Liebe Signora! sagte der alte Graf, entschuldigen Sie, dass ich Ihren Herrn Bruder nicht zuvorkommender empfangen konnte. Ich hatte verboten mich zu stören, weil mich diesen Morgen etwas Ungewöhnliches in Anspruch nahm; man hat indessen mein Geheiß zu gut befolgt, indem man mir von der Ankunft eines Gastes nichts sagte, den ich in meinem und meiner Familie Namen in diesem Hause willkommen heiße. Sein Sie überzeugt, mein Herr i fügte er zu Anzoleto gewendet hinzu, dass ich einen so nahen Verwandten unserer geliebten Porporina mit Freuden bei mir sehe. Ich ersuche Sie daher, hier zu verweilen und so lang es Ihnen angenehm ist, bei uns zu bleiben. Ich kann mir leicht denken, dass Sie nach einer langen Trennung sich viel einander zu sagen haben, und sehr froh sind, miteinander zu sein. Ich hoffe, dass Sie sich unbedenklich und ohne sich Rücksichten aufzulegen, dem Genusse eines Glückes überlassen werden, woran ich den größten Anteil nehme.
Es war ganz gegen seine Gewohnheit, dass der alte Christian einen Fremden mit solcher Leichtigkeit anredete. Aber vor der sanften Consuelo war seine Schüchternheit schon lange gewichen, und auf seinem Gesichte schien an diesem Tage ein hellerer Lebensstrahl als gewöhnlich zu glänzen, ähnlich denen welche die Sonne bei ihrem Scheiden über den Horizont aussendet.
Anzoleto verstummte vor dem Ausdruck von Majestät, womit Geradsinn und Seelenruhe das Antlitz eines ehrwürdigen Greises schmücken. Er verstand es wohl, den Rücken vor großen Herren tief zu krümmen, während er sie innerlich hasste und verhöhnte. Er hatte sie zu verachten nur zu viel Ursach in der schönen Welt gefunden, in welcher er seit einiger Zeit lebte. Aber noch nie hatte er eine solche Würde und eine so herzliche Höflichkeit wie bei dem alten Schlossherrn von Riesenburg gefunden.
Er verwickelte sich in seinem Dank und fühlte sich fast beschämt, einen so väterlichen Empfang durch eine Lüge erschlichen zu haben. Besonders war ihm bange, dass Consuelo ihn entlarven und dem alten Grafen sagen möchte, dass er nicht ihr Bruder wäre. Er fühlte, dass es ihm in diesem Augenblick unmöglich geworden wäre, ihr mit Frechheit zu vergelten und einen Racheversuch zu machen.
– Die Güte des Herrn Grafen rührt mich unendlich, antwortete Consuelo nach einem augenblicklichen Besinnen; allein mein Bruder, der sie ganz zu schätzen weiß, wird nicht so glücklich sein, Gebrauch davon zu machen. Es rufen ihn dringende Geschäfte nach Prag, und er hat eben jetzt Abschied von mir genommen …
– Nicht möglich! Sie haben sich kaum einen Augenblick gesehen, sagte der Graf.
– Er hat mehre Stunden warten müssen, bis ich kam, versetzte sie, und jetzt sind seine Augenblicke gezählt. Er weiß es wohl, sagte sie, ihren vorgeblichen Bruder mit bedeutungsvollem Blicke ansehend, dass er keine Minute länger hier bleiben darf.
Als Anzoleto ihre beharrliche Kälte sah, fand er die ganze Dreistigkeit, die ihm eigen war, und alle Gewandtheit wieder, seine Rolle fort zu spielen.
– Ei, werde daraus was will, in Teufels – wollt’ ich sagen Gottes Namen! entgegnete er, aber ich werde mich von meiner teuren Schwester nicht so geschwind trennen, als ihre Klugheit und Vorsicht es verlangen. Es gibt kein wichtiges Geschäft auf der Welt, das einen Augenblick des Glückes aufwöge, und da es der Herr Graf mir gütigst erlaubt, so nehme ich es dankbar an: ich bleibe. Meine Geschäfte in Prag werden ein wenig später besorgt, das ist alles.
