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Berechnungen

4

Samira öffnete vorsichtig die Tür, als sie ihn schnarchen hörte. Sie trat an sein Bett, oder vielmehr ihr Bett, das sie mit ihm teilen musste, bis er … bis er woanders ruhte, in kühleren Gefilden sozusagen und nicht unbedingt in einem Stück. Sie starrte auf ihn hinunter. Ihr Lächeln war verschwunden.

Sie hielt einen Block in den Händen. Mit einem Stift notierte sie, was er heute gegessen hatte und berechnete mithilfe eines kleinen Taschenrechners, wie lange es wohl dauern würde, bis sie die Menge verdoppeln konnte. Und wie lange er brauchen würde, um zehn Kilo zuzunehmen.

Sie lächelte zufrieden. Drei Monate höchstens. Sie durfte ihn nicht zu sehr schuften lassen. Das Internet-Forum der anderen Verabscheuten lief nur so über von Tipps und Tricks, wie man die Beute dazu brachte, schnell und viel zuzunehmen. Aber Samira wollte nicht, dass Luke mehr als zehn Kilo zunahm. Das Fleisch wurde sonst einfach zu fett. Die Erhabenen fanden das allerdings toll. Aber die waren ja sowieso nicht ganz dicht.

Muskelab- und Fettaufbau, das war das Ziel. Morgens hatte er doch tatsächlich Situps und Liegestütze im Garten gemacht. Daraufhin hatte Samira ihm noch eine Extradosis Bralocolin in seinen Kaffee getan. Jetzt schlief er wieder, und sobald er wach war, würde sie ihn mit Bier abfüllen. Das würde ihn träge und willfährig machen. Und dann gab es Kaffee und Kuchen, wieder ein Nickerchen, dann vielleicht ein Fickerchen, und dann Abendessen. Sie würde ihn auch im Bett nicht überbeanspruchen dürfen, Sex verbrannte nur unnütz Kalorien, aber jetzt war er noch knackig und begehrenswert. Das würde sich sehr schnell ändern.

Sie zog Luke vorsichtig die Decke weg und bestimmte den Anteil seines Körperfetts mit einem Messgerät, das sie im Internet bestellt hatte. Sie krauste die Stirn; trotz seines hohen Körpergewichts von einhundertunddrei Kilo war nur ein Bruchteil davon Fett. Die vielen Muskeln. Er musste noch mehr schlafen, mehr essen, weniger körperlich arbeiten und noch weniger rammeln. Verdammt schade.

Wenn die drei Monate mal hinkamen … Samira würde im Forum nachfragen. Dort standen einem auch Ärzte mit Rat und Tat zur Seite. Sie bedauerte, dass Mrs. Moerfield nicht mehr lebte. Die hatte Tricks draufgehabt, es war unglaublich, regelrecht rekordverdächtig, wie schnell sie ihre Beute immer gemästet hatte. Aber sie hatte sich auch nur selten dazu herabgelassen, den Verabscheuten Tipps zu geben. Und die im Forum hatten bei Samira auch zwiespältige Gefühle, denn keiner von denen würde mit der Beute ins Bett gehen. Das tat man einfach nicht, und wenn die Verabscheuten auch nur deswegen verabscheut wurden, weil sie Sex hatten, so hatten auch die ihre Moralvorstellungen. Niemand würde je mit einem Außenseiter schlafen, schon gar nicht, wenn dieser eines Tages auf dem Teller lag, umgeben von Kartöffelchen und gedämpftem Gemüse.

Samira hielt das für Blödsinn. Es war doch praktisch. Der Sex strengte zwar an und verbrannte Körperfett, aber er hielt die Burschen auch fest, denn jeder wollte auf diese Weise mindestens zwei Tage bleiben. Und die reichten, um ihnen das Bralocolin zu verabreichen, und damit im Blut ging keiner mehr fort. Und wenn die Jungs zu fett wurden oder einen langweilten, landeten sie eben im Gefrierschrank. Was war schon dabei? Der Lebensspender wurde ja ohnehin abgetrennt und konnte das Fleisch nicht mehr „besudeln“.

Außerdem gab einem nichts auf der Welt ein größeres Gefühl von Macht. Die Erhabenen setzten auf Folter, aber für Samira gab es nichts Machtvolleres, als jemanden zu verraten, der einem vertraute. Oder zumindest jemanden, den man vorher im Bett hatte, zu töten. Es machte den Sex berauschend zu wissen, dass der Bursche bald sterben würde.

5

Luke blinzelte träge zur Sonne herauf. Er lag in eine Decke gewickelt auf der Veranda in einem der Liegestühle. Auf dem Tischchen neben ihm standen eine Schale mit Schokoladenkeksen und mehrere Flaschen Bier.

Er knabberte kraftlos an einem Keks und trank etwas Bier. Zwar war ihm nicht danach, aber Samira runzelte immer so empört die Stirn, wenn er nichts aß. „Ich verwöhne dich so gern, Luke“, pflegte sie zu sagen, „ich weiß doch, was für einen fürchterlichen Schweinefraß ihr im Gefängnis immer bekommt.“ Und da hatte sie verdammt recht. Er genoss das Essen, den Sex, aber auch die Umgebung. Platz. Endlich einmal genug Platz haben, denn im Gefängnis hatte man die Gefangenen schon beinahe stapeln müssen, da es doppelt so stark belegt war wie ursprünglich vorgesehen. Hier konnte er durch den großen Garten wandern oder auf der Veranda sitzen. Ab und zu bat ihn Samira um Hilfe bei kleineren Aufgaben, aber nicht oft. Leider bat sie ihn auch nicht mehr so oft um Sex wie am Anfang. Die ersten beiden Wochen waren der reinste Pornomarathon gewesen, aber jetzt kam er sich eher vor wie ein verhätschelter Schoßhund. Vielleicht lag es an den sieben Kilo, die er schon zugenommen hatte. Und das in kaum drei Monaten. Es war eine Schande. Einen richtigen Bierbauch hatte er, der Rest wurde durch die mangelnde Bewegung auch schon langsam schlaff. Und er war immer so verdammt müde und hatte grausames Kopfweh. Der Sex hatte ihn mehr und mehr angestrengt, und immer öfter hatte sie oben liegen wollen, wohl, weil er zu schwer wurde. Oder, weil der Anblick seiner schaukelnden Speckwülste ihr zu viel war.

Auch jetzt wünschte er sich nur noch, zu schlafen. Danach war schon wieder Zeit fürs Abendessen. Er machte die Augen zu und war auch schon weggetreten. Aber er döste nur und kämpfte noch gegen den Tiefschlaf.

Da nahm er hinter seinen gesenkten Augenlidern Bewegung wahr. Samira betrat die Veranda. Ihr silbernes Armband klirrte leise, als sie sich näher schlich und eine Tablette in sein offenes Bier fallen ließ.

Luke war beinahe wieder hellwach. Er sah, wie sie ihm einen prüfenden Blick zuwarf, sich einen Stuhl heranzog und sich neben ihn setzte. Sie nahm sich ein Bier, aber die noch verschlossene Flasche, öffnete sie und trank.

So war das also, sie tat ihm Drogen in sein Bier! Deswegen war er immer so müde und schlief so viel! Er hatte schon befürchtet, er sei krank. Aber wieso tat sie das?

Vielleicht will sie nicht alleine sein und mich auf diese Weise hier halten, dachte er, aber Samira wirkte nicht einsam und verzweifelt auf ihn. Wenn er im Knast eins gelernt hatte, war es, niemandem zu trauen. Menschen waren Bestien. Und das hier war bestimmt auch eine, nur sehr viel raffinierter und attraktiver als der Abschaum, mit dem er die letzten Jahre hatte verbringen müssen.

Das hier, überlegte er, musste wohl seine Abend- und Nachtration sein, die sich sprudelnd in seiner Bierflasche auflöste. Wenn er sie ausließ, war er morgen früh schon wieder putzmunter. Und dann würde er der Dame mal auf den Zahn fühlen.

„Luke! Wach auf, Schatz, es gibt Essen!“ Verdammt, er war doch wieder eingeschlafen.

„Schon gut.“ Er erhob sich ächzend und wankte zu ihr in die Küche. Es gab Hamburger, und sie hatte nicht an Mayonnaise gespart. Er aß vier Stück. Sie drängte ihn anmutig, noch einen zu essen, aber er schüttelte den Kopf. Sie trug die Restlichen murrend weg. Sie selbst aß keinen. Luke hatte sie noch nie essen sehen. Sie wartete wohl, bis er schlief. Na, bei der Figur ernährte sie sich sowieso bloß von zwei Salatblättern pro Tag.

„Hier, dein Bier, das hast du vorhin auf der Veranda vergessen.“ Ihr Lächeln war falsch und zu süßlich, als sie ihm die Flasche reichte.

„Danke. Ich nehm’s wieder mit raus. Der Abend ist herrlich heute, nicht wahr?“ Er drehte sich um und ging wieder zurück nach draußen. Im Fenster konnte er ihr Gesicht gespiegelt sehen. Sie sah ihm wütend und misstrauisch hinterher.

So schnell er konnte, goss Luke sein Bier in das Beet mit den Begonien und legte sich wieder auf den Liegestuhl. Als Samira zehn Minuten später zu ihm kam und sich eine Zigarette anzündete, hatte Luke die glasigen, trüben Augen, den „Bralocolin-Blick“ wie sie ihn nannte, und sie entspannte sich. Bald verriet sein langsamer Atem, dass er wieder schlief.

Ich muss die Dosis wohl schon wieder erhöhen, dachte sie. Er gewöhnte sich beunruhigend schnell an das Mittel. Die erste Zeit war er noch durch das Bett genug an sie gefesselt gewesen, dass sie ihm nur eine Tablette pro Tag geben musste, und er war ausreichend ausgeknockt, nicht wegzulaufen, wenn sie nach Ryan’s Field oder Meddington fuhr, um einzukaufen. Aber schon nach der ersten Woche war es ihr sicherer erschienen, ihn die meiste Zeit zu betäuben. Denn er stellte unangenehme Fragen.

„Wo ist denn Dr. Roberts? Wieso hören wir nichts von ihm?“

„Nur ruhig, Süßer. Gefällt es dir nicht bei mir?“

„Doch, und wie! Aber ich möchte mit meinem Programm anfangen!“

„Das hast du doch längst. Ich schicke Dr. Roberts jeden Tag Berichte per E-Mail, wie du dich machst. Er ist sehr angetan und kann es kaum erwarten, dich kennenzulernen.“

„Und wann wird das sein?“

„Sobald Carlos mit seinem Programm weiter ist. Der Ärmste hatte einen Rückfall.“

„So? Davon hast du mir gar nichts erzählt!“ Empört hatte er sich in ihrem Bett aufgesetzt, und sie ließ gereizt von seinem erigierten Organ ab. Die Kleine saugte glatt einen Volleyball durch ein Nadelöhr.

„Was interessiert dich auch Carlos? Der hat mit dir doch gar nichts zu tun!“

„Hast du den auch gebumst?“

„Nein, und selbst wenn ich hätte, was hat das mit irgendetwas zu tun?“

„Ich glaube langsam, du hältst mich hin!“

„Ach ja? Ich hatte dir gesagt, dass es dauert, bis Dr. Roberts Zeit hat! Jetzt genieß einfach deinen Urlaub hier, Stress wirst du noch früh genug bekommen.“

„Gut. Dann hol mir wenigstens ein Bier.“

Das hatte sie getan, aber vorher ging sie im Bad vorbei und holte noch eine Kapsel aus dem Versteck. Seitdem war er nie mehr so ganz bei vollem Bewusstsein gewesen.

Aber heute Abend … war er zuerst recht munter, fand sie. Wenigstens hatte er sein Bier ausgetrunken. Sie nahm die leere Flasche an sich und ging zurück ins Haus. Später weckte sie ihn und setzte ihn vor den Fernseher, mit einer Tüte Chips in der einen und einer frischen Flasche Bier in der anderen Hand.

Luke wartete, bis sie den Raum verließ, dann schüttete er auch dieses Bier über das Geländer der Veranda auf den Rasen und setzte sich schnell wieder hin, die leere Flasche in der Hand. Er keuchte, denn die Anstrengung des kurzen Sprints nach draußen war schon fast zu viel für ihn. Bald darauf kam sie zurück.

„Bier schon alle?“ Sie setzte sich neben ihn und breitete ihre Fläschchen mit Nagellackentferner, grünem Nagellack und Motivfolien auf dem Tisch aus. Ihre Nägel gestaltete sie sehr kreativ. Jede Woche neue Farben und Muster.

Er nickte nur.

„Magst du keine Chips?“

„Heute nicht“, murmelte er.

„Möchtest du lieber was anderes? Kekse? Einen Becher Eis? Schokolade?“

„Nein, danke. Mir ist etwas übel. Ich denke, ich habe zu viel gegessen.“

Panik wallte in ihr auf. Zuviel Bralocolin konnte tatsächlich Übelkeit hervorrufen, und wem übel war, der aß nichts mehr!

„Dann leg dich besser hin.“ Er nickte und stieg scheinbar völlig kraftlos die Treppe zum Schlafzimmer hinauf.

Luke legte sich nicht hin, er stand an der Schlafzimmertür, die er einen Spaltbreit geöffnet hatte, und lauschte. Unten hackte Samira panisch auf den Tasten ihres Laptops herum und ruinierte sich wahrscheinlich die frisch lackierten Nägel. Bestimmt fragte sie jetzt ihren Dr. Roberts, was sie tun sollte. Geschah ihr ganz recht!

Er sprintete geräuschlos über den Holzboden, als er Schritte auf der Treppe hörte, und warf sich ins Bett. Er stöhnte und hielt sich den Magen, als Samira zu ihm hereinkam.

„Geht es dir so schlecht?“

„Mein Magen tut weh“, flüsterte er. Samira sah ihn prüfend an. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Das sah ziemlich ernst aus.

„Soll ich dir einen Tee kochen?“

„Nein, bitte, hast du nicht so ein Magenmittel? Pepto-Bismol?“

„Nein. Leider nicht.“

„Schade … aber wenn ich drei Tage nichts esse, wird es schon wieder besser werden.“

„Drei ...?? Nein, das geht nicht … Pass auf, du bleibst hier liegen und ich hole dir das Pepto aus der Apotheke, okay?“

„Macht dir das nicht zu viele Umstände?“, hauchte er.

„Hm … nein, ist schon okay …“

„Danke.“ Er zog die Decke bis zum Kinn und seufzte.

Samira verzog das Gesicht, ging wieder runter, hantierte mit ihrem Autoschlüssel, und verließ Türen schlagend das Haus.

Luke grinste, als das Auto angelassen wurde und mit quietschenden Reifen davonfuhr. Sofort sprang er auf.

Unten suchte er in Schubladen und Schränken, fand aber nichts Besonderes. Er schloss die Augen und dachte an Hugo zurück, den Einbrecher. Der hatte bei seinem letzten Einbruch den Hausbewohner umgebracht, als der mit einer Pistole herumwedelte. Er hatte Luke eine Menge Tipps gegeben. Wo würde eine Frau den Schlüssel zu diesem verschlossenen Zimmer aufbewahren?

Er hoffte, dass sie ihn nicht immer bei sich trug. Aber sie war ja oft genug nackt, und wenn sie nachts neben ihm schlief, könnte er ja ihre Kleidung durchsuchen und den Schlüssel leicht finden. Nein, sie hatte ihn irgendwo versteckt, wahrscheinlich oben, damit sie nicht erst runterzugehen brauchte. Bestimmt im Schlafzimmer. Er ging wieder rauf. Er befühlte die Schubladen, falls sie den Schlüssel mit Tesa unten festgeklebt hatte, die Taschen ihrer Hosen und Röcke. Nichts. Er wurde langsam nervös. Eine halbe Stunde war schon um, und vierzig Minuten brauchte sie hin und wieder zurück, fünf Minuten im Drugstore. Und sie fuhr wie eine besengte Sau. Außerdem ließ sie ihn bestimmt nicht gern allein.

Das Badezimmer … es war seine letzte Hoffnung. Luke sah sich das Medizinschränkchen genauer an, fand aber nichts. Als letzten Strohhalm nahm er die Dosen mit den Gesichtscremes hoch. Da! Die Tagescreme auf Olivenölbasis war verdächtig leicht. Als er sie schüttelte, klapperte etwas. Er schraubte den Deckel ab, sah in die leere Dose, und da war er endlich, der Schlüssel!

Luke raste zu der verschlossenen Tür. Der Schlüssel passte. Er steckte ihn ins Schloss und öffnete die Tür.

Das Hexenzimmer

6

Schwärze sprang ihn an. Ein schwarzer Fußboden, Fliesen mit einem blutroten Pentagramm darauf. Schwarze Vorhänge. Schwarze Kerzen standen in schwarzen Regalen. Totenschädel reihten sich auf wie eine Trophäensammlung. Weiter hinten, rechts, verhüllte ein Stück schwarzer Seide einen Spiegel, wie er aus der Form erkannte. Luke ging langsam zu ihm und zog den Stoff beiseite. Er erschrak beinahe zu Tode, als Samira ihn ansah, und er fuhr zurück. Samira fuhr ebenfalls zurück. Luke fuhr sich mit der Hand an die Kehle; Samira fuhr sich gleichzeitig mit der Hand an die Kehle. Er sperrte vor Staunen den Mund auf. Auch ihr klappte der Unterkiefer herunter. Seine panisch aufgerissenen Augen sahen in ihre. Sogar die Mimik stimmte genau. Es war nur ein Spiegel, aber er sah nicht sich selbst darin, sondern sie. Wie konnte das sein??

Ein Motorengeräusch von der Straße ließ ihn zusammenfahren. Sein Spiegelbild, das nicht seins war, fuhr ebenfalls zusammen. Luke rannte zurück, zog die Tür zu, drehte den Schlüssel im Schloss, raste ins Bad, warf den Schlüssel in die Cremedose, schraubte sie wieder zu, stellte sie an ihren Platz, und verkroch sich gerade wieder unter der Decke, als er Samiras Schritte auf der Treppe hörte.

„Oh Schatz! Du siehst ja sehr krank aus. Hier, nimm gleich einen Löffelvoll.“ Sie flößte es ihm eigenhändig ein. Luke schluckte es gierig, denn jetzt fühlte sich sein Magen tatsächlich sehr flau an.

„Danke dir“, ächzte er und sah sie an. Die Hexe. Luke war überzeugter Atheist, schon immer gewesen. Wenn man etwas Falsches tat, kam man nicht in die Hölle. Man wurde geboren, lebte und starb. Es lag an jedem selbst, aus seinem Leben möglichst viel Spaß herauszuholen. Jetzt dachte er anders darüber. Seine irische Großmutter hatte ihn mit gruseligen Mythen aus der alten Heimat in Angst und Schrecken versetzt, als er noch klein gewesen war, und jetzt glaubte er jedes Wort davon. Dieser Spiegel … seine Bewegungen, seine Mimik, aber alles ihre Gestalt! Das konnte nur Hexerei sein! Die vielen Schädel … und alte in Leder eingebundene Bücher hatte er auch gesehen. Was mochte in ihnen stehen?

Wenn sie das nächste Mal einkaufen fuhr, musste er noch einmal da rein und nachsehen. Und ihren Laptop, auch den würde er sich vornehmen!

„Ich mache dir noch einen Tee.“ Sie drehte sich grade um und sah daher nicht die Grimasse, die er zog. Tee? Nein, danke. Im Moment wollte er ehrlich gesagt nichts, was sie mit ihren Fingern zubereitet hatte. Ihn schauderte es heftig, wenn er an die schönen, schlanken Hände mit den langen Nägeln dachte, die sich eifrig über den Töpfen bewegten wie Spinnen, die ihr Netz woben, wie sie Gewürze und Kräuter in sein Essen warf und umrührte, das Mündchen spitzte, um abzuschmecken … und vielleicht noch ein Mäuseherz in den Eintopf warf.

Luke übergab sich um ein Haar. Mäuseherz?? Wie kam man denn auf so was? Das war ja pervers!

Was hat die eigentlich mit mir vor, dachte er. Sie bekochte ihn, stellte ihn mit Drogen ruhig und drängte ihn ständig, zu essen. Sieben Kilo, ein Bierbauch, erschlaffende Muskeln … Nein, es konnte doch nicht … oder etwa … er war doch nicht in einer Art Knusperhaus gelandet?

Er lachte nervös in sich hinein. Was für ein Blödsinn. Morgen musste sie einkaufen, die Speisekammer und der monströse Kühlschrank, den sie besaß, waren fast leer. Gewiss würde sie ihm vorher wieder Drogen verabreichen wollen, und es galt, das zu verhindern. Er würde der kleinen Hexe schon zeigen, wo der Bock den Honig hatte!

7

Lustlos saß Luke am Frühstückstisch und schaufelte die Haferflocken mit Kakaopulver und warmer Milch in sich hinein. Samira war gnadenlos; auch wenn sein Magen nicht in Ordnung war, essen musste er trotzdem. Schonkost mit viel Zucker.

Luke hatte kaum ein Auge zugemacht. Im Nebenraum stand ein Spiegel, in dem man nicht sich selbst, sondern Samira sah. Das Ding war nur durch eine Wand von ihm getrennt. Und um zwei Uhr, während Samira selig neben ihm schnarchte, war er entsetzt hochgefahren: Er hatte vergessen, den schwarzen Stoff wieder darüber zu drapieren! Verdammt! Wenn sie das sah! Bisher war sie nie in den Raum gegangen, aber meistens war er ja auch ohne Bewusstsein gewesen. Wer wusste schon, was sie tat, wenn er schlief?

Jetzt war er hundemüde und wartete darauf, dass sie einkaufen fuhr.

Der Vormittag verging. Samira bestand darauf, dass er sich im Wohnzimmer auf die Couch legte und seinen Magen schonte. Luke legte sich zwar hin, schaltete aber den Fernseher ein. Er befürchtete, sonst sofort einzuschlafen. Aber selbst der Fernseher half nicht. Wie auch, wenn er sich im Gefängnis daran gewöhnt hatte, auch bei der andauernden Geräuschkulisse zu schlafen? Langsam gingen seine Äuglein zu.

Er zuckte zusammen, als ein heller, klarer Gong durchs Haus dröhnte. Samira, die im Garten Unkraut jätete, kam herein und ging zur Haustür. Dort begrüßte sie freundlich irgendwen und dann hörte man Geschnaufe und Rascheln in der Küche.

Neugierig erhob Luke sich und schlurfte seinerseits in die Küche. Jetzt war er schon fast drei Monate hier, hatte aber noch keinen Menschen gesehen außer Samira. Nicht einmal einen Postboten. Er kam noch ganz zerknautscht um die Ecke und sah dümmlich zu, wie Samira und ein ihm unbekannter Mann den Kühlschrank beluden. Mehrere Kartons mit Saft, Müsli und Mehl hievte der Typ in die Speisekammer.

„Ähm … Hi“, stammelte Luke. Samira drehte sich zu ihm um. Der Mann richtete sich auf und schloss die Tür zur Speisekammer, als ob er das schon tausendmal getan hätte. Als würde er hier wohnen.

„Luke, Schatz, das ist William. Er ist freundlicherweise rübergekommen und hat mir ein paar Einkäufe vorbeigebracht. Du bist ja krank, und ich wollte dich nicht alleine lassen für so lange Zeit.“

William, der ein graues Jeanshemd und ein weißes T-Shirt darunter trug, nickte Luke ernst zu. Seine Augen jedoch wanderten kritisch an Luke herauf und herunter. Luke fühlte sich unter diesem abschätzenden Blick alles andere als wohl. Er nickte zurück.

„Gute Arbeit, Samira“, lächelte William und reichte ihr die Kassenbons. Samira kicherte. Dann bemerkte sie Lukes misstrauischen Blick und erklärte: „William ist auch beim VWKG und seit ungefähr drei Jahren rehabilitiert. Da siehst du, wie gut wir arbeiten.“

„Ach, Sie kennen Doktor Roberts“, sagte Luke und setzte sich an den Küchentisch.

„Ja, und ob ich ihn kenne. Er hat mein ganzes Leben verändert.“ Luke musterte den jungen Mann, der kaum siebzehn sein konnte. Er wirkte sehr selbstbewusst, war hochgewachsen und schlank. In seinen Augen lag etwas Verschlagenes, das Luke aus dem Gefängnis kannte. Es erinnerte ihn an eine räudige Kanalratte.

„Wie schön für Sie, William. Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, seine Bekanntschaft zu machen.“

Samira machte allen einen Kaffee und setzte sich dazu.

„Das werden Sie schon noch“, meinte William leichthin und nahm einen Schluck, „Doktor Roberts hat extrem viel zu tun. Man muss schon Glück haben, auserwählt zu werden.“ Jetzt grinsten Samira und William. Luke schauderte.

„Glück? Wer hat mich denn auserwählt?“

„Das war ich, Luke“, mischte Samira sich ein. „Wir Mitglieder suchen uns die aus, die wir bei uns aufnehmen. Keiner könnte das verlangen, wenn wir uns dabei unwohl fühlen würden, oder? Aber es ist Doktor Roberts, der die endgültige Entscheidung trifft. Da gab’s allerdings noch nie Probleme. Ich habe schon so vielen geholfen, ein ganz neues, nützliches Leben anzufangen … Doktor Roberts wird meine Entscheidung wohl kaum anzweifeln.“

„Wie schön.“ Luke trank seinen Kaffee. Er war heiß und aromatisch und vertrieb beinahe augenblicklich die Müdigkeit.

William erhob sich. „Ich muss jetzt los. Samira, könnte ich dich kurz unter vier Augen sprechen?“

„Natürlich. Leg dich ruhig wieder hin, Luke.“ Sie folgte William zur Haustür. Beide gingen nach draußen.

Da hatten sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht! Luke schlich ins Wohnzimmer und von dort aus in den Garten. Da konnte er alles hören, was von der Vorderseite des Hauses kam. Leider sprachen die beiden etwas leise.

„Mr. Hart ist sich sicher, dass du weißt, wo er ist“, zischte William.

„Mr. Hart weiß einen Scheiß. Ich gehöre nicht zu eurer Gemeinde, also soll er mich in Ruhe lassen“, fauchte Samira zurück.

„Soll ich ihm das so ausrichten?“, fragte William hämisch. Samira schnaubte. „Mein Wort gilt immer noch mehr als das eines Verabscheuten. Erzähl ihm, was du willst, und ich bezichtige dich der Lüge. Und du weißt, was dann mit dir passiert!“ William schwieg kurz.

„Er ist sich trotzdem sicher, dass du sein Versteck kennst. Und er denkt auch, dass eine der Hexen einen Zauber über ihn, oder eher sein Jahrbuchfoto, geworfen hat. Egal, wem er es vor die Nase hält, alle sehen sofort weg! Das stinkt nach einem sehr mächtigen Zauber, sagt er, nach Hexenmagie. Der Zirkel darf sich nicht in interne Probleme der Erhabenen Kinder der Lilithu einmischen, das war der Deal! Chris gehörte uns, mit Leib und Seele! Und wir wollen ihn zurück!“

„Brüll nicht so! Der Ochse hört dich noch!“

„Entschuldige.“

„Ich werde den Zirkel kontaktieren, aber versprecht euch nichts davon. Wieso glaubt ihr eigentlich, dass Chris bei uns ist?“

„Samira, hältst du uns für blöd? Meinst du, nur weil wir uns von den Außenseitern fernhalten, sehen wir nicht fern?“

„Warum schnappt ihr euch ihn dann nicht?“

„Weil Mr. Hart – noch – keinen Krieg zwischen euch und uns will. Er hofft auf eine friedliche Lösung.“

„Und was redest du dann von ‚Versteck’? Dann wisst ihr doch auch, wo Chris ist!“

„In New York, ja das ist uns klar. Aber die Stadt ist groß. Er wird wohl kaum … oder … Samira, er ist doch nicht etwa wirklich im Vehl Building, oder? Oder??“

„Lass mich gefälligst los!“

„Er ist tatsächlich dort, oder? Das gibt es nicht!! Soviel Dreistigkeit hätten wir euch nie zugetraut! Ich denke nicht, dass das Mr. Hart gefallen wird!“

„Es ist mir scheißegal, ob das Mr. Hart gefällt! Ich habe weder zugestimmt noch etwas abgestritten. Ich weiß nicht, wo Chris ist!“

„Ich glaube, das wird er dir nicht abkaufen. Ich glaube auch, dass du bald nicht mehr in Sharpurbie willkommen sein wirst.“

“Das … das geht nicht! Ihr könnt mich nicht von euren Zeremonien fernhalten! Ich habe das Recht, daran teilzunehmen!“

„Dann gib mir wenigstens etwas, das ihn besänftigen wird. Gib uns den Ochsen.“ Luke zuckte zusammen.

„Nein, den kriegt ihr nicht! Aber ich mache dir einen Vorschlag … ihr, du, Mr. Hart und seine Enkelin, seid zum Barbecue eingeladen. Und der Nächste auf der Liste geht an euch.“

„Einverstanden.“

Zutiefst erleichtert trabte Luke ins Wohnzimmer zurück und sank auf die Couch. Was auch immer es bedeuten mochte, den Erhabenen Kinder der Lilithu übergeben zu werden, herausfinden mochte er es nicht. All das klang nicht sehr vertrauenerweckend. Wenigstens hatte Samira sich schützend – und äußerst mutig! – vor ihn geworfen, das hätte er nicht gedacht. Vielleicht bedeutete er ihr ja doch etwas?

Mit dem Einkaufen hatte sie ihn ja schön verarscht. Wie sollte er sich jetzt nur umsehen? Er legte sich hin und schloss müde die Augen. Sollte er warten, bis sie schlief? Aber wenn sie wach wurde? Bei den vielen Pillen im Medizinschränkchen wusste er nicht, welche wohl die waren, die ihn immer so schläfrig machten, sonst hätte er ihr einfach eine gegeben. Ich Idiot, dachte er plötzlich und wäre beinahe vor Eifer von der Couch gekullert, ich weiß doch, wo regelmäßig das Zeug drin ist!

Das nächste Getränk, das Samira ihm brachte, war wieder mit der Droge versetzt. Dann musste er nur noch dafür sorgen, dass sie es trank.

Was trank sie überhaupt? Luke durchforschte sein Gedächtnis. Wasser trank sie, selten mal ein Bier, eine Cola, Tee, Kaffee … Genau! Nachmittags trank sie gerne einen Kaffee Latte. Und er bekam normalen Kaffee mit Milch und Zucker. Aber nicht heute.

Ein Wagen ratterte davon, und Samira kam wieder zu ihm rein. „Zeit für ein Stück Pflaumenkuchen mit Sahne“, lächelte sie und stellte ihn vor ihm auf den Couchtisch.

„Äh, Pflaumen- … und mein Magen? Der ist noch lange nicht in Ord-“

„Dann hättest du vorhin keinen Kaffee getrunken. Wieso verarschst du mich?“ Ihre Augen sanken in seine, und Luke fühlte sich augenblicklich schwach, unbehaglich und hilflos.

Verdammt. Da hatte er einen Riesenfehler gemacht.

„Ich habe so zugenommen, da wollte ich noch ein oder zwei Tage Auszeit haben.“

„Und gestern?“ Ihr Blick bohrte sich unbarmherzig in seine Augen.

„Da hatte ich wirklich Magenschmerzen.“

„Na gut. Dann iss jetzt deinen Kuchen.“

„Ja, okay. Aber könnte ich heute mal einen Latte haben, so wie du ihn immer trinkst? Ich denke, das ist vielleicht schonender und der riecht auch immer so gut“, setzte er mit einem versöhnlichen Lächeln hinzu. Samira entspannte sich sichtlich. Kaffee Latte hatte ordentlich Kalorien.

„Natürlich, Schatz. Kommt sofort. Leg dich wieder hin und ruh dich aus. Und iss den Kuchen!“

„Na klar“, Luke lümmelte schon wieder auf der Couch herum, „kein Problem. Der sieht lecker aus.“ Ein Stück, locker so groß wie ein halbes Backblech, lag auf einem Teller. Man konnte es jedoch kaum ausmachen unter der Menge Sahne, die Samira darauf gehäuft hatte.

Luke mampfte den Kuchen und horchte mit einem Ohr in die Küche. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder holte sie die richtige Tablette gleich oben aus dem Bad, aber das hatte sie vorher auch nie gemacht, weil es ja auch auffällig gewesen wäre, oder sie hatte noch irgendwo in der Küche einen Vorrat. Das erschien ihm wahrscheinlicher. Gleich, wenn sie ihm den Becher brachte, musste er die Tassen irgendwie vertauschen. Aber wie?

Es dauerte auch nicht lange, bis sie wiederkam. Sie brachte ihm eine dampfende Tasse. Der Duft des Milchkaffees war herrlich. Schade, dass er den unmöglich trinken konnte.

Um ihr weiszumachen, dass er ihn tatsächlich zu trinken beabsichtigte, schlürfte er ein winziges Schlückchen und verzog das Gesicht. „Noch zu heiß.“ Er stellte die Tasse auf den Tisch. Sie nickte und kam wenig später mit ihrer eigenen Tasse zurück und setzte sich neben ihn.

Luke schluckte. Er hatte eine rote Tasse, sie eine Blaue. Vertauschen unmöglich. Scheiße. Und jetzt?

„Oh, was ist das?“ Luke starrte an Samira vorbei in den Garten, sie folgte seinem Blick.

„Was denn?“

„Ich glaube, da ist vorhin jemand am Zaun gewesen.“

„Bist du sicher?“

„Ja, vielleicht ein Spaziergänger.“

Sie lachte. „Da hinten sind nur noch undurchdringliche Wälder, Luke.“

„Mag sein. Aber ich habe da ganz sicher jemanden über den Zaun lugen sehen. Dann war er ganz schnell weg. Hat sich vielleicht geduckt.“

Samira sah ihn prüfend an, aber er spürte auch eine gewisse Unruhe in ihr. Das Gespräch mit diesem William war ja alles andere als gut verlaufen. Sie schien besorgt. Was, wenn sich diese komischen Erhabenen es sich anders überlegt hatten und jetzt doch auf eine gewaltsame Lösung setzten? Die Stimme von diesem William hatte jedenfalls sehr bedrohlich geklungen.

Sie stand auf. „Ich sehe mal nach. Iss du deinen Kuchen.“

„Willst du nicht, dass ich mitkomme?“, warf er scheinbar fürsorglich ein. Sie schüttelte den Kopf und ging hastig zur Schiebetür. Bald darauf stapfte sie auf dem gewundenen kleinen Kiespfad in Richtung Zaun.

Luke hatte keine Zeit zu verlieren. Er schnappte sich Samiras Tasse und trank sie in einem Zug aus. Dann schüttete er seinen eigenen Kaffee in ihren Becher, wischte mit dem Ärmel seines Hemdes das auf, was danebengegangen war und unterdrückte ein Rülpsen. Tränen standen ihm in den Augen. Der Kaffee war verdammt heiß.

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9783847641537
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