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7.

So­bald Con­sue­lo einen güns­ti­gen Au­gen­blick fand, ver­ließ sie den Saal und eil­te in den Gar­ten. Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, und matt blitz­ten die ers­ten Ster­ne freund­lich an dem Him­mel, der im Wes­ten noch ro­sen­rot aber im Os­ten schon schwarz war. Die jun­ge Künst­le­rin such­te in der rei­nen, fri­schen Luft der ers­ten Herb­sta­ben­de Ruhe zu trin­ken. Ihre Brust war von süßem Seh­nen be­klom­men, und doch fühl­te sie Ge­wis­sens­bis­se, und bot ih­rem Wil­len zu Hil­fe alle Kräf­te ih­rer See­le auf. Sie hät­te zu sich sa­gen kön­nen: soll ich denn nie er­fah­ren, ob ich lie­be, ob ich has­se?

Sie zit­ter­te als ob sie fühl­te, dass ihr Mut in der schwers­ten Ent­schei­dungs­stun­de ih­res Le­bens von ihr wi­che, und zum ers­ten Male ver­miss­te sie in sich jene Si­cher­heit des ers­ten Ge­füh­les, je­nes hei­li­ge Ver­trau­en auf ih­ren gu­ten Wil­len, wel­ches sie bis­her in al­len Prü­fun­gen auf­recht er­hal­ten hat­te. Sie hat­te den Saal ver­las­sen, um sich dem Zau­ber zu ent­zie­hen, wo­mit An­zo­le­to sie um­strick­te, und doch hat­te sie et­was wie einen Wunsch, dass er ihr fol­gen möch­te, in sich ge­spürt. Das Laub fing an zu fal­len. Wenn es hin­ter ihr am Sau­me ih­res Klei­des ras­sel­te, glaub­te sie Schrit­te hin­ter sich zu hö­ren, und Wil­lens zu flie­hen, und ohne Mut sich um­zu­schau­en, blieb sie wie durch Zau­ber an ih­ren Fleck ge­bannt.

Es folg­te ihr wirk­lich je­mand, der sich aber nicht zu zei­gen wag­te, noch sich zei­gen woll­te: es war Al­bert. Al­len je­nen klei­nen Ver­stel­lun­gen fremd, die man An­stand nennt, und sich in der Grö­ße sei­ner Lie­be über jede falsche Scham er­ha­ben füh­lend, hat­te er gleich nach ihr den Saal ver­las­sen, um zu ih­rem Schut­ze be­reit zu sein und ih­ren Ver­füh­rer von ihr fern zu hal­ten.

An­zo­le­to hat­te die­sen nai­ven Ei­fer wohl be­merkt, aber ohne sich da­durch be­un­ru­hi­gen zu las­sen. Con­sue­lo’s Ver­wir­rung war ihm nicht ent­gan­gen, und er glaub­te sei­nes Sie­ges ge­wiss zu sein. Er war durch sei­ne Ge­wohn­heit leicht zu sie­gen, ein vollen­de­ter Fant ge­wor­den und wuss­te, dass man die Sa­chen nicht brüs­kie­ren darf: er nahm sich vor, sei­ne Ge­lieb­te nicht mehr wild und die Fa­mi­lie nicht mehr scheu zu ma­chen.

– Es ist nicht mehr nö­tig, mich so sehr zu be­ei­len, sag­te er. Der Zorn könn­te ihr neue Kräf­te ge­ben. Ich stel­le mich trau­rig und nie­der­ge­schla­gen, so wird der Rest ih­res Un­wil­lens ge­gen mich ver­schwin­den. Sie hat einen stol­zen Geist; man muss den An­griff auf ihre Sin­ne rich­ten. Sie ist ge­wiss nicht mehr so sprö­de als in Ve­ne­dig, sie hat sich hier zi­vi­li­siert. Was tut es, wenn mein Ne­ben­buh­ler noch einen Tag län­ger der Glück­li­che ist? Mor­gen ist sie mein, viel­leicht schon heu­te Nacht. Es wird sich zei­gen. Ich darf sie nur nicht durch Furcht zu ei­nem ver­zwei­fel­ten Ent­schlus­se trei­ben. Sie hat mich ih­nen nicht ver­ra­ten. Sei es Mit­leid, oder Furcht, sie hat mich in mei­ner Bru­der­rol­le nicht ge­stört, und die ho­hen Ver­wand­ten schei­nen ent­schlos­sen, mich trotz al­ler mei­ner Dumm­hei­ten ih­ret­we­gen zu er­tra­gen. Ich will doch den Kriegs­plan än­dern. Ich bin schnel­ler vor­wärts ge­kom­men als ich dach­te. Ich kann nun schon ein­mal Halt ma­chen.

Der Graf Chris­ti­an, das Stifts­fräu­lein und der Ka­plan sa­hen ihn nun zu ih­rem großen Er­stau­nen ganz höf­lich und ge­sit­tet, be­schei­den und zu­vor­kom­mend wer­den. Er war so ge­schickt, sich ge­gen den Ka­plan ganz lei­se über star­kes Kopf­weh zu be­kla­gen, und da­bei zu be­mer­ken, dass er sonst im­mer sehr mä­ßig sei und dass da­her der Un­gar­wein, dem er bei Ti­sche nicht so viel zu­ge­traut hät­te, ihm zu Kop­fe ge­stie­gen wäre. Au­gen­blick­lich war die­ses Ge­ständ­nis ins Deut­sche über­setzt dem Stifts­fräu­lein und dem Gra­fen mit­ge­teilt, wel­cher letz­te­re die­se Art Ent­schul­di­gung mit be­reit­wil­li­ger Güte an­nahm.

