus der Brusttasche seines Hemds eine Schachtel Zigarillos zum Vorschein. Einladend hielt er sie mir hin, einladend und herausfordernd zugleich, wie mir schien. Dankend nahm ich eine heraus. Sie rochen nach Vanille und besaßen keinen Filter.

„Ich wusste gar nicht, dass du rauchst“, bemerkte er. Seine linke Braue hob sich, während er zuerst mir Feuer gab und dann seinen Glimmstängel anzündete.

„Tue ich auch nicht, jedenfalls nicht regelmäßig“, erwiderte ich mit einem Zwinkern. „Ich mag keine normalen Zigaretten, nur solche Dinger da.“ Ich deutete auf den Zigarillo. „Das andere Zeugs schmeckt nicht – aber das schon.“

Ein leises, tiefes Lachen drang aus der Kehle des Ranchers. „Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die eine von mir genommen hat!“

„Ich bin keine richtige Frau“, erwiderte ich selbstbewusst und lehnte mich zurück. „Darum kann ich die auch rauchen, ganz einfach.“

„Ja, ich glaube, das ist das Problem.“ Er blies den Rauch gegen die Überdachung der Veranda. „Tom glaubt, du seihst nicht ganz richtig im Kopf.“

Diesmal war es an mir zu lachen. „Quatsch“, sagte ich und noch einmal: „Quatsch. Er kennt nur keine Frauen, die mit Rückgrat durchs Leben gehen und sich bewusst dagegen entscheiden, zwei Schritte hinter ihrem Mann zu folgen und damit ihre eigenen Ziele und Träume zu opfern.“

Der Rancher runzelte die Stirn. Seine blauen Augen blitzten mich an. „Du hast von Zuhause auch einen ganz guten Eigensinn mitbekommen.“

„Ich bin dazu erzogen worden, meine Meinung zu äußern, meine Freiheit zu leben und dass Ehrlichkeit wichtiger ist, als anderen Leuten zu gefallen.“ Herausfordernd warf ich den Kopf zurück. „Und ich bin stolz darauf.“

„Weißt du“, begann der alte Mann und seine blauen Augen wanderten hinüber zu dem kleinen Wäldchen schräg hinter dem Ranchhaus. „Tom hat den McCullough-Sturkopf geerbt. Er ist meinem Bruder verdammt ähnlich. Der hat auch selten an sich oder seinen Fähigkeiten gezweifelt und er hatte auch diese merkwürdige Eigenschaft, sich von anderen Menschen irgendwie immer fernzuhalten. Heute glaube ich, dass er im Grunde seines Herzens ein Einzelgänger gewesen ist – er wusste es bloß nicht.“

„Und Tom hat ihn sich zum Vorbild genommen?“ Meine Neugier war erwacht. Ich wollte mehr wissen über diese Familie, über Tom McCullough, den großen, dunklen, gutaussehenden Rancher, der mich so unglaublich faszinierte, wie noch nie ein Mann in meinem Leben zuvor.

„Nein, die beiden sind sich nie begegnet.“ Das einst attraktive Gesicht nahm einen melancholischen Ausdruck an. „Das letzte Mal, als ich meinen Bruder getroffen habe, war Tom noch nicht mal geboren. Und das nächste Mal haben wir ihn da drüben, unter den Bäumen, bei den anderen, beerdigt…“

Mir fiel dazu keine Antwort ein und deshalb war ich froh, als mein Gastgeber von alleine fortfuhr: „Ach, Tom und die Frauen, das ist so ein leidiges Thema, das meine Frau und mich schon seit seiner Jugendzeit nicht loslässt. Sie sind ihm immer nachgelaufen, schon zu Schulzeiten und das hat sein Ego natürlich noch gestärkt. Es war manchmal wirklich kaum zu ertragen und Tom, nun, du kannst dir denken, dass er nicht unbedingt ein Kind von Traurigkeit war.“ Der alte Rancher grinste. „Das hat er vielleicht von mir – ich war auch ein ziemlich wilder Hund in jungen Jahren. Aber ein Mann wird ruhiger, wenn die ersten Zeichen des Älterwerdens sich nicht länger verheimlichen lassen.“

