promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Lowlife», страница 6

Шрифт:

Das letzte bisschen Spaß war vernichtet… Von mir totgeschlagen. Die verbliebenen Gäste saßen größtenteils fassungslos herum und beobachteten ein Häufchen Elend, das auf dem Teppich vor dem Tisch hockte und ungläubig und ängstlich die immer dicker werdende Hand abtastete… Das bald mit einer Befragung anfing, ob man es für einen Bruch hielte und verzweifelt versuchte, sich zu beruhigen sich einredete, dass seine Hand nur geprellt sein müsse, es sich aber selbst nicht so ganz glauben wollte… Schließlich hatte ich mir schon einmal zwei Mittelhandknochen der rechten gebrochen. Mit vierzehn bei einer Schlägerei in der Schule… Das Fühlte sich so verdammt ähnlich an… Und sie beobachteten mich, dieses Häufchen Elend und wussten nicht, was tun.

Marie setzte sich zu mir… »Mensch was machst du denn auch für eine Scheiße?…« Und umarmte mich ein bisschen… »Komm her lass mich mal sehen«, sagte sie, langte nach meiner Hand zog sie zur Betrachtung heran und lachte dabei mitleidig… Hexenwerk!… Sie war die ganze Zeit über so gut wie nüchtern geblieben… Was hatte die für eine Geduld.

»Kannst du eine Faust ballen?…« Ich versuchte es… »Tut es weh?…« Und sie tastete die Knochen hinter den Gelenken ab… »Und wenn die die Finger bewegst?«

»Ich weiß nicht«, sagte ich und versuchte, es halbwegs besonnen klingen zu lassen… »Es tut schon weh aber… Der Alkohol…«

»Der betäubt. Ja… Damit solltest du auf jeden Fall morgen zum Arzt… Komm, wir helfen dir noch ein Bisschen beim Aufräumen«, beschloss sie letztendlich.

Die Verbleibenden folgten ihrem Beschluss. Wir beseitigten die gröbsten Nachweise unseres amateurhaften Gelages.

Oh, die Jugend! Oh, die Kontrollverluste, die noch echt waren… Im Unwillen dazu entstanden… Unfreiwillige Komik. Man könnte fast darüber… Naja… Man sollte nicht gleich sentimental werden.

Der Nächste Tag gestaltete sich als einziges Bereuen, das mit dem Aufwachen spät nachmittags begann und einherging mit dem Gefühl vom bösen, schwarzen Affen Exzess vergewaltigt geworden zu sein, dieser Vergewaltigung dabei auch noch zugestimmt zu haben… In der Benebelung… Und hinterher, halbtot und zusätzlich verunsichert wegen meiner Hand, auch nach dem Vergehen des Rausches noch nicht wieder ich selbst zu sein.

Nachdem ich aufgestanden war, verbunkerte ich mich zunächst in meinem Kellerzimmer, zog meine Vorhänge zu, saß apathisch herum und befühlte meine geschwollene Hand. Die Finger konnte ich kaum bewegen, es schmerzte nicht sehr stark, doch ich bildete mir ein, von den nächtlichen Ausartungen und dem ganzen Fusel immer noch betäubt zu sein. Ich tastete den Mittelhandknochen unterm kleinen Finger ab und meinte, eine Bruchstelle fühlen zu können… Was würde bloß am folgenden Tage sein, wenn ich wieder zur Arbeit musste?… Ein schweißtreibendes Grauen davor zerrte an meinen Eingeweiden, dem Magen, der Lunge und mir wurde davon noch übler als mir so schon war… Von dem schalen Geruch des Zimmers, das noch nicht befreit worden war, von den Ausdünstungen, die dort drinnen tobten… Der Tisch verkrustet von Staub, Bier, Schnaps, Krümeln und was noch für Überresten der Nacht… Von dem Wissen darum, wie meine Arbeitgeber allein auf Ausfälle bedingt durch Krankheit reagierten… Auf dem Weg, eine Dusche zu nehmen, fiel meinem Magen ein, dass er doch noch unbedingt etwas loswerden musste… Bis zur offenstehenden Schüssel schaffte ich es im Eilschritt, da fing die Soße an mir zwischen den Fingern meiner den Mund verschließenden Hand durchzulaufen, dass ich mich mich hastig dem Porzellan entgegenstürzte und mit dem Kopf vor den Deckel prallte… Ein giftig saurer Schwall… Tränen in den Augen… Mein Arm lag auf dem Rand der Toilette. Angewidert als ich sah, dass noch Pisse halbtrocken darauf klebte, kam es mir fast noch einmal hoch… Ich fühlte mich wie ein reuiger Säufer, erschlagen von einem Delirium des Kummers und nichts da, um dagegen anzusaufen… Brauchte wirklich eine vernünftige Ausrede… Dieses Jahr sollte ich achtzehn werden… Warum veranstaltete ich nur solchen Schwachsinn?… Da hatte kein Heizungsrohr auf dem Boden gelegen, an dem ich mich aus Blödheit selbst verletzt hatte… Warum also?… Es war wertlos, in jenem Moment noch danach zu fragen… Auch danach… Wichtiger war die Ausrede, die ich versuchen musste, in meinem ausgehöhlten vertrockneten Schädel gedeihen zu lassen.

Draußen hatte sich längst der Schatten der nächsten Nacht über das Land gelegt und das Haus war still. Sodann schleppte ich mich erst einmal hoch zu meinen Alten, um sie mit meinem Übel zu konfrontieren. Doch meine Scham war zu groß, um ihnen die Wahrheit darüber zu erzählen… Konnte man ja auch schlecht sagen… »Hallo hier bin ich! Hab mich gestern im Suff selbst verstümmelt! Wie gehts euch so?«

Ich hatte mir einen Schwindel überlegt… Eine offizielle Version, der Geschehnisse, an die ich mich selbst nur noch vage erinnerte und die es galt, den Vorgesetzten und meinen Eltern glaubhaft zu machen. Vorsichtig öffnete ich die Wohnzimmertür… Da saßen alle beisammen, bei gedämpftem Licht und vor dem lautlos geschalteten Fernseher und wirkten auf mich wie stumme Richter vor einer Anhörung… Beklemmend.

Ich erzählte ihnen, es wäre beim Feuerwerk passiert, dass ich ausgerutscht wäre und dabei auf die geballte Faust gefallen, mit der ich versucht hätte, den Sturz abzufangen. Am nächsten Morgen würde ich erst einmal zur Arbeit gehen und dann dort sogleich meine Hand präsentieren. Erst danach würde ich den Arzt aufsuchen… Schüttelnde Köpfe… Ernste Minen… Sie nahmen es mir ab, ohne dass eine große Diskussion entstand… Sie saßen einfach da, eine Müdigkeit in der Haltung und den Gesichtern, die Strenge und Besorgnis erweichte, sie abschmelzen ließ… Diesen Umstand nutzte ich, indem ich schnellstmöglich unter die Bettdecke kroch und versuchte Schlaf zu finden… Dringend brauchte ich das seichte Vergessen… Vielleicht würde am nächsten Morgen alles wieder ganz anders aussehen.

Verspätet aufgewacht, quälte ich mich am nächsten Morgen mit meiner krummen Pfote in die Klamotten und trat den Weg zu meinen Peinigern an, der mir vorkam wie ein unaufhaltsames Fließband, auf das ich mit den Füßen festgeklebt war, mit vor Aufregung nervösem Magen und zitternd wie ein Junkie auf Entzug, immer näher dem Schlund eines Ofens heranrückend… Würde man mir die Angst ansehen können? Wie würden meine Symptome ausgelegt werden?… Kaum in der Werkstatt angekommen und gerade auf dem Weg zum Umziehen, dadurch versuchend guten Willen vorzutäuschen, sah ich aus den dunklen Kriechtiermausoleen des Kellers das Wiesel hervortauchen. Geradezu groteske Fröhlichkeit erging sich, aufbrennend im ungesunden Leuchtstofflicht der Werkstatt, auf den vergrämten, faltigen Zügen seiner Zuchthäuslervisage. Noch nicht ahnend, was folgen würde, wurde es aufgehalten von Christoph, der seinen Weg kreuzte und auf den es zum Überraschungsangriff überging, indem es ihn stellte und mit energischem Händedruck begrüßte… Der ganze Kerl schüttelte sich mit und blickte verwirrt drein… Scheinbar war es eine der seltenen Okkasionen, zu der es sich in gut gelaunter Stimmung befand… Die Beiden wanden sich mir entgegen. Wie angewurzelt blieb ich neben dem Werkzeugschrank mit dem verstaubten Radio stehen… Und hielt zaghaft meine ramponierte Hand hoch, sobald sie die letzte schützende Distanz überbrückt hatten… Da hatten sie sich nun vor mir aufgebaut… Ich erwartete kochendes Blut… Einen kolossalen Wutanfall und drakonische Bestrafung, sah ich doch, wie sich augenblicklich die Gesichter verfinsterten. Christoph verschwand in die andere Halle und entsagte mir somit seinen Beistand.