– So redet ein leichtsinniger junger Mensch, antwortete Consuelo gekränkt. Es gibt Geschäfte, bei denen die Ehre lauter redet als der Vorteil …
– Nein, so redet ein Bruder, versetzte Anzoleto, und du redest immer, wie eine Königin, mein gutes Schwesterchen!
– So redet ein ein braver junger Mensch, setzte der alte Graf hinzu, indem er Anzoleto die Hand reichte. Ich kann mir kein Geschäft denken, das sich nicht auf den anderen Tag verschieben ließe. Es ist wahr, man hat mir immer den Vorwurf gemacht, dass ich zu träge sei, aber ich habe doch immer gefunden, dass man mit der Eile nicht so gut fährt als mit der Bedächtigkeit.
Zum Exempel, liebe Porporina! seit Tagen, ich könnte beinah sagen, seit Wochen habe ich eine Bitte an Sie, und bis jetzt habe ich damit gezögert. Und ich glaube, ich habe wohl daran getan, und es ist gerade jetzt der rechte Augenblick gekommen. Wollen Sie mir ein Stündchen zu einer Unterredung schenken, um die ich Sie eben zu bitten im Begriff war, als ich erfuhr, dass Ihr Herr Bruder angekommen sei? Es ist mir, als ob dieses glückliche Ereignis recht zur günstigen Zeit eingetroffen wäre, und vielleicht wäre er keine überflüssige Person bei der Unterredung die ich Ihnen antrage.
– Ich bin jederzeit zu Ihrem Befehle, Herr Graf! entgegnete Consuelo. Was meinen Bruder betrifft, so ist er ein Kind und ich lasse ihn nie meine persönlichen Angelegenheiten ohne Unterschied wissen …
– Das weiß ich wohl, fiel Anzoleto keck ein, allein da der Herr Graf mir ein Recht dazu gibt, so bedarf ich doch keiner anderen Erlaubnis als der seinigen, um in sein Vertrauen gezogen zu werden.
– Sie werden mir erlauben zu beurteilen, was Ihnen und mir zukommt, antwortete Consuelo stolz. Herr Graf! ich bin bereit, Ihnen in Ihr Zimmer zu folgen und ehrfurchtsvoll zu hören was Sie mir zu sagen haben.
– Sie gehen sehr hart mit diesem lieben jungen Mann um, der ein so offenes und heiteres Wesen hat, sagte der Graf lächelnd.
Dann wendete er sich zu Anzoleto.
– Verlieren Sie die Geduld nicht, mein Kind! sagte er. Sie werden schon an die Reihe kommen. Was ich Ihrer Schwester zu sagen habe, kann Ihnen nicht verborgen bleiben, und bald, hoffe ich, wird sie mir gestatten, Sie, wie Sie sich ausdrückten, in das Vertrauen zu ziehen.
Anzoleto hatte die Unverschämtheit, auf die gefällige und vertrauliche Manier des Greises einzugehen, indem er dessen Hand in den seinigen behielt, als ob er sich an ihn hängen und ihm das Geheimnis, von welchem Consuelo ihn ausschloss, ablocken wollte. Er besaß nicht genug Schicklichkeitsgefühl, um einzusehen, dass er wenigstens den Saal hätte verlassen müssen, damit der Graf sich nicht selbst hinweg zu bemühen brauchte.
Als er sich allein sah, stampfte er vor Ingrimm mit dem Fußes er fürchtete, dass dieses Mädchen, das sich so beherrschen gelernt hatte, alle seine Pläne vereiteln und ihn trotz seiner Verschlagenheit aus dem Sattel heben könnte. Er hatte große Lust, durch das Haus zu schleichen und an allen Türen zu horchen. Er verließ in dieser Absicht wirklich den Saal, lief einige Augenblicke im Garten umher, und stahl sich dann in die Korridore, indem er, wenn ein Diener kam, sich stellte, als ob er die schöne Architektur des Schlosses bewunderte.
