Читать книгу: «George Sand – Gesammelte Werke», страница 43

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Nach die­ser wun­der­li­chen Rede kehr­te ih­nen die arme Wences­la­wa, die über ihre ei­ge­ne Kühn­heit er­schrak, in Eile den Rücken und lief in ihr Zim­mer, wo sie eine Stun­de lang hus­te­te und wein­te.

3.

– Mei­ne Tan­te ist in ei­ner selt­sa­men Ge­müts­ver­fas­sung sag­te Al­bert zu Con­sue­lo, wäh­rend er mit ihr die Vor­trep­pe hin­auf­stieg. Ver­zei­hen Sie es ihr, lie­be Freun­din! ge­wiss, noch heu­te wird sie Be­neh­men und Spra­che än­dern.

– Mein Bru­ders sag­te Con­sue­lo, von der Nach­richt be­un­ru­higt, wel­che sie er­hal­ten hat­te, und ohne auf Al­ber­t’s Wor­te zu ach­ten.

– Ich wuss­te nicht, dass Sie einen Bru­der hät­ten, ver­setz­te Al­bert, dem die Hef­tig­keit sei­ner Tan­te mehr aus­ge­fal­len war als ihre Mit­tei­lung. Ohne Zwei­fel füh­len Sie sich glück­lich, ihn wie­der­zu­se­hen, und ich freue mich …

– Freu­en Sie sich nicht, Herr Graf! fiel Con­sue­lo ein, von ei­ner trü­ben Ah­nung er­grif­fen. Es be­rei­tet sich für mich viel­leicht ein großer Ver­druss, und …

Sie brach zit­ternd ab, denn sie hat­te es auf den Lip­pen, ihn um Rat und Schutz zu bit­ten, aber sie fürch­te­te, sich da­durch zu eng mit ihm ein­zu­las­sen, und da sie den, der sich mit Hil­fe ei­ner Lüge bei ihr ein­führ­te, we­der zu emp­fan­gen noch ab­zu­wei­sen wag­te, so fühl­te sie ihre Knie wan­ken und lehn­te sich bei der letz­ten Stu­fe an die Brüs­tung der Ram­pe.

– Fürch­ten Sie eine trau­ri­ge Nach­richt von Ih­rer Fa­mi­lie? frag­te sie Al­bert, des­sen Un­ru­he zu er­wa­chen an­fing.

– Ich habe kei­ne Fa­mi­lie, ant­wor­te­te Con­sue­lo, in­dem sie mit An­stren­gung wei­ter ging.

Sie hät­te fast ge­sagt: und kei­nen Bru­der, aber eine un­be­stimm­te Furcht hielt sie da­von zu­rück. Als sie durch den Spei­se­saal ging, hör­te sie die Stie­fel des Rei­sen­den, der un­ge­dul­dig auf und ab rann­te, auf dem Estrich knar­ren. Un­will­kür­lich dräng­te sie sich an den jun­gen Gra­fen und drück­te sei­nen Arm, in den sie den ih­ri­gen schlang, als hät­te, sie in sei­ner Lie­be Zuf­lucht ge­sucht vor der Trüb­sal, die, wie sie ahn­te, ihr be­vor­stand.

Al­bert, über­rascht von die­ser Be­we­gung, fühl­te sich von töd­li­cher Angst er­grif­fen.

– Ge­hen Sie nicht al­lein, sag­te er lei­se. Mei­ne Ah­nung, die mich nie trog, sagt mir, dass die­ser Bru­der Ihr und mein Feind ist. Es über­fährt mich kalt, als ob ich wen zu has­sen hät­te.

Con­sue­lo mach­te ih­ren Arm los, den Al­bert fest an sei­ne Brust press­te. Sie zit­ter­te bei dem Ge­dan­ken, dass er viel­leicht in eine die­ser selt­sa­men Fan­tasi­en ver­fal­len, einen die­ser un­er­schüt­ter­li­chen Ent­schlüs­se fas­sen könn­te, wo­von ihr Zden­ko’s mut­maß­li­cher Tod ein trau­ri­ges Bei­spiel gab.

