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Kapitel 7

Es dauerte nicht lange und Georg tauchte neben ihr auf und fasste ohne zu fragen die kümmerlichen Reste zusammen. „Du brauchst mir nicht helfen, ich schaffe das auch alleine“, knurrte Verena ihn an. Sie war noch immer wütend und auch der Schreck vom Unfall steckte noch in ihren Gliedern.

„Ich weiß, doch zu zweit ist es leichter“, versuchte Georg zu besänftigen.

„Ich glaube, es schadet ihren Ruf Herr Reuter, wenn sie sich mit einer Irren abgeben, die Geister an ihr Steuer lässt.“

„Du bist gerade nicht fair“, erwiderte Georg ernst.

„Ach ja? Wann sind denn die Leute zu mir fair, hey? Ich habe es satt, fair zu ihnen zu sein, denn sie verdienen es nicht!“ Verena starrte ihn wütend an, sie hatte die Nase voll davon allen ins Gesicht zu lächeln, die hinter ihren Rücken ihr den Vogel zeigten. Doch dann seufzte sie tief auf. Er hatte recht, sie war gerade nicht fair und es war nicht ihre Art, dermaßen ihre Gefühle offen zu legen und einfach den nächst besten anzuschnauzen, ob er es nun verdiente oder nicht. Der Unfall hatte ihr psychisch doch mehr zugesetzt als sie zu erkennen gab.

„Es tut mir leid. Ich habe gerade meinen Frust an dir abgelassen und dabei glaube ich, dass du ein guter und verlässlicher Freund sein kannst.“ Verena schämte sich beinahe und ihre Wut war mit einem Mal verraucht.

„Ich bin ein guter und verlässlicher Freund Verena, auch wenn wir uns erst kurz kennen“, präzisierte Georg. Wieder war für einen kurzen Moment diese Spannung zwischen ihnen wie am Morgen.

„Ich komme jetzt gut alleine klar.“ Dieser Satz beinhaltete eine doppelte Bedeutung und vor allem, sie musste alleine klar kommen. „Natürlich tust du das, daran hege ich keinen Zweifel. Aber wie gesagt, zu zweit fällt manches leichter. Komm, ich fahr dich.“ Und ohne weiter auf ihre Zustimmung zu warten, hob er Kaspar auf die Ladefläche und begab sich zum Fahrersitz.

„Du musst nicht deinen Dienst vernachlässigen, ich kann fahren“, versuchte sie es erneut.

„Verena, widersprich nicht einem Polizeiinspektor im Dienst oder muss ich dir die Schlüssel abnehmen?“

„Das wagst du nicht!“

Doch Georg zog nur provozierend die Augenbraue hoch. „Du kannst doch nicht…“ Verena fehlten momentan die Worte. „Du kannst doch nicht deine Autorität als Beamter ausnutzen!“ Doch ihr entrüsteter Aufschrei beeindruckte Georg überhaupt nicht.

„Willst du es darauf ankommen lassen? Obwohl du Karl erschreckt hast, bin ich sicher, dass er deine Fahrtüchtigkeit in Frage stellt.“

Verenas Augen zogen sich gefährlich zusammen. „Herrgott noch mal, jetzt mach doch nicht so einen Aufstand, weil dich ein Mann ins Dorf fahren will. Du verlierst dabei kein bisschen an deiner Eigenständigkeit. Lässt du denn niemals einen Mann ans Steuer?“ Schon wieder eine doppeldeutige Aussage. Verena konnte ihn nur anstarren. Irgendwie schien sich die Situation ihrer Kontrolle zu entziehen.

„Na bitte, wenn du es unbedingt für erforderlich hältst“, gab sie schließlich nach und seufzte dabei hörbar auf.

„Nicht unbedingt erforderlich, doch es macht mir Spaß“, murmelte Georg. Und mit einem breiten Grinsen setzte er sich hinter das Steuer.

Gerade als Georg den winselnden Kaspar von der Ladefläche hob, stürmte Emilia auf den kleinen Parkplatz. „O mein Gott, ist euch etwas passiert. Soeben hat mir Karla erzählt, dass Verena in einen Unfall verwickelt war. Ich hatte die ganze Zeit schon so ein komisches Gefühl.“ Emilia war ganz aus dem Häuschen auch wenn sie die Blumen noch gar nicht gesehen hatte, dachte Verena sarkastisch.

„Verena ist nichts passiert, Emilia. Nur der arme Kaspar hat sich eine Prellung zugezogen, als er von den Pflanzen gegen die Bordwand gedrückt wurde“, erklärte Georg sachlich.

