Читать книгу: «Der Ruf des Kojoten», страница 6

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Besonders Stacy hatte im Laufe der vergangenen Jahre einen unglaublichen Instinkt für die Pferdezucht entwickelt. Vermutlich auch deshalb, weil es ihn interessierte und Pferde zu den wenigen Dingen gehörten, die ihn wirklich zu begeistern vermochten. Er konnte meist im Voraus schon sagen, welche Stute mit welchem Hengst die besten Fohlen bringen würde und es geschah nur sehr selten, dass er sich einmal täuschte. Er war es auch, der seinen Schwestern immer wieder klarmachte, wie wertvoll dieses Land für sie war, diese lange Tradition von Pionieren und Ranchern und Pferdeleuten: „Es gibt nichts, was vermag, dich stärker an sich zu binden, als ein Stück Land, das deine Vorfahren erstanden und urbar gemacht haben, für das sie geschwitzt und geblutet und gekämpft haben. Der Pulsschlag dieser Ranch ist dein eigener! Du kannst ihn niemals abschütteln! Er wird für immer ein Teil deiner selbst sein!“

Die vielen Kneipen und Bars von Quincy quollen bereits über, als die zwei McCullough-Brüder dort einliefen. Sie parkten den alten Ford wie immer in einer Seitenstraße.

„Ich werde erstmal Randy suchen“, erklärte Stacy, bereits aus dem Wagen springend und schlug gleich die Richtung der großen West Side Bar ums nächste Straßeneck ein.

Byron hob bedenklich die Brauen. Wenn sein kleiner Bruder und dessen bester Kumpel aufeinandertrafen, ging es in der Regel hoch her. Nicht, weil Randy Pratt ein eben solcher Draufgänger und Hitzkopf war, wie sein Bruder, im Gegenteil. Aber er ließ sich von Stacy jedesmal anstecken und Byron ahnte, dass ihm dieser Abend wieder einigen Ärger bescheren würde.

„Reiß dich bloß zusammen!“, warnte er den blonden, jungen Mann, der pfeifend von der Straße auf den Bürgersteig sprang. „Wehe dir, wenn du wieder eine Schlägerei anfängst! Ich hab’ keine Lust, dich schon wieder im Polizeirevier abzuholen!“

„Ich fange nie Schlägereien an!“, verteidigte Stacy seine Ehre und grinste verwegen. „Ich beende sie nur!“

Byron fluchte leise, während er ausstieg und den Zündschlüssel in seiner Hosentasche verstaute. Er wandte sich ab und verschwand in entgegengesetzter Richtung in der Dunkelheit, wo sich ein Saloon befand, ganz nostalgisch eingerichtet und wo eine bestimmte blonde, junge Frau jeden Samstag bediente.

Stacy zuckte die Achseln und zog eine Schachtel Zigarillos aus seiner Brusttasche, um sich eine anzustecken. Zu Hause konnte er dieser Sucht nur selten in Ruhe nachgehen, wollte er nicht mit seinem Vater aneinandergeraten, der seine eigenen Pfeifenqualmerei zwar als erträglich empfand, aber keinesfalls seine Söhne dabei erwischen wollte, wenn sie ihr Geld für billige Zigarillos zum Fenster hinauswarfen. Stacy warf ihm dann jedesmal vor, er würde mit zweierlei Maß messen und nur seine eigene Raucherei rechtfertigen. Das wiederum führte dann ebenso sicher zu einem Wutanfall Harolds und die Diskussion war beendet.

Stacy eilte den Bürgersteig entlang. Einige junge Mädchen kamen ihm entgegen. Sie grüßten ihn kichernd und sichtlich erfreut und er erwiderte ihren Gruß mit übertriebener Höflichkeit. Er zwängte sich an mehreren jungen Kerlen vorbei, die vor der Kneipe zusammenstanden und drückte die Türe auf, die ihn noch von einem weiteren vergnüglichen Abend trennte.

Lautes Gelächter und Zigarettenqualm schlugen ihm entgegen. Der große Raum schien vollgestopft mit Männern und leicht bekleideten Kellnerinnen. Stacy reckte den Hals. Für gewöhnlich fand er seinen besten Freund am Tresen, beim Versuch, ein Getränk zu organisieren. Das war schon seit Langem ihr unabgesprochener Treffpunkt.

