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c) Eingreifen Dritter in den Geschehensablauf

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Eine weitere Konstellation, die im Rahmen der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen diskutiert wird, ist das „Dazwischentreten Dritter“.[395] Einmal kommt dabei in Betracht, dass ein Dritter vorsätzlich in den Geschehensablauf eingreift. Hierunter fällt beispielsweise der Fall, dass A auf den O mit Tötungsvorsatz schießt. Dem noch lebenden, jedoch sich quälenden O wird nun von B der „Gnadenschuss“ gegeben. In diesem Fall ist die Kausalität zwischen der Handlung des A und dem Erfolg zu bejahen: Der Schuss des A kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte der A dem O die Verletzung nicht zugefügt, wäre der O von B nicht erschossen worden. Ein Regressverbot, wonach das vorsätzliche und schuldhafte Dazwischentreten eines Dritten die Kausalität entfallen lässt,[396] ist überholt und unvereinbar mit den Grundsätzen der Äquivalenztheorie.[397]

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Problematisch ist hingegen die objektive Zurechnung. Teilweise lehnen Anhänger dieser Theorie die Zurechnung in derartigen Fällen ab.[398] Insofern findet sich das Argument, dass das Verhalten des Dritten für den Erstverursacher nicht beherrschbar ist.[399] Andere hingegen meinen, der Anschlusstäter habe sich der Ausgangsgefahr untergeordnet und wolle die Qualen für das Opfer in einer nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Weise verkürzen, sodass die Zurechnung stattfinden dürfe.[400] Das eigenverantwortliche Dazwischentreten eines Dritten müsse stets freiwillig und aus selbst gesetzten Motiven geschehen, was beim Gnadenschuss nicht der Fall sei.[401] Danach wären sowohl A als auch B wegen vollendeten Totschlags zu bestrafen. Anders sei dies jedoch, wenn keine Unterordnung unter die Ausgangsgefahr stattfinde, sondern ein Dritter die Situation bloß ausnutze und eigenständige Ziele verfolge: Als Beispiel wird der Fall genannt, dass A den O mit Tötungsvorsatz verletzt und dann im Krankenhaus der O von dem Verwandten B, der die Situation ausnutzt, um Erbe zu werden, vergiftet wird.[402] Hier verwirkliche sich nicht mehr das von A ursprünglich gesetzte Risiko, sondern eine neue Gefahr, die B unabhängig vom Leidenszustand des O gesetzt habe.[403]

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Wenn in der Literatur teilweise darauf abgestellt wird, ob eine „Unterordnung unter die Ausgangsgefahr“ stattfinde, dann handelt es sich hierbei um ein sehr vages Kriterium, das praktisch kaum handhabbar ist. Letztlich wird damit der Weg zur Lösung des Falls vernebelt. Vielmehr können derartige Konstellationen hinreichend klar unter Heranziehung insbesondere der Teilnahmelehre gelöst werden, ohne dass unbestimmte Begriffe wie derjenige der „Ausgangsgefahr“ bemüht werden müssen: Wenn B den O durch einen Schuss tötet, dann fehlt dem A in diesem finalen Augenblick die Tatherrschaft.[404] Er ist folglich nur im Hinblick auf seinen Schuss wegen versuchten Totschlags zu bestrafen. Als Täter eines vollendeten Totschlags kann er nur bestraft werden, falls A und B Mittäter sind oder wenn A den B als Werkzeug benutzt und A damit als mittelbarer Täter die Tatherrschaft aufweist.[405] Ist das nicht der Fall, ist zu überlegen, ob A eventuell Teilnehmer der Tat ist, indem er B zur Tat anstiftet[406] oder ihm Hilfe leistet, wobei A dann einen entsprechenden Teilnehmervorsatz aufweisen muss. Schließlich kommt eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung in Betracht, jedoch nur, wenn im Sinne des Fahrlässigkeitsdelikts das weitere Geschehen voraussehbar war, was von den konkreten Umständen abhängt, wobei normalerweise nicht damit zu rechnen ist, dass ein anderer in der Form in den Geschehensablauf eintritt, es sei denn, es bestehen dafür erkennbare Anhaltspunkte.

