Читать книгу: «Seelenecho», страница 5

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Verena atmete tief ein, das folgende Kapitel war ihr das unliebsamste. „Mein Vater war wie so viele Väter. Er wünschte sich, dass ich studiere, Jura, Medizin oder auch Architektur. Ich ließ ihm in dem Glauben, darin war ich gut. Ich spielte ihm schon so lange eine für ihn heile Welt vor ohne Geister. In Wirklichkeit machte ich mein Studium in Archäologie, Geschichte und Psychologie. Natürlich konnte ich es ihm nicht immer verheimlichen, obwohl es nicht allzu schwierig war, denn er war wochenlang nicht zu Hause.

Doch diese Heimlichkeit nagte an mir, ich wollte, dass er es akzeptierte, mich nahm wie ich eben war, auch wenn es nicht seinen Vorstellungen entsprach. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Enttäuschung? Auf jeden Fall geriet er in fürchterliche Wut, er erkannte, dass ich ihm all die Jahre hinters Licht geführt hatte.

Wir hatten einen furchtbaren Streit, es ist die schlimmste Erinnerung in meinen Leben. Es ließ sich nicht vermeiden, dass auch meine Oma damit konfrontiert wurde. Sie war zu diesem Zeitpunkt schon alt und bettlägerig. Ich weiß nicht, ob sie unser Streit so aufgeregt hat oder einfach ihre Zeit zu Ende war, jedenfalls starb sie zwei Tage später. Es war ein Verlust, der mich hart getroffen hat. Ich beschuldigte meinen Vater ihren Tod herbeigeführt zu haben. Ich habe ihn angeschrieen, beschimpft, sagte unverzeihliche Dinge. Er stand nur da und wehrte sich nicht.

Danach habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Ich beendete mein Studium und begann in der Welt herum zu reisen. Ich sammelte, erforschte Berichte über die unsichtbare Welt neben uns. Und diese Tätigkeit hat mich inzwischen durch ganz Europa geführt. Und im Moment bin ich hier gelandet. Ich trage im Auftrag eines Verlages Informationen, Berichte und Augenzeugenaussagen für ein Buch zusammen. Auch wenn es die Leute nicht gerne öffentlich zugeben dan Geistererscheinungen zu glauben, so ist es doch bei vielen so, manche fürchten sich sogar und es ist doch seltsam vor etwas Angst zu haben, von dem sie behaupten, dass es das gar nicht gibt. Ist schon irgendwie komisch, findest du nicht?“

Verena fühlte sich nach ihrer Lebensgeschichte ausgelaugt und war direkt dankbar, dass Georg ihr nicht widersprach noch irgendetwas in Frage stellte. Er schlenderte im gemächlichen Takt neben ihr her und nickte leicht mit dem Kopf.

„Angst ist etwas sehr Elementares, jeder fürchtet sich vor etwas. Hast du denn niemals Angst vor solchen Begegnungen?“ Georg sah in Gedanken Verena einem Geist das Fürchten lehren. Das sie den Schneid dazu hatte, bezweifelte er nicht eine Sekunde.

„Nein. Doch man darf auch nicht leichtsinnig sein. Man muss sich vor negativen Energien schützen.“

„Du scheinst schon eine Menge erlebt zu haben und bist weit herumgekommen. Gab es denn nie einen Mann oder einen Ort, der dich fesseln konnte?“ Georg erinnerte sich nur zu gut an Verenas Kisten und Taschen, die im ganzen Haus verteilt waren – reisefertig.

„Ja einmal. Doch irgendwann stellte ich fest, das wir unterschiedliche Ansichten einer menschlichen Beziehung hatten. Meine Oma hat mich gewarnt, sie ist irgendwie mein persönlicher Schutzengel“, und dabei deutete sie viel sagend Richtung Himmel.

„Soll das bedeuten, dass deine Liebe vor deiner Ahnin bestehen muss?“ Nun konnte Georg doch ein ungläubiges Grinsen nicht unterdrücken.

