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Читать книгу: «Täubchen alla Boscaiola», страница 4

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'Eine Silbermine?' - Jetzt war das Wort bei ihr angekommen, in seiner Bedeutung. Er suchte also eine Silbermine! - Wirklich, einem Wahnsinnigen war sie in die Hände gefallen, einem Phantasten! - Obgleich er eigentlich, rein äußerlich, mit seinem hohen, knochigen Wuchs, mit seinem roten Haar und der hellen Hautfarbe eher jenen Eroberernaturen glich, die nie fehlgehen. Sie musterte ihn mißtrauisch und genau. Wo sollte hier eine Silbermine herkommen?

Er ließ sich sogar herab, ihr alles zu erklären. Man hatte ihm gesagt, wer, spielte keine Rolle, daß am halben Hang des Monte Largo eine Grube silberhaltigen Bleis lag, eine Art Bergwerk, das aber seit einigen Jahren stillgelegt war.

Immerhin sollten der Besitzer, er sei Witwer, habe er gehört, mit einer Haushälterin oder Frau und einem Sohn und einer jungen Tochter noch dort oben in dem Haus wohnen, das die 'Direktion' gewesen war, und darauf warten, daß irgend jemand sich melde, die Abbauarbeiten wieder aufzunehmen.

Im Auftrag einer Bergbaufirma, die Gruben in ganz Europa, ja in der ganzen Welt besaß, hauptsächlich Zinngruben, sollte er, Raphael, die alte verlassene Mine erkunden. Er kam als Privatmann getarnt, um einen vernünftigen Preis zu erfahren, hätte auch Verhandlungsvollmacht, sogar für einen Kauf.

„Wie geht es dir?“, fragte er endlich. Ihr ging es so schlecht, daß seine Nachfrage höhnisch in ihren Ohren klang. Sogar immer schlechter!

„Du bist blaß!“, stellte er erschreckend nüchtern und sachlich fest.

„Nein! Ich bin gar nicht blaß!“, behauptete sie, „Schau auf die Straße!“

„Keine Angst, ich bin ja bei Dir!“, versuchte er, sie zu beruhigen.

„Es wird schon gehen!“, murmelte sie.

Sie konnte doch nicht zugeben, ihm, dem immer noch Fremden, - wie alles unter ihr, neben ihr und in ihr verrutschte, - diese wahnsinnige Straße, er, dieses Auto, - wie der Himmel schon schräg stand - und wie alles begann zu kippen, mit all ihren Plänen und seinen Plänen und dem ganzen Silberbergwerk; - wie etwas in ihrem Gehirn sich schräg legte und alles Blut in eine Ecke des Schädels rann, sich dort sammelte, sich schon einen Weg bahnte, um mit einem Mal einfach durch den Knochen zu brechen, - und dann wäre es endlich vorbei!

„Halten wir an!“, bat sie.

„Wie?“

„Bitte anhalten!“, sie konnte nur noch flüstern; doch er rief fröhlich:

„Wir sind doch gleich da!“

Waren die Kopfschmerzen nun schlimmer oder die Übelkeit? Diese Frage lenkte sie ab, doch nur kurz. - Nein, die Kopfschmerzen waren nicht das Schlimmste, - die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein war ärger. Und sie war auf einmal verzweifelt, daß ihr der Name dieser Stadt da unten am Meer nicht einfallen wollte. Diese Stadt, die sich um den Normannenfelsen herum das Meer entlang drückte. Es war so wichtig, etwas zu wissen, sie war weniger verloren, wenn sie den Namen dieser verzweifelten Stadt jetzt wußte! - bis endlich die ersten runden Wachttürme sich zeigten, endlich eine Geröllhalde sichtbar wurde, die Abraumhalde, und plötzlich, bei einer neuen Biegung der Straße, das Dach eines Hauses auftauchte.

Raphael hielt den Wagen jetzt an. Eine Art natürlicher Plattform breitete sich über dem abschüssigen Felsengeröll aus, das bis hinunter zum Meer zu reichen schien. Es war Schiefergestein, dessen tausend und tausend Flimmerspiegelungen zwischen Schwarz und Silber jetzt ihren Blick wie lauter kleine bösartige Pupillen auf sich zogen. Ja, das Silber schien überall, obwohl es nur als ein ganz feines Gefunkel durchschimmerte.