Wences­la­wa war An­fangs we­ni­ger nach­sich­tig, aber die Mühe wel­che sich der Ko­mö­di­ant gab, sich ihr ar­tig zu be­wei­sen, die Ehr­furcht wel­che er für die Vor­zü­ge des Adels ge­schickt an den Tag zu le­gen wuss­te, die Be­wun­de­rung wel­che er der im Schlos­se herr­schen­den Ord­nung zoll­te, ent­waff­ne­ten als­bald die­se men­schen­freund­li­che und kei­nes an­hal­ten­den Grol­les fä­hi­ge See­le. Sie hör­te ihm zu­erst nur zu, weil sie eben nichts an­de­res zu tun hat­te; bald aber ver­tief­te sie sich in das Ge­spräch mit ihm und kam zu­letzt mit ih­rem Bru­der über­ein, dass es doch ein ganz präch­ti­ger, al­ler­liebs­ter jun­ger Mensch wäre.

Als Con­sue­lo von ih­rem Spa­zier­gan­ge zu­rück­kam, war eine Stun­de ver­flos­sen, die sich An­zo­le­to gut zu Nut­ze ge­macht hat­te. Er hat­te die Fa­mi­lie so voll­stän­dig mit sich aus­ge­söhnt, dass er über­zeugt war, so vie­le Tage im Schlos­se blei­ben zu kön­nen, als er zur Er­rei­chung sei­nes Zweckes nö­tig ha­ben wür­de. Er ver­stand nicht was der alte Graf zu Con­sue­lo auf Deutsch sag­te, aber er er­riet aus des­sen Bli­cken die auf ihn ge­rich­tet wa­ren und aus der über­rasch­ten und ver­le­ge­nen Mie­ne des Mäd­chens, dass ihm Chris­ti­an große Lob­sprü­che ge­zollt und sie ein we­nig ge­schol­ten habe, dass sie ei­nem so lie­bens­wür­di­gen Bru­der so we­nig Auf­merk­sam­keit schen­ke.

– Nun, Si­gno­ra, sag­te das Stifts­fräu­lein, das bei al­ler Ab­nei­gung ge­gen die Por­po­ri­na, doch nicht um­hin konn­te ihr wohl zu wol­len und au­ßer­dem eine Chris­ten­pflicht zu er­fül­len glaub­te, Sie wa­ren bei Ti­sche böse auf Ihren Bru­der und die Wahr­heit zu sa­gen, er ver­dien­te es da in der Tat. Aber er ist doch bes­ser als er uns zu­erst schi­en. Er hat Sie zärt­lich lieb und sprach von Ih­nen im­mer­fort mit al­ler Lie­be und so­gar mit großer Ach­tung. Sie müs­sen nun nicht stren­ger sein als wir. Ich bin es über­zeugt, er weiß es jetzt, dass er bei Ti­sche zu viel ge­trun­ken hat­te, er ist jetzt ganz trost­los dar­über, be­son­ders Ihret­we­gen. Re­den Sie doch mit ihm und tun Sie nicht so kalt ge­gen einen, der Ih­nen von Sei­ten des Blu­tes so nahe steht. Ich zum Bei­spiel, se­hen Sie, mein Bru­der Fried­rich der in sei­ner Ju­gend ein ge­wal­ti­ger Trotz­kopf war, hat mich oft schwer ge­är­gert, aber ich konn­te doch kei­ne Stun­de mit ihm böse blei­ben.

Con­sue­lo, wel­che den Irr­tum der gu­ten Dame we­der be­fes­ti­gen noch zer­stö­ren woll­te, stand wie an­ge­wur­zelt bei die­sem neu­en An­griff An­zo­le­to’s, denn sie be­griff so­gleich, wie ge­schickt er an­ge­legt war und wie wirk­sam er sein muss­te.

– Sie ver­ste­hen nicht was mei­ne Schwes­ter sag­te, be­lehr­te Chris­ti­an den jun­gen Mann, ich will es Ih­nen in zwei Wor­ten über­set­zen. Sie macht der Con­sue­lo Vor­wür­fe dar­über, dass sie mit Ih­nen zu sehr die klei­ne Mama spielt, und ich bin auch über­zeugt, dass Con­sue­lo vor Ver­lan­gen brennt, Frie­den zu schlie­ßen: Nun um­armt euch, Kin­der! Auf, jun­ger Mann, an Ih­nen ist es den ers­ten Schritt zu tun, und wenn Sie von frü­her her Man­ches bei ihr gut zu ma­chen ha­ben, wohl­an, ein of­fe­nes Ge­ständ­nis, da­mit sie es Ih­nen ver­zei­he!

An­zo­le­to ließ es sich nicht zwei­mal sa­gen; er er­griff Con­sue­lo’s zit­tern­de Hand, die sie nicht zu­rück­zu­zie­hen wag­te, und sprach:

– Ja­wohl, ich habe sehr viel ge­gen sie gut zu ma­chen, und mei­ne Reue ist so groß, dass alle mei­ne An­stren­gun­gen, mich dar­über hin­aus zu set­zen, nichts fruch­te­ten, als mir nur im­mer mehr das Herz zu bre­chen. Sie weiß es wohl, und wenn sie nicht von Stahl und Ei­sen wäre, stolz wie die Stär­ke selbst und un­er­bitt­lich wie die Tu­gend in Per­son, so wür­de sie ein­se­hen, dass ich durch mei­ne Ge­wis­sens­bis­se schon ge­nug be­straft bin. Schwes­ter, o ver­gib mir doch, und habe mich wie­der lieb; oder ich will auf der Stel­le ab­rei­sen und mei­ne Verzweif­lung, mein Al­lein­sein, mei­ne Verödung über die gan­ze Erde schlep­pen. Über­all fremd, ohne Stüt­ze, ohne Rat, ohne Lie­be, wer­de ich an kei­nen Gott mehr glau­ben und mei­ne Ver­ir­rung wird auf dein Haupt zu­rück­fal­len.

