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Читать книгу: «Deportiert auf Lebenszeit», страница 4

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Fünftes Capitel.
Die Baracken

Im Zwischendeck in dem Gefängnis herrschte tief Dunkelheit, unter deren Schutze sich ein summendes Geräusch von Stimmen hören ließ. Die Schildwache am Eingang hatte Befehl, »die Gefangenen an jedem Lärmen zu verhindern.« Dieser Befehl wurde auf die weitherzigste Weise befolgt. So lange die Gefangenen nicht brüllten , schrien und sich prügelten – lauter Dinge die zuweilen vorfielen, – störte man sie nicht. Diese Behandlung war ebenso durch die Klugheit geboten wie durch die Bequemlichkeit. Wurden sie zu streng gehalten, so begannen sie ein so thierisches Geschrei, in das Alle einstimmten und das, wenn es auch Lärm genug machte, doch jede Möglichkeit der Einzelbestrafung ausschloß. Man konnte nicht hundertundachtzig Mann aushauen und es war völlig unmöglich die Hauptthäter herauszufinden. So hatten die Gefangenen, dieses letzten Umstandes wegen, das stillschweigend anerkannte Recht sich angemaßt, im Flüsterton zu sprechen und innerhalb des eichenen Käfigs sich zu bewegen.

Für Einen, der von außen herein kam, herrschte eine undurchdringliche Finsterniß in dem Raum, aber das Auge des Gefangenen, an dies düstere Zwielicht gewöhnt, war im Stande, die ihn umgebenden Gegenstände mit ziemlicher Deutlichkeit zu unterscheiden. Das Gefängnis war ungefähr fünfzig Fuß lang und hatte die volle Höhe des Zwischendecks, also fünf Fuß, zehn Zoll. Die Barrikade war hier und da mit Schießscharten versehen und durch die Zwischenräume der Planken konnte auch leicht ein Flintenlauf gesteckt werden. Aus der Hinterseite dicht bei den Kajüten der Soldaten, war eine Fallthür angebracht, ähnlich dem Feuerloch eines Ofens. Beim ersten Blick glaubte man, sie sei zu dem menschlichen Zweck der Ventilation angebracht, aber bei einem zweiten Blick wurde man eines besseren belehrt. Die Oeffnung war gerade groß genug für den Lauf einer kleinen Haubitze, die im unteren Deck aufbewahrt wurde.

Im Fall einer Meuterei konnten die Soldaten das Gefängnis vollkommen mit Kartätschen bestreichen. So viel frische Lust, als das Gefängnis erhielt, kam theils durch die Schießscharten, theils wurde sie in etwas größerer Menge durch ein Windsegel zugeführt, das von dem Hauptgange aus in das Gefängnis eingesetzt war. Da aber das Windsegel nothwendiger Weise nur an einem Ende des Gefängnisses angebracht werden konnte, so wurde die Luft, welche es verbreitete, von den zwanzig oder dreißig glücklichen Burschen verbraucht, welche in der Nähe schliefen und die andern hundertundfünfzig kamen ganz schlecht dabei fort. Die Fenster waren freilich offen, aber da die Kojen davor gebaut waren, so kam die Luft nur denjenigen zu Gute, deren Schlafstellen grade davor lagen. Es gab achtundzwanzig solcher Kojen, jede enthielt sechs Mann. Sie liefen in einer doppelten Reihe um drei Seiten des Gefängnisses herum, auf jeder Seite zwanzig, und acht lagen auf der Seite der vorderen Barrikade, die der Thür gegenüber lag. Jede Lagerstätte sollte fünf Fuß sechs Zoll im Ouadrat haben, aber die Ladung hatte noch sechs oll davon gebraucht und selbst jetzt mußten noch zwölf Mann auf Deck schlafen.

Pine übertrieb nicht, als er von dem Ueberfüllen der Deportiertenschiffe sprach und da er für jeden Mann, den er lebendig nach Hobart Town brachte, eine halbe Guinee erhielt, so hatte er wohl Grund, sich zu beklagen.

Als Frere vor einer Stunde heruntergekommen war, lagen die Gefangenen Alle ruhig unter ihre Decken. Jetzt war es anders; freilich bei dem ersten Geräusch der Riegel wären sie wieder in ihren alten Stellungen gewesen und dem Anschein nach fest schlafend. Jetzt zeigte sich, wenn sich das Auge an die dicke Atmosphäre gewöhnt hatte, ein ganz anderes Bild.