Aber zu drei verschiedenen Malen sah er in kleiner Entfernung eine schwarz gekleidete, seltsam ernste Gestalt vorübergehen, deren Aufmerksamkeit er nicht eben gern auf sich lenken wollte: es war Albert, der ihn nicht zu bemerken schien, und der ihn dennoch nicht aus dem Auge ließ. Anzoleto sah, dass dieser Mann um einen Kopf größer war als er, sah die Schönheit seines ernsten Gesichtes und gestand sich, dass er keinen so verächtlichen Nebenbuhler hätte, als er sich den verrückten Grafen von Riesenburg Anfangs vorgestellt hatte.
Er sah sich endlich genötigt, in den Saal zurückzukehren, setzte sich an das Klavier mit den Fingern zerstreut über die Tasten irrend und seine schöne Stimme in diesem schallenden Raume versuchend.
– Meine Tochter! hob Graf Christian an, nachdem er Consuelo in sein Kabinet geführt und ihr einen großen rotsamtnen Lehnstuhl mit Goldfranzen zurecht gerückt hatte, während er sich auf einen Feldstuhl neben ihr niederließ; ich habe mir etwas von Ihnen auszubitten und doch weiß ich nicht mit welchem Rechte ich es tun kann, ehe Sie nicht die Absicht kennen, die ich dabei habe. Darf ich mir schmeicheln, dass meine weißen Haare, die Liebe und Achtung, die ich für Sie hege, die Freundschaft meines edelmütigen Porpora, Ihres Adoptivvaters, Ihnen hinlängliches Vertrauen zu mir einflößen, um mir, wenn ich Sie darum bitte, Ihr Herz rückhaltlos zu öffnen?
Gerührt und doch zugleich ein wenig erschreckt von dieser Einleitung führte Consuelo die Hand des Greises an ihre Lippen und antwortete ihm mit Herzlichkeit:
– Ja, Herr Graf! ich achte Sie und liebe Sie ganz so als wenn ich die Ehre hätte, dass Sie mein Vater wären, und ich kann alle Ihre Fragen furchtlos und rückhaltlos beantworten, soweit dieselben mich persönlich betreffen.
– Fragen anderer Art werde ich Ihnen nicht vorlegen, meine liebe Tochter! und ich danke Ihnen für dieses Versprechen. Sie werden mich nicht für fähig halten, es zu missbrauchen, wie ich Sie nicht für fähig halte, ihm ungetreu zu werden.
– Gewiss nicht, Herr Graf! Belieben Sie nur mich zu fragen.
– Nun denn, mein Kind! sagte der Greis mit einer Art unschuldiger und zutunlicher Neugier, wie heißen Sie eigentlich?
– Ich habe keinen Namen, antwortete Consuelo ohne Stocken; meine Mutter hieß nur Rosamunde. Ich bin getauft Maria zum Troste; meinen Vater habe ich nicht gekannt.
– Aber Sie wissen seinen Namen?
– Nein, gnädiger Herr! ich habe niemals von ihm reden hören.
– Hat Meister Porpora Sie adoptiert? Hat er auf Sie seinen Namen in gesetzlicher Form übertragen?
– Nein, gnädiger Herr! das ist unter Künstlern nicht der Brauch und auch nicht nötig. Mein edler Lehrer ist arm und hat mir nichts zu vermachen. Was seinen Namen betrifft, so ist es bei meiner Stellung in der Welt gleichgültig, ob ich ihn in Folge einer Förmlichkeit oder nur durch den Gebrauch führe. Wenn ich ihn durch einiges Talent rechtfertige, so ist er wohl erworben; wo nicht, so wäre mir eine Ehre unverdient zu Teil geworden.