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Sofern es um ein fahrlässiges Dazwischentreten eines Dritten geht, wird innerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung argumentiert, es realisiere sich immer noch eine Gefahr, mit der man rechnen müsse und die daher in den Verantwortungsbereich des Täters falle, es sei denn, es handele sich um ein grob fahrlässiges Dazwischentreten.[407] Dementsprechend wäre in dem Fall, in dem das vom Erstverursacher verletzte Opfer bei der Operation aufgrund eines leichten Kunstfehlers des Arztes stirbt, dem Erstverursacher dieser Erfolg zuzurechnen. Es gibt aber auch Stimmen, wonach ärztliches Fehlverhalten durch aktives Tun nach dem Vertrauensgrundsatz nicht zurechenbar ist, wenn nicht erkennbare Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten vorliegen; dagegen sei dem Erstverursacher der Erfolg bei einem Unterlassen des Arztes zurechenbar, denn dann realisiere sich gerade die vom Erstverursacher geschaffene rechtswidrige Gefährdung.[408] Andere nehmen eine Zurechnung an, wenn sich das mit der Verletzung verbundene spezifische Risiko realisiere, selbst wenn der Arzt grob fahrlässig handele.[409] Schließlich wird einerseits darauf abgestellt, ob der Patient an der ihm zugefügten Verletzung oder erst an einer durch den ärztlichen Fehler hinzugekommenen Gefahr verstirbt, wobei im Fall grober Fahrlässigkeit stets keine Zurechnung stattfinden dürfe.[410]

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Auch hier werden innerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung unterschiedlichste Aspekte zur Lösung dieser Fallkonstellation vorgetragen, die kaum praktikabel sind und eine dogmatisch exakte Lösung des Falls verhindern.

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Handelt der Ersttäter vorsätzlich und greift nun ein Zweittäter fahrlässig in den Geschehensablauf ein,[411] kommt es entscheidend darauf an, ob der Ersttäter im finalen Augenblick Tatherrschaft hat: Das kann der Fall sein, wenn der Zweittäter bloßes Werkzeug des Ersttäters ist und damit der Ersttäter als mittelbarer Täter Tatherrschaft aufweist. Ist das nicht so, fehlt dem Ersttäter im finalen Augenblick die Tatherrschaft, so dass Vollendung ausscheidet und nur die Versuchsstrafbarkeit gegeben ist. Zudem bleibt zu prüfen, ob eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung in Betracht kommt. Hierbei ist dann insbesondere problematisch, inwieweit das Geschehen vorhersehbar war. Insofern kann bei Operationen aus der Sicht eines objektiven Dritten durchaus mit leichten bis mittleren Behandlungsfehlern gerechnet werden, nicht jedoch mit groben. Die Frage der Vorhersehbarkeit ist auch maßgeblich, wenn der Ersttäter fahrlässig handelte.