Gruppen in allen möglichen Stellungen lagen, standen, – saßen oder schritten auf, und nieder. Es war die Scene vom Hinterdeck, nur daß die wilden Thiere sich hier ein wenig freier bewegten, da sie keine Furcht vor den wachsamen Wärtern zu haben brauchten. Es ist unmöglich in Worten eine Idee von der gräulichen Erscheinung dieser Glieder und Gesichter zu geben, welche sich in dem Zwielicht dieses entsetzlichen, übelriechenden Gefängnisses hin und her bewegten. Callot hätte vielleicht ein Bild davon gezeichnet, Dante hätte Einiges davon angedeutet, aber der Versuch einer genauen und richtigen Schilderung würde nur Ekel erregen. Es gibt Tiefen in der Menschheit, die man nicht aufdecken sollte, so wie es mephitische Höhlen gibt, in die man nicht einzudringen wagt.

Alte Männer, junge Männer und Knaben, kräftige Einbrecher und Straßenräuber schliefen Seite an Seite mit ausgedörrten Taschendieben und schlauen Betrügern. Der Fälscher lag in einer Koje oder Hängematte mit dem verbrecherischen Plünderer. Der gebildete Mann lernte merkwürdige Geheimnisse der Einbrecherkunst und der gemeine Schurke von St. Giles hatte ein gutes Beispiel an der Selbstbeherrschung, das ihm der schärfere Verstand des professionsmäßigen Schwindlers gab.

Der betrügerische Schreiber und der prahlerische Gauner tauschten Erfahrungen aus. Die Geschichten des Schmugglers, der von glücklichen Abenteuern und von gelungenen Fahrten sprach, wurden von den Erinnerungen des Straßenräubers abgelöst, der von nebeligen Nächten und von gestohlenen Uhren erzählte. Der Wilddieb, der in düsterem Grimm an sein krankes Weib und an seine verwaisten Kinder dachte, fuhr zusammen, als ihm der Diebskerl neben ihm einen Schlag auf die Schulter gab und ihm zuredete, er solle fröhlich und ein ganzer Mann sein.

Der feine Handlungsdiener dessen Vorliebe für vornehme Gesellschaft und gutes Leben ihn so weit gebracht, hatte bald die erste Scham abgelegt und horchte eifrig auf die Erzählungen der lasterhaften Erfolge, welche seinen älteren Gefährten so glatt von den Lippen gingen. Deportiert zu werden, war gar nicht solch’ ein ungewöhnliches Los. Die alten Kerle lachten und schüttelten ihre grauen Köpfe mit der Zufriedenheit langer Erfahrung und die aufhorchende Jugend sehnte sich nach der Zeit, da sie es ebenso machen würde. Die menschliche Gesellschaft war ihr gemeinsamer Feind und die Richter, Kerkermeister und Prediger waren das Wild, das alle vernünftigen Bursche hetzen mußten. Nur Narren waren ehrlich, nur Feiglinge küßten die Ruthe und übten nicht Rache an der hochachtbaren Welt, die so großes Unrecht ihnen gethan. Jeder Neue war ein Rekrut wehrt in den Reihen der Schurkerei und Keiner, der einmal m diese Höhle der Schmach einzog, ging daraus hervor, ohne ein geschworener Verächter des Gesetzes, der Ordnung und der »freien« Leute draußen zu werden. Was er vorher gewesen sein mochte, darauf kam es nicht an. Er war jetzt ein Gefangener, der mit in der stinkenden Baracke lebte, der ein Gefährte des Auswurfs der Menschheit geworden, dessen Auge und Ohr täglich und stündlich alle möglichen Scheußlichkeiten , Lästerungen und Unanständigkeiten sah und hörte. Er verlor bald seine Selbstachtung und wurde das, wofür ihn seine Kerkermeister von vornherein hielten – ein wildes Thier, das unter Schloß und Riegel gehalten werden mußte, damit er nicht ausbreche und sie zerreiße.

Die Unterhaltung drehte sich um die plötzliche Abholung der vier Leute.

Wozu brauchte man sie zu dieser Stunde?

»Ich sage Euch, es ist etwas auf Deck los,« sagte Einer aus der nächsten Gruppe. »Hört Ihr nicht das Rollen und den Lärm ?«

»Warum haben sie die Boote in See gelassen? Ich hörte das Einschlagen der Ruder.«

»Ich weiß nicht, Kamerad. Vielleicht ein Begräbniß,« sagte ein kurzer, kleiner Kerl als eine glücklich gefundene Erklärung.

»Einer aus der Kajüte!« sagte ein Anderer und Alle lachten.