Randy war im selben Jahr wie Stacy geboren, braunhaarig und der Sohn eines einfachen Schreinermeisters, der vor einigen Jahren nach einem schweren Arbeitsunfall verstorben war. Seitdem lebten er und seine Mutter allein in der winzigen Wohnung unter dem Dach seines Onkels und er war es, der das Geld für den Lebensunterhalt verdienen musste – ebenfalls in derselben Branche, wie sein Vater. Er arbeitete in einer Möbelschreinerei, was ihm zwar wenig Spaß bereitete, aber ein gesichertes Einkommen versprach. Hin und wieder, wenn im Frühjahr die jungen Kälber gebrannt wurden und im Sommer die Heuernte anstand, kam er hinaus auf die Ranch der McCulloughs, um zu helfen – Taschengeld nannte er das. Hätte Randy die Wahlmöglichkeit gehabt, wäre er vermutlich Musiker geworden, Sänger in einer Band oder ähnliches. Seine ganze Leidenschaft gehörte seiner Gitarre und der Gesang, den er mit seinem vollen Bariton zustandebrachte, war immerhin gut genug, um regelmäßig als Alleinunterhalter in den verschiedenen Kneipen der Stadt aufzutreten.

Obwohl längst nicht so gutaussehend wie sein bester Freund, besaß Randy sehr viel Charme und eine Ausstrahlung, welche die Mädchen nie an seiner Unschuld zweifeln ließen. So, wie die hübsche Brünette, die Stacy noch nie zuvor gesehen hatte und die seinem besten Freund anscheinend im Moment nicht von der Seite weichen wollte, als er ihn nun entdeckte.

Randy grinste, als er Stacy dabei beobachtete, wie er sich durch die Menge schob und stellte ihm seine neueste Eroberung als „Vivien Sowieso“ vor. Sie schien beeindruckt von Stacys Schönheit und genoss es offensichtlich, dass gleich zwei junge Männer versuchten, ihr den Kopf zu verdrehen. Was sie jedoch nicht bemerkte, war Stacys Blick, der immer wieder zum Ausgang wanderte, bis er auf einmal lächelte und „Ah!“ sagte, als würde sich etwas erfüllen, womit er schon lange gerechnet hatte.

„Willst du uns etwa schon verlassen?“, fragte Vivien mit Bedauern und hielt ihn am Arm fest, als er sich gerade davonmachen wollte.

„Tut mir leid!“ Stacys blaue Augen hingen an einer Frau, die unweit des Eingangs stehengeblieben war und ihm kurz, nur mit der Hand, zuwinkte.

Randy erkannte sie und er seufzte. „Schon wieder?“

„Warum nicht?“ Unschuldig zuckte Stacy die Schultern. „Heute ist Samstag!“

Randy lachte, die Stimme dämpfend, sodass nur sein bester Freund es verstehen konnte: „Aber besser nicht wieder in den Schreibwarenladen – vollkommen egal, ob die Hintertür offen ist oder nicht!“

„Nein, keine Sorge!“ Stacy erwiderte das Grinsen. „Diesmal gehen wir ins Hotel!“

Randy boxte dem anderen jungen Mann den Ellenbogen zwischen die Rippen. „Sag mal, entwickelt sich da etwa Ernsteres zwischen dir und Molly? Ich meine nur, weil das nun schon der vierte Samstag in Folge ist, an dem du mit ihr verduftest.“

Stacy wandte den Blick zu der wohlgeformten, grell geschminkten Blondine, die noch immer an der Tür stand und auf ihn wartete. Mit einem Augenzwinkern zog er die Schachtel Zigarillos aus der Brusttasche seines Hemds. „Ich glaube kaum. Sie ist bloß…nun, sagen wir, im Vergleich zu anderen Mädchen recht unkompliziert.“

Randy schmunzelte vielsagend und wandte sich wieder der schlanken Brünetten in dem grünen Kleid zu. Sie schaute Stacy ein wenig enttäuscht hinterdrein, als dieser sie jetzt stehenließ und sich zwischen den umherstehenden Männern in Richtung Ausgang drängte.

„Dein Freund sieht unverschämt gut aus“, bemerkte sie unverhohlen und starrte ihm bewundernd nach.

„Kann sein“, entgegnete Randy und fasste mit seinen langen, dünnen Musikerfingern sacht ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. „Aber dafür hängen an ihm ja auch alle Mädchen dieser Stadt wie Kletten. Mich dagegen hast du ganz für dich allein!“

Das kleine, billige Zimmer im ersten Stock des Hotels lag am Ende des Flurs neben der Rumpelkammer. Es besaß nur das eine Fenster, durch das die Straßenlaterne ihr Licht warf. Molly war Stammgast in diesem Raum; der Hotelportier kannte sie und hielt es für sie frei, wann immer er konnte. Sie erschien hier fast täglich in wechselnder Männergesellschaft, mit der sie sich ihren Lebensunterhalt finanzierte.