– Nein! wir wol­len uns hier tren­nen, sag­te sie auf Deutsch (denn man konn­te sie aus dem an­sto­ßen­den Saa­le schon hö­ren). Ich habe au­gen­blick­lich nichts zu fürch­ten, aber wenn mir spä­ter­hin Ge­fahr dro­hen soll­te, Al­bert, rech­nen Sie dar­auf, dass ich zu Ih­nen mei­ne Zuf­lucht neh­me.

Al­bert gab mit pein­li­cher Angst und Wi­der­stre­ben nach. Aus Furcht, unz­art zu er­schei­nen, ge­trau­te er sich nicht, zu wi­der­spre­chen, aber er konn­te sich auch nicht ent­schlie­ßen, aus dem Saa­le zu wei­chen. Con­sue­lo, die sein Zö­gern be­merk­te, mach­te bei­de Saal­tü­ren im Ein­tre­ten hin­ter sich zu, da­mit er we­der se­hen noch hö­ren könn­te, was vor­gin­ge.

An­zo­le­to (denn er war es, sie hat­te es an sei­ner Frech­heit nur zu gut er­ra­ten und an sei­nem Trit­te nur zu gut er­kannt) hat­te sich dar­auf ge­fasst ge­macht, sie keck mit ei­ner brü­der­li­chen Umar­mung in Ge­gen­wart von Zeu­gen zu emp­fan­gen. Als er sie al­lein ein­tre­ten sah, bleich, aber kalt und streng, ver­lor er den Mut und warf sich stot­ternd ihr zu Fü­ßen. Er brauch­te Freu­de und Zärt­lich­keit nicht zu heu­cheln. Wirk­lich und hef­tig fühl­te er bei­des, als er sie wie­der­sah, die er un­ge­ach­tet sei­nes Ver­ra­tes nicht zu lie­ben auf­ge­hört hat­te. Er wein­te bit­ter­lich, und da sie ihn ihre Hän­de nicht er­grei­fen las­sen woll­te, be­deck­te er den Saum ih­res Klei­des mit Küs­sen und mit Trä­nen.

Con­sue­lo war nicht dar­auf ge­fasst, ihn so zu fin­den. Seit vier Mo­na­ten hat­te sie ihn sich vor­ge­stellt, wie er sich ihr in der Nacht ih­res Bru­ches ge­zeigt hat­te, bit­ter, höh­nisch, der ver­ächt­lichs­te der Men­schen. Und noch die­sen Mor­gen hat­te sie ihn frech und mit fast cy­ni­scher Nach­läs­sig­keit auf­tre­ten se­hen. Und nun lag er zu ih­ren Fü­ßen, de­mü­tig, reue­voll, in Trä­nen ge­ba­det, wie an den stür­mi­schen Ta­gen ih­rer ver­lieb­ten Aussöh­nun­gen, schö­ner als je­mals; denn sei­ne Rei­se­klei­dung, ein we­nig ge­mein, aber sau­ber, stand ihm sehr gut, und sei­ne von der Rei­se ge­bräun­ten Züge hat­ten et­was Männ­li­che­res an­ge­nom­men.

Zit­ternd wie die Tau­be, auf wel­che der Ha­bicht her­ab­stürzt, muss­te sie sich nie­der­set­zen und ihr Ge­sicht in den Hän­den ver­ber­gen, um sich dem Zau­ber sei­nes Blickes zu ent­zie­hen. An­zo­le­to hielt dies für eine Hand­lung der Scham und wur­de dreis­ter; sei­ne schlech­te Ge­sin­nung tauch­te schnell wie­der auf und ver­wisch­te die un­schul­di­ge Re­gung sei­nes, ers­ten Ent­zückens.

Als er von Ve­ne­dig ent­floh und dem Ekel zu ent­rin­nen such­te, mit dem sich sein Las­ter­le­ben straf­te, hat­te er an wei­ter nichts ge­dacht, als sein Glück zu su­chen; aber er hat­te da­bei im Stil­len doch den Wunsch und die Hoff­nung nicht auf­ge­ge­ben, sei­ne ge­lieb­te Con­sue­lo wie­der zu fin­den. Ein so glän­zen­des Ta­lent konn­te sei­ner Mei­nung nach nicht lan­ge ver­bor­gen blei­ben und er hat­te sich über­all auf Kund­schaft ge­legt, in­dem er sei­ne Wir­te, Füh­rer oder die Rei­sen­den, mit de­nen er zu­sam­men­traf, aus­frag­te.