»Solch’ Glück gibts nicht. Ihr werdet noch lange nicht Euren Klüver ihretwegen herunterlassen. Vielleicht ist der Schiffer fischen gegangen.«

»Der Schiffer fischt nicht, Du Narr. Was sollte er fischen, mitten in der Nacht?«

»Das wäre ja wie der alte Dovery,« sagte ein Fünfter und spielte auf einen alten, grauhaarigen Burschen an, der, ein rückfälliger Deportierter, wegen Plünderei verurtheilt war.

»Ja,« fügte ein junger Mann hinzu, der den Ruf des feinsten Spions der Einbrecher in London hatte, »Menschenfischer, wie der Pfaffe sagt.«

Die näselnde Stimme eines Methodistenpredigers wurde so gut von ihm nachgemacht, daß es ein großes Gelächter gab. In diesem Augenblick grade fiel ein elender kleiner Cockney-Taschendieb, der sich nach der Thür hin fühlte, mitten in den Kreis.

Eine Fluth von Schimpfreden und Flüchen empfing ihn.

»Ich bitte um Vergebung, meine Herren,« rief der erbärmliche Kerl, »aber ich muß Luft haben.«

»Dann laß Dich rasieren und Dir den Hals aufschneiden,« schrie der Kerl, welcher vorhin schon mit seinem Witz einigen Erfolg gehabt hatte.

»O Herr, mein Nacken!«

»Steht auf,« ächzte Jemand in der Dunkelheit.

Der Sprecher verbarg seinen Kopf unter der Decke, als ob er zu bescheiden sei, sich sehen zu lassen.

Während dieser ganzen Zeit war der Cockney , ein Schneider seines Zeichens, von den Andern unter die Füße getreten.

»Laßt mich auf, ihr Herren, laßt mich auf! Ich glaube, ich bin am Sterben, – o sicher!«

»Laßt den Herrn aufstehen,« sagte der Spaßmacher aus seiner Koje. Hört Ihr nicht, sein Wagen wartet schon, um ihn in die Oper zu fahren.«

Die Unterhaltung war etwas laut geworden und aus der nächsten, obersten Koje streckte sich jetzt ein Bullkopf heraus.

»Kann man denn hier nicht mal schlafen ?« schrie eine rauhe Stimme. »Bei meinem Blut, wenn ich aufstehe, schlage ich ein paar von Euren Strohköpfen zusammen!«

Es schien, als ob der Sprecher ein gutes Gewicht bei den Leuten hatte, denn der Lärm hörte sogleich auf und in der Stille, die nun folgte, ertönte ein durchdringender Schrei, den der elende Schneider ausstieß.

»Hilfe! Sie tödten mich! Ach, ach!«

»Was gibts?« brüllte der Mann, der eben Schweigen geboten hatte, sprang aus seiner Koje und warf die Kerls nach rechts und links auseinander.

»Laßt ihn in Ruhe, hört Ihr?«

»Luft!« schrie der arme Teufel, »Luft, ich sterbe!«

Da stöhnte der Mann in der nächsten Koje grade ganz schrecklich.

»Na, Gott soll mich segnen,« rief der Riese, als er den nach Luft schnappenden Schneider in die Höhe hielt und sich umblickte, »alle die Kücken hier haben den Kroup bekommen!«

Das Stöhnen des Mannes in seiner Koje wurde immer stärker.

»Sagt’s der Wache,« meinte Einer, der menschlicher fühlte als die Andern.

»Ja,« rief der Witzbold, »laßt ihn hinaus, wir wollen lieber Einen leeren Platz als ihn selbst haben.«

»Wache, ein Mann ist krank.«

Aber die Wache kannte ihre Pflicht besser, als daß sie geantwortet hätte. Es war ein junger Soldat, aber er war wohl vor den Listen und Ränken der Gefangenen gewarnt worden und überdies hatte ihm Kapitain Vickers auseinandergesetzt, »daß nach den Königlichen Befehlen er weder auf eine Frage noch auf eine Anrede eines Gefangenen antworten dürfe, sondern in solchem Falle dem Offizier, der das Kommando habe, Anzeige machen müsse.« Obgleich nun der Posten leicht die Wache auf dem Quarterdeck hätte anrufen können, so fühlte er doch eine sehr natürliche Abneigung, solches zu thun, – nur um eines kranken Deportierten willen – weil in wenigen Minuten die Ablösung kommen mußte. So beschloß er, zu warten. Der Schneider befand sich ebenfalls immer schlechter und fing jämmerlich an zu stöhnen.

»He, hallo,« schrie sein Beschützer unruhig werdend, »halt ich aufrecht. Was ist mit Dir? Da stehen ihm die großen Tropfen auf der Stirn. Laßt ihn hinaus, Ihr da!«

Der Bursche wurde bis an die Thür geschleppt.

»Vater,« stöhnte er und schlug schwach mit seiner Hand an die dicke Eichenthür. »Gebt Einem zu trinken, Herr, um Gottes Willen, zu trinken!«

Aber die kluge Schildwache antwortete nicht, bis endlich die Schiffsuhr die Ablösung ankündigte und da kam auch der alte, ehrliche Pine und erkundigte sich besorgt nach den Leuten. Man sagte ihm, daß noch ein Gefangener krank sei! Er ließ die Thüre aufschließen und sogleich war auch der Schneider draußen. Ein Blick auf das verstörte, glühende Gesicht sagte ihm genug.

»Wer stöhnt dort ?« fragte er. Es war der Mann, der schon seit einer Stunde nach der Wache gerufen hatte und Pine ließ ihn auch hinaus kommen.

»Führt Beide nach hinten in’s Hospital,« sagte er, »und Jenkins, wenn noch irgend ein Mann krank wird, so muß ich gleich gerufen werden. Ich bleibe auf Deck.«

»Wir haben das Fieber an Bord.«

»Bei Gott, Pine, ist das wahr«?«

Pine schüttelte traurig seinen grauen Kopf.

»Das ist die verdammte Windstille! Ich habe es zwar immer erwartet, denn das Schiff ist zu voll. Als ich in der Hekuba war —«

»Wer ist der Kranke ?«

Pine lachte halb mitleidig, halb ärgerlich:

»Natürlich, nur ein Gefangener. Wer sollte es sonst sein? Sie dampfen wie die Ochsen in ihren Ställen in Smithsield. Hundertundachtzig Mann in einen Raum gesperrt, der fünfzig Fuß lang ist und eine Luft hat wie ein Ofen. Was kann man anders erwarten?«

Der arme Blunt stampfte mit dem Fuß.

»Es ist nicht mein Fehler,« rief er. »Die Soldaten sind nach hinten gebracht. Wenn die Regierung die Schiffe überladen will, so kann ich nichts machen.«

»Die Regierung, ja die Regierung, die schläft nicht zu sechzig Mann in einer Kajüte, die nur sechs Fuß hoch ist. Die Regierung bekommt nicht den Typhus in den Tropen.«

»Nein – aber —«

»Aber woran denkt denn die Regierung?«

Blunt wischte sich die Stirn.

»Wer wurde zuerst krank ?«

»Kajüte Nr. 97. Zehn in der unteren Reihe. Er heißt John Rex.«

»Sind Sie sicher, daß es das Fieber ist ?«

»So sicher, wie daß ich hier stehe. Der Kopf wie eine Feuerkugel, die Zunge wie Leder! Ich soll es nicht wissen? He?« Pine grinste dabei. »Ich habe ihn in’s Hospital geschickt. Ein schönes Hospital! Dunkel wie ein Wolfsrachen. Ich habe schon Hundeställe gesehen, die besser waren.«

Blunt zeigte nach der leuchtenden Rauchsäule am Horizont: »Und wenn da eine ganze Schiffsladung von armen Teufeln herkommt, so muß ich sie aufnehmen.«

»Ja,« sagte Pine düster »das muß geschehen. Wir müssen sie wegstauen. Dann müssen wir mit dem ersten Wind das Kap anlaufen, – wenn sie kommen, – das ist das Einzige, was wir thun können.« Er wandte sich ab, um nach dem brennenden Schiff zu sehen.

Sechstes Kapitel.
Das Schicksal des Hydaspes

Indessen waren die beiden Boote grade auf den rothen Schein zu gerudert, der wie eine mächtige Fackel über dem Meer aufstieg.

Wie Blunt gesagt hatte, war das brennende Schiff gute zwölf Meilen entfernt von dem Malabar und der Weg war lang und ermüdend. Nachdem sie erst ganz die schützende Seite des Schiffes verlassen halten, das sie so weitaus ihrer unheilvollen Reise gebracht hatte, schienen die Abenteurer in eine ganz neue Welt zu kommen. Die Unendlichkeit des Oceans, über welchen sie sich langsam fortbewegten, offenbarte sich ihnen jetzt zum ersten Mal. An Bord des Gefangenenschiffes, umgeben von den Erinnerungen, wenn auch nicht von der Bequemlichkeit des Lebens an Land, hatten sie bis jetzt noch gar nicht ganz und voll begriffen, wie weit sie entfernt waren von der Civilisation, in der sie groß geworden. Die wohlerleuchtete und gut ausgestattete Kajüte, die einfache Fröhlichkeit auf dem Vorderkastell, die Ablösung der Wachen, ja selbst der Schrecken und die Finsterniß des fest geschlossenen Gefängnisses – Alles dies gab den Reisenden noch immer ein Gefühl der Sicherheit gegen die unbekannten Gefahren der See. Der Widerstand gegen die Elemente, der besonders stark ist wenn Menschen in Gesellschaft ihresgleichen sind, hatte sie bis dahin aufrecht erhalten und so fühlten sie auch jetzt, obgleich sie allein auf der ungeheuren Wasserfläche waren, daß die Gefahren, die Einer von ihnen zu bestehen haben würde auch von den Kameraden getheilt und vielleicht erfolgreich überwunden würden.