„Und Tom?“

Mein Gegenüber zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Er redet nie über sich oder seine Gefühle, das macht er immer mit sich selbst aus. Aber ich bin ja schon Gottfroh, dass er sich von dieser schrecklichen Tussi wieder hat scheiden lassen, die er damals anschleppte! Ein entsetzliches Mädchen, jedenfalls in meinen Augen! Absolut nervtötend!“

Die Erinnerung an sie schien ihn noch heute völlig aus der Fassung zu bringen und ich konnte mein Amüsement über seine Reaktion kaum verbergen.

„Sie war eine Schönheitskönigin und gerade mal achtzehn“, erzählte der alte Rancher weiter und vergaß darüber völlig seinen Zigarillo. „Wobei ich anmerken sollte, dass Tom auch nur fünf Jahre älter war, dieser Grünschnabel! Jedenfalls wollte sie hier alles umbauen und eine Ferienranch oder sowas draus machen. Sie hat wohl erwartet, dass Tom irgendwann nachgeben würde, aber da hatte sie sich geschnitten! Und eines Tages, ohne, dass er einer Menschenseele was davon gesagt hätte, war sie fort. Er hat sie in aller Früh zum Flughafen gebracht und nach Hause geschickt! Kannst du dir das vorstellen?“

Ich rief mir Tom McCullough ins Gedächtnis und grinste. „Ja“, sagte ich. „Kann ich mir sehr gut vorstellen!“

Der Rancher lachte leise. „Denke ich mir!“

Wenige Tage später, als ich gerade eine volle Schubkarre vom Stall nach draußen zum Misthof schob, bemerkte ich eine Bewegung auf dem Reitplatz, der sich schräg dahinter befand und ich hielt inne. Der schlanke, langbeinige Hengst, dessen schwarzes Fell bläulich im Schein der Morgensonne glänzte, galoppierte Runde um Runde. Sein Reiter saß sicher im Sattel, jede Bewegung seines Pferdes auf seinen eigenen Körper übertragend, spielerisch, mühelos. Seine Hände schienen keinen Kontakt zu den Zügeln nötig zu haben, er lenkte das Tier lediglich mit seinem Gewicht und unsichtbaren Schenkelhilfen.

Der schwarze Hengst wendete auf der Hinterhand, wirbelte Sand auf, galoppierte weiter, nur um am anderen Ende wieder ruhig und geradezu sanft zu stoppen. Sein Atem ging schnell, seine Ohren hielt er nach hinten gerichtet, auf jede leiseste Aufforderung seines Besitzers achtend. Ein leichter Hauch von Schenkelanlegen genügte und er galoppierte wieder an. Fliegende Wechsel, bei jedem Galoppsprung an der langen Seite der Reitbahn, gefolgt von einer Travesale – einem Seitwärtsgang, ausgeführt im Galopp, den für gewöhnlich nur klassische Dressurreiter beherrschten. Er und sein Hengst, sie konnten es auch, am losen Zügel, scheinbar genauso mühelos wie der ganze Rest, den sie hier zauberten. Es folgte eine Pirouette im Galopp, ebenfalls eine Lektion aus der Dressur, doch bei diesen beiden hier fast noch schöner anzusehen, weil die Anspannung des Reiters und der ständige Druck auf das Pferd fehlte. Der Hengst erfüllte seinem Besitzer einfach den Wunsch, weil dieser wusste, wie er es von ihm abfragen konnte, ohne Rohheit, ohne Gewalt.

