Читать книгу: «George Sand – Gesammelte Werke», страница 45

Шрифт:

5.

Con­sue­lo war leb­haft ge­rührt: die Her­zenser­gie­ßung des al­ten Gra­fen recht­fer­tig­te sie in ih­ren ei­ge­nen Au­gen und be­ru­hig­te ihr Ge­wis­sen. Sie hat­te bis da­hin doch oft ge­fürch­tet, dass es nicht klug ge­han­delt war, ih­rer Kühn­heit und ih­rem Edel­mu­te so rück­sichts­los zu fol­gen; jetzt hat­te sie eine fei­er­li­che Be­stä­ti­gung ih­rer Hand­lungs­wei­se und ih­ren Lohn zu­gleich er­langt. Ihre Freu­den­trä­nen misch­ten sich mit de­nen des Grei­ses und lan­ge wa­ren sie bei­de zu be­wegt, um die Un­ter­re­dung fort­zu­set­zen.

Con­sue­lo be­griff in­des­sen den Vor­schlag noch nicht, den der Graf ihr ge­macht hat­te, und die­ser, der sich hin­läng­lich er­klärt zu ha­ben glaub­te, sah ihr Schwei­gen und ihre Trä­nen als Zei­chen der Ein­wil­li­gung und der Er­kennt­lich­keit an.

– Ich gehe, sag­te er end­lich, mei­nen Sohn zu Ihren Fü­ßen zu ru­fen, da­mit er Sie mit mir seg­ne, wenn er die Grö­ße sei­nes Glückes er­fährt.

– Hal­ten Sie, gnä­di­ger Herr! rief Con­sue­lo, er­schro­cken über die­se Eile, ich ver­ste­he nicht, was Sie von mir for­dern. Sie bil­li­gen die Zu­nei­gung, die Graf Al­bert mir be­zeigt hat, und die Hin­ge­bung, wel­che ich für ihn ge­habt habe. Sie schen­ken mir Ihr Ver­trau­en, Sie wis­sen, dass ich es nicht ver­ra­ten wer­de; aber wie kann ich mich an­hei­schig ma­chen, mein gan­zes Le­ben ei­ner Freund­schaft von so zar­ter Na­tur zu wid­men? Ich sehe wohl, dass Sie auf die Zeit und auf mei­ne Be­son­nen­heit rech­nen, um die geis­ti­ge Ge­sund­heit Ihres Soh­nes zu stär­ken und die Leb­haf­tig­keit sei­ner An­häng­lich­keit für mich zu mä­ßi­gen. Al­lein ich weiß ja nicht, ob ich mei­nen Ein­fluss auf sein Ge­müt lan­ge be­haup­ten wer­de. Und selbst wenn die­se enge Ver­trau­lich­keit nicht ge­fähr­lich wäre für einen so lei­den­schaft­li­chen Mann, so steht es mir doch nicht frei, mein Le­ben der rühm­li­chen Auf­ga­be, die Sie mir be­stim­men, zu wei­hen. Denn ich ge­hö­re nicht mir an.

– Mein Him­mel! was sa­gen Sie, Con­sue­lo! Sie ha­ben mich also nicht be­grif­fen? Oder täusch­ten Sie mich, als Sie mir sag­ten, dass Sie frei wä­ren, dass Sie kei­ne Her­zens­nei­gung und kei­ne Fa­mi­lie hät­ten?

– Aber, gnä­di­ger Herr, ant­wor­te­te Con­sue­lo ganz ver­schüch­tert, ich bin Künst­le­rin, ich habe ein Le­bens­ziel, einen Be­ruf, einen Stand. Ich ge­hö­re der Kunst an, für wel­che ich von Kind­heit an be­stimmt war.

– Was sa­gen Sie? Gro­ßer Gott! Sie wol­len wie­der auf das Thea­ter ge­hen?