Das Wiesel holte tief Luft, wobei es seine schiefen, gelben Zähne zeigte und ich schoss in verzweifelter Gegenwehr die einstudierten Worte meiner Notlüge wie Salven von mir.

Zu meiner Erleichterung kaufte man mir meine Geschichte ab. Natürlich zweifelte ich nicht, dass es Hintergedanken gegeben hatte aber, man sprach mich nie wieder auf den Hergang des »Unfalls« an.

Der Macker räumte entrüstet das Feld, die Werkstattüre flog zu und die Tore zitterten wie ein verängstigtes Tier in der Falle, stampfende Schritte auf den Treppen zum Wohnhaus, zuletzt krachte die Haustür in die Angel… Feiner Zug von ihm, seinen Hass und seine Wut dieses Mal am Gemäuer auszulassen… Alles war wie geplant verlaufen und so machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause, um mich in anständige Klamotten zu werfen und anschließend meine Diagnose einzuholen… Wie man es mir schon prophezeit hatte… Ein Besuch bei meinem neuen Hausarzt, dem ich mich anvertraut hatte, nachdem die Hippietante zur Privatpatientendoktorin geworden war… Erneutes betasten… Ein kurzes Gespräch, bei dem der Mann mit Halbglatze nebenher hastig über bürokratischen Korrespondenzen fluchte, zwischendurch seine Fragen zum Unfallhergang auf mich einprasseln ließ, sich dann wieder empörte, er hätte mittlerweile mehr mit dem Papierkrieg und den Krankenkassen zu tun, als dass ihm noch Zeit für die vielen Patienten übrig bleib… Viele seiner Ärztekollegen zögen sogar schon externe Firmen hinzu, die sich dafür bezahlen ließen, sich um den anfallenden Papierkram zu kümmern… Raus aus dem Untersuchungszimmer… Zum Empfang… Da winkte mir eine Auszubildende schon mit der Überweisung entgegen… Mit dem Bus in die Stadt… Ein Irrlauf über die verwinkelten Krankenhausflure… Warten… Röntgen… Erneutes Warten zwischen schlaffen Gesichtern und eingeknickten Betriebsunfällen, Bandagen und Gipsen… Krücken… Dem allgemeinen Siechtum.

Nach der Prozedur saß ich ganz benommen daheim, war selbst eingegipst und betrachtete mit gemischten Gefühlen den gelben Schein, wissend, dass er zwar einerseits eine Befreiung darstellte, mich aber andererseits zu einem weiteren Vorsprechen bei den Schakalen im Büro nötigen würde.

Was denn nun aus mir werden solle, hieß es dort und die Luft war dick von Zigarettenqualm und der unausgesprochenen und empathiefreien Sorge dieser Hyänen, dem eigenen Vorteil beraubt worden zu sein… Ich würde wohl kaum wieder arbeiten können mit meiner gebrochenen Hand… Na, klar… Sie gaben sich besorgt, heuchelten Mitleid… Einer weniger, der die Freuden der Vernichtung durch Arbeit genießen durfte… Ich argumentierte zaghaft und trocken… Knochen wuchsen wieder zusammen… Und das würde schon wieder werden… Und da wäre ich mir sicher… Diese und andere Worte hatte ich mir sorgfältig zurechtgelegt, während nebenher der Gedanke in mir wütete, dass die kleinen Risse in der Psyche viel schwerer heilten… Manchmal überhaupt nicht… Oder kamen wir alle etwa schon bekloppt auf die Welt?… Was, wenn das Beklopptsein der Normalzustand war?

Linkswichsen… Daran hatte ich mich in den folgenden Wochen zu gewöhnen… Nicht so unbequem wie die Vorstellung, beide Hände gebrochen zu haben… Der Mensch gewöhnte sich an vieles… Nachdem der erste Trubel überstanden war und ich erst einmal Abstand von den Geschehnissen an der Arbeit gewonnen hatte, war das Leben plötzlich sehr entspannt. Alles was ich tat, war alle paar Wochen zur Berufsschule zu erscheinen und dazwischen so richtig anständig und aufrichtig zu verlottern… Tage zogen gemächlich vorbei und die Zeit wurde durch Marihuana-Räusche gedehnt und gestreckt… Rumlungern an den Wochenenden… Herrlichkeit! Wahre Herrlichkeit!