Der Graf schwieg einige Augenblicke, dann ergriff er Consuelo’s Hand.
– Die edle Offenheit, mit welcher Sie mir antworten, sagte er, stellt Sie in meinen Augen nur noch höher. Glauben Sie nicht, dass ich Ihnen diese Fragen vorgelegt habe, um Sie nach dem Ausfall Ihrer Antworten mehr oder minder hoch zu schätzen. Ich wollte nur sehen, ob es Ihnen irgend unangenehm wäre, mir die Wahrheit zu sagen, und ich erkenne nun, dass dies nicht der Fall ist. Ich bin Ihnen dafür unendlich verbunden, und ich finde, dass Ihr Charakter Sie mehr adelt als es bei uns Geburt und Titel tun.
Consuelo musste lächeln über die Treuherzigkeit mit welcher der alte Edelmann ihr ein Geständnis, das ihr so leicht fiel, so hoch anrechnete. In seinem Erstaunen darüber lag umso mehr ein Überrest von hartnäckigem Vorurteil, je edelmütiger Christian sich dessen erwehren wollte. Es war augenscheinlich, dass er mit seinem Vorurteil kämpfte und es bemeistern wollte.
– Nunmehr, hob er wieder an, will ich eine Frage von noch zarterer Natur an Sie richten, mein liebes Kind! und ich bedarf aller Ihrer Nachsicht um deswegen Entschuldigung bei Ihnen zu finden.
– Fürchten Sie nichts, gnädiger Herr! sagte sie, ich werde stets mit der nämlichen Unbefangenheit antworten.
– Wohlan, liebes Kind! Sie sind nicht verheiratet?
– Nein, gnädiger Herr, so viel ich weiß.
– Und … auch nicht Witwe? Sie haben keine Kinder?
– Ich bin nicht Witwe und habe keine Kinder, antwortete Consuelo, die sich kaum des Lachens enthalten konnte, denn sie begriff nicht wo hinaus der Graf wollte.
– Endlich nun, fuhr er fort, Sie haben niemanden Ihr Wort verpfändet, Sie sind gänzlich frei?
– Verzeihen Sie, gnädiger Herr! ich hatte allerdings mein Wort mit Genehmigung und sogar auf Geheiß meiner sterbenden Mutter, einem jungen Menschen verpfändet, den ich von Kindheit an liebte, und dessen Verlobte ich bis zu dem Augenblicke war, wo ich Venedig verließ.
– Also Sie sind gebunden? fragte der Graf mit einem seltsamen Gemisch von Bedauern und Zufriedenheit.
– Nein, gnädiger Herr! ich bin vollkommen frei, entgegnete Consuelo. Der, den ich liebte, hat mir auf unwürdige Weise die Treue gebrochen und ich habe ihm auf immer entsagt.
– Also, Sie haben ihn geliebt? fragte der Graf nach einer Pause.
– Von ganzer Seele, jawohl.
– Und … Sie lieben ihn vielleicht noch?
– Nein, gnädiger Herr! es ist nicht mehr möglich.
– Sie würden ihn nicht gern wiedersehn?
– Sein Anblick wäre eine Folter für mich.
– Und Sie haben ihm nie erlaubt … Er hat sich nie unterstanden … Aber Sie werden sagen, dass ich beleidigend werde, dass ich zu viel wissen will.
