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Читать книгу: «Lowlife», страница 9

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»Find ich nett, dass ihr uns nach Hause bringt.«

Bald hatte ich ihre Signale verstanden und blieb mit der Blonden, ein Stück hinter den anderen zurück und begann ein Gespräch mit ihr… Einfallsreich wie ich war, begann ich mit der Frage, die jedes weibliche Wesen, aller Länder und Kulturkreise zu Anfang einer jeden Konversation schmachtend erwartete.

»Wie alt bist du eigentlich?«

»Sechzehn…« Und ich wusste nicht was ich mit dieser Aussage anfangen sollte… War das gut? War das schlecht für mich?… Nein, wohl eher von Vorteil.

»Zwei Jahre jünger als ich«, gab ich zurück, sogleich hoffend, damit meine hypothetische Überlegenheit des Alters, meine reife an Erfahrung deutlich machen zu können.

Unter der hoch stehenden Sonne kochten die von Schlaglöchern zerfurchten Nebenstraßen des Dorfes, dessen mürbes Konglomerat von schäbigen Fassaden, von Bauernhöfen, und vorgelagerten, ummauerten Misthaufen, von Schmeißfliegen zappelnd, aus denen die Gülle ölig auf die Straße lief, Verschlägen und Scheunen für geschundenes Vieh und magere Pferde, verschandelnden Anbauten und umschalten Fachwerkhäusern wie eine ausgebreitete riesenhafte Mülldeponie, den Dunst von Kuhmist, schwärender Langeweile, Frust, Borniertheit und all den Dramen und Tragödien, die sich hinter diesen Fassaden und Holzbrettern abspielten, von sich gab… Atze verschwand in dem Planzen- und Bierfriedhof, dem stickigen Untergrund seiner Wohnung.

Und ich bemühte mich, ein Gespräch anzufangen und es dann im Gang zu halten. Das Haus ihrer Freundin rückte näher und näher… Ich sprach ein Thema nach dem anderen an. Es war hoffnungslos! Wir scheiterten bereits daran, uns ganz simpel zu unterhalten… Kleinlaut und verstohlen sprach sie halbfertige Antworten… Ich kam mir lächerlich vor… Du stocksteifer Hammel, du!… Schrie es fortwährend aus meinem Inneren… Und ich fragte mich, was ich denn eigentlich zu bieten hätte… Und das Gefühl, ein totaler Versager zu sein, ließ mich nicht los… So bleib unser Gespräch ein beklemmend vorsichtiges Abtasten… Und dann… Das Haus ihrer Freundin… Die Schwelle unseres Scheidens, dachte ich mir.

»Ich bring sie noch kurz rein«, sagte sie. Wie benommen stand ich auf der sengenden Straße und sah die Mädchen die Treppe herauf gehen… Fühlte mich geschlagen… Die Tür ging auf… Die Dicke trottete ins Haus… Und Jackie… Jackie drehte sich um.

»So, die sind wir los«, sagte sie und lachte… Da fiel es mir wie Schuppen vor die Augen.

»Du magst sie gar nicht so sehr, nicht wahr?…« Hoffentlich lag ich richtig… Oh bitte, oh bitte…

»Naja… Sie ist ganz gut als Freundin in der Schule… Zum Helfen und so… Aber so anhänglich.«

»Wie ein kleiner dicker Hund?«

»Naja… Ein Hund geht nicht ins Badezimmer zum Kotzen…«

Und wir beschickerten uns darüber, was bei Schwalle vorgefallen war und ich sagte zu ihr, dass in jedem von uns ein kleiner Hund stecken müsse… Sie schien zu begreifen was ich meinte, trotzdem ich es ungeschickt und hastig vorgetragen hatte… Auf dem Weg zu ihr nach Hause machten wir auf einem kümmerlichen und kinderlosen Spielplatz halt und verbrachten dort ein oder zwei Stunden… Dort ließ ich mir ihre Nummer geben… Bemüht, das Zittern meiner Finger zu verbergen, während ich diesen großen Schritt auf meine Mannwerdung hinzu tat, tippte ich sie in mein Telefon… Und ihren Spitznamen… Jackie… Und wir machten aus, in der nächsten Zeit alle zusammen eine Feier an dem dem Dorf nahegelegen See zu veranstalten und dort zu Zelten. Ich schlug ihr vor, sie könne bei mir im Zelt schlafen, nachdem sie anmerkte, dass sie selbst keines habe. Das schien mir ein sicherer, fast schon diabolischer Plan zu sein… Und ich rieb mir innerlich die Hände, als sie zu meiner größten Verwunderung darauf einschlug. Von diesem verheißungsvollen Handschlag ermutigt, dachte ich bei mir, ich könne gar nicht mehr verlieren, und wenn wir erst einmal beisammen im Zelt wären, ungestört in einem echten Refugium, käme der Rest schon von alleine… Dennoch kümmerte ich mich bis dahin nicht, ein Treffen außerhalb von Atzes Bude zu arrangieren… So eingeschlossen war ich bereits in dieser Welt, dass mich selbst die überkommenden Resignationen derer Bewohner nicht vom Ausweichen abhielten.