Die­se Ho­me­lie rühr­te den Gra­fen sehr und press­te dem Stifts­fräu­lein Trä­nen aus.

– Sie hö­ren es, Por­po­ri­na! rief die letz­te­re; was er Ih­nen sagt ist sehr schön und sehr wahr. Herr Ka­plan, Sie müs­sen der Si­gno­ra im Na­men der Re­li­gi­on be­feh­len, sich mit ih­rem Bru­der aus­zu­söh­nen.

Der Ka­plan mach­te Mie­ne zu ge­hor­chen. An­zo­le­to war­te­te aber die Pre­digt nicht ab, son­dern um­fass­te Con­sue­lo un­ge­ach­tet ih­res Schre­ckens und ih­res Sträu­bens und küss­te sie mit Lei­den­schaft und zu großer Er­bau­ung der Ver­samm­lung ins Ge­sicht. Con­sue­lo konn­te in ih­rer Ent­rüs­tung zu dem un­ver­schäm­ten Be­tru­ge nicht län­ger schwei­gen.

– Halt! rief sie. Hö­ren Sie mich an, Herr Graf! …

Sie war im Be­griff, al­les zu ent­de­cken, als Al­bert er­schi­en. Im Au­gen­bli­cke stieg ihr der Ge­dan­ke an Zden­ko auf und ihr zum Über­strö­men vol­les Herz er­starr­te vor Furcht. Ihr un­er­bitt­li­cher Be­schüt­zer konn­te den Ge­dan­ken fas­sen, sie ge­räusch­los, un­be­denk­lich von dem Fein­de zu be­frei­en, ge­gen den sie im Be­griff war sei­ne Hil­fe an­zu­ru­fen. Sie er­bleich­te, sah An­zo­le­to mit ei­nem schmerz­li­chen, vor­wurfs­vol­len Bli­cke an und das Wort erstarb auf ih­ren Lip­pen.

Punkt sie­ben Uhr setz­te man sich zum Abend­ti­sche. Wenn der Ge­dan­ke an die­se häu­fi­gen Mahl­zei­ten dazu an­ge­tan ist, mei­nen zar­ten Le­se­r­in­nen den Ap­pe­tit zu ver­der­ben, so will ich ih­nen nur sa­gen, dass die Mode nicht zu es­sen in je­ner Zeit und in je­nem Lan­de nicht im Schwan­ge war. Ich glau­be schon ge­sagt zu ha­ben, man aß auf Rie­sen­burg lang­sam, reich­lich und oft. Die Hälf­te des Ta­ges bei­nah wur­de bei Ti­sche zu­ge­bracht, und ich ge­ste­he al­ler­dings, dass Con­sue­lo, die von Ju­gend auf, und aus Grün­den, ge­wöhnt war, von et­was Reis in Was­ser ge­kocht den gan­zen Tag zu le­ben, die­se ho­me­ri­schen Mahl­zei­ten töd­lich lang fand.

Jetzt zum ers­ten Male wuss­te sie nicht, ob das Es­sen eine Stun­de, einen Au­gen­blick oder ein Jahr­hun­dert währ­te. Sie hat­te nicht mehr Le­ben in sich als Al­bert, wann er al­lein im Scho­ße sei­ner Grot­te war. Sie glaub­te trun­ken zu sein, so hat­ten Scham über sich selbst, Lie­be und Angst ihr gan­zes We­sen er­schüt­tert. Sie aß nicht, hör­te nicht und sah nicht was um sie her vor­ging. Ent­setzt wie je­mand der in einen Ab­grund stür­zen will, und die schwa­chen Hal­me nach wel­chen er noch greift, um sich zu ret­ten, einen nach dem an­de­ren zer­rei­ßen sieht, sah sie in den Ab­grund hin­un­ter und fühl­te sau­sen­den Schwin­del in ih­rem Kop­fe.

An­zo­le­to saß ne­ben ihr, er streif­te ihr Kleid, er drück­te krampf­haft sei­nen Eln­bo­gen an den ih­ren, sei­nen Fuß ge­gen ih­ren Fuß. In sei­ner Be­f­lis­sen­heit, sie zu be­die­nen, be­geg­ne­te er ih­ren Hän­den und hielt sie eine Se­kun­de in den sei­ni­gen fest, aber die­ser ra­sche, hei­ße Druck fass­te ein Jahr­hun­dert von Wol­lust in sich. Er flüs­ter­te ihr Wor­te zu von je­nen, wel­che den Atem rau­ben, er schoss Bli­cke auf sie von je­nen, die ver­sen­gen. Er be­nutz­te einen blitz­schnel­len Au­gen­blick, um sein Glas mit dem ih­ri­gen zu ver­tau­schen und mit sei­nen Lip­pen den Kris­tall­rand zu be­rüh­ren, den die ih­ri­gen be­rührt hat­ten. Und er ver­stand es ganz Feu­er für sie, ganz Eis in den Au­gen der Üb­ri­gen zu sein.