„So ungefähr. Doch was ist mit dir? Warum bist du nicht verheiratet?“

Georg verhielt im Schritt und seine Augen überschatteten sich. Seine Gedanken trugen ihn zurück in die Vergangenheit, die ihn fast täglich überrannte.

„Ich war verheiratet. Sie war die Liebe meines Lebens. Inga war die Erfüllung meiner Träume, mehr als ich zu hoffen gewagt hatte. Und da war Christian, unser Sohn.“ Seine Stimme wurde in der Erinnerung eng und Verena erkannte den tiefen Schmerz, den Georg in sich trug. Nun wanderten auch Georgs Augen in den Himmel, so als könnte er dort finden, was er verloren hatte.

„Was ist passiert?“ Verenas Stimme hörte sich rau an, sie fühlte die Emotionswellen, die Georg aussandte.

„Ich war nicht da, unser Revier beteiligte sich an einer großen Suchaktion nach einem vermissten Kind. Es war selbstverständlich, dass wir halfen.

Inga war mit Christian auf dem Heimweg. Sie war immer eine besonnene Fahrerin und bis heute weiß ich nicht, warum sie es so eilig hatte. In der scharfen Kurve vor Großkirchen hat sie die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und ist frontal in die Steinmauer gekracht. Sie waren beide tot, bevor die Rettung eintreffen konnte.“

Verena sah die geballten Fäuste, die er in seinem Schmerz in der Hosentasche vergrub. „Es tut mir leid.“ Verena wusste wie abgedroschen diese Floskel klang, doch was hätte sie sagen sollen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der bestraft worden war für eine Sache an der er keine Schuld trug.

„Mir auch und jeden Tag frage ich mich, warum ausgerechnet sie, warum ausgerechnet die beiden. Es war alles so sinnlos, genauso wie die verzweifelte Suche nach dem Kind. Wir haben es gefunden, es ist im Waldsee ertrunken. Es war der furchtbarste Tag in meinem Leben.“

Wie von selbst legte sich Verenas Hand auf seinem Arm. „Und dann lebt man weiter. Einen Tag nach den anderen. Und das Warum verfolgt dich sogar bis in den Schlaf.“ Georgs Stimme war zu einem Flüstern abgesunken und gedankenverloren blickte er ins Leere.

Nun wusste Verena, was sie bei ihrer ersten Begegnung an ihm irritiert hatte. Er hatte die Vergangenheit noch nicht losgelassen. „Wie lange ist es denn her?“ Verena fiel einfach nichts Besseres ein, sie war mitfühlend und bei emotionsgeladenen Filmen musste sie weinen, doch wenn sie Trost spenden wollte, fühlte sie sich linkisch und unbeholfen.

„Drei Jahre. Letztes Monat waren es drei Jahre.“ Georg atmete tief durch. „Doch der Abend war zu schön um ihn traurig enden zu lassen und nahezu ein Verbrechen bei einer so charmanten Begleitung.“ Er zwang sich ein Lächeln ab und drückte warm ihre Finger, die noch auf seinem Arm lagen. Georg Reuter hatte sich geöffnet, doch jetzt hatte er sich erneut abgeblockt. Verena erkannte, dass sie einander gar nicht so unähnlich waren. Zumindest verstanden sie es vortrefflich sich in einen Schutzpanzer zu hüllen.

Kapitel 10

Beschwingt sprang Verena aus dem Bett, sie war bester Laune und pfeifend verschwand sie im Bad. Kaspar betrachtete sie mit treuen Augen und winselte beleidigt auf, als sie ihn endlich zur Kenntnis nahm. „He, du bist doch nicht etwa eifersüchtig. Ich muss zugeben, dass Georg ein netter Kerl ist, doch du weißt, was ich von komplizierten Gefühlswelten halte. Und außerdem bleiben wir gar nicht so lange hier. Deshalb sind wir beide einander treu. Pfote drauf.“

Aufbellend rollte sich der Rüde auf den Rücken, er wollte spielen. „Komm, bevor wir zu Emilia gehen, toben wir uns noch so richtig aus. Ich glaube, ich kann heute Bäume ausreißen.“ Verena reckte sich heftig und der kurze dumpfe Schmerz an der Brust erinnerte sie daran, dass sie doch nicht ganz so fit war. Doch ein paar blaue Flecken würden sie nicht aufhalten und sie hatte heute eine Menge zu erledigen.