Ich sollte Jackie in den darauffolgenden Wochen noch ein paarmal bei Atze wiedertreffen, der sich gezwungen sah, sein Geschäft einzudämmen… Die Bullen hätten ihm einen Besuch abgestattet, erzählte er… Wegen einer Lappalie… Ruhestörung… Er habe Glück gehabt, denn als der Streifenwagen vor dem Haus parkte, hatte er bereits reinen Tisch gemacht… Man müsse vorsichtig sein… Schon der kleinste Stein, könne die Lawine ins Rollen bringen… Diese verdammten Bauerntrampel, sagte er… Kaum zwei Wochen später stiftete er eines der Nachbarskinder an, den Anzeigern die Luft aus den Reifen zu lassen… Bezahlt habe er den Jungen dafür… Und lachte sich ins Fäustchen… Er war wohl selbst ein Kind und konnte es einfach nicht lassen.

Sooft sie hereintrat, geschah es mit augenzwinkernder Vorsicht, die Runde sondierend… Ich nahm sie in Empfang und versuchte sie gleichzeitig von dem Geschehen innerhalb der Parallelwelt abzuschirmen, nur für mich empfänglich zu machen, nachdem ich zumeist für bereits ein bis zwei Stunden mit den Kollegen in der Parallelwelt herumgehangen hatte, deren Farben immer mehr und mehr an Leuchtkraft einbüßten, deren Feuer immer unwirklicher schien, wie eine Projektion von etwas Fernem, das in den letzten Zügen lag und bald gänzlich verschwinden würde, und war breit wie ein König mit rostiger und schief gezackter Krone… Sie kam mit mir am Tisch vorbei, setzte sich neben mich auf das Sofa. Aber dennoch war eine Distanz zwischen. Eine Distanz, die mir Unbehagen einflößte… Beobachtet kam ich mir vor… Und wir wussten, sehr bald nach den ersten ausgesprochenen Bemerkungen, nichts mehr miteinander anzufangen, sahen in die Runde, rauchten zusammen, gingen raus, kamen wieder rein und erlahmten in den auf und ab gehenden Wogen des Rausches wie Treibgut… Und vertrösteten einander… Alles lief auf das Treffen am See hinaus.

Man schraubte sich gerade ein paar Bier in den Kopf und saß mal wieder bei Atze im Keller, als Sascha einen Anruf erhielt. Ein paar unserer aus dem Urlaub zurückgekehrten Kollegen befanden sich ganz in der Nähe der Parallelwelt. Sie machten eine kleine Feier im Gartenhäuschen derjenigen Freundin, die mich gut eineinhalb Jahre zuvor abgewiesen hatte… Wie in grauer Vorzeit kam es mir vor… Sie hatten reichlich Flüssiges und Grillgut zusammengetragen. Wir wurden auch eingeladen. Es war wie ein Ticket zurück in die alten Zeiten. Die Einladung kam unerwartet. Hatten wir doch den Kontakt zwar nicht völlig abgebrochen, aber auf ein Minimum beschränkt. Wir waren wirklich vorsichtig geworden. Keiner außer uns selbst sollte genau wissen, was wir in unserer Freizeit so trieben. Wir hielten uns sehr bedeckt. Dennoch! Man hatte uns nicht vergessen.

Für eine Weile hielt sich eine Diskussion, bevor wir uns dann doch entschieden die Party zu besuchen. Vorher hatten wir uns nur ein oder zwei Joints mittelmäßigen Krauts geteilt. Man merkte kaum etwas, war nicht faul geworden also warum nicht hingehen, hieß es. Nur Atze empörte sich und ließ verlauten, dass er nicht viel von unseren anderen Freunden und deren Art von Zeitvertreib hielt. Er meinte wir würden nicht viel verpassen, wenn wir nicht dorthin gingen. Er hatte wohl keine Lust allein zuhause rumzuhocken. Man verpasste sich ein paar Augentropfen, damit man nicht mit flammend roten Augen dort auflief. Dann machten wir uns auf den Weg… Ein paar Straßen weiter… Vorbei an der einzigen Bushaltestelle des schäbig pittoresken Örtchens.

Die Feier war zum Zeitpunkt unserer Ankunft bereits im fortgeschrittenen Stadium. Man hörte ausgelassenes, betrunkenes Gelächter, an das man sich annäherte, über das bis an den Rand der Felder ausgestreckte Grundstück schleichend. Mit einem Gefühl beschwingter Überlegenheit schritten wir gemächlich auf die versammelte Gesellschaft zu.

»Na da sind ja die Freibiergesichter!«, empfing man uns mit stichelnder Herzlichkeit… Es stimmte, wir hatten nichts Trinkbares mitgebracht… Hatten das hohle Gewölbe der Parallelwelt unter dem ausgesprochenen Vorsatz verlassen, uns auf Kosten der Anderen einen anzutrinken… Der Grill stand vor der Gartenlaube, mit den an der Rückwand aufgebauten Tischen und den Sitzbänken, die bis zu zwanzig Leuten ausreichend Platz boten, und wurde gerade für Runde zwei vorbereitet. Überall standen die Freunde, Bekannten und Unbekannten herum… Marcel am Bierkasten, Marie an die Hütte gelehnt uns verschlagen zuzwinkernd… Ihr Freund kehrte uns den Rücken… Verschiedene Kreise hatten sich gebildet. Es wurde unter Zuhilfenahme allerlei groß ausholender Gesten geredet, gegessen, getrunken, gelacht und angestoßen. Vorm Grill standen die Grillmeister, mit schwarz verkohlten Zangen und Halbliter Bierflaschen bewaffnet, und wendeten das Fleisch. Aus der Hütte kam Musik… Charts… Was für eine heruntergespulte Scheiße… Man begrüßte sich gegenseitig mit Handschlägen und Umarmungen. Alles schien wie immer zu sein. Die Mehrheit der Gäste waren einem geselligen Schwips verfallen… Schnell die Begrüßungen abgefertigt, machten Sascha und ich die Biervorräte aus und wir versorgten uns.

Sobald es dunkel wurde, verlagerte sich das Geschehen in die Hütte. Man machte sich über das kalte Buffet her, das aus fettigen Chips und kleinen Käsehäppchen bestand… Die hatten wirklich nichts auslassen können… Flaschen, Sekt, Liköre, Wein und Spirituosen wurden hervorgeholt, Kartenspiele, Würfelbecher und Würfel… Sascha wechselte ein paar Satzfetzen mit der Gastgeberin und ihrer erdebeerblonden Freundin, bevor wir uns etwas abseits setzten, und neben unseren Bieren zwei Londrinkgläser bereit machten und das Geschehen um uns herum beobachteten. An diesem Abend wurde es etwas kühler als sonst. Man machte sich einander abwechselnd am Gasofen zu schaffen, rätselte um die Funktion des Gerätes, bevor es endlich entflammte und die Luft langsam mit seinem hitzigen Tremor erfüllen wollte… Man schloss die Türe, damit die Wärme gefangen gehalten werden, und sich zu einer aufgewühlten Hitze steigern konnte… Das Trinkgelage ging weiter… Vor dem Fenster sah man Foma, Marcel und ein, zwei andere, sich unterhaltend, wechselweise durch das Fenster herein sehend, umweht von dem Essenrauch der letzten verglühenden Brocken Grillkohle, die abtropfendes Fett verdunsten ließen, und sich in bemühter Gegenwehr gegen die Erkaltung befanden… Foma, die Brille dicht an den braunen Augen, die Arme vor seinem gedrungenen, muskulösen Oberkörper verschränkt, blickte mit stummen und bewegten Lippen fortwährend zu Sascha und mir herein, wie wir verstohlen in unserer Ecke saßen und zeigte sein schwarzes stacheliges Haar und sein etwas blasses aber kräftig geschnittenes Gesicht.

Das Geschehen kam mir komisch vor… Ich selbst kam mir unfreiwillig komisch vor… Zuerst fühlte ich mich beklemmend gelangweilt, ein schwindsüchtiges Gefühl, immer deutlicher abgelöst von einem Unwohlsein… Fehl am Platz und ohnmächtig isoliert, wie ich so da saß, mit Sascha gegen alles verschworen, und beobachtete, aber keine Anstalten machen wollte mich auf die beschwingte Einigkeit, die wirren, rauschenden Gespräche kreuz und quer durch die Gartenhütte und das überfreudige, irre Gelächter einzulassen… Immer wieder drang Jemand für einen Moment in die Isolation ein und redete beschwipsten Stuss… Sie machten zweideutige Bemerkungen, die ich versuchte zu verstehen… Zu ergründen, ob etwas verstecktes hinter den Worten lag… Vielleicht verkleidete Rügen oder offensive Nachrede… Bald konnte man die Luft schneiden. Die Aschenbecher füllten sich in Sekundenbruchteilen. Alle lachten sie, funkelten sich aus glänzenden Augen gegenseitig durch den Nebel an… Und ich kam mir immer mehr und mehr beobachtet vor… Die Flasche billigen Whiskys wechselte meine und Saschas Hände… Man wehrte sich mit weiteren Drinks, doch die ethanolbefeuerte Ausgelassenheit wollte nicht übergreifen… Sie waren unsere Freunde, doch schienen sie wie lächerliche, trunkene Karikaturen ihrer selbst… Die Anderen, die Anderen, die Anderen… Die in der Hölle saßen, auf den Flammen eins Gemeinschaftsscheiterhaufens und lachten und klatschten… Ich ging dazu über, mich flatterhaft auf die Kosten der Anderen zu amüsieren… Sascha und ich kommentierten bald gemeinsam das Geschehen, mit zueinander geduckten Köpfen abschätzig, um uns selbst zu belustigen.

»Kommt her Leute und besauft euch auch, kommt schon habt euch alle gegenseitig lieb und habt Spaß miteinander, zeigt euch gegenseitig, was für tolle Leute ihr doch alle seid. Kommt her Leute es ist unsere heilige Pflicht uns das Leben mal so richtig schön zu saufen«, kompromittierte ich die Anderen gegenüber Sascha, der zwischen mir und ihnen hin und her sah, meinen Worten folgend, die Lippen gekräuselt… Sie waren wie balzende Tiere. Wir hielten uns für immun… Ich lachte, zeigte auf einen Jeden und beschrieb, züngelnd und an meinen Bier saugend dessen derzeitigen Pegel.

Etwas später stand Sascha auf und wankte zwischen den Fronten umher und ich klammerte mich derweil an mein Glas… Die Hölle ist ein Narrenhaus voller Betrunkener, dachte ich… Plötzlich fraß sich mein Gewissen durch den Schutzmantel aus Spott, den ich mir so mühsam errichtet und ganz verkniffen so lange aufrecht erhalten hatte… Vor dem Fenster suchte ich die Beobachter und sah nur noch Dunkelheit… Und ich sah in die Runde und kam mir ungeheuer gehässig vor… Sascha kam wieder an die stille Ecke des langen Tisches und nahm Platz… Und da fiel mir ein, dass ebenso gut ich ein Teil der Hölle für alle deren Bewohner hätte sein können… Wir schwiegen… Sahen zu… Sahen ab… Betretene Blicke auf die eigenen Gläser gerichtet, die sich leerten und füllten, doch nichts ausrichteten… Die Normalwelt mit der anderen mir bekannten vergleichend, fragte ich mich, wie viel besser ich zwischen all dem dastand… Und dachte an die vielen Bierkästen bei Atze… Und an die Lästereien über die ehemaligen Schulkameraden und über die Bewohner der Parallelwelt, die einen erheblichen Teil des Gesprächsstoffes innerhalb derselben ausmachten… Die Gedanken irrten schwindelnd hin und her, prallten rücksichtslos von einer Wand zur anderen… Und ich stellte mir diese dummen Fragen… Warum konnte ich mich nur so begrenzt wohlfühlen? War ich denn so kaputt? So verklemmt und hochmütig?

Irgendwann wurde es mir zu anstrengend. Alles ging in einem verschwommenen Strudel unter… Fetzen von Gesprächen hier und da… Noch eine Mische… Gelächter… Der Wunsch nach Ruhe… Ich redete auf Sascha ein, versuchte ihn davon zu überzeugen, einen sauberen Abgang hinzulegen und so begaben wir uns hinaus auf den niedergetretenen Rasen vor der Hütte… Gelächter und Gekreisch auch in der Dunkelheit… Ein Teil der Gäste war auf das riesige, neben den Garagen gelegene Trampolin im Vorhof des Hauses gestiegen und hüpfte kichernd darauf herum… In dieser durchlärmten Nacht konstituierten Sascha und ich… Erkaltend und losgelöst von dem Schwindel im Inneren des Gartenhauses… Es gab zwei Möglichkeiten… Entweder wir zogen diesem überschwänglichen Zerstreuungsversuch davon und hingen noch ein wenig bei Atze ab, oder wir griffen doch noch zu und versuchten uns der Allgemeinheit anzupassen, uns mit ihr zu verbinden.

Wir flohen die Flucht… Auf halbem Weg zurück in die Parallelwelt und zu deren einsamen, alleingelassenen Regenten wurden wir aufgehalten. Zwei Freunde von der Party, die uns von allen der dort anwesenden noch am nächsten standen, waren uns gefolgt… Foma und Marcel… Sie hatten Wind bekommen… Da standen wir nun zusammen, umringt vom Gebälk der Häuser, die mit leeren Augen glotzten, um uns herum das spärliche Licht der Laternen, neben uns der versiffte, mit kindisch obszönen Graffiti besprenkelte Unterstand der Bushaltestelle, unzählige ausgespuckte Kaugummis und Zigarettenstummel zu unseren Füßen, über uns der schwarze, sternlose Himmel. Foma fragte warum wir uns so klammheimlich verdrückt hätten… Die Luft war dick… Alkoholnebel… Und zusätzlich angefüllt von drohenden Streitigkeiten… Wir wären zur Party gekommen, hätten uns merkwürdig verhalten und wären ohne ein Wort wieder gegangen. Legten sie uns die Karten auf den Tisch.

»Ihr meldet euch nicht mehr. Wenn man euch anruft, tut ihr so als würdet ihr nichts machen, haltet euch völlig bedeckt, weicht ständig aus… Ihr geht Gesprächen und Kontakten aus dem Weg. Ihr seid wahrscheinlich nur noch am Kiffen...« Ein Hauch von Schuldbewusstsein ging durch mich und vielleicht auch Sascha durch... »Was ist eigentlich los?«

Er hatte leider völlig recht… Doch wie hasste ich solche Diskussionen… Sie verschafften mir Ohnmacht, Wortlosigkeit und Überdruss… Und doch, schienen sie irgendwie nötig zu sein, von Zeit zu Zeit… Stillschweigend sog ich an einer Zigarette, hoffend, mich so aus der Diskussion heraushalten zu können. Die selbst körperlich ineinander verschlungenen Fronten der Argumentation bildeten Foma und Sascha, dessen taube Zunge kaum eines geltenden Wiederwortes fähig war. Wie hätte er es auch leugnen sollen?… Foma stand vor ihm, dicht an dicht und zeigte seine Kehle, wissend um seine Stärke und dass man ihn nicht angreifen könne… Der gute Mann hatte uns Durchschaut. Aus war es mit der eingebildeten Überlegenheit.

Schließlich gab Sascha klein bei. »Okay«, lenkte er zu allen Punkten der Anklage ein… »Geb ich dir recht…« Doch Foma war sich nicht sicher, ob das genügte und ob auch durchdrang, was er sagte… Also machte er weiter. Er hielt uns den Spiegel vor.

»Was macht ihr überhaupt die ganze Zeit beim Atze?«, fragte Marcel, wissen wollend was noch, außer dem ersten Punkt der Anklage.

»Glaubt ihr denn wir kriegen das nicht mit?…« Das Gespräch wurde einseitig… »Wollt ihr euch vor euren Freunden verstecken?«

Gemäß seinen Erfahrungen schien ihm ein Urteil über unseren Freund und Kiffkumpanen in jedem Fall zuzustehen. Schließlich kannte er ihn länger als wir. Noch vor zwei oder drei Jahren, bevor Sascha und ich regelmäßig mit Atze verkehrten, waren Foma und Atze unzertrennlich gewesen. Bis Foma irgendwann gemerkt hatte, dass sein damaliger Freund ein wandelnder Magnet für Schwierigkeiten aller Art war. Auch wenn es nicht seine Absicht sei, erklärte er beschwörend, Atze würde einen mit sich hinunter ziehen… Und ich fragte mich, wie dieses Unten genau aussehen würde… Und hatte all das raus gemusst?… Und musste erst der Alkohol, die Hemschwellen durchbrechen und die Zungen lockern?… In wie weit hatte mein eigenes Verhalten dazu beigetragen?… Die Leute, die Gemeinschaften, dachte ich… Man konnte nicht in alle von ihnen hinein sehen… Konnte den Leuten nur vor den Kopf schauen. In der Masse verwuchsen sie miteinander zu einer unüberschaubaren Gewalt, zu einem Fremdkörper mit einer Vielzahl autonomer Köpfe und Gliedmaßen, greifender und abweisender Hände… Einem oberflächlich schizophrenen Wesen, dessen Charaktere von im Grunde gleichartigen Wünschen angetrieben wurden, dabei jedoch nicht über eine einheitliche Schulung verfügten, die sie dazu befähigte, auf gemeinsamen Pfade zur Erfüllung dieses geteilten Wunsches zu gelangen… Scham wallte in mir auf… Man müsste sich doch arrangieren können… Und ich kam mir gewaltsam moralisiert vor… Freunde und die sogenannte Gemeinschaft, das waren… Aspekte der sozialen Kontrolle.

»Der Kerl kriegt nichts auf die Reihe. Yebanko! Auch wenn du aus Mitleid mit ihm abhängst, wird niemand es dir danken. Ich kenn ihn lange genug! Glaub mir ich weiß wie er ist! Es ist Zeitverschwendung. Ihr glaubt mir gar nicht, was ihr alles verpasst…« Und er ratterte ein oder zwei Anekdoten runter, um uns unsere Versäumnisse zu veranschaulichen.

»Der Atze hat doch noch nie in seinem Leben auch nur an ner Möse gerochen«, sagte er dann… »Meidet den Typen! Ich kenn euch doch! Ihr könntet viel mehr anstellen als den ganzen Tag nur rumzuhängen, euch zuzudröhnen und alle anderen zu ignorieren. Ihr tretet auf der Stelle! Ich sags euch! Bljad!«

Wie das so ist, wenn man vom Teufel spricht, kommt er schleichend um die Ecke. Immerhin wohnte er ja nur ein paar Häuser weiter. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Zunächst begrüßten er und Foma sich noch halbherzig. Dann gingen die Diskussionen weiter. Atze mischte sich ein. Er geriet mit Foma aneinander… Sie schnautzten einander an… Foma, der nicht faul gewesen war und sehen ließ, was er sich in der Muckibude antrainiert hatte, schubste den Kontrahenten mühelos von sich, worauf der ungeschickt torkelte, beinahe über die eigenen Füße fiel und auf Abstand ging… Doch er hörte nicht auf, trotz seiner Unterlegenheit wie von Sinnen die Klappe aufzureißen, und bellte Beschimpfungen… Es würde eskalieren… Ein erneutes Annähern der Kontrahenten… Sascha, selbst noch der Kräftigste von allen, ging endlich dazwischen, da Foma mit geballten Fäusten und einem schmetternden »Poshel ty na chuj!« auf Atze losging, und brachte die Beiden auseinander… Atze nahm einen Schluck von seinem mitgebrachten Bier und spuckte aus, während er gleichzeitig ein paar Schritte zurück machte, murmelte mehr beleidigt als drohend noch irgendetwas unverständliches in sich hinein, bleib stehen und saugte dann betreten an seinem Bier, so als bereute er den an die Straße verschwendeten Schluck.

Kurz darauf löste man sich auf. Sascha und ich zogen mit dem Geschlagenen ab und brachten ihn bis zur Haustür… Die andere Partei ging zurück zur Feier… Sie sagten, wir sollen uns melden… Noch auf dem Rückweg, versuchte Atze das niedergerissene Bollwerk seiner Coolness mit großen Tönen zu überspielen… »Guck dir den Kasachen doch mal an. Was will der denn der Muskelzwerg? Meint sich aufspielen zu können! Soll froh sein, dass er keine gekriegt hat! Den hätt ich schon noch umgehauen!…« Eine Szene wie im Paviankäfig… Zum Lachen eigentlich… Und doch stieß es mir übel auf… Und ich begab mich auf den Weg nach Hause.

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194,70 ₽
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0+
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720 стр.
ISBN:
9783750211179
Издатель:
Правообладатель:
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