Als erstes riß sie sich die Mütze vom Kopf, die Haare waren feucht, was eine angenehme Erfrischung bedeutete, endlich fand sie auch den Drücker der Wagentür, stieß die Tür auf, ließ sie weit offen, taumelte aus dem Wagen, schüttelte sich am ganzen Körper, um die durch die lange Fahrt gelähmten Glieder wieder einzurenken, und setzte sich auf einen Geröllhaufen neben der Straße,

„Geh nur! Geh nur!“, flüsterte sie.

„Du bist ja weiß wie eine Wand!“, sagte er, und seine Stimme klang ehrlich besorgt. Sie schämte sich,

„Macht nichts, es geht schon! Geh du nur! Es ist nichts schlimmes! - Seekrankheit. Nichts weiter.“ Einige Sekunden stand er kopfschüttelnd vor ihr, ging dann schließlich.

Als er fort war, legte sie sich flach auf die kantigen Steine, lag knapp unter dem niedrigen Himmel, atmete mit dem Rücken etwas Festigkeit, auf diesem trügerischen, vom ständigen Wegrutschen bedrohten Steinhaufen, atmen, ja das ging noch!

Dieser Wahnsinnige war nicht mit ihr in den Abgrund gefahren! Sie waren nicht abgestürzt! Der Haufen Steine war nicht mit ihr in die Tiefe gerast! Sie hatte noch einmal Glück gehabt. - Nie wieder! schwor sie.

Endlich gelang es ihr, sich ein wenig aufzurichten, - unten in der Tiefe bis hoch zum Horizont stand das Meer, darauf trieben einzelne Schaumkronen wie Möwen, - oder Möwen wie Schaumkronen, was kam es darauf an? - Die Böen, die die Oberfläche des Meeres fegten und kräuselten, zogen und zerrten an ihr, - sie verlor sich in diesen in die Ferne jagenden Böen. - Wie gefährlich das an ihr zog! - Und da kamen auch schon die Piratenschiffe, diese Korsaren, - sie würden sie natürlich finden, alle Verfolger fanden sie immer! - Sie mußte sich noch einmal zurücklegen, die schmerzenden spitzen Steine trösteten sie, so rieb sie ihren Rücken hin und her und hoffte auf kleine blutenden Wunden, einen kleinen Aderlaß, doch vergeblich! - nur ihre Bluse war in Gefahr.

Als sie die Augen zum Himmel hob und sah, wie die Wolken darin eine rosige Fleischfarbe annahmen, sich in Fetzen auflösten und zerstreuten, da mußte sie an den Kindesmord zu Bethlehem denken; - und wie sie so auf den scharfen Steinen lag, an einen gynäkologischen Stuhl; - ihre Abtreibung fiel ihr ein, zwei Jahre vor der Geburt ihres Kindes, - die also eingerahmt war von einer Abtreibung und einer Fehlgeburt zwei Jahre danach, - auch das hatte sie durchmachen müssen; wie fast jede erwachsene Frau ja ein totes Kind mit sich herumtrug, ein Kind noch im Werden, ohne Namen, ein kleines namenloses, noch unbenanntes Wesen. Mädchen waren es beide Male gewesen, sie hatte es wissen wollen, unbedingt, sie konnte nicht etwas ungeschlechtlichem Wesenlosen nachtrauern.

Vielleicht war es aber nicht gut gewesen, daß der Arzt ihrem Drängen nachgegeben hatte. Denn sie hatte damals sogar überlegt, den kleinen zerstückten Embryo sich geben zu lassen, konserviert, in einem Gläschen, um ihn richtig zu begraben. - Diese Abtreibung, die ihre Ehe ganz langsam zerstört hatte, wie sie dachte, langsam ihre Liebe in einen schleichenden Verfall verwandelt hatte.

Wie gut, daß Raphael, als Mann diese Seligkeiten einer Geburt und die Höllen einer Abtreibung oder Fehlgeburt, das alles, - nicht kannte, - oder kannte er es doch, wenigstens vom Hörensagen, von seiner Frau? - Denn verheiratet mußte er doch sein, das hatte sie sofort gemerkt.

Jetzt spürte Pauline einen Hauch frischen Windes, der vom Meer hochstieg, wahrscheinlich war es der Schirocco. Raphael tauchte am Rand ihres Blickfeldes auf, verzerrt, riesig, wie eine Statue von der Osterinsel, doch lebendig, - jetzt trat er vor die Sonne, blendete die Sonne aus, - jetzt trug er in seinen Haaren einen Heiligenschein, wie dieses groteske Mosaik im Dom, unten, im Normannendom, alles war dort grotesk, weil sie es nicht mehr verstehen konnten, und endlich fiel es ihr wieder ein, wie die Stadt da unten hieß, Cefalú.