Und so kam es, dass sie eine halbe Stunde später aufgeheizt und keuchend mit einem aufgeregt bellenden Kaspar vor Emilias Café landete. Ihre Muskeln kribbelten von den wilden Spiel und dem schnellen Laufen, man sollte vier Beine haben statt zwei. Doch auch Kaspar hinkte wieder merklich und erinnerte Verena daran, dass sie als erstes zu der Tierärztin fahren musste.

„Bist du denn niemals müde?“ Georgs Stimme drang durch die geöffnete Tür nach draußen.

„Dafür habe ich keine Zeit.“ ­Verena lachte ihn keck an. „Als wenn das den Schlaf abhalten würde“, erwiderte Georg seufzend. Verenas gute Laune war ansteckend, wie er gerade feststellte. Er hatte furchtbar geschlafen, die Alpträume der Vergangenheit hatten ihn bis zum Morgen nicht losgelassen und dementsprechend mies und schwer hatte er sich aus dem Bett gequält. Alleine der Gedanke an das Frühstück mit Verena hatte ihn überhaupt bewegen können, den Tag wie gewohnt zu beginnen.

Emilia erschien in der Tür und winkte ihr aufgeregt zu. „Guten Morgen Verena. Komm, ich zeig dir was.“ Emilia strahlte kind­liche Freude aus und neugierig folgte sie ihr in das duftende Café. Stolz präsentierte Emilia die Hoya, die nun eigentlich zwei waren. Sie hatte sie säuberlich eingetopft und in handbemalte Über­töpfe gestellt. Liebevoll strich Emilia über die grünen Blätter und rührselig blickte sie zu Verena auf. „Ich habe mir immer eine von diesen Wachsblumen gewünscht und jetzt habe ich sogar zwei davon. Weidmann hat mir versichert, dass ich beide davon bringe. Sind sie nicht eine Augenweide?“, fragte Emilia atemlos.

„Wundervoll, obwohl ich verstehe nicht allzu viel davon“, gab Verena offen zu.

„Danke, Verena.“

Emilia schwammen die Tränen in den Augen und überschwänglich drückte sie Verena an sich, dass ihr die Luft wegblieb. „Mein Gott, was bin ich für eine Heulsuse. Los, setzt euch hin, ich schicke euch gleich Tim.“ Emilia schniefte laut und putzte sich anschließend lautstark die Nase, bevor sie im Hinterzimmer verschwand.

„Ich glaube, ich wurde soeben von meinen Potest gestoßen“, murmelte Georg. „Doch, da es du bist, kann ich damit leben“, seufzte er nach.

Verena schüttelte bedauernd den Kopf. „Tja, vielleicht hättest du ihr auch mal Blumen bringen sollen.“

„Tu ich ja, hin und wieder, aber natürlich kann ich mit deiner „Hoya“ nicht mithalten.“

Verena grinste. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

„Das ist ja wohl wirklich lächerlich.“ Georg rührte brummig in seinem Kaffee herum.

„Warum bist du dann so – sagen wir pikiert?“, wollte Verena wissen.

„Ich habe einfach schlecht geschlafen, tut mir leid, wenn ich noch muffelig bin. Und jetzt hör auf mit dem Quatsch.“

Verena blickte nachdenklich in die Luft. „Hat Emilia eigentlich Kinder?“

„Nein, es hat nicht geklappt. Doch dafür hat sie mich gehabt.“ Verena zog fragend die Stirne kraus.

„Es interessiert dich nicht, dass ich heute nicht besonders kommunikativ bin, oder?“, brummte Georg mürrisch.

„Nein. Also, wie bist du an Emilia geraten“, bohrte Verena nach.