– Ich verstehe Sie, gnädiger Herr! und da ich, wie ich sehe, hierher gerufen bin, um zu beichten, so will ich, weil ich Ihre Achtung nicht erlisten will, Sie in den Stand setzen bis auf ein Jota zu wissen, ob ich sie verdiene oder nicht. Er hat sich mancherlei erlaubt, aber er hat sich nicht des Geringsten unterstanden, was nicht ich ihm erlaubt hatte. Also, wir haben oft aus demselben Becher getrunken, auf derselben Bank geruht. Er hat in meinem Zimmer geschlafen, während ich mein Gebet sagte. Er hat mich gepflegt, während ich krank war. Ich nahm mich nicht ängstlich vor ihm in Acht. Wir waren stets miteinander allein, wir liebten uns, wir sollten uns heiraten, wir wachten über unsere Ehre. Ich hatte meiner Mutter geschworen, ein ehrliches Mädchen zu bleiben, wie man es nennt. Ich habe Wort gehalten, ach, war nur eine zu ehrliche Seele, denn ich habe einem Menschen geglaubt, der mich betrog und habe mein Vertrauen, meine Liebe, meine Achtung einem geschenkt, der nichts von dem allen verdiente. Als er aufhören wollte, mein Bruder zu sein, ohne zuvor mein Mann zu werden, fing ich an, mich vor ihm zu hüten. Und ich fand Ursach mich deswegen glücklich zu preisen, da ich mich bald von seiner Untreue überzeugen musste. Es steht diesem ehrlosen Menschen frei, sich des Gegenteils zu rühmen; für ein armes Mädchen wie ich bin, ist das kein großes Unglück. Wenn ich nur rein singe, so ist es gut, mehr fordert man nicht von mir. Wenn ich nur mit reinem Gewissen das Cruzifix küssen kann, worauf ich meiner Mutter geschworen habe, keusch zu bleiben, so kümmere ich mich nicht sehr um das, was man von mir denkt. Ich habe keine Familie, die sich meiner schämen könnte, keine Brüder, keine Vettern, die sich für mich schlagen müssten …
– Keine Brüder? Aber doch einen.
Consuelo war im Begriff dem alten Grafen unter dem Siegel der Verschwiegenheit die ganze Wahrheit zu vertrauen. Aber es kam ihr wie eine Feigheit vor, gegen den der ihr feig gedroht hatte, Hilfe außer sich zu suchen. Sie glaubte, selbst müsste sie die Festigkeit haben, sich gegen Anzoleto zur Wehre zu setzen und seine Angriffe zurückzuschlagen. Außerdem konnte ihr edles Herz den Gedanken nicht ertragen, dass der den sie so fromm geliebt hatte, auf ihre Veranlassung von ihrem Wirt aus dem Hause gejagt werden sollte. Wie höflich auch Graf Christian es einzurichten gewusst hätte, ihm den Weg zu weisen, wie sehr es Anzoleto auch verdiente, sie konnte es nicht über sich gewinnen, ihm eine so große Demütigung zu bereiten. Sie antwortete daher dem Greise, dass sie diesen jungen Menschen als einen Tollkopf betrachtete und nicht anders gewohnt wäre, dann ihn als ein bloßes Kind zu behandeln.
– Aber er ist doch wohl kein mauvais sujet? sagte der Graf.
– Vielleicht auch das, entgegnete sie. Ich stehe in gar keinem Verhältnis zu ihm, unsere Denkungsart, unser ganzes Wesen ist durchaus verschieden. Ew. Gnaden konnten bemerken, dass mir nicht viel daran lag, ihn hier zu behalten.
