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Lotte Bromberg

M u t t e r b o d e n

Der andere Berlinkrimi

Memel Verlag

Mutterboden

Tilla von Bredow, Biologieprofessorin und überzeugte Alleinerziehende von sechs Töchtern, verschwand kurz nach Mauerfall spurlos. Jakob Hagedorn, Hauptkommissar mit gründelndem Wesen und unordentlichem Hirn, ist nach seiner Rehabilitierung im Archiv kaltgestellt. Er nutzt die freie Zeit und sucht die Mutter seiner Geliebten Hanna.

Als jedoch die exotische Schönheit Alika, bildende Künstlerin und Betreiberin eines stadtbekannten Restaurants, ihren Vater, einen georgischen Volkshelden, vermißt meldet, darf Jakob als Kriminaler auf die Straßen der Stadt zurückkehren und vernachlässigt die Suche nach Tilla.

Zerrissen zwischen zwei starken Frauen, gefangengehalten in einer Gruft, in die Knie gezwungen von ostpreußischen Wintern und erschlagen von der Macht des Kaukasus, entdeckt er eine Tragödie und ein Mörder findet ihn.

Jakobs dritter Fall: kraftstrotzende Figuren, wuchtige Geschichten, melancholische Komik und jede Menge Spannung.

Der andere Berlinkrimi - prall, schräg, abgründig, poetisch.

Lotte Bromberg

wurde 1968 geboren. Sie wacht, schläft, arbeitet und schreibt in Berlin. Mutterboden ist nach Fallsucht und Auslaufgebiet ihr dritter Kriminalroman mit den Berliner Ermittlern Jakob Hagedorn und Oskar Blum. Weitere folgen. Leseproben und mehr: www.memelverlag.de

Dies ist ein Roman. Jegliche Übereinstimmung oder auch nur Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen oder Begebenheiten ist zufällig und in keiner Weise beabsichtigt.

Erstausgabe

© Memel Verlag Berlin 2016

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagphoto © fotolia.com/​viktor

E-Book Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-945611-08-1

www.memelverlag.de

Ungewiß, wann die Dämmerung beginnt, öffne ich alle Türen.

Emily Dickinson

Inhalt

Cover

Titel

Das Buch/die Autorin

Impressum

Zitat

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

Danke

I

Alika hatte eine Heimat für den Kaukasus gesucht und eine Apotheke gefunden.

Sie war sechzehn gewesen, als ihr Vater Guram seine Familie aus Georgien rettete. Er führte sie nach Berlin und kehrte selbst zurück nach Tiflis, um an allen erdenklichen Fronten für seine Heimat zu kämpfen.

Vom ersten Tag an hob das Heimweh in Alika tiefe Gräben aus. Sie machte Abitur und studierte auf Anweisung der Mutter Betriebswirtschaft. Aber die Winde des Kaukasus zerrten immer stärker an ihr. Und als die Mutter mit einem neuen Mann nach Israel weiterzog, ließ Alika die Wirtschaft fahren und folgte den Einflüsterungen des Windes.

Sie kaufte von ihrem restlichen Geld Pinsel, Farbe und Leinwand und malte wie eine Besessene die verlorene Heimat. Bewarb sich erfolgreich um einen Studienplatz an der UdK und bezog die bezahlbare Abstellkammer einer schmuddeligen Moabiter WG, regelmäßig von den Mitbewohnern eingeladen, mit ihnen ihre Betten zu teilen.

Denn Alika war eine exotische Schönheit in einer an fremdartigen Physiognomien überreichen Stadt. Über ihrer gebogenen Nase teilte eine Kindheitsnarbe Stirn und Gesicht in zwei ungleiche Hälften. Ihre tiefschwarzen Augen gruben sich in das Gegenüber. Alika trat den Menschen zu nah, strahlte eine atemberaubende Intimität aus, mit ihrem wilden schwarzen Haar, ihrem ausgreifenden Schritt, ihren von Ölfarben bunten Fingern. Obwohl klein an Körpergröße, war Alika eine unübersehbare Frau, zu deren glühendem Wesen sich jeder stellte – in Bewunderung oder Ablehnung, in Begehren oder Haß.

Wer es wagte, sich ihrem Blick zu öffnen, aus Abenteuerlust oder Naivität, traf auf erschlagende Hitze und eine unendliche Zahl geschundener Vorfahren. Niemand hielt dem stand.

Alika hatte mit ihrer georgischen Heimat auch den Resonanzboden für ihr ausuferndes Temperament, den Raum für ihre Bilder und Lieder, den Ort für ihr Wesen verloren. Sie war so gesellig wie einsam.

Aber sie war jung und lernte die Sprache Berlins. Die andere Art der Begegnung und Zurückweisung, die anderen Gerüche, Stimmen, Lieder, Farben, die fremden Speisen, den anderen Geschmack. Alika lernte, ihr Lachen zu zügeln, die sie anspringende Trauer zu verbergen, nicht zu berühren, nicht zu singen, niemals zu tanzen. Sie lernte, unter ihren Berliner Nachbarn zu sein, aber alles Wesentliche zurückzuhalten. Zugleich behütete sie das Verborgene, nährte und pflegte es. Bat es um Geduld. Und sie malte, um von ihm in ihren Bildern zu erzählen.

Mit dem erfolgreichen Abschluß des Studiums verlor sie das Atelier an der Universität. Die Abstellkammer war so klein, daß sie im Stehen kaum die Arme ausstrecken konnte. Und so suchte sie ein Berliner Zuhause für sich und ihren auf Leinwand ausgelagerten georgischen Mutterboden.

Sie beäugte die Rückseite von Mitte, stöberte in Moabiter Kellern, stromerte durch Bucher Lagerhallen und durch Britzer Schrebergärten. Nirgendwo war Raum für ihr Feuer, für die im Schwarzen Meer versinkende Sonne.

Dann lud ein Bekannter vom Savignyplatz sie ein. Sie trank zu viel Wein, lauschte zu lange traurigen Liedern und bestieg die falsche S-Bahn. Fand sich um vier in der Früh am Stuttgarter Platz wieder und sah die Tür.

Vor einer Pension rauchten Prostituierte mit vor Kälte blauen Fingern. Ein krummer Mann beschimpfte seine obstkistenbeladene Sackkarre. Orangen kullerten in den Rinnstein. Ein Porsche bog um die Ecke, in einer Kneipe jaulten Männer mit Howard Carpendale von Liebe und Abschied. Eine Frau goß ihre Balkonblumen, schräg über ihr hing der riesengroße Vollmond.

Und dann war da die Tür.

Sie war einmal prachtvoll gewesen, Pforte für ein mächtiges Haus. Hundert Jahre später jedoch blieb sie für seine im Abseits lebenden Bewohner nur noch ein uneingelöstes Versprechen, vom vollen Mond in fahles Licht getaucht. Zwei Atlasbrüder trugen auf ihr die Last der Welt, eine sterbenskranke Nixe bildete den Türknauf aus Messing, golden leuchtend von so vielen Händen seit so vielen Jahren. Ranken aus großblättrigen Blumen rahmten das vergitterte Glas in ihrer Mitte. Über ihr dämmerte der verrußte Schriftzug »Apotheke«, im trüben Fenster daneben hing schief ein Maklerschild.

Alika hatte ihren Ort gefunden.

Ein ehemaliger Seemann hatte dort dreißig Jahre Schrauben und Nägel, Ösen und Muttern, Unterlegscheiben und Scharniere verkauft. Hatte Schuhe besohlt, Schlüssel geschliffen und Schilder geprägt. Als man ihn tot inmitten seiner Schrauben fand, sang Freddy Quinn in Endlosschleife »La Paloma«.

Es gab die alte Apothekeneinrichtung noch, der Seemann hatte sie genutzt. Jede Lade, jede Nische war gefüllt mit Kram aus längst vergangenen Zeiten. Alika räumte Platz frei für ihre Staffelei und hängte ein Schild in das Fenster: Alles mögliche zu verschenken.