„Pflanzen, welche Pflanzen?“, fragte Emilia verwundert.

„Diese da, viel ist leider nicht mehr davon übrig. Ich glaube, da kann nicht einmal unser Pflanzenwunder Weidmann helfen“, schnaufte Verena.

Emilia fielen fast die Augen aus dem Kopf als sie auf die Fracht sah. „Ach herrje, ist es nicht schon etwas spät um Blumen zu setzen? Ich hatte bis jetzt gar nicht den Eindruck, dass du dich mit so was beschäftigst. Und du hast sogar eine Hoya, gleich zwei davon“, verwunderte sich Emilia.

„Nun, das sollte alles für dich sein, wegen heute Morgen. Und Hans Weidmann hat mir erzählt wie sehr du diesen Wachsblumenstock haben möchtest und na ja, Kaspar hat ihn in seiner Panik halbiert, darum sind es jetzt zwei.“ Verena war das furchtbar peinlich.

„Was? Für mich? Das hat ja ein kleines Vermögen gekostet.“

Georg sah wie Emilia feuchte Augen bekam. „Meinst du, man kann davon noch was retten?“, fragte er praktisch. Emilia schien die Sprache verloren zu haben, doch sie nickte heftig mit dem Kopf.

„Hör mal Emilia. Paul kommt dann auch vorbei, wir dachten, wir könnten gleich bei dir essen, bevor wir wieder auf die Wache müssen. Wenn du also Hilfe bei dem Grünzeug brauchst, dann sage es gleich.“ Georg lehnte lässig am Verenas Pick up und vermittelte nicht den Eindruck es eilig zu haben.

„Zuerst bringst du Verena hinein, Tim soll ihr schon mal eine Suppe servieren. Mein Gott, Kindchen, was für ein Tag.“ Emilia fasste Verena um die Schultern als bestünde die Gefahr, dass sie jeden Moment umfallen könnte.

„Mir geht’s gut, ehrlich. Und wenn ich gewusst hätte, dass dich ein kleiner Unfall dazu bringt endlich du zu mir zu sagen, wäre ich schon eher in Versuchung geraten.“

Doch Emilia fand das gar nicht komisch und klopfte ihr tadelnd auf die Brust. Sie zuckte zusammen, als ihr die harmlose Geste einen stechenden Schmerz bereitete und dabei leise aufstöhnte. Georg verließ seine gute Miene und fixierte Verena scharf, die sich die schmerzhafte Stelle rieb, die doch ungewöhnlich schmerzte.

„Mach deine Bluse auf!“, forderte Georg bestimmt.

„Was? Hast du den Verstand verloren? So gut kennen wir uns noch lange nicht.“ Verena sah entgeistert auf.

„Ich bin zwar kein Arzt und auch kein Sanitäter, doch ich erkenne sehr wohl, wenn jemand Schmerz verspürt. Du hast dich doch verletzt!“

„Und weil ich nun vermutlich ein paar blaue Flecken habe, soll ich mich auf der Straße ausziehen?“

Doch bevor Georg auch nur den Mund aufmachen konnte, schaltete sich Emilia bestimmt ein. „Damit macht man keine Scherze Verena. Du wirst sofort mit Georg rein gehen und dich ansehen lassen und danach wird gegessen. Auf jeden Fall solltest du bei unseren Arzt vorbei schauen.“

„Und die Blumen? Ich meine, ich habe eine Menge Geld dafür bezahlt. Rette sie!“ Verena konnte nicht anders, die Situation war absurd.

„Die Blumen müssen warten, ich kümmere mich gleich darum. Und nun widersetzte dich nicht einen Polizisten.“ Emilia und Georg hatten sich gegen sie verschworen und morgen würde sie vermutlich in Gedanken daran, lachen.

So kam es, dass sie fünf Minuten später vor Georg mit geöffneter Bluse auf dem Tisch saß. „Na bitte. Blaue Flecken, ich glaube, ich werde es gerade mal noch überleben.“ Georg sah finster drein.

„Das ist ja wohl eher schon ein Bluterguss, ich werde dich gleich nach den Essen bei Dr. Edelbach absetzten, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Sicherlich stehst du unter einem leichten Schock und möglicherweise ist mehr passiert als zu sehen ist.“

Fassungslos begann Verena wieder die Knöpfe zu schließen. „Mir geht es gut, ehrlich. Und falls es dir entgangen sein sollte, ich bin volljährig, niemanden verpflichtet und es ist wirklich nicht notwendig.“ Georg fixierte sie jedoch nur finster und unwillkürlich wurde ihr die Kehle unter dem Blick eng. „Ich lass mich von dir nicht einschüchtern!“

„Gut, dann werde ich Emilia sagen, welch ein Sturkopf du bist und dann kannst du dir sicher sein, dass sie dir die Hölle heiß macht und glaub mir, sie setzt Sanktionen, wenn sie es für nötig hält.“

„Das ist Erpressung!“, empörte sich Verena.

