Читать книгу: «Handbuch des Strafrechts», страница 39

Шрифт:

a) Der atypische Kausalverlauf

94

Als eine Fallgruppe, bei der sich die rechtlich missbilligte Gefahr nicht im Erfolg realisiere, wird die Konstellation des atypischen Kausalverlaufs genannt.[314] In diesem Fall liegt der eingetretene Erfolg völlig außerhalb dessen, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch in Rechnung zu stellen ist.[315] Hier sei die Ablehnung der Erfolgszurechnung über den Gesichtspunkt der mangelnden Gefahrrealisierung im Erfolg „besonders anschaulich und überzeugend“.[316] Dazu wird etwa der Fall gezählt, dass A dem O mit Tötungsvorsatz einen Messerstich versetzt und nun der verletzte O auf dem Weg zum Krankenhaus verstirbt, weil der normal fahrende Krankenwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt wird.[317] Hier habe sich nicht die mit dem Messerstich geschaffene Todesgefahr realisiert, sondern eine andere Gefahr, die man als allgemeines Lebensrisiko bezeichnen könne.[318] Der Erfolg liege außerhalb des Schutzbereichs der Norm.[319] Es habe sich das mit jeder Autofahrt verbundene Risiko eines tödlichen Unfalls verwirklicht, sodass dem Täter der Todeserfolg nicht objektiv zugerechnet werden könne.[320] Derartige allgemeine Lebensrisiken wie das, Unfallopfer eines Verkehrsunfalls zu werden, habe jeder selbst zu tragen; sie könnten daher nicht anderen Personen als deren Werk zugerechnet werden.[321] Zwar schaffe der Messerstich zweifellos eine tatbestandlich relevante Gefahr für ein Tötungsdelikt, jedoch habe sich diese Gefahr wegen des inadäquaten Weges zum Erfolg nicht im Tod des Opfers realisiert.[322] Die objektive Zurechnung sei zu verneinen, da der Kausalverlauf so sehr außerhalb der Lebenserfahrung liege, dass mit ihm vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht.[323] Es gehe um Fälle, bei denen der Erfolg auf einer ganz ungewöhnlichen und unwahrscheinlichen Verkettung von Umständen beruhe.[324] Mitunter wird auch argumentiert, der Unfall des Krankentransporters sei für den Messerstecher nicht beherrschbar, sondern Zufall.[325]

95

Die Rechtsprechung dagegen bejaht in Konstellationen des atypischen Kausalverlaufs den objektiven Tatbestand und diskutiert im subjektiven Tatbestand, ob eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf anzunehmen ist.[326] Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf schließen dabei regelmäßig dann den Vorsatz nicht aus, wenn sie unwesentlich sind, was der Fall ist, wenn sie sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.[327] Dagegen führen wesentliche Abweichungen zum Vorsatzausschluss. Auch Teile des Schrifttums lösen derartige Konstellationen über den Vorsatz und fragen ebenfalls, ob eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf gegeben ist.[328]

96

Dabei weisen die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung darauf hin, dass es im Einzelfall schwierig sein kann, ganz ungewöhnliche von noch adäquaten Geschehensabläufen abzugrenzen.[329] Als nicht ungewöhnlich wird etwa der Fall angesehen, dass ein Opfer, welches ins Krankenhaus gebracht und dort erfolgreich operiert wird, später an einer Wundinfektion verstirbt.[330] Auch in dem Fall, dass der Täter sein Opfer von der Brücke wirft, um es zu ertränken, es aber bereits dadurch stirbt, dass es auf den Brückenpfeiler aufprallt, sei die objektive Zurechnung zu bejahen, denn dann realisierten sich Gefahrfaktoren, die mit der Ausführungsart von vornherein verbunden gewesen seien.[331] Der Erfolg sei nicht zufällig und dem Täter daher trotz Kausalabweichung zuzurechnen.[332]

97

Atypisch sei aber die Konstellation, dass das Opfer unabhängig von seinen Verletzungen im Krankenhaus verstirbt, weil es dort zu einem Brand kommt.[333] Ein solcher Brand in einem Krankenhaus und ein daraus erwachsender Todeserfolg seien extrem seltene Geschehen.[334] Es sei gerade nicht die typische Gefahr eines angeschossenen Opfers, im Krankenhaus an einer Rauchvergiftung zu sterben.[335] Auch bei der kumulativen Kausalität fehle die objektive Zurechnung, denn die vorsätzliche Gabe eines kumulativ wirkenden Mittels durch einen Dritten sei ein so außergewöhnlicher Umstand, so dass der Tod nicht Werk der vom Täter gesetzten Ausgangsgefahr sei, sondern des Zufalls.[336]

98

Schwierigkeiten bereiten weiter Konstellationen wie der vom OLG Stuttgart entschiedene Fall:[337] A hatte das Unfallopfer O mit überhöhter Geschwindigkeit angefahren. O wurde erfolgreich operiert, jedoch starb O an einer Lungenentzündung, die er dadurch erlitt, dass er sich an der ersten Krankenhausmahlzeit verschluckt hatte. Zwar ist A für den Tod kausal, denn ohne den Unfall wäre O nicht ins Krankenhaus gekommen und hätte sich dort nicht verschluckt, sodass Kausalität nach der condicio sine qua non-Formel vorliegt.[338] Problematisch ist jedoch im Zusammenhang mit der objektiven Zurechnung, ob sich noch die Gefahr aus dem Unfall im Tod realisiert oder nur ein allgemeines Lebensrisiko. Insofern stellt man darauf ab, ob das Verschlucken darauf beruht, dass O noch durch den Unfall verletzungsbedingt geschwächt war; dann könne man die objektive Zurechnung bejahen.[339] Anderenfalls gehe es lediglich um das allgemeine, rechtlich nicht missbilligte Lebensrisiko.[340]

99

In die Fallgruppe des atypischen Kausalverlaufs wird weiterhin die Konstellation eingeordnet, dass jemand einem anderen eine leichte Wunde zufügt, dieser jedoch daran verstirbt, da er Bluter ist.[341] Es lasse sich zwar schwer bestreiten, dass sich die durch die Wunde geschaffene Gefahr im Tod des Opfers realisiere, dennoch sei die objektive Zurechnung zu verneinen, weil sich das erhöhte Risiko, das im Opfer angelegt war, in dessen Tod niedergeschlagen habe.[342] Bei wegen ihrer Seltenheit unvoraussehbaren Kausalfaktoren sei die Zurechnung zu verneinen, eine „abnorme Konstitution“ des Opfers führe daher zur Ablehnung der Zurechnung.[343] Es habe sich nicht das von dem Täter gesetzte Risiko, sondern die latente Lebensgefahr verwirklicht, in der ein Bluter ständig schwebt.[344] Wisse hingegen der Täter, dass es sich um einen Bluter handelt, sei die objektive Zurechnung zu bejahen, da Sonderwissen bei der Beurteilung berücksichtigt werden müsse.[345]

100

Es gibt aber auch Stimmen, die bei einer „abnormen Konstitution“ des Opfers die objektive Zurechnung bejahen:[346] Der Schutzbereich der Norm umfasse auch solche atypischen Gefährdungen und die rechtlich missbilligte Gefahr schlage sich in dem Erfolg nieder.

101

Von einem Zurechnungsausschluss wird weiterhin ausgegangen, wenn jemand an einem Herzschlag stirbt, weil ein anderer ihn falsch überholt.[347] Der Ablauf sei so atypisch, dass er nicht mehr als Verwirklichung des verbotenen Risikos angesehen werden könne. Zweck der Verkehrsvorschriften sei nicht, seelische, sondern unmittelbar körperliche Beeinträchtigungen zu verhindern.[348]

102

Es fällt im Zusammenhang mit der Fallgruppe des atypischen Kausalverlaufs erneut auf, dass die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung mitunter ganz verschiedene Aspekte in den Vordergrund stellen, um den Zurechnungsausschluss zu begründen. So finden sich u.a. die Gesichtspunkte „allgemeines Lebensrisiko“, „Schutzbereich“, „Inadäquanz“, „fehlende Beherrschbarkeit“, „typische Gefahr“, „rechtlich missbilligte Gefahr“ und der Zufallsaspekt, was zumindest den Eindruck einer gewissen Verworrenheit in der Begründung des Zurechnungsausschlusses hervorruft und folglich zu wenig Rechtsklarheit beiträgt. Nicht zuletzt auch deswegen kommen die Befürworter der Lehre bei einzelnen Konstellationen teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen.[349] Es scheint, dass eine Mixtur aus verschiedensten Aspekten angeboten wird, ohne eine dogmatisch klare Lösung unterbreiten zu können. Vorzugswürdiger ist demgegenüber, sich zunächst nochmals in Erinnerung zu rufen, dass jede Form der Täterschaft Tatherrschaft voraussetzt. Damit kann jedoch bereits etwa der Fall, dass das Opfer einer Messerattacke aufgrund eines Verkehrsunfalls verstirbt, sachentsprechend gelöst werden: Im Zeitpunkt des finalen Augenblicks – dem Tod durch den Verkehrsunfall – besitzt nämlich der Täter diese Tatherrschaft nicht, sodass er nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts bestraft werden kann.[350] Im Übrigen ist anzumerken, dass dem Täter auch der Vorsatz fehlt. Der Verkehrsunfalltod, der objektiv nicht von dem Täter beherrscht wird, liegt außerhalb des von dem Täter vorgestellten und nach seiner Vorstellung beherrschten Geschehensablaufs. Nur spielt das keine wesentliche Rolle, da schon in objektiver Hinsicht die Tatherrschaft zu verneinen ist. Es bleibt damit nur versuchter Totschlag, denn im Zeitpunkt der Messerstiche besaß der Täter Tatherrschaft. Was eine fahrlässige Tötung anbetrifft, ist zu bedenken, dass zwar die Bestrafung aus dem Fahrlässigkeitsdelikt gerade keine Tatherrschaft voraussetzt; vielmehr gilt der Einheitstäterbegriff. Von daher scheitert die Fahrlässigkeitsbestrafung an diesem Aspekt nicht. Zu beachten ist aber, dass weiteres Erfordernis der Bestrafung aus dem Fahrlässigkeitsdelikt die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges ist. Diese Voraussetzung kann jedoch dann im Hinblick auf den für das Opfer tödlich verlaufenden Verkehrsunfall verneint werden.

103

Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Tatherrschaft fehlt, auch wenn der Tod des Opfers darauf beruht, dass es sich nun um einen – etwa aufgrund schneller Fahrt – einsatzbedingten Verkehrsunfall handelt. Mit der Abfahrt des Krankenwagens hat der Täter keine Tatherrschaft mehr. Aus dem vollendeten Tötungsdelikt kann folglich dann nicht bestraft werden, sondern nur wegen Versuchs. Hingegen ist in diesem Fall eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gegeben, denn zum einen ist beim Fahrlässigkeitsdelikt keine Tatherrschaft erforderlich, zum anderen liegt es nicht völlig außerhalb der Wahrscheinlichkeit und ist damit objektiv vorhersehbar, dass es einsatzbedingt zu einem Verkehrsunfall kommt.

104

Anders hingegen ist der Fall zu beurteilen, in dem der Tod des Opfers aufgrund dessen außergewöhnlicher Konstitution eintritt, also etwa der Bluterfall. Hier besitzt der Täter Tatherrschaft über das Geschehen.[351] Es stellt sich dann vielmehr auf der Ebene des subjektiven Tatbestands die Frage, ob dieser objektive Geschehensablauf noch vom Vorsatz des Täters umfasst wird, was man dann aufgrund der Seltenheit der Bluterkrankheit verneinen mag. Insofern scheitert dann auch § 222 StGB an der objektiven Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs.

b) Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung

105

Die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung ergänzen in Fällen, in denen an ein Erstverhalten ein Dritt- oder gar Opferverhalten anknüpft, die Grundformel der objektiven Zurechnung durch das Verantwortungsprinzip.[352] Dadurch sollen verschiedene Verantwortungsbereiche voneinander abgegrenzt werden.[353] Grundsätzlich sei jeder nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich.[354] Danach wäre etwa derjenige, der einem anderen eine Waffe verkauft, die nun der Betreffende zur Begehung eines Totschlags benutzt, grundsätzlich nicht „verantwortlich“ für diese Tat. Der Erfolgseintritt liege dann nicht mehr im Verantwortungsbereich des Täters. Entsprechendes könne in Betracht kommen, wenn der Käufer die Waffe benutzt, um sich damit selbst zu töten.[355]

106

Im Folgenden ist zunächst auf die Konstellation einzugehen, dass das Opfer selbst in freier Entscheidung und in Kenntnis der Risiken an das Erstverhalten eines anderen anknüpft. Insofern geht es also um die eigenverantwortliche Selbstgefährdung.

107

Gibt der A dem O Heroin, das sich O freiverantwortlich in Kenntnis der Risiken spritzt, woran er verstirbt, dann sei der Tod ausschließlich Werk des Opfers und dem A nicht objektiv zurechenbar.[356] Hier realisiere sich im Tod des O nicht die von A gesetzte Gefahr, sondern allein das von O eingegangene Risiko.[357] Genannt wird in diesem Zusammenhang auch wiederum der Erbonkel-Fall:[358] Der Onkel habe das Risiko einer Flugreise gekannt und sei auf eigene Verantwortung dennoch geflogen.[359]

108

Die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung argumentieren hierbei, durch die Verwirklichung einer frei verantwortlichen, selbst gefährdenden Handlung nehme das Opfer dem eine Bedingung für diese Handlung Setzenden die Verantwortung ab.[360] Der Erfolg sei der Risikosphäre des Opfers zuzurechnen.[361] Es bestehe kein Grund, die Handlungsfreiheit des Einzelnen einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird.[362] Dass die eigenverantwortliche Risikoübernahme die Zuständigkeit eines anderen Handelnden sperrt, liege darin begründet, dass der Andere in diesem Fall nicht unerlaubt in eine fremde Rechtssphäre eingreife; das Risiko sei vom Opfer selbst zu verantworten.[363] Der Schutzbereich einer Norm ende dort, wo der eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers beginnt.[364] Der Respekt vor der Autonomie des Verletzten gebiete es, die Ermöglichung einer Selbstgefährdung nicht als unerlaubtes Risiko der Tatbestandsverwirklichung zu bewerten.[365] Würde man die Überlassung von Sachen (z.B. ein Messer) verbieten, hätte dies eine unerträgliche Einschränkung der Handlungsfreiheit zur Folge sowohl für den Überlassenden als auch für die, welche mit solchen Sachen vernünftig umzugehen gedenken.[366]

109

Umstritten ist jedoch, wann von Freiverantwortlichkeit auszugehen ist.[367] Teilweise zieht man die §§ 19, 20, 35 StGB, § 3 JGG (Exkulpationslösung) heran.[368] Die h.M. im Schrifttum hingegen stellt in Anlehnung an die §§ 216, 228 StGB auf die Einwilligungsfähigkeit (Einwilligungslösung) ab.[369] Schließlich wird eine Verbindungslösung vertreten: Freiverantwortlichkeit fehle, wenn die Entscheidung an einem Willensmangel leidet oder das Opfer aufgrund eines geistigen Ausnahmezustands unfähig ist, sich verantwortlich zu motivieren.[370] Für die weitere Frage, ob eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, wird für maßgeblich erachtet, wer die Tatherrschaft besitzt.[371]

110

Es ist richtig, dass bei einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder -gefährdung die Strafbarkeit des Veranlassenden oder Helfenden ausscheidet. Nur ist dies eine sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende Konsequenz, sodass es zur Begründung dieses Resultats nicht der Heranziehung der Lehre von der objektiven Zurechnung bedarf.[372] Ausgangspunkt ist der Umstand, dass der Vordermann bei der eigenverantwortlichen Selbstschädigung die Tatherrschaft aufweist und sich freiverantwortlich entscheidet, was zur Konsequenz hat, dass der Hintermann weder unmittelbarer noch mittelbarer Täter sein kann, da er keine Tatherrschaft innehat.[373] Es könnte also allenfalls Teilnahme in Betracht kommen. Diese wiederum setzt aufgrund ihrer limitierten Akzessorietät das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat voraus. Die Selbsttötung oder -verletzung wird jedoch von den §§ 212 ff., 223 ff. StGB nicht erfasst, womit eine teilnahmefähige Haupttat fehlt. Daher bleibt der Hintermann straflos. Im Fall der freiverantwortlichen Selbstgefährdung gilt es nun zu beachten: Tatbeiträge, welche bei einer freiverantwortlichen Selbstschädigung nicht zur Strafbarkeit führen, können erst recht nicht bei einer Mitwirkung an einer bloß freiverantwortlichen Selbstgefährdung Strafe auslösen.[374] Bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung geht es also nicht entscheidend um Zurechnungsfragen, sondern um unmittelbar aus dem Gesetz abzuleitende Konsequenzen.[375]

111

Vor diesem Hintergrund kann auch die Rechtsprechung, ohne sich für die Lehre von der objektiven Zurechnung entscheiden zu müssen, die Konstellation der eigenverantwortlichen Selbstschädigung sowie -gefährdung in ihren Entscheidungen heranziehen.[376] Letztlich sehen das auch Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung, wenn ausgeführt wird, die Sicherheit der Fallgruppe sei freilich auch durch die Tötungs- und Körperverletzungstatbestände des StGB und die damit verbundene gesetzgeberische Wertentscheidung mitbedingt.[377]

112

Als problematisch werden Fälle angesehen, in denen das Opferverhalten grob sachwidrig ist. Hier geht es beispielsweise um die Konstellation, dass A den O mit Tötungsvorsatz verletzt, O aber letztlich stirbt, weil er grob unvernünftig eine Bluttransfusion verweigert.[378] Die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung differenzieren teilweise in diesen Fällen: Grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Opfers führe zum Zurechnungsausschluss, dagegen nicht sonstige Fahrlässigkeit.[379] Den Kausalverlauf beherrsche der Täter dann nicht mehr, er sei zudem nicht vorhersehbar, schließlich realisiere sich nicht mehr das vom Täter geschaffene Risiko.[380] Zum Teil wird auch grundsätzlich von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ausgegangen, denn in diesen Fällen habe sich das Opfer aus eigenem Entschluss der Gewissheit oder nahen Gefahr des Todes ausgesetzt, es sei denn, die Entscheidungsfähigkeit des Opfers sei vermindert oder eine notwendige Operation berge Risiken, die ihre Verweigerung als vertretbar erscheinen lassen.[381]

113

Es erscheint richtig, auch hier die Grundsätze der Selbstgefährdung heranzuziehen. Fällt das Opfer eigenverantwortlich die Entscheidung, sich nicht operieren zu lassen, dann treffen die aus dieser Entscheidung resultierenden Konsequenzen nicht mehr den Täter. Dabei ist natürlich ein besonderes Augenmerk auf den Aspekt der Freiverantwortlichkeit zu legen: Sie mag verletzungsbedingt nicht vorliegen oder deswegen fehlen, weil die Operation mit erheblichen Risiken verbunden ist und deswegen verweigert wird.

114

Ein spezielles Problem bilden in diesem Zusammenhang auch die sogenannten Retterfälle. Hier geht es etwa um die Konstellation, dass A ein Haus in Brand setzt und bei der späteren Rettung von Hausbewohnern der Retter O zu Tode kommt.[382] Nach Teilen der Literatur wird in diesen Fällen im Grundsatz von einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung ausgegangen,[383] es sei denn, der Retter ist – wie etwa ein Feuerwehrmann – zur Rettung verpflichtet.[384] Andere Autoren rechnen dem Erstverursacher den Retterunfall schon zu, wenn die Rettungsbemühungen eine vernünftige Selbstgefährdung darstellen.[385] Auch wird darauf abgestellt, ob das Retterhandeln bei einer Abwägung zwischen den beabsichtigten Rettungsinteressen und der eigenen Gefährdung plausibel und vorhersehbar ist,[386] oder man hält für maßgeblich, ob die Bemühungen nicht von vornherein sinnlos oder mit unverhältnismäßigen Gefahren verbunden sind.[387] Für andere Autoren ist entscheidend, ob der Täter eine Situation geschaffen habe, die für den Retter einen „nachvollziehbaren Motivationsdruck“ zum Eingreifen erzeuge.[388] Der BGH hat eine Strafbarkeit gemäß § 222 StGB bejaht und ausgeführt, einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedürfe es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schaffe, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründe und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schaffe.[389] Es sei sachgerecht, diese sich in solchen Situationen selbst gefährdenden Personen in den Schutzbereich strafrechtlicher Vorschriften einzubeziehen. Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugutekommt, habe er im Fall des Misserfolges dafür einzustehen.[390] Etwas anderes möge gelten bei einem von vornherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch.[391]

115

Letztlich entscheidend wiederum ist in derartigen Fällen, ob von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Retters auszugehen ist oder nicht. Voraussetzung dafür ist jedoch primär, dass der Retter in der Lage ist, eine freiverantwortliche Entscheidung zu treffen. Das ist insbesondere nicht der Fall, wenn sich der Retter in einer Situation befindet, die in § 35 StGB beschrieben ist.[392] Aber auch als Garant oder gemäß § 323c Abs. 1 StGB kann eine Rettungspflicht erwachsen, wobei zu beachten ist, dass bei § 323c Abs. 1 StGB die Zumutbarkeit der Hilfeleistung bei einer erheblichen eigenen Gefährdung endet,[393] und auch dem Garant wird regelmäßig eine eigene akute Gefährdung nicht abverlangt.[394] Maßgeblich ist also im Einzelfall, ob der Retter die Entscheidung zur selbstgefährdenden Rettungshandlung freiverantwortlich getroffen hat.

Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
2428 стр. 31 иллюстрация
ISBN:
9783811449442
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают