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Die sechsbeinigen Geheimnisse eines provenzalischen Gartens

Ich hege ein Faible für den französischen Insektenforscher Jean-Henri Fabre (1823–1915), seit ich seine Bücher entdeckte. Sein Hauptwerk, Souvenirs Entomologiques (Entomologische Erinnerungen, auch Erinnerungen eines Insektenforschers), dessen erster Teil 1879 erschien, wurde ein höchst ungewöhnliches verlegerisches Phänomen – ein Bestseller ausschließlich über Gliederfüßer. Fabre verfasste nicht nur einige der lyrischsten und kurzweiligsten Schilderungen des Insektenlebens, die je geschrieben wurden, sondern leitete auch bahnbrechende Studien zur Tiernavigation.

Fabre war alles andere als ein konventioneller Gelehrter, aber seine bemerkenswerte Beobachtungsgabe war gepaart mit der Neugier, Geduld und Findigkeit, die einen wahren Wissenschaftler kennzeichnen. Den Großteil seines Lebens mühte er sich damit ab, eine vielköpfige Familie mit seinem Lehrergehalt durchzubringen, während er auf Korsika und in verschiedenen Gegenden der Provence arbeitete. Es heißt zwar oft, Fabre sei Autodidakt gewesen, doch in Wahrheit unterhielt er enge Verbindungen zur Gelehrtenwelt und schloss sein Studium sogar mit einer Promotion ab. Schließlich verlegte er sich darauf, Schul- und Lehrbücher zu schreiben, um sein Einkommen aufzubessern – ein Unterfangen, das sich als einträglich erwies und es ihm erlaubte, die Lehrtätigkeit aufzugeben und sich ganz seinen Forschungsarbeiten zu widmen.8

Fabre war fasziniert von den Insekten und Spinnen, die damals auf den Feldern und Hügeln der Provence bestimmt noch viel zahlreicher vertreten waren als heute. Ganz besonders begeisterte er sich für Grabwespen. Diese Parasiten legen ihre Eier in Erdlöchern ab und versorgen die daraus schlüpfenden Larven, indem sie gelähmte Beutetiere mit einlagern, von denen sich der Nachwuchs nach Belieben ernähren kann – eine makabre lebende Speisekammer. Fabre beobachtete, dass die Wespen oft überraschend lange Strecken zurücklegten, wenn sie ihre Nester mit Proviant ausstatteten; erstaunlicherweise fanden sie immer wieder zurück, auch wenn er sie etliche Kilometer weit entfernt aussetzte.

Aufgrund anderer Beobachtungen wusste Fabre, dass die beiden Fühler der Wespe eine wichtige Rolle bei ihrer Nahrungssuche spielten. Also fragte er sich, ob sich ihr Orientierungsgeschick ebenfalls auf diese Sinnesorgane stützte. Und so trennte Fabre kurzerhand die Fühler einiger Wespen ab, um zu sehen, was nun passieren würde. Überrascht stellte er fest, dass die drastische Maßnahme keinerlei Auswirkung auf die Zielfindungsfähigkeit der Wespen hatte; allerdings dürften die bedauerlichen Kreaturen hungrig geblieben sein.9

Fabre konnte sich darauf keinen Reim machen, und so verlagerte er das Hauptaugenmerk seiner Forschungen auf die aggressiven Roten Gartenameisen, die auf seinem großen Grundstück lebten; diese Spezies raubt die Nester ihrer schwarzen Verwandten aus und stiehlt deren Nachwuchs.10 Die Roten Gartenameisen waren viel folgsamere Probanden und konnten auf den Streifzügen außerhalb ihrer Nester leichter beobachtet werden. Mit der Hilfe seiner sechsjährigen Enkelin Lucie führte Fabre eine Reihe einfacher, aber bahnbrechender Experimente durch.

Zunächst stand Lucie mit bewundernswertem Pflichteifer Wache am Nest der Roten Gartenameisen und wartete geduldig darauf, bis ein Überfallkommando ausrückte. Dann verfolgte sie die Kolonne und markierte deren Weg mit kleinen weißen Kieselsteinen, genau wie der kleine Däumling im gleichnamigen Märchen, wie Fabre bemerkte.11 Sobald die roten Ameisen ein Nest der schwarzen Ameisen zum Plündern gefunden hatten, lief Lucie zu ihrem Großvater und alarmierte ihn.

Fabre wusste, dass Rote Gartenameisen nach ihren Streifzügen – wenn sie ihre Beute heimbrachten – immer auf demselben Weg zurückkehrten, und er vermutete, sie ließen sich dabei von irgendeiner Art Duftspur leiten. Um diese These zu überprüfen, versuchte er mit verschiedenen Mitteln, den Geruch, dem die Ameisen möglicherweise folgten, zu tilgen oder zu überdecken. Zuerst fegte er den Boden gründlich ab. Die zielstrebigen Ameisen wurden jedoch nur kurzzeitig aufgehalten und fanden ihren Weg wieder, entweder indem sie über die abgefegten Flächen vorrückten oder diese umgingen.

Fabre vermutete, dass gewisse Spuren dem Fegen standgehalten hatten, und so richtete er einen Wasserschlauch auf den Pfad, in der Hoffnung, jeden eventuell noch verbliebenen Geruch wegzuspülen. Aber auch dieses Mal schafften es die Ameisen, an ihr Ziel zu gelangen. Das Gleiche geschah, als Fabre auf einen Teil des Weges Menthol träufelte, um die hypothetische Duftspur zu überdecken.

Nun kam Fabre der Gedanke, dass sich die Roten Gartenameisen – obwohl sie offenkundig kurzsichtig waren – vielleicht auf visuelle Hinweise stützten, anstatt ihren Weg anhand von Gerüchen zurückzuverfolgen. Möglicherweise prägten sie sich irgendwelche markanten Punkte ein. Um diese Vermutung zu prüfen, veränderte Fabre das Aussehen des Ameisenpfades, indem er zunächst Zeitungsblätter und später eine Schicht gelben Sandes darüberlegte – was sich farblich von der umgebenden grauen Erde klar unterschied. Diese Hindernisse bereiteten den Ameisen weitaus größere Schwierigkeiten, doch sie fanden trotzdem zu ihrem Nest zurück.

Fabre stellte fest, dass die Ameisen ihren Weg zu einer Beutequelle selbst nach zwei oder drei Tagen erneut verfolgen konnten, aber wenn er die Ameisen in Teile des Gartens versetzte, die sie noch nie aufgesucht hatten, waren sie orientierungslos. Von Bereichen, die sie bereits kannten, fanden sie hingegen problemlos wieder zurück.

Auf Grundlage dieser Beobachtungen kam Fabre zu dem Schluss, dass sich die Ameisen auf ihr Sehvermögen stützten und nicht auf den Geruchssinn. Fabre staunte zwar darüber, dass ein derart kleines Tier klug genug war, so vorzugehen, aber er war davon überzeugt, dass sich Ameisen an visuellen Wegmarken orientierten – wie Menschen. Seine schlichten Methoden mochten modernen Standards wissenschaftlicher Genauigkeit nicht unbedingt genügt haben, doch er war durchaus auf der richtigen Spur.

– – – –

Wie Jean-Henri Fabre war auch der große holländische Feldbiologe Nikolaas Tinbergen (1907–1988) fasziniert von der Art und Weise, wie Grabwespen nach ihren ausgedehnten Streifzügen zielsicher zu ihren Erdlöchern zurückfanden. Zumindest in Tinbergens Augen schienen die kleinen Höhleneingänge recht unauffällig zu sein. Wie konnten die Wespen sie ausfindig machen? Er hielt es für denkbar, dass sie sich markante Punkte in der Landschaft einprägten, und so platzierte er einen Kreis von Kiefernzapfen um den Nesteingang. Als er die Zapfen heimlich woanders hinlegte, stellte er erfreut fest, dass die heimkehrenden Wespen an der neuen Stelle nach dem Nesteingang suchten.

Wurden die Wespen etwa von Zeichen jeder Größe und Form angezogen, oder wurde ihre Aufmerksamkeit von besonderen visuellen Merkmalen stärker erregt als von anderen? Um diese Frage zu beantworten, deponierte Tinbergen Markierungen unterschiedlicher Art um die Erdlöcher. Nachdem die Wespen ausgeflogen waren, schuf er zwei künstliche Eingänge, die von jeweils unterschiedlichen Markierungen gekennzeichnet waren.

Es wurde deutlich, dass dunkle, dreidimensionale Markierungen die Wespen stärker anzogen als helle und flache. Ähnliche Experimente mit Honigbienen zeigten, dass sie sich beim Wegflug von einer nektarreichen Blüte die Umgebung sorgfältig einprägen und dabei besonders auf dreidimensionale Orientierungspunkte achten. Die Bienen können sich sogar die geometrischen Beziehungen zwischen diesen Punkten zunutze machen, vor allem deren Entfernung zu einer üppigen Blüte, um wieder dorthin zurückzufinden.12

3. KAPITEL
Im dunkelsten Dickicht

Die Schweißbiene ist im tropischen Zentral- und Südamerika heimisch. Ihr eher unschöner Name rührt daher, dass sie gern menschlichen Schweiß leckt. Während die bekanntere Honigbiene am Tag fliegt, schwärmt die Schweißbiene nur in der Abenddämmerung und im Morgengrauen aus; sie ist ein Dämmerungstier. Die Weibchen leben im Regenwald und bauen ihre Nester in kleinen ausgehöhlten Ästen, die im Unterholz verborgen sind. Wenn sie zum Sammelflug aufbrechen, müssen sie ihren Weg durch dichte Vegetation finden (es ist aber auch möglich, dass sie über den Baumkronen des Regenwalds fliegen – das weiß bisher niemand genau). Nach den eingesammelten Pollen zu urteilen, können sie sich mindestens 300 Meter weit fortbewegen.

In den Tropen wird es schnell dunkel, und die Dunkelheit in einem Regenwald ist wahrlich finster, denn das Laubwerk lässt den Großteil des etwaigen Lichts kaum durchdringen. Die Navigationsarbeit der Schweißbiene wäre schon bei hellem Tageslicht schwierig, doch nach Sonnenuntergang wird diese durch die geringe Anzahl von Photonen zu einer – gelinde gesagt – »besonderen Herausforderung«1.

Ich reiste nach Lund im südlichen Schweden, um an der dortigen Universität den Mann zu treffen, dessen Team die erwähnten außergewöhnlichen Entdeckungen machte: Eric Warrant. Der enthusiastische und dynamische Australier kennt sich mit dem Sehvermögen von Insekten so gut aus wie kaum ein anderer, und er war hocherfreut, dass ich seine Begeisterung für sechsbeinige Tiere teilte.

Im Lauf unseres Gesprächs erklärte mir Warrant, dass man die Sensitivität einer einzelnen Fotorezeptorzelle im Auge eines Tieres überprüfen kann, indem man deren Reaktion auf einen Lichtpunkt von variierender Stärke aufzeichnet. Wenn das Licht extrem matt ist, geschieht gar nichts, aber wenn es schrittweise aufgedreht wird, beginnt die Zelle, winzige elektrische Signale zu »feuern«. Mithilfe dieses Verfahrens ließ sich nachweisen, dass einige Tiere sogar einzelne Photonen wahrnehmen können.

Es lohnt sich, kurz über die Bedeutung dieser Feststellung nachzudenken. Ein Photon ist eines der Elementarteilchen der Natur, doch rätselhafterweise verhält es sich auch wellenartig. So überaus klein ist es, dass es keinerlei Raum einnimmt und keine Masse besitzt. Photonen bewegen sich jedoch mit Lichtgeschwindigkeit und geben winzige Energiemengen ab (die Mengen variieren mit der jeweiligen Wellenlänge).

Es ist erstaunlich, dass die Augen eines Tieres überhaupt in der Lage sind, solch ein winziges Bündel Energie wahrzunehmen, aber die Schweißbiene ist eine Klasse für sich. Sie findet ihren Heimweg durch das dunkle Dickicht mit dem dürftigen visuellen Input von gerade einmal fünf Photonen pro Sekunde für jeden ihrer Fotorezeptoren. Wenn sich Eric Warrant dieses nächtliche Navigationsgeschick vorstellt, bekommt er eine Gänsehaut:

Es ist einfach aberwitzig, vollkommen aberwitzig, dass sie durch dieses dunkle Dickicht fliegen, Blüten aufspüren und dann mühelos zurückfinden und mit solch unglaublicher Präzision landen.

Die außergewöhnliche Sensitivität der Facettenaugen einer Schweißbiene allein erklärt nicht, wie das Tier in nahezu vollkommener Dunkelheit so zielsicher navigieren kann. Dazu ist noch etwas anderes nötig. Die Antwort liefern spezialisierte Zellen im Gehirn der Schweißbiene, welche die von den Augen kommenden Signale »addieren«. Mithilfe dieser Zellen können die Tiere den größtmöglichen Nutzen aus dem sehr begrenzten Informationsfluss ziehen, den sie von ihrer Umgebung erhalten. Da die Schweißbiene, verglichen mit tagaktiven Bienen, eher langsam fliegt, hat sie mehr Zeit für diese »Aufsummierung«. Warrant hält es für denkbar, dass die Schweißbiene die sehr schwachen Muster, die durch den Kontrast zwischen Baumkronen und Nachthimmel entstehen, als Orientierungshilfen nutzt, um zu ihrem Nest zurückzufinden (was bekanntermaßen auch bei einigen Regenwaldameisen der Fall ist); allerdings muss das erst noch nachgewiesen werden.

Wenn die Schweißbiene ihr Nest verlässt, vollführt sie einen »Orientierungsflug«, bei dem sie absichtlich kehrtmacht, um den Nesteingang und dessen Umgebung in Augenschein zu nehmen. Als Warrant und seine Kollegen das Nest einer Biene nach deren Ausschwärmen versetzten, suchte das Tier genau die Stelle auf, an der sich das Nest ursprünglich befunden hatte; geleitet wurde sie dabei vermutlich von den Landmarken ringsum.

Um diese Mutmaßung zu überprüfen, brachten die Forscher einen weißen Karton vor dem Nesteingang an, bevor die Biene ausflog; während sie unterwegs war, hängten sie die Markierung vor ein benachbartes, verwaistes Bienennest. Bei ihrer Rückkehr ließ sich die Biene täuschen und suchte das falsche Nest auf, das sie allerdings schnell wieder verließ. Zu ihrem richtigen Zuhause konnte sie erst zurückfinden, als die Wissenschaftler den weißen Karton wieder an seiner ursprünglichen Stelle anbrachten.2 Das beweist, dass der Zielflug nicht durch den Geruchssinn gesteuert wird.

Der Mensch neigt dazu, Fischen nicht sehr viel zuzutrauen. Oberflächlich betrachtet scheinen Fische kalt, glitschig und – offen gesagt – ziemlich begriffsstutzig zu sein. Warum wären sie sonst so töricht, an einem Haken anzubeißen oder in ein Netz zu schwimmen? Diese Sichtweise verrät, wie so viele unserer Vorurteile, schlicht und einfach unsere Unwissenheit. Fische sind in freier Natur viel schwerer zu beobachten als Landtiere, daher wissen wir noch immer sehr wenig über sie. Aber eines ist sicher: Sie schwimmen nicht bloß ziellos herum, und Orientierungspunkte unterschiedlicher Art spielen bei ihrer Navigation eine große Rolle.

Fische verfügen über eine Vielzahl von Sinnesorganen, von denen uns einige recht fremdartig erscheinen. Ihr Seitenlinienorgan – eine Reihe von druckempfindlichen Poren entlang der Flanken – reagiert höchst sensibel auf die kleinsten Bewegungen im umgebenden Wasser. Dieses Organ verleiht Fischschwärmen die außergewöhnliche Fähigkeit, im Gleichtakt ihre Richtung zu ändern.

Der blinde mexikanische Höhlenfisch nutzt die Druckwellen, die durch seine eigene Fortbewegung entstehen, um die Position von Gegenständen in seiner Umgebung auszumachen. Während sich der Fisch in der Dunkelheit bewegt, nimmt sein Seitenlinienorgan charakteristische Resonanzen auf, und er kann lernen, anhand dieser »flüssigen Orientierungshilfen« bestimmten Routen zu folgen.3

Andere Fische stützen sich auf visuelle Anhaltspunkte, zum Beispiel der indische Kletterfisch, der sowohl in stehenden Gewässern wie Teichen als auch in strömungsstarken Flüssen lebt. Wissenschaftler setzten Fische aus diesen zwei sehr unterschiedlichen Lebensräumen in große Aquarien und brachten ihnen bei, sich eine Belohnung zu schnappen, indem sie durch eine Reihe enger Öffnungen in den Beckenwänden schwammen. Anfangs schnitten die Flussfische um einiges besser ab als die Teichfische, aber als neben jedem Durchgang eine kleine Pflanze angebracht wurde, kehrten sich die Ergebnisse um: Nun lagen die Teichfische vorn.

Es scheint so, als nähmen Fische in strömungsstarken Flüssen nur wenig Notiz von unbeständigen Objekten wie Pflanzen, weil diese zu schnell weggetrieben werden und deshalb keine geeignete Orientierungshilfe darstellen. Die Teichfische hingegen können sich darauf verlassen, dass die meisten Gegenstände an Ort und Stelle bleiben, und so haben sie gelernt, ihnen viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken.4

Einige andere Fischarten, darunter Aale und Haie, reagieren auf elektrische Felder und nutzen elektrische Orientierungspunkte. So verfügt beispielsweise der schwach elektrische Fisch über ein besonderes Organ, das ihm erlaubt, Veränderungen des elektrischen Feldes im umgebenden Wasser wahrzunehmen. Dieser nachtaktive Fisch lebt auf dem Grund afrikanischer Seen und kann anhand seiner speziellen Methode lernen, eine Öffnung in einer Barriere zu finden, die mit einer Orientierungshilfe gekennzeichnet ist – ähnlich wie der indische Kletterfisch. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen den beiden Spezies: Der schwach elektrische Fisch bewältigt die Aufgabe in vollkommener Dunkelheit.5

Auch Insekten greifen gelegentlich auf elektrische Signale zurück, um Gegenstände zu lokalisieren.

Folgende Phänomene sind aus dem Alltag bekannt: Wenn man von eingeschweißter Ware die Plastikfolie abreißt, bleibt sie häufig an der Hand hängen, obwohl sie nicht klebrig ist. Es kann außerdem passieren, dass man durch den Kontakt mit einer metallenen Oberfläche einen winzigen elektrischen Schlag bekommt – besonders wenn man zuvor über einen Kunstfaserteppich gegangen ist. Diese eigenartigen Effekte rühren daher, dass sich eine statische Aufladung bildet. Und kurioserweise spielen sie eine entscheidende Rolle bei der ökologisch wichtigen Blütenbestäubung durch Bienen.

Hummeln können die statischen elektrischen Felder in der Umgebung von Blüten wahrnehmen und sogar verschiedene Blüten unterscheiden, je nachdem, welche Arten elektrischer Muster diese erzeugen. Die Hummeln nehmen die schwachen Signale mithilfe sensorischer Haare wahr, die durch die elektrischen Felder der Blüten gebogen werden. Anhand dieser elektrischen Signale können sie zwischen nektarreichen und weniger ergiebigen Blüten unterscheiden.6

Der Kiefernhäher

Vögel können über weite Strecken fliegen und müssen daher besonders schwierige Navigationsaufgaben bewältigen. Doch sie verfügen über ein erstaunliches Sehvermögen – und verschiedene andere Hilfsmittel. So wie der Mensch manchmal GPS nutzt oder gelegentlich eine Landkarte verwendet, wechseln auch Vögel ganz pragmatisch zwischen den unterschiedlichsten Methoden hin und her.

Die einzelnen Orientierungsmechanismen, auf die Vögel zurückgreifen, sind nur schwer zu durchschauen. Bis heute ist noch vieles ungeklärt – ein großes Dilemma, das alle Zweige der Verhaltensforschung betrifft. Die Ergebnisse von Experimenten mit komplexen Tierarten lassen sich nur selten klar deuten. Man denke nur an Intelligenztests beim Menschen. Wenn ein kleines Kind schlecht abschneidet, muss das nicht unbedingt heißen, dass es nicht besonders klug ist. Vielleicht war es einfach nur nervös, abgelenkt oder sogar gelangweilt – oder der Test war schlecht konzipiert.

Trotz dieser Probleme ist es vollkommen klar, dass die visuelle Wiedererkennung eine für Vögel wichtige Orientierungsmethode darstellt. Ein spezieller Vogel ist ein regelrechtes Genie auf diesem Gebiet.

Der Kiefernhäher gehört der hochintelligenten Familie der Rabenvögel an. Er lebt in den Hochgebirgen im westlichen Nordamerika. Erstmals beschrieben wurde er von William Clark, dem Begleiter von Meriwether Lewis, der Anfang des 19. Jahrhunderts die legendäre Überlandexpedition von St. Lewis zum Pazifik und zurück leitete und unterwegs Karten anfertigte.

Diese Spezies kann die langen, kalten Winter in den Bergen nur überleben, indem sie, ähnlich wie das Eichhörnchen, in den Sommermonaten Samen bunkert. Da der Kiefernhäher alles andere als dumm ist, versteckt er nicht alle an einem einzigen Ort; das wäre viel zu gefährlich, denn andere Tiere (selbst die eigenen Artgenossen) würden sie stehlen, wenn sie die Möglichkeit hätten. Und natürlich müsste der Vogel verhungern, wenn er sein geheimes Lager nicht mehr finden würde.

Es ist erstaunlich, was sich der Kiefernhäher beim Bunkern seiner Vorräte alles einfallen lässt. Er versteckt jeweils nur ein paar Samen an diversen Stellen, die über ein Gebiet von ungefähr 260 Quadratkilometern verteilt sind. Einige vergräbt er beispielsweise an windumtosten Steilhängen, andere in dichten Wäldern oder auf kahlen Berggipfeln. Ein einziger Kiefernhäher kann mehr als 30 000 Samen in nicht weniger als 6000 verschiedenen Verstecken einlagern. Die Vögel müssen in der Lage sein, sich über viele Monate hinweg an diese Orte zu erinnern. Ihr Gedächtnis ist zwar nicht lückenlos, aber sehr beeindruckend, und sicherlich mehr als ausreichend, um in ihrem unwirtlichen Habitat zu überleben.

Das Verhalten des Kiefernhähers beim Anlegen von Samenverstecken veranschaulicht ein wichtiges Grundprinzip, das für die Navigation besonders bedeutsam ist: Die Evolution begünstigt die Entwicklung von Systemen, die »gut genug« und nicht unbedingt perfekt sind. Die Natur selektiert jene Eigenschaften, die es dem Organismus ermöglichen, lange genug zu leben, um sich fortzupflanzen. Es hat keinen Sinn, eine komplexere Methode zu entwickeln, wenn eine einfachere diese Grundanforderung erfüllt – zumal für eine höhere Leistung ein größeres Gehirn erforderlich wäre. Und da der Energiebedarf bei einem größeren Gehirn enorm ist, wäre weit mehr Nahrung nötig, um es zu versorgen. Es zahlt sich folglich nicht aus, ein größeres Gehirn zu haben, als man wirklich braucht.

Man mag sich fragen, ob der Geruchssinn bei dem erstaunlichen Verhalten des Kiefernhähers eine Rolle spielt, doch das scheint nicht der Fall zu sein. Stattdessen prägt sich der Vogel kleinere Orientierungshinweise um jedes der Verstecke ein; er kann sich auch die geometrischen Beziehungen zwischen diesen merken.7 In freier Natur mögen Steine oder Büsche als Erkennungszeichen dienen, aber in Labortests geben sich die Vögel auch mit künstlichen Gegenständen zufrieden. Wenn die Forscher die Zeichen heimlich verändern, dabei aber deren Gesamtmuster beibehalten, suchen die Vögel häufig an der Stelle, die durch die verschobene Anordnung angezeigt wird.

Doch hinter der Methode, mit der Kiefernhäher ihre Verstecke finden, steckt offenbar noch mehr. Die jüngste Forschung deutet darauf hin, dass sich die Vögel eher auf größere, weiter entfernte Landmarken verlassen. Diese dürften aus der Entfernung leichter zu erkennen sein und unterliegen dank ihrer Größe auch weniger den Auswirkungen von Wind und Wetter.8

Es ist noch nicht genau geklärt, auf welche Zeichen die Vögel in freier Natur achten, aber sehr wahrscheinlich nehmen sie hervorstechende Merkmale in der Umgebung ihres Verstecks wahr – etwa Bäume oder große Felsbrocken – und machen vielleicht eine Art »Panoramaschnappschuss« der betreffenden Stelle. Das Auffinden eines Verstecks dürfte also in zwei Schritten erfolgen. Zuerst identifiziert der Vogel die Umgebung durch einen – wie auch immer gearteten – Bildabgleich, wobei größere Landschaftsmerkmale einbezogen werden, um sich dann auf kleinere Objekte zu konzentrieren, die näher am Versteck liegen und dessen genaue Position zu bestimmen helfen.

Seit Tausenden von Jahren hat sich der Mensch das außergewöhnliche Heimfindevermögen der Tauben zunutze gemacht, um Nachrichten schnell und häufig über große Entfernungen zu übersenden. Das Militär hat Tauben seit der Zeit der Römer eingesetzt, wenn nicht schon früher; und diverse Kombattanten haben allein im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende verwendet. Einigen Tauben wurden sogar Tapferkeitsmedaillen verliehen, weil sie unter Feindfeuer zuverlässig Nachrichten überbrachten.

Im Jahr 1815 machte die Rothschild-Bank einer Legende zufolge ein Riesengeschäft, weil sie lange vor den Börsen per Taubenpost vom Ausgang der Schlacht von Waterloo erfuhr. Eine nette Geschichte, die aber wohl jeder Grundlage entbehrt. Allerdings entwickelten die Rothschilds tatsächlich ein Verständigungssystem mittels Brieftauben; es war ab den 1840er-Jahren in Betrieb9, einige Jahre bevor die ersten elektronischen Telegrafensysteme verfügbar waren.

Tauben wurden in großem Umfang eingesetzt, als Paris 1870–1871 von der preußischen Armee belagert wurde. Um sie aus der Stadt zu bringen, nutzte man Ballons, die außer Reichweite des Feindes sicher landeten. Die Tauben wurden gefüttert und durften ausruhen, bevor sie aus eigener Kraft mit mikrofotografischen Nachrichten für die umzingelten Stadtbewohner zurückflogen.

Weil Tauben sehr leicht aufzuziehen sind und (im Gegensatz zu den meisten anderen Vögeln) beinahe jederzeit bereit sind, große Entfernungen zurückzulegen, wurden und werden sie seit Langem verwendet, um unterschiedliche Theorien über das Orientierungsvermögen von Vögeln zu testen. Mithilfe elektronischer Peilsender konnten Forscher in den vergangenen Jahren ihr Heimfindeverhalten sehr detailliert studieren. Es überrascht nicht, dass Tauben sich an visuellen Anhaltspunkten orientieren, allerdings können sie auch erlernten »Kompasskursen« folgen.10

Junge Brieftauben erkunden die Umgebung ihres Schlags gründlich und lernen dabei die räumliche Anordnung des heimischen Landstrichs kennen, häufig über recht weite Gebiete. Die auf diese Weise gesammelten Informationen nützen ihnen nichts, wenn sie sich in einer Gegend wiederfinden, in der sie noch nie zuvor waren; aber sobald sie in vertrautes Gebiet zurückkehren, orientieren sie sich an auffälligen Landschaftsmerkmalen wie Straßen, Bahntrassen und Flüssen. Auf den letzten Abschnitten ihrer Flüge folgen Brieftauben in der Regel gewohnten und nicht immer den direktesten Routen.11 Aber wir sollten uns nicht überlegen fühlen; Brieftauben verhalten sich in dieser Hinsicht wie die Millionen menschlicher Pendler, die als Gewohnheitstiere häufig genau das Gleiche tun.

Den Tauben scheint es leichter zu fallen, eine neue Route zu lernen, wenn die überflogene Landschaft eine gewisse Abwechslung bietet – allerdings nicht zu viel.12 Richard Mann, der Hauptautor der Studie, erklärt das folgendermaßen:

Wenn wir beobachten, wie schnell sie sich unterschiedliche Routen einprägen, erkennen wir, dass visuelle Orientierungspunkte eine entscheidende Rolle spielen. Tauben fällt es schwerer, sich an Routen zu erinnern, wenn die Landschaft zu eintönig ist, wie etwa ein Feld, oder aber zu unruhig, wie ein Wald oder ein dichtes Stadtgebiet. Das Optimum liegt irgendwo dazwischen: relativ offenes Gelände mit einzelnen Hecken, Bäumen oder Gebäuden. Die Grenzgebiete zwischen ländlichen und urbanen Räumen sind ebenfalls günstig.13

Fledermäuse zeichnen sich ebenfalls durch ein erstaunliches Orientierungsgeschick aus. Entgegen der allgemeinen Auffassung sind sie nicht blind; viele verfügen über ein sehr gutes Sehvermögen. Einige wandernde Fledermausarten legen Tausende von Kilometern zurück; für sie ist die Fähigkeit, ferne Landmarken wahrzunehmen, offenbar enorm wichtig.

Vor ein paar Jahren statteten israelische Wissenschaftler Flughunde mit GPS-Peilsendern aus und brachten sie von ihrer heimischen Höhle zu einem etwa 84 Kilometer entfernten Krater in der Wüste. Einige Flughunde wurden am Boden des Kraters freigelassen, andere oben am Rand. Obwohl allen ausgesetzten Tieren die Gegend um den Krater nicht vertraut war, fanden die meisten wieder zurück zu ihrer Höhle.

Beide Flughundgruppen waren dabei gleich erfolgreich, doch zu Beginn ihres Fluges verhielten sie sich recht unterschiedlich. Diejenigen, die auf dem Grund des Kraters freigelassen wurden und die umgebende Landschaft zunächst nicht sehen konnten, waren desorientiert und flogen erst einmal eine Zeit lang im Kreis herum, bevor sie Richtung Heimat steuerten. Die Gruppe, die am Kraterrand ausgesetzt wurde, nahm direkt Kurs auf ihre Höhle. Die Flughunde schienen sich an größeren Landmarken wie fernen Bergen zu orientieren und ihren Standort anhand dieser zu bestimmen – wie ein Wanderer mit Karte und Kompass.14

– – – –

Der winzig kleine Streifenwaldsänger fliegt jeden Herbst vom nordöstlichen Nordamerika nach Süden, bis in die Karibik und manchmal sogar bis Kolumbien und Venezuela. Sichtungen an Bord von Schiffen deuteten zwar darauf hin, dass die Zugvögel einer Route folgten, die direkt über den Atlantik führte, doch lange Zeit war unklar, wie lange sie über dem Ozean unterwegs waren. Das Rätsel wurde inzwischen gelöst. Mithilfe extrem kleiner Peilsender haben Wissenschaftler vor Kurzem nachgewiesen, dass die Vögel ohne Unterbrechung von Long Island bis nach Hispaniola oder Puerto Rico fliegen können – eine Entfernung von 2770 Kilometern über das offene Meer.

Selbst wenn sich die Streifenwaldsänger für ihren Wanderzug gemästet haben, wiegen sie normalerweise nur rund 17 Gramm – das entspricht etwa fünfzig Aspirintabletten. Der Rubinkehlkolibri, der nur drei bis vier Gramm wiegt, fliegt zwar auf seiner außergewöhnlichen Wanderung vermutlich über den Golf von Mexiko, doch das entspricht einer Distanz von nur 850 Kilometern. Laut den Autoren der genannten Studie ist der Nonstop-Überseeflug des Streifenwaldsängers »eine der ungewöhnlichsten Wanderleistungen auf dem Planeten«.15

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421 стр. 19 иллюстраций
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9783866483897
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