Doch Georg grinste sie nur frech an. „Genau so ist es.“

Kapitel 8

Und so kam es, dass sie im Wartezimmer von Dr. Edelbach geschlagene zwei Stunden wartete. Zeit genug, um den total aus der Bahn geratenen Tag Revue passieren zu lassen. Und was ihr am meisten in den Sinn kam war Georg Reuter. Sie musste zugeben, dass er vermehrt ihre Gedanken beschäftigte. Und das Seltsamste daran war, dass sie miteinander umgingen als würden sie sich bereits seit zwei Jahren kennen und nicht erst seit zwei Tagen.

Da sie sich mit dieser Situation aber nicht beschäftigen wollte und sie im Moment nicht darauf erpicht war mit den Menschen im Arztzimmer, die hinter verdeckter Hand über sie redeten, näher in Kontakt zu treten, konzentrierte sie sich auf Karl Kafka.

Der Mensch war wirklich ein Unikat an einem frauenfeindlichen Bild. Doch da war noch mehr gewesen. Angestrengt versuchte Verena sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen. Da waren persönliche Probleme gewesen und hatte Karla nicht gesagt, seine Frau hätte ihn verlassen? Doch da war noch etwas in ihrem Hinterkopf und mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf die Szene. Irgendetwas mit seiner Frau Lisa, nein, Lydia, nein, das war doch die Tochter von Stegersbach. Wie hatte er sie genannt?

Verena war so vertieft, dass sie ihren Namen gar nicht hörte, als sie aufgerufen wurde. Auch die seltsamen Blicke der Leute fielen ihr nicht auf, die sie alle anstarrten, weil sie nicht reagierte. Der Name lag ihr auf der Zunge, gleich würde sie ihn wieder haben.

Die Sprechstundenhilfe verdrehte die Augen und ging auf Verena zu, die jedoch plötzlich aufsprang, dass diese erschreckt einem Satz nach hinten machte. „Livi, Livi Kafka“, rief Verena aus. „Das ist es.“ Es war mucksmäuschenstill im Warteraum und alle sahen Verena entgeistert an. „Verzeihen sie, ich wollte niemanden erschrecken oder stören. Ich habe nur eben nachgedacht, weil mir dieser Name nicht eingefallen ist. Ist sonst noch irgendetwas?“ Verena schenkte den Leuten nur halbe Beachtung, soeben hatte sie eine neue Spur entdeckt. Livi Kafka hörte und sah Dinge, die es gar nicht gab, hatte ihr Mann oder besser Exmann gesagt.

Da sie in Gedanken immer noch mit der Erinnerung beschäftig war, verstand sie die Worte der Sprechstundenhilfe nicht. „Was haben sie gesagt, entschuldigen sie, ich bin etwas abgelenkt.“ Die Dame räusperte sich.

„Sie sind dran, Frau Ritter.“

„Fabelhaft und keine Sekunde zu früh.“ Verena ließ die Frau stehen, die ihr verstört nach sah.

Hinter ihr tuschelte eine Frau ihren Mann unter vorgehaltener Hand zu. „Großer Gott, die gehört ja in die Klapse, die sieht ja Gespenster am helllichten Tag?“ „Jedenfalls sind mir Geister lieber wie so manche Leute“, lachte Verena. Und diese Szene reichte aus, um den Bewohnern von Großkirchen neuerdings ausreichlich Gesprächsstoff zu liefern.

Es war bereits sechs Uhr als Verena endlich in ihrem Haus ankam, das sie in ihrer Zeit in Großkirchen bewohnte. Doch sie hatte nicht vor lange zu bleiben. Fieberhaft suchte sie das Telefonbuch unter dem Stapel Reklame und ließ ihren Finger bis zu den Namen Kafka gleiten.

Es gab zwei davon und beide hießen Karl. Vermutlich Vater und Sohn, diese Generation hatte noch den Hang ihren Namen weiter zu vererben. Nachdenklich studierte sie die beiden Adressen und wurde stutzig. „Kapellenstraße 46, dass ist ja interessant.“ Na, wenn dass nicht mehr als ein Zufall war und da man eine Spur verfolgen sollte, solange sie noch heiß war, verließ sie kurz herum wieder das Haus und startete ihren Pick up.

„Kaspar, ich glaube, der Unfall heute hat doch noch etwas Gutes gebracht.“

Ohne weiter nach zu denken, schlug sie den Weg in die Richtung der Kapelle ein. Nach knapp zehn Minuten suchte sie die Hausnummernschilder nach dem Heim von Karl Kafka ab.

Es war ein kleines, heimelig wirkendes Haus und es erweckte überhaupt nicht den Eindruck als Heimstätte eines Karl Kafkas zu dienen. Doch deswegen war sie gar nicht hier und vorsichtshalber suchte sie von ihren Wagen aus nach Anzeichen, ob jemand zu Hause war. Eine Begegnung am Tag mit diesem Kerl reichte ihr.

Sie stellte ihr Auto einfach am Straßenrand ab und half dem mitleidigen Kaspar aus dem Wagen. Konzentriert versuchte Verena so viele Einzelheiten wie möglich auf zu nehmen. Aus Erfahrung wusste sie, dass oft sehr viel später die Zusammenhänge im Kopf hergestellt wurden und dass sie sich sogar Tage später an Einzelheiten erinnerte, die ihr im ersten Augenblick nicht gegenwärtig waren.

Das Haus war in einem guten Zustand, obwohl es nicht mehr allzu neu schien. Scheibengardinen waren an den Fenstern zu ­sehen und unter dem Dachvorsprung und der Hauswand hingen viele unterschiedliche Gegenstände. Ein Windspiel, ein Traumfänger, Blumenampeln mit vertrockneten Pflanzen, ein Weihrauchbehälter, eine Laterne, verschiedene getrocknete Pflanzen – vermutlich Kräuter, ein Kreuz,… Es sah fast so aus, als ob alles unter dem Dach hing, was sonst keinen Platz gefunden hatte. Langsam umrundete Verena den Lattenzaun des Hauses, das etwas abseits von den anderen stand und keinen unmittelbaren Nachbarn hatte.

Um das Haus lief eine Art Pfad aus Steinen an dem in ungefähr gleichen Abstand ein kleiner Brunnen, ein aufwendiges, buntes Windrad, ein bepflanzter Erdhügel und eine Art hohe Gasbeleuchtung stand, dass wiederum Verena seltsam vorkam, denn die Terrasse wie der Eingang auf einer anderen Hausseite lag.

Livi Kafka schien irgendwie keine besonderen Vorlieben zu ­haben, oder vielleicht auch zu viele davon. Jedenfalls konnte sich Verena über das Gesamtbild keinen Reim auf die Person machen, die hier wohnte bzw. gewohnt hatte.

Nach eingehender Betrachtung des Grundstückes weitete Verena ihr Blickfeld aus. Die Kapellenstraße führte in leichten Bogen über den Hang bis zu der Kapelle der Heiligen Katharina und Verena konnte von ihren Standpunkt aus den kleinen Glockenturm über der Hügelkuppe sehen. In der anderen Richtung mündete die Straße nach einer scharfen Kurve in der Bundesstraße, die Großkirchen mit Feldbach verband. Ansonsten stand das Haus vollkommen im Grünen, im hinteren Teil stieg die Wiese ziemlich steil an und reichte bis zu dem Wald in wenigen hundert Metern.

Wie von selbst wanderten Verenas Augen über die Wiese bis zum Waldrand und weiter bis zu der Kapelle und wieder zurück. Sie vergaß alles um sich herum als sich allmählich der erste Zusammenhang in ihren Kopf vollzog. Sie erinnerte sich an die Nacht vor zwei Tagen als sie einfach ihrer Eingebung gefolgt war. Das Haus von Karl und Livi Kafka lag sozusagen in direkter Luftlinie und keine fünfzehn Gehminuten von der Stelle entfernt, wo sie ihr Gerät in Panik hatte fallen lassen. Und Livi Kafka hatte übernatürliche Wahrnehmungen gehabt und offensichtlich hatte sie sich davor gefürchtet, denn bei der zweiten Betrachtung der ungewöhnlichen Ansammlung von Gegenständen unter ihrem Dach, erkannte Verena die Bedeutung.

Livi Kafka hatte amateurhaft versucht, sich davor zu schützen.

Nachdenklich kaute Verena auf ihrer Unterlippe während sie ihr Auto heimwärts steuerte. Jetzt hieß es den augenblicklichen Wohnort von Livi Kafka ausfindig zu machen. Am Besten sie fragte Emilia, als zentraler Treffpunkt des Ortes war sie die erste und vermutlich auch die ergiebigste Anlaufstelle.

Langsam begannen sich die kürzeren Tage bemerkbar zu machen und im einsetzenden Dämmerlicht fuhr sie in ihre Einfahrt vor der gerade Georg Reuter in seinen Wagen einsteigen wollte.

Kaspar bellte freudig auf als er seinen neuesten Freund erkannte und Verena bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. Irgendwie schienen sich die Begegnungen mit Georg Reuter zu häufen und sie wusste nicht so recht, ob das klug war. Sie hielt ihr Leben lieber unkompliziert und Georg schien nicht gerade in diese Kategorie zu fallen, eher das Gegenteil.

Unaufgefordert öffnete er ihre Wagentüre und lehnte sich lässig dagegen. „Also gut, ich erhöhe mein Angebot für deine Gedanken. Was ist dein Preis?“

Verena lachte auf. „Was bietest du denn?“

„Ich verdopple.“

„Einen läppischen Euro? Da bekomme ich ja nicht einmal eine Packung Hundeknochen für Kaspar. Das scheint mir kein gutes Geschäft zu sein.“

„Sei gnädig. Polizisten haben einen kargen Lohn.“

„Ach ja? Und meine Gedanken haben dich jetzt bis vor meine Tür geführt?“

„So in etwa. Ich wollte sehen wie es dir geht.“ Sein Blick wurde tiefgründiger und wieder war diese Spannung zwischen ihnen und Verena war nicht in der Lage sich zu entziehen.

„Ich würde dich ja gerne einladen, doch ich glaube, dass ich außer Mineralwasser nichts anzubieten habe“, gestand Verena.

Doch Georg schreckte davor nicht zurück, irgendwie hatte er das sogar fast erwartet. „Magst du griechisches Essen?“, fragte er statt dessen.

„Leidenschaftlich gern, doch auch damit kann ich leider nicht aufwarten.“

„Zwanzig Minuten von hier gibt es einen Griechen, der dir diese südlichen Gourmetfreuden auf einen Teller serviert. Ich lade dich ein, als Gegenleistung für einen deiner Gedanken.“

„Sie scheinen mir ein äußerst korrupter Polizeibeamter zu sein, Herr Reuter. Zu der Erpressung kommt jetzt noch Bestechung dazu.“

Doch er lächelte nur verschmitzt. „Gut, gib mir eine halbe Stunde für eine Dusche und frische Kleidung.“

„Eine halbe Stunde? Gibt es tatsächlich Frauen, die das in dieser Rekordzeit bewältigen?“, lachte Georg ungläubig auf.

„Stell deine Stoppuhr auf dreißig Minuten, brauche ich länger, bezahle ich.“ Verena stellte sich lächelnd der Herausforderung.

„Top, die Wette gilt.“ Und Verena schlug in die offene Hand von Georg ein.

Kapitel 9

Georg war dann doch verwundert über das derzeitige Innenleben von Verenas Haus. In jedem Zimmer standen Taschen und Kartons, so als wäre sie erste heute eingezogen. Oder bereit, jederzeit das Haus zu verlassen, meldete sich der Inspektor im Hinterkopf. Einzig allein das Wohnzimmer war frei davon, dafür standen vier verschiedenfarbige Kerzen in einem Kreis am Fußboden. Er konnte es nicht lassen und sah in der Küche in die Schränke und den Kühlschrank. Das Ergebnis – selbst eine Maus müsste am Hungertuch nagen.

Doch dann viel sein Blick auf ein Gerät am Küchentisch. Offensichtlich war es kaputt und es sah aus wie ein Seismograph. Jedenfalls bestätigte sich seine Vermutung als er das Papier mit den hohen Kurven daneben liegen sah. Das aufgedruckte Datum belief sich auf den 8. September 2004. Das war vor zwei Tagen gewesen und er konnte sich nicht erinnern von einem Erdbeben gehört zu haben.

Unter das Gerät hatte Verena eine Liste geklemmt mit den ­Notizen für die notwendigen Ersatzteile. Es erstaunte ihn eigentlich nicht, dass sie sich offensichtlich mit solch technischen Dingen auskannte, doch es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung.

Georg unterdrückte den Drang weiter neugierig zu sein und mehr über Verena Ritter zu erfahren. Er betrat das Wohnzimmer und wollte es sich auf der Bank gemütlich machen, doch diese war überfüllt mit Notizen, Tonbändern und Mitschriften. Wenn er diese Fülle betrachtete, verwunderte es ihn gar nicht mehr, dass ihr keine Zeit für Essen und Schlafen blieb.