Und während ich das Paar Tom McCullough und Wind Chaser dabei beobachtete, wie sie miteinander über den Reitplatz tanzten, wurde mir mit einem Schlag der Unterschied bewusst zwischen dem, was in meiner Heimat unter Westernreiten betrieben wurde und dem, was es tatsächlich war. Diese Vollendung zwischen Pferd und Mensch, die konnte niemand erreichen, der lediglich nach Schleifchen und Pokalen strebte, der nicht bereit war, ebenso viel von sich selbst in die Arbeit einzubringen, als er von seinem Pferd erwartete. Das hier, das war das Werk von eiserner Selbstdisziplin und dem Willen, sich über Jahre und vielleicht sogar Jahrzehnte hinweg von den besten Lehrern unterrichten zu lassen, Rückschläge und Kritik immer wieder stoisch zu ertragen, sie als Förderung und nicht als Beleidigung des eigenen Egos anzunehmen.

All das schoss mir durch den Kopf, während meine Augen geradezu hypnotisiert dem Schauspiel folgten, das sich wenige Meter vor mir abspielte. Es gab nicht viele Reiter, die zu solchen Höhenflügen in der Lage waren. Die meisten von ihnen scheiterten irgendwann an ihrer eigenen Eitelkeit. Tom McCullough jedoch war anders, das hatte ich vom ersten Moment an gespürt.

Deshalb war ich Zuhause nie in einen Reitverein oder sonst etwas in dieser Richtung eingetreten: Weil ich diese Einheit zwischen Tier und Mensch dort immer vergeblich gesucht hatte, wohin ich auch schaute und ich war, bei Gott, viel in meinem Land herumgekommen! Die Suche nach Harmonie war erfolglos verlaufen. Ich hatte nichts von dem gefunden, wonach ich strebte und jetzt, so weit fort von Zuhause, von dem gewohnten Reitstall mit seinem Lärm, den engen, miefigen Boxen und der großen Reithalle, in der Pferde mit Sporen traktiert und mit Gerten gefügig gemacht wurden, fand ich in der Wildnis von Amerika einen Mann, der so individuell war wie dieses Land selbst und der die Kunst beherrschte, sein Pferd nicht zum Sklaven, sondern zum Partner zu machen. Oh, könnte er mir doch nur beibringen, ebenso zu reiten!

Obwohl ich mich minutenlang nicht bewegt hatte und meine Arme lahm geworden waren vom Gewicht des vollen Schubkarrens, bemerkte er mich schließlich. Er parierte den schwarzen Hengst zum Schritt durch und ritt zu mir hinüber an den Zaun. Eines dieser Lächeln, die wohl keiner zu deuten vermochte, spielte um seine Lippen: War es Sarkasmus, Spott oder tatsächlich Höflichkeit? Ich traute mir nicht zu, es zu beurteilen als er seinen Hut aus der Stirn schob und sich lässig auf das Horn seines Sattels lehnte.

„Na?“ Nur das, mehr nicht.

„Das war wundervoll“, erwiderte ich nach kurzem Zögern. „Das war mit Abstand das Beste, was ich seit langem gesehen habe.“

Das Lächeln um seine Lippen wurde breiter, die Fältchen um seine Augenwinkel vertieften sich. „Danke.“

Wieder – nur das, keine Silbe mehr. Er ließ den Hengst herumtreten und lenkte ihn in Richtung Tor. Dort stieg er ab, lockerte den Sattelgurt und führte das Pferd hinüber zum Stall, wo beide gleich darauf hinter dem Eck des Gebäudes verschwunden waren.

Heuballen aufschneiden und die Lagen aufzuschütteln, es vor den einzelnen Pferdeboxen für die Abendfütterung bereitzulegen, all das gehörte zu meinen Aufgaben, die ich bis Mittag zu erledigen hatte. Danach half ich weiterhin im Haushalt oder im Garten, putzte Fenster oder reparierte nach einem Gewitter einmal das Dach meines Bunkhouses.

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9783754170106
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