Stacy wusste das, doch es störte ihn nicht im Geringsten. Er liebte diese Frau in keinster Weise, er genoss lediglich ihre Leidenschaft und ihre Erfahrung. Von anderen Männern, auch das wusste er, ließ sie sich ihre Dienste bezahlen – von ihm nahm sie niemals Geld, hatte es auch noch nie getan, obwohl er es ihr hin und wieder anbot. Sie begnügte sich immer mit ein paar Drinks oder einer Einladung zum Abendessen.

Sie war es, die dem jungen, makellosen Körper des schönen Rancherssohnes verfallen war. Der Anblick seiner nackten Männlichkeit genügte, um sie ihre Einnahmequelle vergessen zu lassen. Sie war stolz darauf, ihn verführen zu dürfen, weil sie wusste, dass es sonst in seinem Leben derzeit kein Mädchen gab. Ab und an ein kleines Techtelmechtel ohne Folgen, nichts Ernsthaftes und nur deshalb, weil es ihm Vergnügen bereitete, seine Reize am anderen Geschlecht auszuloten. Molly hielt ihn durchaus nicht für oberflächlich, denn sie kannte sich mit Männern wie Stacy McCullough aus. Irgendwann, wenn sie sich die Hörner abgestoßen hatten und das richtige Mädchen trafen, heirateten sie ja doch alle. Jetzt wollte er noch frei und unabhängig sein, seinem strengen Vater die Stirn bieten und rebellieren, einfach bloß deswegen, weil es ihm Spaß machte und er sich dabei bestätigt fühlte.

Was sie nicht ahnte, waren Stacys innere Kämpfe, dieses Verlangen irgendwie zu kontrollieren, das ihn dazu zwang, sich von den anderen zu unterscheiden, sich abzuheben und nicht angepasst zu sein, wie die Gesellschaft es von ihm erwartete. Diese Art von Rebellion lag ihm im Blut und er konnte sie nicht besiegen, denn es waren dieselben Eigenschaften, die Harold zu seinen vielen Einsätzen für andere trieb. Sie erkannten nur nicht, wie ähnlich sie sich im Grunde genommen waren und dass diese innere Verknüpfung, die sich lediglich unterschiedlich äußerte, zu ihren ständigen Differenzen führte.

„Würdest du nicht aussehen wie der griechische Gott der Schönheit“, sagte Molly einmal, „würde ich dich überhaupt nicht mit hier heraufnehmen, Jungchen. Bist ja noch grün hinter den Ohren!“

Als Stacy das Hotelzimmer nach zwei Stunden ein wenig erschöpft, aber überaus befriedigt wieder verließ und auf den Bürgersteig vor dem Gebäude trat, bemerkte er nicht, dass jemand im selben Moment seinen scharfen Blick auf ihn richtete. Er zündete sich einen Zigarillo an und blies den Rauch gegen den sternenklaren, dunklen Nachthimmel. Die Stunden mit Molly, die er mit ihr verbrachte, zählten zu den intensivsten, die er je kennengelernt hatte. Es war nicht nur deshalb, weil sie die bisher einzige Prostituierte war, mit der er schlief, sondern ihr Verständnis. Sie kannte diese Sehnsucht nach Streit und Provokation, die immer unter seiner scheinbar attraktiven, gefälligen Oberfläche brodelte – und sie verstand. Er brauchte sich ihr gegenüber nicht zu rechtfertigen und seine Aktionen zu verteidigen, wie er es Zuhause stets tun musste.

Zufrieden lächelnd schlug Stacy den Weg zurück zur West Side Bar ein, um nach Randy und seiner Begleiterin zu schauen. Er wollte sehen, was sein Kumpel so anstellte, ob er ihn wieder völlig betrunken zu Hause abliefern musste oder ob diese Brünette – wie hieß sie doch gleich? – einen guten Einfluss auf ihn hatte.

„Hey! McCullough!“ Eine Gestalt trat aus dem Schatten eines Gebäudes in das Licht der Straßenlaterne. Stacy erkannte ihn sofort an seinem hünenhaften, massigen Körperbau. Er seufzte. Im Augenblick besaß er wirklich keinen Nerv, sich mit ihm herumzuärgern. Sie gerieten regelmäßig aneinander, nicht nur an den Samstagabenden.

„Was denn?!“ Stacys Zigarillo fiel auf den Asphalt der Straße, qualmte dort vor sich hin. Er trat ihn mit dem Absatz seines Stiefels aus.

„Das weißt du ganz genau!“ Der andere junge Mann baute sich vor ihm auf, die Arme herausfordernd in die Hüften gestemmt.

„Hör zu“, wehrte Stacy genervt ab. Es juckte ihm in den Fingern, diesem Großmaul endlich eine Lektion zu erteilen. Doch er hatte seinem Vater und Byron versprochen, sich zusammenzureißen und anständig zu benehmen und er wollte es diesmal wirklich tun. „Was auch immer es ist: Lass uns das anderes mal klären, okay?“

„Ein anderes mal? Ach ja?!“ Seine Pratze stieß Stacy vor die Brust, er taumelte drei Schritte zurück, noch immer nicht bereit, sich auf einen Kampf einzulassen. Vermutlich würde er ohnehin den Kürzeren ziehen. Mit Tyrone Clifton war nicht zu scherzen. Als Sohn des ansässigen Schmieds und mit seinem Vater das Geschäft führend, besaß er nicht nur ein hitziges Temperament, sondern auch enorme Kräfte, die ihm einigen Respekt bei den hiesigen Männern eingebracht hatte. Außerdem überragte er Stacy um fast einen Kopf, was die Angelegenheit nicht unbedingt vereinfachte. Stacy selbst war noch nie Zeuge einer Schlägerei geworden, bei der Tyrone sämtliche Teilnehmer entweder vertrieben oder ohnmächtig geprügelt hatte. Er kannte die Geschichten nur vom Hörensagen, doch jetzt, als die beiden Fäuste ihn am Kragen packten und gegen den Stützpfosten eines Vordachs pressten, war er gewillt, diesen durchaus Glauben zu schenken. Er schnappte nach Luft, der harte Griff raubte ihm den Atem. Gut, es ging nicht anders. Sein Stolz verbot es ihm, ohne Gegenwehr eine solche Behandlung zu dulden.

„Lass mich los!“

„Das denkst du dir, Freundchen, häh?!“ Tyrones whiskeygeschwängerter Atem schlug ihm ins Gesicht. „Nach allem, was du mir angetan hast, du verdammter Scheißkerl?!“

Stacy verstand noch immer kein Wort. Wusste der Henker, um was es sich handelte, das Tyrone hatte so wütend auf ihn werden lassen. Jedenfalls wollte er jetzt wieder weiter und den restlichen Abend genießen oder besser gesagt, noch ein wenig Zeit mit anderen Mädchen verbringen. Er ballte seine Hände und schlug blind zu, denn er konnte in der schlecht beleuchteten Straße nur erahnen, wo sich das Gesicht seines Gegenübers befinden musste. Tyrone schrie auf, sein Griff lockerte sich. Stacy spürte kaum den stechenden Schmerz in seiner Hand, er versetzte dem Schmied einen weiteren Kinnhaken. Tyrone fiel rücklings auf den Asphalt der zum Glück unbefahrenen Straße. Sein lauter Aufschrei lockte Neugierige aus den nahe gelegenen Kneipen, die sich um sie versammelten. Keiner machte Anstalten sich einzumischen. Alle beobachteten sie das Geschehen, tuschelten oder kicherten.

Tyrone rappelte sich auf und obwohl Stacy damit gerechnet hatte, konnte er dem zornigen Mann nichts entgegensetzen. Sie flogen beide hart und schmerzhaft auf den asphaltierten Bürgersteig und im nächsten Moment wurde er wieder nach oben gerissen. Der Würgegriff drückte ihm die Luft ab, er kam nicht frei.

„Du verdammter Hurensohn!“, gellte die Stimme in sein Ohr. „Du hast nicht das Recht, sie mir wegzunehmen! Ich liebe sie! Ich! Ich! Ich ganz allein!“

Endlich dämmerte Stacy der Grund für Tyrones Wut: Es ging um Molly. Es war ein offenes Geheimnis, über das viel getratscht und getuschelt wurde, dass der Schmied hoffnungslos in die wenig ehrbare Frau aus dem dritten Stock des Mietshauses neben der Stadtbibliothek verschossen war und sie ihm bei all seinen Bemühungen stets die kalte Schulter zeigte. Irgendwie schien er von den samstäglichen Treffen zwischen ihr und Stacy McCullough Wind bekommen zu haben.

