Читать книгу: «Der Ruf des Kojoten», страница 3

Шрифт:

„Viel kann mir wohl nicht mehr zustoßen“, entgegnete sie zynisch und legte die Stirn in Falten. „Außer, dass ich in absehbarer Zeit dahinscheiden werde.“

„Fey, bitte!“ Er wollte so etwas nicht hören.

„Hat dir Doktor Milford nicht alles gesagt? Ach ja, die Schweigepflicht!“ Es klang beinahe verächtlich. „Nun gut, wenn dich die grausame Realität wirklich interessiert: Ich bin krank und kein Arzt dieser Welt kann mir noch helfen! Doktor Milford meint, es ginge vielleicht noch ein paar Monate, aber länger nicht.“

„Das kann nicht wahr sein!“ Der Schmerz war so stark, dass Jon glaubte, er würde sein Innerstes zerreißen. Sie war noch viel zu jung! Sie hatte vier kleine Kinder, die ihre Mutter brauchten, ihre Fürsorge, ihre Liebe! Das konnte nicht gerecht sein, das konnte auch nicht gewollt sein von dem da oben, von diesem Gott, zu dem er täglich betete. Das durfte, durfte, durfte einfach nicht passieren! Seine großen, mit Hornschwielen übersäten Hände pressten die ihren ineinander.

„Wir müssen es akzeptieren.“ Plötzlich klang ihre Stimme wieder ganz gewohnt – ruhig, überzeugt und beherrscht. Sie schien sich auch damit bereits abgefunden zu haben, genau wie mit allem anderen, was ihr Leben bestimmte. „Wir können nur lernen damit umzugehen, mehr nicht. Es wird geschehen und niemand kann es aufhalten. Manche Menschen sterben eben früher als andere.“ Die Resignation sprach aus jedem ihrer Worte.

Verzweifelt presste Jon ihre Hände zwischen die seinen. Oh, lieber Gott – weshalb? Warum ausgerechnet sie? Ihm fiel nichts ein, was er darauf erwidern konnte. Alles in ihm schien leer und verzweifelt.

„Nur um eines möchte ich dich unter allen Umständen bitten.“ Fey holte tief Luft. Sie war sich nicht schlüssig, wie er reagieren würde. „Erwähne bitte Harold gegenüber nichts davon und schon gar kein Wort zu den Kindern!“

„Aber…“ Jon wollte protestieren. Er konnte doch unmöglich gegenüber ihrem Mann weiterhin so tun, als sei ihre Welt heil und in Ordnung! Es stimmte ja nicht! Sie würde es nie wieder sein und er hatte das meiste Recht von allen, die Wahrheit zu kennen.

„Nein!“ Fey ließ ihn nicht aussprechen. „Ganz gleich, was du tust – aber Harold darf es nicht erfahren! Er kämpft für diese Ranch jeden Tag aufs Neue und es würde ihm vermutlich das Genick brechen, wenn er von meiner Krankheit erfährt! Das tut er schon noch früh genug…“

„Aber erst, wenn es zu spät ist“, warf Jon leise ein.

„Zu spät wäre es nur dann, wenn er die Ranch hinten anstellen würde wegen mir. Harold braucht die Gewissheit, dass sich dieses Leben lohnt, dass es möglich ist, alle Hindernisse zu überwinden und mit allen Schicksalsschlägen fertigzuwerden. Er wird es lernen, denn er hat die Kinder und seine ganzen Gedanken kreisen nur darum, dass er diese Ranch eines Tages an Byron übergeben kann. Dafür lebt er, nur dafür, nicht für mich, nicht wegen mir…auch nicht wegen der anderen drei.“ Sie seufzte. Es war ihr schon vor langer Zeit bewusst geworden. „Du weißt von nichts, ja?“ Es klang scharf und forschend.

„Wie du willst.“ Verständnislos erhob Jon sich. Er war der Ansicht, der Mann und die eigenen Kinder hatten das Recht zu wissen, dass die Ehefrau und Mutter nicht mehr lange bei ihnen sein würde, aber es war nicht seine Entscheidung. Er konnte sie, genau wie alles andere, nur akzeptieren und versuchen, auf irgendeine Art und Weise damit umzugehen. Er verließ das Zimmer, ließ das Ranchhaus hinter sich und stieg die wenigen Meter hinauf, zu den Familiengräbern der McCulloughs. Er starrte lange auf die verschiedenen Grabsteine und deren Inschriften und ein ungeheurer Zorn über die Ungerechtigkeit des Schicksals begann in ihm zu erwachen.

‚Am Ende’, dachte er, ‚liegen wir doch nur hier oder irgendwo sonst in der Erde und all die Qualen, die wir auf uns genommen haben, waren völlig vergeblich und umsonst. Wir haben diese Welt nicht verbessert. Noch immer gibt es Kriege, Hass und Mord. Vielleicht wird sich das niemals ändern, egal wie klug und gebildet diese Menschheit eines Tages sein wird. Vielleicht sind wir einfach zu schwach dazu, um den Weg zu finden, von diesen Lastern fortzukommen.’

„Stacy?“

Feys Stimme klang streng und unnachgiebig, als ihr Sohn an diesem Abend das Ranchhaus betrat. Der Junge war müde und erschöpft. Gleich nach der Schule hatte er draußen helfen müssen ein paar Zäune zu reparieren, durch welche die Rinder auf die Weiden der Nachbarranch gelangen konnten. Mit Bruce und Craig fort, mussten die beiden Jungs bei der Männerarbeit anpacken.

„Ja, Mom?“ Langsam schlurfte er hinüber zur Küche und drückte die angelehnte Tür auf. Fey stand an der Spüle, die sauberen Bestecke in der Hand, die sie soeben in die Schubladen verteilte.

„Gut, dass ihr endlich da seid! Wurde auch Zeit.“ Ihre Mutter wandte sich um und lächelte plötzlich. „Entschuldige. Ich sehe, du hast hart gearbeitet.“

„Allerdings.“ Es klang verbissen. Der Junge verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

„Ich möchte nur sicherstellen, dass deine schulischen Leistungen nicht einbrechen, wenn du auch Zuhause helfen musst.“

Stacy zuckte die Schultern. „Das tun andere Jungs auch! Byron und ich, wir sind schon richtig gut und wenn wir eines Tages die Ranch leiten, dann…“

„Ach, Dummerchen!“, sagte Fey und lächelte, beinahe mitleidig. „Byron ist der Erstgeborene! Er wird die Ranch eines Tages bekommen!“

„Das ist nicht fair! Byron ist ein eingebildeter Besserwisser und…“

„Sprich nicht so respektlos über deinen Bruder!“, schnitt Fey ihm scharf das Wort ab und warf das restliche Besteck mit einem lauten Knall in die Schublade, bevor sie diese zuschlug.

Stacy zuckte zusammen und zog automatisch ein wenig seinen Kopf ein. Er hatte schon öfter zu spüren bekommen, dass die Hand seiner Mutter nicht minder schnell war als die seines Vaters. Irgendwie glaubte er zu begreifen, dass diese Angelegenheit für Fey sehr ernst war. Er schwieg abwartend.

„Du musst viel lernen für die Schule, damit du gute Noten bekommst und später aufs College gehen oder sogar studieren kannst, denn du hast nicht die Möglichkeit hierzubleiben, auf der Ranch.“ Sie holte tief Luft. ‚Das würde vermutlich auch nicht gutgehen mit dir und Byron zusammen‘, fügte sie in Gedanken hinzu.

„Ja, Mom.“ Der elfjährige Junge fühlte sich viel zu müde und erschöpft, um ihr zu widersprechen.

„Stacy?“

„Hmm?“

Feys blasse Gesichtshaut wirkte im Schein der Deckenlampe glasig und durchsichtig. Sie lächelte zärtlich.

„Weißt du eigentlich, dass ich euch alle sehr lieb habe?“

Einen langen Moment verlor der Junge die Fassung. Was war nur heute los? So kannte er seine Mutter überhaupt nicht, hatte sie nur selten zuvor erlebt.

„Ich hab’ dich auch lieb, Mom“, erwiderte er nach kurzer Überlegung, weil er glaubte, dass man so etwas darauf wohl zu sagen hatte.

Fey trat zu ihm, ihre Arme schlangen sich um seinen Körper und sie küsste ihn auf die Stirn. „Ich liebe alle meine Kinder, hörst du? Ihr seid für mich das Wichtigste in meinem Leben!“

Stacy zögerte kurz, bevor es aus ihm herausbrach: „Ich dachte immer, du hast nur Byron lieb. Du hast mir immer vorgehalten, was er alles kann und macht und was ich mir von ihm abschauen soll. Aber ich bin nicht wie er!“

„Nein, das bist du nicht.“ Fey betonte jedes Wort. „Aber ich habe dich deshalb niemals weniger lieb gehabt und ich möchte, dass du das weißt. Hörst du?“

Hastig wandte sie sich wieder dem Spülbecken zu. Ein Teller schlug klirrend gegen den Rand.

„Ja, ich hab’ es gehört“, erwiderte Stacy leise. „Ich weiß es.“

„Und egal, was passiert, du darfst dich von Byron nicht zu sehr herausfordern lassen, ja? Er hat sehr viel von eurem Vater, aber das bedeutet nicht, dass du ein schlechterer Mensch bist, Stacy. Du bist genauso besonders und einmalig, wie jeder andere Mensch auf der Welt. Versprich mir, dass du das nie vergessen wirst und immer, wenn Byron dich ärgert, erinnerst du dich daran und lässt nicht zu, dass er dich dazu bringt, mit ihm zu streiten, einverstanden?“

Stacy nickte vage. Er kannte seinen großen Bruder und seine verletzende, berechnende Art, die er bisweilen an den Tag legte, um ihn herauszufordern und zu provozieren, doch er wollte auch seine Mutter nicht enttäuschen.

„Okay, ich versprech’s.“

Das Feuer im offenen Kamin des Arbeitszimmers war fast heruntergebrannt. Draußen hatte die Nacht den Tag verdrängt. Die Luft war noch immer sehr kalt und der Wind von Westen frischte immer wieder auf. Fey saß in dem linken der beiden Sessel neben dem steinernen Kamin, eines von Stacys Hemden in der Hand.

Sie seufzte. „Ich möchte wissen, wie er es immer anstellt. Keiner von euch bringt mir dermaßen zerfetzte und zugerichtete Hemden zum Flicken, nur dein jüngster Sohn!“

Harold blickte von seiner Schreibtischarbeit auf. Ein feines Lächeln spielte um seine Mundwinkel als er die Lesebrille abnahm, um seine Frau besser betrachten zu können.

„Tja, er ist eben der Unvorsichtigste von den Männern in deiner Familie. Er ist ein kleiner Hitzkopf, manchmal zumindest. Bevor er Byron, Bruce oder Craig um Hilfe bittet, bricht er sich wieder mindestens eine Rippe.“ Er lachte leise in sich hinein.

„Ich kann daran nichts komisch finden!“ Vorwurfsvoll ließ Fey das Hemd in ihren Schoß sinken. Heute war der richtige Zeitpunkt. Sie konnte es auch nicht länger hinauszögern. Es war höchste Zeit, dass sie es Harold versuchte begreiflich zu machen. Jon hatte recht gehabt – es wurde nicht besser, indem sie es verschwieg und verheimlichte, denn irgendwann würde es ohnehin offensichtlich sein.

„Ach, nimm es nicht gleich so ernst! Stacy ist noch ein Kind!“

„Ja, aber er wird sehr bald erwachsen sein und dann wünsche ich mir, dass er ein Vorbild wird für seine beiden Schwestern. Die Mädchen brauchen hier draußen auch etwas anderes, als nur wilde Männer wie dich und Jon und die Cowboys! Sie verrohen mir ja völlig, wenn auch noch ihre eigenen Brüder kein Benehmen kennen!“ Wie, um Himmels Willen, sollte sie nur anfangen?

Harold starrte sie einen langen Moment wortlos an. Er konnte die Besorgnis seiner Frau ja ansatzweise nachvollziehen. Die beiden Mädchen waren Nachzügler gewesen, nicht mehr eingeplant und mit ständiger Besorgnis erwartet. Stacy war sieben Jahre älter und Byron sogar acht und beide Schwangerschaften hatten Fey bereits eine Menge Kraft gekostet und durch die monatelange Übelkeit ein Magengeschwür verursacht. Deshalb blieb sie auch immer dünn, fast mager, weil sie nie mehr viel essen konnte. Sie war einunddreißig gewesen, als Sarah und Charlotte geboren wurden und eigentlich hatten sie nicht mehr damit gerechnet, dass sie noch einmal ein Kind bekommen würden. Die schwere Nierenbeckenentzündung, an der Fey im Winter zuvor erkrankt gewesen war, hatte ihre letzten Hoffnungen auf weitere Kinder zunichte gemacht und dann war sie unerwartet doch wieder schwanger geworden. Dass es dann ausgerechnet auch noch Zwillinge sein würden und zwei Mädchen, das hatten sie am allerwenigsten erwartet, aber sie hatten Fey noch einmal alles abverlangt. Monatelang war sie gezwungen gewesen das Bett hüten, um keine vorzeitigen Wehen zu riskieren und die Geburt an sich war beinahe mehr gewesen, als sie hatte körperlich ertragen können. Es war kein Wunder, dass sie sich um die beiden kleinen Mädchen ganz besonders sorgte.

„Die Jungs sind nunmal gerne draußen“, warf Harold gedehnt ein. „Sie sind beide Rancher aus vollem Herzen! Gönn’ ihnen doch das Vergnügen, solange sie Zeit dafür haben!“

Fey seufzte tief. „Darum geht es nicht, Harold.“ Sie stockte. „Ich möchte nicht, dass sie keinen Platz in der Gesellschaft finden, wenn ich nicht mehr da bin, um sie zu führen.“

Ihre Wortwahl ließ ihren Mann von seinem Buch, in dem er während des Gesprächs bisher immer wieder geblättert hatte, aufblicken. „Was soll das heißen – wenn du nicht mehr da bist?“

Unbemerkt von seinen Eltern war Byron vor wenigen Minuten die Treppe herabgekommen. Er verspürte schrecklichen Durst und obwohl er wusste, dass seine Mutter es nicht gerne sah, wollte er die Gunst der Stunde nutzen und sich am nagelneuen Kühlschrank, den sein Vater erst im Herbst vom hart ersparten Geld erworben hatte, an der Milch bedienen. Wenn seine Eltern im Arbeitszimmer saßen, wie jeden Abend und die Ereignisse des Tages besprachen, bekamen sie meist ohnehin nichts mit. Oft spielte dazu das Radio recht laut und dann hatte er sie auch schon dabei beobachtet, dass sie miteinander tanzten. Doch an diesem Abend war es still und die einzigen Geräusche, die er vernahm, waren ihre Stimmen und das Knistern des Feuers im Kamin.

Der Junge verharrte auf der letzten Stufe und machte einen großen Schritt vorwärts, weil er wusste, dass die Planke direkt vor der Treppe knarrte und ihn verraten würde. Auf Zehenspitzen schob er sich an der Wand entlang, in Richtung Küche. Die Türe zum Arbeitszimmers seines Vaters stand halb offen und als er nun allmählich näher kam, konnte er auch verstehen, was sie sprachen.

„…muss ein Irrtum sein!“, hörte er Harold in Erregung ausrufen und zu seinem großen Erstaunen konnte er hören, dass sein Vater weinte. Er hatte seinen Vater noch niemals eine einzige Träne vergießen sehen und vielleicht führte diese Tatsache dazu, dass er wie gebannt auf der Stelle verharrte und den Stimmen lauschte.

„Nein, Harold, es tut mir leid, aber Doktor Milford hat mit mehreren Kollegen aus der Klinik in Sacramento Rücksprache gehalten und sie kamen alle zu dem selben Ergebnis.“ Das war seine Mutter. Sie schien ganz gefasst und sehr ruhig zu sein.

„Oh Gott, Fey!“ Sein Vater schluchzte, er weinte wirklich! Byron biss sich auf die Lippen. Was konnte seinen Vater nur dazu gebracht haben, derart seine Selbstbeherrschung zu verlieren?

„Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte. Doktor Milford sagt, dieser Krebs käme immer sehr schleichend und zu einem späteren Stadium wird er sehr schmerzhaft sein. Im Moment ertrage ich es noch, aber irgendwann werde ich Schmerzmittel brauchen und dann…versprich mir, dass du den Kindern ersparst, mich zu sehen, wenn ich nur noch vor mich hin sieche! Versprich’ mir das! Sie haben es nicht verdient, ihre eigene Mutter in so einem Zustand sehen zu müssen!“

Der Junge blies seinen Atem pfeifend durch die Nase. Krebs. Das Wort hämmerte in seinem Schädel. Er wusste, was es bedeutete. Die Mutter eines Freundes aus seiner früheren Schulklasse war daran gestorben und danach waren er und sein Vater fortgezogen. Sie hatte auch Krebs gehabt.

Byron verspürte den sehnlichen Wunsch, jetzt ins Arbeitszimmer zu stürzen und seiner Mutter um den Hals zu fallen, doch er wusste, das durfte er nicht. Sonst bekämen seine Eltern heraus, dass er gelauscht hatte, heimlich, weil er Milch vom Kühlschrank stehlen wollte und dann würde sein Vater ihn wieder übers Knie legen.

So biss er sich auf die Lippen, ganz fest, bis es weh tat und der Schmerz in seinem Herzen ein wenig nachließ. Er würde mit niemandem darüber sprechen, auch nicht mit Stacy. Die beiden Mädchen konnten ohnehin noch nicht begreifen, was mit ihrer Mutter geschah und er wollte ihnen auch keine unnötigen Schmerzen zufügen – genauso wenig wie Stacy. Er wusste, dass sein jüngerer Bruder nicht sehr stark war, dass er es vermutlich nicht verkraften konnte, wenn er vorher davon erführe, dass ihre Mutter sterben würde.

Behutsam, um keine Geräusche zu verursachen, wandte Byron sich ab, um in sein Zimmer zurückzuschleichen. Dort legte er sich ins Bett, zog die Federdecke über seinen Kopf und weinte.

Im großen Schlafzimmer begrüßte der Sonnenschein des neuen Apriltages den sterbenden, vom Krebs geschwächten Körper Fey McCulloughs. Ihre letzten Kräfte schwanden mit jedem Herzschlag, die Krankheit siegte. Sie konnte ihre Augen kaum offenhalten, als sie tastend nach den Händen ihres Mannes suchte.

„Bist du da?“ Sie brachte die flüsternden Worte nur schwer und fast unhörbar hervor.

„Ja, ich bin bei dir.“ Tränen liefen über Harolds Gesicht. Jetzt konnte er seinen Gefühlen noch freien Lauf lassen, später musste er sich zusammennehmen – seinen Kindern zuliebe.

„Du hast ihnen nichts gesagt?“ Fey schien die Bestätigung zu brauchen, sie geradezu begierig zu erwarten.

„Nein.“ Harold schluckte und schüttelte den Kopf. Sie war so entsetzlich krank und seine innere Stimme sagte ihm, dass es besser war, jetzt vernünftig zu sein und einzusehen, dass es zu Ende ging. Der Krebs hatte sie längst umgebracht, es war nur noch eine Frage von Wochen gewesen, bis er ihren ganzen Körper befallen hatte. Der seidene Faden, an dem Feys Leben noch hing, drohte jede Sekunde zu zerreißen.

„Gut.“ Trotz der Schwäche, die sie in sich fühlte und trotz des immer stärker werdenden Gefühls, gleich Abschied nehmen zu müssen, brachte Fey ein Lächeln zustande. „Sehr gut. Ich danke dir, Harold…“ Sie musste abbrechen. Es ging nicht mehr.

„Es war dein Wunsch und ich habe ihn erfüllt. Jon ist mit den Kindern zum See hinuntergegangen.“ Seine Hände hielten ihre kalten, zarten Finger in den seinen. Er konnte nichts fürs sie tun und diese entsetzliche Hilflosigkeit, diese Lähmung machte ihn wahnsinnig. Beinahe zornig wischte er sich mit dem Ärmel des Hemds das nasse Gesicht ab. Die unrasierten Bartstoppel zupften an dem Stoff.

„Pass gut auf sie auf.“ Feys Kopf sank zur rechten Seite. „Sie brauchen dich jetzt mehr als irgendjemanden sonst auf der Welt.“

„Natürlich. Ich kümmere mich um sie, du musst dir keine Sorgen machen.“

Seine Tante Harriet würde aus San Francisco zu ihnen ziehen und ihm bei der Erziehung der Kinder beistehen, bis sie groß genug sein würden, sich um sich selbst um ihr Leben zu kümmern. Es war alles bereits seit einigen Wochen arrangiert. Es war Feys Idee gewesen; sie wollte, dass wieder eine Frau und dazu noch eine, die die Kinder bereits kannten, im Haushalt Einzug hielt, damit der weibliche Einfluss nicht völlig verloren ging. Tante Harriet wartete nur auf den Anruf ihres Neffen, dann würde sie in den nächsten Zug steigen. Sie war seit einigen Jahren Witwe und dazu noch kinderlos geblieben. Fey wusste, dass sie sich um ihre Kinder keine Sorgen zu machen brauchte, wenn Tante Harriet ihre überquellende Liebe und Fürsorge über ihnen ausschütten würde und das beruhigte sie immens.

Von irgendwoher hörte Fey eine beruhigende, wohlbekannte Stimme, während ihre Sinne dahinschwanden. Ein helles Licht fing sie auf, als sie glaubte zu fallen. Es hielt seine warmen, weichen Strahlen um sie gelegt und geleitete sie einen unsichtbaren Pfad hinauf, immer höher und höher, als stiege sie der Sonne entgegen. Fey stockte ein letztes Mal, sie warf einen langen Blick zurück über ihre Schulter. Dort unten saß ihr Mann auf dem Rand ihres Bettes, die Hände ihres toten Leibs an seine Wange gepresst und weinte hemmungslos. Es war vorüber und zu ihrem Erstaunen empfand sie es weder als tragisch, noch als bedauerlich. Der Wunsch weiterzugehen wurde stärker und irgendwo, dort wo die Strahlen einen weiten, wunderschönen Torbogen bildeten, standen zwei Gestalten. Sie lächelten und streckten ihr die Hände entgegen und da wusste Fey, dass sie einfach nur nach Hause gegangen war.

Während der Pastor die letzten Worte sprach, wurde der Sarg langsam von den vier Männern hinab in die Grube gelassen. Die Familiengrabstätte am Fuße des Hügels war dicht bevölkert mit Nachbarn und Bekannten, die Fey McCullough die letzte Ehre erweisen wollten.

Während sich die Reihe der Trauergäste an Harold vorbeischob, um ihm ihr Beileid auszusprechen, starrten Byron und Stacy regungslos hinüber zu dem Loch, in dem der Sarg ihrer Mutter soeben verschwunden war. Tante Harriet und die Zwillinge waren im Haus zurückgeblieben, weil sie glaubte – und damit auch wohl recht hatte – dass die Mädchen noch viel zu klein waren, um sie begreifen, was es mit der Beerdigung ihrer Mutter auf sich hatte.

Soeben kam Charlie Hickman an ihnen vorbei. Er strich ihnen beiden übers Haar, ehe er sich an Harold wandte. Charlie Hickman besaß die Pine Tree Ranch, deren Land im Norden an das der Coyote Canyon Ranch grenzte. Er und Harold waren bereits seit Jahren eng befreundet und regelmäßig verbrachte einer beim anderen die Abende oder sie zogen gemeinsam los, in die Kneipen und Saloons der Stadt.

„Es tut mir so unendlich leid, Harold. Ich kann es gar nicht in Worte fassen.“

„Danke, Charlie, danke.“ Die Stimme des Ranchers klang ruhig und sicher, als habe er in den vergangenen beiden Tagen zuerst seine Fassung verloren und dann stärker zurückgewonnen als je zuvor. „Mein einziger Trost ist, dass ich einen Sohn habe, der eines Tages mein Erbe antreten kann. Wenigstens das ist mir geblieben.“ Und mit diesen Worten legte er seinen Arm um Byron, der sich widerstandslos von seinem Vater näher heranziehen ließ.

Für einen kurzen Augenblick vergaß Stacy an diesem Tag die bleierne Traurigkeit, die der plötzliche Tod seiner Mutter mit sich gebracht hatte und die Wut begann wieder einmal in ihm zu brodeln. Das war ungerecht! Wieso konnte nicht er der Erstgeborene sein? Warum ausgerechnet Byron? Er wollte die Ranch genauso gerne übernehmen, aber ihm würde sein Vater niemals die Chance dazu geben!

Als hätte er die Gefühle des Jungen gespürt, legte Jon seine Hand auf Stacys Schulter. Der Junge blickte auf und schaute den Vormann ein wenig fragend und zweifelnd an. Er erinnerte sich an das Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte und das besänftigte ihn ein wenig. Er wollte sie nicht enttäuschen, erst recht nicht jetzt, da sie tot war. Er fand das Wort scheußlich und als er so darüber nachdachte, was es eigentlich bedeutete, wenn jemand starb, so hoffte er mit inständiger Grimmigkeit, dass Byron wenigstens derjenige sein würde, der als letzter von ihnen hier stehen würde, wenn er schon die Ranch bekam. Dann sollte er auch diesen Schmerz noch oft miterleben müssen, wenn jemand hier beerdigt wurde, den er geliebt hatte. Wenigstens das konnte ihm keiner nehmen – ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen: Wenn er einmal sterben würde, dann hätte er das Recht, zumindest auf der Ranch beerdigt zu werden, wenn er sie schon nicht übernehmen durfte. Das war vielleicht ein kleiner Trost, wenn er als weit gereister und gebildeter Professor oder was auch immer eines Tages nach Hause zurückkehren würde. Auch in einem Sarg, genau wie seine Mutter.

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
490 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783754170106
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают