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4. KAPITEL
Von Wüstenkriegen und Ameisen

Bei einer Atlantiküberquerung Richtung England saß ich einmal etliche Tagesetappen von Halifax in Nova Scotia und Hunderte Kilometer von jeglichem Festland entfernt am Steuer einer Jacht, als ein kleiner brauner Vogel aus dem Nichts auftauchte und sich unsicher auf der Reling neben mir niederließ. Er war so erschöpft, dass er nicht versuchte wegzufliegen, als ich mich ihm näherte. Anders als die Eissturmvögel, die mühelos über die Jacht segelten, war dieses arme Geschöpf auf dem Meer offensichtlich nicht zu Hause; doch der Winzling schlug das Angebot von Nahrung und Wasser aus und flatterte schließlich verzweifelt davon. Es könnte durchaus ein Streifenwaldsänger gewesen sein, der durch den Wind von seinem Kurs abgekommen war. Oder er hatte einen verhängnisvollen Navigationsfehler gemacht und war deshalb in die vollkommen falsche Richtung aufgebrochen.

Jeder Navigator, ob Mensch oder Tier, muss als Allererstes sicherstellen, dass er die richtige Richtung einschlägt; hier kommt die Orientierung ins Spiel. Visuelle Zeichen liefern normalerweise die nötigen Hinweise, aber wenn man sich in unvertrautem Terrain aufhält oder auf dem offenen Meer, wo es keine Landmarken gibt, braucht man irgendeine Art von Kompass.

Die Sonne ist nicht immer sichtbar, aber sie geht zuverlässig im Osten auf und im Westen unter. Wenn sie am Mittag ihren höchsten Stand erreicht, steht sie vom Betrachter aus immer entweder genau im Norden oder genau im Süden; in den Tropen manchmal auch senkrecht über ihm.1 Zumindest theoretisch könnte man also anhand der Sonne feststellen, in welche Richtung man blickt oder geht.


Typische Sonnenläufe während des Tages auf der nördlichen Halbkugel (mittlerer Breitengrad)

Allerdings ergibt es keinen geradlinigen Kurs, wenn man die Sonne als Kompass nutzt. Während sich die Erde um ihre Achse dreht, zeichnet die Sonne einen Bogen über den Himmel; die Punkte am Horizont, an denen sie auf- beziehungsweise untergeht, und die Höhe des Laufs, dem sie folgt, hängen von der Jahreszeit und dem Breitengrad ab. In den Tropen geht die Sonne beispielsweise am Vormittag fast senkrecht auf und am Nachmittag ebenso senkrecht wieder unter. In mittleren Breiten hingegen beschreibt sie eine längere und tiefere Bahn über den Himmel.2 Und in Polarregionen bleibt die Sonne monatelang entweder über dem Horizont (dann spricht man von der Mitternachtssonne) oder aber darunter.

Der Lauf der Sonne über den Himmel wird nach dem sich verändernden Azimut bestimmt – dem Winkel zwischen rechtweisend Nord und dem Punkt am Horizont, der senkrecht unter ihr liegt.

Angenommen, Sie sind in England, es ist September, und Sie wollen wie eine Schwalbe nach Süden ziehen. Was passiert, wenn Sie Ihren Kurs nach der Sonne ausrichten? Nehmen wir an, dass Sie bei Tagesanbruch mit der Sonne zu Ihrer Linken aufbrechen (Azimut 90 Grad) und somit in die richtige Richtung starten. Doch während der Tag fortschreitet und sich der Azimut der Sonne allmählich ändert, krümmt sich Ihr Kurs nach rechts. Steht die Sonne am Mittag genau im Süden (Azimut 180 Grad), würden Sie nach Westen gehen; und wenn sie am Abend im Westen untergeht, bewegen Sie sich plötzlich in nördliche Richtung. Sie sind faktisch einem annähernd u-förmigen Kurs gefolgt – kein besonders befriedigendes Ergebnis.

Nur indem Sie den konstant sich verändernden Azimut der Sonne berücksichtigen, können Sie darauf hoffen, dass ihre Route geradlinig verläuft. Aber wie funktioniert das?

Die Lösung liefert der sogenannte Sonnenkompass mit Zeitausgleich. Es mag vielleicht überraschen, doch dieses Instrument hat den Verlauf des Zweiten Weltkriegs beeinflusst.

Nach dem Fall Frankreichs im Jahr 1940 drohte die britische Armee in Ägypten von einer weit überlegenen italienischen Streitkraft überrollt zu werden, die im Westen, in Libyen, stationiert war. Der Verlust sowohl Ägyptens als auch des gesamten Nahen Ostens schien damals kurz bevorzustehen. Ohne einen weiterhin gesicherten Zugang zum Sueskanal und zu den irakischen Ölfeldern hätte Großbritannien mit einer Niederlage rechnen müssen. Die Achsenmächte wären dann unbesiegbar gewesen, und die Weltgeschichte hätte einen gänzlich anderen Verlauf genommen.

In diesem kritischen Moment traf ein bemerkenswerter Mann namens Ralph Bagnold (1896–1990) rein zufällig in Kairo ein. Der meisterhafte Navigator hatte in den 1920er- und 1930er-Jahren mit umgerüsteten Ford-Automobilen das riesige und damals weitgehend unkartierte Innere der östlichen Sahara erkundet. Bagnold war zwar nur Major, doch er setzte sich mutig über die offiziellen Dienstwege hinweg und ließ dem neuen Oberbefehlshaber, General Sir Archibald Wavell, direkt eine Mitteilung zukommen.

Bagnold empfahl die Aufstellung von Spähtrupps, die aus speziell geschulten Freiwilligen bestehen und mit wüstentauglichen Fahrzeugen tief hinter die feindlichen Linien vordringen sollten, um Informationen zu sammeln und überfallartige Angriffe durchzuführen. Wavell ließ den Major sofort zu sich kommen und war sehr beeindruckt von dessen Vorschlägen.3 Mit der vollen Unterstützung des Generals rekrutierte Bagnold schnell die nötigen Männer und baute die Einheit auf, die etwas nüchtern als Long Range Desert Group (LRDG, Langstrecken-Wüstengruppe) bezeichnet wurde.

Als die Italiener kurz darauf entlang der Mittelmeerküste nach Osten vorzurücken begannen, brachen die ersten LRDG-Patrouillen 500 Kilometer weiter südlich durch die Wüste heimlich nach Westen auf. Ihre Überraschungsangriffe zeigten eine tief greifende Wirkung: Die Italiener wurden derart aus dem Konzept gebracht, dass ihr Vormarsch für etliche Monate ins Stocken geriet. Diese Pause gab den Briten Zeit, ihre Truppen zu verstärken, und schon bald konnten sie die italienische Armee zurückdrängen. Die LRDG spielte auch in den späteren Wüstenfeldzügen eine wichtige Rolle, wurde bei Kriegsende jedoch aufgelöst. Vielleicht werden ihre bemerkenswerten Leistungen deswegen weniger gefeiert als die des Special Air Service (SAS), einer Spezialeinheit der britischen Armee, die etwa zur selben Zeit aufgestellt wurde.

Die präzise Navigation in der Wüste war entscheidend für den Erfolg der LRDG. Um bei den extremen Bedingungen im Wüsteninnern zu überleben, waren die Spähtrupps auf eine genaue Orientierung angewiesen. Es gab jedoch ein Problem: Mit Magnetkompassen konnten sie kaum etwas anfangen. Diese reagierten höchst empfindlich auf störende Einflüsse und waren nicht immer zuverlässig, weil die Stahlrahmen der Lastwagen starke Abweichungen verursachten. Die Magnetkompasse lieferten nur dann unverfälschte Ergebnisse, wenn sie in einiger Entfernung von den Fahrzeugen zurate gezogen wurden. Da die Patrouillen schnell vorankommen mussten, durften sie nicht zu oft anhalten. Sie brauchten also unbedingt ein anderes Hilfsmittel – eins, das auch an Bord eines holpernden und schlingernden Lastwagens gut funktionierte.

Der Sonnenkompass mit Zeitausgleich war die Lösung; Bagnold hatte ihn für seine Wüstenreisen zu Friedenszeiten erfunden. Er bestand aus einer verstellbaren, am Rand mit Gradangaben markierten Scheibe, auf die eine vertikale Nadel ihren Schatten warf. Verschiedene Karten, eine für jeweils drei Breitengrade, zeigten den Azimut der Sonne zu bestimmten Zeitintervallen über den Tag hinweg an.

Mithilfe dieser Karten wurde der Kompass kalibriert. Um die Mittagszeit im Sommer war das Instrument jedoch unbrauchbar, da der Schatten der Sonne zu kurz war, um die Skala am Rand der Scheibe zu erreichen. Dies war für die Männer ein willkommener Vorwand, um zu pausieren und sich vor der fast senkrecht stehenden Sonne zu schützen. Bei Nacht überprüften die Navigatoren ihre Position anhand der Sterne.4

In dem Bericht über seine Vorkriegsexpeditionen schilderte Bagnold sehr anschaulich, wie er den Sonnenkompass zur Navigation in der Wüste nutzte:

Wir hatten nur einen Gedanken: dass wir wach bleiben und den schmalen Schatten auf der Scheibe des Sonnenkompasses an dem Pfeil halten müssen, der den Sollkurs anzeigte. Denn ich wusste, dass die kleine Oase schwer zu finden sein würde, und war darauf bedacht, direkt auf sie zu stoßen. Vergleichbar war das mit dem Versuch, in Newcastle mit einer Kompasspeilung zu starten und irgendwo in einer unbestimmten felsigen Senke, die ungefähr die Größe Londons hatte und gleich weit entfernt war [ungefähr 450 Kilometer], einen kleinen Garten finden zu wollen …

Ich hatte den Kurs so bestimmt, dass wir uns der Oase von Südwesten näherten. […] Doch nun war uns alles fremd; nichts entsprach meiner Erinnerung an unseren früheren Anmarsch. Laut unserer Kartenposition lag [die Oase] acht bis zehn Meilen [etwa 13 bis 16 Kilometer] Richtung Nordost, aber nach einem solch langen Marsch konnten wir uns leicht um Meilen vertan haben. […] Im Halbdunkel des nächsten Morgens waren nur die vagen Umrisse nahe gelegener Hügel sichtbar. Der Wind wehte leicht von Nordost, und ich nahm deutlich Kamele wahr. […] [Daher beschloss ich,] in die Richtung zu fahren, aus der der Geruch kam, obwohl die Landschaft fremdartig aussah. Nach einigen Meilen erblickte ich die unmittelbare Umgebung der Oase direkt vor uns.5

Da andere Lebewesen natürlich nicht über die Navigationstabellen verfügen, die Bagnold zur Kalibrierung seines Sonnenkompasses benutzte, mag man vielleicht denken, dass sie sich unmöglich anhand des Sonnenstands orientieren können. Man sollte jedoch nie die Wirkkraft der natürlichen Selektion unterschätzen, besonders im Fall von Spezies, die bereits seit Hunderten Millionen Jahren existieren.

Den ersten Hinweis darauf, dass manche Tiere sich bei ihrer Wegfindung auf die Sonne verlassen, lieferten die Forschungsarbeiten des britischen Adeligen und Universalgelehrten Sir John Lubbock (1834–1913). Lubbock hatte zwar eine ganz andere Wesensart als der fast zeitgleich lebende Jean-Henri Fabre, aber auch er führte bahnbrechende Untersuchungen zu den Geheimnissen der Insektennavigation durch. Er war Bankier, Politiker, Archäologe, Anthropologe und Biologe sowie ein enger Freund, Nachbar und ergebener Schüler von Charles Darwin. Heute ist er beinahe vergessen, doch zu seiner Zeit war er eine bekannte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.

Ameisen hatten es Lubbock besonders angetan; er hielt ganze Kolonien in seinem Landhaus und untersuchte deren Orientierungsvermögen eingehend, wie Fabre – allerdings viel systematischer. Manche Wochenendbesucher hatten Glück und bekamen die gläsernen Anlagen zu sehen, in denen seine geliebten Ameisenkolonien lebten.

Lubbock wollte dahinterkommen, wie Schwarze Gartenameisen zu ihrem Nest zurückfanden. Zunächst stellte er fest, dass sie – anders als Fabres rote Ameisen – einer Geruchsspur folgen konnten. Doch dann bemerkte er etwas Sonderbares: Auch die Kerzen, die er beim Arbeiten anzündete, schienen das Verhalten der Ameisen zu beeinflussen. Das machte ihn stutzig, und er führte weitere Experimente durch; schließlich kam er zu dem Schluss, dass die Orientierung der Ameisen »stark von der Einstrahlrichtung des Lichts bestimmt« wurde.6 Lubbock war zu vorsichtig, um eine allgemeinere These aufzustellen, doch wie spätere Untersuchungen ergaben, dienten die Kerzen eindeutig als Stellvertreter für die Sonne. Diese bemerkenswerte Entdeckung wurde 1882 veröffentlicht.

Ein eidgenössischer Arzt in Tunesien

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befassten sich einige Wissenschaftler mit dem Orientierungssinn von Ameisen. Der vielleicht bemerkenswerteste dieser Forscher war ein schrulliger Arzt aus dem schweizerischen Lausanne namens Felix Santschi (1872–1940), der 1901 im Alter von 29 Jahren nach Tunesien ging, sich in der alten ummauerten Stadt Kairouan niederließ und dort eine Praxis eröffnete.7 In diesem abgelegenen Bollwerk, dem sogenannten Mekka des Maghreb, kümmerte er sich bis kurz vor seinem Tod um die Einheimischen.

In den 1890er-Jahren hatte Santschi als junger Student an einer groß angelegten Forschungsexpedition in Südamerika teilgenommen; dort entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse für Ameisen. Als er später am Rand der Sahara lebte, konnte er in seiner Freizeit die vielen verschiedenen Arten beobachten und sammeln, die in dem trockenen Landstrich anzutreffen waren. Es dauerte nicht lange, bis Santschi wissenschaftliche Artikel über das Orientierungsvermögen von Ameisen veröffentlichte. Seine Erkenntnisse waren bahnbrechend, aber weil sie in unbekannten schweizerischen Fachzeitschriften erschienen, blieben sie damals weitgehend unbeachtet.

Santschis Experimente zeugten von großem Erfindungsreichtum. Anders als viele der führenden Forscher seiner Zeit entwickelte er seine Theorien auf der Grundlage genauer Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens der Tiere in ihrem natürlichen Habitat – und nicht anhand von Laborversuchen, die auf Annahmen darüber beruhten, wie sich die Tiere vermeintlich verhalten sollten.

Obwohl Lubbock entdeckt hatte, welch wichtige Rolle das Licht spielte, beschränkte sich die Debatte über Ameisennavigation weitgehend auf die Frage, welche Funktion Geruchsspuren haben mochten. Santschi wusste jedoch von seinen Feldbeobachtungen, dass die Wüstenameisen, für die er sich interessierte, nicht auf demselben gewundenen Weg zu ihrem Nest zurückkehrten, auf dem sie es verlassen hatten. Vielmehr folgten sie einer mehr oder weniger direkten Route – sozusagen einem Ameisenpfad. Es war jedenfalls klar, dass die flüchtigen chemischen Stoffe, auf denen eine Geruchsspur beruhen musste, aufgrund der Hitze viel zu schnell verdunsteten und somit keine Anhaltspunkte liefern konnten.

Dieses bemerkenswerte Verhalten ließ sich schwer erklären. Victor Cornetz (1863–1936), ein französischer Bauingenieur, der ebenfalls in Nordafrika lebte und wie Lubbock Wüstenameisen erforschte, zeigte sich nicht minder ratlos. Er konnte nur mutmaßen, dass sich die Ameisen auf einen »absoluten inneren Orientierungssinn« verließen, hatte jedoch keine Ahnung, wie solch ein mysteriöser Mechanismus tatsächlich funktionieren mochte. Santschi war von Cornetz’ Spekulationen nicht überzeugt. Er formulierte eine kühne Frage: Konnte es sein, dass die Ameisen die Sonne als Kompass nutzten?

Santschi ersann eine einfache, aber geniale Methode, um diese neuartige These zu überprüfen. Er stellte einen Schirm auf, der das Sonnenlicht blockierte, und ließ es dann mithilfe eines Spiegels aus der entgegengesetzten Richtung einfallen. In den meisten Fällen änderten die Ameisen ihren Kurs erwartungsgemäß um 180 Grad.

Unabhängig davon, ob Santschi mit Lubbocks früheren Arbeiten vertraut war, verdient er Anerkennung, weil er als Erster nachwies, dass ein Sonnenkompass beim Orientierungsvermögen einer Tierart eine Rolle spielte. Und er lieferte sogar noch weitere Erkenntnisse. Santschi belegte später, dass Ameisen sich in der Dämmerung nach Sonnenuntergang orientieren können – und auch während des Tages, wenn sie durch einen Pappzylinder, der über sie gehalten wurde, nur einen kleinen leeren Kreisausschnitt des Himmels sehen konnten.

Santschi folgerte, dass die Ameisen die Sonnenscheibe nicht direkt sehen mussten, um einen stetigen Kurs beizubehalten. Es fiel ihm schwer, diese Ergebnisse zu erklären, aber er mutmaßte, die Ameisen könnten sich die Abstufungen der Lichtintensität oder einen anderen Hinweis am Firmament zunutze machen; er fragte sich sogar, ob sie womöglich die Sterne auch bei Tag sehen konnten.8

Ihre verdiente Anerkennung erfuhren diese Entdeckungen erst nach Santschis Tod, nachdem ein ähnliches Verhalten auch bei Honigbienen beobachtet worden war.

– – – –

Die allerersten Vögel, deren Wanderungen mithilfe von Satellitentechnik verfolgt wurden, waren Wanderalbatrosse. Diese riesigen Vögel, die bis zu zwölf Kilogramm schwer sein können, gaben den Seeleuten jahrhundertelang Rätsel auf; sie segeln mühelos über den Wellen und steigen in große Höhen auf, wobei sie nur selten mit ihren gewaltigen Flügeln schlagen müssen. Da sie imstande sind, Schiffen über Tage und sogar Wochen zu folgen, bestand kein Zweifel daran, dass sie lange Entfernungen zurücklegen können.

Welche Distanzen sie tatsächlich überwinden, wurde jedoch erst 1989 klar. Damals gelang es zwei französischen Forschern namens Pierre Jouventin und Henri Weimerskirch, die auf den abgelegenen Crozetinseln im südlichen Indischen Ozean arbeiteten, während der Brutzeit sechs Vogelmännchen mit Satellitenpeilsendern auszustatten.9

Bestückt mit den 180 Gramm schweren Sendern, wurden die Vögel zu ihren Nestern zurückgebracht, wo sie geduldig warteten, bis sie von ihren Weibchen abgelöst wurden. Dann brachen sie auf und flogen über das Meer, um Nahrung zu suchen. Die gewonnenen Erkenntnisse waren atemberaubend, und die Ergebnisse gingen weit über frühere Schätzungen hinaus.

Einer der Vögel legte in 33 Tagen mehr als 15 000 Kilometer zurück, ein anderer bewältigte 10427 Kilometer in 27 Tagen, und ein dritter schaffte 936 Kilometer an einem einzigen Tag. Die Tiere erreichten Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 58 Stundenkilometern und in einem Fall ein maximales Flugtempo von 81 km/h. Diese majestätischen Vögel, die mit ihrer Spannweite von drei Metern durch die stürmischen Winde des Südmeeres gleiten, können ohne Schwierigkeiten den gesamten antarktischen Kontinent umkreisen.

Die beobachteten Albatrosse legten tagsüber viel größere Strecken zurück als bei Nacht und machten nur gelegentlich halt, vermutlich um zu fressen; aber auch nach Einbruch der Dunkelheit flogen sie weiter, wenn auch viel langsamer. Offenbar fällt ihnen die Navigation bei Tag leichter, weshalb es naheliegt, dass sie sich zumindest teilweise an der Sonne orientieren.

5. KAPITEL
Tanzende Bienen

Neben Konrad Lorenz (1903–1989) und Nikolaas Tinbergen (1907–1988) war Karl von Frisch (1886–1982) einer der Gründerväter der Ethologie, der vergleichenden Verhaltensforschung. Das außergewöhnliche Werk dieses unermüdlich arbeitenden Trios wurde 1973 mit der Verleihung eines gemeinsamen Nobelpreises gewürdigt. Ihre vielleicht beeindruckendste und sicherlich bekannteste Leistung war die Entdeckung der Tanzsprache von Honigbienen, deren Erforschung allerdings viele Jahre in Anspruch nahm.1

Honigbienen erkunden das Umfeld ihrer Stöcke auf der Suche nach dem Nektar und den Pollen, die die Lebensgrundlage des Bienenvolks bilden, und legen bei ihren Sammelflügen Entfernungen von bis zu zwanzig Kilometern zurück. Karl von Frisch untersuchte, wie Bienen zwischen verschiedenen Blüten unterscheiden, und richtete sie darauf ab, Schälchen mit Zuckerlösung aufzusuchen, als Ersatz für den Nektar, mit dem sie sich für ihre langen Flüge stärken.

Dabei machte von Frisch eine verblüffende Beobachtung. Er stellte fest, dass die Bienen gelegentlich zu einer leeren Schale zurückkehrten, so als wollten sie überprüfen, ob sie wieder aufgefüllt worden war; und wenn er tatsächlich Zuckerwasser nachgefüllt hatte, tauchten in erstaunlich kurzer Zeit zahlreiche weitere Bienen an der Futterstelle auf. Es schien, als wüssten sie irgendwie, was er getan hatte.

Im Jahr 1919 lieh sich von Frisch einen speziellen Bienenstock aus, bei dem er durch eine Glasscheibe beobachten konnte, wie sich die Bienen im Inneren verhielten – auf der vertikalen Oberfläche der Honigwabe. Er brachte ein paar Bienen dazu, an einem Napf in der Nähe Nahrung aufzunehmen, und markierte sie dabei mit roten Farbpunkten. Dann wartete er, bis das Schälchen leer war, bevor er es wieder auffüllte. Nur kurze Zeit später kam eine der dressierten und farblich markierten Bienen zu dem Gefäß und flog schließlich zu ihrem Stock zurück.

Als von Frisch das Verhalten der Biene beobachtete, traute er seinen Augen nicht: Es war »so entzückend und fesselnd«. Die Biene schwirrte auf der Oberfläche der Wabe umher und wackelte dabei mit ihrem Hinterleib; die anderen Bienen sahen sich aufgeregt nach ihr um und berührten ihren Hinterleib mit den Fühlern. Wenn eine der gekennzeichneten Bienen in der Menge war, machte diese sich sofort auf den Weg zu der Futterschale, aber schon bald tauchten dort auch viele der nicht markierten Bienen auf.

Anfangs vermutete von Frisch, dass die Rekruten einem Kundschafter zu der Nahrungsquelle folgten, doch er konnte keinerlei Belege für diese These finden. Also richtete er seine Aufmerksamkeit – wie Fabre und Lubbock vor ihm – auf den Geruchssinn. Er dressierte die Bienen, sich an Näpfen zu bedienen, die auf stark duftenden Oberflächen standen; Gerüche wie etwa Pfefferminze oder Bergamotte blieben sicherlich an ihren Füßen und Körpern haften.

Die rekrutierten Bienen zeigten eine starke Vorliebe für Futterorte, die mit diesen Düften gekennzeichnet waren. Später führte von Frisch ähnliche Experimente im Innern eines Gewächshauses durch und benutzte dabei echte Blüten statt Schälchen mit Zuckerlösung. Die Versuche lieferten dieselben Ergebnisse. Er folgerte daraus, dass die Bienen mit ihren Tänzen ihre Artgenossen im Stock sowohl auf das Vorhandensein von Nahrung als auch auf deren Qualität aufmerksam machten. Von Frisch vermutete zu Recht, dass die Rekruten daraufhin die neue Nahrungsquelle ausfindig machten, indem sie einfach nach der Quelle jenes Geruchs suchten, den sie am Körper der Tänzerin wahrgenommen hatten.

Dass Bienen in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren, war eine bahnbrechende Erkenntnis. Vielen Wissenschaftlern fiel es zwar schwer zu glauben, dass Insekten so raffiniert sein können; doch Karl von Frisch war aufgrund der Qualität seiner Arbeit – und der geistreichen Vorträge, Bücher und Filme, durch die er sein Werk verbreitete – eine weltbekannte Persönlichkeit geworden, bevor 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Sein Ruf schützte ihn jedoch nicht vor den üblen Machenschaften des Naziregimes. Als jemand aufdeckte, dass von Frischs Urgroßeltern Anfang des 19. Jahrhunderts vom Judentum zum Christentum konvertiert waren, geriet der Wissenschaftler in Konflikt mit den antisemitischen Dekreten der Nazis und drohte seine Professur an der Universität München zu verlieren. Er konnte seine Stellung nur behalten, weil er mit seinen Untersuchungen zur Steigerung der Honigerzeugung einen wichtigen Beitrag für die Ernährung der Bevölkerung während der Kriegsjahre leistete.

Doch das Leben war hart: 1944 trafen die Bombenangriffe der Alliierten auch München. Das Haus und die Bibliothek des Professors wurden zerstört, ebenso sein kurz zuvor eingerichtetes Labor. Glücklicherweise fand er mit seiner Familie und einigen seiner Studenten Zuflucht auf seinem schönen Landgut in Brunnwinkl am Fuß der österreichischen Alpen unweit von Salzburg. Die Landung der Alliierten im Juni 1944 und die darauffolgenden Kämpfe in Nordfrankreich bildeten den düsteren Hintergrund, vor dem von Frisch und seine Kollegen eine bedeutsame Beobachtungsreihe starteten, die ihn veranlasste, seine ursprüngliche Theorie über die Bedeutung des Bienentanzes abzuändern und weitaus detaillierter auszuarbeiten.

Das Wetter im August 1944 war ideal für Bienenstudien. Eine Kollegin des Forschers führte ein Experiment durch, mit dem Bienen angeregt werden sollten, mehr Honig zu erzeugen und mehr Blüten zu bestäuben, indem sie zu besseren Nektarquellen an entfernteren Standorten geführt wurden. Von Frisch schlug seiner Kollegin vor, die Bienen darauf abzurichten, einen parfümierten Napf in der Nähe ihres Stocks aufzusuchen und das Gefäß dann an einer anderen, ferneren Stelle zu platzieren.

Seiner lange vertretenen Theorie zufolge durfte man darauf vertrauen, dass die Bienen den Napf an der neuen Position auffinden konnten. Dafür müssten sie einfach nur die Quelle des ihnen bekannten Duftes aufspüren. Aber von Frisch staunte nicht schlecht: Nachdem der Napf umgestellt worden war, tauchte keine einzige Biene auf, und die Kollegin stand ratlos da.

Im Laufe jenes Sommers dressierte von Frisch die Bienen, zu duftmarkierten Nahrungsquellen zu fliegen, von denen einige sehr nah am Stock platziert waren und andere bis zu 300 Meter entfernt. Er beobachtete Folgendes: Wenn die Kundschafter konditioniert waren, eine entfernte Nahrungsquelle aufzusuchen, flogen ihre Rekruten häufig direkt dorthin – und ignorierten eine viel nähere Stelle, auch wenn diese mit demselben Geruch gekennzeichnet war. Dieses Verhalten kam von Frisch sehr merkwürdig vor. Entgegen seiner ursprünglichen Theorie schien es so, als suchten die Rekruten nicht bloß irgendeine Nahrungsquelle, die »richtig« roch; sie spürten vielmehr aktiv eine entferntere Stelle auf und ignorierten dabei eine nähere. Von Frisch vermerkte in seinem Notizbuch lakonisch, dass es so wirkte, als seien die Bienen zu einer Art Verständigung über Entfernungen imstande.

Als von Frisch die Möglichkeit ausschloss, dass die Bienen einer ätherischen Duftspur folgten, wurde klar, dass sie tatsächlich auf Informationen zu Entfernungen reagierten. Darüber hinaus schienen sie auch Vorlieben für bestimmte Richtungen zu zeigen. Konnte es sein, dass die Tänze der Kundschafter nicht nur Angaben zur Qualität einer Futterquelle vermittelten, sondern auch die Richtung und die Entfernung zum Bienenstock verrieten?

Nach dem Krieg setzte von Frisch alles daran, diese faszinierenden Fragen zu beantworten. Mithilfe eines Farbmarkierungscodes, der es ihm ermöglichte, zahlreiche einzelne Kundschafter zu unterscheiden, wies er nach, dass die Geschwindigkeit des Tanzes tatsächlich eng mit der Entfernung der zuletzt besuchten Futterquelle korrelierte.

Bereits im Sommer 1945 hatte er einige Beobachtungen gemacht, die sogar noch verblüffender waren. Die Bienen, die am Nachmittag von einer bestimmten Nahrungsquelle zurückkehrten, bewegten sich bei ihrem Schwänzeltanz mit dem Kopf nach unten über die Oberfläche der Wabe, doch ihre Richtung änderte sich im Lauf des Tages allmählich – in Übereinstimmung mit dem sich verändernden Sonnenazimut.

Als Nächstes untersuchte von Frisch, in welchem Verhältnis die Richtung des Tanzes zu den Positionen der Futterquellen stand, die er in den vier Himmelsrichtungen – Nord, Ost, Süd und West – um den Stock herum aufgestellt hatte. Die Ergebnisse waren wahrlich verblüffend. Die Richtung des Tanzes spiegelte durchweg die Beziehung zwischen der Richtung der Futterquelle und dem Sonnenazimut wider. Frisch fasste seine Erkenntnisse folgendermaßen zusammen: »Tanzrichtung genau nach oben bedeutet: Du musst in der Richtung des Sonnenstandes fliegen, um zur Trachtquelle zu kommen. Schwänzellauf kopfunten heißt, genau von der Sonne fort führt der Weg zur Futterstelle.«2

Das war nicht nur der klare Beweis für eine Form von Himmelsnavigation bei einer Insektenart, sondern vor allem auch dafür, dass die Kundschafter ihren Artgenossen Informationen über den Standort einer Nahrungsquelle mitteilen konnten.

Anschließend stellte von Frisch einen Bienenstock in einer eigens konstruierten Hütte auf, damit er die für die Bienen verfügbaren visuellen Informationen systematisch manipulieren konnte, während sie ihren Schwänzeltanz vollführten. Wenn er kein Sonnenlicht in die Hütte eindringen ließ (die dann für den Beobachter mit – für die Bienen unsichtbarem – Rotlicht beleuchtet wurde), zeigten sich die Tiere vollkommen desorientiert. Schaltete er jedoch eine Taschenlampe an, richteten die Bienen ihre Tänze sofort so aus, als handelte es sich um die Sonne – genau wie Lubbocks Ameisen. Und indem von Frisch den Taschenlampenstrahl herumschwenkte, brachte er die Bienen dazu, in jede von ihm gewählte Richtung zu tanzen.

Dann bemerkte er, dass die Bienen ihre Tänze manchmal korrekt auszurichten vermochten, auch wenn sie nur ein kleines Stück vom Himmel sehen konnten. Und so ging er ähnlich vor wie Santschi bei seinen viel früheren Experimenten mit den Wüstenameisen (von denen er damals allerdings nichts wusste): Er brachte im Dach ein Ofenrohr an, sodass die Bienen nur einen kleinen Kreisausschnitt des Himmels ohne Sonne sahen. Solange der Himmel klar war, konnten die Bienen korrekt tanzen, aber sie wurden orientierungslos, wenn Wolken über den Lichtkreis zogen. Als Nächstes versuchte von Frisch, den Bienen durch die Öffnung ein zurückgespiegeltes Bild des Himmels zu zeigen, und stellte dabei fest, dass die Ausrichtung der Tänze umgekehrt wurde.

Als von Frisch diese rätselhaften Erkenntnisse mit Physikern erörterte, lieferten diese eine mögliche Erklärung. Sie äußerten die Vermutung, die Bienen könnten sensibel für die Polarisation des Sonnenlichts sein.3

Seit Langem war bekannt, dass das Licht der Sonne aus elektrischen und magnetischen Wellen besteht, die im rechten Winkel zueinander schwingen. Jede mögliche Ausrichtung dieser Wellen erscheint im Sonnenlicht, solange es luftleeren Raum durchdringt; wenn es aber die Erdatmosphäre durchquert, werden einige seiner Bestandteile herausgefiltert. Dieser Prozess wird als Polarisation bezeichnet. Die charakteristischen Muster am Himmel, die dabei entstehen, nennt man fachsprachlich »E-Vektoren« (abgekürzt für »elektrische Vektoren«). Mit bloßem Auge können wir diese Muster nicht sehen, aber mithilfe von Polarisationsfiltern bekommen wir eine vage Vorstellung davon, wie sie womöglich für Tiere aussehen, die sie wahrnehmen können.

Das Band der stärksten Polarisation an einem wolkenlosen Himmel mit der Sonne im Rücken

Versuchen Sie einmal, sich an einem wolkenlosen Vormittag mit dem Rücken zur Sonne zu stellen. Setzen Sie nun eine Sonnenbrille mit Polarisationsfilter auf. Wenn Sie direkt nach oben in den Himmel blicken, sollten Sie einen dunkelblauen Streifen sehen können, der vom linken zum rechten Rand des Horizonts verläuft. Sobald Sie sich nun langsam um neunzig Grad drehen, egal ob nach links oder nach rechts, werden Sie feststellen, dass sich der dunkle Streifen allmählich aufhellt. Er markiert den Bereich der stärksten Polarisation, und seine Ausrichtung am Himmel hängt vom Azimut der Sonne ab.

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9783866483897
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