Doch der unheilige Gral der Gesellschaft, die angestrebte Vollbeschäftigung, nach der scheinbar alle außer meiner selbst auf der Suche waren, zwang mich dazu, den größten Teil der Zeit allein im Zimmer zu verbringen und mich um einen Zeitvertreib zu bemühen… Das Fernsehen hing mir irgendwann zum Halse raus… Nichts war beschämender als die Spottbilder und Scheusale, die gestellten, traurigen Zerrbilder hässlicher Halbwahrheiten, die von mittags bis abends und spät in die Nacht aus dem Äther flimmerten… Man wollte am liebsten alles gleich zum Teufel jagen, das ganze drastisch dreist debile Schmierentheater mitsamt der Scheißkiste zum Fenster rauswerfen.

Also begann ich zu lesen… Und hörte auch nach meiner Genesung damit nicht auf… Nach und nach arbeitete ich mich durch die gebundenen Romane meines Vaters und Großvaters, unter denen man alles Mögliche zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur fand, und, weil das Leben noch nicht schrecklich genug war, nahm ich mir den einen oder anderen Horroroman vor, der noch als zerlesenes Taschenbuch irgendwo im Regal vergilbte.

Bei der nächsten routinemäßigen Untersuchung im Krankenhaus fanden die Ärzte heraus, dass mein Mittelhandknochen falsch zusammenwuchs. Um eine Verkrümmung zu vermeiden, sollte ich mich einer Operation unterziehen. Man gab mir eine Menge Formulare mit, die ich auszufüllen und abzugeben hatte. Eine Woche später bekam ich einen Termin, bei dessen Wahrnehmung, man einen weiteren Stapel Papier auf meinem Schoß deponierte… Und ich schwang den Kugelschreiber… Auf unrecyceltem Papier! Dekadente Bürokratie! Die Regenwälder! Ihr bigotten Schweinepriester!… Und man schob mich auf der Operationsbahre von Station zu Station und gab mir ein Beruhigungsmittel, in einem Luftschleusenartigen Vorraum zum Operationssaal, dass mich binnen Minuten wegdösen ließ… Ich bekam noch mit, wie mit Operationsmasken verhüllte Gesichter die Vollnarkose vorbereiteten, dann gingen bei mir die Lichter aus.

Benommen und mit taubem Arm aus Gummi, wachte ich wieder auf. Man hatte mir den Mittelhandknochen erneut gebrochen und ihn mit zwei Metallstiften fixiert. Noch mehr Zeit für mich, in der ich nicht zur Arbeit gehen brauchte.

Doch nach Wochen voll der Zerstreuung musste es auch einmal weitergehen. Es gestaltete sich so langweilig und trostlos wie zuvor. So unvermittelt war ich wieder in der alten Routine drin, dass es mir schnell kaum noch ins Bewusstsein kam, wie lange ich doch zuvor abwesend gewesen war. In den ersten Wochen gab man sich größte Mühe, mich die volle Breitseite meiner Unbeliebtheit spüren zu lassen, ehe man bemerkte, dass die Ausbildung eine befristete Gelegenheit zur Ausbeutung darstellte und man mich endlich so langsam an die, für meine Ausbildung relevanten, Aufgaben heranließ… Im nassen Frühling die Räderwechsel-Saison.

Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die richtige Arbeit zu tun und etwas zu lernen, was meinem Lehrberuf entsprach… Man zeigte mir hauptsächlich den Umgang mit den Reifenmontage-Maschinen und dem Gerät zum Auswuchten der Räder. Bald waren die Finger blau, von den anfänglichen Schwierigkeiten beim Anschlagen der Auswuchtgewichte auf die Stahlfelgen.

»Ungelerntes Fleisch muss ab«, jauchzte das Wiesel, hechelte ein sadistisches Lachen, pflückte mir das Werkzeug aus den Händen, klemmte das Schlaggewicht in Position und demonstrierte… »Willste ma nen alten Hasen sehen? Häh?…« BANG! BANG! BANG!… »So macht man das!…« BANG! BANG!

Man konnte mich gar nicht oft genug einweisen, sprang um mich herum, und hin und her. So zwang mich deren Geduldslosigkeit dazu, schnell Fortschritte nachzuweisen, nur, um nicht wie ein kompletter Idiot dazustehen.