Unschlüssig blieb er stehen und da fiel sein Blick auf den ­ersten persönlichen Gegenstand. Ein Foto. Unverkennbar Verena in der Mitte, doch noch wesentlich jünger und links und rechts von ihr, anscheinend ihr Mutter und ihre Großmutter. Zumindest war die Ähnlichkeit auffällig, dahinter vermutlich ihr ­Vater, ein Mann in Uniform.

Doch plötzlich wurden seine Gedanken von einem Telefon gestört. Es klingelte oder besser gesagt es spielte, wie es eben nun üblich war, eine Melodie. Es war die Musik von Bettlejuice. Georg musste darüber schmunzeln, Verena hatte wirklich Humor, doch wo war dieses Telefon.

Er fand es schließlich zwischen den Blätteranhäufungen auf dem Wohnzimmersofa. Ohne nachzudenken hob er ab und meldete sich mit einem freundlichen „Georg Reuter bei Verena Ritter“.

„Na, das ist ja mal was ganz Neues“, wunderte sich eine Frauen­stimme am anderen Ende.

„Wie erfreulich“, antwortete Georg spontan und es erfüllte ihn mit Befriedigung, dass Verena offensichtlich nicht häufig Männerbesuch hatte. „Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Mit Martha. Ist meine Tochter da?“

„Sie steht unter der Dusche.“

„Aha“, war das Kommentar von der anderen Seite.

„Soll ich ihr etwas ausrichten?“

„Ich versuche sie schon seit zwei Tagen zu erreichen. Wenn sie mit ihren Geistern beschäftigt ist, vergisst sie vollkommen, dass sich vielleicht auch jemand Sorgen um sie macht. Sie sind doch kein Geist?“, fragte Verenas Mutter mit einem belustigten Unterton.

„Noch nicht. Ich hoffe, dass es noch länger so bleiben wird.“

„Das ist ja interessant. Beschäftigen sie sich auch mit unerklärlichen Phänomenen?“

„Unter anderem. Ich bin Polizist. Ich versichere ihnen, dass viel unerklärlich bleibt und dass das unsere Verdächtigen phänomenal finden.“

Verenas Mutter lachte in die Leitung. „Und wie finden sie meine Tochter?“

„Interessant.“

„Sag mal, mit wem telefonierst du da, das ist mein Telefon!“ ­Verena war hinter ihm aufgetaucht, sie hatte noch leicht feuchtes Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen hatte, trug ein fließendes Sommerkleid mit kleinen bunten Blumen und eine leichte Jeansjacke. Sie sah absolut natürlich schön aus.

„Ich mache mich gerade mit deiner Mutter bekannt. Sie sagt, dass du nie anrufst.“ Georg zwinkerte ihr gut gelaunt zu.

„Das ist doch gar nicht wahr, los gib mir mein Telefon“, forderte Verena fröhlich. „Übrigens, ich bin fertig.“

Mit einem Blick auf seine Uhr verabschiedete er sich am Telefon. „Es freut mich, wenn ich wieder von ihnen höre. Und sie hat es tatsächlich in nur sechsundzwanzig Minuten geschafft, ausgehfertig zu sein.“

„Ich hoffe, wir lernen uns einmal persönlich kennen“, verabschiedete sich Verenas Mutter, doch der Unterton in ihrer Stimme transferierte, dass sie eigentlich nicht damit rechnete.

Verena schnappte sich ihr Telefon und drehte Georg den Rücken zu. „Hallo Mama, wie geht es dir.“

„Wie soll es mir gehen, Kind. Du kommst nicht nach Hause, du rufst selten an, ich vermisse dich, Verena.“

„Fang doch nicht schon wieder damit an, Mama.“

„Du hast Recht, es hat wohl nicht viel Sinn, doch eines Tages musst du deinen Vater und dir selbst den Frieden geben. Er wartet auf dich.“

Nach diesen Worten hing für lange zehn Sekunden Schweigen in der Luft und wieder fühlte Verena diesen alten Schmerz, den sie nun schon so lange in sich trug. „Doch deswegen habe ich eigentlich nicht angerufen. Ich wollte wieder deine Stimme hören und wir haben uns Sorgen gemacht, weil du nicht zu erreichen warst.“

„Das ist unnötig, es geht mir gut und alles ist in Ordnung.“ ­Verena konnte es nicht verhindern, dass erneut ihre Schuldgefühle zurück an die Oberfläche kamen.

„Dieser Georg Reuter hört sich nett an, wie ist er denn“, fragte Martha neugierig.

„Interessant.“ Verena musste in das Telefon lächeln.

„Das ist schön Verena. Ich wünsch dir einen schönen Abend.“

„Danke, ich dir auch. Ich rufe dich an.“

„Ja natürlich.“

Georg hatte Verena nicht aus den Augen gelassen und so war ihm auch der Moment des Schmerzes, der sich in ihren Augen spiegelte nicht entgangen. Mit dieser Art von Schmerz kannte er sich aus, er trug selber einen in sich und zum ersten Mal regte sich der Wunsch, ihn offen zu legen und mit jemanden zu teilen.

„Mütter, immer sind sie besorgt. Wir können gehen.“ Der Schutzpanzer hatte sich wieder um sie geschlossen.

Stunden später gingen sie nebeneinander den Weg entlang, der zu Verenas Haus führte. Verena hatte darauf bestanden ein Stück zu Fuß zu gehen und so genoss sie die klare Nachtluft, die langsam mit dem Fortschreiten der Jahreszeit kühler wurde.

Der Abend war sehr harmonisch verlaufen, sie hatten viel gelacht und vorzüglich gegessen und doch hatte sie beiderseits vermieden zu persönlich zu werden.

„Jetzt sind wir fast an deinem Haus und du bist mir noch den Gedanken schuldig geblieben“, warf Georg plötzlich ein.

„Ich möchte echt wissen, was an meinen Gedanken so interessant sein soll“, erwiderte Verena belustigt.

„Nun, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Du bist als ganze Person äußerst interessant.“ ­

Verena konnte es nicht verhindern, dass sie den Vergleich zu vergangenen Männern zog. „Dieses Wort hat viele Perspektiven, wie ich in meinen Leben erkennen musste. Die einen meinen damit, sonderbar, andere abnormal oder amüsant. Und meistens verschwinden sie dann so schnell wie sie aufgetaucht sind.“

„Narren. Lauter Narren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es je uninteressant mit dir sein könnte. Also, wie ist es jetzt mit deinem Gedanken.“

Verena blieb stehen und lehnte sich an den Weidezaun. Ihre Augen funkelten im fahlen Licht und um ihre Lippen spielte ein leichtes Lächeln. „Ich mag so manchen Ruf haben, doch ganz sicherlich bin ich noch nie etwas schuldig geblieben. Also?“ Bei dieser Frage zog sich merklich ihre Augenbraue hoch. Doch Georg schüttelte nur grinsend den Kopf. “Diese Schuld fordere ich ein, wenn die Zeit gekommen ist. Und dann wird sich heraus stellen, ob eine Verena Ritter ehrlich ist und zu ihrem Wort steht.“ Georg verstand es hervorragend sie an der Leine zu halten.

„Gut, dann halten wir die Prüfung dieses Charakterzuges also für später auf. Was jetzt?“

„Erzähl mir etwas von dir“, forderte er.

„Nun, da gibt es nicht viel zu sagen. Ich führe ein bemerkenswert normales Leben.“

„Es ist erstaunlich, was jeder für normal hält. Sich mit Geistern zu beschäftigen, sie zu jagen oder zu erforschen, wie immer du das auch nennst, würden wohl die meisten als nicht alltägliche Beschäftigungsart empfinden.“

„Da wären wir also wieder bei einer Facette von „interessant““, antwortete Verena sarkastisch.

„Ist es so schwer für dich zu akzeptieren, dass es mich ehrlich interessiert?“

„Warum tut es das?“

Auf diese Frage wusste Georg nicht gleich Antwort oder besser gesagt, sich die Wahrheit einzugestehen, fiel sogar ihm nicht leicht. „Ich weiß es nicht. Doch da ist etwas an dir, dass mich anzieht, dass den Wunsch in mir weckt, dich wieder zu sehen. Und von der Vernunft her, widersprechen sich unsere beiden Personen, doch mein Instinkt sagt mir, das mir das herzlich egal ist.“

„Vernunft und Instinkt. Und wie oft hört ein Polizist auf seinen Instinkt?“, wollte Verena wissen.

„Öfters als wir zugeben würden“, bekannte Georg ehrlich.

Verena setzte ihren Weg fort. „Ich bin auf einem vierhundert Jahre alten Gut aufgewachsen. Mein Vater war Offizier der UNO Einsatztruppen und oft Monate nicht zu Hause. Doch dafür war die Zeit, die er da war immer sehr intensiv. Meine Eltern haben sich sehr geliebt, obwohl sich meine Mutter zweifellos ihm unterordnete. Zumindest nach außen hin, ich glaube, dass Soldatenleben konnte auch privat nur schwer Widerspruch dulden.