– Das nun ich weiß ja nicht. Ich sprach die Wahr­heit, als ich Ih­nen sag­te, dass mich mei­ne Nei­gung nicht da­hin zieht. Ich habe auf die­ser stür­mi­schen Lauf­bahn noch nichts ge­fun­den als fürch­ter­li­che Lei­den, aber ich füh­le den­noch, dass es un­ver­ant­wort­lich wäre, wenn ich mich ge­ra­de­zu ver­pflich­ten woll­te, ihr zu ent­sa­gen. Es ist nun ein­mal mei­ne Be­stim­mung ge­wor­den, und viel­leicht ist es nicht mög­lich, sich der Zu­kunft zu ent­zie­hen, wel­che man sich vor­ge­zeich­net hat. Sei es nun, dass ich die Büh­ne wie­der be­tre­te, sei es, dass ich Stun­den und Kon­zer­te gebe, Sän­ge­rin bin ich nun schon und muss ich sein. Wozu sonst taug­te ich wohl! Wo sonst wür­de ich mich un­ab­hän­gig füh­len? Wie soll­te ich mei­nen Geist be­schäf­ti­gen, der an das Ar­bei­ten ge­wöhnt ist und die­ser Art von Auf­re­gung be­darf?

– O, Con­sue­lo, Con­sue­lo! rief Graf Chris­ti­an mit schmerz­li­chem Tone; was Sie da sa­gen, al­les das ist wahr! Ich dach­te aber, Sie lieb­ten mei­nen Sohn, und ich sehe nun, Sie lie­ben Ihn nicht.

– Und wenn ich ihn lieb­te, wenn ich ihn mit al­ler der Lei­den­schaft lieb­te, de­ren es be­dürf­te, um auf mich selbst zu ver­zich­ten, was wür­den Sie dann sa­gen, gnä­di­ger Herr? rief Con­sue­lo nun auch un­ge­dul­dig. Sie glau­ben also, dass es für ein Weib un­mög­lich ist, sich wirk­lich zu ver­lie­ben in einen Mann wie den Gra­fen Al­bert, da Sie mir zu­mu­ten, im­mer an sei­ner Sei­te zu le­ben?

– Wie denn? Was denn? Habe ich mich un­deut­lich aus­ge­drückt oder hal­ten Sie mich für toll, lie­be Con­sue­lo? Habe ich Sie denn nicht um Ihr Herz und Ihre Hand ge­be­ten für mei­nen Sohn Al­bert? Habe ich Ih­nen nicht den An­trag ei­ner le­gi­ti­men und si­cher­lich eh­ren­vol­len Ver­bin­dung zu Fü­ßen ge­legt? Wenn Sie Al­bert lieb­ten, so wür­den Sie ohne Zwei­fel in dem Glücke, das Le­ben mit ihm zu tei­len, eine Ent­schä­di­gung für die Ein­bu­ße Ihres Ruh­mes und Ih­rer glän­zen­den Er­fol­ge fin­den! Aber Sie lie­ben ihn nicht, da es Ih­nen un­mög­lich scheint, dem, was Sie Ihre Be­stim­mung nen­nen, zu ent­sa­gen.

Mit die­ser Er­klä­rung hat­te der gute Chris­ti­an zu­rück­ge­hal­ten, ohne es selbst zu wis­sen. Nicht ohne Angst und tie­fen in­ner­li­chen Wi­der­wil­len hat­te der alte Herr die Not­wen­dig­keit er­kannt, alle sei­ne Vor­stel­lun­gen vom Le­ben, alle Vor­ur­tei­le sei­nes Stan­des dem Glücke sei­nes Soh­nes auf­zu­op­fern, und als er nach lan­gem Kamp­fe mit Al­bert und mit sich selbst das große Op­fer end­lich brach­te, wand sich ihm die letz­te Ent­schei­dung, die Be­sieg­lung des furcht­ba­ren Ak­tes mit ei­nem kla­ren Wor­te nur müh­sam und nicht ohne eine Ge­walt­tat sei­nes Her­zens von den Lip­pen.

Con­sue­lo ahn­te oder merk­te das; denn in je­nem Au­gen­bli­cke, als es Chris­ti­an schi­en, dass er die Hoff­nung, sie zu die­ser Hei­rat zu be­we­gen, auf­ge­ben müss­te, war in dem Ge­sich­te des Grei­ses si­cher­lich ein Zug von un­will­kür­li­cher Freu­de dem Aus­druck sei­ner Be­stür­zung son­der­bar bei­ge­mischt.

In ei­nem Au­gen­blick be­griff Con­sue­lo ihre Lage, und ein viel­leicht über­trie­be­ner per­sön­li­cher Stolz flö­ßte ihr Ab­nei­gung ge­gen das Bünd­nis ein, wel­ches ihr an­ge­tra­gen wur­de.

– Sie wol­len, dass ich Graf Al­ber­t’s Frau wer­de! sag­te sie noch be­stürzt über den merk­wür­di­gen An­trag. Sie wür­den sich dazu ver­ste­hen, mich Ihre Toch­ter zu nen­nen, mich Ihren Na­men füh­ren zu las­sen, mich Ihren Ver­wand­ten, Ihren Freun­den vor­zu­stel­len? Ach, gnä­di­ger Herr! wie lie­ben Sie Ihren Sohn, und wie muss Ihr Sohn Sie lie­ben!

– Wenn Sie hier­in einen auf­fal­len­den Edel­mut fin­den, Con­sue­lo, so muss ent­we­der Ihr Herz kei­nes sol­chen fä­hig sein, oder Sie müs­sen den Ge­gen­stand nicht des­sel­ben wür­dig fin­den.

– Gnä­di­ger Herr! sag­te Con­sue­lo, nach­dem sie, ihr Ge­sicht mit den Hän­den be­de­ckend, sich ge­sam­melt hat­te, ich glau­be zu träu­men. Mein Stolz regt sich wi­der mei­nen Wil­len, bei dem Ge­dan­ken an die Krän­kun­gen, de­nen ich mein Le­ben preis­gä­be, wenn ich das Op­fer an­neh­men woll­te, das Ihr Va­ter­herz Sie brin­gen heißt.

– Wer wür­de es wa­gen Sie zu krän­ken, Con­sue­lo, wenn der Va­ter und der Sohn Sie mit dem Schil­de der Ehre und der Fa­mi­lie deck­ten?

– Und die Tan­te, gnä­di­ger Herr? Die Tan­te, die hier eine wah­re Mut­ter ist, wür­de sie es ohne Scham mit an­se­hen?

– Auch sie wird kom­men und ihre Bit­ten mit den uns­ri­gen ver­ei­nen, wenn Sie ver­spre­chen, sich er­wei­chen zu las­sen. Ver­lan­gen Sie aber nicht mehr, als die mensch­li­che Na­tur zu leis­ten ver­mag. Ein Lie­ben­der und ein Va­ter kön­nen die De­mü­ti­gung und den Schmerz ei­ner ab­schläg­li­chen Ant­wort hin­neh­men. Mei­ne Schwes­ter wür­de sich dem nicht aus­set­zen. Wenn wir aber des Er­fol­ges ge­wiss sein kön­nen, so wol­len wir sie in Ihre Arme füh­ren, mei­ne Toch­ter!

– Gnä­di­ger Herr! sag­te Con­sue­lo zit­ternd, Graf Al­bert hat Ih­nen also wohl ge­sagt, dass ich ihn lieb­te?

– Nein! ant­wor­te­te der Graf, dem es jetzt erst wie­der ein­fiel, be­trof­fen. Al­bert sag­te mir im Ge­gen­teil, er glau­be, dass das Hin­der­nis in Ihrem Her­zen lie­gen wür­de. Er hat es mir hun­dert­mal wie­der­holt. In der Tat aber, ich ver­moch­te es nicht zu glau­ben. Ihre Zu­rück­hal­tung konn­te ich mir aus Ih­rer Recht­schaf­fen­heit und Ihrem Zart­ge­fühl zur Ge­nü­ge er­klä­ren. Ich dach­te aber, wenn ich Ihre Be­den­ken höbe, so wür­de ich von Ih­nen das Ge­ständ­nis er­hal­ten, wel­ches Sie ihm ver­wei­gert hat­ten.