Jetzt aber – da das eine Schiff immer kleiner hinter ihnen wurde und das Andre vor ihnen, ein brennendes Wrack in der dunkeln Ferne, Schrecken und Grauen menschlicher Noth und Todesangst einschließend, – jetzt erst fühlten sie ihre eigne Schwäche und Ohnmacht recht. Der Malabar, das riesige Seeungeheuer, in dessen Innerem so viele Geschöpfe lebten und litten, war zu der Größe einer Walnussschale zusammengeschrumpft und wie war doch ihr eigenes Boot so verschwindend klein daneben erschienen, als es unter dein haushohen Stern hervorgeschossen war. Der schwarze Rumpf war für sie ein wahrer Riese an Stärke gewesen, der jede Macht von Wind und Wetter zu besiegen im Stande – jetzt war das Schiff nichts als ein Stück Holz, das über der grundlosen, schwarzen Tiefe schwamm. Das blaue Licht, das zuerst, über den Ocean blitzend, der Sterne Schein durch seinen Glanz erbleichen ließ, war jetzt nur noch ein heller glänzender, deutlicher Punkt, der aber durch seinen Glanz selbst das Schiff zwerghaft erscheinen ließ. Der Malabar lag auf dem Wasser wie ein Glühwurm auf einem schwimmenden Blatt und die Signalfeuer machten nicht mehr Eindruck in der Dunkelheit als das Licht eines einsamen Bergmannes in dem Abgrunde einer Kohlenmine.

Und doch enthielt der Malabar zweihundert Seelen, Menschen wie sie selbst waren!

Das Wasser, über das die Boote hinglitten, war schwarz und glatt, nur in ungeheuren schaumlosen Wogen sich hinwälzend, die um so schrecklicher waren wegen der völligen Stille. Wenn die See braust, so scheint sie zu sprechen und die Sprache unterbricht die Schrecken der Stille ; wenn die See unbeweglich ist, so ist sie stumm und scheint über allerlei Unheil zu brüten. Der Ocean in einer Windstille ist wie ein böser Riese; man fürchtet sein Brüten über neuen Plänen. Ueberdies sieht das aufgewühlte Meer nicht so ungeheuer groß aus, wie ein stilles Meer. Die steigenden Wellen bringen den Horizont näher und man sieht nicht, wie viele, viele Meilen die unbarmherzigen Wellen sich wiederholen. Um die entsetzliche Ausdehnung des Oceans zu erkennen, muß man ihn in der Ruhe sehen.

Der Himmel stieg ohne Wolken über dem stillen Meere auf. Die Sterne schienen so niedrig in dem ungeheuren Raum zu stehen und strahlten in einer Art von violettem Glanz. Kein Laut ertönte und jeder Schlag der Ruder hallte leise wieder in dem unendlichen Raum. Wenn die Ruder eintauchten, spritzten Funken auf und die Boote ließen zwei Streifen zurück, die wie ungeheure Schlangen auf einem Meer von Quecksilber sich zu bewegen schienen.

Bis jetzt hatte eine Art von Wettfahrt zwischen den beiden Booten stattgefunden; die Ruderer hatten mit zusammengebissenen Zähnen und fest geschlossenen Lippen Schlag auf Schlag gethan. Da hielt das vordere Boot plötzlich ein wenig an. Best ließ ein fröhliches Hurrah hören und schoß an ihm vorüber grade hinein in den rothen Lichtstreifen, der von dem brennenden Schiff aus sich über die See breitete. »Was gibts?« rief er.

Er hörte einen unterdrückten Fluch von Frere und dann machte Frere’s Boot eine ganz besondere Anstrengung, um ihn wieder zu überholen.

»Es war wirklich nichts von Bedeutung; nur ein Gefangener der nicht weiter konnte.«

»Verdammt,« murmelte Frere »was ist mit Euch ? O, es ist Dawes, natürlich Dawes. Von solchem schleichenden Hunde kann man auch nichts Besseres erwarten. Solch’ Unsinn gilt bei mir nicht. Es ist freilich nicht so angenehm, als sich am Schanzbord herumzutreiben, aber immer weiter, – fort.«

»Er ist krank Herr,« sagte ein mitleidiger Kamerad.

»Krank, – er! Alles Verstellung. Voran, voran, – legt Euch aus.«

Der Gefangene hatte sein Ruder wieder aufgenommen und das Boot schoß weiter.

Aber es half Frere nichts; er konnte die verlorene Strecke nicht wieder gewinnen und Best erreichte zuerst die schwarze Wolke, die über den roth schimmernden Wasser hing.

Auf sein Zeichen glitt das zweite Boot an seine Seite.

»Haltet zurück,« sagte er. »Wenn noch Viele an Bord sind, werden ihrer zu viele kommen, und ich glaube, es müssen noch viele da sein, denn wir sind keinen Booten begegnet.« Und während die erschöpften Ruderer zurücklehnten, erhob er seine Stimme und rief das Schiff an.

Es war ein sehr großes, schwerfällig gebautes Schiff von bedeutender Breite und sehr hohem Hinterdeck. Sonderbar genug war es, obgleich sie erst sehr kurze Zeit den Brand gesehen, ein vollständiges Wrack und gänzlich verlassen. Der Hauptherd des Feuers war in der Mitte und das Zwischendeck war eine Feuermasse.

Hier und da klafften schon Risse und Spalten in der Seite und das Feuer glühte furchtbar im Innern. Der große Mast war auf der Steuerbordseite in’s Wasser gesunken und die schwarzen überhängenden Trümmer hatten das Schiff stark auf die Seite gelegt. Das Feuer prasselte wie ein Wasserfall und ungeheure Wolken feurigen Rauches wälzten sich hervor und legen sich dicht über die ganze Umgebung.

Als Frere’s Boot langsam um den Stern des Schiffes ratterte, rief er es wiederholt an.

Doch kam keine Antwort und obgleich die Lichtfluth, welche das Wasser ringsum blutroth färbte und jedes Tau und jeden Sparren taghell erleuchtete, so konnte sein spähendes kluge doch kein lebendes Wesen entdecken.

Sobald sie näher kamen, konnten sie die vergoldeten Buchstaben des Namens unterscheiden.

»Wie heißt es,« rief Frere, dessen Stimme fast von dem Geräusch der prasselnden Flammen erstickt wurde. »Könnt ihr es lesen ?«

Rufus Dawes stand von Neugierde getrieben, hoch auf und beschattete seine Augen mit der Hand. Plötzlich schrie er auf.

»Nun, könnt Ihr nicht sprechen? Wie heißt es?«

»Der Hydaspes!«

Frere athmete schwer.

«Der Hydaspes! Das Schiff, in dem sein Vetter Richard Devine gesegelt war. Das Schiff, von dem er mit größter Angst auf Nachricht wartete. Das Schiff von dem er nirgends etwas gehört hatte, als über seinen verschwundenen Vetter gesprochen wurde.

»Zurück, ihr Männer! Fort! Rudert um Euer Leben!«

Best’s Boot näherte sich.

»Könnt ihr den Namen lesen ?«

Frere, todtenbleich vor Schrecken, brüllte eine Antwort:

»Der Hydaspes «! – »Ich kenne es. Es hat nach Calcutta geladen, hat fünf Tonnen Pulver an Bord!«

Es brauchte weiter keiner Worte. Das einzige Wort erklärte das ganze Geheimniß der Verlassenheit. Die Schiffsmannschaft war bei dem Ausbruch des Feuers in die Boote geflüchtet und hatte das todbringende Schiff seinem Schicksal überlassen. Sie waren wohl schon viele Meilen entfernt und hatten unglücklicher Weise eine andere Richtung eingeschlagen, als die, in welcher für sie Rettung zu finden war.

Die Boote flogen durch das Wasser. So eifrig sie vorher gewesen waren, um so eifriger waren sie jetzt, um zu entkommen. Die Flammen hatten gerade jetzt das Hintertheil erreicht. In wenigen Minuten wäre es zu spät für sie gewesen.

Zehn Minuten lang sprach Niemand ein Wort. Mit angestrengten Muskeln und keuchender Brust arbeiteten die Männer an ihren Rudern, ihre Augen auf die feurige Masse gerichtet, von der sie sich schnell entfernten. Frere und Best, den Blick ebenfalls auf den Gegenstand des Schreckens gerichtet, feuerten die Leute zu größerer Eile an. Schon leckten die Flammen an der Flagge und hatten die Verzierungen am Stern erreicht.

Noch ein Augenblick und Alles wird vorüber sein! Jetzt ist es so weit.

Ein dumpfes Rollen; das brennende Schiff barst auseinander. Eine Feuersäule, von schwarzen Massen unterbrochen, die aus Planken und Stangen bestanden, hob sich hoch über den Ocean. Es gab einen Furchtbaren Krach, als ob Himmel und Erde einstürzten. Dann stieg ein mächtiger Wasserberg auf, fiel zusammen, erreichte die Boote, wogte vorüber und sie waren allein – betäubt, entsetzt, athemlos in der fürchterlichen Finsterniß und in dem Todesschweigen.

Das Zusammenstoßen der letzten Ueberreste im Wasser erweckte sie aus ihrer Erstarrung. Da fuhr das blaue Licht vom Malabar in die Höhe und bezeichnete ihnen den Weg. Jetzt wußten sie, daß sie in Sicherheit waren.

* * *

Auf dem Deck des Malabar gingen zwei Männer unruhig auf und nieder und erwarteten den Tagesanbruch.

Endlich kam er. Der Himmel wurde licht, der Nebel zerging und ein bleicher Streifen zeigte sich am Horizont.

Bald blitzte das Wasser, die See veränderte die Farbe, aus schwarz wurde gelb, aus gelb ein leuchtendes Grün. Der Mann im Mastkorb rief die Männer auf Deck. Die Boote waren in Sicht, und wie sie sich nun langsam dem Schiffe näherten und das Wasser unter den im Takt sich bewegenden Rudern aufleuchtete, wurden sie von den eifrig ausschauenden Schiffsleuten mit Hurrah und Mützenschwenken begrüßt.

»Keine Seele,« rief Blunt. »Niemand als sie allein. Nun ich bin froh, daß sie glücklich wieder da sind.«

Die Boote legten bei, und in wenigen Sekunden war Frere auf Deck.

»Nun, Mr. Frere?«

»Nichts,« sagte Frere, sich schauernd. »Wir hatten gerade Zeit genug, um wieder abzukommen. Um ein Haar hätten wir daran glauben müssen, Sir.«

»Sahen Sie Niemand?«

»Keine Seele. Sie müssen sich in die Boote gerettet haben.«

»Dann können sie nicht weit gekommen sein,« rief Blunt und bestrich den Horizont mit seinem Glas.

»Sie müssen die ganze Zeit gerudert haben, denn es ist nicht genug Wind gewesen, um einen hohlen Zahn damit zu füllen.«

»Vielleicht haben sie eine falsche Richtung genommen, « sagte Frere. »Sie waren uns wohl vier Stunden voraus.«

Dann kam Best und erzählte den begierigen Zuhörern die ganze Geschichte. Die Matrosen hatten die Boote aufgehißt und festgemacht und eilten auf das Vorderkastell, um zu essen und zu trinken und dazwischen erzählten sie ihre Erlebnisse. Die vier Gefangenen wurden hinabgebracht und wieder eingesperrt.

»Sie sollten lieber hinuntergehen, Frere,« sagte Pine ärgerlich. »Es hilft nichts, hier den ganzen Tag zu stehen und nach Wind zu pfeifen.«

Frere lachte lustig. »Ja, das will ich. Ich bin hundemüde und so schläfrig wie eine Eule.« Damit stieg er in seine Kajüte hinab.

Pine ging noch einige Male auf dem Deck auf und ab, dann Blunt’s Blick auffangend, stand er gerade vor Vickers still.

»Vielleicht erscheint es Ihnen hart, Kapitain Vickers, wenn ich es sage, – aber es ist recht gut, wenn wir diese armen Teufel nicht finden. Wir haben genug mit uns selbst zu tun.«

»Was meinen Sie damit, Pine?« sagte Vickers und seine menschlichen Gefühle gewannen die Oberhand über seine Förmlichkeit. »Wir werden doch die Unglücklichen nicht ihrem Schicksal überlassen ?«

»Vielleicht,« erwiderte der Andere, »würden Sie es uns nicht danken, wenn wir sie aufnähmen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Das Fieber ist ausgebrochen.«

Vickers zog seine Augenbrauen in die Höhe. Er hatte keine Erfahrung in solchen Dingen und obgleich die Nachricht recht unangenehm war, so erklärte sich die Sache doch durch die Ueberfüllung an Bord. An Gefahr für sich und die Seinen dachte er nicht.

»Das ist ein großes Unglück , aber Sie werden doch solche Maßregeln treffen —«

»Bis jetzt ist es nur im Gefängnis,« sagte Pine mit besonderem Ausdruck, »aber wer kann sagen, wie lange es sich darauf beschränkt. Drei Männer sind schon unten.«

»Gut, Herr. Die Sache liegt ganz in Ihren Händen. Alles, was Sie wünschen, soll geschehen. Ich will thun, was ich kann.«

»Danke. Vorerst muß ich mehr Raum für das Hospital haben. Die Soldaten müssen sich behelfen.«

»Ich will sehen, was geschehen kann.«

»Sie sollten Ihre Frau und Ihr kleines Mädchen so viel wie möglich auf Deck bleiben lassen.«

Vickers erbleichte, als Pine seines Töchterchens erwähnte.

»Himmel, glauben Sie, daß es Gefahr gibt?«

»Natürlich ist Gefahr für uns Alle vorhanden, aber mit Achtsamkeit kann man ihr entgehen. Da ist das Mädchen. Sagen Sie ihr, sie soll mehr für sich bleiben. Sie treibt sich überall im Schiff herum. Das gefällt mir nicht. Ansteckung verbreitet sich leicht und Kinder sind ihr mehr ausgesetzt, als Erwachsene.«

Vickers biß die Lippen zusammen. Dieser alte Mann mit seiner harten Stimme und seiner fürchterlichen Klarheit erschien ihm wie ein Vogel von böser Vorbedeutung.

Blunt, der sich bisher schweigend verhalten hatte, wagte jetzt ein Wort zur Vertheidigung der Abwesenden.

»Das Mädchen thut nichts Unrechtes, Pine. Was ist’s mit ihr.«

»O mit ihr ist nichts, sicher nicht. Sie wird nicht angesteckt werden, weniger als Einer von uns. Man kann ihr die Lebensfähigkeit am Gesicht ansehen. Sie hat neun Leben wie die Katzen. Aber sie kann die Ansteckung leichter verbreiten, als irgend ein Anderer.«

»Ich gehe, – ich will gleich zu ihr,« rief Vickers und wandte sich ab.

Das Mädchen, von dein sie so eben gesprochen, begegnete ihm an der Kajütstreppe. Ihr Gesicht war bleicher als gewöhnlich und dunkle Ränder um die Augen sprachen von schlaflos verbrachter Nacht. Sie öffnete ihre Lippen, um zu sprechen, hielt aber zurück, als sie Vickers sah.

»Was gibts ?«

Sie blickte von ihm zu den Andern.

»Ich wollte zu Dr. Pine.«

Vickers errieth mit dem schnellen Verständnis der Liebe ihr Vorhaben.

»Jemand ist krank ?«

»Ja, Herr; Fräulein Sylvia. Ich glaube, es ist nichts. Sie hat etwas Fieber und ist sehr heiß und Mrs. Vickers —«

Vickers eilte mit verstörtem Gesicht die Treppe hinab.

Pine faßte des Mädchens Arm hart an. »Wo sind Sie gewesen?«

Zwei feuerrothe Flecken zeigten sich auf ihren bleichen Wangen und sie blickte Blunt ärgerlich an.

»Pine, lassen Sie das Mädchen zufrieden.«

»Sind Sie gestern Abend bei dem Kinde gewesen?« fuhr Pine fort, ohne seinen Blick von ihr abzuwenden.

»Nein, ich bin seit gestern Mittag nicht in der Kajüte gewesen. Mrs. Vickers rief mich gerade jetzt herein. Lassen Sie meinen Arm los, Herr, Sie thun mir weh.«

Pine ließ sie los und schien mit ihrer Antwort Zufrieden zu sein. »Ich bitte um Verzeihung,« sagte er bereuend; »ich wollte Ihnen nicht weh thun. Aber das Fieber ist auf dem Schiff ausgebrochen und das Kind ist angesteckt. Sie müssen acht geben, wohin Sie gehen.«

Mit sorgenvollem Gesicht folgte er jetzt Vickers nach unten. Sara stand einen Augenblick ganz bewegungslos da, wie in tödtlicher Angst. Ihre Lippen waren offen, ihre Augen funkelten und sie machte eine Bewegung, als wenn sie sich zurückwerfen wollte.

»Arme Seele,« dachte der ehrliche Blunt, »wie sie sich um das Kind sorgt! Der verdammte ungeschickte Pflasterkasten hat ihr weh gethan! – Lassen Sie es gut sein,« sagte er laut zu dem Mädchen.

Es war helles Tageslicht und er hatte keinen Muth, mit ihr schön zu thun wie im Dunkeln.

»Fürchten Sie nichts. Ich bin schon früher auf Schiffen gewesen, auf denen das Fieber herrschte.«

Bei dem Ton seiner Stimme raffte sie sich zusammen und kam ihm näher.

»Aber Schiffsfieber,« sagte sie. »Davon habe ich gehört. Daran sterben die Leute wie die Schafe auf überfüllten Schiffen.«

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10 декабря 2019
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