Er hustete, seine Kräfte verließen ihn und wenn Tyrone ihn nicht bald losließ, würde er wohl über kurz oder lang das Bewusstsein verlieren. Seine Chancen standen gleich null, seine Kraft reichte einfach nicht aus, um gegen einen Mann mit solchen Muskeln anzukommen. Wieso sah sich eigentlich von diesen ganzen Feiglingen, die um sie herumstanden, keiner dafür zuständig, ihm zu helfen?! Er versuchte noch einmal nach seinem Gegner zu schlagen, doch in diesem Augenblick wurde Tyrone von ihm fort, nach hinten gezerrt. Stacy fiel auf den Teer, mit dem Gesicht voraus. Er hustete und keuchte. Luft, nur endlich Sauerstoff! Er spürte etwas Warmes aus seiner Nase laufen und seine linke Handfläche brannte wie Feuer.

„Hau ab, du Schwachkopf, bevor ich die Polizei rufe! Na, mach’ schon!“

Das war eine vertraute Stimme, die er unter anderen Umständen und zu anderer Gelegenheit vermutlich gern zu seiner Hilfe hätte kommen sehen. Jedoch in diesem Fall war sich Stacy nicht ganz schlüssig, ob er nicht besser an Tyrones Griff erstickt wäre. Nur allmählich lichtete sich der Nebel um sein Bewusstsein. Langsam hob er den Kopf, nur um auf den kalten, verständnislosen Blick seines großen Bruders zu treffen, der ihn an den Oberarmen packte und auf die Füße zerrte.

„Los, wir gehen. Du hast für heute mal wieder genug fertiggebracht! Bist du jetzt wenigstens zufrieden?“

„Aber...“ Er konnte nicht sprechen, noch immer bekam er zu wenig Luft. Er wischte sich mit dem Rücken seiner Hand das Blut weg, das ihm aus der Nase lief. „Nicht...meine Schuld...hab...nicht...angefangen...wirklich...“

„Halt einfach dein Maul!“, fuhr Byron ihn wütend an. Durch die Menge der Schaulustigen, die sich allmählich auflöste, zerrte er seinen kleinen Bruder hinter sich her, die Straße hinab, wo der Ford geparkt war. Stacy wehrte sich nicht und er machte auch keine Anstalten zu widersprechen. Sein Schädel dröhnte, was wohl an der langen fehlenden Sauerstoffversorgung lag und er ließ sich auch ohne Protest von Byron auf den Beifahrersitz stoßen. Der Ärmel seiner Jacke war das einzige, womit er versuchen konnte, das Blut aus seiner Nase aufzufangen, das noch immer dort heraus tropfte.

Sein großer Bruder ließ den Motor an und lenkte den Wagen sicher zwischen den anderen parkenden Fahrzeugen heraus. Von Zeit zu Zeit warf Stacy ihm einen fragenden Blick zu, während sie durch die Nacht fuhren – das einzige Geräusch zwischen ihnen blieb das Dröhnen das Motors. Byrons Gesichtsausdruck war nicht sehr vielversprechend, sodass er es für besser hielt, kein Wort mit ihm zu wechseln.

Die Ranch lag im Dunkeln, keine Lichter brannten mehr hinter einer Fensterscheibe, als sie in den Hof einbogen. Erleichtert atmete Stacy auf. So blieb ihm der Ärger zumindest bis zum anderen Tag erspart. Das Nasenbluten hatte aufgehört, wenn auch dafür in seinem Schädel sein Puls jetzt dröhnte.

Während sie langsam vom Wagen, den sie immer neben dem Wohnhaus parkten, zur Haustür hinüber wanderten, fragte Byron plötzlich in die Stille hinein: „Ist es wahr?“

Stacy begriff sofort, worauf er hinauswollte, hielt es jedoch für geschickter, erstmal den Ahnungslosen zu spielen: „Was?“

„Das mit dir und Molly?“ Der scharfe, durchdringende Blick aus zwei braunen Augen schien ihn durchbohren zu wollen.

Er hob die Schultern. „Wir haben uns ein paar Mal getroffen...“

Byrons Hände packten seinen Hemdkragen, schüttelten ihn. „Bist du eigentlich noch zu retten?! Eine Nutte, ja? So tief sind wir also schon gesunken?! Genügen dir deine hunderte von Verehrerinnen nicht mehr, oder was?!“

„Molly ist in Ordnung!“ Er schlug die Hände seines Bruders fort. Schon wieder! Immer diese Bevormundung, diese Erzieherei, die er an ihm versuchte! Er war bloß ein Jahr älter! Das Feuer flammte wieder einmal in ihm auf.