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Problematisch sind weiterhin Fälle eines fahrlässig handelnden Ersttäters und eines daran anknüpfenden vorsätzlich agierenden Zweittäters. Ein Beispiel dafür ist die Konstellation, dass Jäger A bei einem Gaststättenbesuch sein entsichertes Gewehr an die Garderobe lehnt und nun Zweittäter B das Gewehr ergreift und den Gast O erschießt.[412] Teilweise wird im Schrifttum davon ausgegangen, dass das vorsätzliche Verhalten des Zweittäters den Zurechnungszusammenhang unterbreche, sodass der fahrlässig Vorbedingungen Schaffende nicht wegen einer Fahrlässigkeitstat bestraft werden könne.[413] Der Ersttäter könne das Tun des Zweittäters nicht beherrschen.[414] Die Tatbestandsverwirklichung werde hier als Folge der Willkür des Zweittäters definiert und dadurch vom Ersttäter distanziert.[415] Dagegen wird jedoch vorgebracht, es mache gerade das typische Unrecht fahrlässigen Verhaltens aus, das Opfer unkontrollierten Gefahren auszusetzen.[416] Fahrlässige Erfolgsverursachungen seien gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie von ihrem Veranlasser nicht gesteuert werden.[417] Andere grenzen nach Verantwortungsbereichen ab.[418] Danach könne jeder grundsätzlich auf das rechtstreue Verhalten Dritter vertrauen (Vertrauensgrundsatz), sodass das Verhalten des Zweittäters ihm nicht zurechenbar sei. Das gelte jedoch nicht, falls sich erkennbare Anhaltspunkte für die geplante Straftat oder Tatgeneigtheit eines Dritten ergeben oder der Ersthandelnde als Garant zur Vermeidung des von ihm ausgelösten Geschehensablaufs verpflichtet ist. Da letzteres im vorliegenden Fall einschlägig ist – Jäger A ist Überwachungsgarant – ist ihm das Zweithandeln nach dieser Ansicht zurechenbar.[419] Schließlich wird davon ausgegangen, dass das Dazwischentreten des Zweittäters die Bestrafung aus § 222 StGB nicht hindere, es sei denn, das Dazwischentreten war nach allgemeinen Grundsätzen der Fahrlässigkeitsdogmatik objektiv nicht vorhersehbar.[420] Diesen Standpunkt nimmt teilweise auch die Rechtsprechung ein.[421]

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Zunächst ist nochmals zu betonen, dass ein Täter wegen einer Fahrlässigkeitstat auch dann bestraft werden kann, wenn er keine Tatherrschaft im finalen Augenblick innehat. Es ist gar nicht so selten, dass weit im Vorfeld der Tat sorgfaltswidrig gehandelt wird, man denke etwa an den Statiker, der beim Hausbau unsorgfältig statische Berechnungen durchführt, die dazu führen, dass das Haus Jahre später unter einer Schneelast auf dem Dach einstürzt.[422] Anders als beim Vorsatzdelikt, wonach Täter immer Tatherrschaft aufweisen müssen, anderenfalls nur Teilnahme in Betracht kommt, gilt bei § 222 StGB der Einheitstäterbegriff. Es ist daher nicht zutreffend, wenn beim fahrlässig handelnden Ersttäter damit argumentiert wird, der Ersttäter könne das Tun des Zweittäters nicht beherrschen. Soweit teilweise die Literatur auf Verantwortungsbereiche abstellt, handelt es sich hierbei wiederum um einen dehnbaren Begriff, der die notwendigen Konturen und die hinreichende Bestimmtheit vermissen lässt. Entscheidend ist aber vor allem, dass derartige Konstellationen mit dem klassischen Instrumentarium des Fahrlässigkeitsdelikts gelöst werden können.[423] Maßgeblich ist, ob der Geschehensablauf vorhersehbar war. Ist das nicht der Fall, scheidet § 222 StGB aus, war er es hingegen, ist der Ersttäter – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – wegen fahrlässigen Delikts zu bestrafen.

d) Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang

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Insbesondere in Bezug auf die Fahrlässigkeitsdelikte wird das Erfordernis des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs aufgestellt.[424] Mit diesem Zusammenhang wird gefordert, dass der Erfolg seinen Grund gerade in der Pflichtwidrigkeit, also in der Sorgfaltspflichtverletzung, haben muss.[425] Die Befürworter der Lehre von der objektiven Zurechnung sehen dabei im Pflichtwidrigkeitszusammenhang einen Gedanken ihrer Lehre verwirklicht: Im Erfolgseintritt müsse sich gerade die durch die Pflichtwidrigkeit gesetzte Gefahr auswirken.[426] Dann, wenn bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Täters der Erfolg ebenso eingetreten wäre, habe sich die geschaffene Gefahr nicht im Erfolg realisiert.[427] Ein Täter schulde nicht die sinnlose Erfüllung von Verhaltenspflichten, durch deren Einhaltung er den Erfolg ohnehin nicht verhindern konnte, vielmehr müsse ihm vorgeworfen werden können, gerade durch sein pflichtwidriges Verhalten den Erfolg verursacht zu haben.[428]

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Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist nicht gegeben, wenn der Erfolg mit Sicherheit aufgrund eines Fehlverhaltens des Opfers[429] oder aufgrund von Naturereignissen auch dann eingetreten wäre, falls sich der Täter sorgfaltsgemäß verhalten hätte (rechtmäßiges Alternativverhalten).[430] Steht dies sicher fest, ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu verneinen.[431] Es geht also um eine hypothetische Betrachtung.[432] Es erscheine unbillig, dem Täter ein Fehlverhalten vorzuwerfen, wenn er auch durch korrektes Verhalten den Erfolgseintritt nicht verhindert hätte.[433]

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Bei der Prüfung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs darf lediglich das sorgfaltswidrige durch ein rechtmäßiges Verhalten ersetzt werden. Im Übrigen ist der Prüfung der tatsächliche Geschehensablauf zugrunde zu legen; es darf von der konkreten Tatsituation nichts weggelassen, ihr nichts hinzugedacht und an ihr nichts verändert werden.[434]

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Problematisch ist nun, was zu gelten hat, wenn der Erfolg nur möglicherweise auch bei einem rechtmäßigen Verhalten eingetreten wäre. Nach der überwiegenden Ansicht im Schrifttum (Vermeidbarkeitstheorie) ist der Grundsatz in dubio pro reo anzuwenden, wenn nicht sicher feststeht, dass der Erfolg auch dann eingetreten wäre, dies aber möglicherweise der Fall gewesen wäre.[435] Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist folglich zu verneinen. Der BGH gelangt ebenfalls zu diesem Ergebnis, auch wenn er das Problem bei der Kausalität ansiedelt. Nach dem BGH dürfe als ursächlich für einen schädlichen Erfolg ein verkehrswidriges Verhalten nur dann angenommen werden, wenn sicher sei, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht zu dem Erfolg gekommen wäre.[436] Bei Zweifeln darüber greife der Grundsatz in dubio pro reo. Dass es sich jedoch nicht um ein Kausalitätsproblem handelt, sondern um ein solches des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, wurde bereits erläutert.[437]

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Klassisches Beispiel für die Problematik des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs ist der Radfahrerfall:[438] Der Lastwagenfahrer A überholt mit zu geringem Seitenabstand den betrunkenen Radfahrer O, der mit dem Kopf unter den rechten Hinterreifen des Anhängers gerät und verstirbt. Nachträglich kann nicht mehr geklärt werden, ob der Unfall sich möglicherweise auch ereignet hätte, wenn A ausreichenden Seitenabstand eingehalten hätte.

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In diesem Fall können Rechtsprechung und h.M. im Schrifttum den Lastwagenfahrer nicht gemäß § 222 StGB bestrafen, da der Pflichtwidrigkeitszusammenhang unter Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo zu verneinen ist.

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Die Risikoerhöhungstheorie[439] lässt es hingegen für die Zurechnung bereits ausreichen, dass das sorgfaltswidrige Verhalten das Risiko des Erfolgseintritts gegenüber dem erlaubten Risiko erhöht hat. Im Radfahrerfall bedeutet das: Die Überschreitung des erlaubten Risikos durch Nichteinhaltung des Seitenabstands habe die Chance eines tödlichen Unfalls in rechtlich relevanter Weise erhöht.[440]

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In Bezug auf den gegenüber dieser Lehre von der h.M. erhobenen Vorwurf, dies missachte den Grundsatz in dubio pro reo,[441] wird ausgeführt, wenn der Täter das erlaubte Risiko überschreite und dadurch die gerade noch tolerierbare Gefahr weiter erhöhe, schaffe er ein im Ganzen schlechthin verbotenes Risiko. Dieses insgesamt verbotene Risiko verwirkliche sich auch, wenn der Erfolg eintrete. Hieran bestehe keinerlei Zweifel, sodass der Grundsatz in dubio pro reo kein Anwendungsgebiet habe.[442] Von einer Risikosteigerung könne nur dann gesprochen werden, wenn feststehe, dass der Täter die für das bedrohte Rechtsgut bestehende Gefahr erhöht hat.[443] Weiterhin argumentiert die h.M., die Risikoerhöhungstheorie wandele Erfolgsdelikte contra legem in Gefährdungsdelikte um.[444] Dem wird entgegnet, die Zurechnung eines Erfolges zum objektiven Tatbestand werde immer nur durch eine vom Täter geschaffene Gefährdung vermittelt.[445] Den Verletzungstatbeständen lägen stets nur Gefährdungsverbote zugrunde.[446] Auch wird gegenüber der Risikoerhöhungstheorie vorgebracht, sie könne nicht mit hinreichender Bestimmtheit sagen, wann das Risiko überhaupt erhöht sei.[447]

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Dass ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Delikt zu fordern ist, ergibt sich bereits aus dem Wesen dieser Deliktskategorie. Sorgfaltswidriges Handeln und Erfolg stehen hier nicht beziehungslos nebeneinander, sondern der Eintritt des Erfolges muss gerade auf dem sorgfaltswidrigen Verhalten beruhen.[448] Das ist aber nicht der Fall, wenn der Erfolg bei einem sorgfaltsgemäßen Verhalten des Täters ebenso eingetreten wäre. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ergibt sich damit aus dem Wesen und der Struktur dieser Deliktskategorie, ohne dass dafür die Figur der objektiven Zurechnung bemüht werden muss.[449] Betrachtet man nun die Vorschrift des § 222 StGB, dann zeigt sich, dass die Norm nicht bloß ein gefährliches, sorgfaltswidriges Verhalten verlangt, aus dem dann eine Gefahr für das geschützte Rechtsgut entsteht, sondern den Eintritt eines Verletzungserfolges in Form des Todes eines anderen Menschen voraussetzt. Es handelt sich nicht nur um ein reines Tätigkeitsdelikt oder bloß um einen Lebensgefährdungstatbestand. Das hingegen wird von der Risikoerhöhungslehre nicht hinreichend beachtet, sodass der Vorwurf, Verletzungsdelikte würden nach der Risikoerhöhungslehre contra legem in Gefährdungsdelikte umgewandelt, berechtigt ist. Die gesetzliche Ausgestaltung des § 222 StGB als Verletzungsdelikt wird hingegen durch die Vermeidbarkeitstheorie zutreffend berücksichtigt. Es muss, wenn nicht sicher feststeht, jedoch die Möglichkeit besteht, dass der Erfolg auch bei einem sorgfaltsgemäßen Verhalten des Täters eingetreten wäre, nach dem Grundsatz in dubio pro reo freigesprochen werden.

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Zwischen Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, wie die Hypothese rechtmäßigen Verhaltens bei einer Trunkenheitsfahrt zu bilden ist. Für §§ 229, 222 StGB stellt der BGH in diesem Fall nicht darauf ab, ob der Fahrer in nüchternem Zustand den Unfall hätte vermeiden können, sondern prüft, ob es auch zu dem Unfall gekommen wäre, wenn er mit einer seiner Trunkenheit angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre.[450] Dagegen erhebt das Schrifttum zu Recht den Einwand, dass der Fahruntüchtige überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen darf.[451] Rechtmäßig ist die Trunkenheitsfahrt bei noch so geringer Geschwindigkeit nicht.[452] Abzustellen ist daher darauf, ob ein nüchterner Fahrer den Unfall vermieden hätte. Die Rechtsprechung ersetzt unzulässig ein pflichtwidriges Verhalten durch ein anderes pflichtwidriges Verhalten.[453]

e) Der Schutzzweckgedanke

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Teilweise wird ebenfalls vom Ausschluss der Zurechnung bei Erfolgen ausgegangen, die nicht durch den „Schutzzweck einer Sorgfaltsnorm“ gedeckt sind.[454] Zur Veranschaulichung wird hier etwa der Fall angeführt, in dem zwei Radfahrer unbeleuchtet im Dunkeln hintereinander fahren und nun der eine Radfahrer mit einem entgegenkommenden Radfahrer zusammenstößt, der Unfall aber schon vermieden worden wäre, wenn nur der andere Radfahrer sein Fahrrad beleuchtet hätte.[455] Zwar habe der zweite Radfahrer die Gefahr eines Unfalls erheblich gesteigert, dennoch sei eine Erfolgszurechnung sinnwidrig, denn der Zweck des Beleuchtungsgebots liege in der Vermeidung von Unfällen unmittelbar mit dem eigenen Rad, nicht aber darin, dass andere Räder beleuchtet werden.[456] Hierbei geht es dann um den Schutzzweck der Sorgfaltsnorm.[457] Der Eintritt von Beeinträchtigungen, deren Vermeidung die Norm gar nicht diene, sei insoweit zufällig und könne dem Täter deshalb nicht angelastet werden.[458]

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Ein weiteres typisches Beispiel[459] ist der Fall, dass A mit erhöhtem Tempo über eine Landstraße fährt und zwanzig Minuten später bei nunmehr verkehrsgerechtem Verhalten in der Stadt ein Kind unvorhersehbar von ihm erfasst und verletzt wird. Ohne die vorherige Geschwindigkeitsüberschreitung hätte A das Kind nicht verletzt, da das Kind dann bereits die Straße überquert hätte. Hier wird argumentiert, das Verbot der Geschwindigkeitsüberschreitung habe nicht den Sinn, das Eintreffen des Fahrzeugs an einem bestimmten Ort zeitlich zu verzögern.[460] Ebenso wenig liege es im Schutzbereich der Pflicht, an roten Ampeln zu halten, dass irgendwo anders im weiten Abstand zu dieser Ampel Kollisionen vermieden werden.[461] Vergleichbar sei nicht Sinn der StVO-Regeln, bei einem Verkehrsteilnehmer, der falsch überholt wird, einen Herzinfarkt zu verhindern, den dieser aus Aufregung über den falschen Überholvorgang erleidet.[462]

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Im Zusammenhang mit dem Schutzzweck der Sorgfaltsnorm wird auch häufig folgender vom BGH entschiedener Fall erwähnt:[463] Arzt A zog der Patientin O unter Vollnarkose zwei Backenzähne. Zuvor hatte O dem A mitgeteilt, dass sie „etwas am Herzen“ habe. A unterließ es jedoch pflichtwidrig, daraufhin zunächst eine eingehende Untersuchung durch einen Internisten zu veranlassen. Nach Abschluss der Behandlung kam es aufgrund der Vollnarkose zum Tod der O durch Herzstillstand. Es war nicht auszuschließen, dass auch bei einer vorherigen Untersuchung durch einen Internisten der Tod der O eingetreten wäre, jedoch wäre er aufgrund der internistischen Untersuchung mit Sicherheit später erfolgt, als er durch das pflichtwidrige Vorgehen des A tatsächlich eingetreten war.

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Zu diesem Fall wird angemerkt, die Pflicht zur Beiziehung eines Internisten diene nicht dem Zweck, eine Verzögerung des Eingriffs zu bewirken und dadurch das Leben des Patienten kurzfristig zu verlängern.[464] Die von dem Arzt verletzte Sorgfaltsnorm sei nicht in der Lage, den eingetretenen Todeserfolg bei der Patientin zu verhindern.[465] Die Pflicht zur Hinzuziehung eines Spezialisten habe den Zweck, Gefahren der in Aussicht genommenen Behandlung zu erkennen; letzteres wäre im Fall aber mit der vorherigen Untersuchung nicht sicher zu erreichen gewesen.[466]

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Der BGH hat zu diesem Fall ausgeführt, es genüge zwar für den Pflichtwidrigkeitszusammenhang, dass infolge des pflichtwidrigen Verhaltens der Tod früher eintritt, als es sonst dazu gekommen wäre. Maßgeblich für die Beurteilung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs sei jedoch allein der Zeitpunkt der Begehung der Pflichtwidrigkeit und nicht der Zeitpunkt, zu dem sich der Täter nach Herbeiführung vorheriger Voraussetzungen nunmehr pflichtgemäß verhalten hätte. Von daher wäre der Pflichtwidrigkeitszusammenhang nur zu bejahen, wenn festgestellt wäre, dass eine im gleichen Zeitpunkt nach Durchführung der internistischen Untersuchung vorgenommene Behandlung erst später zum Tod der O geführt hätte, wofür jedoch keine Anhaltspunkte vorlagen.[467] Auch in der Literatur wird teilweise der Pflichtwidrigkeitszusammenhang verneint.[468]

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Im Zusammenhang mit dem Schutzweckgedanken ist weiterhin zu berücksichtigen, dass in bestimmten Fällen auch mit dem Schutzzweck der Strafnorm argumentiert wird. Diesen Aspekt zieht man insbesondere bei den Schockschäden heran. Beispiel dafür ist der Fall, dass die Ehefrau E des Unfallopfers O einen tödlichen Herzinfarkt erleidet, als sie vom Unfalltod des O erfährt. Derartige Umstände seien dem Unfallverursacher nicht zurechenbar, da die §§ 222, 229 StGB nicht den Zweck hätten, andere Personen als das Tatopfer vor den körperlichen Auswirkungen seelischer Erschütterungen zu schützen.[469] Wie man mit seelischen Belastungen umgeht, sei in bestimmtem Rahmen eigene Angelegenheit jedes Menschen.[470] Zum Teil wird dieser Fall aber auch über den Gesichtspunkt des atypischen Kausalverlaufs gelöst.[471]

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Entsprechendes gelte bei Folgeschäden: Hier geht es etwa um Fälle, dass A den O im Augenbereich verletzt, sodass O erblindet, und nunmehr O aufgrund der Erblindung Jahre später tödlich verunglückt. Derartige Spätfolgen seien nicht mehr vom Schutzzweck der §§ 222, 229 StGB erfasst. Die Folgerisiken seien bereits mit der Bestrafung der ersten Tat abgegolten und gehörten nach Abschluss der Behandlung zum nunmehr erhöhten Lebensrisiko des Opfers.[472] Zum Teil wird aber auch angemerkt, es handele sich hierbei nicht um eine Frage der objektiven Zurechnung, sondern um ein prozessuales Problem: Trete die Spätfolge erst nach dem Prozess ein, sei die Strafklage im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG verbraucht, trete sie vor dem Prozess ein, sei sie zuzurechnen; schlichter Zeitablauf schließe die Zurechnung nicht aus.[473]

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Gegenüber dem Schutzzweckgedanken wird aber auch Kritik erhoben: Außerhalb spezifischer Sorgfaltsnormen sei der Normzweck schwerlich zu ermitteln, so dass sich die Schutzzwecklehre als Leerformel erweise.[474] Das Abstellen auf den Zurechnungsbegriff des Schutzzwecks sei überflüssig, da es tatsächlich hierbei um nichts anderes als um die exakte Bestimmung der jeweiligen Sorgfaltspflicht gehe.[475] Es bestehe bei der Schutzzwecklehre die Gefahr, dass je nach gewünschtem Ergebnis Erfolgsherbeiführungen in den Zurechnungszusammenhang einbezogen oder aber eben ausgeschieden werden.[476]

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Auch der Begriff vom Schutzzweck ist ein sehr schillernder Begriff. Aufgrund seiner Allgemeinheit birgt er tatsächlich die Gefahr, das jeweils intuitiv als richtig erachtete Ergebnis mit Schutzzweckgedanken zu begründen. Zudem werden darüber teilweise Fälle in einer Gruppe zusammengefasst, die sich in Wahrheit durchaus in der Lösung unterscheiden. Im Einzelnen: Soweit es um Konstellationen wie zum Beispiel die der Geschwindigkeitsüberschreitung oder des Rotlichtverstoßes geht, handelt es sich um nichts anderes als um die konkrete Bestimmung des sorgfaltswidrigen Verhaltens: Dabei muss die vom fahrlässigen Delikt geforderte Sorgfaltswidrigkeit stets in Bezug auf das in Rede stehende konkret beeinträchtigte Rechtsgutsobjekt geprüft werden.[477] Die Geschwindigkeitsüberschreitung oder der Rotlichtverstoß waren nun aber sorgfaltswidrig nur in Bezug auf die sich in dem spezifischen Gefahrenbereich befindlichen Rechtsgutsobjekte, nicht aber hinsichtlich des später verletzten Kindes. Sorgfaltswidrig ist das Verhalten nur bezogen auf die Rechtsgüter, die am Ort und während der Zeit der Geschwindigkeitsüberschreitung oder des Rotlichtverstoßes davon betroffen sind.[478] Im Übrigen geht es letztlich bei der Schutzzwecklehre um nichts anderes als um die Auslegung der jeweiligen Sorgfaltsnorm, was man dann aber auch so bezeichnen sollte.[479]

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Anders verhält es sich jedoch in dem Fall, dass ein Verkehrsteilnehmer aufgrund eines falschen Überholvorgangs einen Herzschlag erleidet. Hier geht es nämlich tatsächlich um eine Konstellation des atypischen Geschehensablaufs: Der Täter hat in diesem Fall zwar die Tatherrschaft, der objektive Tatbestand des § 212 StGB ist gegeben, jedoch ist der Vorsatz zu verneinen, wenn der Täter nichts von der Herzschwäche wusste und ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Zu prüfen bleibt dann § 222 StGB, jedoch wird die Vorhersehbarkeit zu verneinen sein. Ebenso verhält es sich bei den Schockschäden: Der Täter beherrscht die Situation, jedoch fehlt ihm regelmäßig der Vorsatz. Im Hinblick auf § 222 StGB mangelt es an der Vorhersehbarkeit. Zur Lösung des Falls muss also nicht auf vage Schutzzweckgesichtspunkte rekurriert werden.

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Im Zahnarztfall ist der entscheidende Gesichtspunkt wiederum, dass bereits der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zu verneinen ist: Der Tod wäre nämlich auch mit vorgenommener Untersuchung durch einen Internisten aufgrund der Vollnarkose eingetreten, dies war jedenfalls nicht auszuschließen. Richtig betont der BGH, maßgeblich sei bei der hypothetischen Prüfung auf den Zeitpunkt der Begehung abzustellen. Daher ist nicht entscheidend, dass die Patientin um den Zeitraum der internistischen Untersuchung länger gelebt hätte.

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Bei den Folgeschäden handelt es sich schließlich um ein prozessuales Problem, denn wenn die Folge erst nach Abschluss des Prozesses eintritt, liegt bereits Strafklageverbrauch vor. Tritt sie vorher ein, dann ist die Folge im Prozess zu berücksichtigen.

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Es zeigt sich also, dass über den Schutzzweckgedanken unterschiedlichste Fälle zusammengefasst werden, wodurch die eigentlichen maßgeblichen Gesichtspunkte verschleiert werden. Vielmehr gilt: Sämtliche Konstellationen sind sachgerecht und zutreffend mit dem herkömmlichen Instrumentarium lösbar, ohne dass es der Heranziehung vager Begriffe wie „objektive Zurechnung“ oder „Schutzzweck der Norm“ bedarf.

8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand › § 33 Kausalität und objektive Zurechnung › Ausgewählte Literatur

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9783811449442
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