Bei uns lebte auch meine Großmutter, sie war das komplette Gegenteil von ihren Sohn und bis heute kann ich es eigentlich nicht verstehen, dass mein Vater derart immun und abweisend gegenüber den Übersinnlichen war. Sie meinte immer, er sei das Ebenbild von meinen Großvater, eines englischen Besatzungssoldaten, den sie während des Zweiten Weltkrieges kennen gelernt hatte. Im Großen und Ganzen waren wir eigentlich eine harmonische ­Familie.

Ich hatte eine sehr innige Beziehung zu meiner Großmutter, wir waren uns im Wesen sehr ähnlich. Das war allerdings ein Punkt, den mein Vater nicht so toll fand. Er meinte immer, sie setze mir Flausen in den Kopf.“ Für einen Moment dachte Verena zurück in die Vergangenheit, an den Punkt, der Zeit ihres Lebens ein Streitfaktor zwischen ihren Vater und ihrer Oma gewesen war.

„Meine Großmutter konnte sie auch sehen.“ Verenas Stimme war zu einem Flüstern abgesunken und Georg spitzte angestrengt seine Ohren um ihre Worte zu verstehen. „Was konnte sie sehen?“ Verena steckte ihre Hände in die Jackentasche und Georg spürte förmlich ihre Abwehrhaltung und es blitze rebellisch in ihren Augen als sie ihr Gesicht ihm zuwandte.

„Die Seelen. Die Seelen, die noch nicht ihr Leben abgeschlossen haben, festsitzen und als Geister sich bemerkbar machen.“ Georg wäre niemals in den Moment auf den Gedanken gekommen, Verena auszulachen oder ihre Aussage als unglaubwürdig darzustellen. Im Grunde glaubte er nicht an übernatürliche Erscheinungen und schon gar nicht an Geister, sein Vernunftsdenken ließe eine solche Möglichkeit gar nicht zu. Der trotzige Ausdruck in ihren Augen bewies ihm, dass Verena schon oft diese Auseinandersetzung geführt hatte.

Als Georg nicht wie erwartet reagierte, sie sogar mit einer aufmunternden Geste aufforderte weiter zu sprechen, entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder.

„Für meine Großmutter war es normal, sie sehen zu können, genauso wie für mich. Es ist immer schon so gewesen. Meine Mutter saß sozusagen zwischen den Stühlen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie mir glaubte, doch mein Vater war absolut uneinsichtig. Er beschuldigte sogar meine Großmutter mir es eingeredet zu haben. Zu Beginn dachte er vielleicht, dass ich mit dem größer werden es irgendwann zu dumm finden würde, zu behaupten, dass ich Kontakt zu Geistererscheinungen habe. Ja, einige Zeit hielt er es eher für ein Spiel. Doch es kam der Zeitpunkt, wo er erkannte, dass dem nicht so war. Zuerst versuchte er mir zu erklären, dass es das gar nicht geben konnte, versuchte mich mit allen Mitteln zu überzeugen. Doch was immer er auch vorbrachte, ich wusste ja, das es anders war.“

Verena sah kurz zu den Sternen hoch, dachte an ihre Großmutter, die irgendwo da draußen verschwunden war. „Meine Großmutter war vollkommen unbeeindruckt über das Aufbrausen ihres Sohnes, ihr imponierten in diesen Fall nicht seine Autorität, die er innehatte, nicht seine Uniform. Sie gaben sich beiderseits zu verstehen, dass sie ihre jeweilige Vorgehensweise in meiner Person nicht gut hießen. Da ich beide liebte, lebte ich mit der Zeit zwei Leben. Ich lernte auf dem Grat zu wandern. Das eine Leben erlaubte mir, mich mit der Welt die ich um mich herum wahrnahm, auseinanderzusetzen. Meine Großmutter hat mich viel darüber gelehrt, zeigte mir, dass diese Eigenschaft an einem Menschen etwas ganz Besonderes ist. Das andere Leben war für meinen Vater und vermutlich auch für den Großteil der restlichen Welt, die mit meiner Begabung nicht klar kamen. Meine Mutter verhielt sich unparteiisch und erwähnte nie die endlos langen Stunden, die ich mit meiner Oma verbrachte in der Nacht und im Studium über übersinnliche Wahrnehmung. Sie sorgte dafür, dass die Waage im Gleichgewicht blieb.“

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