Dann war Ostern vorbei… Der Kollege sah mir zu, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf… Drehte sich mit Grausen ab… Da kroch ich um das Gelände der Werkstatt herum und kratzte mit einem Küchenmesser bewaffnet das Unkraut aus den Fugen des Pflasters heraus, wusch Autos bis meine Hände verschrumpelten und aufrissen, drückte mich in der Werkstatt herum und räumte auf und machte sauber, dass man vom Fußboden hätte essen können… Das Wiesel gab mir eine alte klapprige Leiter und ließ mich alle Lampen an der Decke und an den Wänden sauber waschen… Zweifelnd, mit Lappen und einem Putzeimer voll Wasser in der Hand, die verpfuschte Elektrik betrachtend, sah ich mich schon zuckend von der Leiter fallen… »LOS LOS! Hier wird nicht getrödelt!«, keifte es dann von unten.

Man wusste meist schon Bescheid, wenn plötzlich ein Fluch durch die Werkstatt hallte, so deutlich wie ein Vorbote der Apokalypse… Dann gab es erniedrigende Vorträge über den Umgang mit Betriebseigentum. Jedes Mal wurde der Schuldige über die Kosten von Arbeitsmaterial aufgeklärt, hin und wieder begleitet von der Drohung, beim nächsten Vorfall eine Neuanschaffung aus eigener Tasche zahlen zu müssen… Und jedes Mal galt es bis dahin, den entstandenen Bruch irgendwie zusammenzuflicken.

Der Kollege und ich waren gerade zusammen mit dem Wiesel an einem Auto zugange, als wieder einer der Druckluftschläuche, die regelmäßig von ihren Kupplungen runter sausten und zischend auf alles im Raum Befindliche einpeitschten, den Geist aufgab… Es gab einen Knall, ein Jeder zuckte zusammen, Verbindungsstück und Schellen flogen durch die Werkstatt, der Schlauch bäumte sich auf und wurde gerade noch durch mich, der ich zum Anschluss hetzte, von seiner Versorgung getrennt, bevor er uns mit seinen Hieben das Fürchten gelehrt hätte.

»Du weißt, was du zu tun hast!«, schlug es mir von der Seite ins Ohr, schon wetzte ich los, kramte einen der verstaubten Verbinder aus einer Schublade und machte mich daran, den Schlauch zu reparieren. Als ich fertig war schloss ich ihn wieder an das Druckluftnetz an und schaute meinem Kollegen bei der Arbeit zu. Ein paar Minuten später kam das Wiesel wieder heran, faselte irgendwelche Anweisungen daher, lief wild durch die Halle und trat dabei auf dem gerade erst repariertem Stück Schlauch herum. Aus der zuvor erst reparierten Stelle ertönte urplötzlich ein Zischen… Dann ein widerwärtiges Fauchen von der Seite.

»Kannst du deinen Scheiß nicht gescheit reparieren!? Alles macht ihr nur auf dem halben Arsch!«

Und weil ich wirklich überrascht über diesen plötzlichen Wutausbruch war, fiel mir keine durchdachte Antwort ein.

»Es hat ja bis eben funktioniert. Mir ist aber nicht eingefallen, drauf herumzutrampeln, ums zu testen…«

Da platzte ihm der Kragen… »WÄÄÄS?! Ich hab mir in meiner Lehrzeit ja schon was geleistet! Aber SOOWAS hätte ich mir NIE erlauben können! DASDARFJAWOHLNICHSEIN!!!« Und so weiter und so weiter… Und es funkelte mich irre an und hob die Arme wie zum Paukenschlag. Der Kollege grinste mir hämisch, Schutz nehmend im Motorraum versenkt, über die Schultern des Wiesels entgegen, dass mich mit sich in den Maschinenraum schleppte und mir zeigte wie es so einen Luftschlauch reparierte und wie ich es demnächst verdammt noch mal auch zu tun hatte. Den Rest des Tages scheuchte es mich dann vor sich her und erteilte mir die abstrusesten Drecksarbeiten, damit ich auch ja nicht zur Ruhe kam. Das sollte es mich Lehren, derartige Unverschämtheiten zukünftig zu unterbinden.

Auch der Baustellenwahnsinn ging von neuem los. Nun hatte das Wiesel die großartige Idee das wellige Konglomerat aus teilweise bereits zerstörtem Beton und Estrich, welches mehrmals mit Fußbodenfarbe überstrichen worden war und den Boden der Beiden Werkstatthallen und des Werkzeug- und Maschinenraumes bildete, mit Fliesen auszulegen… Das Elend dauerte tagelang und selbstverständlich legten wir die Fliesen selbst. Palettenweise wurden die herangeschafft… Die einzelne Fliese maß etwa zehn mal zwanzig Zentimeter… Und auf dem Hof neben der Werkstatt abgestellt, zwischen Unfallwagen, ausgedienter Werkstatteinrichtung und allerlei sonstigem Gerümpel, das das Laub der Bäume aus dem Nachbargarten fing… Außerdem der in der Werkstatt anfallende Schrott, der fachmännisch zwischengelagert in einer Badewanne Rost ansetzte, bis ein Schrotti sich seiner erbarmte.

Während alles damit beschäftigt war Fliesen zu legen, Kleber anzurühren und auf den Boden zu klatschen und Fliesen zurechtzuschneiden, machte ich den Handlanger, nahm Sechstausend mal den Weg zwischen Werkstatt und Hinterhof und schleppte neue Pakete Fliesen an, stets erpicht auf Vermeidung einer Kollisionen, denn von den drei Leuten neben mir selbst ging jeder wie ein Brummkreisel durch das Gemäuer… Das änderte sich, sobald man bemerkte, dass man die eignen Wege ebenso auf mich abwälzen konnte. Zwischen den einzelnen Versorgungsfuhren eilte ich herbei, ging neben den Leuten in die Knie und ließ mir die Maße für die Fliesen geben, die zurechtgeschnitten werden sollten… Dann los in den Raum, wo das Mannsweib an der Schneidemaschine stand… Maße durchgeben, warten… Warten… Ein Geräusch wie zu einem Kreischen verstärktes Zähneknirschen… Und nachdem sie das Stück Stein zurechtgeschnitten hatte, durfte ich endlich die Maßanfertigung an ihren Bestimmungsort bringen… Und wehe, wenn es nicht passte, dann ging ein großes Zanken los und keiner wollte einen Fehler gemacht haben, weder das Wiesel beim Maßnehmen noch das Mannsweib beim Schneiden und ich, als kreuzdämlicher Überbringer, konnte nun wirklich nichts falsch gemacht haben. Nach fünf Minuten Geplärre und erneutem Messen und Schneiden, war das Theater dann wieder vorbei… Und ich freute mich schon auf die nächste Vorstellung, während ich wieder umhereilte und mich trietzen ließ, gefangen zwischen den Fronten von dreifachem Wahnsinn und nackter Angst.

Der Kollege und das Wiesel arbeiteten sich Reihe für Reihe vor… Einen ganzen Tag lang war ich damit beschäftigt, kroch auf Knien durch die Halle und säuberte die Fliesen einzeln, während hinter mir die Leute immer wieder neuen Dreck hereinbrachten… Liquidieren, massakrieren, ausmerzen hätte ich sie gewollt… Ständig sah ich auf die Uhr… Vier Stunden auf den Knien. Das Wiesel kam an mir vorbei und besah mit kritischer Mine meine Arbeit… Meine Blicke wurden unterdessen angezogen, von den Gummischonern über seiner Arbeitshose.

»Die sind alle in Gebrauch!«, ließ es mich wissen, sah zu mir herunter und bemerkte den Ärger in meinem Gesicht… Die Bockigkeit… Vielleicht sogar den Tötungswunsch, den ich gegen es hegte.

»Können wir vielleicht welche besorgen?«

»Ach stell dich nit an! Bist doch noch jung!«, kläffte es und zog von dannen.

Nachdem ich beinahe neun Stunden so verbracht hatte, war zum Feierabend alles steril. Ich humpelte heimwärts.

Am nächsten Tag die selbe elende Prozedur. Diesmal sollte ich die Fliesen mit Versiegelung bestreichen. Man gab mir eine Lackrolle und ich legte los. Zwischendurch wurde, um die Trocknung zu beschleunigen, ein Heizgebläse angestellt. Nach fünfminütiger Pause ließ man mich wieder von vorn anfangen. Drinnen herrschte eine Luft wie in der Gaskammer… Das ging über zwei weitere Tage… Raum für Raum, Fliese für Fliese… Freitagabend schleppte ich mich mit pochenden Kniegelenken und schwindelig im Schädel Heim.

Noch am selben Freitagabend, nachdem ich gegessen und mir den Dreck von den Knochen gewaschen hatte, sollte ich den Tribut für meinen Untertanengeist und die Plackerei auf dem Boden zahlen.

Wir versammelten uns wieder einmal in der Kellerbar meines Freundes, um dort die Schrecken der vergangenen Woche zu ersäufen… Warum sonst soff sich beinah Jedermann den ich kannte am Wochenende mindestens einmal die Hucke voll? Natürlich wollte man auch ein bisschen Spaß haben. So ließ sich einfach leichter abschalten… Die Flasche war ein treuer Begleiter von unverdautem Stress und Ausbeutung. Diese drei sauren Brüder… Wechselten sich nur kurz ab, doch verrichteten sie alle ein ähnlich zerstörerisches Werk. Manche Leute behaupteten, wir würden ohne das Saufen einfach wahnsinnig werden… Ich stellte mir das als den Grund dafür vor, warum mein Chef so ein cholerischer Hundesohn war… Zumindest behauptete er immer, er würde nie etwas trinken. Gerne prahlte er damit. Das kam mir sehr verdächtig vor… Traue keinem Mann, der keinen Alkohol trinkt, fiel mir ein.

Die Schwächungen der vergangenen Tage vom Suff überdeckt, wankte ich die Treppe zu dem im Erdgeschoss befindlichen Klo wieder hinab. Ein Tritt verfehlte eine Stufe, die Muskeln schafften es nicht, den unerwarteten Satz nach unten zu dämpfen, das Bein verdrehte sich, ich spürte wie meine Kniescheibe sich ausklinkte und landete mit dem Gesicht auf den Stufen… Nun war ich geschädigt… Wieder einmal… Meine Gute Laune war mit einem Vorschlaghammer zertrümmert worden und ich sah mich schon wieder beim Arzt sitzen. Noch dazu würden diese undankbaren Arschficker in der Firma mich mit Tritten und freudigem Geifer im Maul rauswerfen. Sie würden sich am Montag auf mich werfen und das was noch von mir übrig war zerfleischen.

In einem bedauernswerten Zustand nahm man mich mit zur Bushaltestelle und brachte mich Heim… Den Rest des Wochenendes verbrachte ich frustriert in meinem Zimmer und malte mir aus, was ich am Montag tun würde… Irgendwie hatten diese selbstsüchtigen Affen, da in ihrer Bruchbude von Werkstatt, ja selbst schuld an meinem Zustand. Sie sollten mir vor Freude den Arsch lecken, wenn ich wiederkam, um mir ihren Scheiß gefallen zu lassen. Hätte dieser Geizhals nicht einfach ein paar Knieschoner besorgen können, und alles wäre ganz anders gekommen… Nun sollten sie doch darauf verzichten, mich auszubeuten… Von Bettwanzen sollte der aufgefressen werden… An seinem Geiz ersticken und vom Blitz getroffen werden dabei!… Ich versuchte mir Hoffnung zu machen.

Das Wiesel warf mich natürlich nicht raus. Die Sorgen des Wochenendes waren für die Katz. Im Büro fletschten sie die Zähne… Da musste ich durch.

»Du bist ja mehr krank, als dass du an der Arbeit bist!…« Und… »Das war das letzte Mal, dass du hier krank machst!…« Eine halbe Stunde Drohungen und wütendes Gezeter ließ ich über mich ergehen, bevor ich endlich draußen war.

Vier Wochen dauerte es und ich konnte wieder ohne Probleme laufen. In dieser Zeit humpelte ich von Bus zu Bus, von Bahn zu Bahn, zu den Ärzten, setzte mich über Stunden in ihre stickigen, hoffnungslos überfüllten Praxen und wartete, bis ich schwarz wurde… Sie steckten mich gut festgezurrt in die Röhre… Kernspintomografie… Das ratterte und krachte, dass ich mir vorstellte, wie das Gebäude über dem Apparat zusammenstürzte… Sie fanden nichts Außergewöhnliches. Der Orthopäde meinte es läge an Überanstrengung und verordnete mir eine Kniestütze, riet mir Ruhe zu halten und einmal wöchentlich wiederzukommen… Dieses französische Gefühl jagte mich… Und das war eine Ausgeburt jenes scheußlichen Prinzips, das mir damals in diffuser Ausführung seiner Gestalt geläufig wurde… Jener ewigen Wiederkunft… Déjà-vu, so nannte ich es der Einfachheit halber… Schon gesehen… Aber nicht bloß als Bekanntheitstäuschung, denn es stimmte ja… Schon gesehen hatte ich ähnliches… Schon erlebt, besser… Hätte dann Déjà-vécu heißen müssen… Ja… Schon erlebt. Mehrfach erlebt!… Bei jedem meiner Besuche, saßen mehr Menschen im Wartezimmer. Unter dem kalten Licht der Leuchtröhren, beklagten sie sich, fingen an, einander zu fragen, wie lange man denn schon warte und die Luft stank förmlich nach dem Pesthauch ihrer Ausdünstungen und der Unmut… Es war ansteckend… Wütend verließ ich den schlauchartigen Raum, nachdem man mich fast drei Stunden in diesem Pferch für die Siechenden hatte warten lassen, und pfiff auf das Gutachten des Doktors.

Sobald ich kuriert war, ging die Plackerei weiter. Ein einziges, gleichförmiges Vorbeirauschen grauer Schemen… Fünf-Tage-Wochen… Lähmender Stillstand, treibender Aufruhr… Vergessen an den Wochenenden… Ungewiss war der Zeitpunkt des Feierabends… Tag für Tag… Jeden Morgen erwachte ich müde und am Abend fiel ich erschlafft zu Bett… Das große Ziel lag noch trübe, kaum erkennbar am fernen, blassen Horizont… Menschen wurden in Zwangswesten gesteckt und in einen vernebelten Abgrund geworfen… Man war ein Fremder in einer Welt von Fremden… Darauf wartend, dass die Rot glühenden Wolken des Stadthimmels ihr nachtträchtiges Licht in den Abgrund sinken lassen würden.

Dies ist eine lausige Stadt… Überhaupt, die ganze Welt ein lausiger, abgekehrter Schemen und ich stehe irgendwo dazwischen, zwischen mir und der abgerückten Welt, in einem schmerzempfindlichen und verspannten Vakuum… Es ist mal wieder soweit… Kontaktlos, so deutlich… Wo sind meine Botenstoffe?… Die polternden zellophanummantelten Hauptstraßen umgehend, findet man selten mehr, als Todesäcker, adrette Behausungen und Baustellen, abseits des erkalteten Neon- und Diodenlichtspuks. Da vor mir erstreckt sich so ein kläglicher Versuch, etwas Neues aus altbekannten Materialien zu erheben. Schotter und steife Erde, Betonelemente, ruhendes Gerät wie eiserne Zweifel und abweisendes Zaungeflecht… Sie ist unbelebt an diesem Sonntagvormittag, die Baustelle. Und da steht auch einer dieser hellblauen Plastiksärge für Menschen und deren Exkremente… Wobei die Unterscheidung… Der Ausscheidende, die Ausscheidungen… Gar nicht so weit voneinander weg. Haha… Zum Lachen ists… Ich öffne bereits die Tür, mit nur dem einen Ziel, die restlichen Substanzen loszuwerden, die mir übriggeblieben sind… Loswerden ist das falsche Wort… Ich schließe die Tür, rieche kaum etwas hier drinnen, krame den Flyer aus meiner Gesäßtasche und das Beutelchen mit dem Pulver aus meinem Portemonnaie. Eine Art teuflischer Schalksnarr, eine blau breit grinsende Fratze, mitsamt verstrickter Narrenkappe und mit halb gesenkten verkniffenen Lidern ist darauf aufgedruckt, das Siegel und Maskottchen eines Headshops… Da ist auch noch ein kleines Bömbchen, in Hanfpapier gewickelt. Ich habe nichts zu trinken, um es ordnungsgemäß runterzuspülen, wickele das Papier vorsichtig auf und vermische die gelblichen Kristalle wahllos mit dem Amphetamin… Kann mir ja einreden, dies würde die Energiereserven wachkitzeln, die es mir abverlangt, den bevorstehenden Weg hinter mich zu bringen… Schein gerollt, also rein damit… Es brennt kaum noch… Nase betäubt… Wie weit bin ich überhaupt gekommen?… Andere Frage als zu Beginn meiner Tour… Wie bin ich überhaupt so weit gekommen, war die doch?… War sie… Ist sie… Das Schloss entriegelt. Der Türgriff in meiner Hand. Ich trete hinaus aus dem unwahrnehmbaren, aber vermutlich doch vorhandenen Plastik-, Chlor- und Pissegeruch des Baustellenklos und lasse die Türe los, die von selbst in ihr Schloss fällt… Weg von hier und raus aus der lausigen Stadt… Hoffentlich fällt mir bald ein wie es mit mir weitergegangen ist… Schmutz… Wie ich… Dieser Ort… Alle Orte sind so schmutzig… So unglaublich verdreckt.

194,70 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
720 стр.
ISBN:
9783750211179
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают