Nach dieser wunderlichen Rede kehrte ihnen die arme Wenceslawa, die über ihre eigene Kühnheit erschrak, in Eile den Rücken und lief in ihr Zimmer, wo sie eine Stunde lang hustete und weinte.
– Meine Tante ist in einer seltsamen Gemütsverfassung sagte Albert zu Consuelo, während er mit ihr die Vortreppe hinaufstieg. Verzeihen Sie es ihr, liebe Freundin! gewiss, noch heute wird sie Benehmen und Sprache ändern.
– Mein Bruders sagte Consuelo, von der Nachricht beunruhigt, welche sie erhalten hatte, und ohne auf Albert’s Worte zu achten.
– Ich wusste nicht, dass Sie einen Bruder hätten, versetzte Albert, dem die Heftigkeit seiner Tante mehr ausgefallen war als ihre Mitteilung. Ohne Zweifel fühlen Sie sich glücklich, ihn wiederzusehen, und ich freue mich …
– Freuen Sie sich nicht, Herr Graf! fiel Consuelo ein, von einer trüben Ahnung ergriffen. Es bereitet sich für mich vielleicht ein großer Verdruss, und …
Sie brach zitternd ab, denn sie hatte es auf den Lippen, ihn um Rat und Schutz zu bitten, aber sie fürchtete, sich dadurch zu eng mit ihm einzulassen, und da sie den, der sich mit Hilfe einer Lüge bei ihr einführte, weder zu empfangen noch abzuweisen wagte, so fühlte sie ihre Knie wanken und lehnte sich bei der letzten Stufe an die Brüstung der Rampe.
– Fürchten Sie eine traurige Nachricht von Ihrer Familie? fragte sie Albert, dessen Unruhe zu erwachen anfing.
– Ich habe keine Familie, antwortete Consuelo, indem sie mit Anstrengung weiter ging.
Sie hätte fast gesagt: und keinen Bruder, aber eine unbestimmte Furcht hielt sie davon zurück. Als sie durch den Speisesaal ging, hörte sie die Stiefel des Reisenden, der ungeduldig auf und ab rannte, auf dem Estrich knarren. Unwillkürlich drängte sie sich an den jungen Grafen und drückte seinen Arm, in den sie den ihrigen schlang, als hätte, sie in seiner Liebe Zuflucht gesucht vor der Trübsal, die, wie sie ahnte, ihr bevorstand.
Albert, überrascht von dieser Bewegung, fühlte sich von tödlicher Angst ergriffen.
– Gehen Sie nicht allein, sagte er leise. Meine Ahnung, die mich nie trog, sagt mir, dass dieser Bruder Ihr und mein Feind ist. Es überfährt mich kalt, als ob ich wen zu hassen hätte.
Consuelo machte ihren Arm los, den Albert fest an seine Brust presste. Sie zitterte bei dem Gedanken, dass er vielleicht in eine dieser seltsamen Fantasien verfallen, einen dieser unerschütterlichen Entschlüsse fassen könnte, wovon ihr Zdenko’s mutmaßlicher Tod ein trauriges Beispiel gab.
– Nein! wir wollen uns hier trennen, sagte sie auf Deutsch (denn man konnte sie aus dem anstoßenden Saale schon hören). Ich habe augenblicklich nichts zu fürchten, aber wenn mir späterhin Gefahr drohen sollte, Albert, rechnen Sie darauf, dass ich zu Ihnen meine Zuflucht nehme.
Albert gab mit peinlicher Angst und Widerstreben nach. Aus Furcht, unzart zu erscheinen, getraute er sich nicht, zu widersprechen, aber er konnte sich auch nicht entschließen, aus dem Saale zu weichen. Consuelo, die sein Zögern bemerkte, machte beide Saaltüren im Eintreten hinter sich zu, damit er weder sehen noch hören könnte, was vorginge.
Anzoleto (denn er war es, sie hatte es an seiner Frechheit nur zu gut erraten und an seinem Tritte nur zu gut erkannt) hatte sich darauf gefasst gemacht, sie keck mit einer brüderlichen Umarmung in Gegenwart von Zeugen zu empfangen. Als er sie allein eintreten sah, bleich, aber kalt und streng, verlor er den Mut und warf sich stotternd ihr zu Füßen. Er brauchte Freude und Zärtlichkeit nicht zu heucheln. Wirklich und heftig fühlte er beides, als er sie wiedersah, die er ungeachtet seines Verrates nicht zu lieben aufgehört hatte. Er weinte bitterlich, und da sie ihn ihre Hände nicht ergreifen lassen wollte, bedeckte er den Saum ihres Kleides mit Küssen und mit Tränen.
Consuelo war nicht darauf gefasst, ihn so zu finden. Seit vier Monaten hatte sie ihn sich vorgestellt, wie er sich ihr in der Nacht ihres Bruches gezeigt hatte, bitter, höhnisch, der verächtlichste der Menschen. Und noch diesen Morgen hatte sie ihn frech und mit fast cynischer Nachlässigkeit auftreten sehen. Und nun lag er zu ihren Füßen, demütig, reuevoll, in Tränen gebadet, wie an den stürmischen Tagen ihrer verliebten Aussöhnungen, schöner als jemals; denn seine Reisekleidung, ein wenig gemein, aber sauber, stand ihm sehr gut, und seine von der Reise gebräunten Züge hatten etwas Männlicheres angenommen.
Zitternd wie die Taube, auf welche der Habicht herabstürzt, musste sie sich niedersetzen und ihr Gesicht in den Händen verbergen, um sich dem Zauber seines Blickes zu entziehen. Anzoleto hielt dies für eine Handlung der Scham und wurde dreister; seine schlechte Gesinnung tauchte schnell wieder auf und verwischte die unschuldige Regung seines, ersten Entzückens.
Als er von Venedig entfloh und dem Ekel zu entrinnen suchte, mit dem sich sein Lasterleben strafte, hatte er an weiter nichts gedacht, als sein Glück zu suchen; aber er hatte dabei im Stillen doch den Wunsch und die Hoffnung nicht aufgegeben, seine geliebte Consuelo wieder zu finden. Ein so glänzendes Talent konnte seiner Meinung nach nicht lange verborgen bleiben und er hatte sich überall auf Kundschaft gelegt, indem er seine Wirte, Führer oder die Reisenden, mit denen er zusammentraf, ausfragte.
In Wien hatte er Italiener von Distinktion kennen gelernt, denen er seinen Streich und seine Flucht verriet. Sie hatten ihm den Rat gegeben, sich entfernt von Venedig zuhalten, bis Graf Zustiniani ihm den Possen vergeben oder vergessen haben würde; sie hatten ihm versprochen, sich selbst darum zu verwenden und ihm Empfehlungsbriefe für Prag, Dresden und Berlin gegeben. Als er bei Riesenburg vorüberkam, hatte er nicht daran gedacht, seinen Führer genauer zu befragen; aber als er nach einer Stunde scharfen Rittes anhielt, um die Pferde verschnaufen zu lassen, nahm er das Gespräch wieder auf und erkundigte sich umständlicher nach der Gegend und ihren Bewohnern.
Natürlich erzählte ihm der Führer sogleich von den Herren von Rudolstadt, von ihrer auffallenden Lebensweise, von den Wunderlichkeiten des Grafen Albert, dessen Verrücktheit jetzt kein Geheimnis mehr war, besonders seit ihm der Doctor Wetzelius seinen Groll nachtrug. Auch unterließ der Führer nicht, zur Vervollständigung der Klatsch-Chronik die Geschichte zu überliefern, wie Graf Albert seinen Narrheiten die Krone aufgesetzt habe, indem er seine edle Cousine, das schöne Freifräulein Amalie von Rudolstadt, nicht heiraten wollte, um sich eine Abenteurerin an den Hals zu hängen, die nur ziemlich hübsch wäre, in die sich aber alle Welt verliebte, wenn sie sänge, weil sie eine außerordentliche Stimme hätte.
Diese beiden Umstände passten zu gut auf Consuelo, als dass unser Reisender nicht hätte nach dem Namen der Abenteurerin fragen sollen, und als er hörte, dass sie Porporina hieße, zweifelte er nicht länger. Spornstreichs kehrte er um, und nachdem er in Eile Vorwand und Titel ausgedacht hatte, unter denen er sich in dieses so wohl verwahrte Schloss einführen könnte, lockte er aus seinem Führer noch ein Paar Klätschereien heraus. Aus dem Geschwätze dieses Menschen entnahm er die Gewissheit, dass Consuelo einstweilen die Maitresse des jungen Grafen wäre, der sie heiraten sollte, denn sie hätte, sagte man, die ganze Familie behext, und anstatt sie wegzujagen, wie sie es verdiente, begegnete man ihr im Hause mit einer Achtung und Zuvorkommenheit, wie nicht einmal dem Fräulein Amalie.
Diese Umstände reizten Anzoleto eben so sehr und vielleicht noch stärker als die Anhänglichkeit, die er Consuelo wirklich bewahrte. Er hatte sich oft zurückgesehnt in das süße Leben, das sie ihm bereitet hatte, er hatte wohl gefühlt, dass ihm mit dem Verlust ihres Rates und ihrer Anweisung seine musikalische Zukunft verloren oder doch auf lange hin verkümmert war, kurz, es zog ihn eine Liebe zu ihr hin, die eigennützig, aufrichtig und unüberwindlich zugleich war.
Zu dem allen aber gesellte sich die Versuchung seiner Eitelkeit, Consuelo einem reichen und adeligen Liebhaber streitig zu machen, sie einer glänzenden Verbindung zu entreißen und sich den Ruf im Lande und in der Welt zu machen, dass ein so reichbegabtes Mädchen lieber mit ihm auf Abenteuer ausgehen als Gräfin und Burgfrau werden wollte. Er konnte es daher nicht satt kriegen, sich von seinem Führer immer wieder erzählen zu lassen, was für eine stolze Rolle die Porporina auf Riesenburg spiele, und kitzelte sich mit der kindischen Hoffnung, dass dieser selbe Mensch allen Reisenden, die nach ihm des Weges kämen, erzählen würde, wie ein schöner junger Gesell im Galopp in die ungastliche Riesenburg eingeritten wäre, von dem es heißen müsste: er kam, sah und siegte, denn nach einigen Stunden oder nach einigen Tagen wäre es wieder herausgekommen und hätte die Perle der Sängerinnen dem hochgebornen und gnädigen Herrn Grafen von Rudolstadt vor der Nase hinweggeführt.
Bei diesem Gedanken drückte er seinem Pferde die Sporen in die Seiten und lachte so laut, dass sein Führer bei sich dachte, es käme wol noch darauf an, wer von beiden der Verrückte wäre, dieser Reisende oder der Graf Albert.
Das Stiftsfräulein empfing ihn mit Misstrauen, wollte ihn aber doch nicht abweisen, denn sie hoffte, dass er vielleicht seine vorgebliche Schwester mit hinwegnehmen möchte. Er hörte, dass Consuelo spazieren gegangen war, und wurde verdrießlich. Man schickte ihm Frühstück und er fragte die Bedienten aus. Einer von diesen verstand ein Paar Worte Italienisch und sagte ihm, ohne sich etwas Böses dabei zu denken, er hätte die Signora mit dem jungen Grafen draußen auf den Bergen gesehen.
Anzoleto fürchtete im ersten Augenblicke, Consuelo stolz und kalt zu finden. Er sagte sich: wenn sie nichts weiter wäre als die ehrbare Braut des Sohnes vom Hause, so würde sie gewiss die stolze Miene einer Person zeigen, die ihre Stellung fühlt; wäre sie aber schon seine Maitresse, so würde sie weniger Sicherheit verraten und vor einem alten Freunde, der ihr das Spiel verderben könnte, zittern. War sie noch unschuldig, so war der Sieg schwerer, dann aber desto ruhmvoller; war sie gefallen, so stand die Sache umgekehrt. In beiden Fällen lag die Sache so, dass sich etwas unternehmen oder etwas hoffen ließ.
Anzoleto war zu schlau, um nicht zu merken, dass der lange Spaziergang der Porporina mit ihrem Neffen das Stiftsfräulein misslaunig und unruhig machte. Den alten Grafen hatte er noch nicht gesehen und so konnte er denken, dass der Führer vielleicht übel unterrichtet war, dass die Liebe, des jungen Grafen zu der Abenteurerin von der Familie mit Besorgnis und mit Missvergnügen angesehen wäre und dass Consuelo vor ihrem ersten Liebhaber die Augen niederschlagen würde.
Nach vier tödlich langen Stunden, die er warten musste, und die er zu mancherlei Betrachtungen anwendete, hielt sich Anzoleto, da er nicht die Sittenreinheit besaß, um in solchem Falle das Beste zu denken, für vollkommen überzeugt, dass Consuelo und sein Nebenbuhler nicht so lange allein miteinander sein würden, wenn nicht bereits eine unbeschränkte Vertraulichkeit zwischen ihnen stattfände.
Dies machte ihn dreister, und er war mit sich einig, sie vollkommen furchtlos zu erwarten, und als er nun nach der ersten unwiderstehlichen Rührung, die ihm das Wiedersehen abgewann, sie verwirrt und in Angst auf einen Stuhl sinken sah, glaubte er mit Zuversicht, sich alles herausnehmen zu dürfen. Seine Zunge löste sich daher sehr bald. Er klagte sich alles dessen an, was vorgefallen war, heuchelte Reue, weinte, so viel es ihm gut dünkte, erzählte, wie viel Schmerz und Gram er ausgestanden, und dichtete sich ganz andere Seelenleiden an, als er bei seinen eklen Zerstreuungen empfunden haben konnte, kurz, er flehte um Verzeihung mit aller Beredsamkeit und Gewandtheit eines Venetianers und eines ausgemachten Schauspielers.
Consuelo war im ersten Augenblicke vom Tone seiner Stimme ergriffen und zugleich erschrocken mehr über ihre eigene Schwäche als über die Macht des Verführerischen, aber auch sie hatte seit vier Monaten mancherlei Betrachtungen angestellt, und sie gewann bald wieder so viel Klarheit des Blickes, dass sie in diesen Beteuerungen und in dieser feurigen Beredsamkeit nichts anderes erkannte, als was er ihr in den letzten Zeiten ihrer unglücklichen Verbindung schon wer weiß wie oft in Venedig geboten hatte. Sie fühlte sich verletzt, zu hören, dass er noch jetzt dieselben Schwüre und dieselben Bitten wiederholte, als ob nichts vorgefallen wäre seit jenen Zwistigkeiten, zu deren Zeit sie noch weit davon entfernt war, Anzoleto’s schändliches Betragen zu ahnen.
Entrüstet über solche Frechheit und über solche Rednerei, wo nichts an seiner Stelle war, als schamvolles Schweigen und Tränen der Reue, unterbrach sie seinen Redefluss, indem sie sich erhob und kalt entgegnete:
– Genug, Anzoleto! ich habe Ihnen längst verziehen und ich trage Ihnen nichts nach. Mein Unwille ist dem Mitleid gewichen, und mit meinen Leiden habe ich Ihre Schuld vergessen. Wir haben uns nichts weiter zu sagen. Ich danke Ihnen für die Regung des guten Herzens, die Sie veranlasst hat, Ihre Reise zu unterbrechen, um sich mit mir auszusöhnen. Meine Verzeihung war Ihnen zum Voraus gewährt, Sie sehen es. Leben Sie denn wohl und setzen Sie Ihre Reise fort.
– Ich reisen! dich verlassen, dich abermals verlieren! rief Anzoleto wirklich erschrocken. Nein, lieber heiße mich mir gleich das Leben nehmen! Nein, nie werde ich mich entschließen, ohne dich zu leben. Ich kann nicht, Consuelo! Ich habe es versucht, und ich habe gesehen, dass es mir unmöglich ist. Wo du nicht bist, ist für mich das Nichts. Mein abscheuwürdiger Ehrgeiz, meine jämmerliche Eitelkeit, denen ich vergebens meine Liebe opfern wollte, sind meine Marter und lassen mir keinen frohen Augenblick mehr. Dein Bild verfolgt mich überall. Die Erinnerung unseres Glückes, das so rein, so keusch, so köstlich war (und auch du, du selbst, wo könntest du ein gleiches finden?) o, es ist stets vor meinen Augen. Alle Trugbilder, nach denen ich haschte, ekeln mich nur an.
Consuelo, Consuelo! erinnere dich unserer lieben Nächte in Venedig, unseres Fahrzeugs, unserer Sterne, unsers unaufhörlichen Singens, deiner guten Lehren, unserer herzlichen Küsse, o! und deines Bettchens, auf dem ich allein schlief, während du deinen Rosenkranz auf der Terrasse betetest. Hab’ ich dich da nicht geliebt? Hat der Mann, der dir nie zu nahe trat, auch als du schlummertest und er bei dir allein war, hat er dir nicht bewiesen, dass er dich zu lieben fähig ist?
Wenn ich schändlich war bei den anderen, sage, war ich nicht gegen dich ein Engel? Und Gott weiß, was es mich kostete! O, vergiss das alles nicht! Du sagtest, dass du mich so liebtest, und nun hast du es vergessen. Und ich, der ich ein schändlicher Mensch, ein Bube, ein Ungeheuer bin, ich habe es keinen Augenblick vergessen können. Und ich will es nicht vergessen, obgleich du es dir so leicht und ohne Kummer aus dem Sinne schlägst. Du hast mich aber auch nie geliebt, wiewohl du eine Heilige bist; ich aber, ich bete dich an, wiewohl ich ein Teufel bin.
– Es kann sein, entgegnete Consuelo, durch den Ton von Wahrheit überrascht, mit dem er diese Worte sprach, dass Sie den Verlust des Glückes welches Sie mit Füßen traten jetzt aufrichtig bedauern. Es ist dies eine Züchtigung die Sie auf sich nehmen müssen, und die zu tragen ich Sie nicht verhindern darf. Ihr Glück hat sie verderbt, Anzoleto! ein wenig Schmerz wird Sie reinigen. Gehen Sie und gedenken Sie meiner, wenn Ihnen diese Zeit der Traurigkeit zum Heile dient. Wo nicht, so vergessen Sie mich, die ich nichts abzubüßen, und nichts gut zu machen habe.
– Ha! du hast ein Herz von Stahl! rief Anzoleto, durch ihre Ruhe überrascht und beleidigt. Aber denke nicht, dass du mich so hinwegjagen kannst. Es kann sein, dass meine Ankunft dich geniert, dass mein Hiersein dir beschwerlich ist. Ich weiß recht gut, dass du das Andenken unserer Liebe dem Ehrgeize nach Rang und Reichtum opfern willst.
Aber das soll nicht geschehen. Ich hänge mich an dich, und wenn du mich zu Boden trittst, so wirst du doch nicht ohne Kampf siegen. Ich werde dich an die Vergangenheit erinnern, ich werde dich erinnern in Gegenwart aller deiner jetzigen Freunde, wenn du mich dazu zwingst. Ich werde dich an das erinnern, was du mir am Kissen deiner sterbenden Mutter schworst und was du mir dann hundertmal wieder geschworen hast, auf ihrem Grabe und in den Kirchen, wann wir mitten unter der Menge dicht neben einander knieten, um die schöne Musik zu hören und leise miteinander zu flüstern. Ich werde dich allein, demütig, auf den Knien vor dir, an Dinge erinnern, die du anzuhören dich nicht weigern wirst, und tust du es doch, dann Wehe uns beiden!
Dann will ich in Gegenwart deines jetzigen Geliebten Dinge aufdecken, die er nicht weiß! Denn sie wissen nichts von dir, sie wissen nicht einmal, dass du Komödiantin warst. Nun wohl: sie sollen es von mir hören, und wir wollen doch sehen, ob der hochadlige Graf Albert wieder zur Vernunft kommen wird, wenn er dich einem Komödianten, deinem Freunde, deinesgleichen, deinem Verlobten, deinem Liebhaber streitig zu machen hat. Ha! treibe mich nicht zur Verzweiflung, Consuelo! oder …
– Drohungen! Zeigen Sie sich doch endlich wieder ganz, Anzoleto! sagte das Mädchen entrüstet. Fürwahr, ich sehe Sie lieber so, und ich weiß es Ihnen Dank, dass Sie die Maske abgelegt haben. Ja, Gott sei Dank! ich werde nun kein Leid mehr um Sie, kein Mitleid mehr mit Ihnen haben. Ich sehe, welche Galle in Ihrem Herzen, welche Niedrigkeit in Ihrer Seele, welcher Hass in Ihrem Lieben wohnt. Gehen Sie hin, kühlen Sie Ihren Grimm! Sie werden mir einen Dienst leisten. Aber wenn Sie nicht ebenso fertig im Verleumden sind als im Beleidigen, so werden Sie nichts zu sagen haben, worüber ich erröten müsste.
Mit diesem Worte ging sie zur Tür, öffnete sie und wollte sich hinausbegeben, als ihr plötzlich Graf Christian gegenüber stand. Beim Anblick dieses ehrwürdigen Greises, der Consuelo’s Hand küsste und dann mit Freundlichkeit und Würde näher trat, wich Anzoleto, der Consuelo nacheilte, um sie in Gutem oder Bösem festzuhalten, bestürzt zurück und ließ die Frechheit seiner Mienen fahren.