Aufseufzend legte Georg den Löffel zur Seite und Verena sah die rötlichen Augen, die tatsächlich von einer anstrengenden Nacht zeugten. „Emilia kennt mich schon seit Kindesbeinen an. Ich bin hier geboren. Ich war das zweite Kind und mit meiner Schwester waren wir das Pärchen, das sich meine Eltern gewünscht hatten. Als ich neun war, diagnostizierten die Ärzte bei meiner Mutter Krebs. Ihre Gesundheit war wie eine Fahrt mit der Achterbahn, jedes Mal wenn wir dachten, sie schafft es, gab es einen Rückschlag. Mein Vater versuchte damit fertig zu werden und die Familie irgendwie zusammen zu halten. Doch schon bald war meine Mutter zu schwach um das Haus zu verlassen und mein Vater stürzte sich in Arbeit um die hohen Medikamentenrechnungen und unser Leben bezahlen zu können. Meine Mutter versuchte trotzdem nicht den Optimismus zu verlieren und ich kann mich an viele lustige Stunden erinnern, Stunden, in denen wir eine kleine glückliche Familie waren.

Emilia hat sich viel um meine Mutter gekümmert, hat uns im Haushalt geholfen.

Als ich zwölf war, ist sie dann gestorben, es war der Tag, an dem mein Vater zerbrach. All den Mühen, die er sich in den Jahren ausgesetzt hatte, hatte unsere Mutter nicht retten können. Er hat eine Woche lang fast nur geweint und dann begann er zu trinken, er lebte sein Leben wie eine Marionette und er zog die Maschinerie durch bis wir alt genug waren um selbst im Leben zu stehen. Er wurde mit ihrem Tod einfach nicht fertig.

Von da an, waren Karin und ich täglich bei Emilia. Sie war unsere Ersatzmutter und wir waren für sie die Kinder, die sie gerne gehabt hätte. Sie hat uns von diesem Tag an sozusagen adoptiert. Da unser Vater täglich arbeitete, war es natürlich auch die beste Lösung, die uns passieren konnte.

Und wenn er zu Hause war, hat er versucht uns glücklich zu machen. Doch er war selten da und er vermisste unsere Mutter so schmerzlich und mit der Zeit hat er sich aufgegeben, sich immer mehr abgekapselt. Ich hatte das Gefühl, dass er uns gar nicht mehr wahrnahm.

Sobald Karin und ich erwachsen waren, hat er noch mehr getrunken, er verlor schließlich seine Arbeit, was ihm jedoch egal war und am Hochzeitstag meiner Eltern ist er auf den Friedhof gegangen, zu ihr. Das war im Jänner, er ist erfrorenen, an ihrem Grab. Ich konnte ihn nicht retten“, flüsterte Georg rau.

Verena betrachtet Georg, wie er ihr gegenüber saß und mit stoischem Ausdruck seine Geschichte vor ihr ausbreitete. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass er eine solch traurige Vergangenheit mit sich herum trug. Und vor allem Schuld, unverkennbar fühlte er sich schuldig.

„Vielleicht deswegen, weil es nicht in deiner Macht lag. Oft muss man sich zuerst selbst retten, um gerettet werden zu können. Es war nicht deine Schuld“, versicherte Verena.

„Das habe ich mir schon oft selbst gesagt und doch, vielleicht hätten wir einen Weg finden können.“

„Ich glaube, der einzige Weg wäre gewesen, nie erwachsen zu werden, doch das liegt nun einmal im Lauf des Lebens.“

Georg nickte wenig überzeugt. „Wie auch immer, ich muss jetzt los. Vielleicht sehen wir uns ja noch später“, verabschiedete sich Georg

„Klar, schönen Tag noch.“ Georg nickte ihr zu und war wenig später verschwunden.

Nachdenklich rührte Verena in ihrer Tasse. Georg schien nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen zu sein. Er hatte schreckliche Schicksalsschläge erlitten und doch schien er nicht den Lebensmut verloren zu haben.

Kaspar winselte mitleidig um Verenas Aufmerksamkeit zu erlangen und geistesabwesend kraulte sie ihm hinter den Ohren. „Na, wohin ist denn deine gute Laune verschwunden?“, fragte Tim mit lauter Stimme.

„Setz dich doch zu mir, Emilia scheint ja sowieso keine Zeit für mich zu haben.“

„Emilia hat ein großes Herz, doch sie ist ständig in Bewegung. Wenn sie zum Stillstand kommt, ist das eine ernste Sache. Also, was hast du auf dem Herzen, dass du dem alten Tim erzählen willst.“ Tims tiefe Stimme war nicht gerade unauffällig

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Verena lachend.

„Das sehe ich an deiner Nasenspitze.“ Als Verena ihn nur lächelnd ansah und ein lässiges „Ach ja“ zuwarf, brachte es er gleich auf den Punkt.

„Georg hat dir von seiner Familie erzählt, ich kenne den Jungen sehr genau. Es geht mich ja auch nichts an, was ihr beide da so redet, aber – nun ja, ich wollte dir danken.“ Tim schien auf einmal ganz verlegen.

„Wofür“, wollte Verena überrascht wissen. „Das du es geschafft hast, dass er sich öffnet. Georg trägt ziemlich viel Last mit sich herum, weil er manche Dinge in sich verschlossen hat. Als damals Inga und Christan den Tod fanden, befürchteten Emilia und ich, dass er es seinen Vater gleichtun könnte. Nun, ich meine…“ Tims Verlegenheit stieg. Was tat er da eigentlich, er mischte sich grundsätzlich nicht in solche Sachen ein, das tat normal Emilia.

„Du meinst, an Kummer sterben?“, vollendete Verena seinen Satz.

Ihre Augen trafen sich, Tim war ein guter Mann unter seiner Schale steckte ein einfühlsamer Mensch mit großem Herz, der sich um andere sorgte. „Er hat doch euch beide, ihr seid auf eine Art seine Familie, so wie er auf eine Art euer Sohn ist.“

Tim presste unschlüssig seine Lippen aufeinander. Er räusperte sich und Verena konnte sehen, dass er sich unbehaglich fühlte. „Georg braucht wieder eine eigene Familie. Und ihr beide scheint zusammen zu gehören. Er mag dich.“ Tim deutete verlegen und fahrig mit seinen Händen herum, während Verena ihn entgeistert anstarrte.

„Du solltest dir nicht unmögliche Hoffnungen machen und ganz sicherlich möchte ich niemanden verletzen. Ich werde wieder gehen Tim, wenn ich meine Arbeit hier beendet habe. Und nur, weil wir uns gut verstehen, heißt das nicht, dass wir mehr als gute Freunde sind. Außerdem kennen wir uns kaum.“

Tim nickte ernst mit dem Kopf. „Wir werden noch sehen. Du bist ein gutes Mädel. Ich mag dich auch.“ Verena sah perplex Tim hinterher, wer hätte gedacht, dass gerade er solche Gedanken mit sich herumtrug.

„Komm, Kaspar. Wir fahren zu Dr. Sonnleitner, bevor auch noch Emilia uns in die Zange nimmt.“ Und fluchtartig räumte Verena ihren Platz.

Kapitel 11

„So, du bist fast wie neu, mein Guter.“ Als Versöhnung wegen der weiteren Spritze hielt die Tierärztin Kaspar einen leckeren Hundeknochen vor die Nase. Doch Kaspar zierte sich.

„Ach herrje, ein typischer Mann, immer gleich beleidigt“, lachte sie.

„Gibt es noch etwas, was ich für sie tun kann?“, fragte Karla Sonnleitner fröhlich.

„Ja, da gäbe es etwas. Kennen sie den momentanen Aufenthaltsort von Livi Kafka?“ Verena sah den überraschten Ausdruck auf Karlas Gesicht.

„Livi? Nun, lassen sie mich nachdenken. Ich glaube, sie ist nach Siebenhirten gezogen, das liegt am anderen Ende der Stadt. Dort lebt sie bei einer Freundin. Doch Georg weiß das sicherlich und wie ich so gehört habe, sehen sie sich ja täglich.“ Karla zwinkerte belustigt mit den Augen. „Und Karl wird es natürlich auch wissen“, fügte Karla hinzu.

„Ich ­denke, der ist nicht besonders gut auf mich zu sprechen“, mutmaßte Verena

„Ja, da haben sie Recht“, stimmte Karla zu.

„Obwohl ja nicht alle Frauen der Welt für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich gemacht werden können“, seufzte Verena auf.

„Ihre Ehe ist nicht gescheitert, zumindest nicht so wie sie es offensichtlich denken“, versuchte Karla die Sache richtig zu stellen.

„Was meinen sie damit?“ Verena horchte auf und das Kribbeln in ihren Bauch meldete sich zurück.

„Livi Kafka und Inga Reuter waren sehr gute Freundinnen und infolge dessen standen sich die Familien sehr nahe. Als dieser schreckliche Unfall vor drei Jahren passierte, wo Inga und ihr Sohn starben, da hat es begonnen.“ Verena sah sehr wohl, dass sich Karla unwohl zu fühlen begann.

„Was hat begonnen. Bitte Karla, lassen sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen.“ Verena war hellhörig, sie fühlte wie sich ein neues Teil von ihrem Puzzle Gestalt annahm.

„Hören sie Verena, ich erzähle ihnen was ich gehört habe, was jedoch nicht heißen soll, dass da irgendetwas dran ist. Die Leute reden soviel Blödsinn und ich möchte nicht als Klatschtante dastehen.“

„Ich weiß, dass auch Unglaubliches der Wahrheit entsprechen kann. Lassen sie mich doch selbst urteilen. Und ich werde unser Gespräch natürlich vertraulich behandeln.“

„Ja, gut. Schließlich sind sie ja sozusagen Experte auf dem Gebiet.“ Karla lachte nervös auf. „Livi behauptete, dass sie in dieser Nacht, in der der Unfall passierte, Schreie gehört hätte und das sie felsenfest der Überzeugung war, dass Inga ihre Hilfe brauchte. Das sie versuche zu ihr zu gelangen. Livi hat solange Karl traktiert, bis er sich ins Auto gesetzt hat und mit Livi die Gegend abgesucht hat. Sie haben sie dann auch gefunden, doch da waren sie schon tot.

Doch von diesem Tag an, hat Livi keine Ruhe mehr gefunden. Man sah es ihr an, dass es ihr schlecht ging, doch am Anfang sagte sie kein Wort. Sie begann sich nur seltsam zu verhalten.“

„Inwiefern?“, fragte Verena.

„Sie kaufte all mögliches Zeug, vor allem spirituelle Dinge, die sie dann überall im und um das Haus anbrachte und legte diesen Steinkreis um das Haus. Nachts schlief sie nur mehr bei Licht, doch anscheinend verhalf ihr das alles nicht zur Ruhe. Karl hat dann einmal in Wirtshaus lauthals, als er bereits ziemlich betrunken war, es in die Welt hinaus posaunt.“ Verena sah, wie Dr. Sonnleitner nervös die Hände in die Taschen steckte.

„Was? Was hat er denn nun erzählt. Machen sie es doch nicht so spannend.“

„Karl sagte, nun er erzählte, dass Livi behauptete, dass es bei ihnen spuke. Sie habe mehrmals Inga gesehen. Nun, sie können sich vorstellen, welche Aufregung das verursacht hat. Öffentlich hat natürlich jeder Livi’s Ängste verspottet, doch ich glaube, so mancher war sich da dann doch nicht so sicher.“ Karla spielte nervös mit ihren Utensilien.

Nachdenklich lehnte sich Verena zurück. „Haben andere Personen auch von solchen Vorkommnissen erzählt?“

„Nun ja, nicht so direkt. Doch wenn ich darüber nachdenke, haben sich manche Dinge geändert. Kleinigkeiten, unbedeutsame Dinge“, gab Karla schließlich zu.

„Die ihnen jedoch aufgefallen sind? Was zum Beispiel?“, hakte Verena nach.

Karla schien noch innerlich mit sich zu ringen ihre Gedanken laut auszusprechen. Verena wartete geduldig ab. Denn sie wusste, hatte man einmal laut ausgesprochen, was man sonst nur ansatzweise sich gestattete im Kopf ablaufen zu lassen, eine Form annahm, der man sich danach nur mehr schwer entziehen konnte.

„Nun, früher, um einiges früher war die Kapelle der Heiligen Katharina ein beliebtes Ausflugsziel für Picknicke und so und auch für verliebte Pärchen. Auch der Pfarrer hat des öfteren Messen dort gelesen, doch in den letzten zehn Jahren sind die Leute immer weniger dort hingekommen. Es ist irgendwie unheimlich dort geworden.“ Karlas Stimme sank immer mehr in die Tonlosigkeit ab, so als würden ihre Worte dem Unerklärlichen eine Gestalt geben.

„Und sie, was ist mit ihnen, Karla? Finden sie es auch unheimlich?“, wollte Verena wissen.

Nervös befeuchtete die Ärztin ihre Lippen. „Als ich nach Großkirchen gekommen bin, bin ich oft mit meinen Hunden oben gewesen. Einmal war es schon spät in der Nacht als ich nach Hause gefahren bin. Baxter hat gewinselt, weil er unbedingt sein Geschäft machen musste, so bin ich eben hochgefahren. Wie es eben seine Art war, ist er gleich zwischen den Bäumen verschwunden. Plötzlich hörte ich ihn winseln und wie ein geölter Blitz ist er aus dem Wald hervor geschossen, mit eingezogenem Schwanz. Er sprang in den Kofferraum und zitterte, er schien tatsächlich Angst zu haben.

Ich konnte mir sein Verhalten nicht erklären, es war vollkommen ruhig und dann hatte ich plötzlich das Gefühl nicht mehr alleine zu sein. Kurz dachte ich, ich hätte eine Gestalt zwischen den Bäumen gesehen, fühlte so eine eigenartige Beklommenheit. Jedenfalls habe ich es mit der Angst zu tun bekommen und habe das Weite gesucht. Später habe ich darüber nachgedacht und bin einfach zu der einzigen vernünftigen Erklärung gekommen.“

„Ja?“ Verena ahnte schon die Standardaussage.

„Es war dunkel und ich war allein. Gut, Baxter hat sich seltsam benommen, doch im nach hinein weiß ich, dass diese Gefühle und Wahrnehmung einfach meiner Angst entsprungen sind.“ Karla versuchte zumindest überzeugend zu klingen.

„Und welchen Grund haben dann die Bewohner von Groß­kirchen die Kapelle zu meiden und vor allem, warum hatte Livi Kafka Angst vor der Dunkelheit in ihrem Haus? Es liegt in der Natur des Menschen zu verleugnen, was sie nicht begreifen oder was ihnen Angst macht. Darum ist auf das Urteil eines Menschen nicht unbedingt Verlass. Aber eines können sie mir glauben Karla, auf die Instinkte eines Hundes können sie zu hundert Prozent bauen.“

Karlas erzwungenes Lächeln gefror als sie in den blauen Augen Verenas las. „Sie waren natürlich da. Was haben sie gefunden?“

„Ein großes Rätsel und sie können sicher sein, dass ich das Geheimnis lösen werde, was immer es auch ans Tageslicht bringt.“ Verena ließ daran keinen Zweifel erkennen.

Karla nickte leicht in Gedanken. „Seien sie vorsichtig und wenn sie mich brauchen, dann rufen sie mich an.“

„Das werde ich. Ich lass mich nicht so schnell unterkriegen.“

Verena verließ die Praxis und lenkte ihren Wagen Richtung Stadt. Sie hatte eine Menge Arbeit vor sich.

Ihr erster Weg führte sie in das Stadtarchiv, wo sie dann stundenlang die Zeitungsberichte der letzten Jahre durchblätterte. Frustriert musste sie sich schließlich eingestehen, dass es sie nicht weiter brachte. Seufzend griff sie nach ihren Telefon und wählte die Nummer eines befreundeten Beamten im Finanzamt um die ­Adresse von Livi ausfindig zu machen. Es war äußerst hilfreich gute Beziehungen zu unterhalten, wenn man auf der Suche nach etwas war. In der heutigen Zeit wurde alles digital erfasst und war somit relativ leicht zugänglich.

Doch leider musste sie sich noch etwas damit gedulden, Frank war gerade auf Urlaub. Mit nicht mehr besonders viel Elan blätterte Verena in den Seiten weiter, war in Gedanken jedoch bei den neuen Informationen, die sie bei Karla erfahren hatte. Irgendetwas passte bei der ganzen Sache überhaupt nicht zusammen. Nach Georgs Erzählung war seine Familie auf der Bundesstraße verunglückt, die Stelle lag gute vier Kilometer von Livis Haus entfernt, warum also sollte ausgerechnet deren Geist bei Livi Kafka spuken. Das ergab doch gar keinen Sinn. Geister tauchten nicht willkürlich wo auf, sie erschienen dort, wo es einen unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Leben oder auch Tod hatte.

Verena blätterte eine weitere Seite um, das Leben hier schien laut der Presse äußerst ereignislos zu sein, kurz gesagt eine vorbildliche unauffällige Gegend. Sie wollte schon die Zeitung zuschlagen, da sie keine Lust mehr hatte, an diesem Tag noch weiter zu „recherchieren“.

Verena stutzte plötzlich und beugte sich wieder hellhörig über die Zeitung. „Kapelle in Großkirchen verwaist!“ stand da in großen fetten Buchstaben. Verena las aufmerksam den kurzen Text. „Während der letzten Jahre wurde ein beliebtes Ausflugsziel im Grünen immer mehr gemieden. Obwohl niemand genauere Angaben dazu öffentlich äußern möchte, ist dieser Umstand mehr als ungewöhnlich. Die Kapelle der Heiligen Katharina in Großkirchen und Schutzpatronin des Ortes kann anscheinend ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden, die Bewohner von Großkirchen fühlen sich eben dort „nicht mehr wohl“. Viele Besucher bekamen Angstzustände und litten unter Atemnot, weiters seien während der Nacht Schreie gehört worden. Der Geistliche des Ortes fühle sich machtlos, selbst nach mehren abgehaltenen Messen habe sich die Situation nicht verbessert. Was auch immer der Grund sein mag, warum die Menschen diesen Ort in den letzten Jahren immer mehr meiden, es bleibt weiter ungeklärt. Vielleicht wird eines Tages das Geheimnis gelüftet, damit diesen Stück Erde der alte Friede wieder gegeben werden kann.“

Nachdenklich biss sich Verena auf die Lippe, also hatten durchaus mehrere Einwohner eine Konfrontation mit der negativen Aura gehabt. Und das Muster ihres Verhaltens war ihr keineswegs unbekannt. Es konnte nicht geben, was es nicht geben darf und darum schwiegen sie es tot. Unter vorgehaltener Hand und flüsternd wurde darüber gesprochen, vermutlich schliefen sie dann auch wieder einige Nächte schlechter, wenn sie sich die Unheimlichkeit ins Gedächtnis riefen, was ihnen große Angst bereitete. Doch öffentlich und laut wollte niemand der Tatsache ins Gesicht sehen.

Nun, sie hatte damit kein Problem und sie konnte verdammt gut laut reden, wenn die Zeit gekommen war. Jetzt war Verena auch klar, dass die Großkirchner ihre Anwesenheit sogar sehr persönlich nahmen. Die Frage war nur, wer von ihnen wusste um das Geheimnis, welches im Wald bei der Kapelle verborgen war. Dass es einer kannte, stand für sie außer Zweifel, denn es musste in den letzten zehn Jahren etwas passiert sein, vorher hatte es höchstens die weiße Frau gegeben und die hatte niemand gefürchtet, nein, sie waren sogar stolz gewesen.

„Kaspar, wir sind hier auf eine echte Herausforderung gestoßen. Und wir müssen mit einem äußersten Fingerspitzengefühl an die Sache heran gehen. Denn auch dann werden wir vermutlich noch genug Feindseligkeiten einstecken müssen.“

Und da Georgs Frau irgendwie in die Geschichte eingebunden war, erschwerte die Angelegenheit zusätzlich. Erstens würde es Georg nicht gefallen und den Großkirchnern noch viel weniger.

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