Er hielt sich treff­lich, sprach mit An­stand, war voll auf­merk­sa­mer Rück­sich­ten für das Stifts­fräu­lein, be­han­del­te den Ka­plan mit Ehr­er­bie­tung, bot ihm die bes­ten Stücke Fleisch an, die er sich be­fliß mit al­ler Ge­wandt­heit und Zier­lich­keit ei­nes an großen Ta­feln hei­mi­schen Gas­tes ab­zu­schnei­den. Er hat­te be­merkt, dass der hei­li­ge Mann ein Schme­cker war, dass aber sei­ne Schüch­tern­heit ihm in die­ser Hin­sicht viel Ent­beh­rung auf­leg­te: der­sel­be stand sich nun so gut bei An­zo­le­to’s Dienst­fer­tig­keit, dass er im Stil­len wünsch­te, der neue Vor­schnei­der möch­te sei­ne Le­bens­ta­ge auf Rie­sen­burg zu­brin­gen.

Man be­merk­te, dass An­zo­le­to nur Was­ser trank, und als ihm der Ka­plan zur Ver­gü­tung sei­ner Zu­vor­kom­men­hei­ten Wein ein­schen­ken woll­te, ant­wor­te­te er laut ge­nug, um ge­hört zu wer­den:

– Nein, dan­ke tau­send­mal! dazu be­kommt man mich nicht wie­der. Ihr treff­li­cher Wein, mit dem ich mir ein­mal die Sor­gen ver­trei­ben woll­te, ist ein Ver­rä­ter. Jetzt, da ich kei­nen Kum­mer mehr habe, hal­te ich mich wie­der an’s Was­ser, mein ge­wöhn­li­ches Ge­tränk und mei­nen ehr­li­chen Freund.

Der Abend wur­de ein we­nig län­ger aus­ge­dehnt als ge­wöhn­lich. An­zo­le­to sang noch, und er sang dies­mal für Con­sue­lo. Er wähl­te ihre Lieb­lings­a­ri­en von al­ten Meis­tern, Sa­chen, die sie ihm selbst ein­ge­übt hat­te, und er sang sie mit al­lem Flei­ße, in al­ler Rein­heit des Ge­schmacks und mit al­ler Zart­heit der Auf­fas­sung, wie sie es von ihm zu for­dern ge­wohnt war. Er woll­te ihr die teu­ers­ten, die reins­ten Erin­ne­run­gen ih­rer Lie­be und ih­rer Kunst vor die See­le brin­gen.

Als man im Be­griff war, sich zu tren­nen, nahm er einen güns­ti­gen Au­gen­blick wahr, und sag­te lei­se zu ihr:

– Ich weiß dei­ne Stu­be, die mei­ni­ge liegt auf dem­sel­ben Gan­ge. Um Mit­ter­nacht wer­de ich an dei­ner Tür kni­en, und wer­de da lie­gen blei­ben bis es Tag wird. Ver­sa­ge mir nicht einen Au­gen­blick Ge­hör. Ich will nicht dei­ne Lie­be wie­der ge­win­nen, ich ver­die­ne sie nicht. Ich weiß, dass du mich nicht mehr lie­ben kannst, dass ein an­de­rer glück­lich ist, und dass ich schei­den muss. Ich wer­de schei­den mit dem Tod im Her­zen und mein üb­ri­ges Le­ben wird den Fu­ri­en ge­weiht sein. Aber jage mich nicht fort ohne ein Wort des Mit­leids, ohne ein Ab­schieds­wort. Wenn du nicht ein­wil­ligst, so wer­de ich mit an­bre­chen­dem Tage ab­rei­sen und es ist aus mit mir auf ewig.

– Sa­gen Sie das nicht, An­zo­le­to. Wir müs­sen uns hier tren­nen, und uns auf ewig Le­be­wohl sa­gen. Ich ver­zei­he Ih­nen und ich wün­sche Ih­nen …

– Glück­li­che Rei­se, ant­wor­te­te er bit­ter spot­tend.

Dann fiel er so­gleich wie­der in sei­nen heuch­le­ri­schen Ton.

– Du bist er­bar­mungs­los, Con­sue­lo! sag­te er. Du willst, ich soll ver­lo­ren sein, es soll kein gu­tes Ge­fühl, kein gu­tes An­den­ken in mir üb­rig blei­ben. Was fürch­test du? Habe ich dir nicht tau­send­mal mei­ne rück­sichts­vol­le, mei­ne rei­ne Lie­be be­wie­sen? Wenn man so in den Tod liebt wie ich, ist man nicht Sklav? Weißt du nicht, dass ein Wort von dir mich zähmt, mich ket­tet? Um Got­tes wil­len, wenn du nicht die Maitres­se die­ses Man­nes bist, den du hei­ra­ten willst, wenn er nicht Herr dei­nes Zim­mers und der un­ver­meid­li­che Ge­fähr­te dei­ner Näch­te ist …

– Das ist er nicht und war er nie, sag­te Con­sue­lo im Stol­ze ih­rer Un­schuld.

Sie hät­te bes­ser ge­tan, die Re­gung ei­nes ge­rech­ten, aber in die­sem Fal­le zu of­fen­her­zi­gen Stol­zes zu un­ter­drücken. An­zo­le­to war nicht furcht­sam, aber er hat­te das Le­ben lieb, und hät­te er fürch­ten müs­sen, in Con­sue­lo’s Zim­mer einen ent­schlos­se­nen Hü­ter zu fin­den, so wäre er in dem sei­ni­gen ge­blie­ben. Der Aus­druck von Wahr­heit, wel­cher in der Ant­wort des jun­gen Mäd­chens lag, mach­te ihn voll­kom­men kühn.

– In die­sem Fal­le, sag­te er, brin­ge ich da­durch dei­ne Zu­kunft nicht in Ge­fahr. Ich wer­de so be­hut­sam, so ge­schickt sein, wer­de so lei­se ge­hen, so lei­se spre­chen, dass dein Ruf nicht ge­fähr­det wer­den soll. Und bin ich üb­ri­gens nicht dein Bru­der? Was wird dar­an auf­fal­len, wenn ich dir Le­be­wohl sage, ehe ich vor Ta­ge­s­an­bruch ab­rei­se?

– Nein, nein, kom­men Sie nicht, sag­te Con­sue­lo er­schreckt. Das Zim­mer des Gra­fen Al­bert ist nicht weit; er hat viel­leicht schon al­les ge­ahnt … An­zo­le­to, wenn Sie sich in Ge­fahr set­zen … ich ste­he Ih­nen nicht für Ihr Le­ben. Ich spre­che im vol­len Erns­te, mein Blut er­starrt in mei­nen Adern.

– An­zo­le­to fühl­te wirk­lich, dass ihre Hand, die er in der sei­ni­gen hielt, kalt wie Mar­mor wur­de.

– Wenn du Schwie­rig­kei­ten machst, wenn du an dei­ner Tür un­ter­han­delst, so bringst du mein Le­ben in Ge­fahr, sag­te er lä­chelnd; aber wenn dei­ne Tür of­fen ist, wenn wir uns stumm küs­sen, so ist nichts zu fürch­ten. Erin­ne­re dich, dass wir Näch­te mit­ein­an­der zu­ge­bracht ha­ben, ohne einen Ein­zi­gen von den vie­len Be­woh­nern der Cor­te-Mi­nel­li auf­zu­we­cken. Was mich be­trifft, so sage ich dir, wenn wei­ter kein Hin­der­nis ist als die Ei­fer­sucht des Gra­fen, und sonst kei­ne Ge­fahr als der Tod …

Con­sue­lo sah in die­sem Au­gen­blick, dass des Gra­fen sonst so un­stä­tes Auge sich auf An­zo­le­to hef­tend klar und tief wur­de. Er konn­te ihr Ge­spräch nicht hö­ren, aber er schi­en mit den Au­gen zu hö­ren. Sie zog ihre Hand zu­rück und sag­te mit er­stick­ter Stim­me:

– Ha! wenn du mich liebst, so trot­ze die­sem furcht­ba­ren Man­ne nicht!

– Fürch­test du für dich? frag­te An­zo­le­to has­tig.

– Nein, aber für je­den, der mir naht und mich be­droht.

– Und dich an­be­tet doch wohl? Im­mer­hin! Es sei! Ster­ben vor dei­nen Au­gen; ster­ben zu dei­nen Fü­ßen, o ich wün­sche mir nichts als das. Ich wer­de um Mit­ter­nacht da sein. Zö­ge­re, und du wirst nur mei­nen Tod be­schleu­ni­gen.

– Sie rei­sen Mor­gen vor Tage ab, und neh­men von Nie­man­den Ab­schied? sag­te Con­sue­lo, als sie sah, dass er sich dem Gra­fen und dem Stifts­fräu­lein emp­fahl, ohne sei­ner Abrei­se zu er­wäh­nen.

– Nein, ant­wor­te­te er, sie wür­den mich zu­rück­hal­ten wol­len, und wenn sich al­les ver­schwört, mei­ne To­des­qual zu ver­län­gern, so wür­de ich wi­der Wil­len nach­ge­ben. Du wirst mich bei ih­nen ent­schul­di­gen und ih­nen mein Le­be­wohl aus­rich­ten. Ich habe mei­nem Füh­rer auf­ge­tra­gen, die Pfer­de um 4 Uhr be­reit zu hal­ten.

Die letz­te­re Ver­si­che­rung war mehr als ge­grün­det. Al­ber­t’s selt­sa­me Bli­cke seit ei­ni­gen Stun­den wa­ren dem An­zo­le­to nicht ent­gan­gen. Er war ent­schlos­sen al­les zu wa­gen, aber er hielt sich für den Fall der Not zur Flucht be­reit. Sei­ne Pfer­de stan­den schon ge­sat­telt im Stal­le und sein Füh­rer war an­ge­wie­sen, sich nicht nie­der­zu­le­gen.

Als Con­sue­lo sich in ih­rem Zim­mer be­fand, über­fiel sie eine wah­re Angst. Sie woll­te An­zo­le­to nicht an­neh­men und zu­gleich be­schlich sie eine Furcht, dass er ab­ge­hal­ten wer­den möch­te, sie auf­zu­su­chen. Im­mer­fort quäl­te sie in ih­rem In­nern die­ses dop­pel­te, falsche, un­über­wind­li­che Ge­fühl und brach­te ihr Herz mit ih­rem Ge­wis­sen in Streit. Sie hat­te sich noch nie so un­glück­lich, so ver­las­sen, so ein­sam auf Er­den ge­fühlt.

– O, mein Meis­ter Por­po­ra! wo bist du? rief sie aus. Du al­lein könn­test mich ret­ten, du al­lein kennst mein Übel und die Ge­fah­ren, de­nen ich aus­ge­setzt bin. Du al­lein bist hart, stren­ge, miss­trau­isch, wie es ein Freund, ein Va­ter sein muss, um mich dem Ab­grund zu ent­rei­ßen, wel­cher sich vor mir auf­tut! Aber bin ich denn nicht von Freun­den um­ge­ben? Habe ich nicht an dem Gra­fen Chris­ti­an einen Va­ter? Wür­de mir nicht das Stifts­fräu­lein eine Mut­ter sein, wenn ich den Mut hät­te, ih­ren Vor­ur­tei­len of­fen ent­ge­gen­zu­tre­ten und ihr mein Herz zu öff­nen? Und ist nicht Al­bert mein Schutz, mein Bru­der, mein Gat­te, wenn ich ein Wort zu sa­gen mich ent­schlie­ßen kann? Ach! er soll­te mein Ret­ter sein; und ihn fürch­te ich, ihn sto­ße ich zu­rück!

Ich muss zu ih­nen, zu al­len drei­en, setz­te sie hin­zu und ging mit ra­schen Schrit­ten in ih­rem Zim­mer auf und nie­der. Ich muss mich ih­nen an­ver­trau­en, mich an ihre ret­ten­den Arme hän­gen, mich un­ter die Flü­gel die­ser Schutz­en­gel flüch­ten. Ruhe, Wür­de, Ehre herr­schen bei ih­nen; bei An­zo­le­to er­war­tet mich Schan­de und Verzweif­lung. Ja, ich muss es ih­nen of­fen be­ken­nen, welch ein ab­scheu­li­cher Tag dies war, ich muss ih­nen sa­gen was in mir vor­geht, da­mit sie mich be­hü­ten und mich vor mir selbst be­schüt­zen. Ich muss mich durch ein Gelöb­nis an sie ket­ten, ich muss die­ses furcht­ba­re Ja aus­spre­chen, wel­ches eine un­über­steig­li­che Schran­ke zwi­schen mir und mei­ner Pest auf­rich­tet. Ja, ich gehe …

Und an­statt zu ge­hen sank sie er­schöpft auf ih­ren Stuhl und wein­te mit blu­ten­dem Her­zen über ihre ver­lo­re­ne Ruhe, und ihre zer­bro­che­ne Kraft.

– Wie aber! sag­te sie, wer­de ich nicht ge­hen und sie wie­der be­lü­gen? ich wer­de ih­nen ein ver­irr­tes Mäd­chen, eine ehe­bre­che­ri­sche Gat­tin an­bie­ten. Denn im Her­zen bin ich das. Und der Mund, wel­cher dem auf­rich­tigs­ten der Men­schen un­er­schüt­ter­li­che Treue ge­lo­ben will, brennt noch von dem Kus­se ei­nes an­de­ren, und bei dem blo­ßen Ge­dan­ken an ihn, klopft mein Herz von un­lau­te­rer Lust.

Ach! auch mei­ne Lie­be zu die­sem un­wür­di­gen An­zo­le­to ist so ver­wan­delt wie er selbst. Es ist nicht die­se ru­hi­ge, hei­li­ge Lie­be, mit wel­cher ich glück­lich ein­sch­lief un­ter den Fit­ti­gen, die mei­ne Mut­ter vom Him­mel her­ab über mich brei­te­te. Es ist ein un­ge­stü­mes Ver­lan­gen so nied­rig und sünd­haft wie das We­sen, wel­ches es mir ein­flö­ßt. In mei­ner See­le ist nichts Gro­ßes, nichts Wah­res mehr. Ich lüge mir selbst seit die­sem Mor­gen, wie ich die an­de­ren be­lü­ge. Wie soll­te ich sie nicht künf­tig in al­len Stun­den mei­nes Le­bens be­lü­gen? Ge­gen­wär­tig oder ab­we­send wird mir An­zo­le­to stets vor Au­gen ste­hen; nur der Ge­dan­ke, mich mor­gen von ihm zu tren­nen, er­füllt mich mit Schmerz und an der Brust ei­nes an­de­ren wür­de ich im­mer nur an ihn den­ken. Was soll ich tun, was soll aus mir wer­den?

Die Stun­den rück­ten fort, schreck­lich schnell, schreck­lich lang­sam.

– Ich will ihn se­hen, sag­te sie. Ich wer­de ihm sa­gen, dass ich ihn has­se, dass ich ihn ver­ach­te, dass ich ihn nie wie­der se­hen will … Nein, nein! ich be­lü­ge mich wie­der; ich wer­de ihm das nicht sa­gen, oder wenn ich den Mut dazu hät­te, so wer­de ich es einen Au­gen­blick dar­auf wie­der zu­rück­neh­men. Ich kann mich selbst auf mei­ne Keusch­heit nicht mehr ver­las­sen, er glaubt nicht mehr dar­an, er wird mich nicht mehr scho­nen.

Und ich, ach, ich glau­be selbst nicht mehr an mich, an nichts mehr glau­be ich. Ich wer­de er­lie­gen, noch mehr aus Furcht als aus Schwä­che. O! lie­ber ster­ben als so in mei­ner Selb­st­ach­tung sin­ken und der Ver­schla­gen­heit, der Frech­heit ei­nes an­de­ren die­sen Sieg las­sen über den hei­li­gen Wil­len und die ed­len Vor­sät­ze, die mir Gott ins Herz ge­legt hat.

Sie setz­te sich an das Fens­ter, sie dach­te ernst­lich dar­an, sich hin­ab­zu­stür­zen, um durch den Tod der Schan­de zu ent­ge­hen, mit wel­cher sie sich schon be­fleckt glaub­te. Im Rin­gen ge­gen die­se schwar­ze Ver­su­chung, sann sie den Ret­tungs­mit­teln nach, die für sie noch üb­rig sein könn­ten. Ei­gent­lich fehl­te es ihr dar­an nicht, aber alle schie­nen an­de­re Ge­fah­ren nach sich zu zie­hen. Sie hat­te vor der Hand die Tür ver­rie­gelt, durch wel­che An­zo­le­to kom­men konn­te.

Aber sie kann­te die­sen kal­ten, selbst­süch­ti­gen Men­schen nur halb, und da sie Pro­ben ge­habt hat­te von sei­nem äu­ße­ren Mut, so wuss­te sie nicht, dass es ihm an dem mo­ra­li­schen Mute, wel­cher zur Be­frie­di­gung der Lei­den­schaf­ten dem Tode trotzt, durch­aus ge­brach. Sie dach­te sich, er wür­de ge­wiss bis an die Tür kom­men, wür­de dar­auf be­ste­hen ge­hört zu wer­den, wür­de Geräusch ma­chen, und sie wuss­te wohl, dass es nur ei­nes Hauchs be­dürf­te, um Al­bert her­bei­zu­zie­hen.

Ne­ben ih­rem Zim­mer war ein Ka­bi­net mit ei­ner heim­li­chen Trep­pe, wie fast in al­len Ge­mä­chern des Schlos­ses, aber die­se Trep­pe führ­te in den un­tern Stock, dicht an das Zim­mer des Stifts­fräu­leins. Es war die ein­zi­ge Zuf­lucht, wel­che sie ge­gen An­zo­le­to’s un­ver­schäm­te Keck­heit neh­men konn­te, und um sich öff­nen zu las­sen, hät­te sie al­les be­ken­nen müs­sen, so­gar schon zum Voraus, um nicht zu ei­nem Skan­dal An­lass zu ge­ben, den die gute Wences­la­wa in ih­rem Schre­cken leicht ver­län­gern konn­te.

Dann war noch der Gar­ten, aber wenn An­zo­le­to, der das Schloss sorg­fäl­tig aus­ge­kund­schaf­tet zu ha­ben schi­en, eben­falls dort­hin kam, so rann­te sie recht ei­gent­lich in ihr Ver­der­ben.

Mit die­sen Ge­dan­ken be­schäf­tigt, sah sie aus dem Fens­ter ih­res Ka­bi­nets, wel­ches auf einen hin­te­ren Hof ging, Licht bei den Stäl­len. Sie be­merk­te einen Mann, wel­cher aus und ein­ging ohne die an­de­ren Die­ner zu we­cken und wel­cher An­stal­ten zur Abrei­se zu tref­fen schi­en. An sei­ner Klei­dung er­kann­te sie An­zo­le­to’s Füh­rer, der sei­ner Wei­sung ge­mäß die Pfer­de in Stand setz­te. Sie sah auch Licht bei dem Hü­ter der Zug­brücke und schloss dar­aus mit Recht, dass die­ser von dem Füh­rer be­nach­rich­tigt war, dass zu ei­ner noch un­be­stimm­ten Stun­de der Nacht ab­ge­reist wer­den soll­te.

Wäh­rend Con­sue­lo die­se Beo­b­ach­tun­gen mach­te und sich tau­send Mut­ma­ßun­gen und Ent­wür­fen hin­gab, fass­te sie plötz­lich einen selt­sa­men und höchst ver­we­ge­nen Ent­schluss. Al­lein da die­ser ihr einen Mit­tel­weg zeig­te zwi­schen den bei­den äu­ßers­ten, die sie fürch­te­te, und ihr zu­gleich die Aus­sicht auf eine neue Wen­dung ih­res Schick­sals er­öff­ne­te, so schi­en er ihr eine wah­re Ein­ge­bung des Him­mels. Sie hat­te nicht Zeit, die Mit­tel der Auf­füh­rung und die Fol­gen reif­lich zu be­den­ken; die ers­te­ren schie­nen sich ihr durch eine be­son­de­re Fü­gung dar­zu­bie­ten, die an­de­ren, mein­te sie, wür­den sich ja ab­wen­den las­sen.

Sie setz­te sich nie­der und schrieb das fol­gen­de, wie man den­ken kann in großer Hast, denn die Schlos­suhr hat­te so eben Eilf ge­schla­gen.

»Al­bert! Ich bin ge­zwun­gen ab­zu­rei­sen. Ich habe Sie von gan­zem Her­zen lieb, das wis­sen Sie. Aber es gibt in mei­nem We­sen Wi­der­sprü­che, in­ne­re Qua­len, wi­der­stre­ben­de Ge­füh­le, die ich we­der Ih­nen noch mir selbst er­klä­ren kann. Wenn ich Sie in die­sem Au­gen­bli­cke sähe, so wür­de ich Ih­nen sa­gen, dass ich mich Ih­nen an­ver­traue, dass ich Ih­nen die Sor­ge für mei­ne Zu­kunft über­ge­be, dass ich ein­wil­li­ge, Ihre Frau zu wer­den. Ich wür­de Ih­nen viel­leicht sa­gen, dass es mein Wunsch ist. Und den­noch wür­de ich Sie be­trü­gen, oder ich wür­de ein leicht­sin­ni­ges Ge­lüb­de ab­le­gen, denn mein Herz ist von sei­ner al­ten Lie­be noch nicht ge­nug ge­rei­nigt, um Ih­nen von Stund an ohne Scheu an­zu­ge­hö­ren und um Ihre Lie­be ohne Vor­wurf zu ver­die­nen.

Ich flie­he, ich gehe nach Wien, um dort den Por­po­ra zu fin­den oder zu er­war­ten, denn höchs­tens in ei­ni­gen Ta­gen muss er an­kom­men, wie Sie aus sei­nem Brief an Ihren Va­ter wis­sen. Ich schwö­re Ih­nen, dass ich bei ihm die Kraft su­chen will, mei­ne Ver­gan­gen­heit zu ver­ges­sen und zu has­sen, und die Hoff­nung ei­ner Zu­kunft, de­ren Eck­stein Sie mir sind.

Fol­gen Sie mir nicht, ich ver­bie­te es Ih­nen, Na­mens die­ser Zu­kunft, wel­che Ihre Un­ge­duld ge­fähr­den, viel­leicht zer­stö­ren wür­de. Er­war­ten Sie mich, und hal­ten Sie Ihr Ver­spre­chen, nicht ohne mich in … zu­rück­zu­keh­ren. Sie ver­ste­hen mich. Zäh­len Sie auf mich, ich for­de­re es von Ih­nen, denn ich schei­de in der from­men Hoff­nung, bald wie­der zu kom­men oder Sie zu ru­fen. In die­sem Au­gen­blick bin ich wie von ei­nem schreck­li­chen Traum ge­fan­gen. Ich glau­be, wenn ich mit mir al­lein sein wer­de, so wer­de ich Ih­rer wert er­wa­chen.

Ich will nicht, dass mein Bru­der mir fol­ge. Ich wer­de ihn hin­ter­ge­hen, ihn auf einen dem mei­ni­gen ent­ge­gen­ge­setz­ten Weg wei­sen. Bei al­lem was Ih­nen das liebs­te auf der Welt ist, ar­bei­ten Sie mei­nem Pla­ne nicht ent­ge­gen und glau­ben Sie, dass ich auf­rich­tig bin. Da­ran will ich er­ken­nen, ob Sie mich wahr­haft lie­ben, und ob ich ohne Er­rö­ten mei­ne Ar­mut Ihrem Reich­tum, mei­ne Dun­kel­heit Ihrem Ran­ge, mei­ne Un­wis­sen­heit Ih­rer Geis­tes­bil­dung op­fern kann.

Le­ben Sie wohl! Doch nein – auf Wie­der­se­hen, Al­bert! Um Ih­nen zu be­wei­sen, dass ich nicht un­wi­der­ruf­lich schei­de, tra­ge ich Ih­nen auf, Ihre wür­di­ge und teu­re Tan­te un­se­rer Ver­bin­dung güns­tig zu stim­men und mir die Ge­wo­gen­heit Ihres Va­ters, des bes­ten, ehr­wür­digs­ten der Men­schen zu er­hal­ten. Sa­gen Sie ihm über die­se Sa­che die vol­le Wahr­heit. Von Wien aus wer­de ich Ih­nen schrei­ben.«

Die Hoff­nung, einen so von Lie­be glü­hen­den Mann wie Al­bert durch einen sol­chen Brief zu über­zeu­gen und zu be­ru­hi­gen, war ohne Zwei­fel kühn, aber nicht un­ver­nünf­tig. Con­sue­lo fühl­te, dass ihr im Schrei­ben die Stär­ke ih­res Wil­lens und die Gerad­heit ih­res Cha­rak­ters wie­der­kehr­te. Al­les was sie schrieb, dach­te sie wirk­lich. Al­les was sie an­kün­dig­te, war sie im Be­grif­fe zu tun. Sie glaub­te an Al­ber­t’s durch­drin­gen­den Blick, fast an das zwei­te Ge­sicht, das Ama­lie ihm bei­ge­legt hat­te; sie hät­te nicht hof­fen dür­fen, ihn zu täu­schen; sie war ge­wiss, dass er an sie glau­ben, und, wie nun sein Cha­rak­ter war, ihr pünkt­lich ge­hor­chen wür­de. Sie be­ur­teil­te in die­sem Au­gen­blick die Din­ge und Al­bert selbst von sei­ner Höhe.

Nach­dem sie ih­ren Brief ge­schlos­sen hat­te, ohne ihn zu ver­sie­geln, warf sie ih­ren Rei­se­man­tel über, hüll­te ih­ren Kopf in einen sehr dich­ten schwar­zen Schlei­er, zog star­ke Schu­he an, steck­te das we­ni­ge Geld ein, wel­ches sie be­saß, mach­te ein klei­nes Packet Wä­sche und schlich auf den Ze­hen mit un­glaub­li­cher Vor­sicht hin­un­ter. Sie ging durch das un­te­re Ge­schoss, er­reich­te das Zim­mer des al­ten Gra­fen, schlüpf­te in des­sen Ka­pel­le, die er, wie sie wuss­te, je­den Mor­gen um sechs Uhr be­such­te. Sie ließ ih­ren Brief auf dem Kis­sen zu­rück, auf wel­chem er sein Ge­bet­buch ab­zu­le­gen pfleg­te, ehe er nie­der­knie­te. Hier­auf ge­lang­te sie auf den Hof, ohne Je­man­den zu er­we­cken, und ging ge­ra­des We­ges zu den Stäl­len.

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Возрастное ограничение:
18+
Объем:
3441 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783962816148
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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