– Es hängt ganz von Ihrem Wunsche ab, liebes Kind! ich glaube, dass Sie sehr einsichtig sind. Und nun, da Sie mir alles und jedes mit so edler Offenheit vertraut haben …
– Verzeihen Sie, gnädiger Herr! sagte Consuelo, alles was mich persönlich betrifft, habe ich Ihnen nicht gesagt, denn sie fragten nicht nach allem. Ich weiß nicht, was Sie bewegt, heut so großen Anteil an meinen Verhältnissen zu nehmen. Ich vermute, dass jemand hier sich mehr oder weniger ungünstig über mich geäußert hat, und dass Sie zu wissen wünschen, ob meine Gegenwart Ihr Haus nicht verunehrt. Bisher, da Sie mich immer nur oberflächlich über mich selbst befragten, hätte es mir unbescheiden geschienen und mir in meiner Stellung nicht geziemend, wenn ich ohne Ihre Aufforderung Sie von meinen Angelegenheiten unterhalten hätte, aber jetzt da es den Anschein hat, dass Sie mich auf den Grund kennen wollen, muss ich Ihnen einen Umstand mitteilen, der mir vielleicht in Ihren Augen schadet. Es ist nicht bloß eine Möglichkeit, wie Sie es öfter geäußert haben (und obwohl es in Wahrheit gegen meine Neigung ist) dass ich mich auf das Theater begäbe, nein! es ist eine Tatsache, dass ich in Venedig in der letzten Saison debütiert habe, unter meinem Namen Consuelo. Man gab mir dort den Beinamen die Zingarella, und ganz Venedig kennt mein Gesicht und meine Stimme …
– Halt, halt einmal! rief der Graf, ganz betäubt von dieser neuen Entdeckung. Wie? Sie sind jenes Wunder, von dem so viel Wesens voriges Jahr in Venedig gemacht wurde, von dem die Zeitungen mehrmals mit so überschwenglichen Lobeserhebungen redeten? Die schönste Stimme, das schönste Talent, das seit Menschengedenken aufgetaucht …
– Auf dem Theater San Samuel, gnädiger Herr! Jene Lobeserhebungen waren ohne Zweifel sehr übertrieben. Aber unbestreitbar ist, dass ich die nämliche Consuelo bin, dass ich in verschiedenen Opern gesungen habe, dass ich mit einem Worte Schauspielerin, oder, wie man sich höflicher ausdrückt, Sängerin bin. Sehen Sie nun, ob ich es wert bin, dass Sie mir Ihr Wohlwollen erhalten.
– Das sind ja wunderbare Sachen, das ist doch ein ganz närrisches Geschick! sagte der alte Graf in seine Gedanken vertieft. Weiß denn das alles … weiß es noch sonst jemand hier, mein Kind?
– Ich habe ungefähr dasselbe Ihrem Herrn Sohn, gesagt, gnädiger Herr! obgleich nicht mit allen den Einzelheiten, welche Sie so eben vernommen haben.
– Also Albert weiß von Ihrer Herkunft, Ihrer früheren Liebe, Ihrem Stande?
– Ja, gnädiger Herr!
– Es ist gut, liebe Signora! ich kann Ihnen nicht genug danken für die bewundernswürdige Rechtschaffenheit Ihres Benehmens gegen uns, und gewiss, Sie werden es nicht zu bereuen haben. Nunmehr, Consuelo (ja, ich erinnere mich, dass dies der Name ist, den Ihnen Albert von Anfang an gab, wenn er Spanisch mit Ihnen sprach), erlauben Sie mir, mich ein wenig zu sammeln. Ich bin sehr bewegt. Wir haben uns noch viel zu sagen, mein Kind! und Sie müssen es mir schon zu Gute halten, wenn ich mich Angesichts eines wichtigen Vorhabens ein wenig beklommen fühle. Ich bitte Sie herzlich mich hier einige Minuten zu erwarten.
Er ging hinaus und Consuelo, die ihm mit den Augen folgte, sah durch die Glasscheiben der vergoldeten Tür, dass er in seine Kapelle trat, und andächtig niederkniete.
Lebhaft aufgeregt erschöpfte sie sich in Vermutungen, was für ein Gespräch es sein könnte, das sich mit solcher Feierlichkeit ankündigte. Anzoleto, hatte sie Anfangs geglaubt, hätte des Wartens überdrüssig, das was er ihr drohte, schon ausgeführt gehabt, hätte etwa gegen Hans oder den Kaplan geplaudert und sich in solcher Weise über sie geäußert, dass ihren Wirten ernstliche Bedenken ihretwegen aufgestiegen wären.