Sie feierte eine rauschende Einweihungsparty mit ihren Künstlerfreunden. In der kleinen Küche kochte sie georgische Spezialitäten. Die ersten Nachbarn kamen. Zogen Schrauben und Nägel aus Schubladen und Kistchen, linsten nach der Narbe auf Alikas gespaltener Stirn und schnupperten an ihrem fremden Essen. Alika ließ sie kosten.

Ihre Apotheke war von Anfang an ein offener Ort. Wollte sie malen, hängte sie ein Schild in das Fenster: Bin im Kaukasus. Niemand störte sie dann. Aber öffnete sie die Tür und die Gerüche ihrer Heimat wehten auf die Straße, blieb sie nicht lange allein. Als erstes kamen die Huren, dann die Ladenbesitzer von nebenan, die Nachbarn aus dem Haus. Alle bewunderten ihre Bilder, niemand kaufte sie. Aber alle wollten essen, und Alika war eine gute georgische Gastgeberin, sie fütterte sie mit den Genüssen ihrer Heimat.

Dann kam ein Mann von der Gasag, um ihr das Gas abzudrehen, das sie seit Monaten nicht hatte bezahlen können. Sie bettelte, weinte und sie bekochte ihn. Er rieb sich den wohlig gefüllten Bauch und schlug ihr vor, ein Restaurant zu eröffnen. In ihrem Essen stecke Gas für einen ganzen Winter.

Und Alika sah sich um. Sah in dem Apothekentresen eine Bar, darüber einen Zapfhahn. Sah in den Regalen Weinflaschen stehen, hörte Gäste lachen, sah zusammengeschobene Tische, ihre Bilder an der Wand, hörte georgische Musik.

Sie sammelte Stühle aus abgelebten Wohnungen, baute Tische aus Zimmertüren, Bänke aus Bauholz, schweißte Lampen und Kerzenständer aus Wasserrohren und schließlich ihr neues Schild. Zwei Monate später eröffnete »Alikas Apotheke«.

Schnell wuchs das Lokal. Immer tiefer fraßen sich ihre Gasträume in das Haus hinter der Apotheke mit der verwunschenen Tür. Alika eroberte den Hof, begrünte ihn mit exotischen Pflanzen ihrer Heimat, sprang in das Hinterhaus, belegte dort das Parterre mit ihren Gästen und stieg über den zweiten Hof in das Gartenhaus. Stellte Köche und Kellner, Spüler und Putzfrauen ein. Verhandelte mit dem Gesundheitsamt, besorgte Papiere und Genehmigungen, bekochte Aufseher vom Gewerbeamt und hatte immer mehr Gäste.

Als erstes kamen die Kaukasier. Abchasen, Armenier und Aserbaidschaner, Tschetschenen, Inguschen, Mescheten und Osseten, Georgier und Russen. Es wurde gefeiert und gelacht, geschlemmt, gesoffen, gesungen und geweint, gestritten und sich versöhnt.

Manchmal war Alika jedoch froh über die ungewöhnliche Aufteilung der Räume. Wenn es zwischen den einzelnen Gruppen rumpelte, trennte sie sie mit harter Hand. Sie wies sie in verschiedene Räume und ließ sie sich trotzdem bei ihr zuhause fühlen. Niemand wollte dieses Stück Heimat in der Fremde missen, alle gehorchten ihrer georgischen Herdmutter.

Dazu gesellten sich Besucher vom Stuttgarter Platz. Altlinke Oberstudienräte bestellten grünen Tee. Bärtige Nachwuchsväter nahmen an Alikas georgischen Fleischtrögen Auszeit vom veganen Alltag. Charlottenburger Hinterhofganoven pumpten sich am Tresen auf, bis zum ersten kaukasisch ausgetragenen Streit unter Männern.

Bald sprach sich das ungewöhnliche Restaurant am Stuttgarter Platz in der Stadt herum. Es wurde schick, in der Apotheke bekannt zu sein. Schlagersternchen machten Selfies mit Alika, Prominenzfriseure legten gefönte Hundchen auf Tische und fütterten sie mit Lammfleisch. Es kamen die Rechtsanwälte mit ihren Cabrios, ein Staatsanwalt aus dem Kiez, schließlich die Richter und zuletzt die Polizei. Jeder aß von Alikas Tellerchen und ihr aus der Hand.

Sie bezahlte ihre Gasrechnungen pünktlich, lernte, über Schutzgeldbeträge zu verhandeln, wies Russen und Kaukasier in ihre jeweiligen Schranken und spielte sie gegeneinander aus. Malte nur noch an freien Tagen und wurde immer besser. Plötzlich verkauften sich die Bilder der schönen Apothekerin.

Inzwischen war Alika eine gestandene Wirtin, hatte den Kaukasus nach Berlin geholt, lebte mit allen Sinnen in ihm, und ihre Gäste liebten sie dafür, daß sie sie daran teilhaben ließ.

Der Frühling war überraschend mit einem fremden südlichen Wind in die Stadt eingezogen. Viel zu früh, aber zu schön, um vorsichtig zu sein. Alikas Apotheke wurde zu einem nervösen Bienenstock.

Kaukasische Mafiosi gingen zwischen Vorspeise und Hauptgang ihren Geschäften nach, lauter als sonst, wilder als sonst. Tscherkessen zeigten Verkaufsphotos von siebzehnjährigen Dorfschönheiten. Alte Männer schwärmten von vergangenen Bärenjagden und im Traum gewonnenen Kriegen. Eine Gruppe junger Aserbaidschaner hatte Tische zusammengestellt, breitete Landkarten für eine Bergtour aus und markierte die einzelnen Etappen mit Weingläsern. Ein vorbeitorkelnder Russe stieß an die Tischplatte, Wein schwappte auf den Kleinen Kaukasus. Ein Aserbaidschaner sprang auf, die Männer maßen sich mit Blicken, der Russe murmelte eine abfällige Entschuldigung.

Die Gefahr, daß verschiedene Volksgruppen aneinandergerieten, war groß an so einem flirrenden Frühlingstag. Und ausgerechnet heute feierte Kriminalrat Fockemeyer, Chef aller Mordermittler der Stadt, korrupter Strippenzieher und unverwüstlich intrigantes Stehaufmännchen aus alten Westberliner Zeiten, in Alikas Apotheke seinen Geburtstag. Mit der halben Strippenzieherprominenz der Stadt.

»Aber Herr Kriminalrat, ein Glas von unserem guten georgischen Wein vertragen Sie noch. Sie sind doch ein vitaler junger Mann«, sagte Alika und schenkte nach.

Fockemeyer zog lachend seine sehr junge armenische Flamme an sich. »Ich will gar nicht mehr jung sein. Hatte nix zu sagen und eifrig das Auge auf den Pfad der Tugend gerichtet.«

»Wann soll denn das gewesen sein?«, fragte Rudi Laritzke, ein mit allen Berliner Wassern gewaschener Baulöwe, der seit zehn Jahren sein Geld mit Nichtstun auf dem Schönefelder Flughafenneubau verdiente.

»Da kanntest Du mich noch nicht.«

»Das glaube ich, alter Ganove.«

»Vorsicht, was Du sagst«, Fockemeyer wedelte mit dem Zeigefinger, »ich bin die Polizei.«

»Willst Du uns alle auf der Flucht erschießen?«

Die Geburtstagsgesellschaft lachte dröhnend.

Zwei Tische weiter schimpfte ein Gast auf Russisch mit dem Kellner. Der Bienenstock summte.

»Frag unsere schöne Alika«, Focke legte vertraulich seine Hand auf ihren Arm, »was für eine fürsorgliche Seele der tugendhafte Fockemeyer ist. Wenn es ein ernstes Problem in der Apotheke gibt, ist der Kriminalrat sofort zur Stelle.«

»Darf ich nachher darauf zurückkommen?«, fragte Alika und sah zu dem mit dem Russen verhandelnden Kellner.

»Du hast doch nichts ausgefressen?« Fockemeyer grinste Alika an. »Etwa einen Zechpreller erschlagen? Und jetzt soll der Onkel von der Keithstraße die Leiche entsorgen?« Die armenische Flamme lachte quietschend und hielt ihre weichen Finger vor den Mund.

Der russische Gast fuhr mit der Faust auf die Tischplatte, Gläser klirrten, der Kellner sah zu seiner Chefin.

Alika zog ihren Arm unter Fockemeyers Hand hervor. »Mein Vater wird vermißt, und Ihre Kollegen nehmen das nicht so ernst, wie es ist. Sein Leben ist bedroht, Sie müssen ihn bald finden. Aber jetzt wird erst einmal gefeiert.« Sie winkte einer Kellnerin. »Die Runde geht aufʼs Haus.«

»Die schöne Alika«, sagte der Russe. Seine goldene Armbanduhr leuchtete. Er hatte Verstärkung mitgebracht, ihm gegenüber saßen zwei weitere Männer, stiernackig und rotgesichtig. Alika hatte alle drei noch nie gesehen.

»Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte sie.

»Der will uns keinen Wodka mehr geben.« Der Russe deutete auf Igor.

Alika sah auf die zahlreichen Wodkaflaschen im Spirituosenregal und nickte Igor zu.

»Schmeckt Euch mein Essen denn?«, fragte sie und stellte sich zwischen den Tisch und Fockemeyers Geburtstagstafel.

»Teuer ist es«, sagte der Russe.

»Ihr seid zum ersten Mal hier und meine Gäste.«

Igor, Alikas Chefkoch, brachte eine neue Flasche Wodka und schenkte dem Russen ein. Aus der Küche kamen die fünf kasachischen Spüler und reihten sich hinter dem Tresen auf, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt.

»Ich nehme an, Jurij Iwanow hat Euch geschickt«, sagte Alika und beugte sich vor zu dem Russen. »Sagt ihm, daß mein Angebot nur für Euren ersten Besuch gilt.« Sie schoß ihn mit ihrem schwarzen Blick ab.

»Um Alika würde ich mich auch gerne mal kümmern«, sagte Rudi Laritzke mit gierigem Blick auf ihre Rückfront.

»Übernimm Dich nicht«, sagte Fockemeyer. »Und ich krieg noch Geld wegen der Baugenehmigung für Dein Hochhaus.«

Die armenische Flamme kreischte. »Sie bauen Hochhäuser?«

»Am Ernst-Reuter-Platz, meine Süße, bis zum Himmel.« Er beugte sich über den Tisch. »Kann ich Dir gern mal zeigen.«

Fockemeyer schlug ihm auf die Finger. »Ohne mich krepiert das Ding im zweiten Stock.«

»Hab gehört, Ihr macht Solarfassaden«, sagte Boltz-Kercher, in Spanien gestählter Hoch- und Tiefbauer mit dichtmaschigem Schmieröl-Netzwerk in der Politik.

»Man will ja was für die Umwelt tun«, sagte Rudi.

»Und was machen die Fördergelder?«

»Sprudeln.« Rudi sah ihn an. »Brauchst Du auch welche?«

»Kannst Du Solar empfehlen?«

Rudi winkte ab. »Hohe Kosten, geringer Ertrag. Es sei denn, Du willst der Zielgruppe den Bauch pinseln. Bei ʼner Neubausiedlung hab ich das mal gemacht. Öko, junge Familien. Rechnet sich aber nicht. Veganer Babybrei ist teuer. Locker sitzt das Geld erst, wenn der Sargdeckel in Sicht ist.«

»Was siehst Du mich an?«, fragte Focke. »Ich bin frisch und knackig.«

»Deine Kleine guck ich an, Du eitler Sack.«

»Und wo willst Du hin mit dem Solar?«, fragte Focke.

»Brandenburg«, sagte Boltz-Kercher.

»Echt? Die Sandpiste?«

»Hab da zwei Seen billig gekriegt.«

»Wieder die Sozialisten geschmiert, gibʼs ruhig zu.«

»Aber nie.« Boltz-Kercher hob drei Finger zum Schwur.

»Was kosten die Landeier von der Linken jetzt? Sag schon.«

»Vorwärts Genossen«, sagte Rudi und rülpste. Er sollte auf Bier umsteigen. Den Magen schmieren.

»Betriebsgeheimnis«, sagte Boltz-Kercher. »Die billigen Zeiten sind vorbei.«

»Und was machst Du am See?«, fragte Focke. »Luxushotel?«

»Bootshäuser. Vierhundert Stück.«

»Du lieber Himmel.«

»Kauf ich für ʼn Appel und ʼn Ei in Holland, die Dinger. Null Isolierung, fast keine Vorschriften. Und verscherbele sie als individuelle Ferienhäuser.«

»Bootshäuser, tzzzz«, sagte Rudi und rieb sich den Bauch.

»Sind eigentlich ja bloß Bretterbuden mit Frischwasservorbeifluß. Aber Ihr glaubt nicht, was die Neuberliner dafür bezahlen. Hab eine Werbekampagne gestartet. War richtig teuer, aber genial. Freiheit, Frieden, Glückskekse. So ein Yogading. Märkische Einöde als meditative Erfüllung. Kopfstand auf dem eigenen Bootssteg.«

Focke lachte. »Die sind sooo blöd.«

»Haben meistens nicht mal ein Boot. Und anfangs dachte ich, die Buden müßten alle unterschiedlich aussehen.«

»Müssen sie nicht?«

»Aber nein, im Gegenteil. In Terrorzeiten wollen die Leute Sicherheit und sich verstecken.«

»In Brandenburg. Im Bootshaus.« Focke schüttelte den Kopf.

»Wenn ein Moslem mit der Machete kommt, soll er verwirrt vor lauter geklonten Bretterbuden stehen. Verringert die Wahrscheinlichkeit, inʼs Paradies gesäbelt zu werden.«

»Und wenn er doch kommt, springst Du einfach inʼs Wasser.« Focke lachte. »Offener Fluchtweg.«

Der Russe nahm sein Glas und kippte den Wodka in den Rachen. Hustete und spuckte aus. »Was ist das?«, schrie er.

»Spülwasser«, sagte Igor, Alikas Chefkoch, ruhig. »Gut genug für russische Schmarotzer.«

Der Russe sprang auf, sein Stuhl stürzte um. Die kasachischen Spüler hinter dem Tresen erhoben die Köpfe, die anderen Gäste unterbrachen ihre Gespräche. Der Russe griff die Wodkaflasche am Hals und musterte die Umgebung. Den finster dreinblickenden Igor, die fünf Spüler, Alika, ihre Bilder an den Wänden. Er fand ein besonders großes, hob langsam den Arm und zerschmetterte die Flasche an dem Gemälde.

Fockemeyers armenische Flamme kreischte.

»Das wäre dann Sachbeschädigung«, sagte der Kriminalrat. »Was für ein Glück für Sie, daß ich nicht im Dienst bin, sondern nur meinen Geburtstag feiere.«

Seine Gäste lachten verkrampft, der Russe fixierte ihn.

»Wenn Sie Alika den Schaden ersetzen, wollen wir den Vorfall gern vergessen. Jeder hat mal einen schlechten Tag. Nicht wahr, Alika?«

Die zwei russischen Begleiter standen auf und hoben dabei den Tisch an. Gläser rutschten und zerbrachen klirrend am Boden. In die Reihe der fünf Spüler kam Bewegung. Zwei sprangen synchron über den Tresen, drei nahmen den Landweg, gemeinsam stürzten sie sich auf die Begleiter.

Der Russe nahm einen Stuhl und zerschlug ihn auf dem Tisch. Mit einem zersplitterten Stuhlbein in der Hand ging er auf Fockemeyer zu. Die anderen Gäste sprangen auf. »Willst Du eine aufʼs Maul, Polizist?«, fragte der Russe.

»Aber, aber«, sagte Fockemeyer, »Sie wollen doch nicht wirklich Ärger? Schon wegen der Aufenthaltsgenehmigung.«

Der Russe warf das Stuhlbein weg und lachte. Stieß Fockemeyer vor die Brust, der rückwärts fiel. Seine armenische Flamme kreischte wieder, griff ihre pinkfarbene Handtasche, ihr blaues Pelzjäckchen und flüchtete aus der Apotheke.

»Die biste los«, sagte der Russe. »Nimm Dir ʼne Russin, sind mehr gewöhnt.« Er lachte dröhnend.

»Ich rufe jetzt die Polizei«, sagte Boltz-Kercher und wischte hektisch über das Display seines Smartphones.

Der Russe schlug es ihm aus der Hand, hob den in Spanien gestählten Baulöwen hoch und warf ihn zur Tür hinaus. Von draußen stürmte seine wartende russische Verstärkung die Apotheke. Alika flüchtete hinter den Tresen. Die fünf Spüler warfen sich mit kasachischem Kampfgeheul der Übermacht entgegen.

Der Russe kehrte zur Geburtstagstafel zurück, beugte sich über den am Boden liegenden Fockemeyer und zog ihn am Hemdkragen hoch. Focke baumelte an seiner Hand wie eine klapprige Marionette.

»Na«, sagte er, »was macht Aufenthaltsgenehmigung, Polizist?«

Alikas Chefkoch Igor umfaßte von hinten den Hals des Russen und drückte zu. »Igor«, schrie Alika, »nicht!«

Igor öffnete seinen Würgegriff, der Russe ließ Focke auf den Tisch fallen, Igor griff ein herumliegendes Stuhlbein und zog es dem Russen über den Schädel.

Die Kasachen verloren an der Apothekentür zusehends an Boden. Männer brüllten, Tische zerbrachen, Stühle fielen übereinander. Die Horde kam der Geburtstagstafel, auf der Focke lag, immer näher. Hinter ihnen bot die offenstehende Tür einen Fluchtweg.

Fockemeyers Geburtstagsgäste rafften ihre Handys, Taschen und Jacken. Stiegen über Stühle, Tische und Bänke, stolperten über zerschlagene Flaschen und Gläser, rutschten über verstreutes Essen, schlitterten durch Wein- und Ölpfützen. Alle in eine Richtung, ab durch die Mitte und die Apothekentür.

Focke robbte sich auf seinem Geburtstagstisch, vorsichtig Gläser und Flaschen zur Seite schiebend, aus vorderster Kampflinie. Vor der Dessertplatte scheiterte er, zu viel Pudding. Er richtete sich auf und sah in ein kasachisches wütendes Gesicht. Aber wir sind doch auf der gleichen Seite, dachte er, als ihn eine Faust am Auge traf. Wie ein nasser Sack plumpste er auf den Boden.

Als er wieder zu sich kam, sah er Füße und Beine, Scherben und Chaos. Hörte Gebrüll und klatschende Schläge. Er robbte wieder. Jemand trat auf seine Hand, es knirschte darin, er jaulte. Ich will nach Hause. Die Toiletten, hinten waren die Toiletten. Und der Notausgang. Er kroch wie ein Käfer, sah immer weniger, sein kasachisch getroffenes Auge schwoll zu.

Er hatte die rettende Tür fast erreicht, als ihn jemand an der Schulter packte und umdrehte. Es ist mein Geburtstag. Ich hab genug. Focke hob die Hände vorʼs Gesicht und linste mit seinem verbliebenen Auge durch die Finger. Ein Russe. Die Aufenthaltsgenehmigung. Wenigstens der richtige Gegner.

»Wo willste hin, Polizei?«, fragte der und holte aus. »Sind noch nicht fertig mit Termin.« Er versetzte ihm einen krachenden Kinnhaken. Fockemeyer knallte gegen eine Tür, die Klinke erwischte seinen Nasenrücken, der Kriminalrat sank auf die Schwelle zu Alikas Pissoir und in die Bewußtlosigkeit. Super Geburtstag, war das letzte, was er dachte.

860,87 ₽
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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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381 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783945611081
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