In der Hand hielt Raphael einen Gesteinsbrocken, der silbrig schimmerte, - auch der aus den Wunden der Erde gerissen, in der anderen Hand eine weiße Rispe, - eine Totenblume hatte er ihr gepflückt, der Ahnungslose!

Sie sah, daß er den Mund bewegte, doch die Töne blieben bei ihm, dort oben. Sie lag unten in ihrer Gruft aus Geröll, aus Erzbrocken, aus Steinen, spitz wie Rosendornen, und wartete im Rosenhaag, wartete nun schon tausend Jahre, - und warum küßte er sie nicht wach? Küßte sie nicht lebendig? Hatten die Männer in den letzten siebenhundert Jahren denn alle Umgangsformen vergessen?

Er beugte sich jetzt über sie, - Nein, nein, nicht küssen!, - reichte ihr die Hand und zog sie hoch. Sie ließ sich gern helfen, mit einer vorsichtigen Langsamkeit stellte sie sich auf ihre eigenen Beine. Diese hielten noch stand, versagten ihr nicht den Dienst. - Mechanisch klopfte sie ihren Rock ab, kämpfte immer noch gegen die Übelkeit, gegen die Blendung aus dieser Sonne, die nun hinter seinem linken Ohr stand und es verkleinerte und verkrüppelte.

Er redete und einzelne Worte gelangten jetzt bis in ihr Bewußtsein.

„Zufrieden, so befriedigt - vielversprechend - sieh her!“

„Asphodelos,“, sagte sie, und meinte die Blume, die er ihr jetzt überreichte, „Der Proserpina geweiht.“

„Proserpina?“

„Die Schutzgöttin der Totengräber.“

„Und der Schatzgräber!“, ergänzte Raphael.

Aus dem Wagen holte er seine Thermosflasche, bot sie ihr an, gehorsam trank sie einige Schlucke. Heißer Kaffee war darin, so heiß, daß sie sich die Zunge verbrannte. „Ich möchte mich noch etwas ausruhen hier. Geh nur. Du kannst mich ruhig allein lassen.“

Raphael drang wieder auf dieser Felsen-Plattform vor, die, wie sie jetzt bemerkte, doch Spuren menschlichen Verkehrs trug, verrostete Blechdosen lagen verstreut herum, Nägel, Schrauben, der Stiel einer Hacke, leere Flaschen, verblichene, gelbe, fettige Papierbogen, hellere Zeitungsseiten anscheinend jüngeren Datums. - Alles Bewegliche und Leichte flatterte keck oder auch trostlos im Winde hin- und her, - rollte umher, aufblätternd, zuschlagend.

Irgend jemand mußte doch hier leben, zumindest ein Hund, denn ein düsteres Bellen hallte vom Echo vervielfältigt wider; dann aber schien es ihr, als ob dieses Gebell aus den Eingeweiden des Berges käme, aus einem jener niedrigen, schwarzen und bogenartigen Schachtmünder, die an die Eingänge antiker Gräber erinnerten. Ein Hund war also dort drinnen und bewachte den verborgenen Schatz. Ein Höllenhund!

Auf einmal beschlich Raphael das Gefühl, daß er beobachtet wurde. Er suchte mit den Augen die Umgebung ab, und entdeckte schließlich, daß er aus der Ferne von einer jungen Frau beobachtet wurde war; die ihn lange Zeit nicht aus den Augen ließ, und endlich aufstand und verschwand. Er entdeckte sie sogar noch einmal, während er fotografierte und maß; diesmal an einer anderen Stelle, hinter einer Pinie, an einen Felsen gelehnt, - aber wieder war sie so weit entfernt, daß er ihr Gesicht nicht erkennen konnte.

Raphael war etwas verwundert über diese Beobachtung, doch er maß ihr keine weitere Bedeutung zu und ging wieder zu Pauline,

„Ist dir nicht besser?“

„Doch!“, sagte Pauline, „Viel besser. Es war nur eine Kleinigkeit. Kein Grund zur Besorgnis.“ Hoffentlich hatte er nicht gemerkt, wie schlecht es ihr wirklich gegangen war!