Allein Graf Christian war keiner Verstellung fähig und aus seinem bisherigen Benehmen so wie aus allem was er gesagt hatte, ließ sich eher eine Verdopplung seines Wohlwollens als eine Hinneigung zum Misstrauen entnehmen. Ihre freimütigen Antworten hatten ihn übrigens, so schien es, wie unerwartete Offenbarungen getroffen, und sonderlich die letzte wie ein Donnerschlag. Jetzt betete er, bat Gott um Licht oder Stärke zur Aufführung eines wichtigen Vorhabens.
Will er mich auffodern, mit meinem Bruder abzureisen? Will er mir Geld anbieten? fragte sie sich. O, wollte doch Gott mich nur vor einer solchen Kränkung bewahren! Aber nein! dieser Mann ist zu feinfühlend, zu gut, als dass er nur daran denken könnte, mir eine Demütigung zu bereiten.
Was wollte er mir denn aber zuvor sagen, und was will er mir jetzt sagen? Gewiss hat mein langer Spaziergang mit seinem Sohne ihm Besorgnisse erregt, und er will mich zur Rede setzen. Ich habe das vielleicht verdient, und ich werde seine Verweise stillschweigend hinnehmen, denn ich dürfte ja nicht mit Aufrichtigkeit die Fragen beantworten, die er mir in Betreff Albert’s vorlegen könnte.
O, das ist ein saurer Tag! und muss ich viele solche überstehen, so werde ich die Palme des Gesanges Anzoleto’s neidischen Maitressen nicht mehr streitig machen können. Wie mir die Brust brennt und die Kehle trocken ist!
Graf Christian kam bald zu ihr zurück. Er war ruhig und die Blässe seines Gesichtes verriet einen Sieg, den er im Hinblick auf ein edles Ziel über sich davongetragen hatte.
– Meine Tochter, sagte er zu Consuelo, sich wieder an ihre Seite setzend, nachdem er sie genötigt hatte, den prächtigen Lehnstuhl, den sie ihm einräumen wollte, zu behalten, und auf welchem sie wider Willen mit furchtsamer Miene thronte, es ist Zeit, dass ich Ihre Offenheit mit gleicher Offenheit erwiedre. Consuelo, mein Sohn liebt Sie.
Consuelo wurde abwechselnd rot und blass. Sie versuchte, eine Antwort hervorzubringen. Christian unterbrach sie.
– Dies ist nicht eine Frage, die ich Ihnen vorlege, sagte er; ich würde dazu kein recht haben, und Sie vielleicht keines, darauf zu antworten; denn ich weiß, dass Sie Albert’s Hoffnungen auf keine Weise begünstigt haben. Er hat mir alles gesagt, und ich glaube ihm, denn er log nie, ebensowenig als ich.
– Und ich, sagte Consuelo, die Augen mit dem Ausdrucke des reinsten Selbstgefühles gen Himmel hebend. Graf Albert muss Ihnen in diesem Falle gesagt haben, gnädiger Herr! …
– Dass Sie jeden Gedanken an eine Verbindung mit ihm zurückgewiesen haben.
– Ich konnte nicht anders. Die Sitten, die Ansichten der Welt sind mir nicht fremd; ich wusste, dass ich nicht dazu gemacht bin, des Grafen Albert Frau zu werden, und zwar aus der einfachen Ursache, weil ich mich vor Gott nicht geringer schätze als irgend einen Menschen auf der Welt und dasselbe vor den Menschen nicht der Gunst und Gnade Jemandes, wer es auch sei, verdanken will.
– Ich kenne Ihren gerechten Stolz, Consuelo! Ich würde ihn übertrieben finden, wenn Albert nur von sich allein abhinge, aber in dem Glauben, worin Sie standen, dass ich eine solche Verbindung nicht billigen würde, haben Sie ihm nicht anders antworten können, als Sie taten.
