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b) Die Fälle des erlaubten Risikos

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Eng mit der vorgenannten Fallgruppe verwandt – zum Teil werden in der Literatur auch beide Konstellationen in einer einzigen Fallgruppe behandelt[249] – ist der Gesichtspunkt des erlaubten Risikos.[250] Es gehe hierbei um als sozialadäquat einzustufende Verhaltensweisen, die vollkommen legal sind.[251] Hierher gehöre etwa die Zeugung des späteren Straftäters; wer ein Kind zeugt, schaffe aus rechtlicher Sicht nichts, was unerlaubt ist.[252] Erlaubte Risiken seien etwa auch der Auto- und Flugzeugbau, obwohl man weiß, dass Unglücke unvermeidbar sind.[253] Der Täter schafft also ein rechtlich relevantes Risiko, die Zurechnung sei aber ausgeschlossen, da es sich um ein erlaubtes Risiko handele.[254] So toleriere es etwa auch die Gesellschaft, wenn sich jemand trotz Erkältung in die Öffentlichkeit begibt.[255] Eingeordnet in diese Kategorie wird auch der bekannte Erbonkel-Fall, in dem der Neffe seinem Erbonkel ein Flugticket in der Hoffnung schenkt, das Flugzeug werde abstürzen, was dann auch tatsächlich passiert.[256] Angesichts der statistischen Unwahrscheinlichkeit solcher Abstürze sowie im Hinblick auf die allgemeine Nützlichkeit des Flugverkehrs sei das mit der Flugreise verbundene Lebensrisiko kein solches, dessen Schaffung die Rechtsordnung verbiete.[257] Die Schaffung eines allgemeinen Lebensrisikos normaler Höhe sei nicht verboten.[258] Die Überschreitung des erlaubten Risikos sei eine positive Voraussetzung des Unrechts, die Einhaltung des erlaubten Risikos also nicht erst ein Rechtfertigungsgrund.[259] Ein Rückgriff auf die Grundsätze der bewussten Selbstgefährdung sei dabei verfehlt, da das Risiko gerade generell nicht missbilligt werde.[260] Zum Teil wird auch dargelegt, dass es sich etwa bei einer Flugreise um Risiken handelt, denen sich Personen, solange diese Risiken ganz abstrakt bleiben, fortlaufend freiwillig aussetzen. Daher legten sie auch keinen Wert darauf, durch Verbote des Handelns anderer, das sie solchen ganz abstrakten Risiken aussetzt, geschützt zu werden; man würde dies als „unerträgliche Beschränkung der Handlungsfreiheit“ erachten.[261]

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Dabei ist zu beachten, dass der Begriff „erlaubtes Risiko“ in ganz unterschiedlicher Art und Weise benutzt wird und sein Bedeutungsgehalt keineswegs als geklärt angesehen werden kann. Manche Autoren setzen ihn gleich mit dem ebenfalls schillernden Begriff der Sozialadäquanz.[262] Teilweise wird der Begriff aber auch im Bereich der Rechtfertigung herangezogen.[263] Im Sinne der objektiven Zurechnung soll es beim erlaubten Risiko um ein Verhalten gehen, das ein rechtlich relevantes Risiko schafft, aber generell erlaubt ist und daher schon zur Tatbestandslosigkeit führt.[264] Prototyp dafür sei das Autofahren unter Berücksichtigung sämtlicher Regeln des Straßenverkehrs.[265] Obwohl das Lenken des Fahrzeugs durchaus das Risiko eines Unfalls in sich birgt, sei dennoch das Autofahren im Rahmen bestimmter Regeln durch den Gesetzgeber erlaubt. Demnach sei die Verursachung einer Rechtsgutsverletzung, die trotz Beachtung aller Verkehrsregeln erfolgt, keine Tatbestandshandlung, da das erlaubte Risiko eingehalten worden sei.[266] Das Risiko, Opfer eines Verkehrsteilnehmers zu werden, der sich vorschriftsmäßig verhält, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko.[267] Wer sich im Straßenverkehr verkehrsgerecht verhalte, verursache keinen zurechenbaren Erfolg.[268] Die regelkonforme Teilnahme am Straßenverkehr sei bei einer Abwägung von Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz sozialadäquat.[269]

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Ebenfalls erachtet man als Fälle des erlaubten Risikos den Luft-, Schienen- und Wasserverkehr, den Betrieb von Industriewerken, die Ausübung risikobehafteter Sportarten oder Berufe sowie die lege artis durchgeführte ärztliche Heilbehandlung.[270] Viele Tätigkeiten erscheinen wegen ihrer sozialen Notwendigkeit oder ihres sozialen Nutzens so wichtig, dass sie unter bestimmten risikominimierenden Bedingungen erlaubt werden; die verbleibenden Risikoschaffungen gelten dann als nicht missbilligt.[271] Die Freiheit, die betreffenden Handlungen vornehmen zu dürfen, sei gewichtiger als das durch sie begründete Risiko der Verletzung von Rechtsgütern.[272] Entscheidender Grund für die Nichtzurechnung sei, dass diese Verhaltensweisen im sozialen Miteinander allgemein akzeptiert sind.[273] Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass „leichte Gefährdungen anderer durch Regelverstöße beim Sport (z.B. ‚normale‘ Fouls beim Fußballspiel)“ noch in das erlaubte Risiko fallen.[274]

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Hingewiesen wird aber auch darauf, dass die Ermittlung des erlaubten Risikos „freilich ein schwieriges Unterfangen“ sei.[275] Allgemeine Aussagen seien darüber nicht möglich; das Maß des erlaubten Risikos müsse vielmehr jeweils unter Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen gesondert für die einzelnen Straftatbestände ermittelt werden. Abhängig sei es nicht zuletzt von Rang und Wert des Rechtsguts sowie davon, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat oder nicht.[276]

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Die Gegner der objektiven Zurechnung beschäftigen sich vor allem mit dem Erbonkel-Fall. Zum Teil zieht man zu seiner Lösung die Lehre von der Sozialadäquanz heran und meint, das Verhalten des Neffen sei als sozialadäquates Verhalten tatbestandslos.[277] Andere gehen von einer straflosen Teilnahme an der Selbstgefährdung aus. Vereinzelt wird die Kausalität verneint.[278] Manche Autoren lehnen die Tatherrschaft des Veranlassers ab.[279] Auch wird argumentiert, es fehle an einer objektiven Tötungshandlung, da der kausale Beitrag des Neffen noch kein unmittelbares Ansetzen zu einer Tötungshandlung sei.[280] Teilweise wird schließlich der Vorsatz verneint:[281] Der Vorsatz setze als Verwirklichungswille voraus, dass der Täter sich eine Einwirkungsmöglichkeit auf das reale Geschehen zuschreibe; was nach seiner Auffassung außerhalb seiner Einwirkungsmöglichkeit liegt, könne er als zufällige Verknüpfung mit seiner Handlung erhoffen oder wünschen, aber nicht verwirklichen wollen.[282]

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Es fällt zunächst auf, dass in dieser Fallgruppe wiederum verschiedene Fälle zusammengefasst werden. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob sie tatsächlich identischen Regeln gehorchen, wie es die Lehre von der objektiven Zurechnung annimmt, oder aber einer unterschiedlichen Betrachtung bedürfen. Was zunächst den Erbonkel-Fall anbetrifft, so gelten aus hiesiger Sicht für diese Konstellation die Grundsätze, welche bereits beim Gewitter-Fall erörtert worden sind:[283] Zwar ist der Neffe durch die Schenkung des Flugtickets in konsequenter Anwendung der Äquivalenztheorie ursächlich geworden für den Tod des Onkels. Jedoch fehlt dem Neffen im finalen Augenblick des Flugzeugabsturzes die Tatherrschaft über das Geschehen, sodass eine Bestrafung schon am objektiven Tatbestand scheitert. Dabei ist es im Übrigen richtig, wenn teilweise im Rahmen der Lösung des Falls der Vorsatz verneint wird. Der Vorsatz muss sich nämlich auf sämtliche Umstände des objektiven Tatbestands beziehen, wozu auch das Bewusstsein des Täters von der Tatherrschaft über das Geschehen gehört. Dieses fehlt nun aber bei dem Schenker. In der Tat kann er sich den Absturz nur erhoffen oder wünschen, er lenkt jedoch im Sinne der Tatherrschaft nicht das Geschehen, was er weiß, sodass kein Vorsatz besteht. Nur ist eben zu beachten, dass man zur Ebene des subjektiven Tatbestands gar nicht mehr gelangt, da schon der objektive Tatbestand mangels Tatherrschaft zu verneinen ist. Aus diesem Grund bedarf es auch nicht der Heranziehung des ganz vagen Begriffs der Sozialadäquanz. Es ist im Übrigen in zahlreichen Bereichen ganz offen, was noch als sozialadäquat angesehen wird und was nicht. Vor dem Hintergrund der Unbestimmtheit dieses Gesichtspunkts ist daher dieser Begriff abzulehnen, zumal die entsprechenden Konstellationen auch ohne seine Heranziehung einer sachgerechten Lösung zugeführt werden können.

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Und selbst wenn sich ein Gangsterpaar bei der Zeugung des Kindes wünscht, dass dieses später einmal ebenfalls seinen Unterhalt durch die Begehung von Diebstählen verdienen soll, bedarf es nicht der objektiven Zurechnung, um diesen Fall zu lösen, falls das dann großgewordene Kind tatsächlich Diebstahlstaten begeht. Im Zeitpunkt der späteren Begehung der Tat durch den Zögling fehlt nämlich den Eltern die Tatherrschaft über das Geschehen, so dass sie als Täter ausscheiden. Auch ist die Zeugung des Kindes kein Bestimmen im Sinne des § 26 StGB, denn dadurch wird der Tatentschluss beim späteren Täter natürlich nicht hervorgerufen. Schließlich ist auch Beihilfe zu verneinen, denn beim Zeugungsakt mag ebenso wie beim späteren Versorgen des Kindes mit Nahrung und Kleidung die Hoffnung bestehen, das Kind werde später einmal Straftaten begehen, der bloße Wunsch stellt aber keinen auf eine Straftat bezogenen Beihilfevorsatz dar. Ebenso hat der Hersteller eines Autos bezüglich etwaiger Verkehrsunfälle mit diesem Fahrzeug im Zeitpunkt des Unfalls keine Tatherrschaft über das Geschehen. Auch wird durch die Herstellung des Autos niemand zu einer Tat bestimmt.[284] Schließlich fehlt es am Beihilfevorsatz, selbst wenn sich der Hersteller wünschen sollte, dass das Fahrzeug im Zusammenhang mit einer Straftat eingesetzt werden soll, denn der bloße Wunsch genügt wiederum nicht für einen auf eine Straftat bezogenen Beihilfevorsatz.

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Im Hinblick auf den so bezeichneten „Prototyp“ erlaubten Risikos, das regelkonforme Autofahren, ist Folgendes zu bedenken: Wenn sich ein Autofahrer an sämtliche Regeln hält und trotzdem ein Straßenverkehrsteilnehmer verletzt oder gar getötet wird oder Sachen beschädigt werden, dann kann Straffreiheit nur gegeben sein und ist nur denkbar, wenn dem Autofahrer in Bezug auf die Verletzung des jeweiligen Rechtsguts die Tatherrschaft fehlt: Fährt etwa Autofahrer A absolut verkehrskonform und sieht nun A, dass ein Kind auf die Straße rennt, das von dem Fahrzeug des A erfasst wird und tödlich verunglückt, so kommt eine Strafbarkeit des A nur dann nicht in Betracht, wenn dieser Unfall für ihn unvermeidbar war, er mit anderen Worten das Geschehen nicht beeinflussen konnte und er somit keine Tatherrschaft hat. Auch hier ist also der maßgebliche Gesichtspunkt die fehlende Tatherrschaft, nicht hingegen Aspekte der „sozialen Notwendigkeit“ und des „sozialen Nutzens“.

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Erkennt nämlich A die Situation und kann noch rechtzeitig ausweichen, womit er Tatherrschaft besitzt, muss er dies tun, um sich nicht strafbar zu machen, selbst wenn sein bisheriges Verhalten regelkonform ist.[285] Entscheidender Gesichtspunkt ist also nicht, ob ein Verhalten „generell erlaubt“ ist, denn damit ist für den konkreten Fall kein Erkenntnisgewinn verbunden, sondern wie sich der Betreffende in der konkreten Tatsituation verhalten hat und ob er im Augenblick der Rechtsgutsverletzung Tatherrschaft über den Geschehensablauf hatte.

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Hat er diese nicht, ist der objektive Tatbestand nicht gegeben. Entsprechend kann A sogar hoffen und wünschen, dass ein anderer in Mitleidenschaft gezogen wird, aber es fehlt ihm dennoch schon objektiv die Tatherrschaft. Zudem sei wiederum angemerkt, dass beim bloßen Hoffen und Wünschen kein Vorsatz gegeben ist, denn in subjektiver Hinsicht fehlt das Bewusstsein der Tatherrschaft und damit ein konstitutives Element des Vorsatzes.

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Wie wichtig es ist, die jeweiligen Fallkonstellationen nicht im Rahmen einer vorgeschobenen Kategorie der objektiven Zurechnung über allgemeine Abwägungsgesichtspunkte zu lösen, sondern sich mit den jeweiligen Strafbarkeitsvoraussetzungen im Einzelnen auseinander zu setzen, zeigt sich auch daran, dass Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung meinen, die lege artis durchgeführte ärztliche Heilbehandlung falle in den Bereich des erlaubten Risikos und führe zum Zurechnungsausschluss. Hierbei wird bereits verkannt, dass mit einer Operation zunächst durchaus eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und des körperlichen Wohlbefindens vorliegt. Zwar erfolgt das zum Zweck der Heilbehandlung, dennoch bleibt es dabei, dass eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit stattfindet.[286] Bereits dieser Umstand spricht dagegen, den Tatbestand des § 223 StGB zu verneinen. Hinzu kommt, dass bei einer solchen Lösung die Gefahr besteht, die Autonomie des Patienten nicht hinreichend zu beachten.[287] Die Struktur der Körperverletzungsdelikte und die Autonomie des Patienten finden hingegen hinreichende Berücksichtigung, wenn man im Bereich der ärztlichen Heilbehandlung eine Rechtfertigung über die (mutmaßliche) Einwilligung annimmt.

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Man erkennt, dass von den Befürwortern der Lehre von der objektiven Zurechnung Fälle in einer Rubrik zusammengefasst werden, bei denen teilweise ganz unterschiedliche Gesichtspunkte maßgeblich sind, wodurch die jeweils entscheidenden Aspekte eher verschleiert werden.

c) Die Konstellation der Risikoverringerung

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Eine weitere Fallgruppe, bei der es an einer rechtlich missbilligten Risikoschaffung fehlen soll, ist schließlich die Konstellation der Risikoverringerung.[288] Wenn der Täter eine für das Opfer bestehende Gefahr abmildert, indem er in einen Kausalverlauf eingreift, der bereits im Gange ist, soll er mangels objektiver Zurechnung tatbestandslos handeln. Das kommt etwa in Betracht, wenn der A eine ätzende Substanz, mit der B dem O die Hand überschütten will, so ablenkt, dass nur der kleine Finger des O verätzt wird.[289] Auch wird hier der Fall angeführt, dass B in Richtung des Kopfes des O einen Stein wirft, den A zwar nicht ganz unschädlich machen kann, jedoch auf die Hand des O umzulenken vermag, die dadurch verletzt wird; hier habe A die Situation des O verbessert und A verwirkliche trotz Kausalität tatbestandlich keine Körperverletzung.[290] Auch gehört hierhin der vergleichbare Fall, dass A einen Schlag in Richtung Kopf auf die Schulter ablenkt.[291] Das gelte selbst dann, wenn der Schlag vollständig hätte abgewendet werden können, da eine den drohenden Erfolg abschwächende Handlung nicht deshalb verboten sein könne, weil dieser ganz zu verhindern war.[292] Es sei sinnwidrig, Handlungen zu verbieten, die den Zustand des geschützten Rechtsguts nicht verschlechtern, sondern verbessern oder zumindest abschwächen.[293] Es widerspreche dem allgemeinen Interesse der strafrechtlichen Normen an der Erhaltung der strafrechtlich geschützten Rechtsgüter, wenn die Strafrechtsnormen zur Sanktionierung von Handlungen eingesetzt würden, die zumindest teilweise der Erhaltung der bereits bedrohten Rechtsgüter dienen.[294] Wertungsmäßig „leicht einleuchtend“ liege kein zurechenbarer Erfolg vor.[295] Die bloße Verminderung der für die körperliche Integrität des Opfers bestehenden Gefahr stelle das Gegenteil zur Schaffung eines missbilligten Risikos dar.[296] Die Risikoreduzierung sei unter Rechtsgüterschutzgesichtspunkten geradezu erwünscht und folglich nicht rechtlich missbilligt.[297] Hierhin sollen im Übrigen auch Fälle des zeitlichen Hinausschiebens des Erfolges gehören, wenn etwa der Arzt den unvermeidbaren Tod des Patienten durch seine Behandlung um einige Tage hinauszögert.[298] Dass im letzteren Fall jedoch richtigerweise schon die (generelle) Kausalität zu verneinen ist, wurde bereits erläutert.[299]

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Die Gegner dieses Lösungsansatzes gelangen ebenfalls zur Straflosigkeit, jedoch erst auf Rechtfertigungsebene über die Regeln der Nothilfe, der (mutmaßlichen) Einwilligung oder des rechtfertigenden Notstands. Dies sei sachgerechter, da das Opfer möglicherweise – etwa aus beruflichen Gründen – lieber am Kopf als an seiner Hand verletzt worden wäre.[300] Als Argument gegen den Zurechnungsausschluss wird zudem vorgebracht, es ändere sich an der Einwirkung auf die fremde Rechtssphäre nichts dadurch, dass ein anderer Schaden minimiert wird.[301] Im Gegenteil habe A das Risiko einer Schulterverletzung bei der Ablenkung des Schlages auf die Schulter drastisch erhöht.[302] Die Lehre von der Risikoverringerung verstoße gegen wichtige strafrechtliche Grundsätze, indem sie die Autonomie des Opfers ignoriere; letztlich müsste sogar ein gegen den Willen des Patienten vorgenommener ärztlicher Heileingriff tatbestandslos sein.[303] Schließlich wird darauf hingewiesen, dass Tatbestand und Rechtfertigung gleichermaßen Elemente des Unrechtsbereichs sind, sodass kein zwingendes Bedürfnis bestehe, die Fälle der Risikoverringerung im Tatbestand anzusiedeln.[304]

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Dagegen ist auch nach den Befürwortern der objektiven Zurechnung der Tatbestand gegeben und nur Rechtfertigung könne greifen, wenn der Täter die Gefahr durch eine andere ersetzt, selbst wenn deren Verwirklichung für das Opfer weit weniger schädlich als die ursprüngliche ist.[305] Insofern führen dann aber die Gegner des Zurechnungsausschlusses bei der Risikominderung an, es sei unmöglich, trennscharf zwischen Risikominderung und Risikowechsel zu unterscheiden.[306]

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Wiederum soll aber die Zurechnung ausscheiden, wenn der Täter eine Naturkausalität lediglich modifiziert, ohne die Situation des Opfers zu verschlechtern.[307] Dies erscheine bei sozialer Bewertung nicht als selbstständige Tat.[308] Zurechnung sei nur anzunehmen, wenn der Schaden vergrößert oder zeitlich vorverlegt werde.[309] Unterschiedlich wird der Fall gesehen, dass jemand die Naturkausalität durch eine selbstständige Handlung ersetzt, also etwa der Täter den Zugführer, dem ein tödlicher Zusammenstoß mit einem auf dem Gleis liegenden Felsen droht, im Augenblick des Zusammenstoßes erschießt. Hier wird zum Teil ein Zurechnungsausschluss angenommen,[310] andere bejahen hingegen die Zurechnung.[311]

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Das Argument, es sei sinnwidrig, Handlungen zu verbieten, welche die Situation des Rechtsguts nicht verschlechtern, sondern sogar verbessern, erscheint durchaus einsichtig. Andererseits muss man natürlich berücksichtigen, dass derjenige, welcher den Stein oder Schlag auf die Hand oder die Schulter ablenkt, tatsächlich durch seine Handlung eine Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens bei dem Opfer herbeiführt. Hinzu kommt, dass es durchaus als problematisch anzusehen ist, ob die Ablenkung vom Kopf weg auf Hand oder Schulter nicht doch möglicherweise einen Fall der Risikoersetzung darstellt, der auch nach den Befürwortern der Figur der Risikoverringerung nicht zum Zurechnungsausschluss führen soll. In der Tat scheint die Abgrenzung beider Fälle zumindest in vielen Konstellationen schwierig. Es überzeugt zudem, wenn die Gegner des Zurechnungsausschlusses darauf hinweisen, dass die Autonomie des Einzelnen bei einem Tatbestandsausschluss anders als bei einer Lösung über die mutmaßliche Einwilligung und den rechtfertigenden Notstand nicht die erforderliche Berücksichtigung findet. Wenn dann noch der Einzelne soll Schicksal spielen dürfen, indem er Naturkausalitäten tatbestandslos modifizieren darf oder – so teilweise die Vertreter – die Naturkausalität durch eine eigene Handlung soll ersetzen dürfen, zeigt sich, wie Strafbarkeitsvoraussetzungen schlicht nicht mehr beachtet werden und letztlich die Entscheidung über die Strafbarkeit eine reine Gefühlsentscheidung wird. Richtigerweise ist die Kategorie der Risikoverringerung insgesamt abzulehnen und im Einzelfall insbesondere danach zu fragen, ob eine Rechtfertigung vor allem über die (mutmaßliche) Einwilligung oder § 34 StGB eingreift und damit das Verhalten im Einzelfall erlaubt ist.[312] Damit kann dann hinreichend dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Täter die Situation des Rechtsguts verbessert hat, ohne dass man sich im Nebel der Lehre von der objektiven Zurechnung verirrt.

2. Die Realisierung der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung im tatbestandlichen Erfolg

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Hat der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, genügt das für sich genommen nicht, um die objektive Zurechnung zu bejahen. Weitere Voraussetzung ist nach dieser Lehre vielmehr, dass sich gerade diese vom Täter gesetzte rechtlich missbilligte Gefahr im tatbestandlichen Erfolg realisiert.[313] Insofern werden wiederum unterschiedliche Fallgruppen gebildet, bei denen dieses zweite Erfordernis der Realisierung der Gefahr im Erfolg als problematisch angesehen wird. Auf diese ist im Folgenden einzugehen.

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