Fassungslos richtete Byron seinen Blick gegen den sternenklaren Nachthimmel. „Du bist...du bist...“

„Ja, was?!“ Wenn er Streit wollte – nur zu! Er war gerade in Stimmung! „Was bin ich?! Ha?!“

Sein großer Bruder presste die Lippen zu einem schmalen Streifen zusammen, starrte ihn angewidert an. „Bei dir gibt es nichts! Kein Gefühl dafür, was recht und was unrecht ist, keine Verantwortung und schon gar kein Benehmen! Du bist einfach nur...das Allerletzte!“

Er trat an ihm vorbei zu den beiden Stufen, die zur Veranda hinaufführten und versäumte es aber nicht, seinen kleinen Bruder dabei absichtlich an der Schulter anzurempeln. Oben, vor der Haustür, blieb er noch einen Moment stehen, blickte zurück und spuckte dann laut und demonstrativ auf die Planken der Veranda, bevor er ihm Haus verschwand.

Stacy atmete tief durch, sehr lange, bis er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Irgendwann, da würde er sich vergessen. Eines Tages, da wäre es soweit und es kam zum ganz großen Eklat zwischen ihnen und selbst, wenn er danach der Familie verstoßen werden sollte. Der Moment rückte jedoch verdammt nahe, an dem sein Temperament mit ihm durchgehen und Byron nicht länger sein Bruder sein würde.

Das dröhnende Gefühl in seinem Schädel ließ Stacy leise stöhnend in sein Kissen zurücksinken, als wenige Stunden später der Wecker auf seinem Nachttisch laut und grausam rasselte. Sonntag, der Kirchenbesuch schwebte wieder einmal in drohender Aussicht über ihm. Er stöhnte gequält vor sich hin. Harold achtete stets streng darauf, dass seine Familie regelmäßig zum Gottesdienst erschien. Er konnte mehr als nur ungnädig sein, wenn eines seiner Kinder sich aus welchen Gründen auch immer zu weigern versuchte.

Stacy schloss noch einmal die Augen, er fühlte sich alles andere als einer solchen Veranstaltung, wie der Predigt ihres protestantischen Pfarrers gewachsen, die ausschweifend und oft über eine Stunde vor sich hin plätscherte und ihn schon in ausgeschlafenem Zustand kaum zu fesseln vermochte. Aber gut, es half nichts, sein Vater würde erst recht darauf bestehen, würde er ahnen können, was am vorigen Abend vorgefallen war.

Stacy schauderte bei der Vorstellung. Das Hämmern hinter seiner Stirn ließ nur allmählich nach und er wagte es, vorsichtig gegen das morgendliche Sonnenlicht anzublinzeln – es ging sogar halbwegs, ohne dass ihm gleich der Schädel zersprang. Vielleicht hätte er auf die letzten beiden Whiskeys mit Molly doch lieber verzichten sollen. Gestern Abend – Stacy musste grinsen. Sie war ganz einfach eine großartige Frau. Er räkelte sich bei der Erinnerung an die vergnüglichen Stunden im Hotelzimmer. Es störte ihn nicht, dass sie fast zehn Jahre älter war als er und sich auch mit anderen Männern traf. Sie war verrucht, natürlich, das wusste jeder in der Stadt, aber sie besaß Erfahrung und vor allem musste er sich bei ihr keine Gedanken wegen Heirat und Kindern oder derart Verbindlichkeiten machen, die er keinesfalls bereits war einzugehen. Das war einfach nicht ihr Lebensstil und manchmal dachte er, seiner vielleicht auch nicht. Vielleicht war er einfach nicht dazu geschaffen, eines Tages ein braver Ehemann und Vater zu sein, wie es alle von ihm erwarteten. Er wusste eigentlich überhaupt nicht so genau, was für sich und sein Leben in dieser Hinsicht gut sein könnte.

Weniger schön kehrte jetzt das in seine Erinnerung zurück, was danach geschehen war. Hoffentlich würde Byron nichts davon ausplaudern, ansonsten...die Konsequenzen wollte Stacy sich gar nicht erst ausmalen. Bisher war er immer nur wegen Schlägereien negativ aufgefallen, aber wenn innerhalb seiner Familie bekannt wurde, dass er Stammgast bei Molly wäre... Das laute Klopfen an der Tür ließ den jungen Mann zusammenzucken.

„Bist du endlich soweit? Ich will nicht wieder ewig auf dich warten müssen!“ Nur sein Vater – wer auch sonst? – brachte es fertig, schon am frühen Morgen herumzubrüllen wie ein General.

„Ja, ja“, knurrte Stacy missgestimmt und schob seine Beine aus dem Bett. ‚Ich könnte wirklich darauf verzichten’, dachte er. ‚Sogar mehr als das!’

Als er in den Spiegel über seiner Kommode blickte, erschrak er über seinen eigenen Anblick: Dunkle Ränder zeichneten sich unter seinen Augen ab und an der Stelle am Hals, wo Tyrone Clifton ihn gewürgt hatte, prangte eine blau unterlaufene Linie. Seine rechte Hand schmerzte außerdem von den beiden Schlägen, die er dem Schmied verpasst hatte. Auch seine Nase war noch ein wenig geschwollen, auch wenn er sich nicht erinnerte, weshalb sie überhaupt geblutet hatte. Nein, er sah sich wirklich außerstande für einen Kirchenbesuch.

Stacy betrat als letzter den Wohnraum, wo der Frühstückstisch gedeckt auf ihn wartete. Die einzigen beiden, die ihm keinen vorwurfsvollen Blick zuwarfen, waren seine beiden Schwestern. Sie schenkten ihm ein Lächeln und ein munteres „Guten Morgen!“, das er jedoch aufgrund seiner Kopfschmerzen kaum ertrug. Liebevoll strich er Sarah im Vorübergehen kurz durch das goldbraune Haar, bevor er sich neben seinem Vater ums Tischeck, auf seinem Stammplatz niederließ. Der Geruch des Rühreis mit Speck drehte ihm fast den Magen um, doch er bemühte sich, es zu verbergen. Er besaß noch keinen Nerv, sich – wie meistens nach diesen Tanzveranstaltungen und schon überhaupt nicht nach der gestrigen – eine Standpauke seines Vaters anzuhören.

Wortlos nahm Sarah den Teller ihres Bruders und füllte ihn. Immer wieder wanderte ihr Blick zu seinem blassen Gesicht und den rotgeschwollenen, müden Augen. Sie hatte ihn nie danach gefragt, weshalb er sich Samstagabend immer so lange in der Stadt herumtrieb, aber sie konnte es sich denken und ihr waren auch entsprechende Gerüchte zugetragen worden. Andere junge Männer und auch Byron schienen sich da wesentlich besser im Griff zu haben als Stacy und sie fragte sich, was ihn wohl dazu brachte, sich so schrecklich danebenzubenehmen, wo er doch wusste, dass ihr Vater regelmäßig einen Wutanfall deswegen bekam.

„Ich hoffe, dein Gesichtsausdruck ändert sich noch zum Positiven, bis wir bei der Kirche angelangt sind“, bemerkte Harold wie nebenbei, doch sein strenger, finsterer Blick offenbarte Stacy sehr genau, was sich hinter diesen Worten verbarg.

„Ich werde mich bemühen“, murmelte er so leise, dass sein Vater ihn kaum verstand. Ihm gegenüber saß Byron, der ihn regungslos anstarrte, als wartete er auf irgendetwas und Stacy erahnte die Zusammenhänge. Dieser Verräter!

„Hoffentlich.“ Harolds Stirn legte sich in tiefe, kritische Falten. „Es ist mehr als entrüstend zu erfahren, dass der eigene Sohn sich mit einer bestimmten Art…“ Er hüstelte unangenehm berührt, als er die gespannten, fragenden Blicke seiner Töchter spürte. „…nun, nennen wir es Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts abgibt.“

Ruckartig warf Stacy den Kopf zurück. Seine Kopfschmerzen waren vergessen. „Wieso sprichst du nicht einfach aus, was du denkst und schon weißt?! Dass ich mich regelmäßig mit einer Nu…“ Er biss sich gerade noch rechtzeitig auf die Zunge und warf einen raschen Seitenblick auf seine kleinen Schwestern, die ihn ein wenig verwirrt und ahnungslos anstarrten. Sie begriffen nicht, weshalb ihr Vater und Stacy sich auf einmal stritten. Sie hatten beide keinen Schimmer, worum sich das Gespräch überhaupt drehte.

„Also, mit einer bestimmten Frau treffe!“, vollendete er schließlich. Seine blauen Augen blitzten zornig.

„Dass du dich dauernd mit irgendwelchen Mädchen triffst, ist ja nichts Neues“, bemerkte Charlotte prompt und grinste herausfordernd. „Es ist doch im weiten Umkreis bekannt, dass niemand außer dir so viele Verehrerinnen um sich scharen kann!“

Harold erstarrte, seine Miene verfinsterte sich noch mehr. „Ich glaube kaum, dass dies ein geeignetes Thema für einen Frühstückstisch am Sonntagmorgen ist!“, donnerte seine tiefe Stimme durch den Raum und erstickte jeglichen Wunsch seiner Tochter, noch mehr stichelnde Kommentare von sich zu geben. „Beeilt euch lieber, pünktlich in der Kirche zu erscheinen, wie es sich gehört!“

Byron hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen und senkte daher schnell den Kopf, damit niemand das Zucken um seine Mundwinkel bemerkte. Er konnte nicht unbedingt behaupten, dass er Schadenfreude verspürte – er hasste es, wenn sein Vater wegen seines kleinen Bruders üble Laune verbreitete. Ihm lag lediglich die Bemerkung auf der Zunge, dass Charlotte in der Hinsicht Stacy in nichts nachstand. Nur mit dem Unterschied, dass sie es nicht gleich soweit kommen ließ, dass es ihretwegen zum Streit kam.

„Nein!“, schrie Stacy plötzlich wütend und sprang auf. Er schleuderte die Serviette auf sein unberührtes Essen. Hunger verspürte er sowieso keinen. „Ich habe diese ständige Bevormundung satt! Vater, du musst endlich begreifen, dass ich nicht vorhabe, schon mit Ende zwanzig an die Leine genommen zu werden!“

„In welchem Tonfall sprichst du denn mit mir?“, brauste Harold auf und erhob sich langsam von seinem Stuhl, es wirkte beinahe wie eine Drohgebärde. Er hatte geglaubt, seinen jüngsten Sohn zumindest halbwegs gut und anständig erzogen zu haben nach Feys Tod. Dass ihm das nicht wirklich gelungen war, dämmerte ihm schon seit längerem, aber dann erfuhr er von Byron gleich am Morgen, nach dem Aufstehen, was sein zweiter Sohn sich alles zu getrauen schien. Bisher hatte er versucht, dessen unmögliches Benehmen und die ständigen Raufereien, nach denen er ihn regelmäßig am anderen Morgen beim Sheriff abholen konnte, zu ignorieren und sie als jugendliche Ausschweifungen abzutun. Doch das hier ging entschieden zu weit!

„Ich bin trotz der Tatsache, dass du dich für erwachsen hältst, noch immer dein Vater! Und ich möchte keinen Sohn, der sich zum Stadtgespräch im negativen Sinne macht!“

„Ach nein? Und was sagst du dazu, wenn mich das ganz und gar nicht stört? Ich habe meinen Spaß und nur darauf kommt es an! Ich will nicht meine besten Jahre kaputtmachen, indem ich mir die Verantwortung für eine Frau und einen Haufen schreiender Bälger aufhalse! Das reicht noch, wenn…“

Der harte Schlag gegen seine linke Wange unterbrach seinen Ausbruch. Der Schmerz schoss ihm in den ohnehin schon dröhnenden Schädel. Regungslos starrte Stacy seinen Vater mit offenem Mund an. Es lag lange zurück, dass er sich das letzte Mal eine Ohrfeige von ihm eingefangen hatte. Er schluckte, seine Wange brannte und fühlte sich an wie taub, während das Blut in seinen Gehirnwindungen schmerzend pulsierte. Beinahe noch schlimmer empfand er jedoch den triumphierenden Blick aus Byrons dunklen Augen, der ihn, ruhig auf seinem Stuhl sitzend, anlächelte, als wollte er damit sagen: ‚Was bist du bloß für ein Vollidiot!‘

Harolds Gesicht hatte sich knallrot verfärbt und seine großen, kräftigen Pranken packten die Oberarme seines Sohnes unerwartet schnell und grob.

„Setz dich hin“, zischte er leise, „und iss dein Frühstück, damit wir endlich in die Kirche fahren können!“ Seine Stimme klang warnend, sie zitterte ein wenig vor überschäumendem Zorn. Als Stacy dem Befehl nicht sofort nachkam, packte Harold ihn unsanft und warf ihn auf den Stuhl zurück.

Im Wohnraum herrschte lähmende Stille. Nur das Ticken der Standuhr machte ihnen klar, dass die Zeit unaufhörlich voranschritt und diese schreckliche Situation irgendwann vorbei sein würde. Die Stuhlfüße kratzten auf den Holzbohlen, als Sarah sich behutsam erhob. Ihre kleine, zarte Hand legte sich auf den Unterarm ihres Vaters.

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