– Und was sag­te er Ih­nen von un­se­rem heu­ti­gen Spa­zier­gang?

– Nur ein Wort. Ver­su­chen Sie es Va­ter, sag­te er, es ist das ein­zi­ge Mit­tel, um zu er­fah­ren, ob bloß Stolz oder ob Ab­nei­gung mir ihr Herz ver­schließt.

– Ach, gnä­di­ger Herr! was wer­den Sie von mir den­ken, wenn ich Ih­nen sage, dass ich es selbst nicht weiß?

– Dann müss­te ich den­ken, lie­be Con­sue­lo, dass es Ab­nei­gung ist. O, mein Sohn, du mein ar­mer Sohn! Wie schreck­lich ist dein Loos. Nicht ge­liebt zu wer­den von der ein­zi­gen Frau, die du liebst, viel­leicht je­mals lie­ben wirst. Nur die­ses Letz­te fehl­te noch zu un­se­rem Un­glück.

– O, mein Gott! Wie müs­sen Sie mich has­sen, gnä­di­ger Herr! Sie kön­nen es nicht be­grei­fen, wie mein Stolz noch wi­der­ste­hen kann, da Sie doch den Ih­ri­gen op­fern. Der Stolz ei­nes Mäd­chens wie ich, scheint Ih­nen we­ni­ger be­grün­det, und den­noch glau­ben Sie mir, der Kampf in mei­nem Her­zen ist nicht min­der hef­tig in die­ser Stun­de, als je­ner, den Sie selbst be­stan­den ha­ben.

– Ich be­grei­fe es wohl. Glau­ben Sie nicht, Si­gno­ra, dass ich zu we­nig Ach­tung vor Scham, Recht­schaf­fen­heit und Unei­gen­nüt­zig­keit habe, um den Stolz, der sich auf sol­che Schät­ze grün­det, nicht wür­di­gen zu kön­nen. Aber was Va­ter­lie­be über­win­den konn­te (Sie se­hen, ich spre­che mit un­be­ding­ter Of­fen­heit), das, den­ke ich, wird auch Frau­en­lie­be kön­nen. Nun wohl! Ge­setzt, Al­ber­t’s, Ihr und mein Le­ben wür­den in ei­nem be­stän­di­gen Kamp­fe hin­ge­hen ge­gen die Vor­ur­tei­le der Welt, ge­setzt, wir müss­ten alle Dreie viel und lan­ge lei­den, und auch mei­ne Schwes­ter mit uns, wür­den wir nicht an un­se­rer ge­gen­sei­ti­gen Zärt­lich­keit, an dem Zeug­nis­se un­se­res Ge­wis­sens und an den loh­nen­den Früch­ten un­se­rer Auf­op­fe­rung ge­nug ha­ben, um stär­ker zu sein, als die gan­ze Welt zu­sam­men? Wah­rer Lie­be er­schei­nen die­se Übel klein, die Ih­nen zu schwer dün­ken für Sie und für uns. Aber sol­che wah­re Lie­be wer­den Sie schüch­tern und ängst­lich in der Tie­fe Ih­rer See­le ver­ge­bens su­chen; Sie wer­den sie nicht fin­den, Con­sue­lo, weil sie nicht da ist.

– Nun ja, ja! da liegt die Fra­ge, da liegt sie ganz, sag­te Con­sue­lo, in­dem sie ihre Hän­de fest ge­gen ihr Herz drück­te, al­les Üb­ri­ge ist nichts. Ich hat­te auch mei­ne Vor­ur­tei­le, ja! Ihr Bei­spiel zeigt mir, dass es mei­ne Pf­licht ist, sie mit Fü­ßen zu tre­ten, und so stark, so hel­den­mü­tig wie Sie zu sein. Sei kei­ne Rede wei­ter von mei­nen Ein­wür­fen, von mei­ner falschen Scham! Kei­ne Rede, setz­te sie hin­zu mit ei­nem tie­fen Seuf­zer, kei­ne Rede, selbst von mei­ner Zu­kunft wei­ter, selbst von mei­ner Kunst! Dem al­len wer­de ich ent­sa­gen kön­nen, wenn … wenn ich Al­bert lie­be. Das ist es, was ich wis­sen muss.

Hö­ren Sie mich an, gnä­di­ger Herr! Ich habe mir selbst wohl hun­dert­mal die­se Fra­ge vor­ge­legt, aber nie mit der Si­cher­heit, wel­che Ihre Zu­stim­mung al­lein mir ge­ben konn­te. Wie hät­te ich mich ernst­lich fra­gen sol­len, wenn die Fra­ge selbst in mei­nen Au­gen eine Tor­heit, ja ein Ver­bre­chen war? Jetzt, scheint mir, wird es mir mög­lich sein, mich zu prü­fen und mich zu ent­schlie­ßen.

Ich bit­te, las­sen Sie mir ei­ni­ge Tage Zeit, um mich zu sam­meln, und um mir klar zu ma­chen, ob die un­end­li­che Hin­ge­bung, die ich ihm zol­len muss, die un­be­grenz­te Ach­tung und Ver­eh­rung, die sei­ne Tu­gen­den mir ein­flö­ßen, der mäch­ti­ge See­len­ein­fluss, die ei­ge­ne Herr­schaft, wel­che er über mich durch sei­ne Rede übt, ob al­les das Be­wun­de­rung oder ob es Lie­be ist.

Denn ich füh­le das al­les wirk­lich, gnä­di­ger Herr! und doch wie­der füh­le ich im Strei­te da­mit eine un­be­schreib­li­che Furcht, eine tie­fe Trau­rig­keit, und … ich will Ih­nen al­les ge­ste­hen, o mein ed­ler Freund! das An­den­ken ei­ner frü­he­ren Lie­be, wel­che we­ni­ger hef­tig, aber sü­ßer, zar­ter war, und die­ser in der Tat in kei­nem Stücke ähn­lich.

– Son­der­ba­res, ed­les Mäd­chens ent­geg­ne­te Chris­ti­an ge­rührt; wie viel Ver­stand und wie viel Wun­der­lich­keit zu­gleich in Ihren Wor­ten und in Ihren An­sich­ten! Sie glei­chen in vie­ler Hin­sicht mei­nem ar­men Al­bert, und die Un­ge­wiss­heit über Ihr Ge­fühl er­in­nert mich an mei­ne Frau, mei­ne edle, schö­ne, trau­ri­ge Wan­da!

O Con­sue­lo, das ist gar ein sü­ßes, bit­te­res An­ge­den­ken, das Sie in mir we­cken. Ich woll­te zu Ih­nen sa­gen: über­win­den Sie die­se Un­schlüs­sig­keit, be­sie­gen Sie die­sen in­ne­ren Wi­der­stand; lie­ben Sie, aus Tu­gend, aus See­len­grö­ße, aus Mit­ge­fühl, aus Men­sch­lich­keit und from­mer Hin­ge­bung den ar­men Mann, der sich um Sie ver­zehrt und der, wenn er Sie viel­leicht un­glück­lich macht, Ih­nen doch sei­ne Ret­tung ver­dan­ken und Ih­nen den Lohn des Him­mels ver­die­nen wird.

Aber da ha­ben Sie mich an sei­ne Mut­ter ge­mahnt, an sei­ne Mut­ter, die sich auch aus Pf­licht, aus Freund­schaft mir hin­gab. Sie konn­te für mich schlich­ten, gut­mü­ti­gen, ängst­li­chen Mann nicht die en­thu­sias­ti­sche Lie­be he­gen, nach der ihre Fan­ta­sie lechz­te. Sie war aber treu und edel­mü­tig bis an ihr Ende. Ach! und wie hat sie ge­lit­ten! Ach! Ihre Hin­ge­bung war mei­ne Won­ne und mei­ne Qual; ihre Be­stän­dig­keit mein Stolz und mein Jam­mer. Sie starb vor Her­ze­leid hin und mir hat es das Herz ge­bro­chen auf alle Zeit. Wun­dern Sie sich nicht, wenn ich jetzt ein Nichts bin, ein zer­knick­tes Rohr, ein to­ter Mann be­vor ich ins Grab ge­stie­gen bin, wun­dern Sie sich nicht dar­über, Con­sue­lo! Ich litt, was nie­mand weiß, was ich kei­nem Men­schen sag­te und was ich Ih­nen mit Zit­tern be­ken­ne.

Nein! ehe ich Sie auf­mun­te­re, ein sol­ches Op­fer zu brin­gen, und Al­bert es an­zu­neh­men, lie­ber will ich mit Schmerz in die Gru­be fah­ren und mei­nen Sohn sei­nem Ge­schick er­lie­gen las­sen. Ich habe nur zu sehr er­fah­ren, was es heißt, die Na­tur zwin­gen und den nicht zu stil­len­den Durst der See­le be­sie­gen zu wol­len. Nein! Neh­men Sie sich Zeit, um sich zu be­den­ken, mei­ne Toch­ter! füg­te der Greis hin­zu, in­dem er Con­sue­lo schluch­zend an sei­ne Brust drück­te und ihre edle Stirn mit vä­ter­li­cher Lie­be küss­te. Es wird im­mer so bes­ser sein. Müs­sen Sie Nein sa­gen, so wird Al­bert, durch die Un­ge­wiss­heit dar­auf vor­be­rei­tet, nicht so un­er­war­tet und zer­schmet­ternd von dem Schla­ge ge­trof­fen wer­den, wie es heut der Fall sein müss­te.

Nach die­ser Übe­rein­kunft trenn­ten sie sich. Con­sue­lo schlüpf­te durch die Cor­ri­do­re, vol­ler Furcht, An­zo­le­to zu be­geg­nen, und schloss sich von der Auf­re­gung er­schöpft und ab­ge­spannt in ih­rem Zim­mer ein.

Sie ver­such­te ein we­nig kör­per­lich zu ru­hen, in­dem sie hoff­te, auch ihr Geist wer­de dann die nö­ti­ge Ruhe wie­der fin­den. Sie fühl­te sich zer­schla­gen, und als sie sich auf ihr Bett ge­wor­fen hat­te, ver­sank sie in eine Art Be­täu­bung, die mehr pein­lich als er­qui­ckend war. An Al­bert den­kend woll­te sie ein­schlum­mern, und den Ge­dan­ken rei­fen las­sen un­ter den ge­heim­nis­vol­len Bil­dern des Schla­fes, worin wir manch­mal eine Vor­be­deu­tung su­chen für die Din­ge, wel­che uns in der Wirk­lich­keit be­schäf­ti­gen.

Al­lein die un­ter­bro­che­nen Träu­me, wel­che ihr wäh­rend ei­ni­ger Stun­den aus­stie­gen, führ­ten ihr im­mer nur An­zo­le­to’s und nicht Al­ber­t’s Bild vor. Im­mer war es Ve­ne­dig, im­mer die Cor­te-Mi­nel­li, im­mer ihre ers­te, stil­le, kla­re, se­li­ge Lie­be. Und so oft sie er­wach­te, ver­band sich der Ge­dan­ke an Al­bert mit der Vor­stel­lung der schau­er­li­chen Höh­le, wo der Ton sei­ner Gei­ge, von dem Wie­der­hall ver­zehn­facht, die To­ten er­weck­te und über Zden­ko’s kaum ge­schlos­se­nem Gra­be klag­te.

Bei die­sem letz­te­ren Ge­dan­ken ver­schloss Furcht und Trau­rig­keit ihr Herz der Lie­be. Von kal­ten Ne­beln und blu­ti­gen Schreck­bil­dern ver­hüllt er­schi­en ihr die ihr an­ge­bo­te­ne Zu­kunft, wäh­rend sich die Ver­gan­gen­heit ihr so gol­den und so herr­lich mal­te, dass im An­schau­en sich ihr Bu­sen hob und ihr Herz vor Freu­de klopf­te.

In­dem sie die ver­gan­ge­nen Zei­ten träum­te, schi­en es ihr als schall­te ihre ei­ge­ne Stim­me weit in das All hin­aus, er­füll­te die Welt und schweb­te in den schran­ken­lo­sen Him­mels­räu­men, wäh­rend, wann die Zau­ber­tö­ne und die wil­den Me­lo­di­en der Gei­ge sie um­rausch­ten, die­se Stim­me dumpf und äch­zend wur­de und wie To­des­rö­cheln sich in den Ab­grund der Erde ver­lor.

Die schwan­ken­den Träu­me ängs­tig­ten sie so, dass sie auf­sprang um sich von ih­nen zu be­frei­en, und da ihr der ers­te Schlag der Glo­cke ver­kün­dig­te, dass man in ei­ner hal­b­en Stun­de das Mit­ta­ges­sen auf­tra­gen wür­de, be­gann sie ihre Toi­let­te zu ma­chen, noch im­mer­fort von den­sel­ben Ge­dan­ken ver­folgt.

Aber son­der­bar! zum ers­ten Male in ih­rem Le­ben schenk­te sie ih­rem Spie­gel grö­ße­re Auf­merk­sam­keit und dach­te an­ge­le­gent­li­cher an ih­ren Kopf­putz und an ih­ren An­zug als an die erns­ten Fra­gen, de­ren Lö­sung sie such­te. Wi­der Wil­len mach­te sie sich schön und wünsch­te es zu sein. Kein Ge­lüst, ihre bei­den Lieb­ha­ber zur Be­gier­de und zur Ei­fer­sucht zu rei­zen, lag in die­ser un­wi­der­steh­li­chen Re­gung von Ko­ket­te­rie: sie dach­te nur an einen, konn­te nur an einen den­ken.

Al­bert hat­te ihr nie ein Wort über ihr Äu­ße­res ge­sagt. In der Schwär­me­rei sei­ner Lei­den­schaft hielt er sie viel­leicht für schö­ner als sie war, aber sei­ne Ge­dan­ken nah­men stets so ho­hen Flug und sei­ne Lie­be war so groß, dass es ihm wie Ent­wei­hung schei­nen muss­te, hät­te er die Ge­lieb­te mit den trun­ke­nen Au­gen ei­nes An­be­ters oder dem zu­frie­de­nen Ken­ner­bli­cke ei­nes Künst­lers be­trach­ten wol­len. Sie schweb­te ihm im­mer wie in ei­nem Wol­ken­schlei­er vor, durch den sein Auge nicht zu drin­gen wag­te, den sei­ne Fan­ta­sie mit ei­nem leuch­ten­den Him­mels­schein um­gab. Moch­te sie mehr oder we­ni­ger schön sein, sie blieb doch stets für ihn die­sel­be. Er hat­te sie lei­chen­far­ben, ab­ge­zehrt, welk, mit dem Tode rin­gend, ei­nem Ge­s­penst ähn­li­cher als ei­nem Weib ge­se­hen. Da hat­te er auf­merk­sam und ängst­lich nur nach den mehr oder min­der dro­hen­den Sym­pto­men der Krank­heit in ih­ren Zü­gen ge­sucht, aber er hat­te nie ge­se­hen, ob Au­gen­bli­cke wa­ren, die sie häss­lich, die sie zu ei­nem Ge­gen­stan­de des Schre­ckens und des Ab­scheus mach­ten. Und als sie die Fri­sche der Ju­gend und den Aus­druck des Le­bens wie­der ge­wann, hat­te er nicht dar­auf ge­ach­tet, ob sie an Schön­heit ge­gen frü­her ver­lo­ren oder ge­won­nen hat­te. Sie war für ihn im Le­ben wie im Tode, das Ide­al der höchs­ten Ju­gend, der er­ha­bens­ten Voll­kom­men­heit und al­ler ewi­gen, un­ver­gleich­li­chen Schön­heit. Auch hat­te Con­sue­lo nie an sich ge­dacht und vor dem Spie­gel ihr Äu­ße­res ge­ord­net.

Wie an­ders war es mit An­zo­le­to! Mit wel­cher ängst­li­chen, ins Kleins­te ge­hen­den Sorg­falt hat­te die­ser sie be­trach­tet, ihre For­men ge­prüft, ihr Äu­ße­res stück­weis un­ter­sucht an je­nem Tage, wo er sich ge­fragt hat­te, ob sie nicht etwa häss­lich wäre. Wie er ihr Re­chen­schaft ge­ge­ben hat­te über al­les was an ihr ir­gend an­mu­tig war, über je­den Ver­such, den sie ge­macht hat­te, zu ge­fal­len! Wie kann­te er ihr Haar, ih­ren Arm, ih­ren Fuß, ih­ren Gang, die Far­ben die ihr gut stan­den, jede Fal­te, wel­che ihre Klei­dung warf. Und mit wel­cher Wär­me hat­te er sie ge­lobt! Mit wel­chem sehn­li­chen Ver­lan­gen sie be­trach­tet!

Das keu­sche Mäd­chen hat­te da­mals nicht be­grif­fen, warum das ei­ge­ne Herz hef­ti­ger schlug. Sie woll­te es auch jetzt nicht be­grei­fen, und doch fühl­te sie bei­nah die­sel­be Hef­tig­keit der Schlä­ge bei dem Ge­dan­ken, wie­der vor sei­nen Au­gen zu er­schei­nen. Sie wur­de un­ge­dul­dig über sich selbst, er­rö­te­te vor Scham und Zorn, und such­te sich ein­zu­bil­den, dass sie sich nur Al­ber­t’s we­gen schmücke; und doch wähl­te sie Haar­putz, Band, ja den Blick so­gar, al­les wie es An­zo­le­to gern hat­te.

Weh! weh! sag­te sie bei sich, von ih­rem Spie­gel auf­ste­hend, da ihre Toi­let­te be­en­digt war. Also ist es doch so, dass ich nur an ihn den­ken kann, und dass das ver­gan­ge­ne Glück mit hin­rei­ßen­de­rer Ge­walt auf mich wirkt als die ge­gen­wär­ti­ge Ver­höh­nung und als die Aus­sich­ten ei­ner neu­en Lie­be. Ach, es hilft nicht, dass ich in die Zu­kunft bli­cke; ohne ihn sehe ich in ihr nur Angst und Verzweif­lung …

Aber was wäre sie denn mit ihm? Weiß ich denn nicht, dass die schö­nen Tage von Ve­ne­dig nie­mals wie­der­keh­ren kön­nen, dass die Un­schuld nicht bei uns Woh­nung ma­chen wür­de, dass An­zo­le­to’s See­le für im­mer ver­derbt ist, dass mich sei­ne Lieb­ko­sun­gen er­nied­ri­gen, und dass Scham, Ei­fer­sucht, Kum­mer mir mein Le­ben fort und fort ver­gäl­len wür­den!

Als sie sich in die­ser Hin­sicht mit al­lem Erns­te be­frag­te, sah sie deut­lich ein, dass sie sich nicht dar­über täu­schen könn­te, und dass sich nicht das Lei­ses­te in ihr zu An­zo­le­to’s Guns­ten reg­te. Sie lieb­te ihn in der Ge­gen­wart nicht mehr, und dach­te sie sich eine Zu­kunft, die nur sei­ne Ver­kehrt­hei­ten stei­gern konn­te, so fürch­te­te sie ihn und hass­te ihn bei­nah; aber in der Ver­gan­gen­heit lieb­te sie ihn so, dass sich ihre See­le und ihr Le­ben nicht da­von los­rei­ßen konn­ten.

Er war von nun an ih­ren Au­gen wie ein Bild­nis, wel­ches ihr ein ge­lieb­tes We­sen und Tage der Se­lig­keit zu­rück­rief; und gleich ei­ner Wit­we, wel­che sich vor ih­rem neu­en Gat­ten ver­steckt um das Bild des ers­ten zu be­trach­ten, fühl­te sie, dass der Tote le­ben­di­ger als der le­ben­de in ih­rem Her­zen sei.

94,80 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
182