– Jetzt, gnädiger Herr! sprach Consuelo und stand auf, verstehe ich alles Übrige, und bitte Sie, mir die Demütigung, die ich schon fürchtete, zu ersparen. Ich will Ihr Haus verlassen, wie ich es denn schon verlassen haben würde, wenn ich nicht gefürchtet hätte, des Grafen Albert Vernunft und Leben in Gefahr zu bringen, da ich mehr Einfluss auf ihn habe als mir lieb ist. Sie wissen nun, was ich Ihnen zu entdecken kein recht hatte, und können über ihn wachen, können verhüten, dass diese Trennung schlimme Folgen habe, können die Sorge für ihn wieder in Ihre Hände nehmen, die Ihnen mehr zukommt als mir. Wenn ich sie mir unbescheidentlich angemaßt habe, so ist das ein Fehltritt, den mir Gott verzeihen wird, denn Er weiß es, wie rein das Gefühl war, das mich dabei leitete.
– Auch ich weiß es, antwortete der Graf, und zu meinem Gewissen sprach Gott wie Albert zu meinem Herzen gesprochen hatte. Bleiben Sie sitzen, Consuelo! und verdammen Sie meine Absicht nicht so voreilig. Nicht um Sie mein Haus verlassen zu heißen, sondern um Sie flehentlich zu bitten, Ihr Leben lang darin zu bleiben, habe ich diese Unterredung gewünscht.
– Mein Leben lang! wiederholte Consuelo, und sank auf ihren Sitz zurück, geteilt zwischen der Genugtuung welche sie in der Anerkennung die ihr zu Teil ward, fand, und dem Schreck, welchen ihr ein solches Anerbieten verursachte. Mein Leben lang! Ew. Gnaden bedenken nicht, was Sie mir die Ehre erzeigen da zu sagen.
– Ich habe es reiflich bedacht, meine Tochter! antwortete der Graf mit schwermütigem Lächeln und ich fühle vollkommen, dass es mir nicht leid sein kann. Mein Sohn liebt Sie bis zum Vergehen, Sie haben über seine Seele alle Gewalt. Sie haben ihn mir wiedergegeben, Sie waren es, die ihn suchte an einem verborgenen Orte, den er mir nicht nennen will, aber wohin niemand, sagte er mir, als eine Mutter oder eine Heilige dringen konnte. Sie haben Ihr Leben daran gewagt, um aus der Einsamkeit und aus dem Wahnsinn, worin er sich verzehrte, ihn zu reißen. Ihnen verdanken wir es, dass er uns nicht mehr durch sein Verschwinden in so schreckliche Unruhe versetzt.
Mit einem Wort, durch Sie hat er Besinnung, Frieden und Gesundheit wiedergewonnen. Denn man darf es sich nicht verhehlen, mein armes Kind war wirklich verrückt, und es ist gewiss, dass er es nicht mehr ist. Wir haben fast die ganze Nacht ununterbrochen miteinander geplaudert und er hat mich einen Verstand sehen lassen, an den der meinige nicht reicht. Ich wusste, dass Sie heute Morgen mit ihm ausgehen würden. Ich hatte ihm also meine Einwilligung gegeben, Ihnen das vorzustellen was Sie nicht hören wollten …
Sie hatten Furcht vor mir, liebe Consuelo! Sie glaubten, der alte Rudolstadt wäre so eingerostet in seinem Adelsvorurteile, dass er sich schämen würde, Ihnen seinen Sohn zu verdanken. Nun, darin irrten Sie. Der alte Rudolstadt besaß ohne Zweifel Stolz und auch Vorurteile; besitzt sie vielleicht noch, er will sich nicht vor Ihnen schminken, aber er entsagt denselben, und in der Freudigkeit seines unbegrenzten Dankgefühles weiß er sich Der erkenntlich zu beweisen, die sein letztes, einziges Kind ihm wiedergeschenkt hat.
Bei diesen Worten nahm Graf Christian Consuelo’s beide Hände in die seinigen und bedeckte sie mit Küssen und benetzte sie mit Tränen.