In Wien hat­te er Ita­lie­ner von Di­stink­ti­on ken­nen ge­lernt, de­nen er sei­nen Streich und sei­ne Flucht ver­riet. Sie hat­ten ihm den Rat ge­ge­ben, sich ent­fernt von Ve­ne­dig zu­hal­ten, bis Graf Zus­ti­nia­ni ihm den Pos­sen ver­ge­ben oder ver­ges­sen ha­ben wür­de; sie hat­ten ihm ver­spro­chen, sich selbst dar­um zu ver­wen­den und ihm Emp­feh­lungs­brie­fe für Prag, Dres­den und Ber­lin ge­ge­ben. Als er bei Rie­sen­burg vor­über­kam, hat­te er nicht dar­an ge­dacht, sei­nen Füh­rer ge­nau­er zu be­fra­gen; aber als er nach ei­ner Stun­de schar­fen Rit­tes an­hielt, um die Pfer­de ver­schnau­fen zu las­sen, nahm er das Ge­spräch wie­der auf und er­kun­dig­te sich um­ständ­li­cher nach der Ge­gend und ih­ren Be­woh­nern.

Na­tür­lich er­zähl­te ihm der Füh­rer so­gleich von den Her­ren von Ru­dol­stadt, von ih­rer auf­fal­len­den Le­bens­wei­se, von den Wun­der­lich­kei­ten des Gra­fen Al­bert, des­sen Ver­rückt­heit jetzt kein Ge­heim­nis mehr war, be­son­ders seit ihm der Doc­tor Wet­ze­li­us sei­nen Groll nachtrug. Auch un­ter­ließ der Füh­rer nicht, zur Ver­voll­stän­di­gung der Klatsch-Chro­nik die Ge­schich­te zu über­lie­fern, wie Graf Al­bert sei­nen Narr­hei­ten die Kro­ne auf­ge­setzt habe, in­dem er sei­ne edle Cou­si­ne, das schö­ne Freifräu­lein Ama­lie von Ru­dol­stadt, nicht hei­ra­ten woll­te, um sich eine Aben­teu­re­rin an den Hals zu hän­gen, die nur ziem­lich hübsch wäre, in die sich aber alle Welt ver­lieb­te, wenn sie sän­ge, weil sie eine au­ßer­or­dent­li­che Stim­me hät­te.

Die­se bei­den Um­stän­de pass­ten zu gut auf Con­sue­lo, als dass un­ser Rei­sen­der nicht hät­te nach dem Na­men der Aben­teu­re­rin fra­gen sol­len, und als er hör­te, dass sie Por­po­ri­na hie­ße, zwei­fel­te er nicht län­ger. Sporn­streichs kehr­te er um, und nach­dem er in Eile Vor­wand und Ti­tel aus­ge­dacht hat­te, un­ter de­nen er sich in die­ses so wohl ver­wahr­te Schloss ein­füh­ren könn­te, lock­te er aus sei­nem Füh­rer noch ein Paar Klät­sche­rei­en her­aus. Aus dem Ge­schwät­ze die­ses Men­schen ent­nahm er die Ge­wiss­heit, dass Con­sue­lo einst­wei­len die Maitres­se des jun­gen Gra­fen wäre, der sie hei­ra­ten soll­te, denn sie hät­te, sag­te man, die gan­ze Fa­mi­lie be­hext, und an­statt sie weg­zu­ja­gen, wie sie es ver­dien­te, be­geg­ne­te man ihr im Hau­se mit ei­ner Ach­tung und Zu­vor­kom­men­heit, wie nicht ein­mal dem Fräu­lein Ama­lie.

Die­se Um­stän­de reiz­ten An­zo­le­to eben so sehr und viel­leicht noch stär­ker als die An­häng­lich­keit, die er Con­sue­lo wirk­lich be­wahr­te. Er hat­te sich oft zu­rück­ge­sehnt in das süße Le­ben, das sie ihm be­rei­tet hat­te, er hat­te wohl ge­fühlt, dass ihm mit dem Ver­lust ih­res Ra­tes und ih­rer An­wei­sung sei­ne mu­si­ka­li­sche Zu­kunft ver­lo­ren oder doch auf lan­ge hin ver­küm­mert war, kurz, es zog ihn eine Lie­be zu ihr hin, die ei­gen­nüt­zig, auf­rich­tig und un­über­wind­lich zu­gleich war.

Zu dem al­len aber ge­sell­te sich die Ver­su­chung sei­ner Ei­tel­keit, Con­sue­lo ei­nem rei­chen und ade­li­gen Lieb­ha­ber strei­tig zu ma­chen, sie ei­ner glän­zen­den Ver­bin­dung zu ent­rei­ßen und sich den Ruf im Lan­de und in der Welt zu ma­chen, dass ein so reich­be­gab­tes Mäd­chen lie­ber mit ihm auf Aben­teu­er aus­ge­hen als Grä­fin und Burg­frau wer­den woll­te. Er konn­te es da­her nicht satt krie­gen, sich von sei­nem Füh­rer im­mer wie­der er­zäh­len zu las­sen, was für eine stol­ze Rol­le die Por­po­ri­na auf Rie­sen­burg spie­le, und kit­zel­te sich mit der kin­di­schen Hoff­nung, dass die­ser sel­be Mensch al­len Rei­sen­den, die nach ihm des We­ges kämen, er­zäh­len wür­de, wie ein schö­ner jun­ger Ge­sell im Ga­lopp in die un­gast­li­che Rie­sen­burg ein­ge­rit­ten wäre, von dem es hei­ßen müss­te: er kam, sah und sieg­te, denn nach ei­ni­gen Stun­den oder nach ei­ni­gen Ta­gen wäre es wie­der her­aus­ge­kom­men und hät­te die Per­le der Sän­ge­rin­nen dem hoch­ge­bor­nen und gnä­di­gen Herrn Gra­fen von Ru­dol­stadt vor der Nase hin­weg­ge­führt.

Bei die­sem Ge­dan­ken drück­te er sei­nem Pfer­de die Spo­ren in die Sei­ten und lach­te so laut, dass sein Füh­rer bei sich dach­te, es käme wol noch dar­auf an, wer von bei­den der Ver­rück­te wäre, die­ser Rei­sen­de oder der Graf Al­bert.

Das Stifts­fräu­lein emp­fing ihn mit Miss­trau­en, woll­te ihn aber doch nicht ab­wei­sen, denn sie hoff­te, dass er viel­leicht sei­ne vor­geb­li­che Schwes­ter mit hin­weg­neh­men möch­te. Er hör­te, dass Con­sue­lo spa­zie­ren ge­gan­gen war, und wur­de ver­drieß­lich. Man schick­te ihm Früh­stück und er frag­te die Be­dien­ten aus. Ei­ner von die­sen ver­stand ein Paar Wor­te Ita­lie­nisch und sag­te ihm, ohne sich et­was Bö­ses da­bei zu den­ken, er hät­te die Si­gno­ra mit dem jun­gen Gra­fen drau­ßen auf den Ber­gen ge­se­hen.

An­zo­le­to fürch­te­te im ers­ten Au­gen­bli­cke, Con­sue­lo stolz und kalt zu fin­den. Er sag­te sich: wenn sie nichts wei­ter wäre als die ehr­ba­re Braut des Soh­nes vom Hau­se, so wür­de sie ge­wiss die stol­ze Mie­ne ei­ner Per­son zei­gen, die ihre Stel­lung fühlt; wäre sie aber schon sei­ne Maitres­se, so wür­de sie we­ni­ger Si­cher­heit ver­ra­ten und vor ei­nem al­ten Freun­de, der ihr das Spiel ver­der­ben könn­te, zit­tern. War sie noch un­schul­dig, so war der Sieg schwe­rer, dann aber de­sto ruhm­voller; war sie ge­fal­len, so stand die Sa­che um­ge­kehrt. In bei­den Fäl­len lag die Sa­che so, dass sich et­was un­ter­neh­men oder et­was hof­fen ließ.

An­zo­le­to war zu schlau, um nicht zu mer­ken, dass der lan­ge Spa­zier­gang der Por­po­ri­na mit ih­rem Nef­fen das Stifts­fräu­lein miss­lau­nig und un­ru­hig mach­te. Den al­ten Gra­fen hat­te er noch nicht ge­se­hen und so konn­te er den­ken, dass der Füh­rer viel­leicht übel un­ter­rich­tet war, dass die Lie­be, des jun­gen Gra­fen zu der Aben­teu­re­rin von der Fa­mi­lie mit Be­sorg­nis und mit Miss­ver­gnü­gen an­ge­se­hen wäre und dass Con­sue­lo vor ih­rem ers­ten Lieb­ha­ber die Au­gen nie­der­schla­gen wür­de.

Nach vier töd­lich lan­gen Stun­den, die er war­ten muss­te, und die er zu man­cher­lei Be­trach­tun­gen an­wen­de­te, hielt sich An­zo­le­to, da er nicht die Sit­ten­rein­heit be­saß, um in sol­chem Fal­le das Bes­te zu den­ken, für voll­kom­men über­zeugt, dass Con­sue­lo und sein Ne­ben­buh­ler nicht so lan­ge al­lein mit­ein­an­der sein wür­den, wenn nicht be­reits eine un­be­schränk­te Ver­trau­lich­keit zwi­schen ih­nen statt­fän­de.

Dies mach­te ihn dreis­ter, und er war mit sich ei­nig, sie voll­kom­men furcht­los zu er­war­ten, und als er nun nach der ers­ten un­wi­der­steh­li­chen Rüh­rung, die ihm das Wie­der­se­hen ab­ge­wann, sie ver­wirrt und in Angst auf einen Stuhl sin­ken sah, glaub­te er mit Zu­ver­sicht, sich al­les her­aus­neh­men zu dür­fen. Sei­ne Zun­ge lös­te sich da­her sehr bald. Er klag­te sich al­les des­sen an, was vor­ge­fal­len war, heu­chel­te Reue, wein­te, so viel es ihm gut dünk­te, er­zähl­te, wie viel Schmerz und Gram er aus­ge­stan­den, und dich­te­te sich ganz an­de­re See­len­lei­den an, als er bei sei­nen eklen Zer­streu­un­gen emp­fun­den ha­ben konn­te, kurz, er fleh­te um Ver­zei­hung mit al­ler Be­red­sam­keit und Ge­wandt­heit ei­nes Ve­ne­tia­ners und ei­nes aus­ge­mach­ten Schau­spie­lers.

Con­sue­lo war im ers­ten Au­gen­bli­cke vom Tone sei­ner Stim­me er­grif­fen und zu­gleich er­schro­cken mehr über ihre ei­ge­ne Schwä­che als über die Macht des Ver­füh­re­ri­schen, aber auch sie hat­te seit vier Mo­na­ten man­cher­lei Be­trach­tun­gen an­ge­stellt, und sie ge­wann bald wie­der so viel Klar­heit des Blickes, dass sie in die­sen Be­teue­run­gen und in die­ser feu­ri­gen Be­red­sam­keit nichts an­de­res er­kann­te, als was er ihr in den letz­ten Zei­ten ih­rer un­glück­li­chen Ver­bin­dung schon wer weiß wie oft in Ve­ne­dig ge­bo­ten hat­te. Sie fühl­te sich ver­letzt, zu hö­ren, dass er noch jetzt die­sel­ben Schwü­re und die­sel­ben Bit­ten wie­der­hol­te, als ob nichts vor­ge­fal­len wäre seit je­nen Zwis­tig­kei­ten, zu de­ren Zeit sie noch weit da­von ent­fernt war, An­zo­le­to’s schänd­li­ches Be­tra­gen zu ah­nen.

Ent­rüs­tet über sol­che Frech­heit und über sol­che Red­ne­rei, wo nichts an sei­ner Stel­le war, als scham­voll­es Schwei­gen und Trä­nen der Reue, un­ter­brach sie sei­nen Re­de­fluss, in­dem sie sich er­hob und kalt ent­geg­ne­te:

– Ge­nug, An­zo­le­to! ich habe Ih­nen längst ver­zie­hen und ich tra­ge Ih­nen nichts nach. Mein Un­wil­le ist dem Mit­leid ge­wi­chen, und mit mei­nen Lei­den habe ich Ihre Schuld ver­ges­sen. Wir ha­ben uns nichts wei­ter zu sa­gen. Ich dan­ke Ih­nen für die Re­gung des gu­ten Her­zens, die Sie ver­an­lasst hat, Ihre Rei­se zu un­ter­bre­chen, um sich mit mir aus­zu­söh­nen. Mei­ne Ver­zei­hung war Ih­nen zum Voraus ge­währt, Sie se­hen es. Le­ben Sie denn wohl und set­zen Sie Ihre Rei­se fort.

– Ich rei­sen! dich ver­las­sen, dich aber­mals ver­lie­ren! rief An­zo­le­to wirk­lich er­schro­cken. Nein, lie­ber hei­ße mich mir gleich das Le­ben neh­men! Nein, nie wer­de ich mich ent­schlie­ßen, ohne dich zu le­ben. Ich kann nicht, Con­sue­lo! Ich habe es ver­sucht, und ich habe ge­se­hen, dass es mir un­mög­lich ist. Wo du nicht bist, ist für mich das Nichts. Mein ab­scheu­wür­di­ger Ehr­geiz, mei­ne jäm­mer­li­che Ei­tel­keit, de­nen ich ver­ge­bens mei­ne Lie­be op­fern woll­te, sind mei­ne Mar­ter und las­sen mir kei­nen fro­hen Au­gen­blick mehr. Dein Bild ver­folgt mich über­all. Die Erin­ne­rung un­se­res Glückes, das so rein, so keusch, so köst­lich war (und auch du, du selbst, wo könn­test du ein glei­ches fin­den?) o, es ist stets vor mei­nen Au­gen. Alle Trug­bil­der, nach de­nen ich hasch­te, ekeln mich nur an.

Con­sue­lo, Con­sue­lo! er­in­ne­re dich un­se­rer lie­ben Näch­te in Ve­ne­dig, un­se­res Fahr­zeugs, un­se­rer Ster­ne, un­sers un­auf­hör­li­chen Sin­gens, dei­ner gu­ten Leh­ren, un­se­rer herz­li­chen Küs­se, o! und dei­nes Bett­chens, auf dem ich al­lein schlief, wäh­rend du dei­nen Ro­sen­kranz auf der Ter­ras­se be­te­test. Hab’ ich dich da nicht ge­liebt? Hat der Mann, der dir nie zu nahe trat, auch als du schlum­mer­test und er bei dir al­lein war, hat er dir nicht be­wie­sen, dass er dich zu lie­ben fä­hig ist?

Wenn ich schänd­lich war bei den an­de­ren, sage, war ich nicht ge­gen dich ein En­gel? Und Gott weiß, was es mich kos­te­te! O, ver­giss das al­les nicht! Du sag­test, dass du mich so lieb­test, und nun hast du es ver­ges­sen. Und ich, der ich ein schänd­li­cher Mensch, ein Bube, ein Un­ge­heu­er bin, ich habe es kei­nen Au­gen­blick ver­ges­sen kön­nen. Und ich will es nicht ver­ges­sen, ob­gleich du es dir so leicht und ohne Kum­mer aus dem Sin­ne schlägst. Du hast mich aber auch nie ge­liebt, wie­wohl du eine Hei­li­ge bist; ich aber, ich bete dich an, wie­wohl ich ein Teu­fel bin.

– Es kann sein, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, durch den Ton von Wahr­heit über­rascht, mit dem er die­se Wor­te sprach, dass Sie den Ver­lust des Glückes wel­ches Sie mit Fü­ßen tra­ten jetzt auf­rich­tig be­dau­ern. Es ist dies eine Züch­ti­gung die Sie auf sich neh­men müs­sen, und die zu tra­gen ich Sie nicht ver­hin­dern darf. Ihr Glück hat sie ver­derbt, An­zo­le­to! ein we­nig Schmerz wird Sie rei­ni­gen. Ge­hen Sie und ge­den­ken Sie mei­ner, wenn Ih­nen die­se Zeit der Trau­rig­keit zum Hei­le dient. Wo nicht, so ver­ges­sen Sie mich, die ich nichts ab­zu­bü­ßen, und nichts gut zu ma­chen habe.

– Ha! du hast ein Herz von Stahl! rief An­zo­le­to, durch ihre Ruhe über­rascht und be­lei­digt. Aber den­ke nicht, dass du mich so hin­weg­ja­gen kannst. Es kann sein, dass mei­ne An­kunft dich ge­niert, dass mein Hier­sein dir be­schwer­lich ist. Ich weiß recht gut, dass du das An­den­ken un­se­rer Lie­be dem Ehr­gei­ze nach Rang und Reich­tum op­fern willst.

Aber das soll nicht ge­sche­hen. Ich hän­ge mich an dich, und wenn du mich zu Bo­den trittst, so wirst du doch nicht ohne Kampf sie­gen. Ich wer­de dich an die Ver­gan­gen­heit er­in­nern, ich wer­de dich er­in­nern in Ge­gen­wart al­ler dei­ner jet­zi­gen Freun­de, wenn du mich dazu zwingst. Ich wer­de dich an das er­in­nern, was du mir am Kis­sen dei­ner ster­ben­den Mut­ter schworst und was du mir dann hun­dert­mal wie­der ge­schwo­ren hast, auf ih­rem Gra­be und in den Kir­chen, wann wir mit­ten un­ter der Men­ge dicht ne­ben ein­an­der knie­ten, um die schö­ne Mu­sik zu hö­ren und lei­se mit­ein­an­der zu flüs­tern. Ich wer­de dich al­lein, de­mü­tig, auf den Kni­en vor dir, an Din­ge er­in­nern, die du an­zu­hö­ren dich nicht wei­gern wirst, und tust du es doch, dann Wehe uns bei­den!

Dann will ich in Ge­gen­wart dei­nes jet­zi­gen Ge­lieb­ten Din­ge auf­de­cken, die er nicht weiß! Denn sie wis­sen nichts von dir, sie wis­sen nicht ein­mal, dass du Ko­mö­di­an­tin warst. Nun wohl: sie sol­len es von mir hö­ren, und wir wol­len doch se­hen, ob der hoch­ad­li­ge Graf Al­bert wie­der zur Ver­nunft kom­men wird, wenn er dich ei­nem Ko­mö­di­an­ten, dei­nem Freun­de, dei­nes­glei­chen, dei­nem Ver­lob­ten, dei­nem Lieb­ha­ber strei­tig zu ma­chen hat. Ha! trei­be mich nicht zur Verzweif­lung, Con­sue­lo! oder …

– Dro­hun­gen! Zei­gen Sie sich doch end­lich wie­der ganz, An­zo­le­to! sag­te das Mäd­chen ent­rüs­tet. Für­wahr, ich sehe Sie lie­ber so, und ich weiß es Ih­nen Dank, dass Sie die Mas­ke ab­ge­legt ha­ben. Ja, Gott sei Dank! ich wer­de nun kein Leid mehr um Sie, kein Mit­leid mehr mit Ih­nen ha­ben. Ich sehe, wel­che Gal­le in Ihrem Her­zen, wel­che Nied­rig­keit in Ih­rer See­le, wel­cher Hass in Ihrem Lie­ben wohnt. Ge­hen Sie hin, küh­len Sie Ihren Grimm! Sie wer­den mir einen Dienst leis­ten. Aber wenn Sie nicht eben­so fer­tig im Ver­leum­den sind als im Be­lei­di­gen, so wer­den Sie nichts zu sa­gen ha­ben, wor­über ich er­rö­ten müss­te.

Mit die­sem Wor­te ging sie zur Tür, öff­ne­te sie und woll­te sich hin­aus­be­ge­ben, als ihr plötz­lich Graf Chris­ti­an ge­gen­über stand. Beim An­blick die­ses ehr­wür­di­gen Grei­ses, der Con­sue­lo’s Hand küss­te und dann mit Freund­lich­keit und Wür­de nä­her trat, wich An­zo­le­to, der Con­sue­lo nach­eil­te, um sie in Gu­tem oder Bö­sem fest­zu­hal­ten, be­stürzt zu­rück und ließ die Frech­heit sei­ner Mie­nen fah­ren.

94,80 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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