„Na also!“, sagte er. - Gut!, sie ging also mit ihm. Da stand sogar ein Haus. Und Pauline mußte an den Witwer und an die Tochter, denken, von denen er gesprochen hatte, und als sie auf die Haustür blickte, war es ihr, als müßten sie dort sitzen, schwarz und traurig der Witwer, das Mädchen blaß vor Einsamkeit, mit dunklen, leuchtenden Augen, dahinter stehend der Sohn. Aber die Tür war verschlossen. Keine Menschenseele erschien.

Vorsichtig gingen sie um das Haus herum und als sie hinter das Haus gelangten, sahen sie einen großen Fleischerhund an einem roten Rolladen angebunden, der vor einem der Schachteingänge heruntergelassen war. Der Hund erhob sich beim Näherkommen der beiden Fremden mit wutenbrannten Augen auf die Hinterbeine empor, und fing an zu bellen, daraufhin trat ein alter Mann aus dem Haus und besänftigte das Tier mit leisen Worten und Streicheln.

„Sind Sie der Wächter der Grube?“, fragte Raphael. Anstatt einer Anwort machte der Alte eine zweideutige Gebärde mit der Hand. Was bedeutete das? Ja? - Nein? - Der Hund wedelte mit dem Schwanz und sah Raphael fest ins Gesicht, als ob er dessen Worte verstanden hätte. Raphael las ein Stück Schiefer auf und betrachtete es zerstreut, dann wandte er wieder seine Augen zum Wächter,

„Ist außer Ihnen niemand da?“ Der Alte sah sie mißtrauisch an, er murmelte grollend etwas Unverständliches, endlich hob er den Kopf und bequemte sich zu sagen,

„Man muß in die Ortschaft gehen, da hinten, und mit der Tochter des Besitzers reden.“ Da schien Raphael jedes weiteres Gespräch überflüssig, als aber der Alte sah, wie sie Anstalten machten, wegzugehen, hielt er ihn an,

„Sie hätten die Absicht, wegen der Grube zu verhandeln? Aber wissen Sie auch, was die Besitzer verlangen?“

„Das eben will ich gerade feststellen - und möchte mich nach ein paar anderen Dingen erkundigen.“

„Welche sind das?“

„Vor allem die gemachten Ausschachtungen, Abteufmaße, usw, - und die Resultate der Untersuchungen über die Qualität des Erzes, also des Blei- und Silbergehalts.“ Der Alte schien überrascht über die Zielsicherheit, mit der Raphael seine Fragen stellte, er sah ihn mit prüfenden Augen an, dann schnitt er eine Grimasse,

„Die Resultate?“ wiederholte er höhnisch, „Die waren so, daß der Besitzer nach kurzer Zeit ruiniert war.“

„Wann ist das gewesen?“

„Vor vierzehn Jahren.“

„Und hat sich später niemand gemeldet, um die Grube zu kaufen?“

„Erstens weiß man noch gar nicht, ob es sich um eine solche handelt, das heißt, bis zu welcher Tiefe die Ader silberhaltigen Bleis reicht.“

„Sonderbar,“, sagte Raphael, „aber ich sehe doch, daß bereits mehrere Schächte gegraben worden sind. - Und wo könnte ich den Besitzer finden?“ Der Alte brach das Gespräch mit einer raschen Gebärde ab, er bereute anscheinend, so viel gesprochen zu haben.

Er streckte den Arm gegen die Biegung eines Pfades aus, der sich in einem dunklen Eichenwäldchen verlor, und sagte,

„Die Ortschaft ist ganz in der Nähe. Gehen Sie hin und erkundigen Sie sich. Verlangen Sie nach der Familie Botello.“ Raphael versuchte eine letzte Frage,

„Sie sind nicht von hier?“ Der Alte antwortete nicht, sondern entfernte sich kopfschüttelnd und murmelte dabei etwas vor sich hin.

Raphael blickte ihm verblüfft nach, dann lachte er und sagte,

„Hier kann ich vielleicht etwas machen! Wollen wir gleich von hier aus ins Dorf gehen? Das scheint der Weg dorthin zu sein.“ und er wies mit der Hand in die Richtung, die ihnen der Alte angegeben hatte.

„Nicht heute!“ bat sie, „Bitte! Ich bin von der Fahrt noch vollkommen erschöpft! Diesen dunklen Pfad dort jetzt entlang laufen? Bitte nicht!“ - Oder etwa die Geröllpiste zum Dorf fahren!? Mit diesem niedrigen, tiefgelegten Auto? Das wollte sie auch nicht!

„Gut!“, sagte er, „Meinetwegen. Fahren wir zurück.“

„Ja!“, sagte sie, „ja, fahren wir, fahren wir!“ Wie war sie erleichtert, diesen unheimlichen Ort verlassen zu können! Und so machten sie sich auf den Rückweg zur Landstraße, wo sie das Auto hatten stehen lassen.

7. Kapitel

Signor Toccabelli hatte einige Tage in Palermo verbracht, in Geschäften. Er war spätabends erst zuhause in Castellina eingetroffen, hatte mit niemandem ein Wort gewechselt, und am Morgen war er nur seiner mürrischen Haushälterin begegnet, die sowieso mit niemandem aus dem Ort sprach. Der Frieden eines behaglichen Frühstücks lag noch in ihm, zum ersten Mal seit langem war er etwas ruhiger; zwar war seine Stimmung noch getrübt durch den Tod seines ältesten Sohnes Giovanni vor einigen Monaten, doch er konnte den schönen Herbstmorgen genießen, als er sein Haus verließ, das gegenüber der Kirche stand.

Signor Toccabelli war ein stattlicher und gut aussehender Mann mit einem grauen Haarkranz. Er trug heute einen hellen Anzug, und hatte eine neue, gestreifte Krawatte umgebunden. Die ungewohnte Krawatte drückte ihn am Hals, und er ruckte ab und zu mit dem Kopf oder faßte mit der Hand nach, um sie zu lockern, als aus einer Seitengasse eilig ein kleiner dicker Mann auf einem Fahrrad auf ihn zukam.

Dieser Mann war Giuseppe Fontana, der Schweinehirt Signor Toccabellis, in seinem verschlossenen Gesicht schienen nur die Augen lebendig zu sein. - Dabei war er der gutmütigste Mensch, den man sich denken kann, der seine Frau fast ebenso sehr liebte, wie die Schweine, die er hütete. Und diese liebte er sehr.

Giuseppe stellte das Fahrrad an das schmiedeeiserne Gitter, das den Kirchplatz einfaßte, lief Signor Toccabelli entgegen und rief keuchend:

„Sind Sie endlich zurück?“

„Was ist los, Giuseppe?", erwiderte Signor Toccabelli, "Ist irgendwo eine Bombe explodiert?“ Giuseppe war geschwitzt und aufgeregt, er mußte erst einmal Atem schöpfen,

„Signore! Wissen Sie denn schon?“

„Was soll ich wissen?“

„Denken Sie nur!“, sagte der Mann, „Nein, Sie können es sich nicht denken!“

„Giuseppe, beruhige dich!“, Toccabelli begann ungehalten zu werden, daß er aufgehalten wurde, „Mach's kurz! - Ich muß fort!“

„Es ist unmöglich!“ Giuseppe breitete in einer dramatischen Geste die Arme aus, da blickte er auf Signor Toccabellis Hals, „Was haben Sie denn für eine schöne neue Krawatte umgebunden!?“

„Nun fasse dich, Giuseppe!“

„Diese Halunken! - Ein Zaun!“, Giuseppe sah seinen Brotgeber anklagend an, „Stellen Sie sich vor, ein richtiger Zaun!“

„Giuseppe, was faselst du! Von welchem Zaun sprichst du?“

„Ein hoher Zaun aus Drahtgeflecht. - Ihre armen Schweine! Wie sollen sie jetzt zur Weide gelangen?“

„Wo? - Was? - Was für ein Zaun?“

„Oben, auf dem Weg zum alten Schießplatz, am Palottolaio!“

„Ja?“

„Da steht jetzt ein Zaun!“

„Ein Zaun? Unmöglich!“, rief Signor Toccabelli, doch er wurde nun aufmerksam.

„Schauen Sie selbst!“, lamentierte Giuseppe, „Ihre Schweine . . . Ich kann sie nicht mehr zur Weide treiben, sie müssen verhungern. Und gerade dieses Jahr sind es soviele Ferkel, Sie wissen ja, dreizehn Ferkel! Wenn das kein Unglück bringt, hat meine Frau immer gesagt, dreizehn!,- hat sie gesagt. - Und, nun!? Sehen Sie! Das Unglück ist da!“

„Ein Zaun? - Das war doch niemand anders als dieser Teufel Signor Botello!“, zischte Toccabelli mit zusammengepreßten Zähnen.

„Ja! Dieser Halunke, dieser Halsabschneider . . . “ Ein Schwall Beschimpfungen ergoß sich aus Giuseppes Mund. Signor Toccabelli sagte:

„Das soll er bereuen! Giuseppe, ich muß fort. Treibe die Schweine einstweilen auf das abgeerntete Kohlfeld! - Oder führe sie über den Gemeindeweg, den Sintiero!“ Und damit ging er zu seinem Wagen.

Giuseppe blieb mit offenem Mund zurück, während Toccabelli fahrig und behender als sonst seinen Wagen bestieg, Castellina verließ und in der nächsten größeren Ortschaft bei einem ihm bekannten Bauunternehmer anhielt und mit ihm ein kurzes Gespräch führte.

Als er händereibend das tempelartige Büro-Gebäude des Bauunternehmers verließ, - es war übrigens derselbe, den Signor Botello beauftragt hatte, aber das verschwieg der schlaue Geschäftsmann natürlich, - war Signor Toccabelli so guter Dinge, daß er seine ursprüngliche Verabredung mit seinem Geschäftspartner in Cefalú vergessen hatte, obwohl es um eine beträchtliche Summe Geld ging.

Gemütlich und mit neu gewonnener Seelenruhe trödelte er mit seinem Wagen die Landstraße entlang und erfreute sich an dem frischen Grün nach den ersten kurzen Regenfällen in diesem Herbst, plötzlich fiel sein Blick auf die Uhr und er wurde blaß, „Schon dreiviertel elf! - Um halb elf wollte ich dasein!“

8. Kapitel

Wenig hatte in den letzten Jahren so für Aufruhr in Castellina al Monte Largo gesorgt, wie die Sache mit dem alten Schießplatz. Der Schießplatz, der schon jahrelang nicht mehr benutzt worden war, war im Vorjahr von der Militärverwaltung versteigert worden, und Signor Botello und Signor Toccabelli, die neben dem Apotheker Signor Meirelas zu den wenigen Wohlhabenden im Ort gehörten, hatten jeder ein Stück davon ersteigert, - und jeweils einen Teil des dazugehörigen Militärweges, der zur Küste und zum Dorf und zur Bleigrube führte.

Die Nachricht von dem Zaun, der den alten Militärweg absperrte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Castellina. Schon abends war der Ort in zwei Lager gespalten, die Anhänger von Signor Botello, meist ältere und gesetztere Leute, hatten sich im Café Sicilia eingefunden; sie saßen draußen, vor der dunkelgrün gestrichenen Wand des Cafés, unter dem großer Mimosenbaum, an winzigen runden Blechtischen, fast jeder hatte sein kleines Glas Grappa vor sich, mancher auch ein Bier. Direkt nebenan, nur zwei Schritte entfernt, im erst kürzlich eröffneten Café Europa saßen die jüngeren Männer, die meist Toccabelli-Anhänger waren.

Am frühen Abend war überraschend ein Strich Regen gefallen und so glänzte das Pflaster vor den Cafés im Licht der wenigen Laternen, die den Platz umstanden. Die vielen Menschen hatten die streunenden Hunde angelockt, die in einem weiten Kreis auf dem Platz vor den Cafés lagen und auf einen Brocken hofften oder einfach nur die menschliche Gesellschaft suchten.

Die Hunde schwiegen, nur manchmal knurrte einer, wenn ihm ein anderer zu nahe kam, die Männer in den Cafés jedoch schwiegen nicht, sondern redeten, und ihre Stimmen wurde immer lauter und erregter. Denn es wurde heftig diskutiert, über die neuesten Begebenheiten und die neuesten Einfälle der beiden Kontrahenten im Streit um die Wege zum Schießplatz. Meist bemühte man sich, die Anhänger der anderen Partei, die nur zwei Schritte entfernt saßen, nicht mithören zu lassen, aber manchmal drang doch ein zu lautes Wort über die Grenze, was dann einen lebhaften Protest oder auch nur ein hämisches, abfälliges Gelächter bei der Gegenpartei zur Folge hatte.

So ging das eine Zeitlang, eine, dann zwei Stunden, ohne daß ein Ergebnis der Debatten abzusehen wäre. Die Hunde erhoben sich bereits gähnend und strichen davon, die ersten der Männer standen schon auf, klopften ihre Hosen von Asche frei, nickten einen kurzen Gruß und verschwanden mit hochgezogenen Schultern in einer der trüben Gassen, die von dem Platz abgingen.

Da kam ein junger Mann auf seinem Moped angefahren, hielt direkt vor dem Café Sicilia an und stieg ab. Auf dem Gepäckträger hatte er ein zusammengerolltes Papier festgeklemmt, das er sogleich entrollte und den Männern im Café Sicilia zeigte, die einen Moment ihre Diskussion unterbrachen und ihn nach der Lektüre des Papiers verständnislos ansahen. Da erst bemerkte er seinen Irrtum, schob das Moped nach links, zum Café Europa, bestellte sich einen Grappa und ließ das Plakat, - denn um ein solches handelte es sich, - herumgehen, während er Grappa trank und dazu ein paar Gurken-Scheiben verzehrte.

Jeder, der das Plakat in die Hand bekam, und darin las, fing nach wenigen Sekunden an, laut aufzulachen, sodaß schließlich der Wirt rief: „Vorlesen! Das dauert zu lange!“ Er nahm das Plakat und reichte es einem hochgeschossenen jungen Mann mit einer Brille, der von allen 'der Student' genannt wurde, obwohl er nie studiert hatte, sondern nur einige Zeit lang Verkäufer in einem Buchladen in Cefalú gewesen war, den aber seine laute und klare Stimme dazu auserlesen hatte, daß er an hohen Feiertagen in der Kirche die Evangelientexte las.

Der Student begann das Plakat zu studieren, brach in Gelächter aus und schließlich las er vor:

'An die Bewohner Castellinas und der umliegenden Anhöhen!'

Sobald der Student zu lesen begann, verstummten auch im angrenzenden Café Sicilia die Gespräche, und alle lauschten gespannt,

'Hiermit wird bekannt gemacht, daß jedes Schwein, das östlich des Zaunes am alten Schießplatz, auf dem alten Militärweg zum Dorf, in meinem Garten oder in dem angrenzenden Eichenwäldchen oder im Bereich der Erzgrube angetroffen wird, als Wild angesehen wird, und von dem unterzeichneten Jäger kraft Jagdrechtes erschossen wird.

unterzeichnet Botello.'

Schallendes Gelächter war die Antwort. „Auf die Jagd nach zahmen Schweinen will er gehen, der Herr Grubenbesitzer, das hat man ja noch nie gehört! - Was muß der Angst um seine Eicheln haben . . . “ und die Scherze, immer gröber und immer frecher, flogen hin und her.

Dann jedoch machte sich Unmut breit im Café Europa, einige murrten, „Das geht klar auf Toccabellis Schweine! - Wer sonst hält dort oben Säue? - Uns das angestammte Wegerecht nehmen und dann noch auf die Schweine schießen! - Wir wollen unser Wegerecht! - Was heißt hier Wegerecht? - Wer geht denn dort noch entlang? Niemand!“ - So ging es hin und her, bis ein Mann, hager und mit einem Vogelprofil, aufsprang, seine Daumen in die Hüften stemmte, mit den Fingern unter seine altmodisch bestickten Hosenträger fuhr und fragte: „Hat sich denn die Gemeinde damit auseinandergesetzt? - Schließlich haben wir noch Gesetze!“ Einen Moment herrschte verblüffte Stille. In die Stille hinein sagte eine schüchterne Stimme: „Ja, das muß die Gemeinde regeln!“ - Da brach der Sturm erneut aus: „Die Gesetze, - die Gemeinde, - der Bürgermeister, - Recht und Ordnung, - die Provinzverwaltung, - der Gouverneur . . . “

„Halt! Einen Moment!“ Der 'Student' unterbrach mit seiner lauten Stimme die Parlaments-Debatte, „Hier ist noch ein Zettel angebracht, auf dem etwas mit Kugelschreiber geschrieben steht! Geht mir aus dem Licht, damit ich es lesen kann!“ Die Männer wichen zur Seite und der Student las:

'Nach Einberufung des Gemeinderats zu einer außerordentlichen Sitzung mußte Signor Botello schließlich recht gegeben werden, dann die Eicheln aus dem Eichenwäldchen, auf seinem Teil des Schießplatzes, auf dem alten Militärweg und in der Umgebung der Grube sind sein Eigentum. Und auf seinem Grund und Boden hat er auch das Jagdrecht.

Pricassi, Bürgermeister.'

„Aha!“ - „Nanu?“- „Warum erfährt man davon nichts?“- „Aber da muß man doch etwas gegen tun können!“ - „Gar nichts kannst du dagegen tun,“ dozierte der Student, „Denn es gibt den Gemeindeweg, den Sintiero, und der ist breit genug, daß ein mit zwei Körbern beladenes Maultier bequem entlang gehen kann, und das reicht, und der führt ebenso zur Küste.“ - „Aber er ist länger!“ - „Ja, das stimmt!“ - „So nehmen uns die Reichen unsere Rechte.“ - „Du gehst doch sowieso nicht mehr zur Fuß zur Küste, du fährst immer mit dem Auto!“ - „Ja, aber es geht ums Prinzip! Botello kann doch nicht einfach einen Weg versperren, den wir Jahrzehnte lang benutzt haben.“ - „Du siehst doch, daß er es kann und recht hat er obendrein!“ - „Aber er kann doch nicht einfach einen Zaun ziehen lassen!“ - „Wir haben ein Recht auf den freien Weg zur Küste!“ -

Einige erhoben sich voller Empörung von ihren Stühlen, worauf die Hunde, die immer noch hechelnd oder schlafend auf dem glänzenden Pflaster vor den Cafés ausharrten, ein paar Schritte zurückwichen. - „Wir pochen auf unser Gewohnheitsrecht!“ - „Es gibt den Gemeindeweg, den Sintiero!“, wiederholte der blasse Jüngling hilflos und bereute in diesem Moment, daß er nicht doch Jura studiert hatte, wie sein Vater so gern gewollte hätte. - „Wir haben ein Recht auf den freien Weg! Der Sintiero ist ein Umweg!“ - „Ja, aber ein Umweg von zweihundert Metern, und das ist zumutbar!“, rief der Student.

Er wendete das Plakat in der Hand hin und her, und entdeckte auf der Rückseite des Schreibens des Gemeinderats noch einen weiteren kleineren Zettel angebracht, auf dem mit Bleistift stand:

'Achtung Signor Jäger!

Die alte Teresa will ihr altes Schwein noch einmal in den Eichenwald führen, damit Signor Botello es auf der Jagd erlegt, und ihr dann Schadensersatz zahlen muß, für eine gute fruchtbare Zuchtsau!

Ein ungenannter Freund.' -

„Teresas Schwein?“, rief einer der Männer, „Das hat doch die Würmer! - Und Teresa selbst liegt im Sterben!“

„Sterben?“, rief ein anderer, „Seit wann stirbt man ein halbes Jahr lang?“

„Doch das Geld, der Schadensersatz lockt sie wieder aus dem Bett, jede Wette!“, woraufhin alle lachten.

Der Student rief: „Es geht noch weiter! Hört einmal! Darunter hat ein Witzbold auf die Rückseite eines Einkaufbons gekritzelt:

'Ich schieße trotzdem!

Auf jede Sau.

Botello.'

Damit war die gute Stimmung im Café Europa wieder hergestellt.

Die verfeindete Partei aus dem Café Sicilia nebenan hatte sich inzwischen wieder in ihre Festung, das dunkelgrün gestrichene Café unter dem Mimosenbaum zurückgezogen, und feierte den Schachzug ihres Helden Signor Botello, den Bau dieses Zauns am Schießplatz. Der Wirt mußte Grappa nachschenken, und die Stimmung war gehoben bis ausgelassen. Viele im Ort konnten den wohlhabenden Toccabelli nicht ausstehen, einfach, weil er wohlhabend war, und seine Schweine die fettesten in der ganzen Gegend. Und das, obwohl er sein Geld als Rechtsanwalt in Cefalú verdiente, - oder es wenigstens behauptete!

Im Café Europa aber wurden die Köpfe zusammengesteckt, und beraten, was zu tun sei, viele verschiedene Maßnahmen wurden erwogen, man könnte den Zaun aufschneiden, oder um einige Meter versetzen, man könnte . . . aber letztendlich blieb es bei lautstarken Bekundungen des Protests, denn das Recht war, was den Zaun betraf, den Botello hatte ziehen lassen, auf seiner Seite.

Nur Toccabellis Besuch bei dem Bauunternehmer im Nachbarort hatte greifbare Folgen, denn schon am nächsten Morgen rückte ein kleiner Trupp Bauarbeiter mit entsprechendem Gerät und Material am alten Schießplatz an, wo sie im Schutze des vom Meer aufsteigenden Nebels, wie er häufig in dieser Jahreszeit in Sizilien zu beobachten ist, ihr Werk verrichteten und ebenso ungesehen, wie sie gekommen waren, gegen Mittag wieder abzogen.

399
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9783742794741
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